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Die mikroorganismen. Mit besonderer / Flügge, Kar
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DIE
MIKROORGANISMEN.
Mit besonderer Berücksichtigung der
Ätiologie der Infektionskrankheiten.
Dritte, völlig umgearbeitete Auflage
BEARBEITET VON
Dr. P. Frosch in Berlin, Dr. E. Gotschlich in Breslau,
Dr. W. Kolle in Berlin, Dr. W. Kruse in Bonn,
Prof. R. Pfeiffer in Berlin,
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. C. FLÜGGE,
0. Ö. PROFESSOR UND DIREKTOR DES HYGIENISCHEN INSTITUTS ZU BRESLAU.
ERSTER THEIL.
MIT 57 ABBILDUNGEN IM TEXT.
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1896.
F c ?v. :
Das Übersetzungsrecht sowie der Nachdruck der Abbildungen vorbehalten.
Vorwort zur dritten Auflage.
Seit fast 8 Jahren ist die 2. Auflage der „Mikroorganismen"
vergriffen und wiederholt hat mich die Verlagsbuchhandlung um Be-
arbeitung einer neuen Auflage ersucht.
Leider habe ich diesem Ersuchen nicht entsprechen können. Die
Erfahrungen bei der Herstellung der 2. Auflage — eigentlich eines
völlig neuen Werkes gegenüber der ersten Bearbeitung — hatten mich
darüber belehrt, dass akademische Lehrer mit ausgedehnten Berufs-
pflichten solchen Aufgaben kaum gewachsen sind: endweder muss man
den Unterricht jahrelang einschränken, oder ganz auf Forschungen ver-
zichten, oder die Bearbeitung zieht sich so lange hin, dass die ersten
Abschnitte des Buches beim Erscheinen veraltet sind, insbesondere
wenn das Werk ein so rege bebautes und so fruchtbares Wissens-
gebiet behandelt, wie die Bakteriologie.
Wenn ich aber selbst eine 3. Auflage nicht schreiben konnte, so
war doch zu erwägen, ob die Neubearbeitung nicht jüngeren, weniger
durch Berufspflichten in Anspruch genommenen Kollegen überlassen
werden sollte.
Indess man wird es mir nicht verdenken, dass ich nur ungern an
diesen Ausweg, dachte. In der 1. und namentlich in der 2. Auflage
hatte ich die Lehre von den Mikroorganismen in vielen Abschnitten
von neuen Gesichtspunkten aus behandelt; manche Kapitel hatte ich
ganz neu schaffen müssen. Ich machte dort zum ersten Male den
Versuch, eine wenn auch vorläufige, so doch praktisch brauchbare,
hauptsächlich auf Kulturmerkmale gegründete Systematik und diagno-
stische Differenzierung der Bakterien zu liefern; ihre Lebensbedingungen
und Lebensäusserungen behandelte ich eingehender und erschöpfender,
als es bisher geschehen war; aus den experimentell festgestellten
IV Vorwort
Lebenseigenschaften der krankheitserregenden Bakterien suchte ich die
Verbreitungsweise der wichtigsten Infektionskrankheiten bis ins Detail
zu erklären.
Zum mindesten musste ich wünschen, dass bei einer Neubearbei-
tung durch Andere die in meinem Buche vertretenen Auffassungen
im allgemeinen beibehalten würden, und dass die Art der Behandlung
des Stoffs ungefähr die gleiche bleibe. Da diese Bedingung schwer
zu erfüllen war, blieb die 3. Auflage lange Zeit ungeschrieben, obwohl
ich erkennen musste, dass die inzwischen erschienenen grösseren Hand-
bücher von Cornil u. Babes und von Sternberg die entstandene Lücke
nicht auszufüllen vermochten, weil sie in ihrer Art zwar Vorzügliches
boten, aber doch von wesentlich anderen Gesichtspunkten aus bearbeitet
waren.
Eine Lösung des Dilemmas fand ich erst, als Dr. Kruse 1893 die
Assistentenstelle an meinem Institut übernahm. Dr. Kruse hatte be-
reits aus der seiner Leitung unterstellten Abteilung der zoologischen
Station zu Neapel so zahlreiche tüchtige bakteriologische Arbeiten er-
scheinen lassen, war offenbar mit der ganzen Materie so völlig vertraut,
und seine Anschauungen harmonierten so gut mit den meinigen, dass
ich kein Bedenken trug, mit seiner Hilfe an die Bearbeitung einer
neuen Auflage der Mikroorganismen heranzutreten. Aber selbst
Kruse's frische Arbeitskraft würde kaum ausgereicht haben, die in-
zwischen enorm angewachsene Materie in absehbarer Frist in die Form
eines zuverlässigen und in allen Teilen gründlichen Handbuchs zu
bringen. Ich entschloss mich daher, den Abschnitt „Biologie" ganz
abzuzweigen, und habe für diesen in meinem jetzigen Assistenten
Dr. Gotschlich einen vortrefflich geeigneten, physiologisch gut vor-
gebildeten Bearbeiter gefunden; ferner hatten Prof. Pfeiffer, Dr.
Frosch und Dr. Kolle vom KocH'schen Institut in Berlin die grosse
Freundlichkeit, einzelne Abschnitte der Systematik (Schimmel- und
Hefepilze, Mikrokokken, Spirillen) und einige kleinere Kapitel („Fund-
orte" und „Methoden") zu übernehmen.
Mit diesen bewährten Mitarbeitern ist es möglich gewesen, das
Werk etwa innerhalb eines Jahres fertig zu stellen.
Ich selbst habe mich darauf beschränkt, für eine zweckmässige
Verteilung des Stoffs, ferner für Vollständigkeit einerseits, für Ver-
meidung von Wiederholungen andererseits nach Möglichkeit Sorge zu
tragen, ausserdem hier und da Gesichtspunkte für die Bearbeitung zu
Vorwort V
empfehlen, zuweilen auch zwischen den widerstreitenden Ansichten der
verschiedenen Mitarbeiter zu vermitteln. Im übrigen habe ich den
einzelnen Autoren ganz freie Hand gelassen; auch darin, ob sie sich
mehr oder weniger an den Text der 2. Auflage halten wollten. Wenn
gerade in diesem Punkte die Bearbeitung ungleich ausgefallen ist, so
liegt darin kaum ein Schaden gegenüber dem grossen Vorteil, dass
die Verfasser volle Selbständigkeit bei der Bearbeitung ihrer Abschnitte
hatten. Sie sind allein für den Inhalt verantwortlich; ihnen gebührt
aber auch allein alles Verdienst, wenn Gutes geleistet ist.
Von Abbildungen habe ich nur einfache Figuren, meist im Text,
aufgenommen. Zur Orientierung und für Unterrichtszwecke sind die-
selben vollauf ausreichend. Wer morphologische Details von Mikro-
organismen an Abbildungen studieren will, für den sind einzig gute
Photogramme brauchbar, und diese besitzen wir in dem ausgezeich-
neten Atlas der Bakterienkunde von Feänkel und Pfeiffee, der für
jeden Bakteriologen unentbehrlich ist und auch durch den später er-
schienen Atlas von Niemann und Itzekott nicht weniger entbehrlich
geworden ist.
Die Litteraturcitate sind in den Text eingeschoben; sie sind so
überaus zahlreich, dass wir der Raumersparnis wegen es vorgezogen
haben, dabei Abkürzungen zu verwenden, deren Verzeichnis in Band I
und in Band II unmittelbar hinter dem Inhaltsverzeichnis abgedruckt
ist. — Nur in dem Abschnitt „Schimmel- und Hefepilze" ist die
Litteratur infolge eines Versehens nicht im Text citiert, sondern am
Schluss des Abschnitts zusammengestellt.
Möge das Buch auch in der neuen Gestalt viele Freunde finden
und fördernd und klärend auf dem Gebiet der Bakteriologie wirken.
Die Bedeutung dieser Disciplin wird freilich zur Zeit gerade sehr ver-
schieden beurteilt. Viele geben sich der Hoffnung hin, dass die Tage
der Bakterien gezählt seien, und dass man sich nicht mehr der Mühe
zu unterziehen brauche, ihnen ernste Studien zu widmen. Soll doch
noch jüngst die Majorität einer medizinischen Fakultät sich zu dem
Votum geeinigt haben, dass „an der Bakteriologie nichts daran sei;
da sei immer dasselbe, immer eine Gelatineplatte und eine Maus und
eine Platinöse, und das sei kein wissenschaftliches Arbeiten". —
Derartige absprechende Urteile sind indess stets nur von Solchen
geäussert worden, welche die Bakteriologie nicht kennen. Diejenigen,
welche sich Mühe gegeben haben, die Methoden der Bakterienforschung
VI Vorwort
sich anzueignen und in ernster Arbeit bei der Lösung wissenschaftlicher
Fragen anzuwenden, haben nie in solcher Weise abgeurteilt, sondern
sind einig in der Überzeugung, dass die Bakteriologie für die alier-
verschiedensten Wissensgebiete, namentlich aber für die praktisch-
medizinischen Fächer eine der wichtigsten Hilfsdisciplinen ist, die von
Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnt. Wer sie fortdauernd ignoriert,
für den werden die jüngeren Mediziner bald in einer Sprache reden,
die er nicht mehr versteht, und vergeblich wird er später versuchen,
die verlorene Fühlung mit der modernen Wissenschaft wiederzugewinnen.
Breslau, im Juli 1S96.
C. Flügse.
Inhaltsverzeichnis des ersten Teiles.
Seite
Vorwort III
Verzeichnis der Abkürzungen bei den „Litteraturcitaten'1 XV
Einleitung. Allgemeine Morphologie, Biologie, Vorkommen und Fundorte.
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen 1
Einleitung von Dr. E. Gotschlich 3
A. Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorga-
nismen s 3
I. Mikroorganismen als Erreger von Gährung und Fäulnis ... 6
Allmähliche Entwicklung der vitalistischen oder Keimtheorie . . ' 6
Einwände gegen die Grundlagen der Eeimtheorie 15
It. Mikroorganismen als parasitäre Krankheitserreger 22
B. Jetzige Definition und Klassifikation der Mikroorga-
nismen 31
ERSTER ABSCHNITT.
Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen von Dr. W. Kruse und
Dr. P. Frosch "..'.. 34
Erstes Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Schimmel- oder Fadenpilze vonDr. P. F ro s ch 34
Zweites Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Sprosspilze (Hefenpilze) von Dr. P. Frosch 40
Drittes Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Bakterien von Dr. W. Kruse 44
A. Definition und Verwandtschaften 44
* B. Formen 45
C. "Wachstum und Teilung 52
D. Dauerzustände, Sporenbildung .--56
E. Unregelmässige Formen 61
F. Bewegungsorgane 64
G. Kapsel- und Zooglöabildung 67
H. Bau der Bakterienzelle 69
I. Kreislauf der Formen, Formkonstanz und Pleomorphismus . . 76
VIII Inhaltsverzeichnis
Viertes Kapitel.
Seite
Allgemeine Morphologie der Protozoen von Dr. W. Kruse 79
ZWEITER ABSCHNITT.
Allgemeine Biologie der Mikroorganismen von Dr. E. 6 ot schlich und
Dr. W. Kruse 84
Einleitende Bemerkungen von Dr. E. Gotschlich 84
Erstes Kapitel.
Lebensbedingungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich . . 89
A. Physikalische Beschaffenheit des Zellleibes der Mikroorganismen 89
B. Chemische Zusammensetzung der Mikroorganismen 92
I. Schimmelpilze 93
IL Sprosspilze 94
III. Spaltpilze 96
C. Die Nährstoffe der Mikroorganismen 108
I. Die Nährstoffe der Schimmelpilze 109
IL Die Nährstoffe der Sprosspilze 115
III. Die Nährstoffe der Spaltpilze 118
a) Die einzelnen Nährstoffe der Spaltpilze 118
b) Die zusammengesetzten Nährmedien der Bakterien . . . 129
D. Die physikalischen Lebensbedingungen der Mikroorganismen . 132
E. Vitale Konkurrenz der Mikroorganismen 137
Zweites Kapitel.
Lebensäusserungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich . . 141
A. Allgemeiner Charakter des Lebensprozesses bei den Mikroorga-
nismen 142
B. Die direkte Gasatmung der Mikroorganismen 147
C. Die Assimilation und Verwendung der Nährstoffe im Zellleib der
Mikroorganismen 148
D. Die physikalischen Leistungen der Mikroorganismen .... 157
I. Lokomotion 157
IL Wärmeproduktion 164
III. Lichtentwicklung 165
E. Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen 168
I. Reduktionsvorgänge 169
IL Die Entwicklung von Schwefelwasserstoff 170
III. Die Bildung von Farbstoffen 174
IV. Die Veränderung der Reaktion des Nährsubstrats durch Bil-
dung von Säuren oder Alkalien 17S
F. Ptoma'ine, Toxine und Toxalbumine 181
G. Die isolierbaren Fermente 195
I. Fermente, welche Kohlehydrate und deren Derivate spalten . 197
a) Fermente, welche den Abbau der Stärke u. verwandter
Körper bewirken 197
b) Invertierende Fermente 202
c) Glukosidspaltende Fermente 206
d) Celluloselösende Fermente 207
Inhaltsverzeichnis IX
Seite
IL Eiweissspaltende (peptonisierende) Fermente ...... 207
III. Labfermente 209
IV. Harnferment 211
V. Fettspaltende Fermente. Allgemeine Eigenschaften und Theorie
der Fermentprocesse 213
Drittes Kapitel.
Gährungserregung von Dr. E. Gotschlich 219
A. Gährungen durch Spaltung 220
I. Vergährungen der Kohlehydrate 220
1. Die alkoholische Gährung der Zuckerarten durch Hefe . . 220
2. Oxalsäuregährung 232
3. Citronensäuregährung . 232
4. Milchsäuregährung 232
5. Buttersäuregährung 236
6. Schleimige Gährungen 239
7. Cellulosevergährung (Sumpfgasgährung) ........ 241
8. Verschiedene Vergährungen der Kohlehydrate . ... 243
IL Vergährung der mehrwertigen Alkohole 244
III. Vergährungen der Fettsäuren und Oxysäuren 246
B. Gährungen durch Oxydation 248
I. Die Essiggährung 248
IL Nitrifikation 251
C. Zusammengesetzte Gährungen 254
I. Die Fäulnis 254
IL Komplizierte, ihrem chemischen Verlauf nach noch unbekannte
Gährungen, die in den Gährungsgewerben Anwendung finden 262
1. Kefirgährung 262
2. Käsereifung u. abnorme Käsegährung 263
3. Brotgährung 264
4. Gährungen im Gerbereibetriebe 265
5. Tabaksgährung 265
6. Opiumgährung 266
7. Indigobereitung 266
D. Allgemeine Eigenschaften und Theorie der Gährungsprocesse . 266
Viertes Kapitel.
Krankheitserregung von Dr. W. Kruse 271
A. Einteilung der Bakterien nach Wachstumsfähigkeit und Wirkung
im lebenden Körper 271
B. Lokale Wirkungen der Bakterien 276
C. Allgemeinwirkungen der Bakterien 282
D. Einfluss der Menge des Virus 296
E. Virulenzgrad 299
F. Mischinfektion 309
G. Eintrittspforten der Infektion . . ; . 316
H. Natürliche Immunität und Disposition 328
I. Erworbene Disposition 332
K. Künstlische, nicht spezifische Immunität und Heilung .... 341
Inhaltsverzeichnis
Seite
L. Spezifische Immunität und Heilung 355
I. Immunität gegen das lebende Virus 356
II. Giftimmunität 368
M. Ausscheidung der Infektionserreger und ihrer Produkte . . . 375
N. Infektionsquellen und Selbstinfektion 380
0. Vererbung der Infektion, Disposition und Immunität .... 388
P. Theorie der Infektion, Immunität und Heilung 394
Anhang: Pflanzeninfektion 418
Fünftes Kapitel.
Fortpflanzung, Wachstum und Fruktifikation der Mikroorganismen von
Dr. E. Gotschlich 420
A. Die Vermehrung durch Zellteilung 420
B. Wachstum und Bildung von Kolonien 425
C. Fruktifikation 427
I. bei Schimmelpilzen 427
IL bei Sprosspilzen 429
IH. bei Spaltpilzen 430
Sechstes Kapitel.
Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen von Dr. E. Gotschlich 433
A. Schädigung der Mikroorganismen durch physikalische Einwir-
kungen 435
B. Schädigung der Mikroorganismen durch chemische Einwirkungen 446
Allgemeine Vorbemerkungen und Methodik 446
I. Anorganische Desinfektionsmittel 451
a) Metalle und Metallsalze 451
b) Säuren und Alkalien 456
c) Gasförmige anorganische Stoffe. Halogene u. Halogen-
derivate 460
IL Organische Desinfektionsmittel 463
a) Körper der Methanreihe 463
b) Körper aus der aromatischen Reihe 466
c) Körper aus den Pyridin-, Chinolin- u. verwandten Reihen
Alkaloide 472
d) Ätherische Öle 473
e) Farbstoffe 474
Siebentes Kapitel.
Variabilität der Mikroorganismen von Dr. W. Kruse 475
A. Einleitung 475
B. Morphologie 478
C. Wachstum in künstlichen Nährböden und Koloniebildung. Gela-
tineverflüssigung und Schleimbildung 480
D. Temperatur, Sauerstoffzutritt u. Sauerstoffmangel als Wachstums-
bedingungen 483
E. Zusammensetzung des Bakterienkörpers, Reaktionen 485
F. Resistenz der Bakterien 485
G. Bakterielle Zersetzungen, Bakterienprodukte 486
Inhaltsverzeichnis XI
Seite
H. Pigrnentbildung 487
J. Beweglichkeit 488
K. Sporenbildung 489
L. Virulenz und Giftbildung 490
M. Natürliche Varietäten 490
N. Schluss ' ■ 491
DRITTER ABSCHNITT.
Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen von Prof. R. Pfeiffer 494
Erstes Kapitel.
Allgemeine Verbreitung der Bakterien 494
Zweites Kapitel.
Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft 496
Gefahr der Luftkeime 499
Drittes Kapitel.
Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden 500
A. Verhalten der pathogenen Bakterien im Boden 505
*- I. Findet Vermehrung pathogener Bakterien im Boden statt? . 506
IL Findet im Boden eine Konservierung pathogener Bakterien
statt? 508
DI. Wie erfolgt die Verbreitung der konservierten Bakterien vom
Boden zum Menschen? 512
B. Zeitliche Beeinflussung der Verbreitung durch die Bodenfeuchtig-
keit 513
C. Einfluss der örtlichen Bodenbeschaffenheit auf die Verbreitung . 514
D. Resunie 515
Viertes Kapitel.
Vorkommen von Bakterien im Wasser 517
Fünftes Kapitel.
Bakteriengehalt der Nahrungsmittel 521
Sechstes Kapitel.
Bakteriengehalt der Kleidung 524
Siebentes Kapitel.
Vorkommen von Bakterien in der Wohnung 524
Achtes Kapitel.
Infektionen durch Beruf und Beschäftigung 526
Neuntes Kapitel.
Bakterien auf den Körperoberflächen 526
" VIERTER ABSCHNITT.
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen von Dr. W. Kolle 531
A. Die mikroskopische Untersuchung der niederen Pilze .... 531
XII Inhaltsverzeichnis
Seite
I. Herstellung und Färbung von Deckglaspräparaten .... 532
II. Herstellung von Schnitten 533
III. Färbung u. Behandlung der Schnitte 535
a) Allgemeines 535
b) Gebräuchlichste Farblösungen 536
c) Besondere Färbungsmethoden 537
1. Doppelfärbung 537
2. Färbung der Tuberkelbacillen 538
3. Universalmethoden(L ö f f 1 e r's Methode u.Pfeiffer's Methode) 539
4. Gram 's Methode 539
Die Benutzung der Gram 'sehen Methode zur Differenzierung von
Bakterien 541
IV; Färbung von Bacillensporen 541
V. Geisseifärbung 542
VI. Konservierung mikroskopischer Präparate 544
VII. Mikroskopische Durchmusterung der Präparate 544
VIII. Photographische Abbildung von Bakterien 545
IX. Zur Differentialdiagnose der Bakterien 54S
B. Die künstliche Kultur der Mikroorganismen 549
I. Gefässe für die Kultivierung 549
IL Die Nährsubstrate 550
a) Allgemeines 550
b) Künstliche Nährlösungen für die pathogenen Bakterien . 552
III. Besondere Vorschriften für die Bereitung einiger Nährsubstrate. 555
IV. Brutschränke 559
V. Die Beschickung der Nährböden 562
VI. Kulturmethoden 563
a) Kultur aerober Bakterien 563
Gelatineplattenmethode 566
Keimzählung mittelst Plattenverfahrens 568
Rollplatten nach v. Esmarch 569
b) Kultur anaerober Bakterien 570
c) Isolierung in flüssigen Nährsubstraten 573
VII. Untersuchung der biologischen und pathogenen Eigenschaften
der Bakterien 575
Instrumente zur Injektion 576
Tierhalter 577
VIII. Methoden und Apparate für die chemische Untersuchung der
Bakterien 582
C. Die bakteriologische Untersuchung von Luft, Wasser und Boden 586
I. Luft 586
IL Wasser 590
III. Boden 594
Figiirenverzeicknis des ersten Teils.
Figur Seite
1. (Aus van Leeuwenhoek's „Arcana naturae" nach Löffler, S. 6) 3
2. (Aus 0. F. Müller' s „Anirnalcula infusoria" nacli Löffler, S. 17) 4
3. Gemmen- od. Chlainydosporenbildung (nach Tavel) 36
4. Sporenbildung von Sacch. cerevis. (nach Jörgensen) 43
5. Sporen von Sacchar. Ludwigii (nach Jörgensen) 43
6. Sporenformen von Sacch. anomalus (nach Jörgensen) 43
7. Verschiedene Kugelformen der Bakterien 47
8. Verschiedene Formen von Bakterienstäbchen- 49
9. Verschiedene Formen von Schrauben; Kommabacillen 51
10. Sporenformen, Sporenbildung, Sporenkeimung der Bakterien ... 58
11. Unregelmässige Bildungen (Involutionsformen) von Bakterien ... 62
12. Bewegungsorgane und Bau der Bakterienzelle 66
13. Bakterien in Kapseln und Zooglöen 68
14. Comet'sche Pinzette zum Handhaben der Deckgläschen .... 533
15. Mikrophoto graphischer Apparat von Zeiss in Jena 547
16. Erlenmeyer'sches Kölbchen für künstl. Kulturen 549
17. Petri'sche Schale 549
18. Kolle'sche Schale " .... 550
19. Pasteur'sches Kölbchen (matras) für Kulturflüssigkeit 550
20. Sterilisierungsapparat 553
21. Treskow'scher Fülltrichter 554
22. Dampfofen zum Sterilisieren 554
23. Wärmetrichter 556
24. Brutschrank oder Thermostat 560
25. Koch 'sehe Sicherheits Vorrichtung 561
26. Thermoregulator (von Quecksilber) des Brutschranks 561
27. Deckgläschen u. hohle Objektträger 563
28. Aluminiumhalter mit Platinöse u. Platinnadel zum Übertragen des
Impfmaterials 564
29. Nivellierständer mit Koch'schem Plattengiessapparat 567
30. WolffhügePs Zählnetz zur Keimzählung 569
31. Glas für anaerobiotische Züchtung 571
32. Kitasato'sche Schale 572
33. Botkin'scher Apparat 572
34. Gährungsröhrchen 575
35. Koch'sche Spritze für Injektion von Flüssigkeiten 576
XIV Figurenverzeichnis
Figur Seite
36. Kitasato's Tierhalter 578
37. Von F. Lautenschläger modifizierter Tierhalter 578
38. Derselbe 579
39. Aclerlasskanülen 579
40u.41. Tierhalter von Malassez 580
42. Derselbe 581
43. Voges'scher Meerschweinchenhalter 581
44. Temperaturmessung bei Tieren 582
45. Kitasato'sche Kerze für Filtration 583
46. Pukall'sches Filter 583
47. Proskauer'scher Dialysator 584
48. Vakuum-Destillationsapparat von Proskauer 584
49. Extraktionsapparat von Proskauer 585
50. Heizbarer Vakuumtrockenapparat von Proskauer 585
51. Röhre zur Bestimmung des Keimgehalts der Luft 588
52. Dieselbe in Verbindung mit der Luftpumpe 589
53 u. 54. Gefässe zur Entnahme u. Aufbewahrung von Wasserproben . . . 592
55. Proskauer's transportabler Kasten zur bakteriolog. Untersuchung
des Wassers 593
56. Fr änkel 'scher Bohrer zur Entnahme von Bodenproben .... 594
57. Davids' Bodenbohrer 595
Verzeichnis
der Abkürzungen bei den „Litteratnrcitaten".
A
= Archiv f. Hygiene.
B.
= Berlin, klin. Wochenschr.
A
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B. Ch.
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tan. Gesellschaft.
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richte über die Fortschritte
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Ph. Tr.
= Philosophical Transac-
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J. pr. Ch.= Journal f. praktische Che-
Pogg.
= Poggendorff's (später
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Wiedemann's) Annalen
J. w. B.
= Jahrbücher für wissensch.
f. Physik u. Chemie.
Botanik.
Proc. Lond.
= Proceedings of the Roy.
K.
= Koch's Jahresbericht über
Society f London.
dieFortschr.in clerLehre von
r:
= referiert bei.
den Gährungsorganismen.
R.
= Hygien. Rundschau.
L.
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Re.
= Revue de medecine.
dium etc. von de Bary.
Ri.
= Riforma medica.
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S.
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S. B.
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mann, Adametz, Lustig,
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gesamt. Physiolog.
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Z. T.
= Deutsche Zeitschrift f.
schrift.
Thiermedizin.
Die erste Zahl nach dem Buchstaben bedeutet immer die Bandzahl oder
Jahreszahl (mit Weglässung von 18 . . .), die zweite Zahl die Nummern der Wochen-
schrift, das Heft der Zeitschrift oder die Seitenzahl.
Erster Teil.
Einleitung. Allgemeine Morphologie, Biologie, Vorkommen
und Fundorte. Methoden zur Untersuchung
der
Mikroorganismen.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I.
Einleitung
von
Dr. E. Gotschlich.
A. Historische Entwicklung der Lehre von den
Mikroorganismen.
Die erste sichere Beobachtung über die Existenz mikroskopisch
kleinster lebender Wesen in unserer steten Umgebung stammt von
Athanasitts Kiechee1) aus dem Jahre 1671. Kiechee konstatierte das
Vorkommen zahlloser kleiner „Würmer" in faulem Fleisch, Milch, Essig,
Käse u. dgl., vermochte jedoch über ihre nähere Beschaffenheit keine
Angabe zu machen. Bald darauf gelang es jedoch van Leeuwenhoek2),
in Speichel, Zahnschleim, in seinem eigenen
diarrhoischen Stuhl solche „winzige Tierchen" . ~
zu sehen und ihre morphologischen Eigenschaf-
ten mit einer für die damaligen optischen \ \ ^
Hilfsmittel erstaunlichenPräzision zu erkennen; \ *^
seine Mitteilungen sind auch durch Abbildungen ^^
der Tierchen illustriert, von denen wir eine aus c. &.
dem Jahre 1692 hier folgen lassen.
Aus der begleitenden Beschreibung geht
hervor, dass Leeuwenhoek in den mit B be- Fi . 1
zeichneten Tierchen grosse Vibrionen ge- (Aus Löfflee, S. 6.)
sehen hat.
Der erste Versuch einer wissenschaftlichen systematischen Zu-
sammenstellung und Artunterscheidung wurde von Otto Feied-
eich Müllee 1786 gemacht, welcher seine Funde ebenfalls mit vortreff-
lichen Abbildungen begleitete. In der folgenden Fig. 2, entnommen aus
0. F. Müllee's „Animalcula infusoria". 1786, sind manche Formen, be-
1) Scrutinium physico - medicum contagiosae luis, quae dicitur pestis etc.
Lips. 1671.
um.
2) Arcana naturae. Delphis Batav. 1695.
4 Gotschlich, Einleitung.
sonders unter den Spirillen so deutlich wiedergegeben, wie es auch
heute nicht besser geschehen könnte.
In unserem Jahrhundert gelang es Eheenberg1), mit seinen ver-
besserten optischen Hilfsmitteln eine grosse Anzahl mikroskopisch kleiner
Lebewesen im Staube und im Wasser aufzufinden, die er als „Infusions-
OO0
e ^
>,s 4.
(AUS LÖFFLER, 1. C. S. 17.)
tierchen" bezeichnete. Die niedersten Gebilde unter denselben, die unseren
heutigen Bakterien entsprechen, brachte Ehrenberg in den zwei Familien
Monadina und Vibrionia unter; die Monadina teilte er in Kugel-
und Stabmonaden, von denen die ersteren wieder in Punkt- und
Eimonaden zerfielen; die Vibrionia wurden nach Form und Bieg-
samkeit in mehrere Abteilungen untergebracht; die geradlinigen, un-
biegsamen Formen nannte Ehrenberg Bacterium, die geradlinigen,
schlangenförmig biegsamen Vibrio, die spiralförmig gekrümmten, un-
biegsamen Spirillum, die spiralfö rmigen, biegsamen Spiro chaete. Wie
man sieht, waren alle jetzt bekannten Hauptformen damals schon be-
1) Die Infusionstierchen als vollkommene Organismen. 1S3S.
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 5
obachtet. Die Abgrenzung der Arten war jedoch naturgemäss nur
unsicher und unbestimmt. An demselben Mangel krankte die später
versuchte Einteilung von Dujardin1). Der Erste, welcher die pflanz-
liche Zugehörigkeit dieser niedersten Lebewesen betonte, war Perty2);
er rechnete sie unter dem Sammelnamen Vibrionida, geteilt in die beiden
Formenkreise der Spirillina und Bacterina, zu den Phytozoidea und
betonte ihre nahe Verwandtschaft mit den Algen. Grundlegend für die
Einordnung der Mikroorganismen unter die niedersten pflanzlichen
Gebilde war die Arbeit von F. Cohn: Untersuchungen über die Ent-
wicklungsgeschichte der mikroskopischen Algen und Pilze. 1854; die
„Vibrionien" wurden sämtlich in die Gruppe der Wasserpilze, Myco-
phyceae, eingeordnet und ihre nahen Verwandtschaftsbeziehungen zu
den Algenfamilien der farblosen Oscillarien festgestellt. Nägeli3) trennte
dann auf Grund physiologischer Erwägungen die farblosen Mikro-
organismen von den mit ihnen morphologisch nahe verwandten gefärbten
Algen; der fundamentale biologische Unterschied zwischen beiden be-
stand darin, dass die gefärbten Algen durch ihren Chlorophyllgehalt
unter Mitwirkung des Sonnenlichtes und unter Entbindung von 02 ganz
wie die höheren Pflanzen die vollständige Synthese ihrer Leibessubstanz
aus den Elementen C, N, 0 und H in Gestalt von C02, NH3 und H20
vollziehen können, während die farblosen Mikroorganismen hierzu
nicht imstande und daher wie die Pilze auf präformiertes organisches
Nährmaterial angewiesen sind. Auf Grund dieser Erwägungen fasste
er die Gesamtheit dieser Lebewesen unter dem Sammelnamen „Spalt-
pilze",Schizomyceten, zusammen, der sowohl ihren nahenBeziehungen
zu den übrigen Pilzen als ihrer einfachen Fortpflanzung durch Zwei-
teilung, Spaltung, gerecht wurde.
Inzwischen hatte sich, angeregt durch dieEntdeekung derpflanz-
lichen Natur der Hefe durch Cagniard-Latour (A. eh. ph. 2. ser.
68. 20) und Schwann 1836, (Gilbert's Annalen d. Physik u. Chem.
Bd. 41. 184), sowie durch die noch näher zu betrachtende Entwicklung
der Lehre von der krankheitserregenden Wirkung der Mikroorganismen,
das Interesse für die biologische Erforschung derselben mehr und mehr
entwickelt, und zwar äussert sich dasselbe vorzugsweise nach zwei ver-
schiedenen Richtungen hin: teils galt es fortan, die Beziehungen zwischen
den Gährungskeimen und den Gährungs- und Fäulnisprozessen klar
zu stellen; teils war man bestrebt, einen Causalnexus zwischen ähn-
lichen kleinsten lebenden Wesen und den Infektionskrankheiten des.
1) Histoire naturelle des Zoophytes. Paris 1841.
2) Zur Kenntnis kleinster Lebensformen. Bern 1852.
3) Verhdlg. d. deutsch. Naturf.-Vers. in Bonn 1857. — B. Z. 57. 760.
6 Gotschljch, Einleitung.
Menschen und der Tiere nachzuweisen, welchen nahe liegende Speku-
lationen und Analogieschlüsse vermuten Hessen. Eine Orientierung über
die zahlreichen, die Bedeutung der Mikroorganismen betreffenden Streit-
fragen ist nur möglich, wenn zunächst nach beiden Richtungen ge-
sondert die allmählichen Fortschritte der Lehre von den Fermenten und
Parasiten verfolgt werden.
I. Mikroorganismen als Erreger von Gährung und Fäulnis.
Allmähliche Entwicklung der vitalistischen oder Keimtheorie.
Vor Schwann's Entdeckung wurde das Wesen der Gährung —
und zwar speziell der alkoholischen, weinigen Gährung, durch welche
der Zucker in Alkohol und Kohlensäure zerfällt — entweder überhaupt
nicht in der Hefe gesucht, die man nur als gelegentliches Accidens
ansah; oder die Rolle der Hefe wurde zwar als eine ätiologische auf-
gefasst, aber nur in dem Sinne, dass die Summe der Hefezellen als
poröser Körper wirke, der leicht Sauerstoff kondensiert, diesen auf andere
Substanzen überträgt und dabei die Spaltung des Zuckers veranlasst
(Beaconnot 1831: A. eh. ph. 47. 59); oder dass die Hefe katalysierende
Eigenschaft und damit die Fähigkeit besitze, gährungsfähige Substanzen
zu zerlegen in derselben Weise, wie Wasserstoffsuperoxyd durch fein
verteiltes Platin u. s. w. zerlegt wird (Berzelius 1827: Lehrb. d. Che-
mie. Bd. 8. 84). Niemand war bis dahin der Meinung, dass der Vor-
gang der Gährung an die lebenden, sich vermehrenden Hefezellen ge-
knüpft und geradezu eine Lebensäusserung derselben sei, und Niemand
konnte bis dahin eine solche Anschauung haben, weil die organisierte
Natur der Hefe noch nicht erkannt war. Erst Schwann ist der Be-
gründer der vitalistischen oder Keimtheorie. Auf Experimente gestützt
behauptete er die Ursache der Gährung darin gefunden zu haben, dass
lebende Hefe in der Gährflüssigkeit vegetiert und sich vermehrt, der-
selben die zu ihrem Wachstum nötigen Stoffe entzieht und dabei be-
wirkt, dass die nicht in die Hefe übergehenden Elemente sich vor-
zugsweise zu Alkohol verbinden. Die Versuche Schwann's wurden in
den nächsten Jahren mehrfach wiederholt und ihre Resultate wurden
bestätigt und erweitert; unter den nächsten Fortschritten sei nur des
von Lüdersdokff (Pogg. 67. 408) gebrachten Nachweises erwähnt, dass
zerriebene Hefezellen unwirksam sind und nur intakte Zellen Gährung
veranlassen können; sowie der Beobachtung von Blondeaü" (Journ. d.
Pharm. Bd. 12. 244 und 336), dass verschieden verlaufende Gährungen
durch verschiedenartige Mikroorganismen bewirkt werden.
Der strikte Beweis dafür, dass lebende Hefezellen oder der Hefe
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 7
ähnliche, meist noch kleinere Organismen, in allen Fällen die alleinige
Ursache jeder (jährung seien, konnte indess nur durch eine Reihe von
experimentellen Untersuchungen gegeben werden, die mit logischer
Konsequenz folgende Fragen zum Gegenstand haben mussten:
1. Zuvörderst musste gezeigt werden, dass in allen gährenden und
faulenden Flüssigkeiten Keime gefunden werden. Dies wurde von
sämtlichen Forschern konstatiert, die sich nach Schwann mit der
Gährungsfrage beschäftigten, und gerade das konstante Vorkommen
bestimmter mikroskopischer Organismen bildete den Ausgangspunkt der
vitalistischen Theorie. Die Thatsache selbst wurde auch von den Gegnern
derselben weniger bestritten als ihre Deutung; erst in späteren Jahren
wurden hier und da Beobachtungen veröffentlicht, welche die Existenz
faulender und gährender Medien ohne Organismen behaupteten — Beob-
achtungen, welche weiter unten im Zusammenhange berücksichtigt werden
müssen.
2. Aus dem konstanten Nebeneinandersein von Fäulnis und
Organismen folgte aber selbstverständlich nicht ohne weiteres die
causale Rolle der letzteren; diese musste vielmehr durch besondere
Experimente bewiesen werden. Man prüfte nun zunächst, wie sich
gährungsfähige Substanzen ohne Organismen verhalten, und zwar
suchte man zu dem Zweck die in den Substanzen selbst, in den
Gefässen u. s. w. etwa vorhandenen Keime zu töten durch Hitze
von mindestens 100° C, sodann aber die Substanzen gegen Eindringen
neuer Keime zu schützen durch geeignete Verschlussvorrichtungen
oder dadurch, dass man die zutretende Luft mit Mitteln behandelte,
welche eine Tötung der Keime zu bewirken vermögen.
Auch die Versuche, welche sich mit diesen nächstliegenden
Fragen beschäftigen, reichen bis in eine frühe Periode zurück.
1836 zeigte F. Schulze (Gilberts Ann. d. Physik u. Chemie. 39. 487),
dass in fäulnisfähigen Stoffen keine Zersetzung eintrat, wenn er die-
selben kochte, dadurch etwa vorhandene Keime tötete und nun den
Zutritt der Luft, z. B. durch eine Oelschicht absperrte oder die zutre-
tende Luft durch Schwefelsäure leitete, welche die Keime zurückhalten
und vernichten musste. Ganz ähnliche Versuche stellte Schwann 1837
(Gilbekt's Ann. 41) an; er befreite die zutretende Luft durch starkes
Erhitzen von den Organismen. Später versuchten Schködee und v. Dusch
(A. Ch. Pharm. 89. 232; 109. 35; 117. 273) die Fäulniskeime der Luft
einfach mechanisch zu entfernen, indem sie die Luft durch Baumwolle
filtrirten; auch dies gelang vollständig, so dass mit Baumwolle ver-
schlossene und mit gekochten fäulnisfähigen Stoffen gefüllte Gefässe
keine Fäulnis entstehen Hessen. Dasselbe Resultat erreichten Hoeemann
(B. Z. 60. 51), später Cheveeuil und 1862 Pasteue (C. R. 50. 306. —
§ Gotschlich, Einleitung.
A. ch. ph. 64) dadurch, dass sie den ausgezogenen Hals des zum Fäulnis-
versuch bestimmten Gefässes mehrfach spitzwinklig krümmten.
Die Beweiskraft aller dieser hier aufgezählten Versuche wurde
dann noch ganz besonders dadurch erhöht, dass man Kontrollversuche
anstellte, bei denen dieselben gährfähigen Flüssigkeiten benutzt und
in der gleichen Weise mit anhaltendem Kochen u. s. w. behandelt
wurden, nur mit dem einzigen Unterschied, dass die Luft zu den
Gläsern Zutritt hatte, ohne dass sie vorher durch Filtration oder zer-
störende Agentien ihrer Keime beraubt war. In diesen Kontrollproben
trat dann ausnahmslos Gährung oder Fäulnis ein, und dasselbe
Resultat ergab sich, wenn man nachträglich an den lange Zeit keim-
frei konservierten Gefässen die Schutzvorrichtungen entfernte und keim-
haltiger Luft den Zutritt gewährte, oder auch wenn absichtlich eine
Einsaat von Keimen aus anderen Gährfiüssigkeiten gemacht wurde.
In ungeheuerem Massstabe wurden später diese Experimente
wiederholt bei der Konservierung der Nahrungsmittel; kaum ein bio-
logischer Versuch ist so vielfach ausgeführt und hat ein so eindeutiges
Resultat aufzuweisen: Behandelt man eine gährungsfähige Substanz
mit Mitteln, welche vorhandene organisierte Keime zu zerstören ge-
eignet sind, und behandelt man weiter die zutretende Luft und alles,
was mit den Substanzen weiterhin in Berührung kommt, in einer
Weise, dass keine organisierten, lebenden Keime hineingelangen können,
so tritt keine Gährung, keine Fäulnis ein; unterlässt man irgend eine
Vorsichtsmassregel und gestattet den Zutritt von Keimen, so tritt
Gährung ein. — Freilich hat es später, wie hier im Voraus bemerkt
werden mag, auch bezüglich dieser Versuche und ihrer Resultate
nicht an Widerspruch gefehlt. Einzelne Forscher behaupteten, trotz
sorgfältigsten Abschlusses der gährungsfähigen Substanzen und trotz
sicherer Tötung der vorhandenen Keime doch Fäulnis und Gährung
erhalten zu haben. Die betreffenden Versuche werden unten näher
erörtert werden, doch sei gleich hier darauf aufmerksam gemacht,
dass ein abweichendes Resultat auftreten niuss jedesmal, wenn auch nur
eine der vielen notwendigen Vorsichtsmassregeln während des Experi-
ments ausser Acht gelassen ist, und dass also ein gewisser Prozentsatz
misslungener Konservierungen etwas ganz Selbstverständliches ist.
Je geübter der Experimentator, um so seltener werden die Ver-
suche fehlschlagen; je mehr die Praxis der Nahrungsmittelkonser-
vierung ausgebildet wird, um so sicherer gelingt die Herstellung durch-
weg fehlerfreier Präparate. Eine Reihe von Miseerfolgen wird der
beste Experimentator zu verzeichnen haben, wenn er anfängt sich
mit diesen Fragen zu beschäftigen, welche so zahlreiche Fehlerquellen
einschliessen und so ungewöhnliche Vorsichtsmassregeln erfordern.
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 9
Gerade deshalb können aber auch einzelne solcher widersprechender
Versuche, in denen trotz scheinbar vollständigen Fernhaltens aller
Keime dennoch Fäulnis oder Gährung eintrat, nicht zu einem Be-
weise gegen die vitalistische Theorie herangezogen werden.
Nimmt man einstweilen als Resultat der meisten und sorgfäl-
tigsten Konservierungsversuche an, dass bei Fernhaltung der Organismen
Fäulnis und Gährung in gährungsfähigen Substanzen ausbleibt, so ist
dann gleichzeitig eine andere alte Streitfrage zur Entscheidung gebracht,
nämlich die über die Abiogenesis (Generatio aequivoca). Wenn
jede Entwicklung von Organismen in Substraten, die unter gewöhn-
lichen Umständen den vorzüglichsten Boden zu ihrer Vermehrung
bieten, ausbleibt, sobald der Zutritt lebender Organismen unmöglich
gemacht ist, und wenn sich das regste Leben sogleich entwickelt,
sobald nur die geringste Zahl lebender Organismen hineingelangt, so
ist der Schluss berechtigt', dass die lebende Zelle nicht aus unorga-
nisierter Substanz gebildet werden kann, sondern stets wieder einer
anderen organisierten Zelle entstammt.
Die geschilderten Versuche Hessen jedoch noch zwei stichhaltige
Einwände zu, und diese erheischten eine weitere besondere Modifikation der
Konservierungsexperimente, falls durch letztere die vitalistische Theorie
der Gährung oder die Unwahrscheinlichkeit der Abiogenesis streng
erwiesen werden sollte. Man konnte nämlich einigen Versuchsreihen
gegenüber einwenden, dass der Sauerstoffmangel in den gekochten
und luftdicht verschlossenen Gefässen die Entwicklung organischen
Lebens hemme; aber diese Einrede wurde schon hinfällig, als die Ver-
suche mit durch Baumwolle filtrierter Luft eine unverminderte Sauer-
stoffzufuhr gestatteten und dennoch die Entstehung von Organismen
verhinderten. — Weit schwieriger war eine andere Behauptung zu
widerlegen: Man sagte, das Erhitzen der gährungsfähigen Substanzen,
die als Versuchsobjekt dienen, verändere diese in solcher Weise, dass
sogenannte chemische Fermente, die in den Substanzen enthalten seien
und deren Zersetzung auch ohne Organismen zu bewerkstelligen ver-
möchten, durch das Erhitzen zerstört würden, und deshalb faulten
diese Substanzen nicht; würde das Erhitzen nicht stattgefunden haben,
so hätten die Substanzen auch ohne Zutritt von Organismen unter
dem Einfiuss jener Fermente vergähren können. Und die Anhänger
der Urzeugung stützten sich auf die gleiche Einrede, indem sie an-
nahmen, dass durch das Erhitzen eine Dekomposition des Materials
einträte, welche dasselbe zur Urzeugung von Zellen untauglich mache.
— Diese Einwände veranlassten eine grosse Reihe neuer Konser-
vierungsversuche, die mit nicht erhitzten und überhaupt ganz unver-
änderten organischen Stoffen angestellt wurden. Van den Broek
IQ Gotschlich, Einleitung.
(A. Ch. Pharm. 1860. 115 und 175), Pasteur (C. ß, 56. 738 und 1194),
Rindfleisch (V. 54. 397), Listee (Journ. of. Microscop. Sc. 1878. 179)
und viele Andere, namentlich Meissner (r. Z. Ch. 13. 334) Leube
(Z. M. 3), Hauser (Pf. 33), Marchand (Sitzungsber. d. Ges. zur Be-
förderung d. ges. Naturw. zu Marburg 1885) konnten die verschieden-
sten fäulnisfähigen Substanzen, wenn dieselben nur vorher nicht der
Gefahr einer Verunreinigung durch Organismen ausgesetzt waren, in
absolut reinen Gefässen und gegen das Eindringen neuer Keime ge-
schützt, Jahre lang konservieren, ohne dass irgend welche Gährung
oder Fäulnis eintrat; dies gelang z. B. mit Traubensaft, Eidotter, Blut,
Milch, den verschiedensten tierischen Organen u. s. w. Diese Kon-
servierungsversuche sind später an vielen Orten mit gleich günsti-
gem Erfolge wiederholt und gelingen, genügende Übung des Experi-
mentators vorausgesetzt, so regelmässig, dass sich leicht beweisende
Dauerpräparate zu Demonstrationszwecken herstellen lassen. — Diese
Versuche, auf die später noch weiter einzugehen sein wird, und gegen-
über denen einzelne Versuche, in welchen die Konservierung nach der-
selben Methode missglückt ist, selbstverständlich durchaus keine Be-
weiskraft haben, sind für die Frage nach der Abiogenesis und nach
der Rolle der Organismen bei der Gährung und Fäulnis von entschei-
dender Wichtigkeit; erst auf Grund dieser Versuchsanordnung konnte
mit vollem Recht behauptet werden, dass eine Generatio aequivoca nicht
stattfindet und dass ebensowenig Gährung oder Fäulnis ohne die Mit-
wirkung kleinster Organismen zustande kommt.
3. Sind Organismen die stete Ursache der Gährung und Fäulnis,
so muss man angesichts der Thatsache, dass fäulnisfähige Stoffe an
jedem Ort und zu jeder Zeit in Zersetzung geraten (sobald nicht be-
sondere hindernde Massregeln angewendet werden), zu der Annahme
kommen, dass niedere gährungserregende Organismen in grösster all-
gemeinster Verbreitung vorkommen, und dass dadurch stets und überall
Gelegenheit zu einer Infizierung fäulnisfähiger Objekte gegeben ist.
Auf den Nachweis der Verbreitung organisierter Fermente in unserer
steten Umgebung waren daher die ferneren Bemühungen der Anhänger
der vitalistischen Theorie gerichtet. Untersuchungen, die schon mit
Ehrenberg beginnen und dann von Pouchet *), Tyndall (Ph.T. 76. 77),
Pasteur (C. R. 50. 51), Cohn (B. B. 3) fortgesetzt wurden, konsta-
tierten mit Sicherheit, dass die Luft stets Gährungs- und Fäulniskeime
enthält, dass der Staub zum Teil aus Mikroorganismen besteht, dass
Wasser, Boden und unsere gesamte Umgebung überall mit diesen
kleinsten Zellen verunreinigt sind. In späterer Zeit sind namentlich
1) Heterogenie ou traite de la generation spontanee. Paris 1S59. — C. R. A't
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. \ \
die Methoden der Aeroskopie ausgebildet, in der Meinung, dass gerade
die Luft hauptsächlich als Träger der Keime funktioniere und als das
Medium in Betracht komme, welches am häufigsten zur Infektion gäh-
rungsfähiger Substanzen führe. Neuere Untersuchungen (Sandeeson,
B. M. 78. 119, Rindfleisch, V. 54. 397 u. A.) haben zwar dargethan,
dass die Luft an den meisten Orten relativ wenig wirksame Keime
enthält, und dass die Übertragung der wirksamen Gährungserreger
häufiger durch Berührung mit festen Gegenständen, mit Wasser u. dgl.,
die mit Keimen verunreinigt sind, erfolgt, als durch Vermittelung der
Luft; aber durch diese Änderung der Anschauungen über die Betei-
ligung der verschiedenen Medien an der Gährungserregung wird an
der Lehre von der P an Spermie, von der Allverbreitung der Keime
in unserer Umgebung, nichts geändert.
Die causale Beziehung der Mikroorganismen zu Gährung und Fäul-
nis ist durch die bisher besprochenen Untersuchungen vollkommen
sicher gestellt. Man hat in allen faulenden und gährenden Substanzen
Organismen gefunden; man hat dieselben Organismen in weitester Ver-
breitung in unserer Umgebung konstatiert; man hat weiter zeigen können,
dass ohne diese Organismen, und zwar wenn man im Übrigen die
gährungsfähigen Substanzen völlig unverändert lässt und nur den Zu-
tritt der Organismen verhindert, keine Gährung, keine Fäulnis eintritt;
dass diese vielmehr erst erfolgt, wenn eine Berührung mit der ver-
unreinigten Umgebung lebensfähige Keime hineingebracht hat. — Aber
es fragt sich nun weiter, in welcher Weise man sich diß Wirkung
der Organismen auf die gährungsfähigen Substanzen vorzustellen hat;
und die ferneren, auf die Ätiologie des Gährungsvorganges bezüglichen
Experimente und Arbeiten zeigen alle das Bestreben, zu erkennen, ob
die Gährung und Fäulnis geradezu als vitaler Vorgang, als Lebens-
äusserung und Arbeitsleistung der ursächlichen Organismen anzusehen
und wie des Näheren dieser Vorgang zu denken sei.
In der ersten Zeit nach Schwanns Entdeckung bildeten sich be-
reits bestimmte Anschauungen über den Wirkungsmodus der Organismen
heraus. Schwann selbst behauptete, dass die Gährung durchaus dem
Wachstum der Hefe parallel gehe und dass die Gährung dadurch ent-
stehe, dass die Hefepflanze dem Nährsubstrat gewisse zu ihrem Wachs-
tum notwendige Stoffe entziehe und hierbei gleichzeitig eine Alkohol-
bildung aus den nicht für ihr Wachstum brauchbaren Elementen
veranlasse. Ähnliche, aber durchweg mehr spekulative und nicht experi-
mentell hinreichend begründete Anschauungen äusserten die nächsten
Zeitgenossen Schwanns. Ihre eigentliche Ausbildung erhielt die
12 Gotschlich, Einleitung.
vitalistische Lehre erst durch Pasteur1). Allerdings ist es Pasteur
nicht gelungen, von Anfang an einen passenden und dauernd richtigen
Ausdruck für den Hergang bei der Gährung zu finden, vielmehr haben
die von ihm gelehrten Sätze im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss
weiterer Experimente und besserer Einsicht sehr bedeutende Modifi-
kationen erfahren; aber bei einer so komplizierten und die Kräfte mehr
als eines Forschers absorbierenden Frage war ein abgeschlossenes Ur-
teil von vornherein nicht möglich, und nur eine zu zähe Konsequenz
würde der gedeihlichen Entwicklung der Erkenntnis geschadet haben.
Pasteur stellte 1857 zunächst fest, dass die Gährung aufs innigste
an das Leben und das Wachstum der Hefezellen gebunden ist und daher
als eine Arbeitsleistung der Hefezellen erscheint. Das Wachs-
tum der Hefe findet statt auf Kosten der Bestandteile der Gährflüssig-
keit; daher kann auch nicht aller Zucker in Alkohol und Kohlensäure
zerlegt werden, sondern ein etwa 5°/0 betragender Bruchteil wird zum
Aufbau von Zellenbestandteilen und zur Bildung von Nebenprodukten
verwandt; die gährungsfähigen Stoffe bilden die Nahrung der Hefe;
diese verwendet einen Teil zur Bildung neuer Zellsubstanz; der andere
ungleich grössere Teil erleidet in der Hefezelle eine Umwandlung in
Alkohol und Kohlensäure. Da die Hefezellen auch aus stickstoffhaltiger
Substanz und Mineralbestandteilen bestehen, so nahm Pasteur an, dass
Spuren beider Stoffe in den Gährungsfmssigkeiten vorhanden sein müssen,
wenn die Hefe sich entwickeln und ihre Arbeitsleistung, die Zucker-
zersetzung, liefern soll. Später fand Pasteur, dass die Hefe zwar auch
in reinen stickstofffreien Zuckerlösungen sich entwickeln und Gährung
hervorrufen kann, aber hier erfolgt die Weiterentwicklung dann auf
Kosten eines Vorrats an stickstoffreicher Substanz, den frische Hefe-
zellen zu enthalten pflegen. Ebenso scheinen alte, abgestorbene Hefe-
zellen neues Nährmaterial für junge Zellen liefern zu können, und
unter Umständen, wenn nämlich Hefe mit zuckerfreier Flüssigkeit an-
gerührt wird, kann auch stickstofflose Substanz (Cellulose?) der alten
Hefezellen die Rolle des Zuckers vertreten, Alkohol und Kohlensäure
produzieren und so eine Selbstvergährung der Hefe liefern.
Im Jahre 1860 zeigte dann Pasteur, dass die stickstoffhaltigen
Nährstoffe der Hefe nicht aus eiweissartigen Substanzen zu bestehen
brauchen, sondern dass Ammoniaksalzen die gleiche Bedeutung für den
Stoffwechsel der Hefe zukommt. Solche Salze nebst den notwendigen
Mineralstoffen (die am einfachsten in Form von Hefeasche zugesetzt
werden) und Zucker bilden die einzig nötigen Ingredienzien zu einer
0 l) C. R. Bdd. 45; 52; 56; 75. — A. ch ph. 58; 64. — Etudes sur le vin. 1S66.
Etudes sur la biere. 1876.
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 13
Züchtungsflüssigkeit für Hefe, und in derartig zusammengesetzten ein-
fachsten Lösungen geht die Gährung in ausgezeichneter Weise von
statten. Die Versuche wurden von Cohn, Duclaux u. A. vollkommen
bestätigt und sie lassen es als ganz unmöglich erscheinen, den Ei-
weissstoffen der Gährungsflüssigkeiten eine so wichtige Rolle bei dem
Gährungsprozess zuzuschreiben, wie dies namentlich LiEBiGgethan hatte
(s. unten).
Von besonderer Wichtigkeit für die Erkenntnis der Beziehungen
zwischen Gährung und Lebensthätigkeit der Mikroorganismen war die
Feststellung der Rolle, welche der Sauerstoff bei diesen Vorgängen
spielt. Während nämlich nach den Untersuchungen von Pasteue und
später von Schützenbeegee (Die Gährungserscheinungen. 1874) beim
Wachstum derGährungserreger Sauerstoff aufgenommen wird, und zwar
um so mehr, je lebhafter die vegetative Thätigkeit derselben sich entfaltet,
erfolgt der Gährungsprozess nach späteren Untersuchungen Pasteüe's
gerade bei Sauerstoffmangel am intensivsten, und Sauerstoffzu-
fuhr erwies sich als geradezu feindlich für denselben. Der Sauerstoff-
mangel erschien daher Pasteue bald als die notwendigste, ja unerlässliche
Verbindung für die Gährung; Gährung tritt ein, sobald irgend eine
lebende Zelle bei Sauerstoffabschluss zu vegetieren vermag; durch den
Gährungsprozess, bei dem eine ungewöhnlich unfangreiche Spaltung des
Nährmaterials erfolgt, werden der Zelle diejenigen zu ihren Leistungen
erforderlichen Energiemengen geliefert, welche sie sonst durch das
mächtige Eingreifen des Sauerstoffs in den Lebensprozess erhält.
Gährung ist also nichts anderes, als das Leben selbst unter
den total veränderten Bedingungen, welche der Sauerstoff-
abschluss schafft, und daher eine ganz allgemeine Fähigkeit
des lebenden Protoplasmas. In einem späteren Abschnitt werden
wir näher auf diese Theorie Pasteüe's einzugehen haben und werden
dann allerdings finden, dass nach neueren Beobachtungen die Rolle des
Sauerstoffs bei der Gährung doch nicht so allgemein aufgefasst werden
kann, wie sie Pasteue zu erkennen glaubte. Aber wenn auch Pasteüe's
Anschauung über die Art und Weise, in der die Zersetzung beim Gähr-
prozess vor sich geht, sich auf die Dauer nicht bewährt hat, und auch
bisher von keinem anderen Forscher eine genügend einwandsfreie Er-
klärung dieses Mechanismus gegeben werden konnte, das haben doch
die zahlreichen zum Beleg der einen oder anderen Hypothese unter-
nommenen Experimente immer wieder zu zeigen vermocht, dass die
innigsten Beziehungen zwischen den lebenden Mikroorganismen und
den Gährungen bestehen und dass die Gährung entschieden als eine
physiologische Leistung der Mikroorganismen anzusehen ist. Dafür
spricht ausser den zahlreich wiederholten Experimenten Schwanns und
14 Gotschlich, Einleitung.
seiner Nachfolger der Umstand, dass die Intensität der Gährung der
Entwicklung der Mikroorganismen im Gährgernisch parallel geht;
dass die Gährungen am besten be'i derjenigen Temperatur verlaufen,
die mit dem Optimum der Temperatur für das Wachstum und die
sonstigen Lebensfunktionen der Mikroorganismen übereinstimmt; dass
die exquisit physiologischen Gifte, wie Chloroform, Äther, Blau-
säure, schon in geringer Dosis die Gährung zu hindern vermögen.
Ferner ist durch genauere chemische Analyse der Gährprodukte näher
festgestellt, dass die Zerlegung des Gährmaterials bei der Gährung in
einer so tiefgreifenden Umwandlung der Moleküle, in einer so inten-
siven Verschiebung der Atome beruht, dass nur durch unsere stärksten
chemischen Agentien ein annähernd gleicher Eingriff erzielt werden
könnte. Und da derartige chemische Mittel keinesfalls in Betracht
kommen, so können wir nur an physiologische Leistungen denken, bei
denen wir überall derartige tiefgehende Wirkungen wahrnehmen.
Von grosser Bedeutung für die weitere Entwicklung der vitali-
stischen Gährungslehre ist die Unterscheidung verschiedener und
spezifische Wirkungen hervorrufender Fermentorganismen. Zur Zeit
der Begründung der Keimtheorie war nur von organisierten Fermenten
im allgemeinen die Rede; man studierte den Verlauf und die Produkte
der Gährung und Fäulnis unter wechselnden Verhältnissen, ohne dass
man die Art der vorhandenen Gährungserreger näher berücksichtigte
und ohne dass man sich darüber orientierte, ob eine bestimmte Gattung
allein oder aber ein Gemenge verschiedener Pilze an der Zersetzung
des gährungsfähigen Materials beteiligt war. Und doch war eine
solche strenge Sonderung durchaus notwendig, wenn die Lebens-
bedingungen der Organismen und die Beziehungen ihres Lebens und
Stoffwechsels zu den Gährungserscheinungen genauer erkannt werden
sollten. — Auch in dieser Richtimg waren Pasteue/s Arbeiten (A. eh.
ph. (3.) 52. — C. R. 52) die eigentlich grundlegenden. Er unterschied
zuerst mit aller Schärfe einen bestimmten Organismus, welcher Milch-
säuregährung veranlasst, einen anderen, welcher Buttersäure liefert
u. s. w., und betonte die Notwendigkeit weiterer Differenzierung. Da-
durch erst gelangte man zur Einsicht in die Vorteile des Experirnen-
tierens mit reingezüchteten Gährungserregern und mit Hilfe der so
erhaltenen Resultate zu einer genaueren Kenntnis der Gährprodukte
und der Gleichung, nach welcher bei der einzelnen Gährung das Mate-
rial gespalten wird. Diese Fragen bilden dann bis in die Gegenwart
hinein den Gegenstand lebhaftester Diskussion und Arbeit, und es
scheint, als ob wir mit den neuesten wesentlichen Vervollkommnungen
der Methoden zur Reinkultur der Mikroorganismen in der That zu
einem präzisen Ausdruck für die verschiedenen Gährungsvorgänge ge-
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 15
langen werden, wie ihn Pasteur und zahlreiche andere Anhänger der
Keimtheorie seit lange erstrebt haben.
Einwände gegen die Grundlagen der Keimtheorie.
In Vorstehendem ist die vitalistische Lehre in einem abgerundeten
Zusammenhang dargestellt, der eine gleichmässige, von fundamentalen
Einwänden und Angriffen kaum berührte Entwicklung vermuten lässt.
Eine solche hat aber thatsächlich keineswegs stattgefunden; vielmehr
traten schon früh Gegner der neuen Lehre auf, welche mit vielem
Scharfsinn alle schwachen Punkte derselben blossstellten und durch
zahlreiche Experimente die einzelnen von Pasteur und seinen An-
hängern aufgestellten Sätze zu widerlegen suchten.
Diese Einwände waren im wesentlichen folgende:
1. In zahlreichen Versuchen sahen verschiedene Beobachter Gährung
und Fäulnis auftreten, selbst wenn das Eindringen von Mikroorganismen
völlig gehindert war. Im Innern von Leichen, im Inhalt ausgebrüteter,
aber unverletzter Hühnereier, in abgestorbenen Leibesfrüchten der
Menschen und Tiere fand man oft intensive Fäulniserscheinungen;
unter ähnlichen Umständen wurde mehrfach Milchsäure-, Essigsäure-
und Buttersäuregährung beobachtet (Colin1), Billroth2), Hiller3).
Zahlreiche Versuche wurden ferner von Hoppe-Seyler4), Billroth5),
Tiegel6), Servel7), Paschutin8), Sanderson9), Nencki10) u. A. aus-
geführt, bei denen fäulnisfähige Substanzen längere Zeit unter solchen
Cautelen aufbewahrt wurden, dass ein Zutreten von Organismen vor-
aussichtlich nicht stattfinden konnte. In vielen Fällen wurde dann trotz-
dem Fäulnis beobachtet. Ebenso bemerkte man bei unter Cautelen
aufbewahrtem Harn nach einiger Zeit alkalische Reaktion und Beginn
der Fäulnis (Colin, Billroth, Hiller u. A.). Ferner wurde Tö-
tung der Mikroorganismen durch Hitzeeinwirkung (Bastian, C. W. 76.
521; C. R. 83; On fermentation and the appearence ofBacilli, Micro-
coces andTorulor in brited fluids. London 1877). — Huizinga, Pf. 1873.
1874. 1875 u. A.) oder durch massigen Carbolzusatz (z. B. Harn 0,5 %,
Hoppe-Seyler) versucht; trotzdem trat zuweilen Fäulnis ein; endlich
wurde eine Entfernung der Organismen aus faulenden oder gährenden
Flüssigkeiten durch Filtration ausgeführt; auch hier trat in mehreren
Fällen Fäulnis oder Gährung der filtrierten, organismenfreien Flüssig-
keit auf (Helmholtz 1843: A. f. Ph. 43; Fleck, Ber. der ehem. Cen-
tralstat. Dresden. 1876 u. A.).
1) A. eh. ph. 28. 128; 30. 42. 2) 1. c. 3) Die Lehre von der Fäulnis. Berlin 1879.
4) Medicin.-chem. Unters. 1871. H. 4. 5) 1. c. 6) V. 60. 453. 7) C. E. 79. 1270.
8) V. 59. 490. 9) 1. c. 10) J. pr. Ch. N. F. Bd. 19 u. 20.
16 Gotschlich, Einleitung.
In allen diesen Fällen fanden die Beobachter in den gefaulten
Flüssigkeiten, wenn sie schliesslich zur Untersuchung gelangten, entweder
keine Spur von Organismen, und dann konnte die Gährung offenbar
nur unter dem Einfluss chemischer Fermente eingetreten sein, deren
Existenz und Wirksamkeit die Rolle der Mikroorganismen zu einer
völlig nebensächlichen degradierte. Oder es fanden sich trotz allen
Schutzes gegen aussen Organismen in den gefaulten Substraten, und
dann erblickten die Anhänger der Urzeugung hierin einen neuen Be-
weis für die Richtigkeit ihrer Lehre. Noch in neuester Zeit sind be-
kanntlich Bechamp1) und Wigand2) mit grösster Energie und auf viele
Versuche gestützt für die Urzeugung kleinster Organismen aus ab-
sterbendem Zellprotoplasma höher organisierter Wesen aufgetreten. Sie
sahen aus kleinsten Formbestandteilen tierischer und pflanzlicher
Zellen nach deren Tode und bei angeblich völliger Fernhaltung aller
äusseren Keime selbständig lebende, sich bewegende und vermehrende
Mikroorganismen hervorgehen und unter deren Einfluss demnächst
Fäulnis und Gährung eintreten.
Trotz der grossen Zahl der Beobachter und Versuche ist jedoch
durch diese abweichenden Versuchsresultate die Keimtheorie in keiner
Weise erschüttert. Es kann nicht genug Gewicht auf den oben schon
gegebenen Hinweis gelegt werden, dass bei diesen Beobachtungen und
Versuchen das der vitalistischen Theorie ungünstige Resultat immer
zusammenfällt mit etwaigen Fehlern der Versuchsanordnung oder mit
Ungenauigkeiten der Beobachtung. Angesichts der enormen Ver-
breitung der Mikroorganismen und ihrer relativ bedeutenden Resistenz
gegen schädliche Agentien ist es nicht leicht, tadellose Versuchsanord-
nungen zu treffen , durch die ein Hineingelangen von Organismen in
zersetzungsfähige Substanzen sicher vermieden wird. Erst neuerdings
sind die Hitzegrade genauer betimmt, durch welche Mikroorganismen
in allen Fällen getötet werden, und man kann jetzt mit voller Be-
stimmtheit behaupten, dass frühere Beobachter schon dadurch Fehler-
quellen einführten, dass sie die benutzten Gefässe und Utensilien nicht
bei genügend hoher Temperatur von den etwa anhaftenden Keimen
befreiten. — Ganz besonders schwierig sind selbstverständlich diejenigen
Versuchsreihen, bei welchen jedes Erhitzen und überhaupt jede Alte-
ration des gährfähigen Materials vermieden wurde, um nicht etwa die
Urzeugung oder die Kraftentfaltung chemischer Fermente zu stören.
Erst grosse Übung nach einer langen Reihe von Fehlversuchen pflegt
erfahrungsgemäss dahin zu führen, dass eine solche Versuchsreihe mit
1) Les Microzyrnes dans leurs rapports avec l'heterogenie etc. Paris 18S3.
2) Entstehung u. Fermentwirkung d. Bakt. Marburg 1884.
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. \~[
gleichmässigem Resultat durchgeführt wird. Begnügt man sich mit
einer kleineren Anzahl von Versuchen und beherrscht man die Methode
nicht vollkommen, so werden zweifellos alle oder die meisten Präparate
Organismen enthalten und Fäulnis oder Gährung zeigen; sieht man
nun über die Fehlerquellen leicht hinweg, glaubt man in jedem Fall
den Abschluss nach aussen in genügender Weise hergestellt zu haben,
so ist wiederum mit jedem fehlerhaften Versuch für die Abiogenesis
oder für die Annahme einer Fäulnis ohne Organismen Beweismaterial
gewonnen. Es ist klar, dass auf derartige Resultate nur dann etwas
zu geben ist, wenn dieselben in allen den Fällen, wo die nötige
Übung des Experimentators in mykologischen Versuchen vorausgesetzt
werden darf, eindeutig ausfallen. Nun ist aber im Gegenteil bekannt,
dass mehrere Forscher, so in der Neuzeit Maechand, Meissner u. A.,
eine grosse Reihe von die Keimtheorie stützenden Resultaten erhalten
haben; Substanzen zersetzlichster Art sind einfach durch konsequenten
Abschluss gegen Organismen jahrelang unzersetzt konserviert, und
zwar ist in diesen Versuchen eine Steigerung des Prozentsatzes von
gelungenen Experimenten mit der fortschreitenden Übung des Experimen-
tators deutlich bemerkbar.
Durch die genauere Erkenntnis der Lebens- und Absterbe-
bedingungen der niederen Pilze ist es gegenwärtig leicht, dieselben
Versuche mit den gleichen Resultaten beliebig zu wiederholen, und
nur derjenige, der noch in völlig falschen Vorstellungen über die
biologischen Eigentümlichkeiten der Mikroorganismen weiterlebt und
mit der neueren experimentellen Technik nicht vertraut ist, kann heute
noch zu Resultaten gelangen, die Beweise für die Urzeugung liefern.
Mit völliger Nichtachtung unserer bisherigen Erfahrungen sind na-
mentlich die Versuche Wigand's ausgeführt, der von der Ansicht
ausgeht, dass die Verbreitung der Mikroorganismen und die Gefahr
eines Eindringens derselben von aussen gar nicht besonders gross sei.
Dabei erachtet es Wigand aber nicht für nötig, diese Voraus-
setzung in derselben exakten Weise, wie es von Anderen geschehen
ist, zu prüfen.
Auch das auffällige Resultat, zu welchem viele der oben genannten
Beobachter bei ihren Gährungsversuchen gelangten, dass trotz statt-
gehabter Fäulnis oder Gährung keine Mikroorganismen in den be-
treffenden Flüssigkeiten gefunden wurden, beruht, wie wir heute mit
Sicherheit behaupten können, auf einem Irrtum. Es ist unter Um-
ständen eine schwierige Aufgabe, in einer eiweisshaltigen, längere Zeit
gefaulten Flüssigkeit die — vielleicht degenerierten und veränderten —
Mikroorganismen zu erkennen, und es erscheint jedenfalls als un erläss-
lich, dabei stets die besonderen, in der Neuzeit ausgebildeten Methoden,
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 2
lg Gotschlich, Einleitung.
wie Trocknen, Färben n. s. w. anzuwenden; in früherer Zeit hat man
diese Methode nicht gekannt und hat dann in der That oft keine Mikro-
organismen gefunden. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass wirklich
keine Organismen und zu keiner Zeit des Versuchs vorhanden waren;
denn dieselben sind bei neueren darauf gerichteten Versuchen über-
haupt niemals vermisst, sobald man nur darauf Rücksicht genommen
hat, die Flüssigkeit in einem nicht zu späten Stadium der Fäulnis zur
Untersuchung zu ziehen.
2. Im Gegensatz zu den Versuchen, in welchen Fäulnis ohne
Mikroorganismen gefunden wurde, beobachtete man andererseits, dass
in zersetzungsfähigen Substraten sich zahlreiche Mikroorganismen an-
siedeln können, ohne dass Zersetzungen, Gährung und Fäulnis die Folge
sind. Solche Befunde hatte z. B. Hiller bei seinen Versuchen mit
Harn zu verzeichnen; ferner wurden in Organen, die man dem frisch
getöteten tierischen Körper entnommen hatte, von einzelnen Beobachtern
lebende Mikroorganismen konstatiert, deren Anwesenheit demnach mut-
masslich von keinerlei alterierender Wirkung begleitet gewesen war.
Auch diese Einwände und Versuche haben indess nur noch histo-
rische Bedeutung. Dieselben datieren aus einer Epoche, in welcher
man von den verschiedenen spezifischen Arten von Mikroorganismen
und von ihren sehr verschiedenen Lebensbedingungen und Wirkungen
wenig oder nichts wusste. Es gilt jetzt als selbstverständlich, dass
nicht jeder Organismus in jedem Nährsubstrat die Möglichkeit zu leb-
hafter Entwicklung findet, und ferner, dass die Entwicklung bestimmter
Organismen nicht notwendig mit Entbindung stinkender Gase, kurz den
gewöhnlichen Fäulnissymptomen einhergehen muss. Ein Befund von
Organismen ohne begleitende Fäulnis- oder Gährungserscheinungen hat da-
her nichts Befremdendes und beweist nichts gegen die vitalistische Theorie.
3. Bei verschiedenen Versuchsreihen war beobachtet, dass Eiweiss-
lösungen nur langsam oder gar nicht durch eingesäte Mikroorganismen
zersetzt werden, dass letztere vielmehr wie die höheren Pflanzen ihr
Protoplasma aus einfachsten organischen Verbindungen aufbauen und
daher im lebenden tierischen Gewebe und z. B. bei Kulturversuchen
in Hühnereiern nur schlecht wachsen und sich vermehren. Man schloss
daraus, dass sie unmöglich bei der intensiven Zerlegung der Eiweiss-
stoffe, wie sie die Fäulnis charakterisiert, irgendwie wesentlich beteiligt
sein könnten (Billroth, Hiller, Hoppe-Setler, Paschftin u. A.).
Auch diese Beobachtungen vermochten nur damals befremdend zu
wirken, als man die bedeutenden biologischen Differenzen unter den
verschiedenen Pilzspezies noch nicht kennen und beachten gelernt hatte.
Neuerdings wissen wir mit vollster Gewissheit, dass viele Mikroorganismen
eine tiefgehende Spaltung des Eiweissmoleküls bewirken und damit
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 19
den Fäulnisprozess inszenieren, class andererseits eine grosse Reihe von
niederen Pilzen eine derartige Fähigkeit nicht besitzen, dass aber des-
halb aus Versuchen mit einigen beliebigen Mikroorganismen keineswegs
die Entbehrlichkeit dieser für die Eiweisszersetzung durch Fäulnis ab-
geleitet werden darf.
4. Schwerer wiegende Einwände, die sich bis in die neueste Zeit
fortgespielt haben, gingen endlich von solchen Forschern aus, welche
eine mehr chemische Erklärung des Gährungsvorganges suchten und
in der vitalistischen Theorie nicht eine Aufhellung, sondern vielmehr
eine Verdunkelung des zu enträtselnden Vorgangs sahen. Namentlich
beteiligten sich Liebig, später Hoppe-Seylee an dieser Opposition;
ihnen schlössen sich Colin, Billeoth, Hillee, Fleck u. A. an.
Liebig- hatte schon früh — im Jahre 1839 — Gährung und Fäulnis
dadurch zu erklären versucht, dass in der Hefe lösliche Prote'insub-
stanzen existieren sollten, welche durch ihren Zerfall die Zersetzung
des Zuckers anregen, gerade so wie überhaupt zahlreiche bekannte
chemische Körper, die im Zustand der Verbindung und Zersetzung
begriffen sind, in anderen Körpern denselben Bewegungszustand der
Atome zu erregen vermögen. Dieser Zerfall der löslichen Protei'nsub-
stanz ist dann selbstverständlich kein Lebensakt der Hefezelle, sondern
vielmehr ein korrelatives Phänomen des Todes. Es ist eine bei vielen
derartigen chemischen Aktionen zu beobachtende Eigentümlichkeit, dass
relativ geringe Mengen des einen zerfallenden Körpers grosse Mengen
des anderen Körpers zerlegen können, so z. B. führte Liebig die Zer-
legung von Oxalsäure, Oxamid und Wasser an, bei der eine kleine
Menge Oxalsäure für grosse Mengen Oxamid ausreicht; ferner wies er
auf den ähnlichen Verlauf der Umsetzung hin, die bei der Zersetzung
des Cyans durch Aldehyd bei Gegenwart von Wasser stattfindet. —
Auch der Unterschied der Alkoholgährung und des Fäulnisprozesses
lässt sich leicht auf diese LiEBiG'sche Auffassung begründen: bei der
Fäulnis wird die Zerlegung durch das sich zersetzende, aus Albuminaten
bestehende Fäulnismaterial selbst übertragen, so dass die begonnene
Fäulnis durch eigene Bewegung fortdauert, auch nachdem die erste,
den Anstoss gebende Ursache unwirksam geworden ist; bei der Gährung
dagegen vermag der Zucker (die hier in Zersetzung begriffene Substanz)
seine Bewegung nicht zu übertragen und demgemäss ist eine fremde
Ursache, ein Ferment, nicht nur zur Einleitung, sondern auch zur Unter-
haltung der Bewegung notwendig.
Offenbar war indess diese LiEBiG'sche Auffassung rein hypothe-
tischer Natur; die zerfallende Proteinverbindung, welche die Ursache
der Gährung sein sollte, war keineswegs als wirklich vorhanden erwiesen;
als einzige experimentelle Stütze dieser Annahme fangierte der Nach-
20 Gotschlich, Einleitung.
weis, dass bei der sogenannten Selbstvergährung der Hefe, die ohne
jedes Zuthun von Zucker lediglich auf Kosten der Hefesubstanz verläuft,
weit mehr Alkohol gebildet wird, als dem Cellulosegehalt der Hefe-
, zellen entspricht, und dass somit eine andere in den Zellen enthaltene
kompliziertere Verbindung das Material für die Alkoholbildung liefern
muss. Auch dieser analytische Beleg wurde später von Nägeli als irrig
erwiesen (Theorie der Gährung. S. 3 ff.); aber bereits viel früher wurde
Liebig durch die zahlreichen Experimente, welche die direkte Ab-
hängigkeit des Gährungsprozesses von dem Leben der Hefezellen
unwiderleglich erwiesen, zu einer bedeutenden Modifikation seiner
Theorie veranlasst.
Er sprach sich 1870 *) dahin aus, dass die lebende Hefezelle die
schon früher von ihm angenommene fermentartige Substanz enthalte
und produziere, und dass deshalb die Bildung des Ferments mit dem
Leben der Zelle einhergehe. Der Gährungsakt selbst beruhe aber somit
auf einem nicht organisierten Ferment, und die Hefezelle leiste mit
der Produktion des Ferments nichts anderes, als was zahlreiche andere
Zellen ebenfalls leisten; sowie der Mensch diastatisches Ferment, Pepsin,
Trypsin produziert, haben alle anderen Pflanzen und Tiere ihre Fer-
mente; aber die Organismen sind darum nicht identisch mit diesen
Fermenten und die Fermentwirkung ist nicht als direkte Arbeits-
leistung der Zellen aufzufassen. Gelingt es, die Fermente von den
Zellen abzutrennen, so sind dann diese letzteren zur Einleitung und
Unterhaltung der Gährungsprozesse überhaupt nicht mehr nötig. In
ähnlicher Form war diese Lehre schon 1858 von Traube2) ausgesprochen
und später (1876) wurde sie namentlich von Hoppe-Seylee verteidigt.
Dieselbe beruhte also zum Teil auf der Analogie der Gährungs- und
Fäulnisprozesse mit den Spaltungen und Zersetzungen nicht organisierter
Fermente. Die Mikroorganismen sollten nicht die primäre, unmittelbare
Ursache der durch Gährung und Fäulnis bedingten Zersetzungen or-
ganischer Substanz sein, sondern man nahm an, dass zunächst eine
Umwandlung der zersetzlichen Stoffe einzutreten pflege durch in den
Substanzen selbst enthaltene Ursachen — durch lösliche chemische
Fermente, und dass erst dann, wenn die Substanz bis zu einem gewissen
Grade verändert ist, eine Vermehrung derjenigen Organismen stattfinde,
welche bei der weiten Verbreitung ihrer Keime selbstverständlich stets
in die Substanzen hineingeraten sein werden; die Art und Beschaffen-
heit des zersetzlichen Substrats und namentlich der ersten in deni-
1) Liebig, Über Gährung, Quelle der Muskelkraft u. Ernährung. Leipzig u.
Heidelberg 1870.
2) Pogg. 103. 331. — Theorie der Fermentwirkungen. Berlin 1S58.
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 21
selben auftretenden Veränderungen bedingt dabei die besondere Art
von Organismen, welche vorzugsweise zur Entwicklung kommt und
gedeiht. Von da ab wirken dann gewöhnlich auch diese angesiedelten
Organismen bei der Zersetzung der Substanz mit, aber sie sind auch
für die weitere Zerlegung nicht unbedingt notwendig und die Zer-
setzung geht keineswegs ihrer Entwicklung parallel.
Den nicht organisierten löslichen Fermenten wird demnach bei dieser
Auffassung die weitaus wesentlichste Rolle zugeschrieben. Solcher
Fermente hat man in letzter Zeit eine immer grössere Zahl kennen ge-
lernt, und mit dieser Kenntnis schien die Wahrscheinlichkeit ihrer ein-
greifenderen Wirksamkeit auch bei den gewöhnlichen Gährungs- und
Fäulnisprozessen zu wachsen. Die Wirkung der Diastase, des Emulsins,
des Myrosins, des invertierenden Ferments der Hefe, die Ptyalin- und
Pepsinwirkung, die energische zersetzende Thätigkeit des Pankreas und
des aus diesem isolierten Trypsins boten die wichtigsten Analogien und
die Stütze der „chemischen" Gährungstheorie. —
Thatsächlich haben nun aber die Anhänger der Keimtheorie den
Einfmss und die Wirkung chemischer Fermente niemals bestritten.
Nur führt eine genauere Analyse der Spaltungen durch chemische Fer-
mente einerseits und der materiellen Umwandlungen durch Gährung
und Fäulnis andererseits notwendig zu der Überzeugung, dass es durch-
aus unstatthaft ist, diese beiden Vorgänge als hinreichend analog und
ähnlich zu bezeichnen, um für beide die gleiche, einheitliche Ursache
zu folgern. Die chemischen Fermente bewirken nichts anderes als
hydrolytische Spaltungen; sie lassen sich in ihrem Effekt durch sogen.
Kontaktsubstanzen, ferner durch verdünnte Schwefelsäure und ver-
schiedene andere Agentien ersetzen; dabei bleibt die Masse des chemischen
Ferments während der Fermentwirkung die gleiche oder sie vermindert
sich; das Temperaturoptimum für ihre Aktion liegt bei ca. 60 °, durch
die excpiisit physiologischen Gifte werden sie nicht alteriert. Bei der
Gährung und Fäulnis handelt es sich dagegen stets um eine komplizierte
Änderung der Atomgruppierung, um eine Abspaltung von Kohlensäure
und oft noch anderer Atomgruppen; die Masse der ursächlichen Ferment-
organismen vermehrt sich proportional der Gährintensität; ihre Thätig-
keit geht bei 25 — 40 ° am besten vor sich und wird durch den Einfmss
der physiologischen Gifte sistiert. — So scheiden sich Wesen und
Leistungen der isolierbaren Fermente und der Gährorganismen scharf
von einander, und nur insofern besteht eine Beziehung zwischen beiden,
als bei den komplizierteren Gährungsprozessen und namentlich bei der
Fäulnis oft beide Agentien wirksam sind, so zwar, dass chemische
Fermente, welche teilweise von den Mikroorganismen produziert sind,
die Lösung; des Gährmaterials einleiten und so den Boden bereiten für
22 Gotschlich, Einleitung.
die folgende tiefgreifende Spaltung unter dem Einfluss der spezifischen
organisierten Fermente.
Wollte man aber schliesslich auch mit Liebig annehmen, dass in
letzter Instanz doch auch die Atomunilagerung bei der Gährung und
Fäulnis durch das Eingreifen eines fermentähnlichen Atomkomplexes
zustande komme, der freilich nur von lebenden Mikroorganismen
produziert werden könne und an das Leben der Zelle geradezu gebunden
sei, so erscheint diese Auffassung im Grunde nicht mehr als ein Ein-
wand gegen die vitalistische Lehre, sondern als deren Anerkennung; in
der unmittelbaren Abhängigkeit des Gährungsprozesses von dem Leben
der Hefezelle stimmt diese Lehre vollständig mit der vitalistischen
Theorie überein, sie sucht nur die Art und Weise näher zu definieren,
durch welche die lebende Zelle die Spaltung der vergährenden oder
faulenden Substanz bewirkt. Sie geht aber in ihrer Annahme eines
solchen Ferments nicht über das Niveau der Spekulation hinaus, wie
schon daraus hervorgeht, dass bisher von einer Isolierung und Ab-
trennung des vermuteten Ferments aus der Hefezelle noch nicht die Rede
sein konnte und dass dies Misslingen dadurch entschuldigt wird, dass
eben das Ferment mit dem Tode oder sogar schon mit der Störung
des Lebens der Hefezelle sofort vernichtet werde. —
Als Ergebnis der vorstehenden Betrachtung über die historische
Entwicklung der Lehre von der Gährung und Fäulnis ist somit die
vollkommene Sicherstellung der Thatsache zu bezeichnen, dass kleinste
lebende Organismen die direkte Ursache der gewöhnlich unter dem
Namen Gährung und Fäulnis zusamengefasste,n Zersetzungsvorgänge
im unmittelbarsten Abhängigkeitsverhältnis stehen zu den Lebens-
äusserungen jener Organismen.
II. Mikroorganismen als parasitäre Krankheitserreger.
Schon in der frühesten Epoche der wissenschaftlichen Beobachung
und Erforschung der Mikroorganismen taucht der Glaube auf, dass
dieselben die ursächliche Rolle bei der Entstehung der Infektionskrank-
heiten spielen. Diese Lehre vom Contagium animatum findet sich
mit aller Deutlichkeit schon bei Athanasius Kircher ausgesprochen,
der durch seine Funde mikroskopisch kleiner Würmchen dazu geleitet
wurde, eine ätiologische Bedeutung derselben bei der damals herr-
schenden Bubonenpest anzunehmen. Bald darauf gaben Lange und
Hauptmann (in der Vorrede zu Kircher' s Scrutinium physico-medicum
contagiosae luis etc.) der Ansicht Ausdruk, dass die epidemische Purpura
der Wöchnerinnen von einer durch Würnichen veranlassten Fäulnis zurück-
gehaltener Lochien herrühre; auch nahmen sie für viele andere Krank-
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 23
heiten, wie Masern, Pocken, Petechialfieber, Pleuritiden, Epilepsie, Gicht,
ein belebtes Kontagium als Ursache an. Später wurde insbesondere für die
Syphilis, so von ÄNDRY^undLiNNE2), ferner für Malaria von Lancisi3)
eine mikroparasitäre Ätiologie angenommen. Mit besonderer Schärfe be-
tonte Plenciz4) im Jahre 1762 die ätiologische Bedeutung der Mikroorga-
nismen für die Infektionskrankheiten und erkannte sogar bereits die Not-
wendigkeit, für verschiedene Infektionskrankheiten spezifische In-
fektionserreger anzunehen. In der That lag ja ein Zurückführen
der charakteristischen Erscheinungen im Auftreten der Infektionskrank-
heiten auf solche Organismen und eine gewisse Parallele dieser Krank-
heiten mit den ebenfalls auf Organismen zurückgeführten Gährungs-
und Fäulnisprozessen ausserordentlich nahe. Das plötzliche Auftreten
der Seuchen an verschiedenen, isolierten Orten, ihre relativ langsame
Verbreitung und ihr oft zähes Haften innerhalb einer Lokalität musste
den Gedanken an ein flüchtiges, gasförmiges Agens ausschliessen. Die
Art der Übertragung, die unbegrenzte Fortentwicklung des Infektions-
stoffs durch eine grosse Reihe von Individuen hindurch, die teilweise
Verschleppbarkeit des Infektionsstoffes auf weite Strecken, sein Haften
an den heterogensten Objekten, ferner das Latenzstadium, der typische,
cyklische Verlauf der Krankheit, die nachfolgende Immunität — wiesen
mehr oder minder deutlich auf organisierte Krankheitserreger hin und
fanden ihre Erklärung in dem Entwicklungsgange solcher vermuteter
kleinster Lebewesen. Wie gern dabei eine Anlehnung an die Er-
scheinungen bei der Gährung und Fäulnis versucht wurde, geht schon
daraus hervor, dass die ganze Klasse der Infektionskrankheiten von
einigen Pathologen als „zyanotische Krankheiten" bezeichnet, wurde.
Freilich beruhten diese Anschauungen, die seit über 40 Jahren
fortwährend an Terrain gewinnen, anfangs nicht auf klarer Erkenntnis
und entbehrten der experimentellen Begründung. Sie hatten nur
Spekulationen als Grundlage — aber diese Spekulationen wurden mit
solchem Scharfsinn und solcher Logik angestellt, dass sie fast zu den-
selben Resultaten gelangten, die 40 Jahre später durch umfangreiche
experimentelle Forschungen festgestellt wurden. Namentlich war es
Henle, der bereits im Jahre 1840 in seinen „pathologischen Unter-
suchungen" und dann später 1853 in seinem „Handbuch der rationellen
1) Andry, De la generation des vers dans le corps de l'homme. Amsterdam 1701.
2) Linne, Vollständiges Natursystem etc. ausgefertigt von PIi.L.Statitjs Müller.
3) Lancisi, Op. omnia colleg. P. Assaltxjs 2tom. Genev. 1718. Tractatusde
noxiis paladum effluviis lib. I. pars I. cap. XVIII.
4) Marc-Anton. Plenciz, Op. niedico-physica in 4 tractatus digesta Vin-
dobon. 1762.
24 Gotschlich, Einleitung.
Pathologie" mit bewundernswerter Präzision das Verhältnis der Mikro-
organismen zu den Infektionskrankheiten skizzierte und die nähere Quali-
tät, die Lebenseigenschaften und Wirkungen der Organismen, sowie
die Abhängigkeit der einzelnen Phasen und Symptome der betreffenden
Krankheiten von dem Verhalten der Organismen fast genau so definierte,
wie dies nachträglich auf Grund direkter Beobachtungen mit damals
noch nicht gekannten optischen Hilfsmitteln und auf Grund zahlreicher
Experimente geschah.
Thatsächliche Unterlagen für die Lehre von der Krankheitserzeu-
gung durch Mikroorganismen wurden zunächst durch die Beobachtung
einer Reihe von Pflanzen- und Insektenkrankheiten gewonnen. Schon
1837 stellte Bassi1) als Ursache der Muskardine, einer tötlichen Krank-
heit der Seidenraupen, einen Pilz fest; andere Insektenkrankheiten
wurden bald auf ähnliche Pilze mit aller Sicherheit zurückgeführt;
ebenso wurden von Tulasne (Ann. d. sc. natur. Bd. 7 u. 20), de Baey
(Monatsber. d. Kgl. Akad. d. Wiss. Berlin 1864 — 66) und Kühn2) eine
Reihe von verheerenden Krankheiten der Getreidearten, der Kartoffel u.s.w.
durch das Eindringen und den Parasitismus von Pilzen erklärt. — Auch
bei höheren Tieren und beim Menschen glückte bald der positive Nach-
weis kleinster pflanzlicher Gebilde als Ursache gewisser Krankheiten.
Abgesehen von zahlreichen Pilzfunden, die nicht sicher als Ursache
der begleitenden Krankheiten konstatiert werden konnten, Hessen sich
Favus, Soor und verschiedene Hautaffektionen auf den Einfluss para-
sitärer mikroskopischer Pilze zurückführen. Von ganz besonderer Be-
deutung war aber die Entdeckung, class die Milzbrandkrankheit
charakterisiert ist durch das Auftreten kleinster stäbchenförmiger Orga-
nismen im Blut und dass sich diese Organismen experimentell als die
Erreger des Milzbrandes erweisen lassen (Pollender 1855: Viertel-
jahrsschr. f. gerichtl. Med. Bd. 8; Davaine 1863: C. R. 57).
Einerseits das immer häufigere Auftreten schwerer Seuchen, die
den Wunsch nach Lösung der ätiologischen Fragen dringender werden
Hessen, andererseits das Zusammenwirken der überzeugenden Deduk-
tionen Henle's, der zahlreichen Analogien bei Pflanzen- und Tier-
krankheiten und der Auffindung des Milzbrandkontagiums — ver-
anlassten nun zunächst eine Periode der Forschung, welche sich durch
einen gewissen Übereifer charakterisirt und mangelhaft bewiesene Ent-
deckungen in grosser Zahl zeitigt, durch welche der parasitären Lehre
wirklicher Nutzen nicht gebracht wurde.
1 ) Bassi, Del mal clel segno, calcinaccio o moscardino. Milano 1837 (cit. nach
Löffler 1. c.)
2) Kühn, Die Krankheiten der Kulturgewächse. Berlin 1S58.
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 25
Namentlich war es Halliee x), der als zu begeisterter Apostel der
parasitären Theorie auftrat. Auf Grund zahlreicher Versuche behauptete
er, dass die verschiedenen Mikroorganismen nur besondere, durch die
äusseren Lebensbedingungen entstandene Vegetationsformen bekannter
Schimmelpilze seien, dass diese Vegetationsformen allerlei Krankheiten
erzeugen, dass man aber aus ihnen unter geeigneten Bedingungen stets
wieder den zugehörigen Schimmelpilz züchten und auf diese Weise die
eigentliche Ursache der Krankheit darlegen könne. Durch Unter-
suchung und Kultur der verschiedensten krankhaften Organe und Ex-
krete erhielt Halliee, eine Reihe verschiedener Pilze, die er als Ursachen
der Krankheiten proklamirte, und in kurzer Zeit waren Scharlach,
Masern ebensowohl wie Cholera, Typhus und alle sonst interessierenden
Krankheiten auf ihre vermeintliche Ursache zurückgeführt.
Der Rückschlag auf diese Periode der phantastischen Übertreibungen
war unausbleiblich. Pilzkenner wie de Baet (Virchow-Hirsch's, Jahres-
bericht. Bd. 2. 1. Abt. 240) zeigten, dass die ÜALLiEEschen Unter-
suchungen ganz wertlos seien, weil sie mit völlig ungenügenden Vor-
sichtsmassregeln gegen das Eindringen beliebiger fremder Pilze angestellt
wurden. Die Einwände de Baey's konnten nicht widerlegt werden,
das Gebäude der HALLiEEschen parasitären Krankheiten stürzte zu-
sammen und damit war zugleich der ganzen parasitären Lehre ein
empfindlicher Stoss versetzt.
Weitere positive Parasitenfunde jedoch, die in den nächsten Jahren
von zahlreichen Forschern gemacht wurden, waren geeignet, das ver-
lorene Vertrauen wieder herzustellen. Dieselben betrafen zunächst und
vorzugsweise die Wundinfektionskrankheiten; Rindfleisch2), Waldeyee
(V. 40) und v. Recklinghausen (Verhdlg. d. Würzb. phys.-med. Ges.
1871) waren die Ersten, welche die Aufmerksamkeit auf die bei pyämi-
schen Prozessen vorkommenden kleinsten Organismen lenkten ; weitere
derartige Beobachtungen wurden bei Erysipel, bei der Phlegmone, bei
Diphtheritis, beim Puerperalfieber gemacht (Htjetee, Oeth, Oeetel U.A.).
Durch zahlreichste Experimente am Tier wurde die pathogene Natur
der gefundenen Mikroorganismen bestätigt (Coze und Feltz, Davaine,
Huetee, Ebeeth, Lebee, Feisch, Klebs u. A.)3).
Von bedeutendstem Einfmss auf die Anerkennung der parasitären
Theorie waren ferner die eklatanten Resultate der LiSTEE'schen anti-
septischen Wundbehandlung, hervorgegangen aus der bestimmten Ten-
1) Hallier, Die pflanzlichen Parasiten. Leipzig 1866. — Parasitolog. Unter-
suchungen. Ebd. 1868. — Phytopathologie. Ebd. 1868.
2) Rindfleisch, Lehrb. d. patholog. Gewebelehre. 1866. S. 204.
3) Die Litteraturangaben s. in den betr. speziellen Abschnitten des Textes!
26 Gotschlich, Einleitung.
denz, die Wirkung der infektiösen Organismen zu verhindern oder zu
hemmen und eben durch diese Berücksichtigung der organisierten Krank-
heitserreger von überraschenden Erfolgen begleitet, trug sie die Kenntnis
und Würdigung der Mikroparasiten in die weitesten Kreise und von
Jahr zu Jahr minderte sich die Zahl der Skeptiker und Gegner. —
Freilich bedingte es die Schwierigkeit des Untersuchungsobjekts, welche
nur sehr langsamen, dem lebhaften Streben nach rascher Aufklärung wenig
genügenden Fortschritt ermöglichte, dass in der Folge noch oft die
Grenzen der exakten Forschung überschritten und zu weitgehende
Spekulationen mit den Versuchsresultaten verknüpft wurden; es war
natürlich und verzeihlich, dass zuweilen aus dem einfachen Vorkommen
von Mikroorganismen in Leichenteilen oder in pathologischen Sekreten
Schlüsse auf den Ursprung der Krankheiten gezogen, und dass somit
zuweilen fälschlich oder voreilig Organismen als Krankheitserreger prokla-
mirt wurden. Aber im Gegensatz dazu erkannten viele Forscher, dass
vor allem erst durch ein detaillirtes Studium der verschiedenen zur
Beobachtung gelangenden Mikroorganismenformen, durch das Erforschen
ihrer Lebensbedingungen und Lebensäusserungen, durch Ausbildung
der Methoden zu ihrer mikroskopischen Beobachtung und durch fehler-
freies Experimentieren am Tier die Unterlagen gewonnen werden müssen,
auf denen eine genauere und sichere Einsicht in die Rolle der para-
sitären Krankheitserreger erwachsen kann. Und auf der Grundlage
dieser Erkenntnis erstanden die neueren mykologischen Untersuchungs-
weisen; Pasteur's undCoHN's systematische Züchtungen, Koch s Metho-
den zur mikroskopischen Untersuchung und zur Reinkultur der Pilze,
Weigert 's und Ehrlich's verdienstliche Forschungen über die An-
wendung von Färbemitteln für die Mikroorganismen, Beefeld's Bei-
träge zum methodischen Studium niederer Pilze, Nägeli's Arbeiten
über die Lebensbedingungen und den Stoffwechsel der Mikroorganismen
mussten voraufgehen, ehe es gelingen konnte, zu exakten, eindeutigen
Resultaten zu gelangen.
Die Einwände, welche gegen die parasitäre Theorie erhoben sind,
stammen fast durchweg aus früherer Zeit und werden neuerdings kaum
mehr gehört. Abgesehen von den Ansichten einiger hartnäckiger Gegner,
die nur den abweichenden Resultaten ihrer eigenen Experimente glauben,
betreffen die gegen die neueren Arbeiten auf dem Gebiete der Parasitenlehre
erhobenen Bedenken lediglich einzelne Fälle und spezielle Krankheiten.
Lange Zeit hat man namentlich versucht, die Mikroorganismen als
Erreger der Wundinfektionskrankheiten zu leugnen, und man stützte
sich dabei besonders gern auf den durch mehrere Beobachter erbrach-
ten Nachweis, dass nach mechanischer Entfernung der Organismen aus
infektiösen Flüssigkeiten das organismenfreie Filtrat pathogene Wirkung
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 27
ausübe. Aber genauere Versuche ergaben, class diese Wirkung ledig-
lich auf einer Intoxikation, auf einem gelösten Gift beruhe und durch-
aus nicht mit der Infektionserregung zu vergleichen sei (Panum, Hillee,
Koch u. A.). — Besondere Beachtung haben ferner eine Zeit lang die
abweichenden Resultate der BiLLROTH'schen Untersuchungen1) gefunden;
derselbe konstatierte mehrfach bei subkutanen Eiterungen ohne äussere
Verletzung Mikroorganismen, ebenso fand er letztere in lebenden Or-
ganen; er schloss daher, dass im Körper stets Keime enthalten sind,
dass diese aber nicht die Fähigkeit haben, sich im gesunden Körper
zu entwickeln und die Gewebe des lebenden Körpers als Nährmaterial
zu benutzen. Erst wenn durch Zersetzung ein „phlogistisches Zymoid"
entstanden ist, das auch allein für sich Entzündungen veranlassen kann,
ist Mikroorganismen Gelegenheit zur Entwicklung und Vermehrung
gegeben, und unter geeigneten Verhältnissen können diese dann Träger
und Vermehrung des zymoiden Körpers sein. Die Mikroorganismen
selbst sollten nach Billroth von einer einzigen Pflanze, der Coccobac-
teria septica, abstammen, welche sich durch die Mannigfaltigkeit ihrer
Wuchsformen auszeichnet und je nach den äusseren Existenzbedingungen
bald in dieser, bald in jener morphologischen Gestalt auftritt.
Die Widerlegung der BiLLEOTH'schen Einwendungen gelingt heute
leicht. Zunächst weiss man aus zahlreichsten Experimenten, dass im
normalen lebenden Organismus keine Bakterienkeime in erkennbarer
Menge vorkommen und dass reichliche Funde von Organismen im
erkrankten lebenden Körper nur auf das Eindringen von aussen, auf
eine Infektion zurückzuführen sind. Dann aber ist durch ganz un-
widerlegliche Beweise direkt festgestellt, dass für die verschiedenen
Infektionskrankheiten spezifische, von aussen eindringende Mikroorganis-
men die unmittelbare einzige Ursache sind. Zu diesem Nachweis war
es offenbar nötig, die Mikroorganismen von den übrigen Be-
standteilen der infektiösen Substanzen zu trennen und mit
den isolierten Erregern durch Tierversuche das ursprüngliche
Krankheitsbild zu erzeugen. Solche Isolierung suchte man wohl
früher zu erreichen durch Uberschichten des infektiösen Materials mit
Wasser, worin die Mikroben zu Boden sinken sollten, oder durch Fil-
tration; dabei war es aber immer fraglich, ob die etwaigen gelösten
krankheitserregenden Stoffe wirklich entfernt und ob andererseits nicht
die Mikroorganismen selbst beim Auswaschen durch zu starke Exos-
mose geschädigt würden.
Sodann suchte man durch Verdünnung des Infektionsmaterials
zu einer Entscheidung zu gelangen, in der unzweifelhaft richtigen Vor-
1) A. Ch. 6.265; 20.432. — Coccobacteria septica. Berlin 1874.
2§ Gotschlich, Einleitung.
aussetzung, dass nur ein auf einem lebenden, vermehrungsfähigen Or-
ganismus beruhendes Kontagium in weitgehendster Weise verdünnt
werden könne, ohne an Wirksamkeit zu verlieren. Eine solche Ver-
dünnung war im Grunde schon dann gegeben, wenn es gelang, von
einem infizierten Tieren aus ein anderes, von diesem ein drittes und so
fort durch eine ganze Reihe von Versuchstieren mit der bestimmten
Krankheit zu impfen; indess war hier immer noch der Einwand mög-
lich, dass die Körperzellen sich vielleicht an der Regenerierung des
Giftes beteiligen.
Dagegen muss jeder Zweifel über die krankheitserregende Eigen-
schaft der Mikroorganismen aufhören, nachdem in den letzten Jahren
gezeigt ist, das ausserhalb des Körpers die kolossalste Verdünnung
des Infektionsmaterials statthaben kann, ohne dass dasselbe an Wirk-
samkeit verliert. So konnte Koch infektiöses Blut direkt so weit ver-
dünnen, dass dem Versuchstier nur 1 Millionstel Kubikcentimeter ein-
gespritzt wurde; diese Menge hatte dann denselben Erfolg, erzeugte
dieselbe typische, nach 18 Stunden tötliche Krankheit, wie die Injektion
unverdünnten Blutes. — Die Verdünnung kann aber, ohne den Erfolg
zu schädigen, noch viel weiter getrieben werden unter Zuhilfenahme
der Kultur methoden. Pasteur und Klebs haben zuerst gelehrt, die
als pathogen verdächtigen Mikroorganismen auf künstlich hergerichtetem
Nährmaterial ausserhalb des Tierkörpers zu züchten, dann nach dem
Heranwachsen einer Kultur von dieser eine minimale Menge auf neues
intaktes Nährmaterial zu übertragen, von der dort entwickelten Kolonie
eine Spur auf einen dritten Nährboden zu impfen und so fort durch
eine Reihe von Generationen den Mikroorganismus zu züchten. Das
methodischePrinzip zursicherenGewinnungvonReinkulturen
wurde dann zuerst von Koch in der Anwendung des festen Nähr-
bodens gefunden. Während nämlich in flüssigem Nährsubstrat, welches
mit einem Bakteriengemisch geimpft ist, jede eingeimpfte Art sich bei
ihrem Wachstum durch die ganze Nährfiüssigkeit verbreitet, und so in
jedem Tröpfchen der ausgewachsenen Kultur stets ein Gemisch ver-
schiedener Arten vorliegt, aus dem sich selbst durch weitgehendste
Verdünnung nur auf sehr unsichere und langwierige Weise ein gegebener
Keim isolieren lässt, bleibt das Wachstum auf festem Nährboden
räumlich beschränkt; jeder Keim entwickelt sich (vorausgesetzt
natürlich, dass bei der Aussaat die Keime nicht allzu dicht aneinander zu
liegen kommen) an der Stelle, auf die er geraten war, zu einer isolierten
Kolonie, die nur aus Keimen derselben Art besteht; eine solche Kolonie
kann dann als Ausgangsmaterial für eine Weiterzüchtung in Reinkultur
dienen. Zwar wurden schon vor Koch feste Nährböden als Kultursub-
strat verwendet; so hat insbesondere Schröter (B. B. II. 109) seine Pig-
Historische Entwicklung der Lehre von den Mikroorganismen. 29
nientbakterien auf der Oberfläche von Kartoffelscheiben gezüchtet und hier-
bei sogar sicher die Existenz getrennter Kolonien verschiedener Arten beo-
bachtet; indessen hat Schröter den festen Nährboden nicht zum
Zwecke der Gewinnung von Reinkulturen verwendet, ja, es findet
sich in der angeführten Mitteilung auch nicht eine Andeutung, welche auf
die prinzipiell wichtige methodische Seite dieser Züchtung hin-
wiese; dies muss ausdrücklich betont werden, da vielfach die irrtümliche
Ansicht verbreitet ist, die Priorität der Entdeckung der Reinkultur
auf festem Nährsubstrat gebühre Schröter vor Koch; dies ist nach seiner
Abhandlung jedoch ganz sicher nicht der Fall. Ahnlich verhält es sich
mit der mehrfach aufgetretenen Behauptung, der feste gelatinierende
Nährboden, den Koch als weitere Verbesserung der Methodik zur
Gewinnung von Reinkulturen einführte und durch dieses einfache geist-
volle Prinzip eine Fülle von Entdeckungen zeitigte, sei bereits früher
von Breeeld verwendet worden; auch hier handelte es sich um
einen ganz anderen Zweck, nämlich um die Verfolgung der morpho-
logischen Entwicklung in der Objektträgerkultur; die Möglichkeit
einer methodischen Verwendung des gelatinierenden Substrats für Ge-
winnung von Reinkulturen ist auch hier nicht berührt. So viel zur
Entscheidung der Prioritätsfrage! — Durch Anwendung der KocH'schen
Methodik ist es erst mit Sicherheit möglich geworden, die der para-
sitären Krankheitserregung verdächtigen Pilze eine längere Zeit hin-
durch und trotz einer grossen Reihe von neuen Übertragungen in un-
verändertem Zustande zu beobachten. — Ist nun in solcher Weise ein
Pilz durch 50 oder 100 Generationen hindurch gezüchtet, so enthält
die letzte Generation selbstverständlich gar nichts mehr von den Stoffen,
die den anfänglichen Mikroorganismen angehörten; es ist leicht zu
berechnen, dass die Verdünnung nach Trillionsteln zählen und schliess-
lich ins Unberechenbare gehen muss; ein ursprünglich beigemengter
Giftstoff, und mag er noch so intensiv an Wirkung sein, kann in der
letzten Kultur nicht mehr in merkbarer Menge vorhanden sein, sondern
wenn mit dieser eine Infektion erzeugt wird, so ist das nur dadurch
möglich, dass die Mikroorganismen selbst, die sich auf Kosten des
Nährmaterials immer wieder neu reproduzieren, die wirksame Schäd-
lichkeit ausmachen.
In der That gelingen nun die Impfungen mit der kleinsten Menge
der hundertsten rein gezüchteten Kultur genau so gut wie mit dem
ursprünglichen Material. Bei Milzbrand, bei verschiedenen Formen von
Septikämie, bei Rotz, bei Tuberkulose u. s. w. konnte Koch Reinkulturen
in beliebig langer Reihe fortführen; übertrug er eine Spur der letzten
Züchtung auf ein Versuchstier, so trat nach dem typischen Inkubations-
stadium die entsprechende Krankheit mit allen ihren charakteristischen
30 Gotschlich, Einleitung.
Symptomen auf; nach bestimmter Zeit erfolgte der Tod; das Sektions-
ergebnis war stets das gleiche; im Blut und in den Geweben fanden
sich in enormer Zahl Organismen von der Gestalt und dem Verhalten
der geimpften, und Spuren des organismenhaltigen Blutes erzeugten, auf
ein anderes Versuchstier überimpft, in diesem dieselbe tötliche Affektion.
Für die genannten Krankheiten ist somit die causale Beziehung
der Mikroorganismen vollkommen sicher erwiesen, und es liegt nahe,
von jenen aus auf die mannigfachen anderen Infektionskrankheiten zu
schliessen, die sich den erkannten Krankheiten ähnlich verhalten. Dennoch
wird es zweckmässig und der Entwicklung der Lehre von den Mikro-
parasiten nur förderlich sein, wenn man hierbei mit grösster Vor-
sicht zu Werke geht, Verallgemeinerungen vermeidet und nur dann
eine Krankheit als parasitäre proklamiert, wenn es gelingt, morpho-
logisch gut charakterisierte Mikroorganismen aufzufinden, diese ferner
in solcher Menge und Verteilung nachzuweisen, dass alle Krankheits-
erscheinungen dadurch Erklärung finden, dieselben endlich auf andere
höhere Organismen zu übertragen oder aber womöglich auf künstlichem
Nährsubstrat durch verschiedene Generationen hindurch zu züchten und
dabei so wirksam zu erhalten, dass die geringste Menge, Versuchstieren
eingeimpft, wiederum das charakteristische Krankheitsbild hervorruft.
Das häufige Auftreten kleinster Organismen in der Rolle als para-
sitäre Krankheitserreger steht somit ebenso ausser Frage, wie die
Funktion ähnlicher kleinster Lebewesen als Erreger der Gährung und
Fäulnis. Damit ist dann aber ohne weiteres das bedeutende und viel-
seitige Interesse gekennzeichnet, welches die Hygiene und die öffent-
liche Gesundheitspflege an den Mikroorganismen zu nehmen hat. Waren
es doch die Vorgänge der Gährung und Fäulnis organischer Substanzen
in unserer Umgebung, welche zuerst Unbehagen und Misstrauen erweckt
und die modernen hygienischen Bestrebungen ins Leben gerufen haben,
und besteht doch die wesentlichste, wenn auch schwierigste Aufgabe
für die hygienische Durchforschung des Bodens, des Wassers, der Luft
und der Wohnung in der Ermittelung derjenigen Umstände, welche
die Entwicklung und Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen
können.
Jetzige Definition u. Klassifikation der Mikroorganismen. 31
B. Jetzige Definition und Klassifikation der Mikroorganismen.
Unter dem Namen Mikroorganismen werden gegenwärtig eine
grosse Anzahl niederster Lebewesen zusammengefasst, die ein ge-
meinsames biologisches und hygienisches Interesse in An-
spruch nehmen, indem sie die Erreger der Gährung, Fäulnis und
der Infektionskrankheiten darstellen; nach ihren natürlichen Ver-
wandtschaftsbeziehungen jedoch gehören dieselben sehr verschiedenen
Formkreisen an, von denen mehrere mit Sicherheit zu den niedersten
Pflanzen, andere hingegen zu den niedersten, einzelligen Tieren
zu rechnen sind. Die letzteren lassen sich in einer natürlichen Gruppe
als Protozoen zusammenfassen. Die übrigen, pflanzlichen Mikroorga-
nismen, gehören nach ihrem morphologischen Habitus und ihren biolo-
gischen Eigentümlichkeiten sämtlich zu den Pilzen und lassen sich
mit einem Sammelnamen als „niedere Pilze" bezeichnen. Einige
Arten zeigen daneben noch deutliche Verwandtschaftsbeziehungen zu
den Algen, welche mit den Pilzen und Flechten zusammen die
grosse Gruppe der Thallophyten bilden; diese hinwiederum stellen
eine Abteilung der Kryptogamen dar, jener grossen Gruppe des
Pflanzenreichs, die durch ihre Fortpflanzung mittelst Sporen gegen-
über der anderen grossen Gruppe, der Phanerogamen, die Blüten
tragen und Samen mit präformierter Anlage des Keimlings produzieren,
charakterisirt ist. Die alte Einteilung der Thallophyten in Pilze, Algen
und Flechten scheint jedoch nicht mehr aufrecht erhalten werden zu
können. Was zunächst die Flechten anlangt, so sind sie nicht als selb-
ständige Gruppe anzusehen, da sie nur durch Symbiose bestimmter
Algen und bestimmter Pilze zustande kommen und demnach nichts
weiter als ein Gemisch dieser beiden Formen darstellen. Aber auch
Pilze und Algen, die man früher streng von einander geschieden wissen
wollte, zeigen in ihren morphologischen Charakteren und Fortpflanzungs-
verhältnissen so viel Gemeinsames, dass eine prinzipielle Trennung der-
selben kaum durchführbar erscheint. Dies gilt um so mehr, als auch
die biologischen Unterscheidungsmerkmale, auf welche früher das Haupt-
gewicht gelegt wurde, nicht durchgreifen, sondern fliessende Übergänge
zulassen; die Pilze sollten als chlorophyllfreie Zellen sich nur aus vor-
gebildeten organischen Substanzen ernähren können, während als Algen
chlorophyllhaltige Zellen bezeichnet wurden, die ganz wie die höheren
Pflanzen unter Mitwirkung des Sonnenlichtes die organischen Stoffe
ihrer Leibessubstanz aus den Elementen, aus unorganischem Material in
Gestalt von C02, NH3 und H2S aufbauen. Nun giebt es aber auch
unter den Phanerogamen manche chlorophylllose Pflanzen (Orchideen,
32 Gotschlich, Einleitung.
Monotropeen), die man deswegen doch nicht aus ihren Familien oder
Ordnungen streicht; ausserdem finden sich umgekehrt unter den zu
den niederen Pilzen zu rechnenden Bakterien einige wenige
chlorophyllhaltigeFormen, sowie andere, die eine ähnliche synthe-
tische Arbeit mit Hilfe eines dem Chlorophyll verwandten anderen
Farbstoffs ausführen; endlich aber sind in neuester Zeit auch chloro-
phylllose Formen gefunden worden, die eine vollständige Syn-
these organischer Substanz ohne irgend ein Chlorophyll und
sogar bei Lichtabschluss auszuüben vermögen. Es bildet also
weder der Chlorophyllgehalt einen durchgreifenden Unter-
schied zwischen Algen und Pilzen, noch auch ist die che-
mische Arbeit der Synthese des Protoplasmas aus anorgani-
schem Material notwendig an das Chlorophyll gebunden. So-
mit wird also am besten die ganze frühere Einteilung der Thallophyten
in Algen, Pilze und Flechten aufgegeben und ein neues Einteilungs-
prinzip gesucht werden müssen. In welcher Weise dann aber am zweck-
mässigsten und natürlichsten eine Einteilung und Einfügung der Thallo-
phyten in ein System gelingt, darüber gehen die Meinungen noch
auseinander. Es möge hier nur verwiesen werden auf das System
de Bary's (Vergleichende Morphologie und Biologie der Pilze. S. 142),
auf die Einteilung Brefeld's (Untersuchungen über Schimmelpilze.
Heft 4), auf die Gruppierung Franks in seiner Bearbeitung der 3. Aufl.
von Leunis' Botanik, sowie auf das von Alexander Braun aufgestellte
natürliche phylogenetische System.
Die niederen Pilze, welche unser biologisches und hygienisches
Interesse in Anspruch nehmen, lassen nun eine zwanglose Einteilung
in 4 Unterabteilungen zu:
1. Faden- oder Schimmelpilze, Hyphomyceten.
2. Spross- oder Hefepilze, Blastomyceten.
3. Streptothricheen.
4. Spaltpilze, Schizomyceten oder Bakterien.
Hierzu kommt dann als fünfte Gruppe die zu den niedersten
Tieren gehörige Gruppe der Protozoen. Über die verwandtschaftlichen
Beziehungen zwischen diesen 5 Gruppen der Mikroorganismen unter
einander, sowie zu ausserhalb stehenden, hier nicht näher berücksich-
tigten Formen wird bei der speziellen Besprechung der einzelnen
Gruppen eingehend verhandelt werden. —
Im Folgenden soll zunächst eine allgemeine morphologische
Charakteristik dieser 5 Hauptgruppen der Mikroorganismen gegeben
werden; hiernach erst wird es uns möglich sein, der Kenntnis des
biologischen Verhaltens näher zu treten, wobei naturgemäss unser
hauptsächliches Augenmerk auf die beiden bedeutungsvollsten biolo-
Jetzige Definition u. Klassifikation der Mikroorganismen. 33
gischen Leistungen der Mikroorganismen, auf Gährungs- und Krank-
heitserregung gerichtet sei. Hierauf tritt die Aufgabe an uns heran,
die Verbreitung und das Verhalten dieser wichtigen Lebe-
wesen in der Aussenwelt, in unserer täglichen Umgebung kennen zu
lernen. Endlich handelt es sich um die systematische Erforschung
der unzähligen einzelnen Arten und ihrer speziellen morpho-
logischen und biologischen Charaktere. Alle die Fragen sollen
nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens in den nachfolgenden
Kapiteln besprochen werden; dazu kommt noch ein kurzer Abriss
der wichtigsten Methoden, welche sich bei der Erforschung dieses
überaus schwierigen Gebietes bewährt haben.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage.
Erster Abschnitt.
Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Erstes Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Schimmel- oder Fadenpilze
von
Dr. P. Frosch.
Die Pilze (Eumycetes) bestehen aus mikroskopisch kleinen Zellen,
an denen eine meist dünne Membran und ein farbloser protoplasmati-
scher Inhalt unterscheidbar ist. Die Zellmembran besteht aus einer
der Cellulose nur ähnlichen, nicht mit derselben identischen Substanz
(Pilzcellulose), welche mit Jod keine Violettfärbung zeigt; im Proto-
plasma finden sich meist zahlreiche winzige Zellkerne, häufig Vakuolen,
ferner Oeltropfen, verschiedene Farbstoffe, niemals Stärke und zuweilen,
namentlich auch auf der Aussenfläche der Zellwand in Gestalt kleiner
Nadeln und Stacheln aufgelagert, Krystalle von oxalsaurem Kalk.
Das Wachstum der Pilze erfolgt dadurch, dass sich die Zellen
durch Spitzenwachstum verlängern. Es entstehen dadurch regelmässige
Fäden, Hyphae. Bei gewissen allgenähnlichen Fadenpilzen, z. B.
den Mukorarten, ist das gesamte Hyphengeflecht einzellig bis zur F Ra-
tifikation, gewöhnlich aber wird die Hyphe durch Querscheidewände
gegliedert; ausserdem sind die Fäden fast stets verzweigt dadurch, dass
Äste an irgend einer Stelle eines Gliedes abgehen, oder dass die End-
zelle bei ihrem fortgesetzten Spitzenwachstum sich dichotomisch teilt.
Ein häufiges Vorkommnis an Pilzhyphen ist die Schnallenbildung(Fusion),
bei welchem Nachbarzellen desselben oder nächstliegenden Fadens
durch eine H-förmige Verbindung verschmelzen. Die Gesamtheit der
vorhandenen Hyphen, mögen dieselben in geringer Zahl oder ganz
vereinzelt, oder mögen sie zu massigen Körpern vereinigt sein, be-
zeichnet man als den Thallus der Pilze.
Am Thallus unterscheidet man das Mycelium und die Frucht-
träger, sobald es zur Entwicklung der letzteren gekommen ist; bis
dahin ist das Mycelium mit dem Thallus identisch und es bezeichnet
daher die mehr oder minder verbreiteten und verzweigten Pilzfäden,
Frosch, Allgemeine Morphologie der Schimmel- oder Fadenpilze. 35
die sich auf irgend einem organischen Substrat angesiedelt haben.
Meistens entsteht durch gleichmässige Ausbreitung der Mycelfäden nach
allen Richtungen und durch immer fortgesetzte Verästelung ein flockiges
Mycelium; zuweilen werden auch häutige, parenchymartige Lager, Pseudo-
parenchym, oder faserige Stränge durch zahlreiche Vereinigung von
Pilzfäden gebildet. Unter besonderen Umständen nimmt das Mycel
mancher Pilze die Form der sog. Sklerotien an, knollenähnlicher,
fleischiger oder strangartig fester, pseudoparenchymatöser Körper, die
sich sekundär aus einem gewöhnlichen Mycel entwickeln; sie lassen
eine Rinden- und eine Marksubstanz unterscheiden, letztere aus ver-
flochtenen Hyphen, erstere aus den fest verbundenen, mit dunkler Mem-
bran versehenen Endzellen der Hyphen bestehend. Die Sklerotien sind als
Ruheformen zu betrachten, bei denen nur nach längerer Zeit und nur in
dauernd feuchter Umgebung ein Austreiben von Fruchtträgern stattfindet.
Mit grosser Energie vermögen die Pilzfäden des Myceliums in das
als Nährboden dienende Substrat einzudringen. Bei toten Pflanzen-
teilen können die Hyphen die Zellmembranen durchbrechen, indem die
dem Spitzenwachstum entgegenstehenden Membranmoleküle aufgelöst
werden. Aber auch bei lebenden Pflanzen breiten sich schmarotzende
Pilze nicht nur auf der Oberfläche aus, sondern sie lassen ihre Fäden
zwischen die Zellen der Pflanze hineinwachsen und senden dann wohl
kurze Ausstülpungen, sogenannte Haustorien, in das Innere der Zellen;
oder sie durchdringen die Zellwände wie bei abgestorbenen Pflanzen-
teilen. Ebenso leisten die tierischen Membranen dem Vordringen der
wachsenden Hyphen mancher Pilze keinen merklichen Widerstand, und
selbst Zähne und Knochen werden von Pilzfäden durchwuchert.
Die Fortpflanzung der Fadenpilze ist teils eine geschlechtliche,
meistens jedoch eine ungeschlechtliche. Das Produkt derselben sind
Sporen, die entweder in verschiedener Anzahl in einem besonderen
Organ, dem Sporangium als Endosporen gebildet oder frei von einem
Fruchtträger als Konidien abgeschnürt werden. Hierbei gliedern sich
vom Mycel besondere Fäden ab, welche als Sporangien- oder Konidien-
träger bezeichnet werden, und die meist aus ihren Endzellen die be-
treffenden Organe hervorgehen lassen, indem eine dieser Funktion ent-
sprechende Formveränderung eintritt. Lagern sich sehr zahlreiche Frucht-
hyphen zusammen, so entsteht ein sogenannter Fruchtkörper, wie er
namentlich den höheren Pilzen in den vielgestaltigsten Formen zukommt.
Aus den Sporen geht in der Regel durch Auskeimung und Ver-
zweigung neues Mycel hervor, welches dem mütterlichen völlig gleicht
und wiederum fruktifiziert. Bei gewissen Arten keimen jedoch die
Sporen nur unter ganz bestimmten Bedingungen zu einem Mycel, z. B.
in der Wirtsnährpflanze, auf der der Pilz schmarotzt, vermehren sich
3*
36
Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
vielmehr durch fortgesetzte Sprossung nach Art der Hefe (s. d.), sogen.
Hefesprossungen, die sich durch zahllose Generationen wiederholen
können. Derartige Sporen heissen Hefekonidien. Sie sind bei einer
ziemlichen Anzahl höherer Pilze bekannt. Neben der Sporenbildung
existiert nun noch eine weitere Dauerform, welche sich bei vielen Arten
findet und als Oidie bezeichnet wird. Dieselbe stellt eine Hemmung
der Sporenfruktifikation dar und kommt zustande bei Erschöpfung des
Nährbodens oder ungünstiger Lebensbedingung anderer Art, bei manchen
Fig. 3. (Nach Tavel.)
Arten jedoch auch ohne diese Gründe. Hierbei zerfällt ein oder mehrere
beliebige Mycelfäden durch fortgesetzte Septirung in eine grosse Anzahl
von kurzen Gliedern, die eine gewisse Zeit im Zusammenhang bleiben,
später aber auseinanderfallen und frei werden.
Diese Form der Fruktifikation ist bei gewissen Arten die einzig
beobachtete, die deswegen auch direkt Oidien genannt werden. Eine
Modifikation derselben stellt die Gemmen- oder Chlamydosporen-
bildung (Fig. 3) dar. Auch diese ist bei vielen Arten als Nebenfrucht-
form bekannt, bei manchen sogar vorherrschend. Sie geht aus der Oidien-
bildung hervor, indem in alternierenden Gliedern desselben Fadens sich
der Zellinhalt zusammendrängt, während die zwischenliegenden Glieder
(sog. Begrenzungszellen) leer werden. Die Inhalt führenden Zellen
Frosch, Allgemeine Morphologie der Schimmel- oder Fadenpilze. 37
schwellen hierbei an, ihre Membran verdickt sich, so dass der betreffende
Mycelfaden an einen Rosenkranz erinnert. Auch die Chlamydosporen
werden durch Zerfall des Mycelfadens frei. Beide Formen keimen
entweder vegetativ oder fruktifikativ aus, und zwar in Flüssigkeiten
vegetativ mit einem Mycelschlauch, an der Luft aber und unter zu^
sagenden Lebensbedingungen geht aus ihnen direkt wie aus jedem be-
liebigen Mycelabschnitt ein Fruchtträger hervor, so dass beide nichts
anderes sind, als zu Sporen gewordene Fruchtträgeranlagen.
Bei der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Fortpflanzung sind
nun folgende Einzelheiten beobachtet:
Der geschlechtlichen Sporenbildung geht eine Art Befruchtung
voraus. Es entsteht ein ausgeprägtes männliches und weibliches Ge-
schlechtsorgan. Das weibliche sitzt als kugelförmig angeschwollene
Zelle einem Myzelfaden auf und heisst Oogonium; das männliche, An-
theridium, ist eine längliche oder keulig angeschwollene Zelle, die sich
an das Oogonium anlegt und sich dann von seiner Hyphe abgrenzt;
zuweilen treibt das Antheridium einen sogenannten Befruchtungs-
schlauch ins Innere des Oogoniums hinein. In letzterem bilden sich
nach der Befruchtung die Oosporen, kugelige, mit Cellulosemembran
vesehene Zellen. ■ — ■ In anderen Fällen geht eine Kopulation voraus,
wobei zwei benachbarte Hyphen desselben oder verschiedener Fäden
mit je einer keulenförmigen Aussackung aneinander wachsen und nach
Resorption der Zwischenwand eine sogenannte Zygospore bilden
(s. Abbildung).
Einen Übergang zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung bildet
das Auftreten von Azygosporen. Hierbei bildet entweder jeder von
beiden Konjugationsästen, ohne mit dem anderen zu verschmelzen, eine
der Zygospore völlig gleiche Spore aus, oder einer von beiden bleibt
klein und nur der andere schreitet zur Sporenbildung. Wieder in
anderen Fällen fehlt ein Konjugationsast vollständig, so dass nur ein-
zelne seitliche Aste entstehen, die an ihrem Scheitel die Azygosporen
bilden. Beide Gebilde, die Zygo- und Azygosporen, übertreffen die
Konjugationsäste um einBedeutendes. Die derbe, kulikularisierte Membran
färbt sich dunkel und bedeckt sich mit kurzen, warzigen Erhabenheiten,
während der Inhalt farblos bleibt. Beide Formen bedürfen zur Keimung
der Ruhe; dieselbe erfolgt, indem die Membran platzt und der Inhalt
sich zu einem Keimschlauch hervorwölbt, der entweder in Flüssig-
keiten ein Myzel erzeugt oder an der Luft zum Sporangienträger wird.
Bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung haben wir zu trennen die:
Endogene Sporenbildung. Die Sporen entstehen im Innern
von Mutterzellen, deren Wand bis zur Reife als Sporangium, Sporen-
38 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
behälter, persistiert. Die Sporangien sind meist akrogene Zellen; die
Sporenbildung in ihnen erfolgt durch Teilung des Plasmas, ohne
Scheidewandbildung. Oft haben die Sporangien keulen- oder schlauch-
förmige Gestalt; ist diese nach Form, Grösse und Anzahl der Sporen
konstant, so heissen sie Asci, die Sporen Askosporen. Die Asci bilden
sich oft in kleinen runden oder flaschenförmigen Fruchtkörpern, den
Perithecien, die eine Höhlung einschliessen und auf dem Grunde der
Höhlung die keulenförmigen Schläuche entspringen lassen, oder in
Scheiben — - bis becherförmigen Gebilden, den Apothecien.
Das Freiwerden der reifen Sporen erfolgt entweder durch eine
Öffnung des Sporangiums, die dadurch zustande kommt, dass ein
kleines umschriebenes Stück der Wand mit der Reife plötzlich bis zur
Unkenntlichkeit aufquillt, oder die Sporangien wand wird in ihrem
grössten oberen Teile in eine im Wasser zerfliessliche Substanz ver-
wandelt, oder — bei den Ascis — beobachtet man nicht selten die
oben erwähnte Ejakulation der Sporen.
Die Konidienbildung. Dieselbe erfolgt selten direkt vom Mycel-
faden. Meist bilden sich besondere Organe, die Konidienträger, die ent-
weder von dem Scheitel oder der Seite die Koni dien hervorgehen lassen.
Ist der Konidienträger wie bei den Basidiomyceten (s. d.) nach Form und
Grösse, sowie Anzahl der gebildeten Sporen konstant, so heisst er Basidie.
Aus den Enden der Träger gehen oft dünne, stielartige Auszweigungen
hervor, auf welchen die Sporen sich abschnüren. Diese direkten Stiele
der Sporen heissen Sterigmen. Die Sporenbildung geht entweder so vor
sich, dass nur eine Spore abgegliedert wird, oder es entstehen gleichzeitig
entweder am Scheitel oder seitlich eine Anzahl von Sprossungen; oder
es werden nacheinander mehrere Sporen abgeschnürt. Die Loslösung
der Sporen erfolgt entweder durch Schwinden der Träger oder durch
Abschnürung, wobei in der trennenden Querwand zwischen Spore und
Fruchtträger eine Zone schwindet resp. erweicht, oder durch Ab-
schleuderung. Der letztere eigentümliche Modus der Sporenabtrennung
kommt dadurch zustande, dass die Sporenzelle auf dem Scheitel eines
schlauchförmigen Konidienträgers aufsitzt, der infolge andauernder
Wasseraufnahme immer mehr turgeszent wird, dabei aber eine sehr
elastische Membran besitzt. Dicht unter der die Spore abgrenzenden
Querwand ist die Kohäsion dieser Membran geringer als im übrigen
Umfang, und hier tritt daher, sobald der Turgor einen bestimmten
Grad erreicht hat, ein ringförmiger Riss ein; sofort schnurrt die ela-
stische Wand zusammen, infolge dessen wird ein grosser Teil der In-
haltsflüssigkeit mit Gewalt aus der Rissstelle hervorgespritzt, und
dieser reisst die Spore mit fort.
Man bezeichnet diese Sporen als Konidien. Zuweilen tritt diese
Fkosch, Allgemeine Morphologie der Schimmel- oder Fadenpilze. 39
Art der Sporenbildung in Fruchtkörpern, den sogenannten Pykniden,
auf. Diese Fruchtkörper schliessen dann eine Höhlung ein und an
der Innenwand der Höhlung eine dichte Schicht von Konidienträgern,
welche zahlreiche Sporen abschnüren.
Bei beiden Fruktifikationen sind die reifen Sporen einfache
Zellen von sehr verschiedener Gestalt; gewöhnlich sind sie kugelig
oder oval, zuweilen bilden sie aber auch lange, dünne Stäbchen oder
Spindeln. An ihrer Membran lässt sich eine äussere, oft gefärbte
Schicht, das Episporiurn, und eine innere, zartere, farblose Schicht, das
Endosporium, unterscheiden. Der Inhalt besteht aus Protoplasma
und schliesst häufig Öltropfen ein. Das gemeinsame Kennzeichen der
Sporen ist ihre Fähigkeit, entweder sich zu Mutterzellen neuer Sporen
umzuwandeln oder in einen oder mehrere Keimschläuche auszuwachsen,
aus welchen weiterhin die Mycelfäden sich entwickeln.
Etwa abweichend verhalten sich nur die Schwärmsporen. Es
sind rundliche, nackte Protoplasmakörper ohne feste Cellulosemembran,
mit zwei Cilien versehen und mittelst dieser beweglich; sie kommen
nur bei den Phykomyceten vor, entstehen in Sporangien endogen durch
Teilung des Inhalts und werden durch Quellung der Sporangiumhülle
frei. Ihre Entstehung und Entleerung erfolgt nur unter Wasser. Nach-
dem das bewegliche, nackte Stadium kurze Zeit gedauert hat, kommen die
Schwärmsporen zur Ruhe, umgeben sich mit einer Zellmembran und
treiben dann wie andere Sporen einen Keimschlauch.
Eine andere Form der Entwicklung aus dem Sporangium besteht
bei einigen dieser Gattung Pilze darin, class der gesamte Inhalt des
Sporangiums vor vollendeter Differenzierung in Sporen am Scheitel als
Keimschlauch austritt. Wieder bei anderen und zwar der Mehrzahl
der Peronosporenarten kann dieses Auskeimen an jeder beliebigen Stelle
des Sporangiums geschehen, so dass letzteres selbst zur Konidie ge-
worden ist.
Die verschiedenen Arten der Fruktifikationsorgane kommen zu-
weilen auf ein und demselben Pilzthallus neben einander oder nach
einander vor, namentlich ist dies bei den höheren Pilzen, den Asko- und
Basidiomyceten der Fall, wo stets neben der Hauptfruchtform Neben-
fruchtformen, mitunter überwiegend vorkommen. Es findet also häufig
eine Pleomorphie der Fruktifikationsorgane statt. Oft ist da-
mit verbunden ein sogenannter Generationswechsel; der Thallus
eines bestimmten Pilzes trägt dann zunächst nur eine Art von Frukti-
fikationsorgan; die so erzeugten Sporen wachsen zu einem Thallus
heran, der aber vom ursprünglichen Thallus verschieden ist und eine
andere Fruktifikation hervorbringt, ja sogar oft nicht auf demselben
Wirte gedeiht (autöcische Pilze), sonderen einer ganz anderen Nähr-
40 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
pflanze zu seiner Entwicklung bedarf (heteröcische Pilze). Aus den
auf dem zweiten Thallus hervorgegangenen Sporen entwickelt sich
dann wieder das ursprüngliche Mycel mit seiner charakteristischen
Fruchtform.
Zweites Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Sprosspilze (Hefepilze)
von
Dr. P. Frosch.
Allen Hefeformen gemeinsam ist das Kennzeichen, dass sie aus
mikroskopisch kleinen, ovalen oder kugeligen, chlorophyllfreien Zellen
bestehen, die sich durch einen eigentümlichen Vermehrungsmodus, die
Sprossung, fortpflanzen. Hierbei stülpt sich an einem oder an beiden
Enden der Zellen die Zellmembran blasenartig aus und in die Aus-
stülpung tritt ein Teil des Inhalts der Mutterzelle. Nach und nach
nimmt Grösse und Form derselben zu und schliesslich grenzt sich die
gebildete Tochterzelle durch eine Querwand von der Mutterzelle ab.
Indem dieser Prozess an verschiedenen Stellen der Mutterzellen vor sich
geht und ebenso auch an den neugebildeten Tochterzellen sich wieder-
holt, entsteht schnell eine grosse Anzahl von Zellen, die sich entweder
von einander abschnüren, oder im Zusammenhang verbleibend stattliche
Sprossverbände bilden.
Mikroskopisch unterscheidet man an der einzelnen Hefezelle eine
mitunter starke, doppeltkonturierte Hülle nebem einen plasmatischen
Inhalt, in dem Fetttröpfchen, Granula und Vakuolen vorhanden sein
können. Die Existenz eines Kerns ist ebenso oft behauptet wie ge-
leugnet worden, neuerdings aber bei gewissen Hefen unzweifelhaft nach-
gewiesen. Die ersten Versuche in dieser Beziehung stammen von
Schmitt 1879, dem Hansen, Möller und Janssen folgten. Letzterer stellte
fest, dass bei mehreren Bierhefen der Kern sich durch Karyokinese
während des Sprossens und während der Sporenbildung vermehrt. Von
Möller ist folgende Methode, um den Kern sichtbar zu machen, an-
gegeben: Fixierung in 1 proz. Jodkaliumlösung Härten 1 — 2 Minuten
in kochendem Wasser, Färbung mit Heidenhain'scher Eisenlacklösung
Gewissen Hefenarten ist eine Art Mycelbildung eigentümlich, beson-
ders bei Züchtung im Kontakt mit der Luft und in alten Kulturen.
Hierbei dehnen sich die einzelnen Zellen zu langgestreckten Gliedern,
die im Zusammenhang bleiben, jedoch keine eigentliche Verästelung
Frosch, Allgemeine Morphologie der Sprosspilze (Hefepilze). 41
zeigen 1). Reichlich finden sich derartige Bildungen in den Kahm-
häuten bestimmter Mykodermaarten (Mykoderma vini, cerevisiae etc.).
Ein solches hefenartiges Wachstum ist nun zunächst nichts weiter
als eine besondere und weit verbreitete Art der Dauerformbildung einer
ganzen Reihe von Schimmelpilzen. Sie findet sich, wie bereits im Vor-
hergehenden bemerkt, z. B. bei gewissen Aspergillus- und Mukorarten,
wenn dieselben auf ungeeignetem Nährboden oder unter sonst ihnen
nicht zusagenden Lebensbedingungen wachsen müssen (z. B. Mukorarten
untergetaucht in Wasser). Ein anderes Beispiel bildet die Art Proto-
myces, welche parasitisch auf Umelliferen und Cichoraceen lebt. Dieser
Pilz bildet Gemmen (Chlamydosporen), welche nach Verwitterung der
Nährpflanze frei werden und die in ihnen enthaltenen Sporen ejakulieren.
Diese keimen nur, wenn sie auf eine andere Nährpflanze geraten, wieder-
um zu Fäden aus, ausserhalb derselben jedoch, z. B. auch in Nähr-
lösungen, sprossen sie nie anders als in Hefeform, d. h. die Konidien
bilden selbst nur wieder Konidien. Solche Hefesprossung echter
Schimmelpilze, für die es viele Beispiele giebt, so bei Taphrinaarten,
bei der Gattung Exobasidium, bei Dematium pullulans, und nach
Beeeeld bei Tremellinen und Ustilagineen besteht nun immer neben
der Bildung anderer Fruchtformen, wie Asken und Basidien. Die
Hefenkonidien selbst ergeben immer nur wieder Hefesprossung und nur
durch Aussat dieser anderen bekannten Fruchtformen kann die Zugehörig-
keit beider zur selben Pflanze festgestellt werden. Obwohl es nun
noch nicht gelungen ist für alle in der Natur vorkommenden Hefe-
arten die zugehörge Fadenpilzform aufzufinden, so hat doch Beeeeld
vorgeschlagen und hierin zahlreiche Anhänger gefunden/ die Gat-
tung Hefe als solche zu streichen, in der Voraussetzung, dass alle
Hefearten nur die besondere Fruktifikation noch nicht bekannter
Ascus- oder Exoascusarten seien. Diese Auffassung hat jedoch in
Hansen einen hartnäckigen und energischen Gegner gefunden. Hansen
stützt sich dabei auf die Thatsache, dass nur eine Anzahl von Hefe-
arten, darunter gerade die praktisch wichtigen, Sporen bilden, während
Mycelbildung sehr selten ist. Er scheidet demgemäss als selbständige
Gattung Saccharomyces alle diejenigen Hefen aus, bei denen diese beiden
Charakteristika vorhanden sind. Weiterhin hat Hansen sich bemüht,
brauchbare Merkmale für die Unterscheidung der einzelnen Hefearten
zu finden und ist dabei jedenfalls zu einem praktisch verwertbaren
Resultat gelangt. Während gemeinhin in der Gährungsindustrie die
benutzte Gährhefe ein Gemenge verschiedener Hefearten war, gelang
1) Echte Mycelbildung soll jedoch einigen als Torulaarten zusammen-
gefassten Hefearten nach Hansen sowie dem Mykoderma vini Cienkowsky zu-
kommen (s. d.).
42 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
es Hansen mittelst eigener Methoden, diese in praktisch wertvolle
(Kulturhefe), gleichgiltige und solche zu trennen, welche Krankheiten
des Bieres verursachten (wilde Hefen). In der Folge hat sich das
Augenmerk der Gährtechniker darauf gewendet, möglichst mit Rein-
kulturen nur einer Art zu arbeiten, wobei sich zeigte, dass gewisse
wertvolle Eigenschaften des Bieres und Weines, ein spezifischer Ge-
schmack und Geruch (Bouquet des Weines) durch bestimmte und im
Einzelfall wechselnde Hefearten verursacht werden. In der Praxis soll
diese Methode sich bewährt haben sowohl in der Bier- wie Weingährungs-
industrie (Wortmann). So soll nach Wortmann (u. A.) jede Heferasse
ihre praktisch wertvollen Eigentümlichkeiten (Gährprodukte) auch auf
verschiedenem Gährmaterial beibehalten. Die Methoden Hansens
gipfeln einmal darin, die einzelnen Hefearten aus einem Gemisch so
zu trennen, dass Kolonien von nur einem Exemplar erhalten werden.
Hierzu ging er von der von Nägeli und Fitz angegebenen Verdün-
nungsmethode in Flüssigkeiten aus, wobei schliesslich eine Auflösung
und Verteilung des Hefegemisches in sterilem Wasser resultiert, die in
jedem Kubikcentimeter eine bestimmte geringe Anzahl von Keimen (2— 3)
enthält. Hiermit konnte eine entsprechende Reihe von Kölbchen mit
Nährflüssigkeit so geimpft werden, dass jedes Kölbchen wahrscheinlich
nur eine Zelle enthielt. Um den zu erwartenden Fehler dieser Wahr-
scheinlichkeitsrechung auszugleichen, wurden nun diese Kölbchen sehr
stark geschüttelt. Hierbei mussten sich die etwa in der Mehrzahl
vorhandenen Zellen von einander lösen, zu Boden sinken und bei ruhigem
Stehenlassender Kolben getrennt von einander auswachsen. Nach einigen
Tagen gewahrt man dann einen (gesuchte Reinkultur) oder mehrere
weisse Flecken an der Glaswand. Diese Methode eignet sich besonders,
um vorhandene, in ihrem Wachstum geschwächte Keime isoliert zum
Auswachsen zu bringen. Handelt es sich dagegen nur um die Isolie-
rung der vorherrschenden Art, so führte das KocH'sche Plattenverfahren
schneller zum Ziel, wobei Bierwürze-Gelatine verwendet wurde. Auch
hierbei fügte Hansen eine Modifikation ein, die ihm ermöglichte, durch
mikroskopische Betrachtung die Entwicklung einer Kolonie von nur
einer Zelle festzustellen, um diese Kolonie als Ausgangspunkt seiner
Kulturen zu benutzen. Die weiteren Methoden gingen darauf aus, die
Artcharaktere der einzelnen, isolierten Hefe festzustellen. Das mikro-
skopische Bild des Bodensatzes allein reicht hierzu nicht aus, da es nur
drei Arten von Hefe nach der Form der gefundenen Zellen unter-
scheiden Hess. Dagegen fand Hansen in den Bedingungen, unter denen
die Sporen gebildet wurden, wie in ihrer anatomischen Struktur und
ihrer Entwicklung diagnostisch wertvolle Merkmale. Um diese Sporen-
bildung herbeizuführen, wurde etwas Hefe auf einem sterilisierten
Frosch, Allgemeine Morphologie der Sprosspilze (Hefepilze).
43
feuchten Gypsblock in feuchter Kammer gehalten. Sehr bald traten
dann die Sporen in der Hefezelle als kugelige oder teilweise abgerundete
Körper auf, in einer Anzahl von gewöhnlich 2 — 4, unter Umständen
auch bis 10, die an den Berührungsstellen sich gegen einander abplatteten.
Bei diesem Verfahren ergab sieh als
Unterscheidungsmerkmal der Arten
dieTemperaturbreite, innerhalb welcher a A
die Bildung; der Sporen erfolgte. Der
-
por<
3
(Nach Jörgensen.)
Einfiuss der Temperatur war bei den
höchsten Wärmegraden bei allen unter- { 7
suchten 6 Arten gleich, bei niedriger W 1
Temperatur zeigten sich wiederum auf-
fällige Differenzen in der Zeit, die zu F
der Sporenbildung nötig war.
Bezüglich des Baues und der Entwicklung der Sporen hat Hansen
drei Typen unterschieden. Beim ersten z. B., Saccharomyces cerevis. (I),
kommt es durch den gegenseitigen Druck der bei der Keimung an-
\j
c?
j
Fig. 5. (Nach Jörgensen.)
schwellenden Sporen zur Scheide wandbil düng innerhalb der Mutter-
zelle, welche diese zu einem mehrkammerigen Sporenkörper macht
(Fig. 4). Beim zweiten (S. Ludwigii) verschmelzen die fin Gestalt eines
kurzen Keims chlauchs (Promy-
cel) aus den Sporen hervor-
gehenden Sprossungen, von wel-
chen dann erst die Hefezellen
sich abschnüren, unter Bildung
einer scharfen Querwand (Fig. 5).
Altere Sporen dieser Gruppe
können verzweigtes Mycel bilden.
Der dritte Typus endlich ist
gekennzeichnet durch die völlig
abweichenden Sporenformen (Re-
präsentant S. anomalus (Fig. 6).
Die Sporen bilden sich auch
auf festen Nährböden. Ihr Nachweis gelingt leicht mit der bei Bak-
terien üblichen Sporen-Doppelfärbung.
Fig. 6. (Nach Jörgensen.)
44 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Das dritte Moment in den analytischen Methoden Hansen's bildete
die Beobachtung der Kahmhäute. Fast allen Hefen ist die Bildung
von Häuten auf gährenden oder gegohrenen Flüssigkeiten eigen. Be-
dingung für die Hautbildung ist eine freie, ruhige Oberfläche, die in
reichlichem Kontakt mit atmosphärischer Luft bleibt. Hansen fand
nun, dass junge Häute der verschiedenen Arten bei gleicher, niedriger
Temperatur (+13 bis + 15) im mikroskopischen Bilde so von einander ab-
weichen — indem die eine Art nur runde oder elliptische Zellen, eine
andere wiederum Mycelbildung zeigte — , dass eine weitere Differenzierung
möglich war. Endlich waren Artkriterien gegeben in dem Gährungs-
vermögen der einzelnen Hefen gegen die verschiedenen Zuckerarten
und in der Form der Kolonie auf festen Nährböden. Vielen Hefen
eigentümlich ist noch die Ausscheidung einer gelatinösen Substanz,
welche netzförmige Membranen darstellt, in deren Massen die einzelnen
Zellen liegen. Sie ist anscheinend analog der Gallerthülle bei manchen
Bakterien und lässt sich am besten durch Färbung darstellen.
Drittes Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Bakterien
von
Dr. W. Kruse.
A. Definition und Verwandtschaften.
Die Bakterien (F. Cohn) bilden die wichtigste Gruppe der Mikro-
organismen, auf sie passt diese letztere Bezeichnung ganz besonders,
denn sie sind die kleinsten aller bekannten Lebewesen.
Selbst ihre grössten Formen haben einen Durchmesser von nur
wenigen Mikromillimetern (^ = 0,001 mm), während die kleinsten nur
Bruchteile eines Mikromillimeters messen. Ihrer Kleinheit entsprechend
zeigen die Bakterien eine äusserst einfache Organisation. Man bezeichnet
sie gewöhnlich als einzellige Organismen, indessen weichen ihre Ele-
mente von dem typischen Bau der Zelle erheblich ab: vor allen
Dingen ist eine deutliche Unterscheidung von Protoplasma und Kern
bei den Bakterien nicht gelungen. Die Form der Bakterien ist ent-
weder kuglig oder walzenförmig oder schraubig gedreht; diese ein-
zelnen Elemente sind aber sehr häufig zu kleineren Verbänden und
sogar zu dem blossen Auge sichtbaren Kolonien vereinigt. Die Bil-
dung derselben erfolgt durch Wachstum mit nachfolgender einfacher
Teilung in zwei gleiche Hälften, beides Prozesse, die unter günstigen
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 45
Bedingungen meist ausserordentlich schnell, viel schneller als bei anderen
Organismen von statten gehen. Die wesentlichste Vorbedingung dafür
ist das Vorhandensein von gelösten Nährstoffen, denn die Ernährung der
Bakterienzelle geschieht ausschliesslich durch Diffusion von ihrer Ober-
fläche aus, und zwar ohne Vermittlung von Chlorophyllfarbstoff. In dieser
Eigenschaft stimmen die Bakterien mit den Pilzen überein, indessen lässt
sich gegen den von NägelI für unsere Organismen vorgeschlagenen
und vielfach adoptierten Namen der Spaltpilze oder Schizomyceben
doch einwenden, dass dadurch eine zu nahe Verwandtschaft beider
Gruppen, die in den sonstigen Verhältnissen nicht begründet ist, an-
gedeutet wird. Sehr viel inniger sind dagegen die Beziehungen der
Bakterien zu einem anderen Pflanzentypus, nämlich zu der den Algen
zugerechneten Ordnung derPhykochromaceen (Cyanophyceen), die
deswegen von F. Cohn als Spaltpflanzen (Schizophyten) mit Chloro-
phyll den Bakterien als Spaltpflanzen ohne Chlorophyll an die Seite
gestellt worden sind.
Andererseits fehlt es aber auch nicht an Berührungspunkten un-
serer Gruppe mit der Klasse der Protozoen, also Organismen, die als
niederste Tiere bezeichnet werden. In der That, berücksichtigt man
einen Charakter, der vielen Bakterien als wesentliches Merkmal zukommt,
nämlich die Beweglichkeit durch Geissein, so springt sofort
deren Verwandtschaft mit den Flagellaten (Bütschli) hervor. In einem
späteren Abschnitt (vgl. Bd. II, 3.Abschn. l.Kap.) wird auf diese verwandt-
schaftlichen Beziehungen näher eingegangen werden, es wird dort auch
zu begründen sein, warum von den Bakterien im engeren Sinne, denen
allein die folgende Darstellung gewidmet ist, einige häufig dazu gerech-
nete Formen, wie Streptothrix, Crenothrix, Pasteuria und die
sog. Purpurbakterien abgetrennt worden sind.
B. Formen.
Die Grundform der einzelnen Elemente ist bei den Bakterien
eine dreifache: die der Kugel, des Stäbchens und der Schraube
oder besser des Schraubenabschnittes.
Die Beachtung dieser Grundformen hat deswegen eine grosse Be-
deutung, weil daraus in der übergrossen Mehrzahl der Fälle auf die
generische Zugehörigkeit eines Bakteriums geschlossen werden kann:
der Kugelform entspricht die Gattung „Kokkus", der Stäbchenform
der „Bacillus", der Schraubenform das „Spirillum", oder mit anderen
Worten, aus Kügelchen entstehen durch Wachstum und Teilung immer
wieder Kügelchen, aus Stäbchen wieder Stäbchen, aus Schrauben
wieder Schrauben. Dieses morphologische Grundgesetz erleidet
allerdings einige Ausnahmen, die im Folgenden genauer behandelt und
45 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
auf ihren wahren Wert zurückgeführt werden sollen. Inzwischen empfiehlt
es sich, um jedes Missverständnis zu vermeiden, für die Bezeichnung
der Formen die Ausdrücke Kugel, Stäbchen, Schraube u. s. w. zu
benutzen, die Worte Kokkus, Bacillus, Spirillum aber nur als Gattungs-
namen zu gebrauchen.
Neben den Grundformen haben wir die Teilungs- und die zu-
sammengesetzten Formen zu unterscheiden. Während des Wachs-
tums, kurz vor der Teilung, nehmen die Bakterienzellen oft Gestalten
an, die von der Grundform differieren. Ein Kügelchen z. B., das
wächst, streckt sich in die Länge und teilt sich dann in der Ebene, die
dem kürzeren Durchmesser entspricht; es erscheint also zeitweise als
kurzes Stäbchen. Umgekehrt kann ein Stäbchen, das sich teilt, wenn
seine Länge das Doppelte seiner Breite erreicht hat, wie ein Paar von
Kügelchen aussehen. Selbstverständlich sind solche Formen nur schein-
bare Ausnahmen von dem allgemeinen die Morphologie beherrschenden
Gesetz.
Die zusammengesetzten Formen entstehen dadurch, dass
Bakterienzellen nach der Teilung mit einander in mehr oder weniger
enger Verbindung bleiben. Die Art der Verbände ist für die Unter-
abteilungen der Genera von grosser Bedeutung. Je nachdem die Teilung
in einer, zwei oder drei Richtungen des Raumes fortschreitet, gehen
monaxial, diaxial oder triaxial zusammensetzte Formen daraus hervor.
Unter Umständen ist es wegen der engen Verbindung der Elemente
nicht leicht zu entscheiden, ob eine Form aus mehreren zusammen-
gesetzt ist; die Beobachtung mit besten Systemen und bester Beleuch-
tung, in jedem Falle aber die Anwendung von Reagentien (Jod, Alkohol,
Salzlösungen, Farbstoffen) lässt die Zellgrenzen deutlich werden. Man
spricht dann z. B. von Scheinfäden im Gegensatze zu langen unge-
gliederten Stäbchen.
Wenn man von den unregelmässigen Bildungen, die (s. u. E)
gesondert besprochen werden, absieht, ergeben sich folgende morpho-
logische Verhältnisse:
I. Kugelformen (Fig. 7). Hier bestehen erstens Grössenunter-
schiede. Das Minimum liegt etwa bei 0,3 ,</, das Maximum bei 2 — 3[i
im Durchmesser. Die grössten Kokken könnten, wenn man die Teilungs-
verhältnisse nicht berücksichtigt, fast für Hefezellen gehalten werden.
Die isodiametrische Figur ist bei den isolierten Elementen eine so regel-
mässige, dass wir mit unseren optischen Hilfsmitteln kaum Abweichungen
von der Kugelform entdecken. Solche treten allerdings nicht selten
bei den Teilungs- und zusammengesetzten Formen hervor. Wie eine
Lanzette zugespitzt erscheinen häufig die Diplokokken der Pneumonie
(Fig. 7 a), elliptisch die Elemente desselben Mikroorganismus in den
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 47
Ketten, die er bildet. Umgekehrt ist der Gonorrhoe-Kokkus in dem
Durchmesser, der der Wachstumsrichtung entspricht, sernmelförmig
zusammengedrückt (Fig. 7 b). Beim Streptokokkus pyogenes sind die
Glieder der Ketten manchmal fast scheibenförmig. Wie Kugelsek-
toren erscheinen oft die Elemente des Tetragenus, die sich nach zwei
Richtungen des Raumes teilen. Die Einzelzellen der Sarcina können
aussehen wie Würfel mit abgestutzten Ecken (Fig. 7 c). Trotz aller
dieser Abweichungen ist die Kugelgestalt doch der Typus aller dieser
Kokkenarten, der auf der Höhe der Entwicklung immer wieder zum
Vorschein kommt.
In den genannten Beispielen sind schon die verschiedenen Möglich-
keiten aufgeführt, in denen die Kügelchen zu Verbänden zusammen-
treten können. Bei Teilung in einer Richtung gruppieren sich die-
i' %&? ••:•! \\S
t
' ? b. >.>
Fig. 7. Vergr. c. 1000. Verschiedene Kugelfon
selben zu Kugelpaaren und Kugelketten (Diplokokkus und' Strepto-
kokkus1), bei Teilung nach zwei aufeinander senkrechten Axen zu
Tafeln von Kügelchen (Tetragenus oder Merismopedia, Merista1), bei
Teilung nach drei Richtungen zu Packeten von Kügelchen (Sarcina *)).
Gewöhnlich wird zum Unterschied von den bisher genannten Ver-
bänden noch von häufen- oder traubenförmig gruppierten Kügelchen
(Staphylokokken *)) gesprochen. Einer besonderen Art der Wachstum-
richtung entspricht diese Anordnung keineswegs, es handelt sich vielmehr
um Kokken, die sich nach einer, nach zwei, vielleicht auch nach drei Rich-
tungen des Raumes teilen, aber sich bald gegeneinander zu verschieben
pflegen, so dass, wenn die Zellen trotzdem in einem gewissen Zusammen-
hang bleiben, nur unregelmässige Haufen resultieren.
Von einigen Bakterien (z. B. Bac. prodigiosus, pneumoniae, aceticus)
werden mit mehr oder weniger Regelmässigkeit Formen gebildet, die
sich, isoliert und manchmal auch in ketten- oder haufenförmigen Ver-
1) Vgl. Bd. II, 3. Abschn. 1. Kap.
48 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
bänden beobachtet, in keiner Weise von typischen „Kokken" unter-
scheiden. Es sind eben Elemente, die wir vom rein morphologischen
Standpunkte als isodiametrische anerkennen müssen. Nehmen wir da-
gegen die Entwicklungsgeschichte zuhilfe, verfolgen wir sie in Rein-
kulturen unter verschiedenen Bedingungen, so erkennen wir bald ihre
wahre Natur: wir konstatieren einerseits, dass schon unter Verhält-
nissen, die für das Auftreten der kugligen Bildungen besonders günstig
sind, immer wenigstens einige Individuen einen deutlich stäbchen-
artigen Charakter haben, andererseits aber bei richtiger Veränderung
der Versuchsbedingungen die letzteren Elemente geradezu vorherrschen.
Genügen nun diese Thatsachen dazu, das oben aufgestellte morpho-
logische Grundgesetz umzustossen, d. h. die Scheidewand zwischen
Kokken und Bacillen einzureissen, oder sind wir nicht vielmehr in der
Lage, hier nur einen besonderen Fall der allgemeinen Regel anzunehmen
und die Kugel chen des Bac. prodigiosus, des Bacillus pneumoniae
u. s. w. als Kurzstäbchen anzusehen, bei denen die Schnelligkeit der
Teilung die Wachstumsgeschwindigkeit überwiegt? Nichts steht dem
entgegen; weder in den genannten Beispielen noch sonst überhaupt
erweisen sich die von manchen Seiten sog. „Kokken" als Formen, die
unter allen Bedingungen wieder nur Kokken zeugen; niemals wurde
auch bei diesen kugeligen Elementen eine Abweichung von dem ein-
axigen Wachstums- und Teiluugstypus der Bacillen konstatiert. Es
führt uns das zur Betrachtung der
IL Stäbchenformen (Fig. 8). Während bei den kugeligen Bak-
terien, wenigstens morphologisch betrachtet, alle Durchmesser gleich-
wertig sind, gewinnt bei den Stäbchen ein Durchmesser das Übergewicht.
Je nach dem Verhältnis des Längendurchmessers zu dem Dickendurch-
messer unterscheidet man schlanke Stäbchen (etwa 1 : 4 bis 1 : 10)
oder plumpe („Kurzstäbchen", etwa 1 : 2), nach dem Rauminhalt, der
selbstverständlich durch die Dicke des Stäbchens mehr beeinflusst wird
als durch seine Länge, grosse und kleine. Die grössten bekannten
Bacillen, die von J. Frenzel (Z. 11) beschrieben sind, haben bei einer
Länge von 30 ft und einer Breite von 4 [i etwa einen Inhalt von 180 //3,
der Riese unter den pathogenen Bakterien, der Milzbrandbacillus, misst
3,0 : 1,0 (i und 5 [i*, die kleinsten Formen (Infmenzabacillen) bei einem
Axenverhältnis von 0,2 : 0,4 // nur etwa den zehnten Teil eines Kubik-
mikromillimeters. Mit Hilfe der oben gewählten Bezeichnungen lassen
sich auch ohne Angabe genauer Masse die Dimensionen eines Stäbchens
für das praktische Bedürfnis hinreichend genau ausdrücken.
Wie für die Kokken die Kugel, so bildet für die Bacillen die Walze
(der Cylinder) mit kreisförmigem Querschnitt den geometrischen Typus.
Genau entspricht demselben z. B. der Milzbrandbacillus: die Axe ist
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien.
49
eine Gerade, die Seitenlinien sind ihr parallel, die Polflächen sind senk-
recht zur Axe stehende Ebenen (Fig. 8 a). Der Typus wird im wesent-
lichen dadurch nicht yerändert, wenn der Durchmesser der Axe sich
im Verhältnis zum Querdurchmesser verkleinert, vorausgesetzt nur, dass
die Walzenform unverändert beibehalten wird. Es kommt z. B. vor,
dass die Teilstücke eines Scheinfadens ebenso lang sind wie dick,
dennoch wird Niemand anstehen, dieselben als Stäbchen zu bezeichnen.
Ein Beispiel dafür, dass die cylindrischen Elemente relativ noch kürzer,
also scheibenförmig werden, ist unter den echten Bakterien für normale
Fig. 8. Verschiedene Formen von Stäbchen. Die dunkel ausgezogenen sind gefärbt, die
übrigen ungefärbt. Vergr. c. 1000.
Verhältnisse nicht bekannt, es findet sich das aber bei den Oscillarien,
derjenigen Gruppe unter den Spaltalgen, die den Bacillen morphologisch
parallel stehen.
Eine Abweichung vom Typus besteht zunächst darin, dass die
Polflächen der Stäbchen sich abrunden, bei den frei beweglichen Ba-
cillen eine häufige Erscheinung. Früher hat man geglaubt, dass auch
der umgekehrte Fall eintreten könnte: die Milzbrandbacillen sollten
nämlich an den Berührungsflächen konkave Einziehungen zeigen. Johne
hat nachgewiesen, dass es sich hier um Kunstpro clukte handelt, und
dass gerade die Milzbrandstäbchen durchaus typisch geformt sind (vgl.
Milzbrand Bd. II).
Die Axe der Stäbchen kann statt gerade mehr oder weniger ge-
krümmt sein. Wenn solche Krümmungen bei sehr schlanken, kleinen
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 4
50 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Formen (z. B. Mäuseseptikäiniebacillen) vorkommen, so ist das nicht
auffallend, weil die Bakterien ja sämtlich aus einer biegsamen Sub-
stanz bestehen und iira so leichter passive Formveränderungen erleiden,
je kleiner sie sind. Aber auch grössere Formen, namentlich zusammen-
gesetzte, zeigen öfters eine ausgesprochene Neigung zur Abweichung
von der Geraden, so z. B. der Bac. Megatherium (Bd. II). Eine Un-
gleichmässigkeit im Wachstum muss die Ursache davon sein. Ganz
besonders trifft das für gewisse Fälle zu, die wir unter den abnormen
Bildungen später besprechen werden (s. u. E).
Abweichungen vom parallelen Verlauf der seitlichen Konturen-
flächen bei den Stäbchen sind fast stets als Entwicklungsanomalien zu
betrachten. Regelmässig treten nur manche Veränderungen der Form
als Vorstadien der Sporenbildung einiger Bacillen auf. Werden nämlich
Dauerformen gebildet, die einen grösseren Dickendurchmesser besitzeu,
als dem Durchmesser der Mutterzelle entspricht, so schwillt vorher das
Stäbchen spindelförmig oder keulenförmig an (s. u. D). Es sind das
aber immer nur vorübergehende Zustände. Stäbchen, die in ihrer
ganzen Entwicklung die Spindelgestalt beibehielten („Clostridium"),
giebt es nicht.
Eine besondere Stellung nehmen die diphtherieähnlichen Bacillen
ein (vgl. C u. E). Sie bilden zwar auch oft typische Stäbchen, sehr
häufig finden sich aber gerade bei ihnen Abweichungen, die darin be-
stehen, dass die Längsseiten der Stäbchen nicht ganz parallel sind, so
dass keil- und keulenförmige Figuren entstehen (Fig. 8 b).
Die Teilungs- und zusammengesetzten Formen der Bacillen sind
lange nicht so vielgestaltig, wie die der Kokken, weil der einaxige Bau
der ersteren auch das Wachstum und die Teilung nach einer einzigen
Richtung bedingt. Die Axe des Cylinders giebt die Richtung des
Wachstums an, senkrecht zu ihr werden die Teilungsflächen angelegt.
Eine Längsteilung findet niemals statt.1) Aus der Querteilung resul-
tieren Stäbchenpaare, Stäbchenketten. Die letzteren werden, wie oben
bemerkt, Scheinfäden genannt, wenn die Abgrenzung der einzelnen
Zellen eine mehr oder weniger undeutliche ist. Solche Verbände er-
reichen oft sehr erhebliche Längen (bis zu einigen mm). Die Cylinder,
aus denen sie zusammengesetzt sind, behalten dabei ihre Selbständig-
keit, d. h. wenn sie spontan oder künstlich aus dem Verbände gelöst
werden, wachsen sie unabhängig weiter.
Bei einigen Arten von fadenbildenden Bacillen kann man eine
eigentümliche Art der Teilung und des Wachstums beobachten, die als
1) Pasteuria ramosa kann nicht 'zu den Bakterien gerechnet werden (vgl.
Bd. II, 3. Abschn. 1. Kap.)
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 51
Pseudorarnifikation bezeichnet wird. Es findet an einer Stelle des
Scheinfadens zwischen zwei Zellen eine Lösung des Verbandes statt,
die frei gewordenen Pole schieben sich an einander vorbei und beginnen
jedftr für sich ein Wachstum zu entfalten. Unter Umständen entstehen
dadurch verästelte Figuren, wie sie die Abbildung c in Fig. 8 zeigt,
oder aber es treten mannigfach verschlungene Figuren auf. Diese
falsche Zweigbildung ist übrigens weiter verbreitet, als man gewöhnlich
annimmt, besteht z. B. ausser bei Cladothrix auch bei Proteusarten.
Fig. 9. Verschiedene Formen von Schrauben, bei a Kommabacillen.
Die einzelnen Glieder in den Fäden unterscheiden sich der Regel
nach gar nicht von einander, sie wachsen auch nicht etwa blos an der
Spitze, sondern gieichmässig im ganzen Verlauf des Fadens („interkalares
"Wachstum"). Nur bei einigen von Winogeadskt1) gut beschriebenen
Arten, die er Thiothrix benennt, bedingt die relative Lage der Zellen
einen deutlichen Unterschied in der Form und in gewissem Grade auch
in der Funktion. Die Fäden sitzen nämlich an einem Ende auf dem
Substrate fest, während das andere frei in die umgebende Flüssigkeit
hineinragt. Die Zellen der Basis sind breiter und kürzer, die der Spitze
schmaler und länger. Geringer sind die Unterschiede bei der ebenfalls
mit einem Ende festsitzenden und baumförmig verästelten Cladothrix
(Fig. 8 c; vgl. auch Bd. II).
III. Schrauben (Fig. 9). Die morphologischen Verhältnisse dieser
Formen ähneln denen der Stäbchen, insofern als auch die Schrauben
einaxig gebaut sind. Die Dimensionen schwanken in ähnlicher Weise
und wie dort unterscheidet man auch hier schlanke und plumpe, grosse
und kleine Formen.
1) Beiträge zur Morphologie und Physiologie der Bakterien. Leipzig 1888.
4*
52 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Als ein neues Element, das die Gestalt sehr erheblich beeinflusst,
tritt hier die Drehung der Axe hinzu, die regelmässig nach dem
Typus der Schraube erfolgt. Schon bei den kürzesten Formen, den
sog. Kommabacillen (R. Koch) ist dieselbe deutlich: es sind das n^cht
etwa in einer Ebene gekrümmte Stäbchen, sondern kurze Schrauben-
abschnitte. Der Name „Komma" passt deswegen nicht ganz, hat
aber nun einmal in der Sprache Bürgerrecht gewonnen und kann auch
weiterhin verwendet werden, vorausgesetzt dass man sich seiner Bedeutung
bewusst bleibt.
Die Schrauben haben ein verschiedenes Aussehen je nach dem
Querdurchmesser der Schraube und dem Abstände der Schraubengänge
von einander; man spricht danach von eng und fiachgewundenen
Schrauben. Die Drehung kann so stark sein, dass sich die Windungen
fast berühren, und so schwach, dass die Schrauben wie wellige Fäden
aussehen. Der Regel nach ist die Drehung eines Spirillums an allen
Punkten seiner Länge eine gleichrnässige, Abweichungen davon erklären
sich wohl dadurch, dass durch äussere mechanische Einwirkungen ein
Teil des schraubigen Fadens auseinandergezogen wird. Konstant ist da-
gegen die Intensität der Drehung bei einer und derselben Spirillenart
keineswegs (vgl. Kap. „Variabilität").
Eine doppelte Schraubendrehung, bei der auf die grossen Win-
dungen noch kleinere aufgesetzt sind, zeigt die Spirochaete plicatilis
(Fig. 9 c). .
Was für die Teilungs- und zusammengesetzten Formen der Stäb-
chen gilt, gilt in gleicher Weise für die der Schrauben. Paare von
Kommabacillen sieht man meist in der Weise verkettet, dass die beiden
Elemente zusammen eine S-Form bilden, in anderen Fällen liegen sie
aber, wie Fig. 9 b zeigt, £-artig zusammen. Es lässt sich das nur so er-
klären, dass die beiden Zellen, schon im Begriff sich zu trennen, eine
Drehung ihrer ursprünglichen Lage vollzogen haben. Es giebt sehr lange
Schrauben, die aus einer einzigen Zelle bestehen und schraubig gekrümmte
Scheinfäden. Wenn Verbände von Spirillen seltener gefunden werden,
als solche von Bacillen, so liegt das an der den ersteren nie fehlenden
Eigenschaft der Bewegungsfähigkeit.
C. Wachstum und Teilung.
1. Das Wachstum der Bakterien ist der Regel nach von Zweiteilung
gefolgt, und ebenso regelmässig geht der Teilung ein Wachstum vor-
auf; auf dieser Teilung beruht die Vermehrung der Bakterien. Eine
Sporenbildung in dem Sinne, wie wir sie bei Protozoen — namentlich
Sporozoen — und Kryptogamen finden, d. h. eine gleichzeitige oder
schnell hintereinander erfolgende Bildung zahlreicher Keime aus einer
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 53
Zelle, ebenso wie eine geschlechtliche Fortpflanzung, ist nicht beo-
bachtet (Tgl. D).
Der Prozess des Wachstums und der Teilung erfolgt in der Weise,
dass ein Bakterium, das eben aus einer Teilung hervorgegangen ist,
auf das Doppelte seiner Grösse anwächst und sich dann wieder in zwei
gleiche Hälften teilt. Am einfachsten ist dieser Vorgang bei den Ba-
cillen und Spirillen: in der Richtung der Hauptaxe strecken sich die
Elemente in die Länge, sei es in gerader Linie, sei es mit schraubiger
Drehung, ohne eine Veränderung des Dickendurchmessers. Ist das
Doppelte der Länge erreicht, so tritt die Teilung der Quere nach ein
oder richtiger gesagt, dann wird sie perfekt, da man häufig schon in
der noch wachsenden Zelle Andeutungen der bevorstehenden Teilung
erkennen kann. Eine Veränderung der Wachstumsrichtung ist bei der
einmal fest bestimmten Lage der Axe von Bacillen und Spirillen nicht
möglich.
Unter den Kokken giebt es irrten, die sog. Streptokokken (Ketten-
kokken), die ebenfalls Wachstum und Teilung in einer sich gleich-
bleibenden Richtung vollziehen. Wahrscheinlich können aus dem Ver-
bände einer solchen Kette gelöste Elemente nur in dem Durchmesser
weiterwachsen, der ursprünglich mit der Längsaxe der Kette zusammen-
gefallen war. Der ganz sichere Beweis dafür ist natürlich wegen der
isodiametrischen Gestalt der Kokken nicht zu liefern. Andere Kokken-
arten, z. B. der Tetragenus, wachsen abwechselnd in zwei aufeinander
senkrechten Richtungen, wieder andere (Staphylokokken) scheinen mehrere
Teilungsperioden hindurch nach einer Richtung wachsen zu können,
so dass sie kurze Kettchen bilden, teilen sich aber auch senkrecht zu
dieser ersten Richtung, so dass tetragenusartige Verbände entstehen.
Bei den Sarcinaarten endlich sind drei senkrecht zu einander stehende
Wachstumsrichtungen vorhanden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ent-
spricht diesen verschiedenen Modi der Entwicklung die Anordnung der
Moleküle im Innern der Kokken nach 1, 2 oder 3 Axen. Ein Einfluss
auf die jeweilige Wachstumsrichtung durch äussere mechanische Mo-
mente ist deswegen nicht ausgeschlossen.
Bei den Kokken, besonders bei den zweiaxig und dreiaxig gebauten,
ist das Wachstum nicht einfach identisch mit Längenwachstum in der
zur späteren Teilungsebene senkrechten Richtung, sondern es tritt meist
noch ein Dickenwachstum hinzu. Besonders deutlich ist dasselbe bei
den sog. Semmelkokken, deren Elemente halb kugelförmig aus der Teilung
hervorgehen, sich dann zur Kugel ergänzen und häufig in neuer Richtung
teilen. Manchmal teilen sich nicht beide Hälften eines Doppelkokkus
gleichzeitig, die geteilte Hälfte bleibt aber doch mit der ungeteilten
in Verbindung, so dass dreigliedrige Formen entstehen.
54 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Ausserordentlich gross ist die Schnelligkeit, mit der unter
günstigen Bedingungen Wachstum und Teilung der Bakterien erfolgen.
Teils durch direkte Beobachtung, teils durch wiederholte Zählungen
der Keime in einer Kultur mittelst Plattenzüchtung kann man fest-
stellen, dass oft nur 20 — 30 Minuten zwischen zwei Teilungsakten ver-
fliessen. Die gewaltige Vermehrung, die daraus resultiert, lässt sich
zahlenmässig veranschaulichen, wenn man bedenkt, dass ein einziger
Bacillus, der sich alle halbe Stunde teilt, in 24 Stunden 2 48, d. h. viele
Billionen Nachkommen zeugt.
Nach vollendeter Teilung behalten die Elemente entweder im
wesentlichen ihre ursprüngliche Lage — es entstehen dann gerade oder
mehr-weniger gekrümmte Ketten und Scheinfäden — oder sie verschieben
sich gegenseitig; dann bilden sich unregelmässige Gruppen, die sich
in einzelne Elemente auflösen können. Bei den Bakterien aus der Ab-
teilung derDiphtheriebacillen beobachtet man ganz regelmässig nach
der Teilung eine Verschiebung der Teilstücke um einen rechten oder
stumpfen Winkel und bei fortschreitendem Wachstum sogar Parallel-
stellung derselben — es resultieren daraus die für diese Bakterien ganz
charakteristischen, oft pallisadenartigen Häufchen.* Der Grund dafür
liegt wohl in der, wie oben schon bemerkt, etwas asymmetrischen Form
der Bacillen (vgl. Bd. II).
IL Ausser dem beschriebenen gewöhnlichen Modus des Wachstums
und der Teilung, durch die Elemente geliefert werden, die in ihren
Dimensionen immer einander gleich bleiben, kommt, wie es scheint, nur
bei einigen Bacillen eine etwas abweichende Entwicklung vor. Manche
Stäbchenarten, die in ein frisches Medium ausgesät, zuerst üppig in
die Länge wachsen und durch Teilung gleichartige Glieder produzieren,
verlieren allmählich an Wachstumskraft, ohne doch die Teilungsfähig-
keit einzubüssen. Es werden dadurch Stäbchen erzeugt, die immer
kürzer und kürzer und schliesslich sogar kugelförmig werden können.
Ein Vorgang dieser Art ist zuerst beim Bacterium Zopfii (s. Fig. in
Bd. II) beobachtet und sehr verschieden gedeutet worden. Man kann
sich aber bei diesen und bei ähnlichen Spezies (Proteus, Bacterium allan-
toides u. a. s. Bd. II) von dem Vorliegen obigen Thatbestandes durch
fortgesetzte Untersuchung isolierter Keime im hängenden Tropfen ohne
Schwierigkeit überzeugen. Es liegt gar kein Grund vor, die mehr oder
weniger kugelförmigen Endprodukte der Entwicklung als wesentlich
verschieden von den ersten stäbchenförmigen Teilungsgliedern, etwa
als Sporen („Arthrosporen") zu betrachten. Das allmählich mit
Erschöpfung des Nährmaterials langsamer werdende Wachs-
tum bei ungeschwächterTeilungsenergie erklärt die verschiedene
Formbildung. Die aus den letzten Teilungen hervorgegangenen „Kokken"
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 55
wachsen auf neue Nährsubstrate übertragen nicht als Kügelchen weiter,
sondern zu Stäbchen aus, die den ursprünglichen Stäbchen durchaus
ähnlich sind.
III. Während in dem eben angeführten Falle Teilung ohne deut-
liches Wachstuni erfolgt, giebt es zahlreiche Beispiele unter den Bakterien,
wo nach ausgesprochenem und selbst gesteigertem Längen-
wachstum die Teilung ausbleibt. Manchmal tragen die dadurch
— bei Kokken und Bacillen — entstehenden Formen den Charakter
der Anomalie deutlich zur Schau, wir werden darauf bei der Besprechung
der unregelmässigen Bildungen zurückkommen (v. E). Vielfach treten sie
aber ganz regelmässig auf, dahin gehören z. B. die langen Fäden und
Schrauben, die besonders in älteren Bacillen- und Spirillenkulturen zu
finden sind. Es handelt sich hier meist nicht etwa um Verbände, um
Scheinfäden. Die Lebensfähigkeit der Elemente wird durch ihr normales
Aussehen und die oft vorhandene Beweglichkeit bewiesen. Eine Weiter-
entwicklung auf demselben Nährboden bleibt gewöhnlich aus, dagegen
kann man eine solche nach Übertragung in neues Substrat direkt unter
dem Mikroskop beobachten: die ursprünglich homogenen geraden oder
schraubigen Fäden zeigen Teilungslinien und zerfallen in eine Reihe
von kleinen Elementen, die sich dann normal weiter entwickeln. Es
liegt hier offenbar nichts weiter als eine verspätete Teilung vor,
für die man den Ausdruck Segmentierung gebrauchen kann.
IV. Nicht zu verwechseln mit der Segmentierung, durch welche
lebensfähige normale Elemente geschaffen werden, ist der unregelmässige
Zerfall von kürzeren und längeren Bakterienzellen in ungleiche und oft
abnorm gebildete Teilstücke, die Fragmentierung, die in alten
Kulturen zu beobachten ist. Es ist das offenbar ein regressiver Vor-
gang, der hier nur erwähnt sein mag, weil die Möglichkeit nicht aus-
geschlossen werden kann, dass unter günstigen Umständen aus dem
Zerfall noch lebensfähige Keime hervorgehen, die sich durch eine Art
von Verjüngungsprozess, wie wir ihn auch sonst im organischen
Reich antreffen, zu normalen Elementen regenerieren könnten. Wieder
und wieder tauchen in der bakteriologischen Litteratur Angaben auf,
wonach in einer Kultur, die keinerlei normale Elemente mehr enthielt,
doch noch Keime — es sind meist Kügelchen gemeint, die dann den Titel
Kokken oder Arthrosporen erhalten — vorhanden gewesen wären, die die
Lebensfähigkeit solcher Kulturen verbürgt, und die sich sogar unter den
Augen der Beobachter zu gewöhnlichen Bakterien entwickelt hätten.
Die allermeisten dieser Angaben beruhen wohl, wie man sich durch
Kontroiversuche oft überzeugt hat und leicht überzeugen kann, auf
blossen Vermutungen, denn der Beweis dafür ist mit sehr erheblichen
5G Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Schwierigkeiten verknüpft. Immerhin ist der Beweis dagegen für
alle Fälle auch nicht zu liefern.
Eine weitere Art des Wachstums, nämlich diejenige durch
Sprössung, aus welcher verästelte Formen hervorgehen, besprechen
wir unter den unregelmässigen Bildungen (vgl. E).
D. Dauerzustände, Sporenbildung.
Jede Bakterienzelle kann zum Ausgangspunkt einer neuen Generation,
einer neuen Kolonie werden. Jede Zelle wächst und teilt sich, so lange
ihr genügendes Nährmaterial zugeführt wird und sie nicht durch hem-
mende Einflüsse chemischer oder physikalischer Natur betroffen wird.
Letzteres tritt in der Natur und in unseren künstlichen Kulturen früher
oder später immer ein. Von dem Moment, wo ihr Wachstum aufhört,
beginnt eine regressive Veränderung der Bakterienzelle, beginnt das Ab-
sterben: es ist das geradezu ein allgemeines Gesetz, das nur unter
bestimmten Umständen und nur für eine beschränkte Anzahl von
Bakterienarten Ausnahmen erleidet. Die Thatsache lässt sich z. B. für
künstliche Reinkulturen durch wiederholte Platten'kulturen mit nach-
folgender Keimzählung leicht feststellen: man findet im allgemeinen
zuerst ein schnelles Ansteigen der Keimzahl und dann ein Absinken
derselben in verschieden schnellem Tempo. In manchen Fällen, z. B.
beim Diplokokkus der Pneumonie ist nach 24 Stunden währender Züchtung
bei 37° schon das Maximum erreicht, nach weiteren 24 Stunden leben
nur noch wenige Individuen und in den folgenden Tagen stirbt auch
der Rest noch ab. Beim Choleraspirillum erfolgt das Ansteigen der
Keimzahl bis zur Höhe etwa ebenso schnell, der Abfall ist langsamer,
aber immerhin schon in den ersten Tagen sehr deutlich; doch nach
Wochen und Monaten finden sich noch entwicklungsfähige Keime in
der Kultur vor. Die Typhusbacillen zeigen insofern einen anderen
Typus, als vom Gipfelpunkte der Entwicklung an das Absterben nur
sehr langsam und allmählich eintritt. Auf die Umstände, durch die
der Bakterientod bedingt wird, kann hier nicht näher eingegangen
werden (vgl. 2. Abschnitt, 7. Kapitel), in jedem Falle ist die Lebens-
dauer der Bakterienindividuen eine sehr beschränkte. Sucht man dieses
Resultat durch direkte Beobachtung, z. B. im hängenden Tropfen, zu
kontrolieren, so bemerkt man ganz entsprechend den eben gemachten
Angaben, dass bald ein Stillstand in der Vermehrung erreicht wird
und dass von diesem Zeitpunkte an die Elemente wenigstens zum Teil
anfangen ihr normales Aussehen zu verlieren. Die besonderen Formen
dieser Degeneration werden später zu beschreiben sein, oft genug kann
man vom Verschwinden einzelner Zellen sprechen. Es verdient aber
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 57
hervorgehoben zu werden, dass durch die mikroskopische Beobachtung
allein nicht immer festgestellt werden kann, ob eine Kultur noch lebens-
fähige Glieder enthält: einerseits können scheinbar normale Zellen ab-
gestorben, andererseits sichtbar veränderte noch entwicklungsfähig
sein. Ein Grund für die in unseren Beispielen so sehr verschiedene
Widerstandsfähigkeit der unter gleichen Bedingungen entstandenen In-
dividuen einer und derselben Kultur gegenüber den das Absterben
bedingenden Einflüssen ist in morphologischen Merkmalen nicht zu
entdecken, wir müssen uns damit begnügen, individuelle Differenzen
und das Vorkommen ausnahmsweise zu grösserer Resistenz befähigter
Zellen anzunehmen („Ausnahmezellen").
Ganz anders liegen die Dinge bei einer Reihe von Bakterien, die
mit einer besonderen Schutzvorrichtung gegenüber äusseren schädigenden
Momenten begabt sind: es sind das die Bakterien mit endogener
Sporenbildung. Die Sporen sind morpho logisch bestimmt charak-
terisierte Dauerzustände, die von Peety1) zuerst gesehen, von
Pastetjr2) und Billeoth3) in ihrer Bedeutung gewürdigt und von
F. Cohn4) in ihren Haupteigenschaften beschrieben worden sind.
Die Sporen (Fig. 10) erscheinen als kugelige oder ellipsoidischer •
viel stärker als das Bakterienprotoplasma das Licht brechende Körper-
chen ursprünglich im Leibe der sie bildenden Zellen, nachher auch im
freien Zustande. Bei weitem am häufigsten kommen sie den Bacillen
zu, sind aber auch bei Kokken (Hausee' s Lungensarcine. A. M. 42 und
Peove's Mikrokk. ochroleucus. B. B. 4) und bei Spirillen (Peazmowski's
Vibrio rugula: Diss. Leipzig 1880 undSoEOEiN:C.2. 16) beobachtet. Nach
ihrer Form, ihrer Lage und ihren Dimensionen im Verhältnis zur
Mutterzelle, die übrigens bei den einzelnen Spezies ziemlich konstant
sind, kann man folgende Typen unterscheiden (Fig. 10 1—5). Entweder
ist der Querdurchmesser der Spore kleiner resp. ebenso gross als der
ihrer Mutterzelle — die Lage ist dabei eine centrale, polare oder un-
regelmässige. Oder die Spore ist dicker als ihre Mutterzelle — dann ist
sie central gelegen (Spindelform, Clostridiumform), oder an einem Pol
(runde oder ovale Köpfchensporen, Trommeischlägelform), oder un-
regelmässig.
Die Bildung der Sporen erfolgt immer endogen, d. h. im Leibe
1) Pekty, Zur Kenntnis kleinster Lebensformen. 1852. S. 181.
2) Pasteur, Etudes sur la maladie des vers ä soie. 1870. I. p. 168. 228. 256.
Vgl. Htteppe, Formen der Bakterien. Wiesbaden 1886. S. 113 ff.
3) Billroth, Vegetationsformen von Kokkobacteria septica. Berlin 1874 an
vielen Stellen.
4) Cojen's Beitr. z. Biologie d. Pflanzen. Bd. II, H. 2. 1876.
"iS Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
der Bakterienzelle, aber in verschiedener Weise: der gewöhnliche Modus
ist der, dass an einem Punkte des Stäbchens ein glänzendes Körnchen
auftritt, das sich allmählich vergrössert und schliesslich zur Grösse der
Spore heranwächst. Oder es treten mehrere Körnchen auf, die schliess-
lich zu der Sporenanlage verschmelzen, oder es bildet sich in der Zelle
ein Körper, der die Grösse der künftigen Spore hat, aber zuerst blass
ist und erst allmählich den Glanz derselben erreicht.
i ii® i
1 Z. 3 *
Fig. 10. Sporenformen, Sporenbildung, Sporenkeimung. Vergr. 1000 (6—9 über 2000) 1—5. Ver-
schiedene Form u. Lage der Sporen. 6 — 9 Zwei Sporen z. T. verschiedener Grösse iu einem
spindelförmigen Stäbchen hei Bacillus inflatus..(A. Kochi. in— u Bildung der Sporen in zwei
Stäbchen. 15. Auskeimung einer Spore im Äquator. 16. Auskeimung einer Spore am Pol.
17. Auskeimung einer Spore am Pol ohne Abstreifung der Sporenmembran. IS. Allmähliche
Resorption der Sporenmembran bei der Keimung. 19. Auskeimung der innerhalb des Spirillum
endoparagogicum liegenden Sporen (SOROKTH .
Nach der fertigen Bildung der Spore hört gewöhnlich die Mutter-
zelle zu leben auf, sie ist nur noch ein leerer Schlauch, der zerfällt
und die Spore frei lässt. In Ausnahmefällen (Klein: C 7. 440) behält
dagegen die Mutterzelle ihre Lebenskraft, wie aus dem Fortdauern
ihrer Beweglichkeit folgt.
Die Entwicklung der Sporen geschieht stets unter Bedingungen,
die ein weiteres vegetatives Wachstum der Zelle nicht gestatten; sie
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 59
ist gewisserruassen die Reaktion auf eine Wachstumshenimung. Daher
muss die fertige Spore auch erst in andere günstigere Verhältnisse
gelangen, um ein neues Wachstum zu beginnen, um auszukeimen.
Die Art der Auskeimung der Spore ist nicht unregelmässig, sondern
scheint für jede Spezies konstant zu sein. Beobachtet ist dieser Prozess
z. B. beim Milzbrandbacillus. Nach Peazmowski, dessen Schilderung
sich leicht bestätigen lässt, verliert die Spore unter Vergrösserung
ihres Volumens ihre starke Lichtbrechung und streckt sich ein wenig
in die Länge; plötzlich reisst an einem Pole die Membran der Spore
und heraus tritt ein kurzes Stäbchen, an dessen hinterem Ende die
geborstene Membran als ein leerer, etwas kontrahierter Schlauch haften
bleibt. Das Stäbchen wächst noch mehr in die Länge, teilt sich: die
vegetative Entwicklung des Milzbrandbacillus hat damit von neuem be-
gonnen. Der ganze Prozess verläuft bei höherer Temperatur (37°) in 1 bis
wenigen Stunden. Er findet sich in ähnlicher Weise auch beim Butter-
säurebacillus Peazmowski's (Fig. 10 iö). a
Beim Heubacillus (B. subtilis) und verwandten Bacillen unterscheidet
sich die Sporenauskeimung dadurch, dass die Spore an einer Längs-
seite das junge Stäbchen ausschlüpfen lässt. Hier bleibt die leere
Hülle noch längere Zeit wie eine Haube dem Bacillus aufsitzen (Fig. 10 15).
Ein dritter Modus ist nach L. Klein (C. 6) folgender: Die Spore ver-
liert unter Anschwellung ihre Lichtbrechung und streckt sich in die
Länge, ohne dass man das Ausschlüpfen aus einer Sporenhaut bemerkt.
Wahrscheinlich wird dieselbe langsam aufgelöst, ohne Spuren zu hinter-
lassen (Fig. 10 18).
Die Auskeimung der Sporen findet gewöhnlich erst nach ihrem
Freiwerden statt, Soeokin hat indessen bei seinem Spirillum endo-
paragogicum (C. 2.16) die Sporen noch innerhalb ihres Mutterfadens
auskeimen sehen (Fig. 10 19).
Die Bedeutung der Bildung von Sporen verdient noch näher dis-
kutiert zu werden, da dieselben abweichend von unserer Darstellung
gewöhnlich nicht als einfache Dauerzustände, sondern als Frukti-
fikationsformen betrachtet werden. Es ist das letztere durch nichts be-
gründet, denn unter dem Begriffe der Fruktifikation versteht man sonst
immer einen Vorgang, der zu einer Produktion mehrerer, meist zahl-
reicher Keime führt, also in letzter Linie der Vermehrung der Indivi-
duen dient. Sehr häufig sind die neugebildeten Keime freilich nebenbei
durch besondere Schutzorgane gegenüber schädlichen äusseren Einflüssen
ausgezeichnet, also zugleich Dauerzustände. Bei den Bakteriensporen
tritt die letztere Bedeutung ausschliesslich hervor, die sog. „Sporen"
stehen auf einer Stufe wie die von vielen Protozoen gebildeten, nur
der Erhaltung des Individuums dienenden Dauer Cysten. Als einziger
6Q Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Beweis gegen unsere Auffassung könnten die Angaben einiger weniger
Forscher (vgl. A.Koch: B. Z. 88) gelten, wonach von einem Bakterien-
individuuin mehrere Sporen gebildet werden. Es sind das aber meist
nicht zweifellose Fälle, mehr als zwei Sporen werden niemals von einem
Stäbchen entwickelt (vgl. Fig. 10 6 — 9). Über die Berechtigung, den
Dauerzustand der Bakterien als „Spore" zu bezeichnen, lässt sich
streiten, an dem herrschenden Sprachgebrauche dürfte aber nicht leicht
etwas zu ändern sein.
Auch andere Dinge, als die beschriebenen endogen entstehenden
Gebilde, sind von manchen Forschern (de Baky, Hüeppe, van Tieghem)
als Sporen bezeichnet worden, und zwar im Gegensatze zu den erst-
genannten als Arthrosporen, weil sie aus einzelnen Gliedern eines
Bakterienverbandes hervorgehen sollten. Nur sehr wenige und dann
auch noch zweifelhafte Thatsachen lassen sich für diese Annahme ins Feld
führen. Wenn man freilich jede Bakterienzelle, die, ohne Formverände-
rungen, zu erleiden, äusseren Einflüssen gegenüber sich etwas dauerhafter
erweist als die Mehrzahl der übrigen Mitglieder einer Kolonie, Arthro-
spore nennen will, so giebt es diese in jeder Kultur, auch von solchen
Bakterien, die echte endogene Sporen bilden. Es sind das Individuen,
die man vielleicht als Ausnahmezellen bezeichnen könnte. Verlangt
man aber für die Arthrosporen bestimmte morphologische Charaktere
und einen erheblich grösseren Resistenzgrad, so sucht man vergebens
nach Beispielen dafür. Es wird zwar angegeben, dass von den Zellen
des Leuconostoc mesenterio'ides einige in den Ketten regellos
verteilte Glieder etwas „grösser, derbwandiger, mit anscheinend dichterem,
stärker lichtbrechendem Inhalt erfüllt" wären, und dass gerade diese
Elemente ihre Lebensfähigkeit besonders lange behielten. Es ist billig
zu bezweifeln, dass diesen Unterschieden ein erhebliches Gewicht bei-
zulegen ist; ganz ähnliche morphologische Differenzen kann man bei allen
Streptokokken beobachten, sie sind aber dem Grade nach äusserst variabel
und der Nachweis der grösseren Widerstandsfähigkeit für die betreffenden
Elemente ist bisher nicht erbracht. Wie die Entwicklungsverhältnisse
bei dem Bakterium Zopfii liegen, wurde unter C erörtert. VouKurth
ist zwar behauptet worden (B. Z. 83), dass die kugeligen Endprodukte
dem Eintrocknen gegenüber einige Tage länger widerständen; aber auch
wenn man das als einen wesentlichen Unterschied hinnehmen wollte,
ständen der Beobachtung selbst die Erfahrungen Schedtler's (V. 108)
entgegen, nach welchen die runden Formen geradezu geringere Resi-
stenz besitzen sollen.
Weiterhin glaubt Winogradsky (a. a. 0.) „kokkenförmige, stark licht-
brechende" Glieder, die aus dem Zerfall von Stäbchen hervorgehen sollen,
bei Cladothrix dichotoma und Leptothrix ochracea gefunden zu
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. Q\
haben und schreibt ihnen den Charakter von Dauersporen zu. Beobach-
tungen der Auskeimung und Experimente zum Beweise dafür werden
aber auch von diesem Autor nicht angeführt. Von den eigenartigen
Verhältnissen, die bei Crenothrix zu bestehen scheinen, sehen wir hier
ganz ab, da wir diesen Organismus überhaupt nicht zu den eigent-
lichen Bakterien rechnen können (vgl. Bd. II, 3. Abschn. 1. Kap.).
Damit sind aber auch die Beispiele erschöpft, die zum Beweise
einer Arthrosporenbildung beizubringen sind. Die Angaben über der-
artige Bildungen bei Choleraspirillen, Diphtheriebacillen u. s. w. sind als
widerlegt zu betrachten. Man dürfte keinen Fehler begehen, wenn
man diesen Namen aus der bakteriologischen Nomenklatur völlig
striche. Die Möglichkeit, dass unter Umständen durch Fragmentation
der Bakterienzelle keimfähige Produkte entstehen, wurde unter C
schon erwähnt.
E. Unregelmässige Formen.
Jede Abweichung von der normalen Form wird bei den Bakterien
gewöhnlich als Degeneration oder Involution bezeichnet. Als
normale Formen sieht man dabei diejenigen an, die in jungen, auf dem
günstigsten Nährboden gewachsenen Kulturen beobachtet werden. Es
herrscht hier im allgemeinen eine grosse Einförmigkeit. Sobald das
Maximum der Entwicklung überschritten ist, also die Bakterienindivi-
duen älter zu werden beginnen, und andererseits auf Substraten, in
denen das Wachstum von Anfang an ein spärliches ist, pflegen unregel-
mässige Bildungen aufzutreten. Augenscheinlich verdanken* dieselben
hemmenden, schädigenden Einflüssen, wie sie in alten Kulturen durch
die bakteriellen Zersetzungsprodukte (vgl. 2. Abschn. 7. Kap.), in un-
günstigen Nährböden von vornherein gegeben sind, ihren Ursprung.
Man ist wohl meistens berechtigt, den Vorgang als Degeneration
zu benennen, weil die umgeformten oder missgebildeten Elemente eine
gewisse Einbusse an Lebensfähigkeit erleiden. Oft handelt es sich
direkt um absterbende oder abgestorbene Formen, der Nachweis dafür
muss aber in jedem einzelnen Falle erbracht werden; denn aus mor-
phologischen Merkmalen allein kann man, wie schon früher bemerkt
wurde, mit Sicherheit nicht auf den Tod einer Bakterienzelle schliessen.
Z. B. giebt es Formen, die so missgestaltet sind, dass wir ihre Zu-
gehörigkeit zu einem uns bekannten Bakterium kaum zugeben möchten,
und die dennoch durch lebhafte Bewegungen ihr Leben bekunden. Die
Vereinbarkeit von Degeneration mit Lebensfähigkeit wird durch die
Thatsache bewiesen, dass die Entartung vererbbar sein kann (vgl. Kap.
„Variabilität").
62 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Fraglich muss es bisher bleiben, ob nicht unregelmässige Bildungen
umgekehrt durch einen Überschuss an Lebenskraft entstehen können
(„Riesenwuchs" Escheeich1)), ferner ob nicht manche anomale Formen
als Anpassungen der Bakterien an eine besondere Funktion, z. B. an
die Gährthätigkeit (Hueppe, Gährungsformen. L.L. 107) aufzufassen sind.
V
2
Fig. 11. Unregelmassige Bildungen tlnvolutionsl'oimen). Vewgr. c. 1000. 1. Von B. proteus
mirabilis (Hauser). 2. Von Bac. aceticus (Hansen). 3. Spirulinenbildung bei Bac. anthracis
(Petruschky). 4. Involutionsfornien von Bac. balophilus (Russell). 5. Von Spirillum cbolerae
(VAN ERMENGHEM).
Im einzelnen sind etwa folgende bemerkenswerte Abweichungen
von der typischen Form zu verzeichnen (Fig. 11).
In alten Kulturen von Kokken begegnet man oft Individuen von
ausserordentlich verschiedener Grösse, ebenso auch in altem Eiter,
in dem die Staphylokokken nur noch spärlich vorhanden und offenbar
im Absterben begriffen sind. Pneumoniekokken bilden auf Nährböden,
die ihnen wenig zusagen, z. B. auf Blutserum, manchmal höchst sonder-
1) Escherich, Aetiologie und Pathologie der epidemischen Diphtherie. I. Der
Diphtheriebacillus. Wien 1894. S. S4.
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 63
bare Gestalten, die an Hefe erinnern, statt der Lanzett- oft Semmel-
formen, statt Ketten zooglöaartige Massen. Manchmal scheinen sich
die Elemente bei demselben Mikroorganismus nicht die Zeit zur Teilung
zu nehmen und erscheinen als mehr oder weniger lange, unregelmässige
Stäbchen (vgl. Kruse und Pansini: Z. 11. 283 ff.). Auch kolbenförmige
Bildungen hat Babes (Z. 20. 3) bei Streptokokken beobachtet.
Bei Bacillen kommen körnige, kugelige, spindel-, keulen- und
wurstförmige, spiralige und verästelte Gebilde vor, die an Kokken, Hefen,
Monaden, Spirillen oder Streptothrix erinnern können. Die einzelnen
Spezies scheinen sehr verschieden stark zu solchen Missbildungen dispo-
niert zu sein. Einige Beispiele mögen herausgegriffen werden. Der Ba-
cillus halophilus, den Russell (Z.H. 200 ff.) im Golfe von Neapel fand,
ist ein beweglicher, mittelgrosser, ziemlich plumper Bacillus, der in künst-
lichen Nährböden je nach dem Alter der Kultur und der Zusammensetzung
des Substrates verschiedene rundliche, wurstförmige oder monaden-
ähnliche Formen zeigt (Fig. 11 4). Gerade die letzteren sind besonders
interessant, weil sie mit Grund für die Annahme einer Verwandtschaft
der Bakterien mit den einfachsten Monadinen verwertet werden können.
Der Diphtheriebacillus bildet häufig ganz charakteristische keulen-
förmige Anschwellungen an seinen Enden, die von Neissee ursprüng-
lich als „Gonidien" bezeichnet und mit der Fortpflanzung in Verbindung
gebracht, später aber wie auch von den meisten übrigen Autoren als Aus-
druck gestörten Wachstums aufgefasst wurden (Z. 4. 191). Der Bacillus
pyocyaneus wächst in Fleischbrühe mit 0,6 % Borsäurezusatz, wie
Wasseezug (P. 88) und Chaeein gefunden haben und vom Verfasser be-
stätigt werden konnte, zu zickzackförmig, fast spiralig gewundenen Fäden
heran. Es bedeutet das freilich nicht, wie der französische Forscher will,
die Umwandlung der Bacillen in Spirillen, denn von den schönen regel-
mässigen Schraubenwindungen der letzteren sieht man hier nichts; die
Beweglichkeit, die den Spirillen nie fehlt, ist hier auch nur ausnahms-
weise vorhanden. Beim Bac. prodigiosus haben Wasseezug und Ver-
fasser nach 0,2 °/0 Borsäurezusatz ähnliches beobachten können. Haar-
fLechtenähnliche Formen kennt man schon lange aus älteren Kulturen von
fadenbildenden Bacillen, z.B. von Bac. anthracis (Fig. 1.1 3), ferner von
Proteus vulgaris und mirabilis, wo sie als „Spirulinen" bezeichnet
worden sind (Hausee, Fäulnisbakterien. Leipzig 1885; Hueppe, L. L.;
vgl. Fig. 11 1). Störungen des normalen Wachstums sind auch die
sonderbaren Bildungen, die beim Essigbakterium sehr häufig gefunden
werden (Fig. 11 2). Die teils aus kurzen, teils aus langen Gliedern
zusammengesetzten Fäden zeigen deutlich, welche Unregelmässigkeiten
der Teilungsprozess hier erfährt. Ganz besonders interessant sind
die verzweigten Formen (vgl. Fig. 12 11—13), auf die man seit einiger
(34 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Zeit aufmerksam geworden ist; sie finden sich bei Tuberkelbacillen
(Metschnikoff: V. 113;Maffucci: Z. 11; Koppen Jones: C. 17.1; Babes:
Z. 20.3 U.A.), beiDiphtheriebacillen (C.Feänkel: R.95, Babes). nach
Babes auch bei Leprabacillen und sogar bei Streptokokken (vgl. auch
Tetanus, Rotz und Typhus). Dass sie unregelmässige Bildungen sind,
unterliegt kaum einem Zweifel, indessen sind sie deswegen noch nicht
als degenerative, fortpflanzungsunfähige Gebilde zu betrachten. Man
könnte sie hervorgegangen denken (Neisseb: Z. 4.2 u. Babes) aus der
Keimung von Sporen innerhalb der Mutterzelle, wie wTir eine solche
schon beim Spirillum endoparagogicum (s. u. D) kennen gelernt haben.
Aber von hierher gehörigen Bakterien sind gerade Sporen nicht bekannt.
Also bleibt nichts übrig, als die Seitenzweige als echte Sprossungen
des Bakterienleib es anzusehen, wie sie die Regel bilden bei der Gruppe
der Streptothricheen. Es stellt sich bei den genannten Bacillen
dadurch eine Verwandtschaft mit der letzteren Familie heraus. Auch
das Vorkommen keuliger Anschwellungen der Enden ist ein weiteres
gemeinsames Merkmal. Die übrigen Momente, die für eine solche An-
näherung der Streptothricheen an die eigentlichen Bakterien sprechen,
werden wir im systematischen Teile (Bd. II 2. Abschn. u. 3. Abschn.
1. Kap.) zu erörtern haben. Wohl anderer Natur sind die gabeligen
oder mehrfach verzweigten Formen, die wir bei dem Bacillus radici-
cola der Leguminosenwurzeln antreffen. Das sind eigentümliche Um-
Avandlungsprodukte, die sich sehr erheblich von den Bacillen, aus denen
sie hervorgehen, unterscheiden. Durch Auflösung derselben sollen nach
Beobachtungen im hängenden Tropfen typische Stäbchen entstehen (über
ihre Bedeutung vgl. Bd. II).
Spirillen weisen ganz ähnliche Degenerationsformen auf wie Bacil-
len; Fig. 11 5 giebt z. B. diejenigen wieder, die beim Choleraspirillum
vorkommen.
Bisher war nur von Anomalien der Form die Rede, Hand in
Hand damit gehen solche des Inhalts der Bakterienzelle, das Auf-
treten von Körnelungen, andererseits von Vakuolen in dem sonst homo-
genen Bakterienkörper, die verschiedene Reaktion desselben bei der
Behandlung mit Farbstoffen u. s. w. Wir verweisen deswegen auf die
Besprechung bei H.
F. Bewegungsorgane.
Eine grosse Zahl von Bakterien besitzt Eigenbewegung, die durch
besondere Organe, Geissein, vermittelt wird. Schon Ehrenberg hat bei
einem, wenigstens den Spirillen nahe verwandten Mikroorganismus, der
Ophidomonas einen „fadenförmigen Rüssel als Bewegungsorgan" be-
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 55
schrieben. F. Cohn konstatierte dann bei einem grossen echten Spi-
rillum an jedem Ende eine Geissei, die durch ihre Bewegung einen
Strudel erregten (B. B. 1. 2. 183). Dallingee und Deysdale sahen
solche bei kleineren Bacillen. R. Koch wies ihre Existenz durch die
Photographie nach (B. B. 2. 3).
Ein ausserordentlicher Fortschritt wurde durch Löfflee, angebahnt,
der eine allgemein giltige Methode angab, um die Geissein durch
eine Art von Beizung mit nachfolgender Färbung sichtbar zu machen
(C. 7. 20). Mit Hilfe dieses neuen Verfahrens ist es in allen Fällen
gelungen, bei beweglichen Bakterien solche Organe nachzuweisen,
während bei unbeweglichen nichts dergleichen zu finden ist. Damit
kann denn die von manchen Seiten noch als offen betrachtete Frage
(vgl. Hueppe: L. L. 98) nach der Ursache der Bewegung bei unseren Or-
ganismen als erledigt angesehen werden. Die Geissein erscheinen nach
Löfflee gefärbt als sehr zarte Gebilde, die immer ein Vielfaches des
Dickendurchmessers ihres Bakteriums erreichen, von dessen Körper
losgerissen werden und sich zu grösseren zopfartigen Massen vereinigen
können (Fig. 12, 5a; Löfflee: C. 7; Novy: Z. 17. 2). Auf allen, nach
der LöFFLEE'schen Methode gefärbten Präparaten erscheinen die Bak-
terien bedeutend dicker, als wenn sie nach den gewöhnlichen Methoden
dargestellt sind. Möglicherweise hängt das nur mit einer Quellung der
Zellen zusammen. Nach BaBes (Z. 20. 3) ist diese Erscheinung hin-
gegen ein sicheres Zeichen für die Existenz einer Rindenschicht oder
Hülle, von der erst die Geissein ausgehen sollen.1) Ihre Zahl und An-
ordnung ist bei den verschiedenen Spezies eine verschiedene. Man kann
mit Messea'2) folgende Typen aufstellen (Fig. 12. 1 — 5):
Monotricha mit einer einzigen Geissei am Pol,
Amphitricha mit je einer Geissei an beiden Polen,
Lophotricha mit einem Büschel von Geissein an einem Pol,
Peritricha mit einer variablen Zahl von Geissein rings um den
Körper.
Über den Zusammenhang der Geissein mit dem Bakterienkörper
ist wenig zu sagen; voraussetzen muss man, dass die Bewegungsorgane
protoplasmatische Gebilde, nicht einfache Ausläufer einer starren, etwa
1) In manchen Fällen konstatiert man nach Babes sogar noch eine zweite
nach aussen gelegene breite Hülle, die nur schwach gefärbt ist. Die Bilder, auf
die sich der Autor bezieht, sind Jedermann wohl bekannt, aber diese zweite Hülle
fehlt gerade in gut gelungenen, scharf gefärbten Präparaten, man darf sie daher
wohl als ein Produkt der Präparation ansehen (vielleicht durch Verschmelzung
der Cilien entstanden?).
2) Rivista d'igiene e sanitä publica. 1S90. 11.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 5
66
Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
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<^^
Fig. 12. Bewegungsorgane und Bau der Bakterienzelle. Vergr. c. 1000. 1—5. Geisselfärbung.
1. Monotrickes Bacterium (Messea). 2. Lopkotrieke B. 3. u. 4. Ampkitricke B. 5. Hülle mit
Geissein (Babes). 5a. Ein Geisseizopf aus einer Rausckbrandkultur. 6—8. „Bakterium lineola"
(BÜtschli), mit Alkokol fixiert, mit Hämatoxylin gefärbt: Membran, Wabenstruktur des Zell-
körpers und Centralkörper sicktbar. Die durck Hämatoxylin rot gefärbten Körncken liegen
teils im Centralkörper, teils im Plasma. 9. Durck Koeksaizlösung plasmolysierte, fixierte und
gefärbte Bakterien (A.Fischer). 10. Dieselben, nickt plasmolysiert. 11. Verästelte und kenlig
angesckwollene Bacillen (Hüknertnberkulose, Maffdcci). 12. Aknlicke Formen (Dipktkerie und
Pseudodipktkerie, Bares). 13. Knospenbildung(0 und keulige Degenerationsfonnen von Strepto-
kokken (Babes). 14. Aknlicke Formen. 15. Dipbtkeriebacfllen ebenso bekandelt. 16. Ckolera-
spirillen ebenso bekandelt. 17. Wurzelbacillen mitMetkylenblau-Bismarckbraun gefärbt (Ernst).
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. (37
aus Cellulose bestehenden Membran sind. "Wo eine solche existiert,
muss sie also von den Geissein durchbrochen werden; Tkenkmann glaubt
eines seiner Photogramme in diesem Sinne interpretieren zu müssen
(C. 8. 389). Ein Beispiel für den Fall, dass die Membran nur den
äussersten verdichteten Teil des Protoplasmas repräsentiert und wie bei
vielen Flagellaten kontraktil geblieben ist, führt Bütschli (Bau der
Bakterien. Leipzig 90) an; die Geissein scheinen hier von der Membran
auszugehen. In jedem Falle müssen die Geissein wohl als ersetzbar
gedacht werden. Am nächsten liegt die Vorstellung, dass sie eingezogen
und ausgestossen werden können; anders lässt sich wohl kaum die That-
sache erklären, dass die Bakterien in festem (und nicht verflüssigtem)
Nährboden nicht nur keine Bewegung zeigen, sondern auch nicht einmal,
dichtgedrängt wie sie sind, Platz haben, ihre Geissein unterzubringen,
während sie doch in flüssige Medien übertragen vom ersten Moment
an beweglich sind (vgl. A. Fischer: J. w. B. 94). ^
Eine andere Art der Bewegung als durch Geissein, z. B. durch
Kontraktion ihres Leibes, ist bisher bei Bakterien nicht beobachtet
worden. Selbstverständlich findet beim Wachstum auch eine Verschie-
bung von der Stelle statt (Wachstumsbewegung).
G. Kapsel- und Zooglöabildung.
Manche Bakterien besitzen eine breite schleimige Hülle um ihren
Körper, eine sog. Kapsel, die namentlich in fixierten und gefärbten
Präparaten deutlich zu demonstrieren ist, indem sie dann als breiter,
heller oder mehr oder weniger gefärbter Hof das Bakterium umgiebt
(Fig. 13 1 — 3). In einer einzigen Kapsel sind häufig mehrere Bakterien-
individuen, gewöhnlich in Form eines der charakteristischen Verbände
(Paar, Kette, Tetrade), vereinigt. Sehr eigentümlich ist die einseitig
erfolgende Schleimbildung bei dem B. pediculatus (A. Koch und
Hosaeus: C. 16. 6), der dadurch ein gestieltes Aussehen erhält (Fig. 13 4).
Aber auch mehrere solcher Verbände können zu einer Hülle ver-
schmolzen sein. Schliesslich entstehen durch Zusammenlagerung vieler
Individuen ganze Schleimkolonien, sog. Zooglöen. Die Menge und
Konsistenz der Bindemasse wechselt ebenso sehr wie die Form der
1) Über eigentümliche Mikroorganismen mit dicken, schwanzförmigen An-
hängen (Vibrio [?] spermatozoides) s. Löfpler: C. 7. 637 ff. Über spermatozoenartige
Gebilde in Kulturen von typhusähnlichen Bacillen vgl. Gebmano und Maurea:
Zi. 12. 517. Während die Bakterien-Geissein im allgemeinen wellig gekrümmt
sind, erscheinen sie regelmässig kreisförmig gebogen bei der Sarcina mobilis
(M aurea: C. 11. 230).
5*
68
Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
gesamten Kolonie. In stehendem Wasser, das an organischen Stoffen
reich ist, entwickeln sich gewöhnlich solche Zooglöen geradezu massen-
haft. Einige charakteristische Formen seien hier herausgegriffen. Kugelige
Fig. 13. Bakterien in Kapseln u. Zooglöen. 1 — 6 stark, 7—8 schwach vergrössert.
1 — 3. Kapseltragende (gefärbte) Kokken u. Bacillen, i. Gefärbte Stäbchen (a) mit einer stiel-
artig ausgebildeten und verzweigten Hüllsubstanz (Bact. pediculatum [Koch u. Hosaeüs]).
5. Leuconostoc inesenterioides. 6. Myconostoc gregarium. 7. Zoogloea ramigera der Autoren.
8. Ascokokkus Billrothii (Cohn).
Zooglöen von verschiedener Grösse sind sehr gemein, auch eine baum-
artig verästelte Form ist oft als Zoogloea ramigera beschrieben
(Fig. 13 7). Der Ascokokkus Billrothii bildet knorpelartig harte Kolo-
nien, die oft zu Familien vereinigt sind (Fig. 13 s). Meist werden die
Zooglöen zw|tr von gleichartigen Elementen, sei es von Kokken, Bacillen
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 69
oder Spirillen, erzeugt, nicht selten beobachtet man aber auch mehrere
Spezies in einer Gallerte verbunden (R. Koch: B. B. 2. 415). Die Bak-
terien innerhalb einer Zooglöa sind selbstverständlich unbeweglich, mit
Bewegung begabte Arten müssen erst in den ruhenden Zustand über-
gehen, um Schleimkolonien zu bilden.
Wenn man früher auf die Fähigkeit der Bakterien zur natürlichen
Zooglöabildung einen solchen Wert legte, dass Cohn sie geradezu in
zwei Familien: die der Grloeogenae und Nematogenae, einteilte, so
ist das jetzt nicht mehr angängig, weil die künstliche Kultur, bei allen
überhaupt züchtbaren Bakterien die Möglichkeit der Zooglöabildung
bewiesen hat. Denn was sind die Kolonien auf festen Nähr-
böden anders als Zooglöen? Dass aber unsere Mikroorganismen auch
in flüssigen Medien sämtlich Schleim zu secernieren vermögen, beweisen
allein schon die verschiedenen Arten der Bakterienverbände,, wie wir
sie geschildert haben. Die für die Staphylokokken charakteristischen
Häufchen, die Ketten der Streptokokken, die Fäden der Milzbrand-
bacillen sind Ansätze zur Zooglöabildung. Die Bakterienhäutchen, die
sich an den Oberflächen von Nährflüssigkeiten entwickeln, bilden weiter-
hin mit ihrer grösseren Ausdehnung und reichlicheren Produktion von
Zwischensubstanz den Übergang zu den echten, d. h. ursprünglich so
genannten Zooglöen.
Auf die nähere Beschaffenheit der Kolonien in künstlichen Nähr-
böden, die für unsere heutige Systematik eine grosse Bedeutung ge-
wonnen hat, wird im 1. Kap. d. 3. Abschn. d. II. Bd. einzugehen sein.
Die Frage nach der Entstehung der schleimigen Hülle derBakterien
führt uns zur Besprechung des Baues der Bakterienzelle.
H. Bau der Bakterienzelle.
Die Bakterien erscheinen, im frischen Zustande in wässrigen Flüssig-
keiten ohne Zusatz von Reagentien untersucht, mit wenigen Ausnahmen
als leichtgraue, durchaus homogene Körper von geringem Lichtbrechungs-
vermögen, die keine Differenzierung in Kern, Protoplasma und Membran
erkennen lassen. Regelmässig zeigen sie bei genauer Betrachtung einen
helleren, gänzlich farblosen, schmalen Hof, der mit Unrecht von einigen
Autoren als Kapsel bezeichnet wird. Es handelt sich hier vielmehr
um eine rein optische Erscheinung, die man bei kleinsten, nicht organi-
sierten Körnchen aller Art ebenfalls bemerken kann und die, sei es
durch Interferenz, sei es durch Reflexion, von der äusseren Fläche aus
erklärt worden ist (vgl. Nägeli und Schwendener, Das Mikroskop.
Leipzig 1877).
70 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Die eigentliche Kapsel, von der schon im vorhergehenden Kapitel
die Rede war, ist, selbst wenn sie recht stark entwickelt ist, wie z. B.
bei dem Mikrokokkus tetragenus, im frischen Präparat überhaupt nicht
direkt zu sehen, man erkennt sie aber daran, dass die einzelnen Bak-
terienindividuen resp. Verbände, wenn sie frei schwimmen, immer in
einem verhältnismässig grossen Abstände von einander bleiben, also
durch ein unsichtbares Hemnis vor der Berührung bewahrt werden.
Dieses letztere ist eben die Schleimhülle, die erst im fixierten und ge-
färbten Präparat leicht sichtbar gemacht werden kann, neben der aber
der oben erwähnte viel schmälere Lichthof um die Zellkörper herum
deutlich zu erkennen ist. Die Hülle niuss aufgefasst werden als ein
Produkt der Bakterienzelle, das bald reichlicher, bald spärlicher ge-
bildet wird, aber wohl niemals gänzlich fehlt (vgl. G. S. 67). Gewöhnlich
bezeichnet man sie als ein Umwandlungsprodukt der äussersten Zell-
schicht und zwar der Bakterienmembran, deren Existenz freilich
meist ohne weiteres vorausgesetzt wird. Durch die Beobachtung nach-
weisen lässt sich eine solche nur ausnahmsweise, so z. B. bei einigen
sehr grossen Organismen, die von Feenzel (Z. 11) und Bütschli (Bau
derBakterien. Leipzig 1890) als Bakterien beschrieben worden sind; ferner
bei Beggiatoa und Cladothrix. Teenkmann (C. 8) hat bei einem grossen
Spirillum, dessen Geissein durch eine besondere Färbungsmethode sicht-
bar gemacht waren, gefunden, dass diese Bewegungsorgane eine deutlich
vom Bakterienkörper abgehobene Membran durchbohrten.
Für das Vorhandensein einer, wenn auch nur sehr dünnen Membran,
auch bei den kleinsten Bakterien, sprechen einige Thatsachen, die sich
unter günstigen Bedingungen beobachten lassen, nämlich erstens das
Vorkommen von sog. Schatten, d. h. scheinbar leeren, aber doch scharf
begrenzten Bakterienzellen, die in absterbenden Kulturen gefunden
werden und die sich durch Austritt des Plasmas aus einer zurück-
bleibenden Membran erklären lassen.1) Ahnlich ist das Bild bei Bak-
terien, die Sporen entwickelt haben: der Inhalt der Mutterzelle hat
sich völlig in die Spore hinein koncentriert, während ihr Umriss er-
halten geblieben ist. Hierher gehören ferner gewisse Degenerations-
formen, namentlich solche, bei denen offenbar eine Schwellung des Um-
fangs der Zelle eingetreten ist. Manchmal erkennt man bei diesen eine
blasenartig aufgetriebene Membran, andere Male ist von einer eigent-
lichen Auftreibung der Zelle nicht die Rede, der Inhalt scheint sich
1) Bütschli hat diesen Vorgang bei einer den Bakterien nahestehenden grossen
Form, Chromatium Okenii (vgl. Purpurbakterien im 1. Kap. d. 3. Abschn. d.
II. Bds.) durch Druck auf die Zelle unter dem Mikroskop hervorrufen können
(a. a. 0. S. 8).
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 71
vielmehr zusammengezogen und Lücken gebildet zu haben, die teil-
weise nach aussen hin nur von einem zarten Kontur, eben der sup-
ponierten Membran, begrenzt werden. Derartige Vorgänge erinnern an
die Plasmoly s e bei höheren Organismen und können auch hier künstlich
durch Zusatz von starken Salzlösungen zu den frischen Zellen hervor-
gerufen werden (A.Fischer, Ber. der sächs. Ges. der Wiss. Leipzig 1891
u. J. w. B. 94. Fig. 3 9). Sehr häufig verläuft freilich nach des Verf.s Be-
obachtungen die Erscheinung nicht so typisch, wie sie nach Fischers Ab-
bildungen erscheinen könnte. Die Zellen reagieren zwar auf den Zusatz
von Salzlösungen durch Zusammenziehung, dieselbe ist aber eine gleich-
massige und führt nicht zur Abhebung einer Grenzschicht, sondern die
Bakterien erscheinen im ganzen stärker lichtbrechend und kleiner. Auch
mit diesem Bilde Hesse sich die Annahme der Existenz einer Membran
vereinigen. Es wäre nur die Hilfshypothese nötig, dass die Membran
elastisch wäre. Dafür spricht mancherlei. Aus der ausserordentlichen
Biegsamkeit, die die Bakterien, besonders viele spontan bewegliche, bei
Bewegungen zeigen, müsste man schon auf eine solche Beschaffenheit
der Grenzschicht schliessen. Die Elastizität mancher Sporenhüllen wurde
schon früher berührt, man kann sie direkt unter dem Mikroskop kon-
statieren, wenn man sieht, wie vor dem Auskeimen die Spore anschwillt
und wie nach dem Ausschlüpfen des jungen Bacillus die zurückbleibende
Haut sich zusammenzieht. Dass die Membran aber nicht blos aus elas-
tischer, sondern sogar aus kontraktiler Substanz bestehen kann, folgt
aus der Thatsache, dass die Geissein manchmal unmittelbar aus der
Membran entspringen (vgl. u. F).
Wenn nach alledem die Wahrscheinlichkeit besteht, dass den Bak-
terien im allgemeinen eine Membran zukommt, so weist dieselbe in
ihren Eigenschaften doch erhebliche Unterschiede gegenüber der Mem-
bran der Pflanzenzellen auf. Die mikroskopische Cellulosereaktion
gelingt nicht, daher kann auch der Umstand, dass die Bakterien sich
verdünnten Alkalien gegenüber gewöhnlich sehr widerstandsfähig er-
weisen, nicht als Beweis für eine celluloseartige Beschaffenheit der
Membran angesehen werden. Es liegt näher, diese Resistenz auf die
molekulare Konstitution des Bakterienleibes selbst zurückzuführen;
für einige Spezies sind wir gewungen, diese Hypothese anzunehmen,
nämlich für diejenige Bakterien, die bei höheren Temperaturen (50 —
70° C.) wachstumsfähig sind (vgl. 2. Kap. d. 2. Abschn. dies. Bds.).
In demselben Sinne sprechen die Thatsachen, die bezüglich der Er-
haltung der Lebensfähigkeit des Bakterienprotoplasmas nach Ein-
wirkung excessiver Wärmegrade bekannt sind. Von den vegetativen
Formen der Kokken, Bacillen und Spirillen gilt das in gleicher, nur
quantitativ verschiedener Weise, wie von den Sporen. Die ersteren
72 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen,
können Temperaturen von 60°, die letzteren gar von 100° einige Zeit
ertragen, ohne wie sonst alles lebende Protoplasma abgetötet zu werden.
Die in jedem Falle recht zarte Membran kann daran nicht schuld sein,
sondern nur die Beschaffenheit der Leibessubstanz. Ob der Unter-
schied einzig und allein in dem geringeren Wassergehalt der Zelle bei
den Bakterien zu suchen ist, wie das besonders für die Sporen behauptet
worden ist (Lewith: A. P. 26), niuss dahingestellt bleiben.
Was sich mit Hilfe des Mikroskops von Strukturverhältnissen im
Körper der Bakterien sonst entdecken lässt, ist Folgendes. Es hat an
Versuchen nicht gefehlt, die Ergebnisse der neueren Zellenlehre auch
auf unsere Mikroorganismen anzuwenden. So hat z. B. Bütschli bei
einigen Bakterien der grössten Art den „wabigen Bau" des Plasmas,
den er für die Zelle im allgemeinen postuliert, wiedergefunden und
einen sehr voluminösen „Centralkörper" darin als Kern beschrieben
(Fig. 12 6 — 8). Bei den kleineren Bakterien, bei denen die Beobachtung
im Stich lässt, möchte der Autor die Existenz einer sehr «Hinnen Plasma-
schicht um den als Kern aufzufassenden, allein deutlich sichtbaren und
färbbaren Körper herum annehmen. Auch andere Forscher (Klebs,
Huppe: L.L., Frenzel: Z. 11, Wahrlich: r. C. 11.2,Zettnow:C. 10. 21,
Sjöbring: C. 11. 3/4) haben hauptsächlich auf Grund der leichten Tingir-
barkeit der Bakterien durch Kernfärbemittel die Bakterienleiber als
Kerne interpretiert. Uns scheint durch diese, zweifelhaften Analogien
zu Liebe gegebene Deutung wenig gewonnen zu sein. Wenn man
überhaupt das übliche Zellschema als absolut bindend betrachten, also
eine kernlose Zelle nicht gelten lassen will, so liegt es viel näher nach
Analogie mit anderen niedrigstehenden, nicht mit einem unzweifel-
haften Kern versehenen Organismen nach einem Äquivalent des
Kerns im Innern des Körpers zu suchen, als sich aus dem ganzen
sichtbaren Körper ein Monstrum von Kern zu konstruieren, das dann
mit einer Spur unsichtbaren Plasmas umgeben sein soll. An Versuchen
auch nach jener Richtung hin hat es nicht gefehlt, ohne dass freilich
sichere Resultate gewonnen wären. Schottelius (C. 4. 23) unterscheidet
in der Bakterienzelle ein in der Mitte liegendes sehr feines „Kern-
stäbchen", das Farbstoffe intensiver anfnehmen soll, von einer breiten
Schicht weniger stark färbbaren Protoplasmas. Verfasser hat sich Mühe
gegeben, diesen Befund zu bestätigen, hat aber aus frischen Präparaten
eher den Eindruck gewonnen, dass die centrale Zone der Bakterien
von einer weniger lichtbrechenden Substanz eingenommen ist, als von
einem dichteren Kern; im gefärbten Objekt kommen zweifellos Bilder
vor, wie sie Schottelius beschreibt, oft aber auch geradezu entgegen-
gesetzte, d. h. mit stärker gefärbter Aussenschicht und schwächer ge-
färbter Innenschicht. Das würde dann eher mit der Auffassung Migula's
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 73
übereinstimmen, der beim Studium eines grossen Bacillus (C. C. 1. 6)
im Gegensatze zu Bütschli und Schottelius junge Individuen gänzlich
strukturlos fand und bei älteren im Centrum eine grosse Vakuole, die
von unverdaulichen, mit dem Chromatin verwandten Körnchen umgeben
war, konstatierte (vgl. auch A. Fischer, J. w. B. 94).
Noch weiter wie Schottelius gehen Tramububsti und Galeotti,
die bei einem Wasserbacillus nicht nur einen deutlichen Kern, sondern
auch zum ersten Mal eine typische karyokinetische Kernteilung gefunden
haben wollen. Die Figuren, die sie dazu geben, überzeugen gerade
nicht (C. 11. 23).
Nicht einen konstanten, aber doch sehr häufigen Befund bilden
bei vielen Bakterien in der Ein- oder Mehrzahl vorkommende Körner
verdichteten Protoplasmas, die kernfärbende Mittel besonders stark
anziehen (Ernst: Z. 4. 1 und 5. 3; Neisser: Z. 4. 2; Babes: Z. 5. 1 und
20. 3; Bütschli: a. a. 0.; vgl. über die Färbungsverfahren in den „Me-
thoden"). Sie sind teils als Äquivalente des Kerns, teils als Phasen
der Sporenbildung, teils als Produkte der Zelldegeneration aufgefasst
worden, und es ist wohl möglich, dass alle diese Deutungen in ein-
zelnen Fällen zu Recht bestehen, dass wir es also trotz des anscheinend
gleichartigen mikrochemischen Verhaltens mit Bildungen ganz ver-
schiedener Art zu thun haben. Bei der Inkonstanz des Befundes (vgl.
Fig. 12 6, 7, 12 — 17) dürften diese ERNST'schen Körner für die Frage
der Kernhaltigkeit der Bakterien nur von geringerem Interesse sein.
Die Bedeutung der körnigen Elemente im Bakterienkörper für die
Sporenbildung wurde schon in einem früheren Abschnitte besprochen und
ebenda auch der fälschlich als Sporen beschriebenen „Polkörner" (vgl.
Typhusbacillus) und „Arthrosporen" gedacht.
Nach diesen mehr oder weniger hypothetischen Erörterungen, die
durch das grosse theoretische Interesse des Gegenstandes entschuldigt
werden mögen, wäre über den Inhalt der Bakterienzelle noch einiges
zu bemerken. Normalerweise , d. h. unter günstigen Wachstums-
bedingungen erscheint der Körper fast aller Bakterien durchaus homogen.
Eine regelmässige Ausnahme davon machen vor allem die sog. Schwefel-
bakterien (Beggiatoa,Thiothrix) die aus Schwefelwasserstoff den Schwefel
abspalten und als Reservematerial in Form stark glänzender, runder
Körnchen in ihrem Leibe aufspeichern, um ihn erst bei eintretendem
Mangel von Schwefelwasserstoff zu Schwefelsäure zu oxydieren
(Winogradsky : B. Z. 87. 31—37). Hat die Ansammlung von Schwefel
ihren Höhepunkt erreicht, so erscheinen die Bacillenfäden fast schwarz,
von Gliederung in Einzelindividuen ist dann nichts zu sehen. Ist der
Reservestoff aber völlig oxydiert, oder werden die Schwefelkörnchen
durch Alkohol entfernt, so tritt die Struktur wieder hervor, die einzelnen
74 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Stäbchen haben dann ein homogenes Aussehen. Bei absterbenden
Exemplaren werden die Schwefelkörnchen eckig, undeutlich krystalli-
nisch. Auch andere Bakterien verlieren unter Umständen ihr gleich-
massiges Aussehen, bilden Körnchen verschiedener Grösse und blasige
Hohlräume (Vakuolen). Es tritt das physiologischer Weise ein bei der
Vorbereitung zur Sporenbildung (vgl. u. D) und pathologischer Weise
beim Absterben, bei der Degeneration. Am schönsten lassen sich diese
Vorgänge natürlich bei den grössten Arten der Bacillen und Spirillen
beobachten. Die Veränderungen der Form, die das Absterben häufig
begleiten, wurden schon früher besprochen (E).
Das Lichtbrechungsvermögen der Bakterien ist unter normalen
Bedingungen ein massiges, nur die Sporen nehmen durch Verdichtung
ihres Plasmas regelmässig einen sehr starken, Fetttropfen ähnlichen Glanz
an. Aber auch die vegetativen Formen werden unter Umständen stärker
lichtbrechend, wie man sich leicht experimentell überzeugen kann, wenn
man dem frischen Objekt eine koncentriertere , z.B. 5proz. Kochsalz-
lösung zusetzt. Der Vorgang, dessen schon früher unter dem Namen
Plasmolyse (A. Fischer) Erwähnung gethan wurde, verläuft häufig so,
dass eine gleichmässige Zusammenziehung des ganzen Bakterienkörpers
entsteht; bei manchen Individuen tritt dagegen eine Zerreissung in
stärker brechende Teilstücke auf, die durch Lücken von verschiedener
Form von einander getrennt sind (vgl. Fig. 12 9 u. io). Das normale
Aussehen kann durch Zurückgehen auf die ursprüngliche Koncentration
des Mediums wieder hergestellt werden, Der Plasmolyse ähnliche Er-
scheinungen kommen auch spontan in künstlichen oder natürlichen
Kulturen vor. Sie lassen sich aber nur teilweise auf die durch Ver-
dunstung zunehmende Koncentration der Salze in den Nährböden zu-
rückführen. ■ In anderen Fällen handelt es sich um eine Umlagerung
der Substanzen innerhalb des Bakterienleibes, die das Absterben be-
gleitet. Unter den Abbildungen in Fig. 12 n u. 12 sind auch die merk-
würdigen Formen wiedergegeben, die beim Diphtherie-, Tuberkelbacillus
und Verwandten häufig gefunden werden. Die Stäbchen erscheinen,
wie zerhackt in kurze, fast scheibenförmige, die Farben fixierende Ele-
mente („Chromatinbanden").
Der Körper der Bakterien ist im allgemeinen farblos und er-
scheint bei mikroskopischer Beobachtung der einzelnen Elemente auch
dann noch so, wenn durch die Thätigkeit der Bakterien ein Pigment
gebildet wird, das den Kolonien bei Betrachtung mit blossem Auge
oder schwacher Vergrösserung anhaftet, ohne in die Nährlösung sich
zu verbreiten. Der Grund dafür liegt entweder in der schwachen Kon-
centration des Farbstoffes oder in dem Umstände, dass nur die Zooglöa
den letzteren (und zwar in Form von unregelmässigen Körnern) aufge-
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 75
speichert enthält. Nach Schottelius (Biolog. Untersuch, über Prodigiosus.
Leipzig 1887) ist beim Bac. prodigiosus die Zelle selbst ursprünglich blass-
rot und das Pigment findet sich erst später zwischen den Zellen. Bei
den sog. Eisenbakterien (Leptothrix ochracea; Winogeadsky: B. Z. 88)
wird in der die Bakterien umgebenden Scheide, nicht im Innern der Zellen
das in der umgebenden Flüssigkeit gelöste kohlensaure Eisenoxydul als
rotes Eisenoxydhydrat niedergeschlagen; wenn das Wasser auch noch
Schwefelwasserstoff enthält, zugleich Schwefel in körniger Form („Pseudo-
Schwefelbakterien" Winogradsky's).
Bezüglich der den echten Bakterien nahe verwandten chlorophyll-
ha ltigen Mikroorganismen, sowohl der wenigen grünen Formen als der
zahlreichen und vielgestaltigen „Purpurbakterien", sei auf das 1. Kapitel
d. 3. Abschn. d. IL Bds. verwiesen.
Die chemische Zusammensetzung des Bakterienleibes wird in einem
späteren Abschnitte zu besprechen sein (vgl. Kap. 2. d. 2. Abschn.). Uns in-
teressieren hier einige Reaktionen, die für die mikroskopische Unter-
suchung unserer Organismen grosse Bedeutung gehabt haben und noch
haben. Bevor die Färbetechnik so ausgebildet war, wie heutigen Tages,
benutzte man zur Erkennung der Bakterien im Gewebe die Beobach-
tung, dass sie durch verdünnte Alkalien nicht zerstört werden, wäh-
rend die allermeisten organisierten Gebilde dadurch zum Verschwinden
gebracht werden. Es ist das eine Regel, die nur wenige Ausnahmen
zu erleiden scheint. Ein solches Beispiel hat Verfasser in den Bakterien
gefunden, die sehr häufig in den roten Blutkörperchen des Frosches
schmarotzen (Kruse: V. 120). Auch Jodlösung wurde, namentlich
früher, in der Technik viel verwendet, sie färbt die Bakterien gewöhnlich
blassgelb. Nur einige Spezies reagieren darauf mit Blaufärbung und
zeigen dadurch einen Stärkegehalt an (Jodokokkus vaginatus, Bac.'maxi-
mus buccalis [Millek], Bac. Pasteurianus [Hansen], Vibrio Rugula und
Clostridium butyricum vor der Sporenbildung [Peazmowski]).
Praktisch viel wichtiger geworden sind die eigentlichen Färbe-
mittel, besonders die basischen Anilinfarben (vgl. „Methoden"). Die Theorie
der Färbung, die Folgerungen aus Farbenreaktionen auf die Struktur
der Bakterien sind vorläufig noch sehr hypothetischer Natur (vgl.
Unna: C. 3; Hueppe: L.L.). Die Aufstellung „spezifischer" Tinktionen
hat, wie das oben erwähnte Beispiel der EuNST'schen Kernfärbung beweist,
nur zu sehr zweifelhaften Schlüssen geführt. Gewisse Behandlungsmetho-
den, wie die zur Darstellung der Tuberkel- und Leprabacillen feenutzten
und die GKAM'sche Methode, sind so eingreifend, dass man sich immer
die Möglichkeit der Entstehung von Kunstprodukten vor Augen halten
sollte. Die „Kokkothrix"-Forrn einiger Autoren dürfte namentlich hier-
7(3 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
her gehören (Unna1) und Neissee1). Als eine der sicheren Erfahrungen,
die bisher auf diesem Gebiete gewonnen sind, dürfte der Satz gelten,
dass diejenigen Bakterienformen, die sich schwer färben und ebenso
schwer wieder entfärben lassen (die echten Dauersporen und die Tu-
berkelbacillen), im lebenden Zustande eine besondere Resistenz be-
kunden, weniger wohl wegen Vorhandenseins einer widerstandsfähigen
Membran, als wegen der molekularen Beschaffenheit ihrer Sub-
stanz. Die GEAM'sche Färbungsmethode hat, wie man später sehen
wird, nicht nur eine grosse diagnostische Bedeutung, sondern auch einen
gewissen Wert für die Systematik der Bakterien, indessen hat sich
herausgestellt, dass die Reaktion nicht nach Art einer chemischen ent-
weder positiv oder negativ ausfällt, sondern dass Übergänge existieren,
ja dass die einzelne Spezies sich unter Umständen sogar verschieden
verhalten kann (vgl. im speziell. Teil bei Diphtherie, Rhinosklerom,
Bac. coli, malignem Ödem u. a.). Degenerierende Bakterien zeigen gegen-
über den Farben ein von dem typischen durchaus abweichendes Verhalten
(vgl. Beäm: Zi. 7). Sie färben sich entweder gar nicht oder unregel-
mässig, oder schwerer als gewöhnlich; das gilt sowohl für die gewöhn-
lichen Färbungen als für die GßAM'sche und Tuberkelmethode.
J. Kreislauf der Formen, Formkonstanz und Pleomorphismus.
Seit dem Beginn der bakteriologischen Forschung haben sich zweierlei
Anschauungen gegenüber gestanden.2) Die eine, wesentlich vertreten
von F. Cohn (B. B. I. 2; II. 2) und später von R. Koch und seiner
Schule, nahm an, dass sich die Bakterien gleich anderen Organismen in
wohl charakterisierte Arten einreihen Hessen, die sich in ihren biologi-
schen und morphologischen Eigenschaften unveränderlich erhielten.
Namentlich wurde auf die grosse Konstanz der Form des Einzel-
individuums und seiner Verbände hingewiesen und darauf die Gattungen
gegründet. Demgegenüber verfochten Lankestee, Billeoth, "Waeming,
Klebs und besonders Nägeli3) die Ansicht, dass die Bakterien in allen
1) Verh. des Kongr. f. inn. Med. zu Wiesbaden 1886. Vortrag von Unna.
und Diskussion.
2) Vgl. auch die historische Darstellung von Hueppe, Formen der Bakterien.
1886; Löffleb, Vorlesungen üb. die Geschichte u. s. w. Leipzig 87; ferner 1. Kap.
d. 3. Abschn. II. Bds. und das Kapitel ,, Variabilität".
3) Lankester, On a peached colouredBacterium. Quarterly Journ. of microscop.
science 1SJ3 u. 1876; Billeoth, Untersuchungen über die Vegetationsformen von
Coccobacteria septica, 1874; Warming s. b. Hueppe; Klebs, A. P. 4 (1875); Nägeli,
Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrankheiten. München
1877 und Untersuchungen üb. nied. Pilze. München und Leipzig 1882; Zopf, Zur
Morphologie der Spaltpflanzen. Leipzig 1882 und L. 1. Auflage.
Kruse, Allgemeine Morphologie der Bakterien. 77
ihren Eigenschaften ausserordentlich variabel wären und sich geradezu
durch ihren Pleomorphismus auszeichneten, so dass die Aufstellung
von distinkten Spezies zu den grössten Schwierigkeiten gehörte. Die
Entwicklung der bakteriologischen Wissenschaft hat der CoHN'schen
Theorie im grossen und ganzen recht gegeben, namentlich gilt das für
die morphologischen Verhältnisse, die uns hier allein interessieren. Eine
Zeit lang, vor allem unter dem Eindrucke der Zopp'schen Publikationen
mochte es wohl scheinen, als ob dem Pleomorphismus im Reiche der
Bakterien grössere Verbreitung einzuräumen wäre, als das auf Seiten
Cohn's und Koch's geschehen war, indessen erwiesen sich gerade die
Zopp'schen Beobachtungen der Kritik gegenüber nicht als stichhaltig und
deswegen die Analogieschlüsse, die er darauf gründete, als unzulässig. Die
pleomorphen Spezies Zopp's (Beggiatoa alba, roseopersicina, Cladothrix,
Leptothrix u. s. w.) wurden durch Winogkadsky1) je in mehrere ganz
von einander unabhängige Arten zerlegt; es blieb als wirklich pleo-
morphe Art eigentlich nur die Crenothrix polyspora übrig, die schon Cohn
als eine alleinstehende Form von den Bakterien getrennt hatte.
'Nach unserer jetzigen Kenntnis der Dinge ist es erlaubt (vgl. u. B),
als morphologisches Grundgesetz die Konstanz der Form hinzu-
stellen, d. h. kugelige Formen pflanzen sich fort als Kugeln, Stäbchen
als Stäbchen und Schrauben als Schrauben. Damit wird das Wesent-
liche in dem Kreislauf der Formen bezeichnet, und die Berechtigung
der Aufstellung der 3 Gattungen der Kokken, Bacillen und Spirillen
begründet. Freilich erfordert unsere Regel einige Erläuterungen,
die teilweise darin begründet sind, dass die morphologischen Begriffe:
Kugel, Stäbchen, Schraube, gewisse Übergänge zulassen, teilweise
dadurch nötig werden, dass in die reguläre vegetative Entwicklung
der Bakterien Zustände eingeschaltet sind, die entweder besonderen
physiologischen Zwecken dienen oder pathologischer Entstehung sind.
Auf folgende Punkte, die in den vorhergehenden Abschnitten aus-
führlich besprochen sind, ist zu achten:
1. Kokken, die vor der Teilung stehen, können kurzen Stäbchen
gleichen. Bei den Pneumoniekokken sind solche tlbergangsformen
besonders häufig, daher sie auch früher von manchen Seiten als Bacillen
bezeichnet worden sind.
2. Es giebt Bacillenspezies (B. prodigiosus, pneumoniae), bei denen
die Teilung oft das Wachstum überflügelt, so dass vollständig kugelige
Individuen resultieren. Wird die Teilungstendenz vermindert, z. B. durch
Zusatz von Antisepticis zum Nährboden, so werden ausschliesslich
Stäbchen gebildet. Bei echten Kokken findet ähnliches nicht statt.
1) Winogradsky, B. Z. 87 und 88 und Beitr. z. Morph, d. Bakt. Leipz.
78 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
3. Verlangsamtes Wachstum bei fortschreitender Teilung führt bei
einigen echten Bacillen (Proteus, B. Zopfii) unter allmählichem Über-
gänge durch kurze Stäbchen zu kugeligen Formen. Letztere wachsen in
frischen Kulturen wieder zu den ursprünglichen Stäbchen aus.
4. Bei völligem Stillstand des Wachstums findet bei Bacillen unter
Umständen eine Fragmentierung statt, deren fast kugelförmigen Produkte
vielleicht manchmal zur Auskeimung in Stäbchen befähigt sind. Dieser
Prozess ist aber noch nicht als gesichert zu betrachten.
5. Die echten Dauerzustände, die von Bacillen und Spirillen ge-
bildet werden, sind kugelig oder ellipsoidisch. Ihre Struktur, Bestimmung
und Entwicklungsart unterscheiden sie von echten Kokken.
6. Als Degenerationsprodukte treten bei Kokken stäbchenartige,
bei Bacillen kugelige und unregelmässig schraubige, bei Spirillen kugelige
und stäbchenförmige Gebilde auf, die meist einen starken Verlust an
Lebenskraft dokumentieren oder gar ganz entwicklungsunfähig sind.
7. Schliesslich sei noch der Missdeutungen gedacht, zu denen die
Beobachtung mit ungenügenden Instrumenten und unzureichende* oder
allzu eingreifende Präparationsmethoden verleiten. Auf solche Weise
können z. B. Stäbchen und Schrauben als Kugelpaare und Kugelketten
erscheinen.
Die angeführten „Ausnahmen" von der allgemeinen Regel der Form-
konstanz sind nicht derart beschaffen, um die letztere umzustossen. An-
dere Beobachtungen führen hingegen zur Anerkennung noch weiter-
gehender Gesetzmässigkeiten der Formenbildung. Die Wachtunisrichtung
der Elemente, die Anlage der Teilungsebenen, die Konfiguration der
Elementarverbände ist bei jeder Spezies eine ganz bestimmte, unver-
änderliche. Auf Grund dieser Konstanz können wTir bei den Kokken
sogar Untergattungen aufstellen, je nachdem eine, zwei, oder dreiWachs-
tumsaxen vorhanden sind (Streptokokkus, Tetragenus, Sarcina); bei
Bacillen und Spirillen ist das nicht möglich, weil ihre Entwicklung
stets in einer und derselben Richtung erfolgt. Die übrigen morpholo-
gischen Verhältnisse: die absolute Grösse der Elemente, das Verhältnis
ihrer Längen- undDickendimensionen, die Ausbildung von Dauerzuständen,
Bewegungsorganen, Schleimhüllen u. s. w., zeigen zwar auch eine relative
Konstanz, indessen sind die Schwankungen, die hier vorkommen, zum
Teil recht bedeutende. Sie erscheinen in dreierlei Form: entweder sind
sie blos individuell: in einer und derselben Kultur finden sich z. B.
grosse und kleine Individuen neben einander; oder der Einfluss der
Lebensbedingungen auf eine ganze Generation tritt hervor, z. B. in
der Weise, dass dieselbe Spezies auf einem Nährboden nur kleine, auf
einem anderen nur grosse Elemente bildet, oder schliesslich die Ver-
Kruse, Allgemeine Morphologie der Protozoen. 79
änderungen, die auf irgend eine Weise entstanden sind, werden erb-
liche. Diese individuellen Abweichungen, zweitens die Ernährungs-
und Standortsmodifikationen und drittens die eigentlichen Varietäten
werden uns in einem besonderen Kapitel beschäftigen (s. Kap. Variabilität).
Viertes Kapitel.
Allgemeine Morphologie der Protozoen1)
von
Dr. W. Kruse.
Als Protozoen bezeichnet man die einzelligen Organismen, die
tierischen Charakter tragen. Die Abgrenzung derselben gegen die
einzelligen Pflanzen ist aber eine zum Teil willkürliche. Hier halten
wir uns im grossen und ganzen an die BüTSCHLi'sche Definition, doch
ziehen wir ausser den vier Hauptklassen dieses Autors (Sarkodinen,
Mastigophoren, Infusorien, Sporozoen) noch gewisse Mycetozoen (Myxo-
myceten) und die nicht myceltreib enden Chytridiaceen in den Bereich
unserer Besprechung.
Die Protozoen haben fast durchweg bedeutendere Grösse, als die
Bakterien; unter den parasitischen Vertretern der Gruppe, die uns an
dieser Stelle wesentlich interessieren, sind allerdings einige, die in ihrem
Durchmesser nur wenige Tausendstel Millimeter messen (Malariaplas-
modien, Variolaparasiten). Die grössten Spezies können im ausgewachsenen
Zustande dem blossen Auge sichtbare Dimensionen erreichen (Grega-
rinen, Sarkosporidien).
In ihrer Struktur (vgl. Kruse: R. 92. 9) ähneln die Protozoen
den Zellen der höheren Tiere (Metazoen), insofern sie regelmässig einen
Zellleib und Zellkern unterscheiden lassen, wenn auch der Nachweis
des letzteren in manchen Fällen auf Schwierigkeiten stösst (vgl. Malaria-
plasmodien). Zum Teil liegt das daran, dass die Kerne der meisten
1) Vgl. von älteren Werken Letjckart, Parasiten des Menschen. 2. Aufl. 1879 fi'.
und die grundlegende Darstellung von Bütschli in Bronn's Tierreich. Bd. I,
Abt. 1—3. Leipzig u. Heidelberg 1880—88 (3 Bände). Ferner Kruse, Der gegen-
wärtige Stand unserer Kenntnisse von den parasitären Protozoen. Hygienische
Kundschau. Berlin 1892. Nr. 9 u. 11 (S. 357—380 u. 453—485) und den ersten Ab-
schnitt bei Braun (Tierische Parasiten des Menschen. Würzburg 1895). Viel Material
findet sich bei L. PPEiFFER-Weiniar (Protozoen als Krankheitserreger. Jena 1891
und Nachtrag dazu 1895).
gQ Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
parasitischen Protozoen nicht nur absolut, sondern auch verhältnismässig
klein sind und in ihrem Bau oft nicht dem Typus der Metazoenkerne
entsprechen. Die Kernteilung ist in vielen Fällen eine karyokine-
tische, zeigt jedoch auch dann gegenüber der bei höheren Tieren be-
obachteten gewisse Unterschiede. Daneben kommt aber auch direkte
Kernteilung vor. Das Studium gerade dieser Verhältnisse ist durch die
Kleinheit vieler Formen sehr erschwert. — Die Einzahl des Kerns ist die
Regel bei jungen Zellindividuen, doch treffen wir nicht selten mehrere
bis viele Kerne, besonders bei Myxosporidien und Infusorien. Die letztere
Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass häufig Kerne zweierlei Art neben
einander vorhanden sind, nämlich die Macronuclei, die sich nach direktem
Schema teilen und der Ernährung zu dienen scheinen, und die Micro-
nuclei, die sich karyokinetisch vermehren und der Fortpflanzung dienen.
Die Körper form der Protozoen ist entweder amöboid veränder-
lich (Sarkodinen und einige Sporozoen) oder beständig (Mastigophoren,
Infusorien, die meisten Sporozoen) und dann kugelig, elliptisch, ei-,
bim-, herz-, sichelförmig, wurmartig verlängert u. s. f.
Die Zellsubstanz ist entweder gleichmässig, mehr oder weniger
körnig, oder in eine äussere und innere Schicht differenziert. Die äussere
Schicht (Ektoplasma, Ektoderm) kann zähflüssig sein wie bei vielen
Amöben und durch ihre Strömungsbewegung (s. u. Pseudopodien) die
Formveränderungen der Zelle bewirken; regelmässig unterscheidet sie
sich dann von dem übrigen Körper durch ihre homogene Beschaffen-
heit (Hyalo- und Granuloplasma), oder sie hat ein festeres Gefüge und
giebt der Zelle dadurch eine bestimmte Form. Nicht selten scheidet
sie sich dann wieder in eine bewegungsunfähige Oberhaut (Kutikula) und
eine kontraktionsfähige Binnenhaut. Das Entoplasrna (Entoderm) ist
immer zähflüssig und enthält ausser dem Kerne mehr oder weniger
reichliche Körner und häufig auch Vakuolen. Hierher gehören z. B. die
sog. Gregarinenkörner, die sich im polarisierten Lichte wie Stärke-
körner verhalten, in heissem Wasser, nicht in Alkohol lösen, sich mit
Jod braun bis braunviolett, mit Jod und Schwefelsäure weinrot bis
veilchenblau färben, in wässriger Lösung durch Speichel schnell ver-
ändert werden (Paraglykogen, Zooamylum). Andere Granulationen sind
weniger gut bekannt ( vgl.Drepanidium i. spez. Teil B. II). Vakuolen sind
im Körper von Sarkodinen oft so zahlreich vorhanden, dass derselbe eine
schaumige Beschaffenheit erhält; ihr Auftreten hängt manchmal mit
Änderungen in der Zusammensetzung des umgebenden Mediums zusammen
und ist nicht selten ein Zeichen der Degeneration. Nahrungsvakuolen
enthalten corpuskuläre Elemente, die mit Flüssigkeit zugleich von aussen
in das Plasma aufgenommen sind. Kontraktile Vakuolen, die übrigens
bei parasitären Protozoen nicht häufig sind, sind Blasen, die sich perio-
Kruse, Allgemeine Morphologie der Protozoen. gj
disch in Zeiträumen, deren Länge zwischen 3 Sek. und 30 Min. schwankt,
füllen und sich durch Platzen ihrer Wand nach aussen entleeren. Sie
scheinen hauptsächlich der Wasserabscheidung zu dienen, durch die im
Wasser gelösten Stoffe aber auch als Exkretions- und Respirations-
organe zu funktionieren. Auch parasitäre Einschlüsse kommen
im Zellleibe vor (vgl. Hämosporidien des Frosches, Cytamoeba).
Zellfortsätze sind von verschiedener Art. Als Haftorgane
dienen kutikuläre Anhänge des vorderen Körpersegments bei den poly-
cystiden Gregarinen, mit eieren Hilfe die Parasiten an der Darmwand
befestigt sind, und die sie abstossen, wenn sie in den freibewegiiehen
Zustand übergehen. Wahrscheinlich haben die merkwürdigen Pol-
kapseln der Myxosporidien (s. d.) eine ähnliche Bedeutung. Auch die
schwanzartigen Verlängerungen des hinteren Körperendes vieler Flagel-
laten dienen wohl zur Festheftung. Andere Zellfortsätze stellen Bewe-
gungsorgane vor. Die Sarkodinen und ein Teil der Sporozoen bewegen
sich durch stumpfe oder spitze Ausstülpungen ihres amöboiden Ekto-
plasmas, die sog. Pseudopodien (Scheinfüsse), die in Ein- oder Mehr-
zahl vorhanden sind und beständig ihre Lage an der Zellperipherie wech-
seln. Die Mastigophoren und einige Jugendformen der Sarkodinen be-
sitzen an einer (gewöhnlich dem Vorderende) oder mehreren Stellen ihres
Körpers 1 — 6 lange Geis sein (Flagellen), die Infusorien tragen dagegen
auf der ganzen Oberfläche oder wenigstens auf grösseren Strecken der-
selben eine Menge von kleinen, dichtstehenden Wimpern. In einzelnen
Fällen kommen bei diesen beiden Gruppen neben Geissein oder Wimpern
noch zarte, der Länge nach über den Körper hinziehende bewegliche
Häutchen, die sog. undulierenden Membranen, vor. Bei der vierten
Abteilung der Protozoen, den Sporozoen, finden sich meist keine be-
sonderen, der Bewegung dienenden Zellfortsätze l), sie sind aber dennoch zu
Bewegungen befähigt. Teilweise sind dieselben auf Kontraktionen
des Ektoplasmas, die auch den Mastigophoren und Infusorien nicht ganz
fehlen, zurückzuführen. So sind vielleicht die kreisförmigen oder
schlangenähnlichen Bewegungen ihrer Jugendformen (Sichelkeime) zu
erklären. Dazu kommt bei vielen Sporozoen noch eine eigentümliche
Art der Lokomotion, die als Gleit- oder Gregarinenbewegung be-
kannt ist. Sie besteht in einem Vorwärts- oder Rückwärtsgleiten des
Körpers, ohne Formveränderung des letzteren. Möglicherweise wird diese
rätselhafte Bewegung durch einseitige Sekretion einer gallertigen Sub-
stanz, auf der sich die Organismen wie auf einem Stiele vorwärts schieben,
bewirkt (s. spez. System, der Gregariniden Bd. II).
1) Die geisselartigen Gebilde, die bei den Hämosporidien der Vögel und
Menschen beobachtet werden, sind wahrscheinlich Degenerationsprodukte.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 6
82 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Die Ernährung der Protozoen erfolgt entweder mittelst Endos-
rnose durch die Aussenschicht des Körpers hindurch oder durch Intus-
susception fester und flüssiger Stoffe. Der erstere Modus findet sich
hauptsächlich bei der ganzen Gruppe der Sporozoen, der letztere, auch
als tierische Ernährung bezeichnet, bei Sarkodinen, Mastigophoren und
den meisten Infusorien. Bei den Sarkodinen vermitteln die Pseudo-
podien die Aufnahme der Nahrungskörper, indem sie dieselben um-
fliessen und in das Entoplasma hineindrücken. Die mit festem Ekto-
plasma versehenenMastigophoren und Infusorien lassen dagegen die Nähr-
substanz an einer bestimmten Stelle ihres Leibes, der Mundstelle, die
meist vorn gelegen und häufig als eine Vertiefung sichtbar ist, durch
die hier unterbrochene Hautschicht eintreten und können sie nach der
Verdauung an einer anderen Stelle (Afterporus) wieder ausstossen.
Die Vermehrung der Protozoen geschieht durch einfache Teilung
der Zelle in zwei Hälften oder durch Bildung von Sporen. Es ist
das ein Vorgang, der von der Sporulation der Bakterien vollständig
verschieden ist, sich vielmehr der Askosporenbildung bei den Pilzen
nähert. Die „endogenen" Sporen der Bakterien (vgl. vorsteh. Kap.) dienen
nicht der Vermehrung der Individuen, sondern blos ihrer Erhaltung: es
sind Dauerzustände, die mit den Dauerformen mancher Protozoen (Flagel-
laten) in Parallele gestellt werden können. Die Sporen der Protozoen
sind dagegen Keime, die durch den Zerfall einer erwachsenen, grossen
Zelle in viele (wenigstens vier) unter sich gleichartige kleine Teilstücke
entstehen. Der Vorgang der Sporulation ist noch nicht überall in seinen
Einzelheiten bekannt, wahrscheinlich handelt es sich stets um mehrfache,
schnell hintereinander folgende Zweiteilungen. Sehr häufig erfolgt die
Sporenbildung der Protozoen in zwei Absätzen, so dass zuerst Mutter-
sporen und durch deren Zerfall — oft an anderer Stelle und zu anderer
Zeit — Tochtersporen entstehen. Man kann diesen Modus als in-
direkte Sporulationbezeichnen im Gegensatz zu der direkten Sporu-
lation, bei der die Keime durch einen kontinuirlichen Prozess aus der
ursprünglichen Zelle hervorgehen (vgl. Kruse: R. 92. 367).
Die Dauer formen der Protozoen entstehen in der Weise, dass
sich die Zellen mit einer widerstandsfähigen Membran umgeben;
eine Kondensation des Protoplasmas wie bei den Bakterien findet da-
bei nicht statt. Von Dauercysten spricht man, wenn erwachsene
Individuen (unter ungünstigen Lebensverhältnissen) in den Dauerzustand
treten, einerlei ob dieselben (unter günstigen Bedingungen) als solche
wieder auskeimen oder zur Sporulation schreiten. Aber auch die jungen
Keime, die Sporen selbst, werden häufig als Dauerformen gebildet: man
unterscheidet sie danach als Dauersporen von den Nacktsporen
( Gymnosporen), die mit keiner resistenten Hülle versehen sind. Beide Arten
Kruse, Allgemeine Morphologie der Protozoen. 33
können auf dem direkten oder indirekten Wege gebildet werden. Die
Auskeimung der Dauerzustände erfolgt nach Auflösung oder Zer-
sprengung der Membran, die das Resultat äusserer, im Medium liegen-
der Einflüsse (z. B. der Einwirkung von Magen-Darmsäften) ist.
Die Sporen lassen sich ihrer Struktur nach, die bei den Dauer-
sporen erst nach Zerstörung der Schale sichtbar wird, in Amöboid-,
Greissei-, Flimmer- irnd Sichelsporen unterscheiden, je nachdem
sie durch Pseudopodien, Geissein, Flimmercilien oder durch wurmartige
Krümmungen ihres sichelförmigen Körpers beweglich sind. Im grossen
und ganzen entsprechen diese verschiedenen Formen den vier Haupt-
gruppen der Protozoen, nur haben die Geissei- oder, wie sie gewöhnlich
genannt werden, Schwärmsporen eine grössere Verbreitung auch unter
den Sarkodinen (sowie bei Chytridiaceen und Mycetozoen). Ausserdem
kommen amöboide Keime auch bei den Sporozoen vor.
Die Individuen der Protozoen können in verschiedener Weise unter
sich in Beziehung treten. Bei Gregarinen wird nicht selten eine äusser-
liche Vereinigung von 2 — 12 Individuen (Association, Syzygienbil-
dung) beobachtet, die sich jederzeit lösen kann. Plasmodien1) ent-
stehen durch Verschmelzung des Protoplasmas vorher getrennter, gleich-
artiger Individuen (einzelne Sarkodinen und Mycetozoen). Kopulation
(oder einfache Konjugation) nennt man die totale Verschmelzung
zweier gleichartiger Individuen zu einem Körper mit einem einzigen Kern.
Sie scheint in allen Klassen der Protozoen vorzukommen; indessen sind
die Vorgänge dabei nur teilweise genauer verfolgt. Nach Woltebs
(Arch. mikrosk. Anatom. 37. Bd.) fände bei Gregarinen vor der Fusion
der Kerne in beiden kopulierenden Individuen die Ausstossüng eines
Bichtungskörperchens statt. Die Kopulation kann mit oder ohne En-
cystierung verlaufen und ist bald von einfacher Teilung, bald von Spo-
renbildung gefolgt. Geschlechtliche Kopulation, d. h. die totale
Verschmelzung zweier wesentlich ungleichartiger Individuen derselben
Spezies kommt bei parasitisch lebenden Protozoen nicht vor. Partielle
Konjugation heisst der bei Infusorien weit verbreitete Vorgang, bei
dem sich gleichartige Individuen vorübergehend mit einem Teile ihres
Körpers vereinigen, je einen ihrer Mikronuclei mit einander austauschen
und sich wieder von einander trennen. Ausstossüng von Richtungs-
spindeln, Kernauflösung und -Neubildung findet dabei statt.
Über die Systematik der Protozoen und die Methoden zu ihrer
Untersuchung vgl. Bd. IL 4. Abschn.
1) Hiermit nicht zu verwechseln ist der Gemisname der Malariaparasiten
(Plasmodium malariae).
Zweiter Abschnitt.
Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Einleitende Bemerkungen
von
Dr. E. Gotsehlich.
Schon in einer früheren Zeitepoche, wo eingehendere experimen-
telle Untersuchungen über die Lebenseigentünilichkeiten der Pilze fehlten,
und wo man hauptsächlich durch naturphilosophische Spekulationen das
bereits vorhandene lebhafte Interesse an der Bedeutung und Lebens-
weise der Fermentorganismen zu befriedigen suchte, statuierte man für
die Klasse der Pilze eine bestimmte, sehr wichtige Rolle im Haushalt
der Natur und bemühte sich, die beobachteten Lebenserscheinungen der
Pilze mit dieser Rolle in Einklang zu bringen. Durch die zahlreichen
experimentellen Untersuchungen der neueren Zeit ist dann diese früher
entwickelte Idee zwar in ihren Grundzügen bestätigt, aber im Einzelnen
sind erhebliche Abweichungen zu Tage getreten.
Die Ansicht von der teleologischen Funktion und der Bedeutung
der Pilze stützt sich vor allem auf den Chlorophyllmangel derselben
und setzt die Pilze somit in einen starken Gegensatz zu den gesamten
übrigen durch einen Gehalt an Chlorophyll ausgezeichneten Pflanzen.
Während diese letzteren, einschliesslich der den Pilzen* so nahe stehen-
den Algen, ihren Bedarf an Kohlenstoff und Stickstoff der Kohlensäure
und dem Ammoniak oder der Salpetersäure in ihrer Umgebung ent-
nehmen und aus diesen einfachen Verbindungen die komplizierten C-
und N- haltigen Stoffe ihres Organismus mit Hilfe des Chlorophylls auf-
bauen, und während demgemäss für diese Pflanzen die Möglichkeit
besteht, z. B. aus Wasser, welches die nötigen Mineralsubstanzen ent-
hält, und aus C02- und NH3- haltiger Luft ihr Nährmaterial zu assi-
milieren, sind die Pilze durch ihren Chlorophyllmangel zu einer der-
artigen Existenz nicht befähigt, sondern bedürfen vorgebildeter organischer
Substanz, um den Verbrauch ihres Körpers zu decken und neue Körper-
substanz zu bilden. Daher können sie nicht in reinem, nur Mineral-
substanzen enthaltendem Wasser existieren; sie vegetieren vielmehr nur
Gotschlich, Einleitende Bemerkungen. §5
auf totem, N- und C- reichen, organischen Material, namentlich also
auf abgestorbenen Pflanzen- und Tierorganismen, oder sie leben als
Parasiten, ihren pflanzlichen oder tierischen Wirten die zum Leben und
Wachstum nötigen organischen Stoffe entziehend.
Daraus ergiebt sich dann sogleich die Bedeutung der Pilze für
den Haushalt der Natur. Um der chlorophyllhaltigen Vegetation stets
wieder die nötigen einfachen Nährstoffe zuzuführen, bedarf es einer
steten Zerlegung und Auflösung der gebildeten Pflanzensubstanz zu
jenen einfachen Verbindungen. Die gesamte jährlich entstandene und
wieder abgestorbene Vegetation muss in relativ kurzer Zeit so verändert
werden, dass aus den komplizierten Pflanzenstoffen, dem Eiweiss, den
Kohlehydraten, der Cellulose wieder Wasser, Kohlensäure und Ammoniak
entsteht; nur unter dieser Bedingung ist eine stetig fortgehende Er-
neuerung der Vegetation denkbar. Nun fällt zwar ein Teil dieser zer-
störenden Arbeit dem tierischen Organismus zu; die tierische Zelle
spaltet die aufgenommenen pflanzlichen Stoffe und überliefert sie der
Oxydation. Die Energie, welche in den komplizierten chemischen Ver-
bindungen der Pflanze dadurch aufgehäuft war, dass die Pflanze mit
Hilfe des Chlorophylls die Arbeit der Lichtstrahlen in chemische Spann-
kraft umsetzte, wird dabei vom tierischen Organismus verbraucht und
zur Wärmeproduktion und zu den verschiedenen Leistungen des Körpers
benutzt. Aber dieser Konsum der pflanzlichen Substanz durch tierische
Organismen reicht bei weitem nicht aus, um der ganzen Produktion
pflanzlicher Stoffe das Gleichgewicht und die Menge der einfachen
Nährstoffe der Pflanzen auf solcher Höhe zu halten, dass sie für Er-
nährung und Wachstum immer neuer Vegetationen ausreichen. Es
muss offenbar im Haushalt der Natur noch ein anderer Faktor vor-
handen sein, durch den eine viel umfangreichere Zerstörung toter pflanz-
licher Substanz und eine viel stärkere Bildung von C02 und NH3
statthat, als durch den Lebensprozess der Tiere; und es tritt diese Not-
wendigkeit um so schärfer hervor, seit man erkannt hat, dass das ein-
fache Nebeneinandersein der meisten organischen Stoffe und des atmo-
sphärischen Sauerstoffs bei gewöhnlicher Temperatur nur zu einer kaum
merklichen Oxydation führt, dass vielmehr erst die lebendige Zelle die
Bedingungen für eine rasche Zerstörung und Oxydation organischer
Stoffe liefert. Weiter muss die Forderung erhoben werden, dass auch
die Substanz der toten tierischen Körper einem zerstörenden und auf-
lösenden Einfluss ausgesetzt ist, der hier ganz in demselben Sinne wirkt
wie bei der pflanzlichen toten Substanz; denn auch den tierischen or-
ganischen Stoffen gegenüber sehen wir den atmosphärischen Sauerstoff
relativ machtlos und ungeeignet, deren Umwandlung in C02, NH3 und
Wasser zu bewirken.
3(J Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
In diese gefahrdrohende Lücke in dem steten Regeneration spro-
zess der Natur greifen nun die niederen Pilze ein. Sie bilden den not-
wendigen Faktor, der eine rasche Zersetzung und Oxydation toter or-
ganischer Substanz, tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, ermöglicht
und in grösstem Umfauge immer wieder die einfachen C- und N- Ver-
bindungen herstellt, deren die lebende wachsende Pflanze als Nahrung
bedarf. Die Pilze sind zu dieser Rolle befähigt gerade dadurch, dass
sie nicht wie die anderen chlorophyllhaltigen Pflanzen die Energie der
Sonne auszunützen und sich von C02 und NHS zu nähren vermögen,
sondern dass sie gleich den Tieren komplizierte chemische Verbindungen
verarbeiten, deren Spannkraftvorrat ihnen das Material zu ihren Lei-
stungen liefert. Sie sind weiter dazu befähigt durch die weiten Grenzen,
innerhalb deren ihre äusseren Existenzbedingungen ohne Schaden
schwanken können; dann durch ihre unglaublich rasche Vermehrung.
für welche sie in kurzer Zeit eine bedeutende Masse von Nährstoffen
verbrauchen; ferner noch dadurch, dass sie unter gewissen Umständen
doch nur einen relativ sehr kleinen Bruchteil der Nährstoffe für das
eigene Wachstum verwenden, dagegen einen vielfach grösseren durch
die ihnen eigentümliche Gährwirkung oberflächlich zersetzen und zu
weiterer Oxydation geeignet machen. Es ist schliesslich gleichsam
nur als eine wenig auffällige Verschiebung ihrer Funktion anzusehen,
wenn sie gelegentlich als Parasiten schon auf lebenden Pflanzen oder
Tieren sich ansiedeln und diesen Vernichtung bringen, indem sie in
kürzester Frist die organischen Körperbestandteile ihrer Wirte zu ein-
fachsten chemischen Verbindungen auflösen.
Entsprechend dieser ganzen Auffassung von der Funktion und Be-
deutung der Pilze muss das wesentlichste Merkmal ihrer physiologischen
Eigentümlichkeit in der Ernährung durch komplizierte organische Sub-
stanz und in dem Unvermögen, den C und N aus C02 und NH3 zu
assimilieren, gesucht werden. Von dieser Eigenschaft gingen daher
frühere Untersuchungen als einer sicheren Thatsache aus.
Pasteur war der Erste, welcher exakte experimentelle Untersuch-
ungen über die Biologie der Pilze anstellte; diese aber ergaben Resultate,
welche in mancher Beziehung von den bis dahin geltenden Anschau-
ungen abwichen. Pasteur zeigte vor allem, dass Hefe und Schimmel-
pilze insofern auch in einer den höheren Pflanzen ähnlichen Weise zu
leben vermögen, als sie den Stickstoff aus Ammoniaksalzen und selbst
aus Nitraten zu assimilieren und so, gerade wie chlorophyllhaltige
Pflanzen, die komplizierten eiweisshaltigen Substanzen ihres Körpers
aus einfachem Material aufzubauen vermögen. Weiter fand man, dass
verschiedene Pilze ein sehr differentes biologisches Verhalten zeigen,
dass die einen des Sauerstoffs bedürfen und rasche Oxydationen aus-
Gotschlich, Einleitende Bemerkungen. 87
führen, andere ohne Sauerstoff zu leben vermögen und dann oft um-
fangreiche, aber oberflächliche Spaltung des Nährmaterials bewirken,
dass nur gewisse Pilze sauere Reaktion und starke Koncentration des
Nährmediums ertragen; dass sie bei sehr verschiedenen Temperaturen
am üppigsten gedeihen; dass die einen diese, die anderen jene Nähr-
substanzen bevorzugen, und dass auch nicht alle gleich gut den N des
NH3 und der HN03 zu verwerten im stände sind, dass. endlich sogar
ein und dieselben Pilze unter wechselnden äusseren Bedingungen in
ihrem Stoff- und Kraftwechsel sich ganz verschieden verhalten.
Durch diese Resultate der experimentellen Forschung wurde zwar
die früher konstruierte Ansicht über die Bedeutung der Pilze für die
übrige belebte Natur nicht völlig erschüttert. Denn nach wie vor steht
es fest, dass sämtliche niedere Pilze auch von komplizierten chemischen
Stoffen zu leben vermögen, dass diese sogar das bevorzugte Nährmaterial
bilden, und dass daher die Zerstörung der toten organischen Substanz
wesentlich durch Pilze erfolgt; ferner dass C02 von keiner Art (mit
einziger Ausnahme der später eingehend zu behandelnden nitrifizieren-
den Mikroorganismen Hueppe's und WinogeAdsky's) zur Assimilation
und zum Aufbau verwendet werden kann. Aber das physiologische
Verhalten, durch welches sie zu ihrer eigentümlichen Rolle befähigt
werden, erscheint nicht mehr als ein so einfaches, mit wenigen Worten
zu definierendes, sondern setzt sich zusammen aus einer Menge von ge-
sondert zu betrachtenden Vorgängen, die je nach der Art der Pilze und
nach den äusseren Bedingungen, unter denen sie sich befinden, erheblich
variieren. Wir können uns daher nicht mehr mit einer allgemeinen
Formel begnügen, wenn wir einen Einblick in die Lebensersoheinungen
der Pilze gewinnen wollen, sondern wir müssen induktiv verfahren und
aus einer grossen Reihe von Einzelbeobachtungen und Einzelexperimenten
das Leben der niederen Organismen zu erkennen suchen. Und auch
an dieser Stelle werden wir demgemäss der Biologie der Pilze eine ein-
gehende und detaillierte Erörterung widmen müssen, um so mehr, als
diese Seite der mykologischen Forschung für die Hygiene von ganz
hervorragender Wichtigkeit ist.
Die gesamten biologischen Erscheinungen, die an den Pilzen zur
Beobachtung gelangen, werden zweckmässig in ähnlicher Weise dem
experimentellen Studium unterworfen, wie die Lebenserscheinungen der
komplizierteren Organismen, der Tiere oder höheren Pflanzen. Wenn
wir die letzteren als Paradigma zu Grunde legen, so gehen wir im Grunde
vom Komplizierteren zum Einfacheren zurück; es ist wahrscheinlich, dass
manche biologische Probleme, die trotz zahlreichster Untersuchungen
gg Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
am komplizierten Organismus unlösbar waren, an diesen einfachsten
Lebewesen weit eher zur Lösung gelangen, und dass somit in späterer
Zeit die Biologie der Pilze ein Licht auf die Biologie höherer Geschöpfe
reflektieren wird, wenn wir auch einstweilen die an diesen gelernten
Erkenntnismethoden benutzen.
Wollen wir den Stoffwechsel irgend eines komplizierteren Organis-
mus in Betracht ziehen, so pflegen wir durch verschieden variierte
Ernährungs- und Stoffwechselversuche zunächst die Art und Menge der
Stoffe zu bestimmen, welche derselbe von aussen aufnimmt, und die
sonstigen äusseren Bedingungen zu normieren, die zum geregelten Ab-
lauf des Lebens notwendig sind; ferner untersuchen wir die Schicksale
und die Verwendung der aufgenommenen Nährstoffe im Körper, die
Ausscheidungsprodukte und endlich die Leistungen des Organismus
und sind auf diese Weise in Stand gesetzt eine Bilanz zu ziehen, die
darüber aufklärt, welche stoffliche Veränderungen und welche Kraft-
umsetzungen die Grundlagen des Lebens jenes Organismus ausmachen.
In ganz ähnlicher Weise werden wir die Biologie der niederen
Pilze zergliedern müssen. Auch für diese haben wir zunächst die not-
wendigen Lebensbedingungen experimentell zu ermitteln; es fragt
sich, welche festen Nährstoffe den Pilzen geboten werden müssen, welche
Rolle der Sauersoff spielt, ob Temperatur, Luftdruck, Licht u. s. w. von
merkbarem Einfluss auf Wachstum und Vermehrung der Pilze sind.
Zweitens sind dann die Lebensäusserungen der niederen Pilze
zu erörtern. Als solche lernen wir die Atmung, die Assimilierung des
Nährmaterials, die Stoffumwandlungen in den Zellen und gleichzeitig
damit verschiedene Kraftleistungen, z. B. Lokomotion, Licht- oder Wärme-
entwicklung, Wachstum, Vermehrung und Fruktifikation kennen;
ferner scheiden die Pilze gewisse Stoffwechselprodukte aus, die von be-
sonderem Interesse sind; endlich äussern sie unter Umständen zwei
eigentümliche Wirkungen, nämlich die Gährwirkung und die Krank-
heitserregung, die eingehende Betrachtung in besonderen Ab-
schnitten erfordern.
Die Erörterung der Lebensbedingungen schliesst eigentlich bereits
eine Besprechung der das Leben schädigenden und störenden Einflüsse
in sich. Es erscheint jedoch zweckmässig, in einem gesonderten Ab-
schnitt die Erscheinungen der Involution und des Todes der niederen
Pilze, sowie derjenigen Mittel spezieller zu besprechen, welche zu einer
Wachstumshemmung oder Vernichtung der Pilze führen können. Es
sind diese Mittel identisch mit den desinfizierenden Agentien, welche
neuerdings so grosse Bedeutung erlangt haben.
Endlich sind die Untersuchungen über die Biologie der niederen Pilze
auch noch über das einzelne Individuum hinaus auszudehnen, und das
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 89
Verhalten einer fortlaufenden Reihe von Individuen ist in Betracht zu
zu ziehen. Das Auftreten von Modifikationen, Varietäten, Rassen und
Arten ist es namentlich, das in dieser Richtung unsere Aufmerksamkeit
in Anspruch nehmen muss.
Die gesamten im Folgenden gegebenen biologischen Erörterungen
sind lediglich auf die hygienisch wichtigsten niederen Pilze (Schimmel-
pilze, Hefepilze und Spaltpilze) beschränkt; bezüglich anderer Pilze,
welche in die vorstehende morphologische Übersicht mit aufgenommen
sind, muss auf de Baky's vortreffliche Darstellung der Morphologie
und Biologie der Pilze verwiesen werden.
Erstes Kapitel.
Lebensbedingungen der Mikroorganismen
von
Dr. E. Gotschlich.
Für ein Verständnis der äusseren Lebensbedingungen ist es zunächst
erforderlich, die physikalische und insbesondere die chemische Be-
schaffenheit des Zellleibes der Mikroorganismen kennen zu lernen.
Sodann sind vor allem die Nährstoffe der Mikroben zu ermitteln,
Bedeutung und Wert jedes einzelnen, sowie auch der Mengenverhält-
nisse, der Koncentration und Reaktion des Nährgemisches zu prüfen.
Neben der Lehre von der Ernährung, welche die chemischen Lebens-
substrate der Mikroorganismen aufdeckt, ist nun aber auch noch der
nicht minder wichtige Einffuss physikalischer Faktoren zu prüfen;
endlich kommen die Einwirkungen, welche die Mikroorganismen wechsel-
seitig auf einander ausüben, die Konkurrenz derselben unter einander
in Betracht.
In vielen dieser Punkte zeigen nun aber die Schimmel-, Spross-
und Spaltpilze so durchgreifende Verschiedenheiten, dass es zuweilen
zweckmässig erscheint, innerhalb der grösseren Abschnitte eine getrennte
Behandlung dieser drei Klassen von Lebewesen vorzunehmen.
A. Physikalische Beschaffenheit des Zellleibes der Mikroorganismen.
Über die physikalische Beschaffenheit des Zellleibes der Mikroorga-
nismen, soweit sie sich nicht schon dem rein morphologischen Studium
erschliesst, ist nur wenig bekannt. Folgendes wäre etwa anzuführen:
Amann (C. 13. 775) konnte nachweisen, dass manche Bakterienmem-
branen ihrem optischen Verhalten nach doppelbrechend sind; mit Ma-
90 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
lachitgrün oder nach Gram gefärbte Milzbrandbacillen zeigen nämlich Pleochro'fs-
mus, und zwar erscheinen sie in demjenigen Bilde, in welchem Schwingungsebene
des polarisierten Lichtes und Längsrichtung des Bacillus zusammenfallen, heller,
als wenn beide sich kreuzen. Sie verhalten sich also pleochroi'tisch wie eine mit
Chlorzinkjod gefärbte Cellulosemembran.
Über die osmotische Spannung des Zellsaftes und die dios-
motischen Eigenschaften der Membran von Bakterien geben Ver-
suche mit Plasmolyse der Bakterienzelle Aufschluss. Unter Plas-
molyse versteht man das Zurückweichen des Plasmas von der Zellwand
unter dem Einfluss wasserentziehender Mittel, wobei jedoch das Plasma
nicht abstirbt, sondern sich nach Auswaschen der wasserentziehenden
Substanz wieder normal ausdehnen und an die Zell wand anlegen kann;
die Plasmolyse lässt sich nur an lebenden Bakterien beobachten. Bei
längerem Verweilen in der wasserentziehenden Lösung kann die Plas-
molyse entweder dauernd bestehen bleiben, wie dies z. B. von de Veies
für Zellen höherer Pflanzen, von Klebs für Algen, Moose etc. festgestellt
ist, oder es tritt ein Rückgang der Plasmolyse ein, wie es von Janse
an einer Chaetomorpha und einer Spirogyra, sowie von Wielee an Keim-
lingen von Phaseolus, Vicia etc. beobachtet wurde.
Das verschiedene Verhalten der Zellen hierbei beruht entweder
darauf, dass die Zellmembran für die gelösten Stoffe im einen Falle un-
durchlässig, im anderen durchlässig ist, oder auf einem verschiedenen Ver-
mögen des kontrahierten Protoplasten, selbst osmotisch wirksame Stoffe
zu produzieren und so seine Turgorkraft zu steigern. Das Verhalten
beim Rückgang der Plasmolyse lässt also gewisse Schlüsse auf die Per-
meabilität des Bakterienplasmas zu. In dieser Beziehung fand A. Fischee
(Unters, üb. Bakterien. Berlin 1894. 9 ff.), dass bei allen untersuchten
Arten, Cladothrix dichotoma, Spirillum undula, Vibrio choler. asiat.,
Vibrio Metschnikoff. Bac. typh. abd.,Bac. cyanogen. und Bac. fiuorescens,
die Plasmolyse in KN03-, NaCl-, NH4C1- und Rohrzuckerlösungen voll-
ständig wieder zurückgeht. Dieser Rückgang kann nicht auf zelleigener
Steigerung der Turgorkraft beruhen, sondern muss durch Übergang der
gelösten Stoffe in das Plasma erklärt werden. Denn abgesehen davon,
dass die Zeit von wenigen Minuten, innerhalb deren oft die Rückbildung
erfolgt, zur Erzeugung der erforderlichen Menge osmotisch wirksamer
Stoffe kaum ausreichend erscheint, so müsste auch die Plasmolyse in
schwächeren Lösungen schneller zurückgehen, als in koncentrierteren, weil
die aktive Drucksteigerung in der Zelle im ersten Falle viel geringer
zu sein braucht; gerade das Umgekehrte ist aber der Fall: in kon-
centrierteren Lösungen erfolgt der Rückgang viel schneller, was sich
durch die Annahme einer Diffusion der gelösten Stoffe in das Plasma
sehr wohl erklärt. Diese eingedrungenen gelösten Stoffe können auch
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 91
ebenso leicht wieder durch Auswaschen entfernt werden und hierdurch,
wie der Versuch zeigt, Bakterien, in denen soeben erst die Plasmolyse
zurückgegangen ist, sofort wieder zu einer neuen Plasmolyse befähigt
werden. Endlich müsste auch, wenn es sich um eine aktive Druck-
steigerung in der Zelle handelte, der Rückgang der Plasmolysen in iso-
tonischen Lösungen verschiedener Stoffe in annähernd gleicher Zeit
erfolgen, dies ist aber nicht der Fall; das Bakterienplasma ist also für
verschiedene Stoffe in sehr verschiedenem Grade permeabel. Manche
Stoffe dringen sehr schwierig ein; so hatte A. Fischer schon früher
(Ber. d. Kgl. sächs. Ges. d. Wiss. math.-phys. Kl. 1891) nachgewiesen,
dass plasmolysierte Bakterien durch lproz. Osmiumsäure, Iproz. Sublimat
oder 20 °/0 Alkohol nicht fixiert werden können, weil während der langen
Eindringungsdauer dieser Stoffe die Plasmolyse mehr oder minder voll-
ständig wieder zurückgeht; auch Jod dringt sehr schwierig ein. Da-
gegen dringt Vio koncentrierte Gährungsmilchsäure fast augenblicklich
ein. Ausserdem ergaben sich im Verhalten verschiedener Bakterien gegen
eine und dieselbe Substanz interessante Artdifferenzen; so ist z. B. Bac.
fluorescens viel weniger permeabel fürKN03, als die anderen unter-
suchten Arten; ferner zeigt der Choleravibrio eine besonders grosse
Permeabilität für NaCl.
Die Geissein beweglicher Bakterien werden ausnahmslos erst durch
weit koncentriertere Lösungen plasmolysiert, als das Plasma des Zell-
leibes; Bakterien, die schon eine vollständige Plasmolyse ihrer Leibes-
substanz zeigen, können sich, wie A. Fischer gezeigt hat, nichtsdesto-
weniger in ungestörter Eigenbewegung befinden; erst in stärker kon-
centrierten Lösungen erlischt die Bewegung, kann aber bei längerem
Aufenthalt in der Salzlösung durch Rückgang der Geisselplasmolyse
restituiert werden. Die Substanz der Geissein ist also wasserärmer, kon-
centrierter, als die des Zellleibes, was mit der Auffassung dieser Gebilde
als ektoplasmatischer Kutikularorgane wohl zusammen stimmt. Aus
diesem Grunde sind übrigens auch die früheren Angaben Wladi-
miroef's (Z. 10. 89; Z. f. physikal. Ch. 7.524), der einen bestimmten Grad
der Schädigung der Eigenbewegung von Bakterien als Indikator für
die eingetretene Plasmolyse des Zellleibes verwenden und hieraus die
zur Erreichung des plasmolytischen Effekts erforderlichen „Grenzkon-
centrationen" verschiedener Salzlösungen und die osmotische Spannung
des Zellsaftes ableiten zu können glaubte, in ihrer Bedeutung zu modi-
fizieren. Wegen des oben dargelegten differenten Verhaltens zwischen
Leibes- und Geisseisubstanz sind nämlich für alle Grenzkoncentrationen
die Werte von Wladimiroee im Vergleich mit den von A. Fischer
durch direkte Beobachtung gewonnenen viel zu hoch bestimmt; da-
gegen geben sie möglicherweise eine richtige Vorstellung von der Kon-
92 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
centration der Geisseisubstanz. Merkwürdigerweise fand Wladimiroff
fast dieselbe Koncentration des Plasmas bei 5 verschiedenen Bakterien,
nämlich beim Bac. cyanogen., Bac. typh. abd., Bac. subtilis, Spirillum
rubrum und einem Darmbakterium, während bei Bakt. Zopfii ein etwa
um die Hälfte geringerer Wert erhalten wurde. Die Koncentration der
Grenzlösungen verschiedener Salze stimmt in äcpvimolekularen Lösungen
ziemlich genau überein; die Abweichungen zeigen eine gewisse Gesetz-
mässigkeit, aus der sich ergiebt, dass im allgemeinen die Chloride in
stärkeren Koncentrationen ertragen werden, als die Nitrate, und diese
wieder in stärkeren, als Sulfate und Bromide. Grössere Abweichungen
von der Regel kommen ausserdem dadurch zustande, dass manche
Salze infolge von Giftwirkungen schon in abnorm niedriger Konzentration
bewegungshemmend wirken, sowie andererseits auch dadurch, dass
manche Salze, wie z. B. KBr und KN03 beim Spirillum rubrum, schon
während der Plasmolyse rasch in das Plasma eindringen, hierdurch die
Wasserentziehung verlangsamen und demnach erst in höherer Koncen-
tration wirksam sind. In den Versuchen von A. Fischer, wo der Eintritt
der Plasmolyse der Leibessubstanz direkt beobachtet wurde, ergab sich
keine genaue Übereinstimmung der Grenzkoncentrationen mit den iso-
tonischen Lösungen; bei verschiedenen Arten hatten die Grenzkoncen-
trationen verschiedene Werte.
Das spezifis che Gewicht der Kulturmasse einiger Spaltpilze ist vouRubner
(A. 11. 384) nach dem Prinzip der pyknometrischen Methode bestimmt worden;
es fand sich grösser als 1, z. B. beim Bac. prodigiosus im Mittel 1,054. Allerdings
giebt diese Zahl nicht direkt das spezifische Gewicht des Zellleibes, da die Kultur-
masse auch reichlich Intercellularsubstanz enthält; doch spricht auch das von
demselben Autor und bereits früher von Bolton (Z. 1. 72) nachgewiesene Absetzen
unbeweglicher Bakterien in stagnierenden Flüssigkeiten dafür, dass die Bakterien-
leiber etwas schwerer sind als Wasser.
B. Chemische Zusammensetzung der Mikroorganismen.
Bei der Untersuchung der chemischen Zusammensetzung der Mikro-
organismen kommt zunächst ihre quantitative elementareZusammen-
setzung, wie sie durch die Elementaranalyse erschlossen wird, in Be-
tracht. Aus dieser lässt sich schon manches über das Vorkommen und
gegenseitige Verhalten ganzer Klassen von chemischen Körpern im
Zellleib der Mikroorganismen erschliessen; dahin gehört z. B. das Ver-
hältnis N-haltiger zu N-freien Stoffen. Dann aber erscheint es geboten,
auch die einzelnen Verbindungen selbst, die an der Zusammensetzung
des Zellleibes teilnehmen, die Eiweissstoffe, Kohlehydrate, Aschen-
bestandteile etc. kennen zu lernen. Da Schimmel-, Spross- und Spaltpilze
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 93
in ihrer Zusammensetzung grosse typische Verschiedenheiten zeigen,
werden sie im Folgenden in getrennten Abschnitten behandelt.
I. Schimmelpilze.
Chemische Analysen von Schimmelpilzen liegen von Sieber (J.pr. Ch.
(2.) 23. 412) und neuerdings von Gramer (A. 13. 71; 20. 197) vor. Bei
ersterem Autor scheinen jedoch nicht genügende Vorsichtsmassregeln
für Reinhaltung des Materials getroffen worden zu sein. Sieber fand
in der Trockensubstanz einer Kultur von Penicillium und Mukor auf
einer Nährlösung von Zucker und Gelatine:
Ätherextrakt 18,7 %, Alkobolextrakt 6,9 %, Asche 4,9 %, Eiweiss 29,9 %,
Cellulose 39,6%.
Für eine vorwiegend aus Aspergillus glaucus bestehende Kultur
auf Salmiakzuckerlösung fand sich:
Ätherextrakt 11,2 %, Alkoholextrakt 3,4 %, Asche 0,7 %, Erweiss 28,9 %,
Cellulose 55,7%.
Besonders bemerkenswert ist hiernach gegenüber den unten mit-
zuteilenden Analysen derSpross- und Spaltpilze das bedeutende Über-
wiegen derN-freienStoffe; es beruht dies vor allem wohl darauf, dass
bei den Schimmelpilzen eine stark entwickelte Cellulosemembran vor-
handen ist und nur im Zellinhalt sich eiweissartige Substanzen finden,
sowie darauf, dass auch lösliche zuckerartige Stoffe in wägbarer Menge
vorhanden sind. Der Gesamt-N-Gehalt von mit Wasser gewaschenen
und über Schwefelsäure getrockneten Schimmelpilzen verteilt sich nach
Stutzer (Z. physiol. Ch. 6. 573) so, dass 3,026 % auf Proteine und'l,539 °/0
auf Nuklei'ne entfallen. Der Gehalt an Trockensubstanz beträgt nach
Cramer im Mittel:
Mukor stolonifer:
Rohrzucker 1 % Lösung oder Brotbrei 10,97 %
5 % Lösung 15,60 %.
Penicillium:
Rohrzucker 1 % Lösung 7,11 %
Harn mit 5 % Rohrzucker 13,55 %.
Einer höheren Koncentration des Nährsubstrats scheint also ein
höherer Trockengehalt des Mycels zu entsprechen. Über die höchst
merkwürdigen quantitativen Differenzen, welche nach Cramer zwischen
Mycel und Spore bestehen, und ihre biologische Bedeutung wird bei
der Physiologie der Sporenbildung eingehend gehandelt werden; in
qualitativ-chemischer Beziehung sei hier nur der hohe Gehalt der Sporen
an Eiweiss und N-freien Extraktivstoffen hervorgehoben.
94 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
II. Sprosspilze.
Die Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung der
Sprosspilze erstrecken sich fast durchweg auf die gewöhnliche Bierhefe,
deren technische Verwendung von jeher ein besonderes Interesse an
dieser Spezies erweckt hat; selten sind andere Sprosspilze zum Unter-
suchungsobjekt gewählt, wie z. B. Mykoderrna vini. Gesamtanalysen
von Hefe sind mitgeteilt von Schlossberger, Mulder und Wagner,
Mitscherlich, Payen, Liebig (vgl. Mayer, Lehrbuch der Gährungs-
chemie 4. Aufl. 1895. S. 110 ff. — Schützenberger, Gährungserschei-
nungen. 58). Im Mittel wurden in ausgewaschener und möglichst asche-
freier trockener Hefe gefanden:
4S o/0 C, 9—12 o/0 N, 6—7 % H, 0,6 % S.
Hessenland (r: K. 92. 67) findet einen Unterschied in der Ele-
mentarzusammensetzung von Ober- und Unterhefe, in dem Sinne, dass
letztere reicher ist an C, H und N; es ergab sich im Mittel für
Unterhefe 49,28 % C, 8,17 % H, 10,53 % N, 10,12 % Asche
Oberhefe 48,58 % C, 7,15 % H, 7,77 % N, 11,47 % Asche.
Hefe, welche längere Zeit Gährung unterhalten hat, soll nach
Pasteur's u. A. Angaben einen erheblich niedrigeren N-Gehalt, nur 5,0-5,5 %
enthalten; Hayduck (cit. nach Wijsman) hingegen fand bei einer Reihe
von successiven Gährungen eine Zunahme des N-Gehalts. "Wijsman
(r: K. 91. 120) kam durch eine Reihe von Analysen zu verschiedenen
Zeiten des Gährprozesses zu der Überzeugung, dass der N-Gehalt der
Hefe meist keinen ganz konstanten Wert besitzt, sondern grossen, ziemlich
regelmässigen Schwankungen unterworfen ist. Nach dem Einbringen
der Hefe in die Gährflüssigkeit findet zuerst eine schnelle Steigerung
des N-Gehalts statt, die sich wahrscheinlich durch die Ansammlung
N-haltiger Nährstoffe im Zellleib vor der Entfaltung der grössten
Vermehrungsintensität erklärt; im späteren Verlauf des Gährprozesses
erfolgt eine allmähliche Abnahme. So stieg z. B. der N-Gehalt (auf
Trockensubstanz bezogen) von dem Anfangswert 7,09 nach 1 Stunde
auf 9,90; nach 2 Stunden betrug er 9,60, nach 3 Stunden 9,55, nach
10 Stunden nur noch 6,40 °/0. Die Gährungsphysiologie darf also nicht
nur den N-Gehalt am Ende der Gährung berücksichtigen. Die Ver-
teilung des Gesamtstickstoffs auf Protein- und Nukle'instickstoff fand
Stutzer (Z. physiol.Ch. 6. 572) so, dass 5,519% N auf Proteine, 2,257%
auf Nukle'ine entfielen.
ÜberdieBeteiligung der einzelnen chemischen Stoffe an derZusammen-
setzung derHefe giebt eine an untergährigerHefe von Nagelt (Sitzungsber.
d.bayr. Akad. 1878 Mai 4) ausgeführte Analyse Auskunft; es fanden sich:
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 95
Cellulose und Pflanzenschleim der Zellmembran . 37 %
Albuminstofl'e 45 %
Peptone 2 %
Fett 5 %
Extraktstofl'e (Leucin, Glycerin u. s. w.) ... 4 %
Asche 7 %.
Die Eiweissstoffe haben Schlossbeegee und Mtjkdee entweder durch
Behandeln mit Kalilauge oder mit Essigsäure zu isolieren gesucht und
haben dabei in der That eine den Protei'nstoffen zukommende Zusammen-
setzung der isolierten Stoffe gefunden; von Nencki (Beitr. z. Biol. d.
Spaltpilze. 1880. 48) wurde in der Hefe auch Mykoprotein nachge-
wiesen, ein Eiweisskörper, der bei der Zusammensetzung der Spaltpilze
nähere Beschreibung finden wird. Aus dem Nuklein der Hefe stellte
Liebermann (Pf. 43 und 47. 155) Metaphosphorsäure, Nishimuea (A.
18. 318) die Nuklei'nbasen dar; er erhielt auf die 24,3 °/0 betragende
Trockensubstanz der Hefe bezogen 0,0265 °/0 Xanthin, 0,006 % Guanin,
0,07% Adenin, 0,071 % Hypoxanthin. Unter den N-freien Bestand-
teilen der Hefe ist zunächst der reichliche Gehalt an Cellulose zu er-
wähnen; die Hefencellulose zeigt zwar dieselbe Elementarzusammen-
setzung wie die gewöhnliche Cellulose, unterscheidet sich jedoch von
ihr durch die Unlöslichkeit in Kupferoxyd- Ammoniak, sowie dadurch,
dass sie sich durch Kochen mit Schwefelsäure in gährfähigen Zucker
umwandeln lässt; nach Salkowski (A. f. Ph. 1890. 554), der sie zum
Enterschied von der gewöhnlichen Cellulose als Membranin bezeichnet,
geht sie durch langdauerndes Kochen mit Wasser teilweise in Lösung;
aus dieser Lösung lässt sich durch Alkohol ein dem tierischen Gly-
kogen sehr ähnlicher, aber nicht mit ihm identischer Körper ge-
winnen. Auch präformiertes Glykogen oder wenigstens ein dem
tierischen Glykogen sehr ähnlicher Körper ist nach Eeeeea (Acad. roy.
d. Belg. Ser. 3 IV. No. 11 und C. E. 101. 253) als Reservestoff, wie
in vielen anderen Pilzen, so auch in der Hefe vorhanden. Ceemee
(M. 94. Nr. 26) gelang es, das Hefeglykogen zu isolieren und seine
Spaltbarkeit durch Ptyalin, Pankreasferment und Diastase darzuthun.
Von Kohlehydraten in der Hefe sind ausserdem von Salkowski und
Hessenland gummiartige Körper gefunden, aus denen sich Man-
nose abspalten lässt. Ober- und Unterhefe ergaben gleichmässigen Ge-
halt an Gummi, nämlich etwa 6,5 °/0, und an Pentaglukosen etwa
2,6 °/0 der Trockensubstanz. Ferner fand Wegnee (r: K. 90. 33)
Dextran, Loew (r: K. 91. 122) einen den Pflanzenschleimen ähnlichen
Hefeschleim.
Bemerkenswert ist, wie gegenüber den Schimmelpilzen sich das
Verhältnis zwischen N-losen, kohlehydratähnlichen Bestandteilen und
96 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Proteinsubstanzen zu Gunsten der letzteren verändert; bei der Hefe
finden wir 37 °/0 Cellulose und 47 % Eiweissstoffe, während die Schimmel-
pilze ca. 50°/o Cellulose und nur 29% Eiweiss enthielten. Allerdings
ist es nicht ganz richtig, die in den Hefeanalysen gefundene N-
Menge ganz auf Eiweiss umzurechnen; ein Teil des Stickstoffs stammt
vielmehr aus einfacheren Substanzen, wie Leucin, Tyrosin u. s. w., die
durch Extraktion frischer Hefe mit Eiswasser zu erhalten sind; doch
kommen diese Substanzen gewöhnlich in viel zu geringer Menge vor,
als dass sie die erwähnte Relation zwischen C und N stören könnten.
Als Fäulnisprodukte der Hefesubstanz treten nach A. Müllee (J. pr.
Ch. 70. 65) hauptsächlich höhere Fettsäure, Amide, NH3 , Leucin und
Tyrosin auf.
Der Wassergehalt frischer, vegetationsfähiger Hefe schwankt
zwischen 40 und 80%.
Die Hefenasche hat nachMiTSCHERLiCH folgende Zusammensetzung:
Obergährige Hefe: Untergährige Hefe:
Kali 38,8% 28,3%
Phosphorsäure .... 53,9%, 59,4%
Kalk 1,0% 4,3%
Magnesia 6,0% 8,1%
Kieselsäure Spuren —
Bemerkenswert ist vor allem der hohe Phosphatgehalt, der dem
Eiweissreichtum der Hefe vollständig entspricht. — Die chemische
Zusammensetzung des den Hefen nahestehenden Soorpilzes ist nach
Kappes (Analys. d. Massenkulturen einiger Spaltpilze etc. [Diss.] Leipzig
1890) folgende: Die frische Kultur enthält 81,40% H2 O und 18,60 %
Trockensubstanz; in Prozenten der letzteren ausgedrückt fanden sich:
Ätherextrakt . 4,28
Stickstoff . . 12,21
Asche . . . 10,83
Davon:
Kali .... 0,946
Natron . . . 1,950
Kalk . . . 1,472
Magnesia . . 0,742
Phosphorsäure 5,731
Chlor. . . . 0,032
Kieselsäure . 0,210
Bemerkenswert ist auch hier der hohe Gehalt an N-Substanz und
Phosphorsäure.
III. Spaltpilze.
Um die chemische Zusammensetzung der Spaltpilze zu ermitteln,
muss man grosse Mengen derselben möglichst frei von Teilen des Nähr-
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 97
Substrats und von Stoffwechselprodukten gewinnen. Nach Nencki
(Beiträge zur Biologie d. Spaltpilze. 1880) verfuhr man so, dass man
die Kulturflüssigkeit mit 2 — 3% freier Salzsäure versetzte und aufkochte;
hierbei fielen die Bakterienleiber koaguliert aus und Hessen sich von
der Kulturflüssigkeit durch Filtration trennen; eiweisshaltige Nähr-
lösungen mussten hierbei freilich vermieden werden. Bkiegee, (Z. physiol.
Ch. 91), Ceamee (A. 13. 71; 16. 151; 22. 167), Kappes (Analyse der
Massenkulturen einiger Spaltpilze etc. Diss. Leipzig 1890), Nishimura
(A. 18. 318) bedienten sich zur Gewinnung reiner Bakterienleiber fol-
genden Verfahrens: Sie legten Oberflächenstrichkulturen auf Gelatine,
Agar oder Kartoffel an und hoben. die ausgewachsene Bakterienmasse
mittelt eines Messers oder Spatels vorsichtig vom Nährboden ab.
Die ältesten analytischen Resultate stammen von Nencki. Er fand
für eine Mischkultur von Fäulnisbacillen in 2 % Gelatinelösung oder
in Lösung von schleimsaurem Ammoniak für die aufeinander folgen-
den Stadien der Entwicklung, die mit der Bildung einer schleimigen
Zooglöa begann und der Bildung zahlreicher „reifer" Bakterien endete,
folgende Werte:
Reine Zooglöamasse Zooglöamasse Reife Bakterien
mit entwickelten
Bakterien
Wassergehalt 84,81% 84,26% 83,42 %
In der wasserfreien Substanz:
Eiweiss 85,76% 87,46 % 84,20%
Fett 7,89% 6,41 % 6,04 %
Ascbe 4,20% 3,04 % 4,72 %
Nicht bestimmter Rest . . 2,15 % 3,09 o/0 5,64 %
Die Eiweisssubstanz bestand grösstenteils aus einem Körper, der
sich durch einige Reaktionen (Nicht-Fällbarkeit durch Alkohol), be-
sonders aber durch seine elementare Zusammensetzung von anderen Ei-
weisskörpern unterschied und von seinem Entdecker als Mykoprote'in
benannt ist. Derselbe enthielt 52,32 % C, 7,55 % -H, 14,75 °/0 N, keinen
Schwefel und keinen Phosphor; durch Schmelzen mit Atzkali konnten
Phenol, Skatol, Indol, Leucin und reichliche Mengen von Fettsäuren,
namentlich Valeriansäure, aus dem Mykoprote'in gewonnen werden. —
Leider sind diese analytischen Resultate, da nicht mit Reinkulturen
gearbeitet wurde und demnach die verschiedenen angeblichen Vegetatio-
nen wahrscheinlich nicht derselben, sondern mehreren Arten angehörten,
nicht direkt auf die Zusammensetzung des Bakterienleibes zu beziehen
und mit den folgenden Analysen nicht unmittelbar vergleichbar; die
Konstanz der Ergebnisse und die Höhe des Eiweissgehaltes beruht nach
Ceamer (A. 16. 154) wohl darin, dass Nencki s Methode mehr zur
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I- 7
98 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Darstellung der Eiweisskörper der Bakterien als zur Isolierung des
Zellleibes selbst geeignet ist.
Brieger (a. a. 0.) fand bei der Analyse von 4 Wochen alten reinen
Kulturmassen des Bac. pneumon. Friedländer, die auf Gelatine gezüchtet
und ein wandsfrei entnommen waren (s. oben) 84,2 % H20, in der Trocken-
substanz 1,74 °/0 Fett, in der fettfreien Trockensubstanz 30,13 °0 Asche,
in der fett- und aschefreien Trockensubstanz 9,75 °/0 N. Dies entspricht
einem Gehalt von 6,70 °/0 N bezogen auf die gesamte Trockensubstanz,
während die NENCKi'schen Analysen unter Zugrundelegung des N-Ge-
halts des Mykoprote'ins in der gesamten Trockensubstanz 12,65 °/0 er-
gaben. Die von Beieger gefundene organische Grundsubstanz lässt
sich nicht mit Nencki's Mykoprote'in identifizieren; sie gab einige für
Proteine charakteristische Reaktionen, löste sich unvollkommen in
Wasser, fiel beim Kochen aus, löste sich beim Ansäuern mit verdünnter
HN03 in der Wärme wieder auf; gab die Biuretreaktion und Nieder-
schläge mit Ferrocyankalium und Essigsäure, Kochsalz und Salzsäure,
Gerbsäure. — Nägeli und Loew (Nägeli, Theorie 'der Gährung. S. 111
und Sitzungsber. d. Kgl. bayer. Akad. math.-phys. Kl. Mai 1878) fanden
bei einer Mikrokokkusvegetation in weinsaurem Ammoniak in derTrocken-
substanz 10,65 °/0 N und 6,94 % Asche, bei einer Essigmutter, die
aus einer zähen Gallerte mit eingebetteten Kurzstäbchen bestand, in
der nur 1,7 °/0 der Gesamtmasse ausmachenden Trockensubstanz da-
gegen nur 1,82 % N und 3,37 °/0 Asche; hier bestand also der weit-
aus grösste Teil der Trockensubstanz aus N-freien, vielleicht cellulose-
ähnlichen Körpern. Hiermit stimmt überein, dass Scheibler und Dürin
(Z. physiol. H. Bd. 8.) beobachteten, dass die Membranen des Leucono-
stoc mesenterioides als wesentlichen Hauptbestandteil ein celluloseähn-
liches Kohlehydrat enthalten.
Vincenzi (Z. physiol. Ch. 11. 181) fand bei Reinkulturen des Bac.
subtilis in verdünnter Fleischextraktlösung folgende Werte für den
Stickstoffgehalt der Trockensubstanz: 6,24 %, 11,15 %, 7,97 % 5,34 °/0,
6,26 °/0; woher die bis über 100 °/0 betragenden Differenzen zwischen
den einzelnen Bestimmungen herrühren, weiss er nicht mit Sicher-
heit anzugeben; möglicherweise seien dieselben in der verschiedenen
zeitlichen Entwicklung der untersuchten Kulturen begründet. Kappes
(a. a. O.) züchtete Bac. prodigiosus und den Xerose-Bacillus auf einer
Mischung von 1,5 Agar, 1,0 Fleischextrakt, 1,5 Pepton, 0,5 NaCl,
95,5 Wasser und fand bei der Analyse der reinen Bakterienleiber den
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 99
Bac.
prodigiosus.
Xerose-Bacillus
Ätherextrakt
4,S3
8,06
Stickstoff
11,40
12,12
Ascbe
13,47
9,52
Kali
1,55
1,06
Natron
3,93
2,34
Kalk
0,56
0,28
Magnesia
1,05
0,58
Phosphorsäure
5,12
3,28
Chlor
0,66
0,06
Kieselsäure
0,07
0,05
Hammerschlag- (C. M. 91. Nr. 1) fand in Tuberkelbacillen, die
in 5 proz. Grlycerin-Bouillon oder auf Grlycerin-Pepton-Agar gewachsen
waren, im Mittel einen Wassergehalt von 85,9 %; die Trockensub-
stanz enthielt 27,2 °/0 Alkohol- und Ätherextrakt; die in Alkohol
und Äther unlösliche Trockensubstanz enthielt 51,62 °0 C, 8,07 % H,
9,09 % N, 8 % Asche. Kresling (Arch. d. sc. biol. t. I. 711) wies
in den Kulturen der Rotzbacillen 23 — 25 °/0 Trockensubstanz und in
dieser 6,67 °/0 Asche nach; die Masse der Trockensubstanz soll mit
dem Alter der Kultur zunehmen.
Dzierzgowski und Rekowski (Arch. d. sc. biol. 1892. 167) geben
bezüglich der Zusammensetzung der in reiner Lösung von Pepton ge-
wachsenen Diphtheriebacillen Folgendes an: 48,87 °/0 C, 8,61 °/0 H,
11,17 °/0 N, 4,57 % Asche, 1,62 °/0 Ätherextrakt, 2,24 % Alkohol-
extrakt, 28,01 °/0 Cellulose, 63,40 % Albumin in der Trockensubstanz.
Zwischen den bisher mitgeteilten Analysen verschiedener Bakterien,
ja sogar zwischen verschiedenen Analysen desselben Bakteriums be-
stehen zum Teil so ungeheure Differenzen, wie sie sonst nirgends bei
Lebewesen bekannt sind. Es fragt sich, ob diese enormen Verschie-
denheiten auf gleich grosse wirkliche Unterschiede in der Zusammen-
setzung der Bakterien zurückzuführen sind, was freilich bei einander
so nahe verwandten Lebewesen sehr merkwürdig wäre, oder ob etwa
ein und dasselbe Bakterium, je nach den Lebens- und Ernährangs-
bedingungen seine Zusammensetzung wesentlich ändert. Cramer hat
diese Frage im letzteren Sinne entschieden und nachgewiesen, dass
„von einer typischen Zusammensetzung der Bakterien in
dem Sinne, wie sie für höher organisierte Wesen bekannt ist,
nicht die Rede sein kann, sondern dass dieselbe in hohem
Masse selbst bei einem und demselben Bacillus schwankt, in-
dem sie bis zu einem gewissen Grade ganz von der Zusam-
mensetzung des Nährmaterials abhängt" (A. 12. 157 f.). Cramer
bewies zunächst (A. 13. 76 ff.), dass der Wasser- und Aschengehalt eines
und desselben Bakteriums durchaus inkonstant ist. wenn Verschieden-
7*
100
Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
heiten des Nährbodens, der Züchtungstemperatur, des Alters der Kultur
etc. nicht berücksichtigt werden. In zwei, etwa ein Jahr auseinander
liegenden Analysen desselben Wasserbakteriums bei annähernd gleicher
Wachstumsdauer fand er:
15,23 % Trockensubstanz und darin 22,77 % Asche
bezw. 18,32 % „ „ „ 12,49 % „
Die Trockensubstanz hatte also merklich zugenommen, der Asche-
gehalt hingegen war fast auf die Hälfte verringert.
Bei systematischen Versuchen mit Kartoffelkulturen des Bac. pro-
digiosus ergab sich unter verschiedenen Bedingungen der Tem-
peratur, Wachstumsdauer und des Nährbodens eine sehr deut-
liche Verschiedenheit im Wasser- und Aschegehalt, während
innerhalb jeder einzelnen Gruppe bei gleich gehaltenen Bedingungen
eine hinreichend genaue Übereinstimmung der einzelnen Resultate be-
steht. Dies beweisen folgende, nach Cramer (A. 13. 78 — 84) zusammen-
gestellte Tabellen:
Einfluss der Temperatur bei konstanter Wachstumsdauer.
Nr.
des
Bruttemperatur
33 »i
Zimmertemperatur
Asche in d.
Asche in d.
Asche in d.
Asche in d.
Trocken-
Trocken-
feuchten
Trocken-
Trocken-
feuchten
suches
substanz
substanz
Masse |
substanz
substanz
Masse
in %
m %
in <yn
- n,
m %
in %
in %
1
25,02
9,61
2,41
21,57
12,92
2,79
2
22,87
9,95
2,28
18,69
13,79
2,58
3
26,03
9,93
2,58
23,10
12,92
2,99
4
22,77
7,76
1,77
20,56
10,43
2,15
Mittel:
24,17
9,31
2.26 |
20,98
12,52
2,63
Einfluss der Wachstumsdauer bei Zimmertemperatur.
Nr.
des
Ver-
suches
4 Tage langes Wachstum
13-16 (Mittel 14,5) Tage langesWachst.
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
feuchten
Masse
in %
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
feuchten
Masse
in %
1
2
3
4
20,38
21,40
21,58
18,01
10,22
12,50
13,78
8,93
2,13
2,67
2,97
1.50
18,91
18,01
15,87
16.60
16,37
10,26
13,64
14,80
3,09
1,85
2,17
2,40
Mittel:
20,44
11,38
2.32
17,45
13,77
2,38
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen.
101
Der Trockengehalt von Kulturen, die bei Bruttemperatur gehalten
wurden, ist also grösser als solcher, die bei Zimmertemperatur gewachsen
sind, was auf eine vermehrte Produktion organischen Materials bei
dem üppigen Wachstum schliessen lässt. Der Trockengehalt ist ferner
bei jungen Kulturen grösser als bei alten; es scheint also in den späteren
Perioden des Wachstums eine stärkere Wasseraufnahme aus dem Nähr-
boden zu erfolgen.
Einfluss des Nährbodens.
Alte Kartoffel
n
Neue (wasserreichere)
Kartoffeln
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
feuchten
Masse
in %
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
Trocken-
substanz
in %
Asche in d.
feuchten
Masse
in %
Maxim.:
Minim.:
23,14
18,69
13,86
9,95
3,25
1,85
20,56
18,01
10,43
8,93
2,40
1,60
Mittel:
21,49
12,80
2,71
19,39
9,85
2,10
Dagegen auf
Mittel: I 12,58
n Rüben:
11,22 I
1,31 i
Die Kartoffeln haben nach König (Zusammensetzung d. Nahrungs- u. Genuss-
mittel. S. 650) im Mittel einen Trockengehalt von 25,02 % mit 4,36 % Asche =
1,09 % Asche in der feuchten Masse; in den gelben Rüben fand Cramer nur 13,30%
Trockensubstanz mit 5,81 % Asche = 0,77 % Asche in der feuchten Masse.
Der Trocken- und Aschegehalt der Bakterien hängt also von dem
des Nährsubstrats ab und ändert sich mit letzterem in gleichem Sinne.
Eine ähnliche Abhängigkeit von der Beschaffenheit des Nährsub-
strats stellte Cramer in einer späteren Untersuchung (A. 16. 171 ff.) auch
für die Eiweisskörper der Bakterien fest.
Stickstoffsubstanz
Äther-Alkohol-Extrakt
Asche
Bacillus
•
c
o
Ö
o
"PH U
_Q es
1 SP
©
p-l •**
o
£ SP
i a
J-i ff)
ä
S
ST co
P4 bß
~5
O
P-l SJ3
Ö es
<d bß
gl
& §
„O IS!
1-1
lO
lO N
1-1
lO
^
lO
>o
Pfeiffer's Kapsel-B.
66,6
70,0
53,7
17,7
14,63
24,0
12,56
9,10
9,13
Nr. 28 1)
73,1
79,6
59,0
16,9
17,83
18,4
11,42
7.79
9,20
Pneumonie-B.
71,7
79,8
63,6
10,3
11,28
22,7
13,94
10,36
7,88
Rhinosklerom-B.
68,4
76,2
62,1
11,1
9,06
20,0
13,45
9,33
9,44
1) Ein Wasserbakterium.
102
Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Bacillus
Bei Wachstum auf Agar mit Zusatz von
1 % Pepton 5 % Pepton 5 % Traubenzucker
C
H
N
C
H
N
C
H
N
Pfeiffer's Kapsel-B.
Nr. 28
Pneumonie-B.
Rhinosklerom-B.
51,42
51,72
50,95
51,19
7,31
7,32
7,18
7,40
12,18
13,20
13,28
12,63
50,63
50,47
51,37
51,81
6,59
6,77
6,71
7,49
12,32
13,82
14,25
13,46
49,44
50,33
50,33
6,52
6,79
6,92
6,76
9,44
10,44
11,05
10,76
Wie sich aus der ersten Tabelle ergiebt, schwanken die Stickstoff-
Substanzen je nach der verschiedenen Zusammensetzung des Nährbodens
sehr erheblich: im Maximum um 35%, im Minimum um 23%, im
Mittel um 28°/0. Dass diese Schwankungen im Gehalt an Stickstoff-
substanz nicht etwa auf Stickstoffmangel im Nährboden oder auf Ver-
flüchtigung eines Teiles des Stickstoffs in Form von Ammoniak oder
auf einen wechselnden N-Gehalt des Alkoholextrakts zurückzuführen ist,
hat Ceamee durch Kontroiversuche dargethan. Die Stickstoffsubstanzen
sind also als Eiweisskörper aufzufassen, wofür direkt auch die aus
der zweiten Tabelle zu entnehmende elementare Zusammensetzung der
Bakterien spricht, welche mit der des Eiweisses fast vollständig über-
einstimmt. Hieraus ergiebt sich, dass der Eiweissgehalt der unter-
suchten Bakterien ein sehr hoher ist (bis 80%) und im Mittel
je nach den Ernährungsbedingungen um 28% schwankt. Diese „phy-
siologische Breite der Eiweissschwankung" hängt ab von der
im Nährmaterial vorhandenen Menge assimilierbaren Stickstoffs, jedoch
nicht von dieser allein, sondern auch, aber in entgegengesetztem Sinne,
von der Wachstumsenergie, indem trotz gleichen absoluten Gehaltes
an Stickstoff bei einer intensiveren Vermehrung für das einzelne Indivi-
duum weniger Stickstoff verfügbar ist. Daher ist z. B. auf 5 % Trauben-
zucker-Agar, der die gleiche Menge Stickstoff enthält wie der gewöhn-
liche Agar, doch infolge der stärkeren Wachstumsenergie der Eiweiss-
gehalt der Bakterien ein geringerer. Üppiges Wachstum und
hoher Eiweissgehalt brauchen also durchaus nicht zusammen
zu fallen. Das Verhältnis, in dem der Eiweissgehalt der
Bakterien mit der relativ verfügbaren Menge Stickstoff zu-
nimmt, ist kein direktes; vielmehr verhalten sich die mittiefen
Eiweissmengen wie 100 : 120 : 128, die Mengen des verfügbaren Stick-
stoffs wie 10 : 20 : 60. Hieraus ergeben sich interessante Folgerungen
betr. der Assimilation und des Stoffwechsels bei den Bakterien, die
später an entsprechender Stelle Berücksichtigung finden werden.
Diese Resultate über die Abhängigkeit des Eiweiss- und Asche-
gehalts der Bakterien fand Ceamer in seiner neuesten Untersuchung
Gotschijch, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 103
(A. 22. 167 ff.) auch bei den Cholerabacillen bestätigt. Bei Züchtung
derselben in 1 proz. Sodabouillon fand er einen mittleren Wassergehalt
von 88,3 % und in der Trockensubstanz rund 65% Eiweiss und 31%
Asche, bezw. bei der Elementaranalyse 48,88 °/0 C, 15,00 % N, 7,26 %
H. Bei Züchtung in UscHiNSKY'scher Nährlösung hingegen, die viel
weniger Asche, und den Stickstoff in schwieriger assimilierbarer Form
enthält, waren in der Trockensubstanz im Mittel nur 45,28 °/0 Eiweiss
und 11,32% Asche.
Bezüglich der Extraktivstoffe zeigten sich ebenfalls (s. d. zweite
Tabelle auf S. 101) die erheblichsten Schwankungen; bei Wachstum
auf Traubenzucker-Agar war der Alkohol- und Atherextrakt auf das
Doppelte vermehrt.
Diese von Cbamee entdeckte Anpassungsfähigkeit der che-
mischen Zusammensetzung der Bakterien an die Beschaffen-
heit des Nährsubstrats ist für dieselben in hohem Grade zweck-
mässig und befähigt sie ausserordentlich zu der Rolle, die sie im Haus-
halt der Natur spielen, grosse Mengen verschiedenartigster organischer
Substanz , die zudem während des Zersetzungsprozesses selbst konti-
nuierlich ihre Beschaffenheit ändert, in kurzer Frist vollständig zu zer-
legen. Nur Lebewesen, deren Existenz nicht an eine ganz bestimmte
Zusammensetzung ihrer Körpersubstanz gebunden ist, und die daher
auch nicht ganz bestimmte Ansprüche an das Nährmaterial zu machen
brauchen, sind zu so vielseitigen Leistungen unter so verschiedenen
Bedingungen befähigt. Übrigens wäre es wohl verfehlt, aus dieser
weitgehenden Anpassungsfähigkeit der Bakterien an ihr Substrat folgern
zu wollen, dass gar kein konstanter Faktor an ihrer Zusammensetzung
mitwirke. Eine solche Annahme ist schon mit Rücksicht auf die
Konstanz der spezifischen physiologischen Wirkung der einzelnen Bak-
terienarten, z. B. ihrer spezifischen" Ferment-, Gähr- und krankheits-
erregenden Wirkung ganz unthunlich; die thatsächliche Existenz scharf
charakterisierter Bakterienarten verlangt vielmehr die Annahme eines
festen, von den äusseren Umständen unabhängigen Kerns
in ihrer chemischen Zusammensetzung. Auch sprechen hierfür
sogar manche Resultate der chemischen Analysen des Bakterienleibes;
so fand Ceamee bei seinen verschiedenen Bakterienarten unter gleichen
Versuchsbedingungen spezifische Artverschiedenheiten in der Zusammen-
setzung, die er sogar in differential-diagnostischer Beziehung verwenden
zu können für möglich hält. Auffallend sind ausserdem, wie ebenfalls
Ceamee, betont (A. 16. 183), die fast vollkommen konstanten Werte des
Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalts in der Trockensubstanz seiner Bak-
terien, die auch in bemerkenswerter Weise mit den Werten anderer Au-
toren für andere Bakterien übereinstimmen. Gemeinsames Charakte-
104 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ristikum der Bakterien gegenüber den Spross- und Schimmelpilzen
ist ferner das bedeutende Überwiegen N-haltiger, gegenüber N-
freien Substanzen. Der Zellleib der Bakterien ist also ausser-
ordentlich reich an Eiweissstoffen, während Kohlehydrate etc.
sehr zurücktreten. — Der Einfluss nun, den die hiernach anzunehmende,
für jede Bakterienart bestimmte chemische Struktur auf ihren Stoff-
wechsel ausübt, geht freilich nicht, wie bei höheren mehrzelligen
Lebewesen, auf die Erhaltung einer ganz genau quantitativ bestimmten
Znsammensetzung der Leibessubstanz, sondern ist nur qualitativ; es wird
wahrscheinlich nur die Richtung angegeben, in der sich der Chemismus
bewegt, wobei aber die quantitativen Verhältnisse von den äusseren Be-
dingungen in weitestem Masse abhängen. Nach dieser Auffassung steht
die Abhängigkeit der chemischen Zusammensetzung des Bakterienleibes
von der Beschaffenheit des Nährsubstrats durchaus nicht ohne Ana-
logie da; freilich ist diese Analogie nicht bei dem ganzen mehr-
zelligen Organismus zu finden, wohl aber bei den einzelnen ihn konsti-
tuierenden Zellen; so z. B. bei einer einzelnen Leberzelle, bei der auch
unter verschiedenen äusserenBedingungen der Gehalt anEiweiss, Glykogen
und Fett ganz verschieden ist und demnach von einer typischen Zu-
sammensetzung wie beim ganzen Organismus nicht die Rede sein kann.
Ebenso wird bei der chemischen Analyse des Bakterienleibes die ganze
Masse der darin eingelagerten Stoff Wechselprodukte und aller jener
Stoffe, welche nicht zu plastischen Zwecken, sondern nur zur Erzeugung
von Energie für die Leistungen der lebenden Maschine dienen, mit-
bestimmt; diese letzteren „dynamogenen" Stoffe können aber wahr-
scheinlich, wie noch später zu betrachten sein wird, sehr verschiedener
Herkunft sein. Gar keine Berücksichtigung hat auch bisher bei den
chemischen Untersuchungen die Frage gefunden, inwieweit die ge-
fundenen Zahlen auf die Bakterienleiber und inwieweit sie auf die Inter-
cellularsubstanz zu beziehen seien; wie in einem späteren Kapitel ge-
zeigt werden soll, kann dieser Punkt von sehr erheblicher Bedeutung
sein. Es muss also die chemische Zusammensetzung einer Kulturmasse
in zahlenmässige Beziehung gebracht werden zu der Anzahl der darin
enthaltenen lebenden Individuen; derartige Versuche würden auch die
schärfste Bestimmung für den Höhepunkt in der zeitlichen Entwicklung
der Kultur, auf dessen Einhaltung bei der Analyse Gramer mit Recht
grossen Wert legt, gestatten.
Über die Beschaffenheit der einzelnen chemischen Bestand-
teile des Bakterienleibes ist Folgendes bekannt:
1. Eiweisskörper. Das NENCKi'sche Mykoprotei'n ist bereits
oben erwähnt. Derselbe Autor fand in Milzbrandbacillen mit Sporen-
bildung einen anderen schwefelfreien Eiweisskörper, der sich in Alkalien
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 105
leicht lost, in Wasser, Essigsäure und verdünnten Mineralsäuren aber
ganz unlöslich ist, und nannte ihn Anthraxprotein (B. Ch. 13. 2605).
Über den von Brieger (a. a. 0.) in den Pneumoniebacillen gefundenen
Eiweisskörper ist bereits oben berichtet. Von besonderem Interesse ist
ein von Hellmich (A. P. Bd. 26. 328) aus der Reinkultur eines nicht
näher untersuchten Bacteriums isolierter Eiweisskörper, der die Eigen-
schaften der gewöhnlichen Globuline zeigt. Aus den Tuberkelbacillen
wurden von Hammerschlag (a. a. 0.) ein, von v. Hoemann (W. K. 94.
712) sechs verschiedene Eiweisskörper ohne besondere chemische Cha-
rakteristika isoliert. Besondere Erwähnung verdienen ferner die Unter-
suchungen Th. Weyl's zur Chemie des Tuberkelbacillus (D. 91. 256 f.),
weil es hierbei gelang, Bestandteile der Hülle und des eigentlichen
Bakterienleibes getrennt zu untersuchen. Bei Behandlung mit warmer
verdünnter Natronlauge entstand eine gelblich-trübe Mischung, in der
kleine weisse Fetzen umherschwammen; beim Erkalten erstarrte die
Flüssigkeit zu einer trüben Gallerte und zwar in zwei Schichten,
deren untere aus den weissen Fetzen bestand. Diese weissen Mem-
branen lösten sich erst in koncentrierter Schwefelsäure langsam auf
und gaben mit Millon's Reagens keine Rotfärbung; sie zeigen die
spezifische Färbbarkeit der Tuberkelbacillen und entstammen daher
wahrscheinlich der Hülle der Tuberkelbacillen. Die Gallerte, welche
wahrscheinlich aus dem Protoplasma der Bacillen hervorgegangen war,
ergab bei Fällung mit verdünnter Essigsäure einen mucinähnlichen
Körper, der im Übers chuss der Essigsäure unlöslich blieb, durch Alkalien
dagegen in Lösung gebracht werden konnte. Dieses „Toxomucin"
enthält 51,6 % C, 7,3 °/o H und 4,4% N, ausserdem kleine Mengen
von S und P.
Die im plasmatischen Zellinhalt der Bakterien präformiert vor-
handenen eiweissartigen Stoffe gelang es Buchner (B. 90. 673 u. 1084)
rein darzustellen. Diese Stoffe, die er zunächst in Mischung mit an-
deren Bakterienprodukten einfach durch Sterilisation von wässrigen
Emulsionen der verschiedensten Bakterien (Staphylokokkus pyogenes
aur., Staphylokokkus cereus fiavus, Sarcina aurantiaca, Bac. prodigio-
sus, Fitzianus, cyanogenus, megaterium, ramosus, subtilis, coli conm-
nis, acidi lactici, anthracis [sporenfrei], mallei, Kieler Wasserbacillus,
Proteus vulgaris, Friedländer' s Pneumobacillus, Vibrio Finkler-
Prior) gewann, zeigten eine sehr bedeutende Hitzebeständigkeit und be-
wirkten bei Injektion in den Tierkörper aseptische Eiterung durch
chemotaktische Anlockung der Leukocyten. Dass diese Stoffe Bestand-
teile der Bakterienleiber selbst und nicht ausgeschiedener Stoffwechsel-
produkte sind, bewies Buchner dadurch, dass sie in der klaren, von
Bakterienleibern freien Kulturflüssigkeit nicht vorhanden waren. Sehr
106 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
bemerkenswert ist, dass diese Körper bei Behandlung mit basischen
Anilinfarben ihre "Wirkung auf den Tierkörper einbüssen; sie gehen
also mit dem Farbstoff eine chemische Verbindung ein und sind daher
wahrscheinlich identisch mit den Bestandteilen des Bakterienleibes,
welche seine Färbbarkeit bedingen. Die Reindarstellung dieser Bakterien-
prote'ine gelingt durch Auflösung derselben in verdünnten Alkalien
und nachträgliche Ausfällung durch verdünnte Säuren ; im Überschuss
von Säure sind sie wieder löslich. Genauer chemisch untersucht ist
das Protein der FRiEDLÄNDER'schen Bacillen und des Pyocyaneus. Beide
dokumentieren sich durch die Xanthoprote'in-, die MiLLOisr'sche, dieBiuret-
und die ADAMKiEWicz'sche Reaktion als Eiweisskörper. Beide sind
löslich in Wasser, in verdünnten Alkalien, in koncentrierteren Säuren,
unlöslich dagegen in verdünnten Säuren. Durch Kochen, durch ge-
sättigte Kochsalzlösung, durch Quecksilberchlorid wird keine Fällung
erzielt, wohl aber durch Magnesiumsulfat, Kupfersulfat, Platinchlorid,
Goldchlorid, Bleisalze, Pikrinsäure, Gerbsäure, absoluten Alkohol. Das
Pyocyaneusprotem enthält 11,52 % Asche, welche hauptsächlich aus
NaCl besteht, daneben auch Phosphorsäure enthält. Vom Mykoprotei'n
Nencki's sind diese Proteine scharf unterschieden. Sie nähern sich in
ihrem Verhalten den Pnanzenkasei'nen. — Die hitzeunbeständigen,
aus der Züchtungsflüssigkeit der Bakterien gewonnenen Toxalburnine,
sowie die alkaloidähnlichen Toxine gehören nicht hierher, da sie nicht
als Bestandteile des Bakterienleibes, sondern als Stoffwechselprodukte
aufzufassen sind. Ihr chemisches Verhalten wird daher bei den Stoff-
wechselprodukten besprochen.
Dagegen sind hier noch zu erwähnen die von Pfeiefer (Z. 11)
in den Leibern der Choleravibrionen enthaltenen spezifisch wirkenden
Giftsubstanzen, die „primären Toxine", von deren chemischer Beschaffen-
heit man jedoch nicht viel mehr kennt, als ihr ausserordentlich labiles
Verhalten gegenüber der Einwirkung der gebräuchlichen Darstellungs-
verfahren und Reagentien; nur mit Chloroform oder durch vorsichtiges
Trocknen bei 37° gelingt ihre Konservierung auf kurze Zeit; bei ein-
greifender Behandlung gehen sie in Körper von geringerer Gift-
wirkung und grösserer chemischer Beständigkeit, in die sog. „sekun-
dären Toxine", über.
2. Nuklei'ne und Nukle'inderivate. jNukle'ine fand zuerst
Vandevelde (Z. physiol. Ch. 8) bei der Analyse des Bac. subtilis.
Nuklei'n glaubt ferner Deetfuss (ebd. 18. 338) in den Bakterien
annehmen zu müssen, da ihre Färbbarkeit durch basische Anilinfarben
nach Extraktion mit Salzsäure, wobei die Eiweisskörper als Acidalbumine
in Lösung gehen müssen, nicht beeinträchtigt wird; dagegen ist sie
nach Behandlung mit Natronlauge fast ganz verschwunden. Gottstein
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 107
(V. 133. 296) schliesst aus der durch die Bakterien veranlassten ener-
gischen Spaltung des Wasserstoffsuperoxyds auf die Existenz von
Nukle'm in den Bakterienleibern. Endlich gelang es Nishimura
(a. a. 0.) aus der Kulturmasse eines Wasserbacillus die Nukle'mbasen
abzuspalten und so indirekt die Existenz von Nuklei'nen im Bakterien-
leibe darzuthun; es fanden sich 0,17 °/0 Xanthin, keinHypoxanthin, 0,14°/0
Guanin, 0,08% Adenin.
3. Kohlehydrate. Scheiblee, u. Durin (a. a. 0.) isolierten, wie
bereits oben erwähnt, aus den Hüllen des Leuconostoc mesenterioides
ein celluloseähnliches Kohlehydrat, das Dextran, von der Formel
C6Hl0O5, welches in Wasser löslich ist, die Polarisationsebene stark
nach rechts dreht und durch Kochen mit verdünnten Säuren in Zucker
umgewandelt wird. Ein sehr ähnliches Kohlehydrat von derselben Zu-
sammensetzung fand Cramer (M. Ch. 10. 467) in den schleimigen Hüllen
des Bac. viscosus sacch.; es unterscheidet sich von Dextran durch seine
sehr geringe Löslichkeit im Wasser, in dem es nur kleisterartig aufquillt.
Cellulose wurde von Vandevelde (a, a. O.) und Vincenzi (a. a. O.)
bei der Analyse des Bac. subtilis vermisst. Nencki u. Schaeeer (J.
pr. Ch. [N. F.] Bd. 20. 443) haben in Fäulnisbacillen, Hammerschlag
in den Tuberkelbacillen Cellulose gefunden; doch sind diese Befunde
nicht ganz einwandsfrei. Auch ist durch eine neuere Untersuchung von
Nishimura (A. 21, 52) bewiesen, dass die Tuberkelbacillen bei Züchtung
in Glycerinbouillon keine Cellulose enthalten. Dagegen wies mit aller
Sicherheit Brown (r: B. Ch. 20. 580) in seinem Bacterium xylinum
Cellulose nach; ebenso fand Dreyettss (a. a. O.) Spuren echter Cellu-
lose in Eiterbacillen und im Bac. subtilis. Auch Dzierzgowski und
Rekowski fanden in den Diphtheriebacillen ca. 28°/0 Cellulose.
Hemicellulosen, die sich nach der Begriffsbestimmung von
E. Schulze (Z. physiol. Chem. 14. 227; 16. 387) von der echten
Cellulose dadurch unterscheiden, dass sie schon beim Kochen mit ver-
dünnter Säure in Zucker übergeführt werden und in verdünnter Salz-
säure sich auflösen, sind von Nishimura (A. 18. 330 ff.) zuerst in
seinem Wasserbacillus gefunden worden; der Körper hatte wahr-
scheinlich die Formel C6H10O5 und war in der Trockensubstanz zu
etwa 12 °/0 vorhanden. Später fand derselbe Autor reichliche Mengen
von Hemicellulosen auch im Bac. prodigiosus, Staphylokokkus pyogen,
citreus und in den auf Glycerinbouillon gewachsenen Tuberkelbacillen
(A. 21. 61 f.); Nishimura hält es für möglich, dass der Cellulose-
gehalt tuberkulöser Organe , der zuerst von E. Freund (Jahrb. d. Ges.
Wiener Arzte. Bd. 28) festgestellt ist, auf einer Umwandlung der in
den Tuberkelbacillen enthaltenen Hemicellulose in echte Cellulose
beruht.
108 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
4. Fette. Die Fette seiner Bakterien fand Cramer (A. 16. 166)
von weisser Farbe und niedrigem Schmelzpunkt (etwa 40 °); bei
Wachstum auf traubenzuckerhaltigem Nährboden war das Fett etwa
auf das Doppelte vermehrt. Hier, sowie auch in den Diphtheriebacillen,
wo Dzierzgowski und Rekowski (a. a. 0.) den Schmelzpunkt des Fett-
säuregemenges bei 37,5° fanden, war offenbar auch Triolei'n vorhanden,
während nach Hammerschlag in dem Fette der Tuberkelbacillen, dessen
Schmelzpunkt 63 ° betrug, ganz vorwiegend Tristearin und Tripalmitin
enthalten sind. Nishimura fand in seinem Wasserbacillus Nr. 28 alle
Fettsäuren, ausserdem auch Lecithin in einer Menge von 0,68%, welches
übrigens auch in den Tuberkelbacillen enthalten zu sein scheint. Auch
Cholestearin war in dem Wasserbacillus enthalten, aber nur in ganz
minimalen Spuren. In anderen Bakterien konnte Cholestearin bisher
nicht nachgewiesen werden.
5. Die Bestandteile der Asche der Bakterien sind oben bei den
Analysen angegeben.
6. Ausserdem kommen in einzelnen Spaltpilzen immer oder zu
Zeiten gewisse chemische Substanzen vor, die nicht zu den gewöhn-
lichen Bestandteilen der Bakterien gehören. So die granuloseartige
Substanz, die in dem Bac. butyricus und verwandten Anearoben, sowie
im Vibrio Bugula vor der Sporenbildung auftritt und die auch im
Bac. Pasteurianus (Hansen) und in der Leptothrix buccalis nachweisbar
ist; sie färbt sich mit Jod blau. Auch der Gehalt der Beggiatoaarten
an regulinischem Schwefel, vielleicht auch bei einigen Bakterien ge-
wisse spezifische Farbstoffe, während freilich die Mehrzahl der Farb-
stoffe als Exkrete aufgefasst werden müssen. Beijerinck (B. Z. 1891.
Die Lebensgeschichte einer Pigmentbakterie) glaubt, dass die ersteren
der Leibessubstanz der Bakterien eingelagerten Farbstoffe eine biolo-
gisch wichtige Rolle spielen und etwa in dem Verhältnis zum Zell-
leib stehen wie das Chlorophyll zur Pflanzenzelle. Er nennt solche
Bakterien chromophore zum Unterschied von den chromoparen,
welche den Farbstoff als wertloses Exkret ausscheiden. Ferner sind
von Schewiakofp (Über einen neuen bakterienähnlichen Organismus
des Süsswassers. Habilitationsschr. Heidelberg 1893) in seinem Achro-
matium oxaliferum, einem dem Chromatium Okenii ähnlichen Mikroben,
Oxalsäure und Kalk nachgewiesen worden.
C. Die Nährstoffe der Mikroorganismen.
Die Kenntnis der chemischen Zusammensetzung der Mikroorganis-
men setzt uns in den Stand, der Frage näher zu treten, aus welchen
äusseren Bestandteilen die Stoffe ihres Zellleibes sich aufbauen und
Gotschxich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 109
beständig regenerieren. Unter Zugrundelegung der elementaren Zu-
sammensetzung der Mikroorganismen wird es nötig sein, für jedes der
sie konstituierenden chemischen Elemente die in der Natur sich vor-
findenden Nährstoffe anzugeben, aus denen dasselbe zum Aufbau des
Zellkörpers entnommen wird, während der Mechanismus der Aufnahme
und die mit den Nährstoffen vorgehenden Veränderungen als Lebens-
thätigkeiten der Mikroben einem späteren Abschnitt vorbehalten sind.
Da aber in der Natur den Mikroben nicht chemisch reine Nährstoffe,
sondern Mischungen derselben zur Verfügung stehen, so ist es eine
weitere Aufgabe, die "Wirkung verschiedener Mengenverhältnisse
derselben und allgemeiner chemischer Eigenschaften (Reaktion etc.)
des Nährsubstrats auf die Mikroben festzustellen.
I. Die Nährstoffe der Schimmelpilze.
Die ersten ausgedehnten Versuchsreihen hierüber sind von Rauxin (C. R.
56. 229) ausgeführt. Er züchtete den Aspergillus niger in einer Nährlösung, von
der nach vielfältigen Versuchen feststand, dass sie zur Ernährung des Pilzes be-
sonders geeignet und gewissermassen als Normallösung für denselben zu betrachten
sei. Diese „RATTLiN'sche Flüssigkeit" war zusammengesetzt aus 1500 ccm Wasser,
70 gr Kandiszucker, 4 gr Weinsäure, 4 gr Ammoniumeitrat, 0,6 gr Ammonium-
phosphat, 0,6 gr Kaliumkarbonat, 0,4 gr Magnesiumkarbonat, 0,25 gr Ammonium-
sulfat und je 0,07 gr Zinksulfat, Eisensulfat und Kaliumsilikat. Die Nährflüssig-
keit wurde in 2—3 cm hoher Schicht in flachen bedeckten Schalen bei 35 ° gehalten
und ergab 3 Tage nach der Aussat der Sporen ein üppiges fruktifizierendes Mycel;
dasselbe wird abgenommen und von der restierenden Flüssigkeit nach abermals
3 Tagen eine neue Vegetation gewonnen, nach deren Entfernung sich dann die
Nährstoffe der Flüssigkeit fast völlig erschöpft zeigten. Das Trockengewicht der
gesammelten Ernten wurde bestimmt und zu etwa 25 gr gefunden. — Mit diesem
Resultat wurden nun diejenigen Erntegewichte verglichen, die sich erzielen Hessen,
wenn der eine oder andere Bestandteil der Normalnährlösung fortgelassen wurde.
Raulin fand, dass das Fehlen der Phosphorsäure den grössten
Ausfall bedingt, indem sie die Ernte auf -^^ der normalen reduzierte;
Fehlen des Ammoniaks Hess nur T-^¥, des Kalis ■£% der normalen
Ernte aufwachsen. Kein Bestandteil der RAULiNschen Flüssigkeit
durfte ohne Schaden ganz fehlen; selbst ein Fortlassen des Zinks be-
einträchtigt das Ernteergebnis erheblich; vielleicht ist die günstige Ein-
wirkung des Zinks als eine Reizwirkung anzusehen, wie wir sie in
ähnlicher Weise bei der Förderung der Gährung durch manche Metall-
salze (in sehr schwachen Koncentrationen) kennen lernen werden.
Vollkommenere Versuche ähnlicher Art, in denen insbesondere
nur mit sicheren Reinkulturen unter Abschluss aller anderen Pilze ge-
arbeitet wurde, sowie alle übrigen Lebensbedingungen, als Luftzutritt,
Reaktion und Koncentration des Nährmediums etc., eingehende Berück-
sichtigung fanden, sind von Nägeli (Unters, üb. niedere Pilze. 1882
HO Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
und Botan. Mitteilungen. Bd. 3) ausgeführt. Seine Resultate sind etwa
folgende:
Zur Deckung des N-Bedarfs scheint nächst löslichen Eiweiss-
stoffen und Peptonen am geeignetsten die NH2-Gruppe, etwas weniger
günstig die NH-Gruppe zu sein; es sind also brauchbare Nährstoffe:
Harnstoff, Leucin, Asparagin, Acetamid, Oxaruid, Methyl- und Athyl-
amin, Animoniaksalze (als Salmiak, Ammoniumphosphat, Ammonium-
nitrat, Ammoniumacetat, -Oxalat, -succinat, -tartrat etc.). Auch aus Ni-
traten kann der N entnommen werden; ein deutlicher Unterschied in
dem Nährwert derselben von dem der Ammoniaksalze Hess sich nicht
erkennen; vermutlich findet hierbei eine allmähliche Reduktion der
Nitrate zu Nitriten und Ammoniak statt. Neuere Versuche von Laurent
(P. 89. 362) ergaben ebenfalls annähernd gleiche Nährtüchtigkeit der
Nitrate und der Ammoniaksalze; manche Arten bevorzugten etwas mehr
die Nitrate, andere die Ammoniaksalze. Nitroverbindungen der aro-
matischen Reihe, wie Pikrinsäure und Nitrobenzoesäure waren sehr
schlechte Nährstoffe. Aus der Cyangruppe und aus freiem N konnte
der Stickstoffbedarf nicht gedeckt werden. Neuerdings ist indessen von
Frank (Landw. Jahrb. 21. I) eine Penicilliumart beobachtet, die auch
elementaren atmosphärischen Stickstoff assimiliert.
Der C kann der Gruppe CH3 oder CH2 entnommen werden, wo-
bei es ausserdem günstig und unter Umständen notwendig ist, dass
mehrere C- Atome zu einem Molekül vereinigt sind. Verbindungen, in
denen der C nicht mit H, sondern nur mit 0, N oder C verknüpft ist,
hielt Nägeli nach seinen Versuchen für untauglich zur Deckung des
C-Bedarfs; indessen ist diese Ansicht nach neueren Versuchen nicht
mehr haltbar; so ist z. B. nach Reinke (Unters, a. d. botan. Inst. Göt-
tingen. 1883. 39) Parabansäure: CO CisraVir) ein guter Nährstoff, ob-
gleich in ihr jede direkte Verbindung an C und H fehlt; auch Oxal-
COOH
säure:^QQTT kann als Nährstoff dienen (Webbier, B. G. 91. 163) u. s. w.
Ganz unbrauchbar sind selbstverständlich alle in Wasser unlöslichen
Stoffe, wie die höheren Fettsäuren und die unlöslichen Huminsub-
stanzen. Unter den nährenden C-Verbindungen scheint dann noch, ab-
gesehen von der Zahl der C- Atome ; die Zersetzlichkeit der Verbindung
einen günstigen Einfiuss auszuüben; je leichter durch grobe chemische
Reagentien eine Zerlegung der Verbindung zustande kommt, um so
leichter vermag auch das lebende Plasma sie für seine Zwecke zu
verwenden. Empirisch ergab sich etwa folgende Skala für die Nähr-
tüchtigkeit verschiedener organischer Verbindungen betr. des Kohlen-
stoffs: 1. die Zuckerarten, 2. Mannit, Glycerin, die C-Gruppe in Leucin;
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. \\\
3. Weinsäure, Citronensäure, Bernsteinsäure, die C-Gruppe in Asparagin;
4. Essigsäure, Aethylalkohol, Chinasäure; 5. Benzoesäure, Salicylsäure,
die C-Gruppe in Propylamin; 6. die C-Gruppe in Methylamin, Phenol.
Von sonstigen aromatischen Körpern erwiesen sich noch Pyrogallol und
Gerbsäure als ziemlich gute C-Quellen.
Schon aus dieser empirischen Skala, in der mehrfach Körper von ganz
verschiedener Struktur auf gleicher Stufe bezüglich des Nährwerts stehen, erhellt,
dass eine allgemein - giltige Abteilung des letzteren aus der chemischen Struktur
bisher unmöglich ist. Dazu kommt noch, dass andererseits zwischen chemisch
sehr nahe verwandten Körpern häufig erhebliche Verschiedenheiten in der Nähr-
tüchtigkeit zu finden sind. Am merkwürdigsten ist in dieser Beziehung der ver-
schiedene Nährwert gewisser optisch-isomer er Verbindungen; bei Dar-
reichung von optisch inaktiven racemischen Verbindungen findet daher häufig
eine Spaltung derselben statt, wobei die eine optisch aktive Komponente vor-
zugsweise oder gänzlich aufgezehrt wird und die in entgegengesetztem Sinne
optisch aktive Verbindung zurückbleibt. Das erste, berühmteste Beispiel einer
solchen Spaltung ist die von Pasteur (C. R. 46. 614; 51. 298) entdeckte Zerlegung
der optisch inaktiven Traubensäure durch Penicillium glaucum und verschiedene
Bakterien, wobei die d- Weinsäure völlig aufgezehrt und die 1- Weinsäure übrig
gelassen wird. Seitdem sind zahlreiche ähnliche Zerlegungen, so von Lewkowitsch
(B. Ch. 16. 1568) an der Mandelsäure, Frankland (C. 15. 106) an der Glycerin-
säure, Linossier (r: K. 91. 177), Frankland (1. c), Pere (P. 92. 512) an der in-
aktiven Gährungsmilchsäure u. s. w. konstatiert worden; eine ausführliche Litte-
raturzusammenstellung über solche Spaltungen racemischer Verbindungen s. bei
Winther (B. Ch. 28. 3000). Besonders bemerkenswert ist nun aber nach neueren
Versuchen Pfeffer's (J. w. B. 1895. 221), dass eine solche Bevorzugung der einen
Komponente vor ihrem optischen Antipoden nicht allein von der Art der chemi-
schen Struktur der betr. Verbindung, sondern ebenso sehr auch von dem elektiven
Vermögen des betr. Pilzes abhängt; so giebt es z. B. Mikroorganismen, »welche in
geradem Gegensatz zu Penicillium nicht die d-, sondern die 1- Weinsäure bevor-
zugen, sowie andere, welche beide Komponenten der Traubensäure in gleichem
Masse verzehren; und ganz ähnliche Verhältnisse gelten, wie später beim Abschnitt
„Milchsäuregährung" noch zu besprechen, auch für die Spaltung der inaktiven
Gährungsmilchsäure durch verschiedene Mikroben. Auch bei denjenigen Pilzen,
die, wie Penicillium und Aspergillus niger, die d- Weinsäure aufnehmen und die
1- Verbindung übrig lassen, handelt es sich nach Pfeffer's Versuchen nicht um
eine absolute Deckung der Linksweinsäure durch die besser ernährende d- Ver-
bindung, sondern auch die 1-Säure wird stets, wenn auch freilich nur in sehr
geringen Mengen, däneben in Angriff genommen. — Dem verschiedenen Nährwert
optisch isomerer Verbindungen reiht sich unmittelbar das in analoger Weise ver-
schiedene Verhalten anderer stereo-isomerer Körper an; so ist nach Buchner
(B. Ch. 1892. 1161) Fumarsäure für Aspergillus niger und Penicillium glaucum
ein guter Nährstoff, während die stereo-isomere Maleinsäure fast gar keinen Nähr-
wert besitzt.
Die Beurteilung des Nährwerts einer einzelnen C-Quelle ist auch deshalb
sehr schwierig, weil sich die Ausnützung und der Verbrauch derselben in Nähr-
gemischen in weitem Masse nach der Natur der übrigen in der Nährlösung ent-
haltenen, zur Deckung des C-Bedarfs dienenden Nährstoffe richtet. So vermag z. B.
112 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
nach Pfeffer's Versuchen an Penicillium glaucum und Aspergillus niger eine ge-
nügende Menge Traubenzucker etwa daneben vorhandenes Glycerin oder Milch-
säure vor stärkerer Verarbeitung durch den Pilz mehr oder minder zu schützen,
während eine Deckung in umgekehrtem Sinne, eine Ersparnis von Traubenzucker
durch reichliche Mengen von Glycerin, in viel geringerem Grade hervortritt. Essig-
säure andererseits vermag trotz reichlichen Vorhandenseins von Traubenzucker
in der Nährlösung nicht vor der Aufnahme durch den Pilz geschützt zu werden,
wird vielmehr von demselben in noch höherem Masse angegriffen, wie Dextrose.
Worin diese eigentümlichen Verschiedenheiten in der Elektion der Nährstoffe, die
übrigens auch teilweise von der Art des eingreifenden Pilzes abhängen, ihre Er-
klärung finden mögen, lässt sich bisher nicht in jedem speziellen Falle mit Sicher-
heit angeben (vgl. Pfeffer [1. c.]). — In ähnlicher Weise zeigt sich der Nährwert
der als C-Quellen dienenden Nährstoffe auch abhängig von der Natur derjenigen
Stoffe, welche gleichzeitig zur Deckung des N-Bedarfs in Frage kommen; so ver-
mag nach Pfeffer Pepton sogar noch in höherem Grade als Traubenzucker den
Verbrauch an Glycerin und Milchsäure herabzusetzen ; umgekehrt scheint dasselbe
Verhalten auch betr. des Nährwerts der N-haltigen Verbindungen zu gelten.
Es seheint daher zu exakteren Vergleichsversuehen zu führen, wenn
man C- und N-Quellen kombiniert und dann verschiedene derartige
Kombinationen vergleichenden Experimenten unterwirft. In solcher
Weise ist Nägeli zur Aufstellung folgender Skala gelangt, die von
den besser zu den schlechter nährenden Substanzen fortschreitet: 1. Ei-
weiss oder Pepton und Zucker; 2. Leucin und Zucker; 3. Ammonium-
tartrat oder Salmiak und Zucker; 4. Eiweiss oder Pepton; 5. Leucin;
6. Ammoniumtartrat oder -succinat oder Asparagin; 7. Ammonium-
acetat.
Eiweissartige und zur Gruppe der Kohlehydrate gehörige Stoffe
scheinen demnach die normalen C- und N-Quellen der Schimmelpilze
zu sein, und es sind dies zugleich diejenigen Nährstoffe, auf die dieselben
in den natürlichen Verhältnissen meistens angewiesen sind. Anderer-
seits aber ist es bemerkenswert, in welcher grossen Breite eine Vari-
ierung des Nährmaterials gestattet ist, und wie die Schimmelpilze ge-
rade durch die Nährfähigkeit der allerverschiedensten, chemisch ganz
differenten Substanzen in besonders günstiger Weise für die Erhaltung
ihres Lebens ausgerüstet erscheinen. — Die Zufuhr des H und des
gebundenen 0 erfolgt teils durch die genannten C- und N-Quellen,
teils durch Wasser und freien Sauerstoff. Des letzteren bedürfen
sämtliche Schimmelpilze zu ihrer normalen Entwicklung durchaus
notwendig. Schon Pasteue hatte konstatiert, dass ähnlich, wie dies
von grösseren Pilzen bekannt war, auch Schimmelpilze (Penicillium)
Sauerstoff aus der umgebenden Atmosphäre aufnehmen. Schon die
Art des Vorkommens und die Lage der Kolonien bestätigt das rege
Sauerstoffbedürfnis der Schimmelpilze: sie siedeln sich nur da an, wo
unmittelbarer Kontakt mit dem atmosphärischen Sauerstoff mög-
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 113
lieh ist und vegetieren daher nur auf der Oberfläche des Substrats.
Eine Ausnahme hiervon bildet scheinbar das Wachstum mancher para-
sitischer Schimmelpilze innerhalb des tierischen Körpers. Durch zahl-
reiche Versuche ist der sichere Nachweis erbracht, dass Sporen von
einigen Aspergillus- und Mukor- Arten in der Niere und anderen inneren
Organen des lebenden Organismus keimen und zu Mycel auswachsen.
Jedoch ist hierbei stets nur eine beschränkte Mycelbildung, niemals
Fruktifikation beobachtet worden; der Satz, dass zum normalen Wachs-
tum mit Fruktifikation die Schimmelpilze notwendig der Berührung
mit freiem Sauerstoff bedürfen, bleibt also hierdurch unangefochten.
Dieser Anschauung entspricht auch das Verhalten der parasitischen
Schimmelpilze bei niederen Tieren; die pathogenen Empusa-, Cordy-
ceps-, Botrytis-, Isaria-Arten bilden innerhalb des Körpers der befalle-
nen Raupen und Insekten nur Mycel und eventuell Cylindergonidien;
die eigentliche Fruktifikation mit echten Sporen erfolgt stets erst mit
Hilfe von Fruchtträgern, welche die Körperoberfläche durchbrochen
haben und mit der Luft in Berührung getreten sind. — Die Menge
des Sauerstoffs, der die Schimmelpilze zu ihrem Leben bedürfen, ist
allerdings sehr gering; nach Brefeld stellen die nicht gährfähigen
Schimmelpilze ihr Wachstum erst ein in einer C02 -Atmosphäre, welche
nur V500 ihres Volumens Luft enthält. Werden die Schimmelpilze in
sauerstofffreien Flüssigkeiten untergetaucht, so hört das nor-
male Wachstum auf; einige Schimmelpilze, namentlich Mucor, bil-
den dann nur noch hefeartige Sprossungen, wodurch nach Brefeld's
Anschauung ein auf die Erhaltung der Art abzielendes Moment ge-
schaffen wird; denn die hefeartigen Zellen erzeugen in dem säuerstoff-
freien Medium Gährung mit reichlicher C02 -Entwicklung, und die
entstehenden C02 -Bläschen können die Pilzzellen wieder an die Ober-
fläche tragen, wo sie normal zu wachsen und fruktifizieren vermögen.
An der Konstitution der organischen Substanzen der Schimmelpilze
beteiligt sich schliesslich auch der Schwefel, der ja vermutlich in
allen eigentlichen Eiweissstoffen enthalten ist. Nach Nägeli kann der-
selbe aus Albuminaten, ebenso gut aber oder noch besser aus Sulfaten,
Sulfiten und Hyposulfiten entnommen werden; auch Sulfosäuren können
als Ersatz dienen, nicht aber Sulfoharnstoff und Rhodanverbindungen.
Exakte Versuche über die S-Zufuhr sind übrigens deshalb sehr schwierig
auszuführen, weil die geringen, zur ausreichenden Ernährung nötigen
S-Mengen gewöhnlich als Verunreinigung den übrigen Nährmaterialien
anhaften.
Von Mineralsalzen sind für die Ernährung der Schimmelpilze
nach Nägeli relativ wenige erforderlich. Während die chlorophyll-
haltigen Pflanzen ausser Phosphorsäure, Schwefelsäure und Alkalien auch
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 8
114 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Calcium und Magnesium, sowie Eisen-, Kieselsäure und Chlor zur aus-
reichenden Ernährung bedürfen, wird der Bedarf der Schimmelpilze ge-
deckt durch Schwefelsäure, Phosphorsäure, Kalium und Calcium oder Mag-
nesium; dabei kann das Kalium nicht etwa durch Natrium, wohl aber
durch die beiden ihm chemisch sehr nahe verwandten Metalle Rubidium
und Cäsium ersetzt werden; für Calcium können ausser Magnesium
auch noch Barium oder Strontium eintreten. Stets muss aber im Nähr-
substrat gleichzeitig ein Element aus der Gruppe der Alkalien und
eines aus der Gruppe der alkalischen Erden vorhanden sein; eine wechsel-
seitige Vertretung beider ist unmöglich. Hiernach scheinen beiden
Gruppen von Metallen verschiedene Funktionen im Zellleib zuzukommen;
vielleicht darf man sich vorstellen, dass die Erdalkalien, zum Teil als
Erdphosphate, nur Einlagerungen in Plasma und Zellmembran bilden,
während die Alkalisalze hauptsächlich wohl in Form von primärem
und sekundärem Kaliumphosphat (KH2 P04 und K2 HP04, ersteres
von saurer, letzteres von alkalischer Reaktion) in Lösung im Plasma
und Zellsaft sich finden.
Selbstverständlich bedürfen die Schimmelpilze ebenso wie höhere
Pflanzen und sämtliche Mikroorganismen zu ihrer Existenz auch reich-
licher Mengen von "Wasser. Teils tritt dasselbe in die komplizierten
Verbindungen ein, welche im Plasma aufgebaut werden, teils macht
es einen Hauptbestandteil der neugebildeten Pilzsubstanz aus, teils ist
es das universelle Lösungs- und Transportmittel, welches hier wie bei
höheren Lebewesen Chemismus und Stoffbewegung in der Zelle er-
möglicht. Von besonderem Interesse ist bezüglich des Wasserbedarfs
der Schimmelpilze derjenige minimale Gehalt von Wasser, welcher
im Nährsubstrat vorhanden sein muss, um eine genügende Ernährung
zu gestatten, kurz, das Verhalten der Schimmelpilze gegenüber der
Koncentration des Nährmediums. Dieselbe kann ganz ausser-
ordentlichen Schwankungen unterworfen sein, ohne das Wachstum von
Schimmelpilzen völlig zu hindern. Die Anpassungsfähigkeit derselben
ist in dieser Hinsicht viel grösser, als die der Spross- und Spaltpilze.
Einige Schimmelpilze, z. B. Penicillium, gedeihen noch in den ver-
dünntesten Nährlösungen, die nur Spuren von Nährstoffen enthalten;
dies vermögen allerdings auch manche Spaltpilze. Die Überlegenheit
der Schimmelpilze zeigt sich aber auf sehr wasserarmen, stark kon-
centrierten Nährsubstraten; hier vermögen die Schimmelpilze unter Be-
dingungen zu wachsen, unter denen kein anderer Mikroorganismus mehr
fortkommt. So kommen z.B. Schimmelvegetationen auf gepökeltem und ge-
räuchertem Fleisch vor, das nur 50 % Wasser enthält und demnach Ansiede-
lungen von Spaltpilzen nicht mehr zulässt; erst bei einem Wassergehalt von
10 — 12% tritt völlige Hinderung auch für Schimmelpilze ein, bei gleich-
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 115
zeitiger Anwesenheit von Zucker im Substrat schon bei 30°/0. Das
Optimum des Wassergehalts, soweit sich von einem solchen, unabhängig
von den übrigen Lebensbedingungen reden lässt, liegt aber viel höher,
etwa bei 80°/0. Übrigens sind nicht alle Schimmelpilze in gleicher
Weise gegen höhere Koncentration des Substrates indifferent; gewisse
Arten scheinen erheblich empfindlicher zu sein, so einige unter natür-
lichen Verhältnissen vorzugsweise parasitische und auf grossen Feuchtig-
keitsgehalt angewiesene Formen. Auch die Reaktion des Nährsub-
strats ist von wesentlichem Einfluss auf das Gedeihen der Schimmel-
pilze. Am empfindlichsten scheinen sie mit Ausnahme einiger Arten
gegen einen Überschuss von Alkali zu sein; viel weniger schädlich
ist ein Überschuss von Säure. Freie Phosphorsäure kann bis zu l°/0,
freie Weinsäure bis zu 5% im Nährgemisch vorhanden sein, ohne
dass dadurch die Ansiedlung von Schimmelpilzen verhindert wird. Auch
dieses Verhalten bedingt wiederum einen wichtigen Unterschied zwischen
Schimmelpilzen und der Mehrzahl der Spaltpilze, welche letztere ge-
rade gegen Acidität meist sehr empfindlich sind; es spielt daher dieses
verschiedene Verhalten beider Klassen von Mikroorganismen oft bei
der Konkurrenz derselben auf einem und demselben Nährsubstrat eine
IL Die Nährstoffe der Sprosspilze.
Bei der Untersuchung der Ernährung und der Nährstoffe der Hefe ist
es vor allem notwendig zu beachten, dass diese Begriffe sich nicht etwa
mit dem der Gährung und der Gährstoffe decken. Die Gährung ver-
läuft in gewisser Beziehung ganz unabhängig von der Ernährung der
Hefe; sie gehört nicht notwendig zum Stoffwechsel der letzteren, sondern
bildet nur eine gelegentliche Ausdehnung und Komplikation desselben,
welche man zweckmässig zunächst ganz unberücksichtigt lässt, wenn
man die Art der notwendigen Nährstoffe und ihre Verwendung in der
Hefezelle kennen lernen will. Erst in den neueren Versuchsreihen ist
diese Trennung richtig durchgeführt, während frühere Beobachter Gährung
und Hefewachstum stets mit einander verknüpften. Ferner sind die
neueren von Nägeli und namentlich von Hansen angestellten Ver-
suche deshalb einwandfreier, weil in denselben auf möglichste Her-
stellung reiner Hefekulturen geachtet wurde. (Vgl. Pasteue, A. eh.
ph. (3.) t. 58. — Duclaitx, Theses pres. ä la fac. de sc. de Paris 1865.
— DuBETTNFATTT, C. R. 73. — SCHÜTZENBEEGEE, C. R. 78. — MAYEE,
Unters, üb. d. alkohol. Gährung etc. 1869. Landwirthsch. Versuchstat.
Bd. 14. — Nägeli, Theorie d. Gährung. 1879, und Unters, üb. nied.
Pilze. 1882. — Hansen, Meddedelser fra Carlsberg Laboratoriet. Kopen-
hagen 1879 ff.) Die Versuche ergaben, dass die Hefen sich bezüglich
116 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ihres Nährstoffbedarfs vielfach eng an die Schimmelpilze anschliessen.
Der Stickstoff wird den Hefen entsprechend ihrem höheren N-Gehalt
in reichlicherem Masse zugeführt werden müssen. Am günstigsten sind
für die echten Saccharomyceten lösliche, diffusible Eiweissstoffe und
Peptone, wobei jedoch nach Delbeück (r: K. 93. 139) in der Assimilations-
fähigkeit gewisse Unterschiede zwischen verschiedenen Hefearten be-
stehen, ähnlich, wie sie später bei der Gährfähigkeit des Zuckers zu
besprechen sein werden. Der Saccharonryces octosporus z.B. (Beijekinck,
C. 12. 57) ist fast nur auf die natürlichen N-haltigen Verbindungen
angewiesen, wie sie in Würze, Rosinen etc. vorkommen, und selbst mit
Pepton, das für Bierhefe eine ausgezeichnete N-Quelle ist, nur sehr
kümmerlich ernährbar. Nächst den Eivveissstoffen kommen hauptsächlich
Amide (nicht aber Harnstoff), Amine und Ammoniaksalze in Betracht;
die letzteren aber werden schon schwieriger assimiliert; auch scheint
bei andauernder ausschliesslicher Ernährung mit Ammonsalzen eine
Degeneration der Hefezellen einzutreten, indem ihre Substanz fettreicher
und N-ärmer wird. Peptone haben unter gleichen Versuchsbedingungen
einen etwa 4 mal höheren Nährwert als Ammontartrat. Nitrate sind
nur für wenige Arten, Nitrite, CN und freier N2 für keine Hefe als
N-Quelle verwendbar. Der Kahmpilz unterscheidet sich in seinem N-
Bedarf nach Beijekinck (C. 11. 6S) dadurch, dass er auch mit Ammon-
salzen und Harnstoff trefflich ernährt werden kann. Der Soorpilz ver-
hält sich nach Linossier u. Roux (r: K. 90. 31) sehr ähnlich dem
echten Saccharomyceten.
Zur Deckung des Kohlenstoffbedarfs ist bei den echten Saccharo-
myceten nach Beijerinck (a. a. 0.) neben der N-Quelle meist noch eine
gesonderte C-Quelle erforderlich. Der Kahmpilz kann seinen Be-
darf an C und N aus einer und derselben Verbindung decken und kommt
z. B. in einer Lösung von Ammonacetat und Kaliumbiphosphat gut fort.
Die Nährtüchtigkeit einiger Kohlehydrate hat Beijerinck für verschie-
dene Saccharomycesarten folgendermassen zusammengestellt, wobei -f-
assimilationsfähig, +i assimilationsfähig, aber vorher invertiert, und —
nicht assimilationsfähig bedeutet. (S. Tabelle nächste Seite.)
Glykogen ist nach Untersuchungen von A. Koch u. Hosaeus
(C. 12. 145) kein Nährstoff für Hefen. Das in der Hefe als Reserve-
stoff enthaltene Glykogen wird nach Cremer (a. a. 0.) aus einfachen
Hexosen, und zwar aus d-Glukose, -Fruktose, -Galaktose und -Mannose
synthetisch dargestellt. Nächst den Kohlehydraten kommen nach
Laurent (r: K. 90. 54) als C-Quellen für Hefe in Betracht: essig-
saure, milchsaure, maleinsaure, bernsteinsaure, brenzweinsaure, glyce-
rinsaure, äpfelsaure, weinsaure, citronensaure Salze; Äther, Aldehyde
und einatomige Alkohole sind schädlich für Hefe. Für Mykoderma
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen.
117
Maltose
d-Glukose
d-Fruklose
oder
Ivertzucker
Rohr-
zucker
Milch-
zucker
Dextrin
Glycerin
S. ellipsoideus, Wein- oder
Pressbefe
S. cerevisiae
S. Pastorian. Eeess . .
S. fragrans = Pastorian.
Pasteur
S. Kefyr
S. Mykoderma ....
S. acetaetbylicus . . .
+
+
+ "
+
+
+
+
+
+
+
+
+i
+i
+
+
+i
+i
+
+
+
+
hingegen ist Alkohol ein sehr guter, schwer ersetzbarer Nährstoff, nach
Linossier u. Roux auch für den Soorpilz verwendbar. Aromatische
Körper, mit Ausnahme der Glukoside, bei denen aber nur der Zucker,
nicht die aromatische Gruppe in Betracht kommt, werden nicht as-
similiert. Unter den Alkaloiden finden sich nach Laurent (a. a. 0.)
merkwürdigerweise im Colchicin und Atropin Nährstoffe für Hefe.
Eine eigenartige Beziehung zwischen der Wuchsform und dem Mole-
kulargewicht der zugeführten Nahrung gelang es Linossiee u. Roux
(a. a. 0.) beim Soorpilz festzustellen: je höher das Molekulargewicht,
desto komplizierter ist die Wuchsform, desto mehr und längere Fäden
treten auf.
Bezüglich der Deckung des Bedarfs an H, gebundenem 0 und an
S hat sich bisher keine bemerkenswerte Differenz im Verhalten der
Sprosspilze gegenüber den Schimmelpilzen ergeben. Auch bei der
mineralischen Nahrung sind wiederum Kalium, Calcium und Phosphor-
säure unentbehrlich; einen merkwürdig günstigen Einfluss hat das Vor-
handensein einer grösseren Menge (bis 20%) von Kaliumbiphosphat.
Wesentlich anders wie bei den Schimmelpilzen ist jedoch das Ver-
halten der Sprosspilze gegenüber dem freien 0. Im allgemeinen ist
der Zutritt freien Sauerstoffs ebenfalls sehr günstig für das Wachstum
der Hefe; mit sauerstoffhaltigem Wasser oder mit Oxyhämoglobin in
Berührung gebracht, nimmt die Hefe nach Schütze nberger sehr be-
gierig den Sauerstoff auf; auch wird unter sonst gleichen Umständen
die beste Hefe erzielt, wenn ein gleichmässiger Luftstrom durch die
Nährlösung geleitet wird. Es kann aber auch ohne Zutritt von Sauerstoff
Vermehrung der Hefe stattfinden, freilich nur dann, wenn die übrigen
Nährstoffe in günstiger Form geboten sind und wenn die Hefe gleich-
zeitig Gährthätigkeit entfalten kann. So gestattet einePeptonlösung oder
Hg Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Hefenabsud, mit 1 — 10°'0 Zucker und 0,5 °/0 Phosphorsäure versetzt, auch
ohne Luftzutritt lebhafte Vermehrung der Hefe; weniger energisch ist
das Wachstum, wenn statt des Peptons minderwertigere Nährmaterialien,
als Fleisch extrakt, Harnstoff, Ammoniaksalz mit Zucker gemischt sind;
und endlich bleibt die Hefevegetation ganz aus oder wird doch nur
sehr kümmerlich, wenn der Zucker ganz fehlt oder durch andere minder
gährfähige Substanzen, als Glycerin, Mannit, ersetzt ist. In allen Fällen
geht mit der Vegetation im sauerstofffreien Medium Hand in Hand eine
Vergährung des Zuckers, und die Gährthätigkeit scheint geradezu die
Wirkung des freien Sauerstoffs zu ersetzen.
Auch in Bezug auf Koncentration und Reaktion des Nähr-
substrats ergeben sich einige Differenzen zwischen Schimmel- und Hefe-
pilzen. Letztere vertragen nicht so starke Koncentration wie die
Schimmelpilze; besonders schlecht nährende Verbindungen dürfen nur
in grosser Verdünnung geboten werden (NH3 -Salze nur in höchstens
lproz. Lösungen); Zucker hingegen darf bis zu 55°/0 (nach Laurent,
a. a. 0.) im Nährgemisch vorhanden sein, ohne dass die Hefevegetation
aufhört; erst in OOproz. Zuckerlösungen steht das Wachstum still. Das
Verhalten gegenüber der Reaktion des Mediums ist darin dem der
Schimmelpilze ähnlich, dass ziemlich stark saure Reaktion ohne Schaden
vertragen wird; doch ist ihre Resistenz gegen hohe Säuregrade geringer,
so dass durch starkes Ansäuren eines Substrats (5°/0 Weinsäure, 1% Phos-
phorsäure) die Entwicklung der Schimmelpilze gegenüber den Hefen
begünstigt wird. Sehr empfindlich scheint die Hefe selbst gegen Spuren
überschüssigen Alkalis zu sein.
111. Die Nährstoffe der Spaltpilze.
a) Die einzelnen Nährstoffe der Spaltpilze.
1. Die Deckung des N-Bedarfs erfolgt bei den meisten Spaltpilzen
am besten aus diffusiblen Eiweissstoffen, weniger günstig sind Ammoniak-
verbindungen; doch werden dieselben relativ besser vertragen als bei
den Sprosspilzen. Die übrigen N-haltigen Verbindungen scheinen unge-
fähr die für die Schimmelpilze angegebene Reihenfolge einzuhalten.
Besondere praktische Bedeutung hat die eiweissfreie UscHiNSKY'sche
Nährflüssigkeit (C. 14. Nr. 10) gewonnen, welche folgende Zusammen-
setzung besitzt: Wasser 1000, milchsaures Ammoniak 10,0, Asparagin
3,4, Glycerin 40,0, Kochsalz 5,0, Magnesiumsulfat 0,2, Chlorcalcium 0,1,
Kaliumbiphosphat 1,0. Nagelt nimmt an, dass auch aus Nitraten Stick-
stoff entnommen werden könne, und stützt sich dabei auf Versuche,
in denen er eine allmähliche Reduktion der Nitrate zu salpetriger
Säure und zu Ammoniak konstatieren konnte. Eine derartige Reduktion
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. HQ
der Nitrate ist in der That auch noch mehrfach von Gayon und Dupetit
(C. R. 95), Deheeain und Maquenne (ebd. und Bd. 97, sowie Bull.
soc. chim (2.) 39), Speingee (B. Ch. 16), Feankland, Waeington,
Laueent (P. IV. 722), Leone (r: K. 90. 111), Giltay und Abeeson
(r: K. 92. 226) Beeal (C. R. 114. 681) bei vielen Bakterien beobachtet
worden, wobei als Reduktionsprodukte salpetrige Säure, Stickoxydul,
reiner Stickstoff und Ammoniak auftreten können; die Reduktions-
produkte sind bei den verschiedenen Bakterien verschieden; z. B.
erzeugt das von Giltat und Abeeson kultivierte Bact. denitrificans
nur reinen Stickstoff. Die Fähigkeit der Nitratreduktion kommt nament-
lich anaeroben, dem Bac. butyricus ähnlichen Formen zu; doch be-
sitzen sie auch aerobe Bakterien, z. B. die Bacillen des Milzbrands und
der Hühnercholera in geringem Grade. Nach diesen neueren Versuchen
erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass die Nitratreduktion den
Bakterien als eine Stickstoffquelle dient; es scheint sich vielmehr nur
um eine sekundäre, den Stoffwechsel begleitende Erscheinung zu handeln,
die einer Gährung vergleichbar, ist; hierfür sprechen besonders die Be-
funde Latteent's, der nachwies, dass Nitratreduktion nur bei Sauer-
stoffabschluss vor sich geht und exquisit aeroben Bakterien überhaupt
nicht eigen ist, sowie dass auch bei höheren Pflanzen und keimenden
Samen sogar durch extrahierbare, ungeformte reduzierende Substanzen
eine solche Wirkung zustande kommt (weitere Angaben über die
Frage s. unter Gährung und Fäulnis).
Eine ganz exzeptionelle Stellung bezüglich der Deckung ihres
N-Bedarfs nehmen die in den Wurzelknöllchen der Legumino-
sen und verwandten Pflanzen in Symbiose mit der Wirtspflanze leben-
den sog. stickstofffixierenden Bakterien ein, indem sie befähigt
sind, den elementaren Stickstoff der Atmosphäre zum Aufbau
ihrer Leibessubstanz zu verwenden. Auf die höchst interessanten ana-
tomischen Verhältnisse des Baues der Wurzelknöllchen, sowie auf den
morphologischen Entwicklungsgang der eigentümlichen Bakterien in
den Knöllchen kann hier nicht eingegangen werden; bezüglich aller
dieser Details muss auf die spezielle Litteratur (u. a. zusammengestellt
bei Kionka, Biol. Centralbl. 1891) verwiesen werden. Hier können
nur die physiologischen Verhältnisse der Stickstofffixierung kurze Be-
sprechung finden. Nachdem schon längst, u. A. durch Helleiegel
(Unters, üb. d. Stickstoffnahrung der Gramineen u. Leguminosen. 1888)
nachgewiesen war, dass Leguminosen im Ernteertrag weit mehr N-Sub-
stanz liefern, als dem Stickstoffgehalt des Bodens entspricht, ja dass
sogar der Stickstoffgehalt des Bodens durch Bebauung mit Legumi-
nosen eine Anreicherung erfahren kann, und hieraus indirekt auf eine
Assimilation des atmosphärischen Stickstoffes geschlossen werden musste,
120 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ist in den letzten Jahren der Nachweis gelungen, dass diese Aufnahme
atmosphärischen Stickstoffs nicht etwa durch die Pflanze selbst bewirkt
wird, sondern nur unter Mitwirkung bestimmter im Boden enthaltener
Bakterien (Bact. radicicola) zustande kommt. Unter Anderen konnte Praz-
mowski(L. V.Bd. 37. 161; 38. 1) diese Bakterien auf Gelatine rein züchten
und durch Impfungsversuche an Pflanzen, die in sterilem Boden mit Fern-
haltung aller Bakterien gezogen waren, mittelst seiner Reinkulturen den
bestimmten Nachweis führen, dass die Knöllchenbildung und Assimi-
lation des atmosphärischen Stickstoffs nur an den geimpften Pflanzen
zustande kam, also nothwendig an die Lebensthätigkeit jener Mikro-
organismen gebunden ist. Der Vorgang scheint dabei sich so abzu-
spielen, dass zunächst die Bakterien den atmosphärischen Stickstoff
zum Aufbau ihrer Leibessubstanz verwerten, und dass dann die durch
diese synthetische Thätigkeit der Bakterien gebildeten Stickstoffsub-
stanzen von der Pflanze aufgenommen werden, wobei die Knöllchen-
bakterien nach vorgängigen Degenerationserscheinungen („Bakteroi-
den"-bildungen) aufgelöst werden und zugrunde gehen. Für die Physio-
logie der N-Ernährung dieser Bakterien ist besonders interessant, dass
sie nach Winogradsky's Versuchen (C. R. 12. Juni 1893; 12. Febr. 1894)
von ihrer Fähigkeit, den atmosphärischen N2 zu assimiliren, keinen Ge-
brauch machen, wenn ihnen genügende Mengen von Ammonsalzen zur
Verfügung stehen; das stimmt gut überein mit der Beobachtung Hell-
riegel's, dass in den knöllchentragenden Leguminosen die Nutzbar-
machung des elementaren N2 sinkt, sobald im Boden reichlich Nitrate
enthalten sind.
2. Zur Deckung des Kohlenstoffbedarfs kommen ausser Eiweiss,
Pepton, Zucker und ähnlichen Kohlehydraten, Glycerin, Fetten noch
organische Stoffe verschiedenster chemischer Konstitution in Betracht,
wie ein- und zweibasische Säuren (Essigsäure, Bernsteinsäure), hyclro-
xylierte Säuren (Weinsäure, Citronensäure), Amidosäuren (Asparagin-
säure, Leucin), ein- und mehrwertige Alkohole (z. B. ist Äthylalkohol
das günstigste Nährmaterial für den Essigsäurepilz und darf bis zu
10°/o in dessen Nährlösung enthalten sein), Ketone, Ketonsäuren (Brenz-
traubensäure, Lävulinsäure), Ester (Essigäther, Acetessigester), Harnstoff-
und Guanidinderivate, Amine, Nitrile (Methyl Cyanid); in grosser Ver-
dünnung können selbst solche Stoffe als C-haltiges Nährmaterial ver-
wendet werden, die in stärkerer Koncentration entschiedene Giftwirkungen
entfalten, wie Carbolsäure, Salicylsäure. Ein von Loew (C. 12. 462)
entdeckter Bacillus vermag sogar aus formaldehydschwefligsaurem
Natron und noch besser aus ameisensaurem Natron seinen C-Bedarf
zu decken. Die gewaltigste synthetische Fähigkeit aber entfalten die
von Winograüsky isolierten Nitrobakterien, indem sie in einem
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 121
Medium normal zu wachsen vermögen, das keine Spur von organi-
schen Kohlenstoffverbindungen enthält, und ihren C-Bedarf einzig
und allein aus der C02 decken. Diese Thatsache, die übrigens
schon früher von Heraeus (Z. f. Hyg. I) und Hueppe (Schilling's
Journ. f. Gasbel. u. Wasservers. 1887) beobachtet war, ist von Wiko-
gradskt (P. 90. 257), der mit Reinkulturen und unter strengstem
Ausschluss von organischen Verunreinigungen arbeitete, über jeden
Zweifel erhoben worden. Godlewskt (Anzeiger d. Akad. d. Wiss. in
Krakau. 1892. 408) hat bei einer sorgfältigen Nachprüfung dieser Ver-
suche die Resultate Winogradsky's durchaus bestätigen können, glaubt
aber, dass nicht die in den Karbonaten der Lösung, sondern die in
der zutretenden atmosphärischen Luft enthaltene C02 als Quelle für
die Deckung des C-Bedarfs diene; Wachstum und Nitrifikation gingen
normal vor sich, wenn die zutretende Luft durch Schwefelsäure und
Kaliumpermanganat von allen organischen Beimengungen befreit war,
blieben aber aus, wenn die Luft durch Kalihydrat von ihrer Kohlen-
säure befreit war. Auch Müntz (C. R. 111. 1370) konnte die Er-
nährung der Nitrobakterien durch Kohlensäure bestätigen, indem es
ihm gelang, auf den vollständig kahlen, jeden organischen Stoffes baren
Felsspitzen hoher Berge, z. B. auf dem Faulhorn, regelmässig Nitro-
bakterien nachzuweisen, die dort den ersten Grundstock zur Entwick-
lung einer Humusschicht und die Basis für weiteres organisches Leben
liefern. Näheres über diese höchst merkwürdigen Mikroorganismen
folgt unter „Nitrifikation".
Für einige Bakterien sind empirisch die günstigsten Ernährungsbedingungen
näher festgestellt, und zwar für den C- und N-Bedarf gleichzeitig. So fand
v. Jaksch (Z. physiol. Ch. 5), dass der Mikrokokkus ureae seinen N- und
C-Bedarf in einer Lösung von bernsteinsaurem, milchsaurem, äpfelsaurem, wein-
saurem, citronensaurem Ammoniak, von Glykokoll, Leucin, Asparagin, asparagin-
sauren Salzen, Kreatin, benzoesaurem Ammoniak, hippursauren Salzen und Pepton zu
decken vermag; unbrauchbar waren ameisensaures, essigsaures, buttersaures, oxal-
saures, salicylsaures Ammoniak, sowie Acetamid. Für den Milchsäurebacillus fand
Hueppe (M. G.II) als beste C- Quellen Milchzucker, Rohrzucker, Mannit und Dextrose;
als beste N-Quelle erwies sich Pepton und unter den Salzen weinsaures Am-
moniak; Nitrate waren zur Deckung des N-Bedarfs durchaus untauglich. Die
Nährsalze waren am günstigsten vertreten durch 0,2—0,5 % Dikaliumphosphat
+ 0,05 bis 0,1 % Magnesium sulfat +0,015—0,025 % Calciumchlorid; diese Mischung
konnte durch 1 % Fleischextraktlösung ersetzt werden. Sehr eingehend sind die
Ernährungsbedingungen für den Tuberkelbacillus von Proskauer und Beck (Z.
18.128) festgestellt worden. Nachdem schon durch Sanders (A. 16) nachgewiesen
war, dass Tuberkelbacillen auch auf pflanzlichen Nährböden fortkommen, und
Kühne (Z. f. Biol. 30. 221) dieselben in einer künstlichen eiweissfreien, kompliziert
zusammengesetzten Nährlösung gezüchtet hatte, haben Proskauer und Beck
selbst auf folgendem einfach zusammengesetzten Substrat Wachstum erzielen
können :
122 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
käufliches Ammoniumkarbonat 0,35%, Monokaliuinphosphat 0,15%, Magnesium-
sulfat 0,25 o/o, Glycerin 1,5 %.
Hier wird der ganze Stickstoffbedarf aus dem Ammoniak, der C-Bedarf aus
dem Glycerin gedeckt. Letzteres ist für die Tuberkelbacillen ein fast unentbehr-
licher Nährstoff; selbst durch chemisch nahe verwandte Stoffe, wie Triglyceride,
Glycerinphosphorsäure, Glycerinsäure, Erythrit, kann es nicht ersetzt werden;
einen sehr kümmerlichen Ersatz bieten Isodulcit, Marnose, Milchzucker, Dextrin,
einen besseren d- Fruktose und vor allem Stärke. Bei Zusatz von mindestens
1—1,5% Glycerin aber können viele organische Verbindungen trefflich ausgenützt
werden, insbesondere die Amidosäuren(Glykokoll, Alanin. Leucin, Asparagih), Kohle-
hydrate, als d-Glukose, Mannose, d-Fruktose. Rohrzucker, Milchzucker, Maltose.
Raffinose und die den Kohlehydraten nahestehenden G-wertigen Alkohole Mannit,
Dulcit, Isodulcit. Merkwürdigerweise sind die Substitutionsprodukte der
Amido säuren, als Sarkosin (Methylglykokoll), Betain (Trimethylglycin), Hippur-
säure (Benzoylglykokoll) ganz untauglich zur Ernährung. Ebenso bemerkens-
wert ist auch, dass Biuret einen trefflichen Nährstoff darstellt, während
Harnstoff und alle seine anderen Derivate, als Alloxan, Alloxantin, Allan-
toin, Harnsäure, Coffein, Guanin, Guanidin, keine Nährstoffe sind. Freilich stellt
ja auch das Biuret eine im Eiweissmolekül vorhandene Gruppe fertig gebildet dar,
während Harnstoff und seine Derivate erst eine synthetische Arbeit bis zum Biuret
hin erfordern würden.
Ferner lässt sich nachweisen, dass der Nährwert eines Stoffes
durch die Anwesenheit anderer gesteigert werden kann; so
wird die Wirkung des Asparagins durch Gegenwart kohlenstoffreicher
Verbindungen, wie Zucker, Citronensäure und höherwertiger Säuren
anderer Reihen gesteigert, ähnlich wie der Glycerinzusatz überhaupt
erst die Ausnutzung der oben aufgeführten Stoffe ermöglicht. Wir
sehen also, dass die Abhängigkeit des Nährwerts einer Verbindung
von ihrer chemischen Konstitution durch die verschiedensten äusseren
Bedingungen, durch andere Nährstoffe und vor allem durch die Eigen-
artigkeit des betr. Mikroben wesentlich mitbestimmt wird. Das ver-
schiedene Verhalten der Bakterien gegen einen Nährstoff wird auch
ohne genaue chemische Untersuchungen genugsam durch die vollständig
verschiedenen Ansprüche illustriert, die sie an ihr Substrat stellen.
Einzelne Arten vermögen nur im Körper und oft nur auf einem ganz
bestimmten Wirt zu existieren (Syphiliserreger, Rekurrensspirillen, Lepra-
bacillen); andere bedürfen zu ihrer Existenz notwendig der nächsten
Abkömmlinge deslebendenEiweiss, z.B. des Blutserums. Der Influenza-
erreger und die Pseudoinfmenzabacillen können ihren Bedarf an or-
ganischen Stoffen einzig und allein aus hämoglobinhaltigen Substraten
decken. Den stärksten Gegensatz hierzu bilden andererseits die von
Bolton (Z. 1) beschriebenen Wasserbakterien (Bacill. erythrosporus,
Mikrokokkus aquatilis etc.), welche selbst in reinem, destilliertem
Wasser immer noch Nährmaterial genug finden, um sich in kolossaler
Weise zu vermehren.
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 123
Endlich ist zu berücksichtigen, dass der Kreis der für Deckung
des C- lind N-Bedarfs ausnutzbaren Stoffe bei vielen Bakterien sich
dadurch erheblich erweitert, dass sie durch Gährungen und Ferment-
wirkungen weitgehende Spaltungen im Nährmaterial bewirken und so
vorher unbrauchbare Stoffe durch diastatische, invertierende, peptoni-
sierende Wirkungen in lösliche, assimilierbare Nährstoffe umwandeln.
Der Nährwert einer Verbindung ist also eine Funktion ihrer chemischen
Zusammensetzung und der individuellen chemischen Fähigkeiten der
einzelnen Bakterienart. Bei der ausserordentlichen Vielseitigkeit und Ver-
schiedenheit dieser chemischen Fähigkeiten der Bakterien wird es nun
aber sehr schwer halten, allgemein gültige Beziehungen zwischen
der chemischen Konstitution und dem Nährwert einer Ver-
bindung für Bakterien aufzustellen. Hierbei spielt sowohl die quan-
titative Zusammensetzung als auch die Struktur der Verbindung, der
Charakter neu eintretender Gruppen in den Substitutionsprodukten und
endlich sogar die auf Stereoisomerie und der gesamten molekularen
Geometrie beruhende Verschiedenheit im optischen Verhalten eine
Rolle. Loew (C. 9. 690; 12. 361) hat versucht, einige solche allgemeine
Beziehungen aufzustellen. So nimmt nach Loew der Nährwert der Fett-
säuren mit steigendem C-Gehalt ab, mit neu eintretenden Amido-
oder Hydroxylgruppen zu; mehrwertige Alkohole haben höheren Nährwert
als die entsprechenden einwertigen, z. B. Glycerin mehr als Propyl-
alkohol; in Substitutionsprodukten verringert Anhäufung von Methyl-
gruppen an Stelle von H-Atomen sehr den Nährwert, so dass z. B.
Trimethylamin eine weit schlechtere C-Quelle ist als Methylamin. Sehr
bemerkenswert für das Verständnis der Nährtüchtigkeit als chemischer
Funktion sind solche Verbindungen, die, ohne irgend welche Gift-
wirkungen gegen Bakterien zu äussern, doch als Nährstoffe
für sie absolut unverwendbar sind. Hierher gehören nach Loew
oxalsaure Salze, Pyridin, pikrin- und nitranilsaure Salze, Nitrobenzoesäure,
Citrakonsäure und Maleinsäure, Glyoxal, Pinakon, Athylendiamin.
Worauf diese Unterschiede in der Nährtüchtigkeit einer Ver-
bindung beruhen, ist vorläufig unmöglich in jedem speziellen Falle
anzugeben; von einem allgemeinen Gesichtspunkte aus aber wird man
solche Erfahrungen für durchaus verständlich finden, wenn man be-
denkt, dass die assimilierende Thätigkeit der Bakterienzelle, die zu einem
ganz bestimmten Endprodukt führt, je nach der chemischen Konstitution
des Nährmaterials sehr verschiedene Widerstände gegen die mit ihm
vorzunehmenden Unilagerungen finden und unter Umständen einmal
auch gar nicht zum Ziele gelangen wird, ebenso wie auch der Chemiker
bestimmte Reaktionen und Umformungen nur mit Körpern von einer
124 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Übrigens stehen mit den Gesetzmässigkeiten Loew's manche An-
gaben anderer sorgfältiger Untersuchungen in direktem Widerspruch;
als solcher ist besonders anzuführen, dass oxalsaures Ammonium,
welches nach Loew als C-Quelle untauglich sein soll, weil es die nach
seiner Theorie für die Eiweisssynthese ganz besonders ungeeignete
Gruppe C Cqtt zweimal enthält, nach Peoskatjee u. Beck (a. a. 0.) doch
ein ausgezeichneter Nährstoff für Tuberkelbacillen ist und sogar
für sich allein die Deckung des gesamten C-Bedarfs zu leisten vermag.
Eine wirkliche Erkenntnis dieser verwickelten Verhältnisse kann nur
durch zahlreiche systematische Detailuntersuchungen der einzelnen
Spaltpilzarten gefördert werden, wobei insbesondere die quantitativen
Verhältnisse der Ausnutzung der Nährstoffe zu berücksich-
tigen wären.
3. Die Deckung des Schwefelbedarfs erfolgt nach Rubner
(A. 16. 78) teilweise aus dem in Form von Sulfaten vorhandenen
Schwefel, zum grösseren Teil aus organischen Schwefelverbindungen
(vgl. auch „Schwefelwasserstoffbildung"). Eine ganz exzeptionelle
Stellung nehmen die „Schwefelbakterien"WiNOGRADSKY's ein, die zu
ihrer Ernährung notwendig der Anwesenheit freien Schwefelwasser-
stoffs bedürfen und ohne diesen überhaupt nicht zu vegetieren vermögen.
4. Bei der Regeneration der Aschenbestandteile spielt, ent-
sprechend der quantitativen Zusammensetzung der Bakterienasche, die
Phosphorsäure die grösste Rolle. Chloride fanden Proskauer u. Beck
(a. a. 0.) ganz entbehrlich.- Auch Kalksalze sind entbehrlich (Loew,
Flora 1892. 390). Zwischen Ca und Mg einerseits, K und Na anderer-
seits soll nach Kappes (a.a.O.) eine wechseleitigeVertretung möglich sein.
5. Auch Eisen gehört zu den Nährstoffen mancher Fadenbakterien,
die es in Gestalt von Eisenoxydverbindungen in die Substanz ihrer
Scheidengallerte gleichmässig ablagern und so rostbraune Scheiden
bilden. Diese Bakterien, zu denen z. B. Crenothrix gehört, finden
sich massenhaft in eisenhaltigem Wasser. Über die Bedeutung und
den Vorgang dieser Eisenablagerung standen sich früher zwei An-
sichten gegenüber: Cohn nahm an, dass sie, ähnlich der Ablagerung der
Silikate in Diatomeen, durch die lebende Thätigkeit der Zelle zustande
komme, während Zopf sie auf äussere, rein mechanische Vorgänge
zurückführen wollte. Die neueren Untersuchungen Winogradskt's
(B. Z. 86. 261) haben die CoHN'sche Ansicht bestätigt und erweitert.
Die in natürlichen Eisenwässern fast konstant vorkommenden Eisen-
bakterien nehmen das im Wasser gelöste Eisenoxydul in sich auf,
oxydieren es in ihrem Protoplasma zu einer löslichen, wahrscheinlich
organischen Eisenoxydverbindung, die dann nach aussen in die Scheide
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 125
diffundiert und dort als unlösliches Eisenhydroxyd niedergeschlagen wird.
Ist die Scheide ganz von Eisenhydroxyd erfüllt, so schwärmen die Bak-
terien aus und verlassen sie, um neuerdings ihr Werk zu beginnen.
Auf diese Weise entstehen wahrscheinlich durch die Thätigkeit der
Eisenbakterien allmählich die grossen Lager von Raseneisenstein. Die
Leptothrixstäbchen können bei ihrer ausserordentlich langsamen Ver-
mehrung ihr hundertfaches Gewicht an eisenhaltigen Scheiden produ-
zieren. Die Quantität der chemischen Umwandlungen ausserhalb der
Zelle steht zu der der Assimilation in derselben in gar keinem Verhältnis,
ganz ähnlich wie bei den Gährungen. Dieser Oxydationsprozess ist für
die Eisenbakterien notwendige Energiecpielle ; ohne Eisenoxydzufuhr
vermögen sie überhaupt nicht zu wachsen. Gegen diese Auffassung
Winogkadsky's ist neuerdings von Molisch (Die Pflanze in ihren Be-
ziehungen zum Eisen. Jena 1892) Einspruch erhoben worden; nach ihm
ist das Eisen für den Lebensprozess dieser Bakterien von keiner grösseren
Bedeutung, wie die Kieselsäure für die Gräser; es soll völlig durch
Mangan ersetzbar sein und überhaupt nicht in das lebende Plasma ein-
dringen, sondern sofort in der Gallertscheide niedergeschlagen
werden. Gegen die WiNOGRADSKv'sche Erklärung der Entstehung der
Raseneisensteinlager durch Bakterienthätigkeit macht Molisch geltend,
dass nur in wenigen Proben von Raseneisenstein Eisenbakterien ge-
funden werden konnten, während der grösste Teil überhaupt keimfrei
war. Diese Thatsache könnte sich aber sehr wohl mit Winogeadskt's
Ansicht vertragen, da dieser ausdrücklich betont, dass fertig gebildete
Eisenscheiden stets von den Bakterien verlassen werden.
6. Ausserordentlich merkwürdig ist das Verhalten der Spaltpilze
zum Sauerstoff. Ein grosser Teil derselben bedarf dieses Elementes
ebenso dringend zum Leben, wie die höheren Pflanzen und Tiere. Zahl-
reiche Spaltpilze aber üben ihre Funktionen nur beiSauer-
stoffabschluss aus und stellen alle Lebensäusserungen bei Anwesen-
heit selbst geringer Mengen von Sauerstoff ein, so dass es den Anschein
hat, als wirke der Sauerstoff, der sonst so recht eigentlich als Lebens-
element angesehen wird, auf diese Wesen giftig ein. Diese über-
raschende Thatsache eines Lebens ohne Sauerstoff wurde zuerst von
Pasteur (C. R. 52. 340 u. 1260; 56; 75; 80) entdeckt; nach ihrem Ver-
halten zum Sauerstoff schied er die Bakterien in Aeroben und An-
aeroben. Von vielen Seiten, so von Nencki (Über die Zersetzung der
Gelatine. Bern 1876. — Beitr. z. Biol. d. Spaltpilze. 1880. — J. pr.
Ch. 19. 337), wurden diese Angaben Pasteue's bestätigt. Eine Haupt-
frage blieb freilich, ob nicht doch minimale, den gewöhnlichen Rea-
gentien unzugängliche Spuren von Sauerstoff in den Nährmedien zu-
rückgeblieben wären, auf deren Kosten das Leben der Anaeroben vor
126 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
sich ginge; dann würde man es nicht mit dem von Pasteue betonten
prinzipiellen Gegensatz zweier Lebensformen, sondern nur mit einer
quantitativ sehr verschiedenen Abstimmung auf verschiedene optimale
Sauerstoffspannungen zu thun haben. Diese Möglichkeit ist zuerst von
Gunning (J. pr. Ch. [N.F.] 16, 17, 20) betont, aber durch die Ver-
suche von Nencki und Lachewicz (Pf. 33), in denen das Fehlen des
Sauerstoffs in den betreffenden Kulturapparaten durch feinste chemi-
sche Reaktionen (Unverändertbleiben von Ferroferrocyanür und redu-
ziertem Hämoglobin) erwiesen wurde, streng widerlegt worden. Neuer-
dings wurde die Frage, ob eine vollständige Anaerobiose dauernd möglich
sei, von Beueeinck aufgeworfen. Dieser Autor betonte die Möglichkeit,
dass ähnlich, wie die Hefe in einem sauerstofffreien Medium nur auf
Kosten einer geringen an sie gebundenen Sauerstoffreserve gähren und
wachsen kann, nach einiger Zeit aber an die Oberfläche kommen muss,
um neuen Sauerstoff aufzunehmen, auch die Anaeroben bei ihrem na-
türlichen Wachstum in Schlamm, Wasser etc. sich verhalten und durch
die sich entwickelnden Gasblasen von Zeit zu Zeit an die Oberfläche
getrieben werden, um sich mit Sauerstoff zu beladen und wieder leis-
tungsfähig zu werden (C. 11. 73). In einer neueren Arbeit aber hat
Beijeeinck (r: K. 93. 264) bestimmt nachgewiesen, dass dauernd voll-
ständige Anaerobiose stattfinden kann; das zu diesen Versuchen
benutzte Granulobacter butylicum wuchs unbegrenzt in Lösungen,
in denen Hefe nach 20 — 30 Zellteilungen aus Sauerstoffmangel ab-
starb; Granulobacter wuchs ferner kräftig in Lösungen, in welchen
durch Natriumhydrosulfit Indigblau reduziert war und in denen sich
Natriumhydrosulfit noch im Überschuss befand. Durch diese Versuche
ist die Existenz einer absoluten permanenten Anaerobiose endgiltig
entschieden.
Sehr bald hatte man gefunden, dass bei anaerobem Wachstum die
Gährthätigkeit eine grosse Rolle spiele, und Pasteue (CR. 80 und
Etudes sur la biere. Paris 1S76) und Nägeli (Theorie d. Gährung.
München 1879) stellten die Theorie auf, dass die Gährthätigkeit bei
anaerobem Wachstum geradezu einen Ersatz für die Sauerstoff-
zufuhr darstelle und mit der Anaerobiose notwendig verknüpft
sei. Über die Beziehungen zwischen Sauerstoffzufuhr, Anaerobiose und
Gährung wird später bei Behandlung der Gährungserregung eingehend
gehandelt werden.
Hier sei nur bemerkt, dass diese Theorie Pasteue's, welche die
Gährthätigkeit als notwendige Lebensbedingung für das Leben ohne
Sauerstoff bezeichnet hatte, sehr bald vollständig erschüttert wurde.
Liboeius (Z. 1. 115) wies nach, dass auch ohne Gährung intensives
Wachstum und Vermehrung von Anaeroben möglich ist. Nach seinen
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. \21
Untersuchungen sind unter den Bakterien nach ihrem Verhalten zum
Sauerstoff 3 Klassen zu unterscheiden:
«) Obligate Anaeroben, welche nur gedeihen können, wenn der
Sauerstoff vollständig aus dem Nährmedium entfernt ist. Hierher ge-
hören die von Liborius entdeckten Bac. oedematis maligni, Clostri-
dium foetidum, Bac. polypiformis, Bac. muscoides, der Pseudoödem-
bacillus und nach Untersuchungen anderer Autoren vor allem auch der
Bac. tetani und der Rauschbrandbacillus. Unter diesen finden sich
auch solche Bakterien, die keine Gährung erregen, so z. B. der Bac.
oedematis malign. und der Bac. polypiformis. Nach neueren Versuchen
von Smith (C. 18. 1) scheint allerdings für manche obligate Anaeroben
(ßauschbrand- und Tetanusbac.) die Anwesenheit eines gährfähigen
Zuckers notwendige Lebensbedingung zu sein. Sauerstoffzufuhr sistiert
alle Lebensäusserungen dieser obligaten Anaeroben.
ß) Obligate Aeroben wachsen nur bei reichlicher Luftzufuhr:
erhebliche Verminderung des Sauerstoffs beeinträchtigt zuerst gewisse
Funktionen (z. B. Farbstoffproduktion, Fermentbildung) und sistiert in
höheren Graden alle Lebensprozesse. Hierher gehören Bac. aerophi-
lus, Bac. fiuoresc. liquefac, Bac. cyanogenus, Bac. fuscus, Bac. aqua-
tilis fuscus, Bac. subtilis, Sarcina lutea, rosa Hefe. Innerhalb dieser
Gruppe sind wieder grosse quantitative Unterschiede betr. des opti-
malen Grades der Sauerstoffspannung vorhanden. Gährungen, die
durch dieser Gruppe angehörige Bakterien hervorgebracht werden, er-
fahren durch Sauerstoffzufuhr ausnahmslos eine Förderung,
so z. B. namentlich die Essigsäuregährung. Nach Hoppe- Seylee's
Beobachtungen (Über die Einwirkung des Sauerstoffs auf Gährungen.
Festschr. Strassburg 1881) kann auch auf die Entwicklung mancher
fäulnis erregender Bakterien, sowie auf den Ablauf der durch sie her-
vorgerufenen fauligen Gährung fortgesetzte reichliche Imprägnierung
des Nährmediums mit Luft günstig einwirken.
y) Fakultative Anaeroben. Diese Bakterien wachsen zwar am
besten bei reichlichem Luftzutritt, sind aber zu einer langsameren Ent-
wicklung auch bei Fehlen von Sauerstoff befähigt; meist findet hier-
bei eine Beeinträchtigung mancher Lebensäusserungen statt; doch ist
diese dem Grade und der Art nach bei den verschiedenen Angehöri-
gen dieser Gruppe sehr verschieden. Hierher gehören namentlich viele
pathogene Arten, die naturgemäss im tierischen Körper oft bei Sauer-
stoffmangel zu wachsen genötigt sind, so Bac. anthracis, Spirillum
cholerae asiat., Bac. typb. abd., Staphylokokk. pyogen, aur., Streptokokk.
pyogen., Bac. pneumoniae, Bac. crassus sputigen., ferner von Sapro-
phyten z. B. Bac acid. laci, Bac. prodigiosus. Proteus vulgär. Übri-
gens giebt es auch umgekehrt fakultative Anaeroben, die bei Sauer-
128 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
stoffabschluss besser gedeihen, als bei Luftzutritt; so verhalten sich die
„therniophilen" Bakterien von L. Rabinowitsch (Z. 20. 154) bei 40°.
Was das Verhältnis von Gährthätigkeit und anaerobiotischer Existenz
bei den fakultativen Anaeroben anlangt, so scheinen hier wieder zwei
Unterabteilungen zu bestehen. Für einige, so z. B. für den Bac. lactis
aerogen. von Escherich (Die Darmbakterien des Säuglings. 1885. 130)
ist nachgewiesen, dass die Gährthätigkeit eine unerlässliche Bedingung
für ihr anaerobes Wachstum darstellt, oder doch ihr Gedeihen wesent-
lich fördert; diese Bakterien verhalten sich in dem Sinne der Pasteub-
schen Theorie. Bei der grossen Mehrzahl der Bakterien dieser Gruppe
aber ist das Vorhandensein einer Gährthätigkeit für ihre
anaerobe Existenz ganz irrelevant; manche, z. B. der Typhus-
bacillus, sind überhaupt keine Gährungserreger; andere, wie der Bac.
crassus. sputigen, und Proteus vulgaris, zeigen keine ersichtliche Schä-
digung der Gährung bei Luftzutritt; noch andere, wie der Bac. pro-
digiosus, die nur bei anaerobem Wachstum Gährung erregen, kommen
ebenso gut bei völliger Abwesenheit von gährungsfähigem Material fort.
Die Gährthätigkeit ist also nur sehr locker mit der Möglich-
keit des anaeroben Lebens verknüpft und stellt wahrscheinlich nur
eine der Energiequellen dar, die für die fehlende Sauerstoff-
aufnahme vikariierend eintreten können. Nach Beijeeinck (a.
a. 0.) ist für die Anaeroben die Gegenwart reduktions fähigen
Materials Lebensbedingung; durch die Reduktion gewinnen sie die
Energiemengen, welche andere Organismen durch direkte Sauerstoff-
atmung erhalten. Auch Hesse (Z. 15) schliesst aus später zu be-
sprechenden Versuchen, dass die Anaeroben Sauerstoff aus dem Nähr-
material abspalten.
Anwesenheit reduzierender Substanzen im Nährmaterial begünstigt,
Anwesenheit oxydierender Stoffe schädigt das Wachstum der An-
aeroben (Kitasato und Weyl, Z. 8. 41; 9. 17); insbesondere wirkten
begünstigend E i k o n o g e n ( A mido-Naphthol-Monosulfosäure), ameisen-
saures Natron und indigosulfosaures Natron; letzteres wird
durch die Anaeroben selbst wieder zu Indigweiss-Sulfosäure reduziert.
Von Oxydationsmitteln wirken besonders die Alkalisalze der Chrom-
säure, Chlor- und Jodsäure schädigend auf Anaeroben in einer
Koncentration, in welcher aerobe Bakterien noch gar nicht gehemmt
werden. — Sehr merkwürdig sind einige in neuester Zeit von Kitt
(C. 17. 168) und Kedeowski (Z. 20) gemachte Beobachtungen, nach
denen auch obligate Anaeroben unter gewissen Bedingungen
bei Luftzutritt gezüchtet werden können; nach Kedeowski wird
hierbei das Wachstum der Anaeroben erst durch die Anwesenheit ge-
wisser, vorläufig nicht näher charakterisierbarer Stoffe, die er von Aeroben
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 129
erzeugt sah, ermöglicht. Eine genauere Kenntnis der Bedingungen
dieser Erscheinung fehlt noch durchaus; jedenfalls würde sie die Kluft
zwischen beiden, beim ersten Anblick unvergleichbaren Existenzweisen
mit und ohne Sauerstoff überbrücken helfen und einen Beitrag zur Er-
kenntnis der prinzipiellen Identität anaeroben und aeroben Lebens liefern.
Abgesehen von diesem fundamentalen Unterschied der Bakterien
in dem Verhalten derselben gegen den Sauerstoff, der sich im
Gegensatz zwischen Anaeroben und Aeroben kund giebt, bestehen aber
noch innerhalb der letzteren Gruppe bedeutende quantitative Differenzen,
indem jede Bakterienart auf einen besonderen, bei ver-
schiedenen Arten verschiedenenGradder Sauerstoffspannung
abgestimmt ist. In sehr anschaulicher Weise ist dies von Engel-
mann (B.Z. 81. 441; 82. 338; 88. 696) und von Beijerinck (C. 14. 837) mit
seiner Methode der „Atmungsfiguren" der Bakterien gezeigt worden.
Beide Methoden beruhen auf der später zu beschreibenden chemotaktiscken
Anziehung des Sauerstoffs auf Bakterien und seines Einflusses auf ihre Schwärm-
bewegungen. Engelmann wies nach, dass in einem hängenden Tropfen, in dessen
Mitte sich eine belichtete chlorophyllhaltige Alge befindet, die beweglichen Bak-
terien sich entweder in dichten Haufen unmittelbar um die sauerstoffspendende
Alge ansammeln oder, wenn sie auf eine geringere Sauerstoffspannung eingestellt
sind, einen koncentrischen Ring um die Alge bilden, dessen Entfernung von der
Alge bei verschiedenen Arten verschieden und zwar um so grösser ist, einen je
geringeren Wert die optimale Sauerstoffspannung bei den einzelnen Arten erreicht.
Spirillen sind z B. auf eine geringere Sauerstoffspannung abgestimmt wie Bac.
subtilis und Proteus; sie vermögen noch minimale Spuren Sauerstoff auszunützen
und sich lebhaft in einem so sauerstoffarmen Medium zu bewegen, in dem Subtilis
und Proteus infolge Sauerstoffmangels die Energie zur Lokomotion fehlt. Anderer-
seits sistiert eine höhere Sauerstoffspannung, die für Subtilis und Proteus günstig
ist, gänzlich die Bewegung der Spirillen. — Unter „Atmungsfiguren" versteht
Beijerinck die „Anordnung beweglicher Mikroorganismen unter Einfluss des Sauer-
stoffs und der übrigen Nährstoffe bei bestimmten Versuchsbedingungen". Die-
selben zeigen sich in von der Aussenluft abgeschlossenen hängenden Tropfen ganz
ähnlich wie bei der Engelmann' sehen Methode, nur dass sie hier makroskopisch
zu beobachten sind, während die ENGELMANN'schen Versuche unter dem Mikroskop
gemacht wurden. In flüssigen Kulturen in Reagensgläsern zeigen sie sich als
„Bakterienniveaus", d. h. als scharf begrenzte dünne Schichten von Bak-
terien, die in der klaren Flüssigkeit in einer vom Sauerstoffbedürfnis der betr.
Art abhängigen Höhe stehen; jede Änderung des Sauerstoffgehalts der über der
flüssigen Kultur stehenden Atmosphäre bewirkt Steigen oder Fallen des Bakterien-
niveaus, welches sich stets in die Zone der optimalen Sauerstoffspannung einstellt.
Über den Einfluss des Sauerstoffs auf die Lebensäusserungen der
Bakterien wird an späterer Stelle eingehend gehandelt.
b) Die zusammengesetzten Kahrmedien der Bakterien.
Ausser den im Vorigen besprochenen einzelnen chemischen Kom-
ponenten kommt bei den zusammengesetzten Nährsubstraten, welche
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 9
130 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
den Bakterien bei natürlichem Wachstum oder künstlicher Züchtung
zu Gebote stehen, noch Dreierlei in Betracht:
1. Die Mengenverhältnisse der einzelnen Nährstoffe zu einander
können jedenfalls bei den meisten Spaltpilzen unbeschadet ihrer Lebens-
thätigkeit in sehr weiten Grenzen variieren, indem auf ganz verschieden
zusammengesetzten Nährböden gutes Wachstum möglich ist. Die
günstigsten Mengenverhältnisse sind in Betracht der ganz verschiedenen
Ansprüche der einzelnen Arten auch durchaus verschieden; so z. B.
fand Ceamee (A. 16. 170), dass Bac. Friedländer, der Rhinosklerom-
bac. und ein Wasserbakterium den grössten Ernteertrag auf Agar
mit 5 °/0 Traubenzucker- Zusatz gaben, während Pfeiffers Kapsel-
bacillus auf Agar mil 5% Pepton ohne Zucker üppiger wuchs. Alle
4 Bakterien wurden aber durch steigenden Peptongehalt des Nähr-
bodens in den Grenzen von 1 — 5% begünstigt, allerdings nicht in
gleicher Weise. Was man sonst darüber weiss, beschränkt sich auf
rohe, empirische Rezepte zur Herstellung von Nährböden, z. B. über
den günstigsten Gehalt des Agars an Glycerin für Züchtung der Tuberkel-
bacillen oder des Serums an Traubenzucker zur Diphtheriebacillen-
züchtung etc. Dass neu hinzutretende Stoffe die Ausnutzung der vor-
handenen Nährstoffe wesentlich verbessern können, ist bereits oben
erwähnt.
2. Die Koncentration des Nährbodens kann im allgemeinen so-
wohl bei demselben Bakterium als auch bei verschiedenen Arten in
weiten Grenzen schwanken, wie schon daraus hervorgeht, dass viele Spalt-
pilze in fest- weichen Nährböden von ca. 80°'0 Wassergehalt ebenso
gut wachsen, wie in ganz verdünnten Lösungen, die nur Spuren von
Nährstoffen enthalten. Allerdings giebt es auch zahlreiche Arten (Spi-
rillen), die nur in flüssigen Substraten fortkommen, dagegen nicht
umgekehrt solche, die nur auf festem Substrat zu wachsen vermögen.
Die untere Grenze der Koncentration ist schliesslich nur durch die
drohende Erschöpfung an Nährmaterial festgelegt, während für alle
Arten eine, allerdings im einzelnen verschiedene, obere Grenze besteht,
über welche hinaus Wachstum unmöglich ist. Kappes (a. a. 0.) fand
schon bei einem Trockengehalt von 20 °/0 (wovon 7,5 °/0 Agar) fast
völliges Erlöschen des Wachstums. Wasserentziehung vermag daher
fäulnisfähige Substanzen vollständig gegen Zersetzungen durch Spalt-
pilze zu schützen, während Schimmelpilze darauf noch günstigen Nähr-
boden finden. Vermehrte Koncentration spielt daher unter den Konser-
vierungsmethoden für Nahrungsmittel eine grosse Rolle.
3.Über denEinfiuss derReaktiondesNährmediums auf die Bakterien
bestehen zahlreichere und genauere Erfahrungen. Die meisten Spaltpilze
finden ihre günstigsten Entwicklungsbedingungen auf neutralem oder
Gotschxich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 131
schwach alkalischem Substrat; nur wenige verlangen ein saures Sub-
strat, wie z.B. die Essigbakterien, welche erst bei einem Gehalt von 2 °/0 Säure
wachsen. Säureüberschuss wird im allgemeinen von den Spaltpilzen
viel schlechter vertragen als vonSpross- und Hefepilzen. Die Ansäuerung
des Nährbodens bietet daher ein wertvolles Hilfsmittel, um Verunreini-
gungen der Kulturen letzterer Pilze durch Bakterien zu verhüten. Die
schädigende Wirkung eines Säureüberschusses auf Bakterien hat man
sich jedoch früher vielfach als zu gross vorgestellt; neuere Untersuch-
ungen haben gezeigt, dass die meisten Bakterien auch auf schwach
sauren Nährböden fortkommen können. So fand Heim noch ver-
hältnismässig günstiges Gedeihen von Kot- und Milchbakterien in Ge-
latine mit einem Salzsäuregehalt von 1 °/00 ; ferner zeigte Ufeelmann
(B. 91. Nr. 39), dass Typhusbacillen in mit Citronensäure, Essigsäure
etc. stark angesäuerter Gelatine gut wachsen, und dass überhaupt die
Zahl der säurebeständigen Bakterien nicht so klein ist, wie man ge-
wöhnlich annimmt; nach Schlüter (C. 11. 589) war unter zahlreichen
Arten der Erysipelkokkus der einzige, welcher überhaupt keinen Säure-
zusatz vertrug, während alle anderen bis zu einem gewissen, je nach
der Art verschiedenen Maximalgehalt an Säure, manche sogar bei sehr
starker Acidität (1 °/0 Milchsäure) üppig wuchsen; besonders bemerkens-
wert ist, dass auch der Milzbrandbacillus, der früher als Prototyp der
säureempfindlichen Bakterien galt, selbst bei 2 °/00 Milchsäurezusatz
gedeiht und bei dem gleichen Alaunzusatz sogar üppiger und schneller
als auf neutralem Substrat wächst. Manche Bakterien, wie die Er-
reger der Buttersäuregährung und die Essigbakterien, vertragen sehr
hohe Säuregrade. Neuerdings giebt TurrÖ (C. 17. 1; 17. 865) an, auch
Gonokokken und Streptokokken, sogar mit besonders günstigem Er-
folge, auf sauren Nährböden gezüchtet zu haben.
Alkaliüberschuss hingegen wird von der Mehrzahl der Spalt-
pilze sehr gut ertragen, von manchen, wie z. B. von Mikrokokkus ureae,
sogar bis zu sehr hohen Koncentrationsgraden. Der Cholerabacillus
wächst noch auf Nährböden von so hoher Alkalescenz, dass Kurkuma-
papier durch sie deutlich gebräunt wird. Für diesen Bacillus hat
Hesse (Z. 15. 183) auch das Optimum der Reaktion ermittelt und
fand es bei dem beträchtlichen Gehalt von 0,4—0,92 gr krystallisierten
Na2C03 auf 1 Liter Nähr-Agar; auf schwach saurem Nährsubstrat
ging der Bacillus zugrunde.
Von dem verschiedenen Verhalten der Bakterien gegenüber der
Reaktion des Nährbodens, z. B. von der Widerstandsfähigkeit des
Choleravibrio gegen Alkalescenz und des Typhusbacillus gegen Säure,
wird in differential- diagnostischer Beziehung vielfach Gebrauch ge-
macht, indem man zur Züchtung dieser Bakterien aus Gemischen Kultur-
9*
132 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Substrate von stark abweichender alkalischer bezw. saurer Reaktion
verwendet, in denen viele andere Bakterien nicht zur Entwicklung ge-
langen, die Cholera-, bezw. Typhusbacillen dagegen ungehindert wachsen
oder sogar begünstigt werden.
Durch Veränderung der Reaktion können auch die eigenen Stoff-
wechsel- oder Gährprodukte der Bakterien das Wachstum der letzteren
sistieren. Manche Spaltpilze sind allerdings so indifferent gegenüber
der Reaktion des Nährmediums, dass sie durch diese Veränderungen
in keiner Weise alteriert werden.
D. Die physikalischen Lebensbedingungen der Mikroorganismen.
Unter den physikalischen Lebensbedingungen der Mikroorganismen
spielen die Temperaturverhältnisse die bedeutendste Rolle. Nur
innerhalb gewisser Temperaturgrenzen ist Wachstum und volle Ent-
faltung aller Funktionen möglich; bei Annäherung an diese Grenzen
kommen schon gewisse Beeinträchtigungen einzelner Lebensäusserungen
zustande; schliesslich sistiert entweder das Leben, um unter günstigen
Bedingungen sich wieder zu entwickeln, oder es wird dauernd ver-
nichtet. Innerhalb der die Lebensthätigkeit zulassenden Temperatur-
breite existiert ein Optimum, bei welchem die intensivste Entwicklung
und Lebensäusserung stattfindet. Sowohl das Optimum wie die Grenzen
der Temperatur sind nun aber bei verschiedenen Arten häufig ganz
verschieden. Von den Schimmelpilzen gedeiht Penicillium glaucum
zwischen + 2,5° und etwa 43°, wobei das Optimum bei ungefähr 20°
liegt; für Aspergillus glaucus liegt das Optimum bei +10 bis 12°.
für Aspergillus niger hingegen bei 34 bis 35°, für Aspergillus fumigatus
sogar bei etwa 40°. Für die Hefen liegt das Optimum bei etwa
25 bis 30 °; Vegetation desselben ist aber noch in der Nähe des Gefrier-
punktes und bis etwa + 53 ° möglich. Bei den Spaltpilzen bezeichnen
für die meisten Arten etwa -j- 5 bis 10° und + 40 bis 45° die Grenzen
der zulässigen Temperaturen; das Optimum liegt bei pathogenen Arten
bei ca. 37°, bei Saprophyten häufig tiefer, im Durchschnitt jedenfalls
höher als bei den Spross- und Schimmelpilzen. Im einzelnen ergeben
sich freilich auch innerhalb dieser Gruppe grosse Verschiedenheiten;
so beginnt nach Eidam (B. B. 1. 3. S. 209) die Entwicklung von
Bacterium termo in CoHNscher Nährlösung bei -f- 5,5 °, nimmt dann
mit steigender Temperatur erst langsam, von +10° an rasch zu,
erreicht zwischen 30 und 35 ° das Optimum und nimmt dann sehr
schnell wieder ab, um bei 40 ° schon völlig aufzuhören. Für den Essig-
säurepilz liegt das Optimum zwischen 20 und 30°; unter 10° findet
nur sehr langsames Wachstum statt; über 35° nimmt es rapid ab, um
Gotscbxich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 133
wenige Grade höher ganz zu erlöschen. Selbst unter sehr nahe verwandten
Spaltpilzen ergeben sich Differenzen in der Abhängigkeit ihrer Wachs-
tunisenergie von der Wärme-; so zeigt nach FIügge (Z. 17. 300) der
eine von den peptonisierenden Bacillen der Milch ein scharf ausge-
prägtes Optimum bei 40°, während der andere zwischen 25 und 40°
eine annähernd gleichmässige Vermehrungsintensität erkennen lässt;
beide entwickeln sich noch bis 60°, während der Bac. acid. lact. nach
demselben Autor schon bei 40° seine Entwicklung einstellt und bei
27° sein Optimum hat. Der Tuberkelbacillus wiederum kann sich nur
innerhalb enger Temperaturgrenzen, zwischen 30 und 41 °, am besten bei
38° entwickeln. Ausser diesen in mittlerer Temperatur gedeihenden Bak-
terien existieren aber noch 2 Gruppen, deren eine sich durch Wachs-
tum bei 0° auszeichnet, während die andere, die der „thermophilen
Bakterien", bei 50 — 70°, ja zuweilen ausschliesslich bei diesen hohen
Temperaturen fortkommt. Angehörige der ersten Gruppe wurden zu-
erst von Förster (C. 2. 337; 12. 431), und zwar aus Gartenerde,
Strassenschmutz, Kanalwasser, Meerwasser und an der Oberfläche von
Seefischen gezüchtet. Letztere Art war durch ihre Lichtentwick-
lung, die sich noch bei 0° in bedeutender Intensität zeigte, besonders
merkwürdig. Später gelang es Fischer (C. 4. 89) in kurzer Zeit 14 ver-
schiedene Arten aus Hafenwasser, Boden etc. zu isolieren, die sämtlich
bei 0 °, aber auch bei Zimmertemperatur wachsen und bei Gefrier-
temperatur alle ihre Lebensäusserungen, als Lichtentwicklung, Farb-
stoffentwicklung, Verflüssigung der Gelatine, Entwicklung von Fäulnis-
gasen etc. ausüben. Einen Übergang von dieser merkwürdigen Gruppe
zu dem Gros der Bakterien bilden viele Wasserbakterien, die sich am
besten bei 20 ° entwickeln und Bruttemperatur nicht vertragen, sowie
Beijerinck's Bac. cyaneofuscus (B. Z. 1891), dessen Optimum bei
10° liegt und auf den schon Züchtung bei 20° nachteilig wirkt.
Bakterienwachstum bei exzessiv hohen Temperaturen wurde zu-
erst von Miqttel (Annuaires de i'observ. d. Montsouris 1881. 464. —
Les Organismes viv. de l'atm. 1883. 182. — A. Mi. 1888. 4) an einem
in Seine- und Kloakenwasser, selten in der Luft vorkommenden Ba-
cillus, ferner von van Tieghem (Soc. bot. d. France Bull. T. XXVIII.
35) an einem Streptokokkus, der sogar bei 74° wuchs, und mehreren
anderen Bakterienarten, später von Certes und Garrigon (C. R.
103. 703) an 2 Bakterienarten im 64 gräd. Sprudel von Luchon be-
obachtet. Doch galten diese Fälle mehr als Kuriositäten. Erst
Globig (Z. 3. 294) gelang es, das regelmässige Vorkommen
zahlreicher Arten von Bakterien, die zwischen 50 und 70°
wachsen, in den oberen Bodenschichten nachzuweisen; er fand
sie sowohl in deutschem jungfräulichen und aufgeschüttetem Boden.,
134 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
als auch in Erdproben von Südseeinseln, in Heideboden von den He-
briden, in norwegischem Lehmboden u. a. m. Am merkwürdigsten ist,
dass die meisten der untersuchten Arten auf diese hohen Temperaturen,
die allen anderen Lebewesen verderblich sind, geradezu notwendig an-
gewiesen sind; unter den 30 untersuchten Arten fand sich nur eine
einzige, die auch bei Zimmertemperatur wuchs. Alle Versuche be-
zogen sich auf Kartoffelkulturen. Es entstand nun die Frage, wo diese
auf exzessiv hohe Temperaturen angewiesenen Bakterien unter natür-
lichen Verhältnissen ihr Fortkommen finden. Globig wies nach, dass
in den obersten Bodenschichten durch intensive Insolation wenigstens
zeitweise so hohe Temperaturen erzeugt werden, und glaubt, dass hier-
durch vielleicht die Lebensbedingungen für diese Pilze geschaffen
werden; hiermit würde die Thatsache, dass in Bodenproben aus den
Tropen viel zahlreichere thermophile Bakterien als in solchen aus dem
Norden gefunden wurden, gut übereinstimmen. Neuerdings hat nun
aber L. Rabinowitsch (Z. 20. 154) eine andere Möglichkeit für das
natürliche Fortkommen der thermophilen Bakterien aufgezeigt, indem
sie nachwies, dass dieselben auch zwischen 34 und 44° eine günstige
Entwicklung auf Agar und Bouillon unter anaeroben Versuchs-
bedingungen erkennen lassen. Insbesondere im Darmkanal des
Menschen und vieler Tiere findet intensive Entwicklung der thermo-
philen Bakterien unter diesen Bedingungen statt. Auch aerobes Wachs-
tum ist bei diesen niedrigeren Temperaturen möglich, aber nur in sehr
beschränktem Masse. Auf Kartoffeln entwickeln sich diese Bacillen über-
haupt stets erst bei über 50°. Sehr merkwürdig ist, dass bei diesen hohen
Temperaturen das Verhältnis zwischen aerobem und anaerobem Wachs-
tum sich ausnahmslos zu Gunsten des ersteren umkehrt. Die Unter-
suchungen von Rabinowitsch haben auch die ausserordentlich weite
Verbreitung der thermophilen Bakterien in der Natur bewiesen; sie fan-
den sich im Luftstaub, in Erde, in Flusswasser, im Darminhalt des
Menschen und zahlreicher warm- und kaltblütiger Tiere, in käuflicher
Kuhmilch, auf Getreide, auf keimender Gerste etc. Auch von F. Cohn
(B. G. 1893. 66) und von Macfadyen und Blaxall (Journ. of Paras.
and Bact. 1894) ist neuerdings noch über das häufige Vorkommen
dieser merkwürdigen Mikroben berichtet. Die höchste beobachtete
Temperatur, bei der thermophile Bakterien noch fortkommen, betrug
75°, fällt also mit der Gerinnungstemperatur des Serumeiweiss an-
nähernd zusammen.
Nähert sich die Temperatur der oberen zulässigen Grenze, so findet
bei allen Bakterien eine rapid zunehmende Verminderung der Ent-
wicklung statt; dies ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass
das allgemeinste Grundgesetz über den Einfluss der Temperatur auf
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 135
Lebensprozesse auch für die Bakterien gilt: mit steigender Temperatur
werden die chemischen Prozesse im Protoplasma an Intensität gesteigert,
was innerhalb gewisser Grenzen eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit,
über das Optimum hinaus aber ein Missverhältnis zwischen der Dissi-
milation und den Restitutionsvorgängen zu Ungunsten der letzteren
setzt und demgemäss eine Schädigung und schliesslich Vernichtung der
Zelle bewirkt. Über die Abschwächung und Tötung der Bakterien
durch Hitze wird bei der Besprechung der Absterbedingungen eingehend
verhandelt werden, ebenso über die Beziehungen der Temperatur zu
den einzelnen Lebensäusserungen, wie Farbstoffbildung, Lichtentwick-
lung etc. bei den betr. Abschnitten. Hier sei nur bemerkt, dass nach
Galeotti (Sp. 1892) und Dieudonne (A. G. 9. 492) durch Ein-
schaltung von Zwischentemperaturen und . fortgesetzte Züchtung eine
teilweise oder vollständige Anpassung von Pigmentbakterien an
ursprünglich ungünstige Temperaturverhältnisse erreicht
werden kann.
Während schon ein geringes Steigen der Temperatur über die obere
Wachstumsgrenze deletär auf die Spaltpilze wirkt, ist eine zu niedrige
Temperatur, bei der keine Fortentwicklung und Vermehrung mehr statt-
finden kann, gleichwohl doch noch nicht von schädlichem Einfiuss auf
das Leben der einzelnen Bakterienzelle selbst. Im Gegenteil werden
die Bakterien bei niederer Temperatur ausgezeichnet konserviert und
beginnen, wieder unter günstige Temperaturverhältnisse gebracht, so-
gleich wieder ihre Lebensäusserungen zu entfalten; neuere Untersuch-
ungen von Peteuschky (C. 17), sowie von Gotschlich und Weigang
(Z. 20; H. 3), haben gezeigt, dass die Virulenz von Streptokokken-, bezw.
von Cholerakulturen, die bei Bruttemperatur sehr rasch verloren geht,
bei Eisschranktemperatur vollständig erhalten bleibt. Das Leben
wird nur sistiert; es findet eine Fixierung derjenigen Beschaffen-
heit des Zeilleibes statt, welche sich vorher gemäss den herrschenden
Lebensbedingungen ausgebildet hatte und die nunmehr bei der durch
die niedere Temperatur beschränkten Labilität der lebenden Substanz
keine Veränderung erfahren kann; werden die Bakterien wieder unter
günstige Lebensbedingungen gebracht, so entfalten sie ihre Lebens-
äusserungen mit alter, ungeschwächter Kraft. —
Über die Bedeutung der Ruhe und mechanischer Erschütter-
ungen für das Leben der Mikroorganismen ist Folgendes bekannt.
Fortgesetzte ruhig fliessende Bewegung der Nährmedien scheint die Ent-
wicklung der Spaltpilze nicht zu hemmen (Hoppe-Seyler, Üb. d. Ein-
wirkung d. Sauerstoffs auf Gährungen. 1881); dagegen bewirken lang-
dauernde kontinuierliche intensive Erschütterungen, z. B. mittelst einer
Schüttelmaschine, meist Entwickluno-shemniun^ oder gar Abtötung der
136 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Bakterien (Horvath, Pf. 17; Pohl, cit. bei Reinke ebd. 23). Auch
starke Schallwellen, welche durch die Nährbouillon geleitet wurden,
verlangsamten nach Reinke die Entwicklung der darin befindlichen
Bakterien. Nach B. Schmidt (A. 13. 247) scheinen übrigens betr.
des Verhaltens der Bakterien gegenüber mechanischen Erschütterungen
Artdifferenzen ganz wesentlich in Betracht zu kommen, indem z. B.
Staphylokokk. pyogen, citreus fast ganz vernichtet wurde, während der
Typhusbacillus gar keine Schädigung erlitt. Meltzer (Z. f. Biol. 30.
464) konnte diese Resultate bestätigen; Bac. Megaterium erwies sich
als sehr vulnerabel, Bac. fluoresc. non licpiefac. dagegen als sehr
resistent. Nicht nur grob mechanische Stösse, sondern auch minimales
Zittern kann bei genügend langer Einwirkung Entwicklungshemmung
und Abtötung bewirken; so fand Meltzee Bac. Megaterium und sub-
tilis in flüssigem Nährmedium nach einem 4tägigen Aufenthalt in einer
grossen New-Yorker Brauerei, in welcher durch die Tag und Nacht
arbeitenden Maschinen ein ununterbrochenes Zittern des ganzen Ge-
bäudes hervorgerufen wurde, vollständig abgestorben, während die Kon-
trollproben lebhafte Entwicklung zeigten. Die mikroskopische Unter-
suchung der abgestorbenen Bakterien ergab, dass sie nicht etwa in
grobe Trümmer zerstückt, sondern zu feinstem Detritus verwandelt
waren. Sehr bemerkenswert ist ferner die mit analogen Untersuchungen
von Hansen (Medd. fra Carlsberg I. H. 2) an Hefe übereinstimmende
Thatsache, dass ein geringes Mass mechanischer Erschütterung
auf einen Wasserbacillus förderlich einwirkt; absolute Ruhe war
für die Entwicklung desselben sogar ungünstig; andererseits wirkte
exzessive Erschütterung auch hier entwicklungshemmend. Meltzee
fasst hiernach die Einwirkung mechanischer Bewegung auf den Lebens-
prozess ganz analog dem Einflüsse der Temperatur auf; in beiden
Fällen handelt es sich um Zuführung äusserer Energie zur lebenden
Maschine, die bis zu einem gewissen Grade die Funktionen der letz-
teren fördert, darüber hinaus aber durch übermässige Inanspruchnahme
das Bestehen der Maschinenteile selbst gefährdet, wobei Minimum,
Optimum und Maximum bei verschiedenen Arten von Mikroorganismen
ebenso verschieden sind wie ihr Verhalten gegenüber Temperaturein-
wirkungen. — Über die Wirkungen hohen Druckes auf Mikro-
organismen s. den Abschnitt „Absterbebedingungen".
Licht scheint nicht zu den allgemeinen Lebensbedingungen der
Spaltpilze zu gehören; im Gegenteil gedeihen dieselben vortrefflich bei
Lichtabschluss und von stärkerer Beleuchtung sind überhaupt fast nur
schädigende Effekte bekannt(letztere s.unt. „Absterbebedingungen"). Nach
Engelmann (Pf. 26. 537. — B. Z. 82) sind bei einer Spaltpilzart, Bact.
photometricum, die Schwärmbewegungen vom Lichte abhängig. Über
Gotschltch, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 137
die phototaktischen Bewegungen der Chromatien ist bei der Eigen-
bewegung der Bakterien gehandelt.
Der Elektrizität kommt kein Einfluss als Lebensbedingung für
Spaltpilze zu; stärkere Ströme wirken entwicklungshemmend, worüber
bei den Absterbebedingungen mehr.
E. Vitale Konkurrenz der Mikroorganismen.
Nach Erörterung der chemischen und physikalischen Lebenssub-
strate der Mikroorganismen ist es nun noch erforderlich, den Einfluss
kennen zu lernen, den verschiedene gleichzeitig oder nach einander
auf demselben Nährsubstrat angesiedelte Mikroben auf einander wechsel-
seitig ausüben. Diese Verhältnisse finden sich ja in der Natur, wo
wir es nicht mit Reinkulturen zu thun haben, sehr häufig verwirklicht.
Die künstliche Nachahmung kann durch gleichzeitige oder successive
erfolgende Verimpfung zweier Mikroorganismen auf denselben Nähr-
boden bewirkt werden; hierbei kann entweder eine unmittelbare Ver-
mischung beider Kulturen stattfinden, z. B. durch Impfung eines neuen
Keimes in eine andere ausgewachsene flüssige Kultur, in der die leben-
den Individuen erhalten sind; oder es wird nur der Einfluss der Ver-
änderungen des Substrats, löslicher Stoffwechselprodukte der vorigen
Insassen auf die neu anzulegende Kultur geprüft und zu diesem Zweck
in flüssige, mittelst Filtration durch Chamberland-Filter keimfrei ge-
machte Kulturen geimpf t (Feeudeneeich), oder eine räumliche Trennung
verschiedener Kolonien auf festem Substrat durch Anlegung nahe bei
einander liegender Impfstriche verschiedener Arten bewirkt (Babes).
In den meisten Fällen bemerkt man dann eine antagonistische
Wirkung, die häufig bis zur völligen Unterdrückung des Wachs-
tums einer Art führt. Bei gleichzeitiger Einsat überwuchert diejenige
Art, welche die günstigsten Lebensbedingungen auf dem betr. Substrat
findet. Hier sind vor allem Koncentration, Reaktion und Temperatur
massgebend. Bei den ausserordentlich abweichendenBedürfnissen, welche
in dieser Beziehung Schimmelpilze, Sprosspilze und Bakterien äussern, ist
es nicht wunderbar, dassbei gleicher Aussaat unter verschiedenen Kulturbe-
dingungen ganz verschiedene Vegetationen zustande kommen; so über-
wiegenbeiZüchtung auf saurem, wasserarmen Substrat die Schimmelpilze,
auf leicht alkalischem hingegen die Bakterien; unter beiden findet wieder
beiZimmer- und Brüttemperatur eine Auslese statt, indem z.B. bei Zimmer-
temperatur Penicillium und Mucor, sowie viele gewöhnliche Fäulnis-
und Wasserbakterien vorwiegend zur Entwicklung gelangen, während
bei Brüttemperatur Aspergillusarten, peptonisierende Bakterien etc.
üppig wuchern. Bei annähernd gleich günstigen Lebensbedingungen
138 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
für verschiedene Arten giebt die Verschiedenheit der spezifischen
Wachstunisenergie den Ausschlag. Sind nun mehrere Ansiedelungen
desselben Keimes oder verschiedener Arten auf dem Nährsubstrat er-
folgt, so tritt meist bald eine Hemmung der weiteren Entwicklung
ein; noch stärker macht sich eine solche geltend, wenn ein neuer Keim
erst nachträglich auf ein von anderen Mikroben bereits occupiertes
Substrat gelangt. Die bekannteste Thatsache, die in dieses Gebiet ge-
hört, ist die Wachstumshemmung, welche Bakterienkolonien meist in
sehr dicht besäten Platten erfahren; die Kolonien bleiben, trotzdem
noch Platz zum Wachstum vorkanden ist, viel kleiner als bei dünnerer
Aussat. Ausnahmen kommen freilich vor; man sieht sogar bisweilen
zwei miteinander verschmolzene Kolonien verschiedener Arten, die sich
ungestört entwickeln. Dies weist schon darauf hin, dass die antago-
nistische Wirkung bei den einzelnen Arten sehr verschieden ist. Eine
grosse Anzahl von Arbeiten hat diese Beziehungen für einzelne Arten
festzustellen gesucht.
Um nur einige Beispiele hervorzuheben, so fand Babes (Cornil und Babes,
Les Bacteries. I), dass Milzbrandbacillen und Staphylokokken in sterilisierten
Cholerakulturen sehr kümmerlich wachsen, dass Milzbrandkolonien auf benachbarte
Entwicklung von Pneumoniebacillen hemmend wirken, den Prodigiosus dagegen
nicht stören, dass Staphylokokkus pyogen, aur. die Entwicklung des Milzbrand-
bacillus, dagegen nicht die des Pyocyaneus, Cyanogenes, Pneumoniebacillus
hindert. Nach Garre (Correspondenzbl. f. Schweizer Ärzte. XVII) ist der Bac.
fluoresc. putidus ein Antagonist des Typhusbacillus und umgekehrt, hindert dagegen
gar nicht den Milzbrandbacillus und das Spirillum Finkler-Prior; nach Pavone
(G. J. S7) ist der Typhusbacillus Antagonist des Milzbrandbacillus etc. Abnahme
der Virulenz des Milzbrandbacillus ist von Zagari (ebd.) bei Züchtung in sterili-
sierter Cholerakultur, Beeinträchtigung der Farbstoflproduktion durch antagonis-
tische Wirkung von vielen Autoren, z. B. von Babes bei der Züchtung des Bac.
indicus ruber neben dem Cyanogenes konstatiert. Garre unterscheidet „ein-
seitigen" und „gegenseitigen" Antagonismus, je nachdem die eine Art rein passiv
ist oder bei geänderter Versuchsanordnung auf die erste Art auch ihrerseits
hemmend einzuwirken vermag. Bakterien, die sich gegenseitig nicht stören, nennt
er „symbiotisch". Systematische Durcharbeitung des Gebietes und allgemeine
Gesetzmässigkeiten der antagonistischen Wirkungen fehlen noch fast ganz, wes-
halb eine weitere Häufung von Beispielen als zwecklos unterbleiben mag. Von
besonderem praktischen Interesse ist die antagonistische Wirkung von Saprophyten
auf pathogene Mikroorganismen, die z. B. bei der Frage der Haltbarkeit von
Krankheitserregern in der Aussenwelt, z. B. von Chloravibrionen und Typhus-
bacillen im Flusswasser, in Dejekten etc. eine wichtige Rolle spielt und später
noch eingehend verhandelt wird.
Die antagonistische Wirkung der Mikroorganismen lässt eine mehr-
fache Deutung zu. Einmal könnte es sich um eine einfache Erschöpf-
ung des Substrates an geeigneten Nährstoffen handeln, die durch
die zuerst geimpfte, bezw. bei gleichzeitiger Impfung durch die rascher
Gotschlich, Lebensbedingungen der Mikroorganismen. 139
wachsende Kultur zustande 'kommt und die Entwicklung eines neuen
Keimes unmöglich macht; diese Deutung ist sicher für eine ganze Reihe
von Fällen ausreichend. Daneben sprechen aber auch zahlreiche Er-
fahrungen dafür, dass häufig durch Stoffwechselprodukte der Bak-
terien der Nährboden für eine andere Art ungünstig oder ganz un-
brauchbar gemacht wird; so z. B. konnte Kappes (a. a. 0.) einen durch
vorangegangene Kultur unbrauchbar gewordenen Nährboden durch
nachträglichen reichlichen Zusatz von Nährstoffen auch nicht annähernd
wieder restituieren; ferner gelang es ihm nachzuweisen, dass auch die
tieferen Schichten des Substrats, in denen eine Erschöpfung an Nähr-
stoffen wohl nicht anzunehmen war, dennoch sich auch als zur Ernäh-
rung einer neuen Kultur ungeeignet erwiesen. P. Frankland (Z. 19. 393)
konnte durch vergleichende Versuche mit rohem Flusswasser und einem
künstlich infizierten, vorher durch Kochen sterilisiertem Wasser von
gleichem Bakteriengehalt nachweisen, dass die deletäre Einwirkung der
Saprophyten auf Typhusbacillen in Flusswasser nicht durch die grössere
Vermehrungsenergie der ersteren, sondern durch schädliche, beim
Kochen zerstörbare Stoffwechselprodukte derselben zustande komme.
Was die chemische Natur der antagonistisch wirkenden Stoffwechsel-
produkte angeht, so handelt es sich häufig nur um Änderung der
Reaktion des Nährsubstrats; wurde diese durch Neutralisation rück-
gängig gemacht, so sahen Sieotinin (Z. 4. 262) und Bitter (Über
bakterienfeindliche Stoffe in Bakterienkulturen etc. Habilitationsschrift.
Breslau 1891) in vielen Fällen eine vollständige Restitution des Nähr-
substrates eintreten. In anderen Fällen, wo trotz bestehender antago-
nistischer Wirkung eine Veränderung der Reaktion des Substrats nicht
nachweisbar ist, wie in den Versuchen von Olitzkv (Üb. d. antagonist.
Wirkungen des Bac. fluoresc. liquefac. [Diss.] Bern 1891) und Müh-
sam und Schimmelbusch (A. Ch. 46. 677), oder wo, wie in einigen
Versuchen Bitter's (a. a. 0.) durch Neutralisation die entwicklungs-
hemmenden Eigenschaften des Substrats nicht beseitigt werden können,
muss eine Schädigung durch besondere bakterienfeindliche Stoffwechsel-
produkte angenommen werden. Für die letztere Annahme spricht auch
das elektive Verhalten, welches sich häufig in der antagonistischen Wirkung
zeigt: die Schädigung erstreckt sich oft nur auf einige wenige Arten,
was schwerlich durch eine so allgemeine Alteration des Nährbodens, wie
die Veränderung der Reaktion es ist, erklärt werden kann. Über die che-
mische Natur dieser bakterienfeindlichen Stoffe wissen wir freilich noch
fast nichts. Ausserdem scheint endlich noch die Ausübung der Gähr-
thätigkeit ein mächtiges Hilfsmittel zu sein, durch welches Hefe in gäh-
renden Zuckerlösungen Invasionen von Spaltpilzen abwehrt; die Fern-
haltung der Bakterien gelingt um so vollständiger, je rascher und inten-
140 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
siver nach der Einsat die Gährung beginnt, also bei einer genügenden
Quantität der Hefenaussat, zu der erfahrungsgemäss etwa 1,7 gr Hefen-
trockensubstanz = 10 ccm dicker Hefenmasse auf 1 Liter Nährlösung
ausreichen; wird dagegen nur eine ganz geringe Hefenmenge eingesät,
so gelangen Spaltpilze zu üppiger Wucherung, und man erhält eine
stark verunreinigte Hefenkultur oder gar ein Vorherrschen der Spaltpilze.
Seltener als der Antagonismus zweier neben einander vegetierenden
Arten findet sich eine gegenseitige Begünstigung. So hat Buchner
(Münch. ärztl. Intell.-Bl. 18S5. Nr. 50) gefunden, dass der Choleravibrio
in einer sterilisierten Nährlösung, welche bereits als Nährsubstrat für
Cholera gedient hat und demgemäss die Stoffwechselprodukte der
Cholerabacillen enthält, ein ganz besonders üppiges und vor anderen
Spaltpilzen bevorzugtes Wachstum zeigt; eine ähnliche Begünstigung
des Wachstums durch Stoffwechselprodukte will auch Salkowski (C.
W. 92. 305) bei Wasserbakterien beobachtet haben. Der Saccharomyces
der Ingwerbierhefe gährt nach Ward (r: K. 91. 133) in Symbiose mit
einem anaeroben „Bakterium vermicosum" viel kräftiger; das Bakterium
verwertet und beseitigt wahrscheinlich Stoffe, die bei ihrer Anhäufung
der Hefe schädlich wären. Neuerdings will ferner Türro (C. 17. S68) ge-
funden haben, dass Streptokokken ganz besonders üppig in nicht steri-
lisierten lebenden Cholera- und Pyocyaneus-, sowie auch in Milzbrand-
Kulturen wachsen. In grossem Massstabe findet wahrscheinlich vielfach
in der Natur eine Begünstigung verschiedener Arten statt, indem
die eine der später auftretenden ihren zusagenden Nährboden erst durch
Änderung der chemischen Reaktion, Schaffung geeigneter Nährstoffe,
Beseitigung schädlicher Stoffe etc. bereitet. So kommt z. B. in ver-
schiedenen Stadien der Fäulnis eine verschiedene Flora von Bakterien
zur Entwicklung; vor allem wird auch auf diesem Wege den obligaten
Anaeroben, die im Laboratorium nur unter besonderen Cautelen, bei
strengem Luftabschluss zu züchten sind, unter natürlichen Verhältnissen
die Möglichkeit der Entwicklung geschaffen, indem durch massenhafte
Wucherung aerober Arten der auf die Anaeroben giftig wirkende
Sauerstoff vollständig aus dem Substrat entfernt wird, oder, wie aus
neueren Versuchen Kedrowski's (Z. 20. 358) zu folgen scheint, indem
durch diese aeroben Arten besondere chemische Substanzen gebildet
werden, die etwa nach Analogie reduzierender Stoffe den Anaeroben
das Wachstum ermöglichen. — Über die antagonistischen Wirkungen
verschiedener pathogener Mikroorganismen im Tierkörper, sowie über
Mischinfektion wird an anderer Stelle dieses Werkes verhandelt.
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 141
Zweites Kapitel.
Lebensäusserungen der Mikroorganismen
von
Dr. E. Gotschlich.
Nach Kenntnis der Bedingungen, die für das Leben der Mikro-
organismen notwendig sind, ist es nunmehr die Aufgabe dieses Ab-
schnitts, zu zeigen, welche Effekte durch das Zusammenwirken der be-
sprochenen äusseren Faktoren und der lebenden Mikroben entstehen, so-
wie die Art und Weise des Zustandekommens dieser Lebensäusserungen
soweit als möglich zu erklären. Es liegt auf der Hand, dass dieses
Thema, welches auch die spezielle Thätigkeit der Mikroorganismen
bei der Gährung und Krankheiterregung zu behandeln hat, zu den
wichtigsten Kapiteln gehört, welche die Lehre von den niederen Pilzen
ausmachen.
Der Stoff- und Kraftwechsel der Schimmel-, Spross- und Spalt-
pilze stimmt in seinen Hauptzügen so weit überein, dass eine geson-
derte Behandlung der drei Klassen in diesem Abschnitt mit wenigen
Ausnahmen nicht notwendig erscheint; es ist daher überall das Ver-
halten der Spaltpilze als der am genauesten gekannten und hygienisch
wichtigsten Gruppe zu Grunde gelegt, und nur an einzelnen Stellen
musste das abweichende Verhalten der anderen Hauptgruppen speziell
geschildert werden.
Vorausgeschickt sei eine kurze Übersicht über den allgemeinen
Charakter des Lebensprozesses bei den Mikroorganismen; hier-
nach werden in besonderen Kapiteln Atmung, Assimilation und
Verwendung der Nährstoffe im Zellleib der Mikroorganismen, so-
wie die physikalischen Leistungen, zu denen sie dadurch befähigt
werden, abgehandelt.
Hieran schliesst sich die Betrachtung der Stoffwechselprodukte,
unter denen die Bakteriengifte, als Ptoma'fne, Toxine, Tox-
albumine, sowie die isolierbaren Fermente der Bedeutung und
dem Umfange des Gebietes angemessen, in besonderen Kapiteln ab-
gehandelt werden. In den beiden demnächst folgenden Hauptabschnitten
soll uns sodann Erörterung jener zwei eigentümlichsten und hygienisch
besonders wichtigen Lebensäusserungen der Mikroorganismen, derGähr-
thätigkeit und Krankheitserregung beschäftigen. Endlich gelangt
diejenige höchste vitale Funktion, welche Abschluss und Ziel aller
Lebensprozesse darstellt, die Erzeugung neuer gleichartiger In-
dividuen, mit der dazu gehörigen Lehre vom Wachstum und der
Fruktifikation der Mikroorganismen zur Besprechung.
142 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
A. Allgemeiner Charakter des Lebensprozesses bei den Mikroorganismen.
Wie bei den höheren Lebewesen, so ist auch bei den Mikro-
organismen der Lebensprozess charakterisiert durch die Hervorbringung
von Leistungen, die sowohl durch ihre Grösse und Vielseitigkeit, als
auch durch ihre Produkte, welche in der Erzeugung neuer, gleich-
gearteter Individuen gipfeln, von den in der leblosen Natur unter gleichen
äusseren Umständen erzeugten "Wirkungen sich unterscheiden. Die
naive unwissenschaftlicheBetrachtung derLebensvorgänge musste daher,
da sich ihr keine zureichende äussere Erklärung für diese so auffallenden
und mächtigen Leistungen darbot, zu der Annahme sich gedrängt fühlen,
dass diese Vorgänge überhaupt nicht auf die sonst in der Natur
herrschenden Gesetze zurückzuführen seien, und dass es zu ihrer Er-
klärung einer besonderen mit aussergewöhnlichen Wirkungen begabten
„Lebenskraft" bedürfe. Wenn nun auch freilich die wissenschaftliche
Beobachtung feststellte, dass die Lebensvorgänge nur unter ganz be-
stimmten äusseren Bedingungen zustande kommen, so konnte es
ihr doch nicht entgehen, dass der Effekt dieser äusseren Faktoren
unter Mitwirkung der lebenden Zelle entweder ein ganz anderer, wie in
der leblosen Natur war, oder doch quantitativ sehr weit von den Vor-
gängen in der letzteren sich unterschied, indem dieselben Leistungen
künstlich nur mit Aufwand ungleich mächtigerer Mittel bewerkstelligt
werden konnten. Wir sehen z. B. gerade bei den Mikroorganismen
chemische Umsetzungen, wie Gährungen, Fermenu Wirkungen oder Syn-
thesen sich vollziehen, die im chemischen Apparat entweder noch gar
nicht oder nur unter Zuhilfenahme anderweitiger äusserer Mittel, wie
z.B. des Sonnenlichtes, hoher Hitzegrade, starker Säuren etc. nachgeahmt
werden können. Es muss also im Protoplasma selbst eine
Energiequelle vorhanden sein, die für diese äusseren Hilfsmittel
einzutreten, ja ihre Wirksamkeit zu übertreffen vermag; diese Energie-
quelle ist in der Selbstzersetzung hochkomplizierter, sehr
labiler Moleküle unter Sättigung von Affinitäten und Frei-
werden kinetischer Energie zu sehen. Auf diese Auffassung wird
man schon durch den scheinbar spontanen Charakter derLebens-
vorgänge hingedrängt, die mit den scheinbar ebenso ohne äusseren An-
stoss erfolgenden und zuweilen, wie bei Explosivstoffen, mit gewaltiger
Kraftentwicklung verbundenen Zersetzungen lebloser chemischer Stoffe
gewisse Ähnlichkeit bieten. Ausserdem aber stimmen mit dieser An-
nahme zwei Grundthatsachen, welche, soweit bekannt, für das gesamte
Reich aller Lebewesen gelten und auch speziell für die Mikroorganismen
nachgewiesen sind, überein: erstens die durchgängige Abhängigkeit
der Energie des Lebensprozesses von der Temperatur, und
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 143
zwar in dem Sinne, dass unterhalb einer gewissen Temperaturgrenze
das Leben nicht erlischt, sondern nur sistiert wird, dass dann mit
steigender Temperatur die Energie der Lebensäusserungen sich stetig
vermehrt und endlich nach Überschreitung des Optimums rasch wieder
vermindert, wobei das Leben selbst in Gefahr gebracht wird. Genau
ebenso geht auch die Selbstzersetzung einer explosiven Substanz nur
oberhalb eines bestimmten Temperaturminimums vor sich und verlangt
überhaupt jeder chemische Prozess eine gewisse Wärmezufuhr, weil
nur oberhalb eines bestimmten Temperaturgrades die Energie der
intramolekularen Schwingungen so gesteigert ist, dass sie, sei es blos
durch die Bestandteile des eigenen Moleküls, sei es noch unter Mit-
wirkung äusserer Affinitäten, die anziehenden Kräfte zu überwinden und
das Molekül zu sprengen vermag, worauf unter festerer Bindung der
Atome zu neuen, einfacheren Molekularverbänden kinetische Energie
frei wird. Mit zunehmender Temperatur wird sich dieser
Prozess, wie jede chemische Reaktion, bis zu einer gewissen Grenze
beschleunigen; nach Überschreitung dieser Grenze kann er
deshalb keinen dauernden Bestand haben, weil dann die restitutiven
Prozesse nicht gleichen Schritt mit der Zersetzung halten können und
vielleicht schon die Vorstufen derjenigen Substanz, welche sonst der
Träger des Lebensprozesses ist, bei so gewaltiger Steigerung der zu-
geführten Energiemengen zerfallen und es so zur Bildung der lebenden
Substanz gar nicht mehr kommen lassen. — Ausser dieser Abhängig-
keit von der Temperatur spricht für die Existenz eines Zersetzungs-
prozesses als primärer Ursache des Lebens noch zweitens die Thatsache,
dass bei Aufhören der Nahrungszufuhr das Leben nicht so-
gleich erlischt, wie es der Fall sein müsste, wenn dasselbe in der
lebenden Zelle blos durch die Wirksamkeit äusserer Faktoren,
ähnlich wie im Reagensglas, oder höchstens noch unter geringer Mit-
wirkung osmotischer Triebkräfte zustande käme; es geht vielmehr
auf Kosten der lebenden Zelle weiter, welche schliesslich dadurch
zerstört wird und so den Charakter des Zersetzungsprozesses deutlich
zeigt. Diese grundlegende Thatsache, die z. B. für höhere Lebewesen
von Pflüger (Pf. 10) durch den Nachweis der Ausscheidung von
C02 bei Fröschen in reinem Stickstoff festgestellt wurde, besteht
auch für Mikroorganismen, wie später im Abschnitt über Vermehrung
und Fortpflanzung derselben noch eingehend gezeigt werden soll.
Die Art dieser primären, im Protoplasma erfolgenden Zerlegungen
und die chemische Natur der Körper, welche ihnen unterliegen, ist noch
nicht genau bekannt; vermutlich handelt es sich um den Protei'nstoffen
nahestehende, aber wohl noch kompliziertere Verbindungen, jedenfalls von
ausserordentlich labiler Konstitution. Als Spaltungsprodukt wird
144 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ausnahmslos C02 beobachtet. Dieser ganze Prozess, welcher die
primäre Ursache des Lebens darstellt, wird gewöhnlich als intra-
molekulare Atmung bezeichnet. Für dieselbe ist kein Sauer-
stoffzutritt erforderlich, es ist vielmehr sowohl für Pflanzen- als für
Tierzellen charakteristisch, dass ihr Leben auch ohne Sauerstoffzufuhr
eine Zeit lang weiter gehen kann, bis die Zellsubstanz selbst zerstört ist.
Die intramolekulare Atmung hat offenbar einen destruktiven
Charakter; zum dauernden Bestände des Lebensprozesses ist dem-
gemäss das Hinzutreten restitutiver Prozesse erforderlich, welche
die lebendige Substanz beständig regenerieren. Hierzu bedarf es der
Zuführung geeigneter chemischer Stoffe, der Nährstoffe, von aussen,
die dann unter dem unmittelbaren Einflüsse der durch den destrukti-
ven Lebensprozess freigewordenen Energie zu ganz anderen und weit
bedeutenderen Leistungen befähigt sind als ausserhalb der lebenden
Zelle; mag man sich nun diese aussergewöhnlichen Leistungen mit
Hoppe-Seylee als durch Aktivierung des Sauerstoffs oder mit Pflüger
durch enorm hohe Temperaturen, welche in der unmittelbaren Nähe
der zerspaltenen lebenden Moleküle zustande kommen, bewirkt denken.
Die Aufnahme der Nährstoffe in die lebende Zelle hat nun zweier-
lei Aufgaben zu erfüllen: erstens soll neues, zur Zersetzung im
Protoplasma geeignetes Material geschaffen werden; dieser Teil des
restitutiven Stoffwechsels, welcher neue Energiecpiellen schafft, kann
als „dynamogene Ernährung" bezeichnet werden; ausserdem aber
sollen die abgenützten Maschinenteile der lebenden Zelle wieder her-
gestellt werden, es soll die Zelle sich vergrössern, wachsen, und endlich
sollen neue gleichartige Organismen aufgebaut werden; diese Thätig-
keit kann als „plastische Ernährung" bezeichnet werden. In beiden
Fällen müssen aber, da weder die dynamogenen noch die plastischen
Stoffe in der Natur vollständig präformiert sich finden, die Nährstoffe
eine Reihe von Umwandlungen durchmachen, ehe sie in die geeignete
Form gebracht werden; diese Thätigkeit der lebenden Zelle begreift
man als „Assimilationsprozesse". In diesen allgemeinsten Zügen
verhält sich der Lebensprozess bei höheren Tieren und Pflanzen und
bei den Mikroorganismen vollständig gleich, wobei es auch im Prinzip
nichts ändert, dass bei der Pflanze der Chlorophyllapparat unter Ein-
wirkung des Sonnenlichtes eine weit mächtigere synthetische Thätigkeit
entfaltet, als dies im Tierkörper der Fall ist, wo die Nährstoffe in
bereits relativ complexen Molekülen aufgenommen werden; bieten doch
gerade die Mikroorganismen in ihrem so ausserordentlich verschiedenen
Nährstoffbedarf, wie wir im vorigen kennen gelernt haben, eine fast
kontinuierliche Kette von Übergängen zwischen Tier und Pflanze, an-
gefangen von obligaten Parasiten, die nur im lebenden menschlichen
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. I45
Körper zusagende Nährstoffe finden, bis zu den Nitrobakterien Hueppe's
und Winogkadsky's, welche C02, sogar ohne Mitwirkung von Licht,
zur Synthese höherer organischer Verbindungen verwenden.
Auf dem Gebiete der dynarnogenen Ernährung dagegen ergeben
sich zwischen den höheren Lebewesen einerseits, den Mikroorganismen
andererseits durchgreifende Verschiedenheiten. Während nämlich der
Sauerstoff für alle Tiere und Pflanzen ein zum dauernden Be-
stände des Lebens absolut unentbehrlicher Nährstoff ist, da erst
durch sein Eingreifen die Produkte der intramolekularen Atmung
durch umfangreiche Oxydationen gewaltige Energiemengen liefern,
vermag ein grosser Teil der Mikroorganismen dieses wichtige Lebens-
element dauernd zu entbehren; ja für die obligaten Anaeroben wirkt
der freie Sauerstoff geradezu als Gift, und ihr Leben kann sich nur
bei Abschluss desselben vollziehen. Das Verhalten der Mikroorganis-
men bei Sauerstoffabschluss ist nun aber im einzelnen ein sehr verschie-
denes. Häufig beobachtet man eine deutliche Abschwächung gewisser
Lebensäusserungen; dann vermag eben die intramolekulare Atmimg bei
Sauerstoffabschluss nur geringere Mengen von Energie zu entwickeln,
aber doch immerhin ausreichend, um das Leben dauernd zu erhalten.
In vielen Fällen tritt dagegen für diese fehlende mächtige Energie-
quelle ein eigenartiger, nicht minder ergiebiger Ersatz in Form der
Gährthätigkeit ein, indem in den Chemismus der Zelle Stoffe ein-
bezogen werden, welche durch ihren gewaltigen Gehalt an potentieller
Energie, der bei ihrer Spaltung in kinetische Energie umgesetzt wird,
der Zelle diejenigen Kraftmengen zuführen, die sie sonst durch Oxy-
dationen erhielt; unter diesen Umständen können sogar streng aerobe
Mikroorganismen, wie Hefe, temporär ihr Dasein bei Luftabschluss
fristen. Freilich tritt ein solcher Ersatz durch Gährthätigkeit nicht
in allen Fällen ein, wie Libokitjs (Z. 1. 115) gezeigt hat; häufig findet
üppige Entwicklung unter anaeroben Versuchsbedingungen ohne gleich-
zeitige Gährung statt; in solchen Fällen muss man annehmen, dass die
intramolekulare Atmung genügende Mengen von Energie für alle
Lebensäusserungen schafft, was gar nichts Unverständliches an sich
hat, da die Menge der entwickelten lebendigen Kraft je nach der chemi-
schen Natur der zur Spaltung kommenden Stoffe sehr verschieden
sein kann; auch scheint dann häufig ein anderweitiger Ersatz, z. B.
durch die Anwesenheit reduktions fähigen Materials, geboten zu
werden. Hiernach ist die Möglichkeit eines dauernden Lebens ohne
Sauerstoff wohl einzusehen, und die Frage wäre als gelöst anzusehen,
wenn es nur eine fakultative Anaerobios e gäbe. Wie erklärt sich
aber die Thatsache, dass zahlreiche Mikroorganismen überhaupt nicht
bei Sauerstoffzutritt leben können, dass dieses Element für sie geradezu
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 10
146 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
giftig, abtötend wirkt? Auf diese merkwürdige Erscheinung vermag
vielleicht die Thatsache, dass auch aerobe Mikroorganismen auf
eine bestimmte Sau'erstoffspannung angewiesen sind und durch
höheren Gehalt an diesem Gas geschädigt werden, einiges Licht zu
werfen. Die Anaeroben sind dann als Mikroorganismen anzu-
sehen, die auf die Sauerstoffspannung Null abgestimmt sind;
ihnen stehen sehr nahe die roten Schwefelbakterien, für die nach Wino-
gradsky ein ganz minimaler Sauerstoffgehalt des Mediums das Optimum
ihrer Existenzbedingungen repräsentiert. Inwiefern aber der Sauerstoff
in einer bestimmten oder auch in jeder, selbst der kleinsten Spannung
schädigend auf die Zelle einwirken kann, ist zwar im einzelnen Falle nicht
speziell anzugeben, wohl aber im allgemeinen verständlich, wenn man
die eingreifende Rolle desselben in der intramolekularen Atmung be-
trachtet; sei es, dass analog den Wirkungen übermässig hoher Temperatur-
grade eine unverhältnismässige, den Bestand des Lebens gefährdende Zer-
setzung bewirkt wird, der gegenüber die restitutiven Vorgänge nicht mehr
aufkommen können, sei es, dass giftige Stoffwechselprodukte entstehen,
welche zur Entwicklungshemmung führen etc. Übrigens steht die
schädigende Wirkung selbst geringer Sauerstoffmengen auf obligate
Anaeroben vollständig in Analogie mit dem entwicklnngshemmenden
Einfluss des Lichtes auf viele Bakterien, das auch in keiner Intensität
als Reiz, sondern stets, freilich in quantitativ sehr verschiedenem
Masse als ungünstiges Moment wirkt.
Jedenfalls liefert die Thatsache des Lebens ohne freien
Sauerstoff eine glänzendeBestätigung der im Vorigen dargelegten
Anschauung, welche als primäre Ursache des Lebens einen
Spaltungsprozess ansieht und dem Sauerstoff nur eine se-
kundäre Rolle beimisst, im Gegensatz zu der früheren, einzig an
höheren Lebewesen gewonnenen Annahme, die das Leben als Oxy-
dationsprozess auffasste; hier ist zugleich ein Beispiel dafür gegeben,
wie die allgemeine Erkenntnis der Lebensvorgänge aus der Betrachtung
der Biologie der Mikroorganismen noch bedeutende Aufschlüsse zu
erwarten hat.
Endlich ist noch, im Gegensatz zu dem Verhalten der höheren
Lebewesen, die ausserordentliche Mannigfaltigkeit der chemi-
schen Substanzen und Prozesse hervorzuheben, welche die
Mikroorganismen als Kraftquellen auszunutzen vermögen. Ab-
gesehen von den Arten, denen Gährungs- oder Reduktionsprozesse die
erforderlichen Energiemengen liefern, bestehen auch innerhalb der grossen
Gruppe, die in Gemeinschaft mit Tieren und Pflanzen Oxydations-
prozesse ausnützt, die grössten Verschiedenheiten, indem viele Arten
durch Verbrennung hochkomplizierter Eiweissstoffe leben, während
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 147
andere, wie die Essigbakterien, durch Oxydation des Aethylalkohols,
oder wie die Nitrobakterien durch Oxydation des Ammoniaks, oder wie
die Schwefelbakterien durch Oxydation des H2S ihren Energiebedarf
decken und sogar geradezu auf diese differenten Stoffe angewiesen sind.
Die unverhältnismässig geringe Menge organisierter Substanz, die in
diesen Fällen Umsetzungen kolossaler Massen veranlasst, hat diese eigen-
artigen Oxydationsvorgänge ebenfalls den Gährungen anreihen lassen.
B. Die direkte Gasatmung der Mikroorganismen.
die Entfaltung und der Ersatz bestimmter Energiemengen konstant
sind, während die stofflichen Träger derselben und der dabei statt-
findende chemische Prozess sehr verschieden sein können (eine An-
schauung, die neuerdings besonders Hueppe [Naturwissenschaftl. Ein-
führung in d. Bakteriologie. Wiesbaden 1896] mit grossem Gewicht
vertritt), lässt sich bei den zu aerobem Leben befähigten Mikroorganimen
eine direkte Gasatmung unterscheiden, die ganz wie bei höheren
Lebewesen in der Abgabe von C02 und der ciafür eintretenden Auf-
nahme von 02 besteht. Quantitative Untersuchungen über diesen Gas-
wechsel der Mikroorganismen sind von Lübbert (Biolog. Spaltpilz-
untersuchung. Der Staphylokokk. pyogen, aur. 1886. 38 ff.) und in um-
fangreicher Weise von Hesse (Z. 15. S. 17 u. 183) angestellt worden.
Es ergab sich hierbei, dass die Abgabe von Kohlensäure und Auf-
nahme von Sauerstoff um so reichlicher erfolgt, je energischer das
Wachstum der Kultur vor sich geht; daher ist der Gasaustausch bei
Brüttemperatur bedeutender als bei Zimmertemperatur, bei optimaler
Alkalescenz grösser als bei ungünstigerer Reaktion und vor allem,
wenigstens bei schnell wachsenden Bakterien, in den ersten Tagen weit
intensiver als im späteren Alter der Kultur. Unter gleichen Versuchs-
bedingungen und bei einem und demselben Bakterium gestaltet sich
der Gasaustausch ganz gleich; verschiedene Bakterien unterscheiden sich
unter gleichen äusseren Verhältnissen zuweilen in ihrer Atmung in ganz
charakteristischer Weise; so zeigt z. B. der PEEiEEER'sche Kapselbacillus
einen plötzlichen Anstieg des Gasaustausches, dann 1 — 2 Tage hindurch
Verweilen auf der Höhe, hierauf zuerst rasche, dann immer langsamere
Abnahme desselben; der Tuberkelbacillus hingegen zeigt lang andauern-
den, sehr schwachen und ziemlich gleichmässigen Gaswechsel. Sehr
bemerkenswert ist dieThatsache, dass, besonders zur Zeit des lebhaftesten
Wachstums der Kultur, weit mehr Sauerstoff aufgenommen wird, als
sich in der ausgeschiedenen Kohlensäure wiederfindet; der zurückge-
haltene Sauerstoff wird zum Aufbau der Bakterienleiber oder zur Dar-
io*
148 Allgemeine Morphologie der Mikroorganismen.
Stellung nichtflüchtiger Stoffwechselprodukte verwendet. Die Grösse der
Sauerstoffretention ist bei verschiedenen Arten und unter verschie-
denen Versuchsbedingungen verschieden. Auch anaerobe Arten zeigen
Kohlensäureproduktion, müssen also den hierzu erforderlichen Sauer-
stoff aus dem Nährmedium abspalten. Leider ist in diesen Versuchen
die Wachstumsenergie der Kultur nur nach dem Augenschein beurteilt;
dies mag wohl bei einer und derselben Art einen gewissen Vergleich
verschiedener Züchtungsbedingungen zulassen, giebt aber keinen brauch-
baren Massstab für den Vergleich verschiedener Kulturen und auch
schon nicht mehr derselben Kultur in verschiedenen Stadien ihrer Ent-
wicklung, da die verschiedene Ausbildung der Intercellularsubstanz
an der makroskopisch entwickelten Kulturmasse einen sehr verschiedenen
und ganz unkontrollierbaren Anteil hat. Ein genauer Massstab Hesse
sich nur durch zahlenmässige Feststellung der Vermehrungsenergie
erhalten; auf diese Weise könnte man in absolutem Masse den Stoff-
wechsel des einzelnen Bakterienindividuums, dessen Verhalten in ver-
schiedenem Alter der Kultur und unter verschiedenen Versuchsbeding-
ungen bestimmen und die chemischenLeistungen verschiedenerBakterien-
arten vergleichen.
C. Die Assimilation und Verwendung der Nährstoffe im Zellleib der
Mikroorganismen.
Da das Eindringen der Nährstoffe bei den Pilzen gerade so wie
bei jeder pflanzlichen Zelle mittelst Diosmose durch die Zellwand er-
folgen muss, sind selbstverständlich nur diejenigen Stoffe zur Aufnahme
geeignet, welche in wässriger Lösimg vorhanden und diffusibel sind;
wo scheinbar eine Ernährung der Pilze durch feste Substrate erfolgt,
ist eine Lösung derselben durch Sekrete der Pilze voraufgegangen. An
diesen vorbereitenden Prozessen sind namentlich die schon erwähnten,
von den Mikroorganismen ausgeschiedenen Fermente beteiligt, die z. B.
festes Eiweiss peptonisieren oderDisaccharate hydratisieren oder Cellulose
lösen und so den Pilzen zugänglich machen.
Die chemische Beschaffenheit der aufzunehmenden Stoffe kann,
wie früher erwähnt, sehr verschieden sein. Schon deshalb ist die An-
nahme eines Assimilationsprozesses unerlässlich, wTeif so differente
Stoffe für die Funktionen der Zelle nicht gleichwertig sein können.
Die assimilierende Fähigkeit ist bei verschiedenen Mikroorganismen
von ausserordentlicher Verschiedenheit; die Grösse dieser Fähigkeit, sowie
die chemische Konstitution des gegebenen Stoffes stellen dieBedingungen
dar, unter denen derselbe als Nährstoff verwendet werden kann. Bei
der grossen Verschiedenheit, welche hiernach der Assimilationsprozess
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 149
bei verschiedenen Arten zeigen muss, und mit Rücksicht auf die von
Cbamer (A. 13; 16; 22) festgestellte Thatsache, dass die Bakterien
sich der Zusammensetzung ihres Nährsubstrats in weitgehender Weise
anzupassen vermögen, erscheint es vorläufig als unmöglich, den Gang
dieses Prozesses allgemein schematisch anzugeben. Auch über die
Frage, welcher Art das erste Assimilationsprodukt auf dem Wege
zum Eiweiss zu sein pflegt, sind einstweilen nur Vermutungen möglich.
Die bei höheren chlorophyllführenden Pflanzen deutlich als eines der
ersten Assimilationsprodukte erkannte Stärke spielt bei den Mikro-
organismen diese Rolle sicherlich nicht, da sie nur bei wenigen Arten
(Granulobakter, Leptothrix) gefunden ist. Nägeli glaubte aus der ver-
schiedenen Nährthätigkeit der C-Verbindungen schliessen zu müssen,
dass das erste Assimilationsprodukt aus drei verketteten C-Atomen be-
stehe, an denen H- und O-Atome hängen und welches mit einem gleich-
artigen Atomkomplex zu einem grösseren Molekül von 6 C-Atomen
sich verbindet; je ähnlicher die Nährstoffe diesem hypothetischen Körper
sind, desto geringere Schwierigkeit soll ihre Assimilation machen und
desto grösser ihre Nährtüchtigkeit sein. Die Thatsache, dass sich eine
allgemein giltige Skala der Nährtüchtigkeit für die Mikroorganismen
nicht aufstellen lässt, steht freilich der allgemeinen Bedeutung dieser
Hypothese im Wege. Loew (C. 9. 659) stellt für das primäre Assi-
milationsprodukt, von dem sowohl die Bildung von Kohlehydraten als
auch, unter gleichzeitiger Mitwirkung N- und S-haltiger Verbindungen,
die Bildung der Eiweisskörper ausgehen könne, den Formaldehyd auf.
Was speziell die Assimilation der C02 durch die Nitro-
monas anbelangt, so widerspricht Winogradsky (P. 1890. * — C. R.
110. 1013) entschieden der früher von Htjeppe (Schilling's Journ f.
Gasbel. und Wasservers. 1887) geäusserten Anschauung, dass hierbei
zunächst eine „ Chlorophyll wirkung ohne Chlorophyll", d. h. die
Bildung von einem celluloseähnlichen Kohlehydrat stattfinde; er glaubt
vielmehr, dass zuerst eine Amidbildung aus C02 und NH3 vor sich
geht und dass das erste Produkt der Synthese vielleicht Harnstoff sei,
welcher dann weiterhin, in Analogie mit anderen Mikroorganismen,
zum Aufbau des Eiweissmoleküls dienen könne, wogegen freilich Loew
(a. a. 0.) gewichtige Bedenken geltend macht.
In ganz eigenartiger Weise muss sich auch offenbar bei den stick-
stofffixierenden Bakterien die Assimilation des elementaren at-
mosphärischen N2 und seine Verwendung zum Aufbau des Protoplasmas
vollziehen, zumal wenn man die geringe Reaktionsfähigkeit und die
träge Affinität des freien Stickstoffs gegenüber anderen Körpern in
Rücksicht zieht. Nach Winogradsky's (C. R. 118. 335) Versuchen mit
einem solchen N-fixierenden Bakterium, welches gleichzeitig Gährung
|5() Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
zu erregen vermochte, ist die Assimilation des N2 vielleicht in der
Weise zu denken, dass sich derselbe zuerst mit nascierendem, im Zell-
leib entstandenen H verbindet; von da aus böte das Verständnis des
weiteren Assimilationsprozesses keine besondere Schwierigkeit mehr.
Neben diesen beiden ganz einzig dastehenden Gruppen der Nitro-
bakterien und der stickstofffixierenden Mikroorganismen lassen sich unter
den Bakterien bezüglich der Ernährung nach Loew (a. a. 0.) und Beije-
EiNCK(r: C. 8) folgende physiologische Typen unterscheiden: 1. solche, die
Proteine oder ihnen sehr nahestehende Körper und daneben noch eine be-
sondere Kohlenstoffquelle, Z.B.Traubenzucker verlangen; 2. solche, die nur
Proteine und ähnlicher Verbindungen, aber keiner besonderen Kohlen-
stoffcjuelle bedürfen; 3. solche, die aus einfacheren Verbindungen, Amiden
etc. ihren Bedarf decken können. Die zweite Gruppe, zu der einige
Leuchtbakterien, sowie Beijerinck's Bac. cyaneofuscus gehören, ist
nach diesem Autor deshalb besonders interessant, weil ihr Verhalten
nicht in das hergebrachte Schema der Atmung passt, wonach der Er-
satz für die aus dem lebenden Eiweiss abgespaltene C02 stets durch
Kohlehydrat bewirkt werden soll; hier tritt das Pepton dafür ein. —
Das Wesen der Assimilation besteht, wie schon der Name besagt,
darin, dass heterogene, von aussen eingeführte Stoffe unter dem Ein-
fluss des lebenden Plasmas so umgeformt werden, dass sie ebenfalls
zum lebenden Plasma werden, ein Prozess, den man sich nur als eine
komplizierte Synthese vorstellen kann. Der direktive Einfluss des
lebenden Plasmas auf diese bei der Assimilation stattfindende Syn-
these ist nach den neueren Untersuchungen von E. Fischer über
Synthesen in der Zuckergruppe nicht mehr ohne Analogie. Auch
hier hat sich allgemein gezeigt (B. Ch. 27. 3230), dass bei ein-
mal gegebener Asymmetrie eines Zuckermoleküls auch der
weitere Aufbau asymmetrisch und zwar in demselben Sinne
verläuft, dass also auch hier eine Elektion unter den möglichen Pro-
dukten der Synthese stattfindet. Denkt man sich z. B., dass die durch
3 malige Blausäureanlagerung an die aktive d-Mannose entstehende,
ebenfalls aktive d-Mannononose so gespalten wird, dass sich die ur-
sprüngliche aktive d-Hexose zurückbildet, so müsste auch die neu
entstehende Triose optisch aktiv und zwar eine d -Verbindung
;sein. „Das eine aktive Molekül hätte dann ein zweites ge-
boren". In ähnlicher Weise lässt sich vielleicht die Entstehung neuen
lebenden Plasmas durch Anlagerung der eintretenden Gruppen an alte
lebende Moleküle erklären, worauf eine Abspaltung eines neuen, gleich-
artigen, lebenden Moleküls stattfindet, das dann ev. durch Polymeri-
sation sich vergrössern, wachsen kann. Das alte Molekül wird dabei
nach Analogie des Verhaltens beim Zucker zurückgebildet und kann
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. \§\
sich neue, zu assimilierende Atomgruppen anlagern; auf diese Weise
würde sich erklären, wie eine minimale Menge lebender Substanz, einem
Fermente ähnlich, ungleich grössere Massen von Nährstoffen zu ver-
arbeiten und zu assimilieren vermag. —
Über die quantitative Ausnutzung der Nährstoffe sind
systematische Untersuchungen bisher noch nicht angestellt. Gelegent-
liche Beobachtungen sind von Kappes (a. a. 0. Diss.) und Gramer
(A. 16. 170 und 190; 22. 188) mitgeteilt, Kappes fand von einem
l,5proz. Agar, der insgesammt 4 °/0 Trockensubstanz enthielt, den Trocken-
gehalt der Ernte bei Bac. prodigiosus zu 0,26%, bei Bac. xerosis zu
0,36%, beim Soorpilz zu 0,33% des frischen Nährbodens; es waren also
im Mittel etwa 12 % der Trockensubstanz des Substrats zu plastischen
Zwecken ausgenutzt; durch Erhöhung der Koncentration des Nähr-
mediums Hess sich dieser Ertrag nicht steigern. Gramer fand beimPneu-
moniebacillus, beim Rhinosklerombacillus, beim PFEiFEER'schen Kapsel-
bacillusund einem Wasserbakterium bei Wachstum auf Agar verschiedener
Zusammensetzung eine relativ geringe Ausnützung der Trockensubstanz,
welche zwischen 4,4 und 7,5 % schwankte. Sehrbemerkenswertistfernerdie
schon oben erwähnte Thatsache, dass der Eiweissgehalt des Bakterien-
leibes, welcher vom Eiweissgehalt des Nährmediums abhängt, mit
steigendem Gehalt des letzteren unverhältnismässig viel langsamer zu-
nimmt; hiernach scheint die Ausnutzung des Nährbodens mit steigen-
der Stickstoffzufuhr ungünstiger zu werden oder auch die Zerlegung
mit der Aufnahme gleichen Schritt zu halten. Eine sehr vollständige
Ausnützung des dargebotenen Stickstoffs fand dagegen Cramer für
Cholerabacillen in alkalischer Bouillon; 90 — 95 % desselben fanden sich
in der Leibessubstanz der Vibrionen wieder. Sehr ungenügend war
wiederum die Ausnützung des Stickstoffs in der eiweissfreien Uschinsky-
schen Nährlösung, wo sie häufig nur 2 — 3% betrug; dabei traten
zwischen verschiedenen Cholerarassen bemerkenswerte Differenzen auf,
indem ältere, lange Zeit im Laboratorium fortgezüchtete Kulturen auf
diesem Nährboden besser fortkamen, als frisch aus dem menschlichen
Körper isolierte. Vollständige Aufzehrung des Asparagins als alleiniger
Stickstoffquelle wiesen Arnattd u. Charrin (C. R. 112. 755) für den
Bac. pyocyaneus nach. Gramer (A. 22. 176 ff.) fand für Cholera-
bacillen, dass der direkte Kontakt mit der atmosphärischen
Luft sie zu einer weit grösseren Ausnützung des N ährmaterials
befähigt, als wenn die Luft durch eine Flüssigkeitsschicht zu ihnen
diffundieren muss. In ganz analoger Weise vermögen übrigens auch
Tuberkelbacillen nur in unmittelbarer Berührung mit der atmosphärischen
Luft sich fortzuentwickeln; untergesunkene Kulturbröckchen zeigen
selbst in mit Luft geschüttelter Nährlösung kein Wachstum mehr.
152 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Das Verhältnis der dynamogenen zur plastischen Er-
nährung wird häufig zu Ungunsten der ersteren falsch beurteilt, in-
dem nieist nur das Resultat der plastischen Prozesse, die Anlagerung neuer
Körpersubstanz, Wachstum und Vermehrung, ins Auge fällt, während die
für die Energieentwicklung aufgewendeten Umsetzungen der makrosko-
pischen Betrachtung entgehen und nur durch chemische Analyse nach-
weisbar sind. In der That ist aber sehr häufig der dynamogene Teil
des Stoffwechsels viel bedeutender als der plastische. So fanden
Aenaud und Charein (a. a. 0.) beim Wachstum des Bac. pyocyaneus
in einer 5 °/00 Asparaginlösung nach 15 Tagen folgende Verteilung
des im Substrat vorhanden gewesenen Kohlenstoffs: 72,5 °/0 waren in
C02 abgeschieden, also zu Zwecken der Atmung bestimmt und nur
13,8 °/0 zum Aufbau der Bakterienleiber verwendet; 13,5 % waren
ausserdem zur Darstellung von nicht flüchtigen Stoffwechselprodukten
verbraucht worden. Ähnliche Resultate ergab die Berechnung für die
Ausnutzung des Stickstoffs aus dem Asparagin: 91,1 % des N waren
in Form von Ammoniakverbindungen ausgeschieden, und zwar hiervon
50,0 % durch direkte Hydratation des Asparagins, 41,1 % auf einem
Umwege durch Bildung aus einem intermediären Produkt, der Aspara-
ginsäure; 4,04 °0 waren in andere Stoffwechselprodukte eingegangen
und nur 4,66 0,0 waren zum Aufbau der Bakterienleiber verbraucht
worden. Bei Wachstum auf Gelatine änderte sich das Verhältnis etwas
zu Gunsten der plastischen Ernährung, indem nur 70 °/0 des Stickstoffs
in Form von Ammoniakverbindungen ausgeschieden wurden (C. R. 112.
1157). Auch die oben erwähnten Angaben Hesse's über die Sauerstoff-
retention beim Gaswechsel der Bakterien lassen vielleicht gewisse
Schlüsse über das Verhältnis zwischen Stoffverbrauch und Stoffanlage-
rung zu, wenn auch wohl nicht die ganze Menge des zurückgehaltenen
Sauerstoffs zu plastischen Zwecken, sondern teilweise zur Herstellung
nicht flüchtiger Stoffwechselprodukte verwendet worden sein mag. Nach
diesen Zahlen ist im Beginn der Kultur, wo ein üppiges Wachstum
und massenhafte Neubildung von Individuen stattfindet, der plastische
Stoffwechsel bedeutender als der dynamogene; so ist z. B. aus den
Tabellen zu entnehmen, dass beim PEEiFFER'schen Kapselbacillus
(a. a. 0. 35. Nr. 7 a) binnen 2 Tagen 20,9 °/0 02 aufgenommen, aber nur
10,0 °/0 C02 abgegeben worden sind; in der C02 sind also nur 7,3 °/0 02
ausgeschieden, während zum Aufbau der Bakterienleiber 13,6 % 02
verbraucht wurden; die Gesamtmenge des aufgenommenen Sauerstoffs
verteilt sich also zu etwa 35 % für dynamogene und zu 65 % für
plastische Zwecke. Über die Beschaffenheit dieses Verhältnisses, sowie
über die absolute Grösse des Stoffwechsels bei verschiedenen Arten
und unter verschiedenen Versuchsbedingungen müssen spätere Unter-
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 153
suchungen entscheiden; auf diesem Wege wird es möglich sein, für
die Mikroorganismen eine quantitative Haushaltsbilanz aufzustellen
und vielleicht auch hier die Giftigkeit des Gesetzes von der Erhaltung
der Energie durch Vergleichung der Verbrennungswärmen der auf-
genommenen und ausgeschiedenen Stoffe, sowie durch Messung der
abgegebenen Energiemengen empirisch zu beweisen.
Die Frage, ob es spezielle dynaniogene Nährstoffe für ein-
zelne Punktionen der Mikroorganismen giebt, ähnlich wie man sich
etwa zuckerartige Körper als spezielles Kraftmaterial für den quer-
gestreiften Muskel vorstellt, scheint für manche Lebensäusserungen
der Bakterien bejaht werden zu müssen. Besonders auffallend ist in
dieser Beziehung die Thatsache, dass alle Leuchtbakterien zur
Produktion ihres Lichtes eines ziemlich hohen Gehaltes an
NaCl im Nährboden absolut notwendig bedürfen. In ähnlicher
Weise beobachtete Gessard (P. 92. 801), dass zur Erzeugung der fluo-
rescierenden Substanz durch den Bac. pyocyaneus unbedingt ein Ge-
halt von mehr als 0,25 °/00 an Phosphaten erforderlich sei, und dass
andererseits zur Bildung des anderen Farbstoffes, des Pyocyanins, ein
gewisser minimaler Gehalt an N- haltigen Stoffen vorhanden sein
müsse; die gleichzeitige Bildung beider Farbstoffe ist nur bei einem
gewissen, innerhalb bestimmter Grenzen schwankenden Verhältnis
beider Arten von Körpern möglich. Neuerdings fand jedoch Lepierre
(P. 95.' 643) diese Angaben für einen anderen fluorescierenden Bacillus
nicht bestätigt; bei diesem war das Vermögen der Fluorescenz an die
ganze Zusammensetzung des Nährsubstrats, besonders was C- und N-
Zufuhr betraf, gebunden; Phosphate wurden nur insoweit erfordert,
als sie überhaupt zum Leben nöthig sind. Vor allem ist aber der
Sauerstoff ein ganz unentbehrlicher dynamogener Nährstoff
für viele Funktionen der Spaltpilze, so für Lichtentwicklung, Bildung
peptonisierender Fermente etc., während seine Beziehung zur Farb-
stoffbildung wohl aus einem anderen Gesichtspunkte erklärt werden
muss, wie noch weiter unten zu besprechen sein wird.
Interessant ist, dass manche Nährstoffe für verschiedene
Entwicklungsstadien von Schimmelpilzen eine verschiedene Be-
deutung haben; so sind nach Duclattx (P. 89. 111) Essigsäure, Milch-
säure und Glycerin für Penicillium glaucum und Aspergillus niger in
den Keimungsstadien eine viel schlechtere Nahrung als für das ent-
wickelte Mycel. Auch dies spricht vielleicht dafür, dass bestimmten
Nährstoffen vorzugsweise die Deckung bestimmter Funktionen vor-
behalten ist; die Bedeutung dieser Nährstoffe könnte dann zeitlich eine
verschiedene sein, je nachdem dieses oder jenes Bedürfnis dringender
hervortritt. In anderen Fällen erklärt sich ein solcher zeitlicher Wechsel
154 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
in dem Nährwert einer Substanz auch auf andere Weise, so z. B.
scheidet erst das entwickelte Mycel der beiden genannten Schimmel-
pilze ein milchzuckerspaltendes Ferment ab, so dass Milchzucker erst
für den voll ausgewachsenen, nicht aber für den keimenden Pilz brauch-
bar ist; oder es kann ein vorher dringend benötigter Nährstoff in den
späteren Entwicklungsstadien ohne Schaden entbehrt werden (wie z. B.
der Rohrzucker für die Sporenbildung beim Aspergillus niger), weil
inzwischen Reservestoffe abgelagert worden sind, auf deren Kosten
bestimmte Funktionen des Pilzes vor sich gehen. —
Die Entscheidung, ob eine bei der Analyse als Bestandteil der
Leibessubstanz nachgewiesene Substanz als plastischer, zu weiterer Ver-
wendung geeigneter Stoff oder als Produkt des dynamogenen Stoff-
wechsels, als Exkret aufgefasst werden mnss, ist bei den Spaltpilzen
im allgemeinen leichter, als bei höheren Pflanzen, bei denen die durch
die intramolekulare Atmung gebildeten Spaltungsprodukte teilweise in
denselben oder doch in anderen Zellen des Gesamtorganismus wieder
zur Verwendung gelangen können. Von den N-haltigen Körpern
sind als plastische Stoffe vor allem die ganze Gruppe der protein-
ähnlichen Substanzen anzusehen; dieselben sind teilweise in festerem
Zustande in der Zellwand und der Gerüstsubstanz des Zellleibes ein-
gelagert und konstituieren so die wirkenden Maschinenteile des Orga-
nismus; teilweise finden sie sich gelöst im Zellsaft, wo sie als Träger
der intramolekularen Atmung und als plastisches Material für Wachs-
tum und Zellteilung fangieren. Auffallenderweise konnte allerdings
Nägeli konstatieren, dass Hefezellen auch Eiweiss und Peptone
ausscheiden, und zwar Peptone in nicht gährenden, neutralen oder
sauren Nährmedien, Eiweiss in gährenden oder in alkalisch reagieren-
den, nicht gährenden Flüssigkeiten. Auch die in Spross- und Spalt-
pilzen gefundenen Amide, wie Leuein, Tyrosin, Guanin, Sarkin etc.,
sind häufig als plastische, zur Synthese der Protei'nstoffe dienende
Stoffe aufzufassen, weil es zweifellos ist, dass aus ihnen allein der
N-Bedarf gedeckt werden kann; andererseits deutet ihr Auftreten bei
ausschliesslicher Eiweissnahrung, sowie bei der Selbstvergährung der
Hefe darauf hin, dass sie in diesen Fällen Spaltungsprodukte höher
konstituierter Körper, also Exkrete darstellen. In Mischkulturen können
demnach diese Körper gleichzeitig für eine Art als Exkrete und für andere
Mikroben wieder als plastische Stoffe dienen; es ist bezeichnend für
die Sparsamkeit, mit welcher der Haushalt der Pilze bei der Zerlegung
der N-haltigen Substanzen verfährt, dass hierbei meistens wieder be-
nutzbare Reste entstehen. Hieraus ergiebt sich die Möglichkeit, dass
eine Pilzkolonie auf Kosten einer kleinen Menge N-haltiger Substanz
ausserordentlich lange zu existieren und sich zu regenerieren vermag.
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 155
indem die Zerlegungsprodukte der Proteinstoffe sich immer von neuem mit
N-losen Komplexen zusammenlagern und so neue zerlegbare Proteinsub-
stanzen bilden. Durch diese Einrichtung gelangen wir einigermassen zu
einem Verständnis der schon oben erwähnten Versuche von Bolton, in
denen einige Bakterienarten in reinem destillierten Wasser lebten und sich
stark vermehrten, also offenbar mit den minimalsten Nährstoffmengen
auskamen. Ja, diese Versuche führten auch dann immer wieder zu
der gleichen starken Vermehrung, wenn in demselben Wasser bereits
mehrere Generationen bis zum Maximum ihrer Vermehrung sich ent-
wickelt hatten und nach erfolgter Sterilisierung eine neue Aussat
gemacht Wurde. Hier müssen also die Stoffwechselprodukte und wohl
auch die abgetöteten Leiber der früheren Generationen zur Ernäh-
rung der neu ausgesäten Individuen gedient haben.
In anderen Fällen ist allerdings das Vorhandensein N-haltiger,
nicht weiter verwerteter Exkrete nachgewiesen. So haben für
Hefe die Untersuchungen von Pasteue (A. eh. ph. [3] 58. 507),
Schützenbeegee (C. R. 78), Mayee (Unters, üb. d. alkohol. Gährung.
Heidelberg 1869) u. A. gezeigt, dass bei Kultivierung derselben in reiner
Zuckerlösung die N-Menge des Substrats abnimmt, und zwar nicht
nur der prozentische Gehalt, sondern auch die absolute Menge;
es müssen also N-haltige exkrementitielle Stoffe in Gasform abgeschieden
sein. Ein solcher Stickstoffverlust wird vor allem dadurch oft
eintreten, dass eine rasche und massenhafte Bildung flüchtiger N-
haltiger Substanzen stattfindet, mit der die N-Assimilation nicht Schritt
zu halten vermag. Fehlen ferner diejenigen Nährstoffe, welche den
Pilzzellen den C zu liefern vermögen, so müssen alle solche N-hal-
tigen Spaltprodukte als unbrauchbare Exkrete fungieren, die nicht
gleichzeitig auch verwertbaren C im Molekül enthalten (als Ammo-
niumsalz, Harnstoff, Oxamid); in diesem Falle findet ein Stickstoff-
verlust eigentlich nur deshalb statt, weil mit dem C nicht in gleicher
Weise sparsam verfahren wird, und das fortgesetzte Entweichen von
CO 2 eine Erschöpfung an diesem Element herbeizuführen vermag.
Endlich ist auch der Gehalt des Nährsubstrats an anderen N-haltigen
Substanzen von Einfiuss; sind reichlich bestnährende N-haltige Körper
zugegen, so wird das Zustandekommen stickstoffhaltiger Exkrete sehr
begünstigt; insbesondere kommt ein Stickstoffverlust bei der Re-
duktion der Nitrate des Nährbodens vor, wie bereits früher er-
wähnt; doch handelt es sich in diesen Fällen oft nicht mehr um
N-haltige Ausscheidungsprodukte des Bakt-erienleibes, son-
dern um übrig gebliebene Produkte einer am äusseren Sub-
strat vorgenommenen Spaltung, wobei die denitrifizieren'de
Thätigkeit der Bakterien als Gährthätigkeit aufzufassen ist.
156 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Weiteres über die Bedingungen der Denitrifikation folgt noch bei
Besprechung der Fäulnis.
Wo also eine Produktion N-haltiger echter Exkrete stattfindet,
ist sie mehr als Luxusproduktion oder als ein accidenteller, den
inneren Stoffwechsel der Mikroben nicht unmittelbar angehender Gähr-
vorgang anzusehen. Im Notfall aber bildet ein Teil der N-haltigen
Spaltungsprodukte stets wieder von neuem nährtüchtiges Material, so
einen seltsam sparsamen Kreislauf vollendend. —
Stickstofflose plastische Stoffe scheinen bei den Mikro-
organismen eine weit geringere Rolle zu spielen als bei den höheren
Pflanzen. Stärke ist nur ausnahmsweise, und von sonstigen Kohle-
hydraten ist in Schimmelpilzen nur d-Glukose und Trehalose, bei einigen
ferner der den Kohlehydraten nahe verwandte Alkohol Mannit gefunden.
Über das Vorkommen von Cellulose und Hemicellulosen, die bei
Schimmel- und Sprosspilzen fast ausschliesslich, bei Spaltpilzen nur
ausnahmsweise die Zellwand konstituieren, ist bereits früher berichtet.
Eine wichtige Rolle scheinen in den Zellen und ganz besonders in den
Sporen fette Öle zu spielen. Diese Stoffe werden wohl nur zum kleinsten
Teil präformiert aus dem Nährmaterial aufgenommen; meist werden
sie entweder aus einfacheren Verbindungen synthetisch dargestellt,
wie dies bei ausschliesslicher Ernährung mit einfacheren Verbinclungen
bei Ausschluss von Eiweissstoffen der Fall sein muss, oder sie
entstehen durch Abspaltung aus komplizierteren Molekülen, wie bei
ausschliesslicher Eiweissernährung, z. B. bei den oben erwähnten
BEUERiNCKschen „Peptonbakterien". Die Möglichkeit der Entstehung
von Fett aus Kohlehydraten wird nach Versuchen von Nägeli u. Loew
für Penicillium glaucum, von Gramer für den Bac. Friedländer, den
Rhinosklerombacillus und ein Wasserbakterium wahrscheinlich gemacht,
indem mit steigendem Zuckergehalt des Nährbodens eine erheblich
gesteigerte Fettablagerung in den Mikroben zu konstatieren war. Dtr-
clattx (P. 89. 413) glaubt für die Hefezellen eine Fettbildung aus N-
haltigem Material mit Sicherheit ausschliessen zu können. Die stick-
stofflosen plastischen Stoffe werden teilweise als solche zur Bildung
von Organteilen verwendet, wie Fett und Cellulose, teilweise gehen
sie wahrscheinlich durch Anlagerung an N-haltige Komplexe in die
Synthese der Prote'instoffe ein.
Die stickstofffreien Exkrete können teilweise wahrscheinlich
auch wieder als plastische Stoffe Verwendung finden, so z. B. die or-
ganischen Säuren, die bei gleichzeitig vorhandenen besseren C-Quellen
kaum weiter benutzt werden, während sie in Ermangelung solcher
sehr wohl, wie früher erwähnt, zur Deckung des C-Bedarfs heran-
gezogen werden können. Einige stickstofflose Exkrete dagegen sind
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 157
für die meisten Bakterienarten ganz unverwendbar, so die Oxalsäure, die
Ameisensäure, obgleich auch diese noch von vereinzelten Arten auf-
genommen werden können; vor allem aber ist die C02 stets als
echtes Exkret anzusehen, da sie von keinem Mikroorganismus, mit
Ausnahme der Nitrobakterien, verwendet werden kann und ihre exkre-
mentitielle Natur auch dadurch deutlich kundgiebt, dass sie das Wachs-
tum vieler Arten zu hindern vermag (C. Fkänkel: Z. 5); sie ist daher
auch zur Verdrängung der atmosphärischen Luft für anaerobe Versuchs-
bedingungen vielfach unbrauchbar. Ferner sind einige aromatische Pro-
dukte, die bei Besprechung der Fäulnis näher behandelt werden sollen,
wie Phenol, Indol, Skatol, als Nährstoffe nicht mehr verwendbar und
wirken sogar direkt giftig.
Auf die Gestaltung der Stoffumwandlungen im Zellleib der Mikro-
organismen ist, wie schon öfters betont, der Sauerstoff von ein-
greifendster Bedeutung. Seine Teilnahme am Stoffwechsel charakterisiert
sich durch sehr tiefgehende Zerlegungen, bis zu den letzten
Endprodukten C02 und H20, demgemäss auch durch bedeutende
Energieentwicklung. Bei Sauerstoffabschluss hingegen finden
sich unter den Exkreten auch Körper von hochkomplizierter
Struktur, die je nach dem zur Verfügung stehenden Material sehr ver-
schieden sind. Insbesondere ist dies dann der Fall, wenn bei An-
wesenheit gährfähiger Substanzen durch die Vergährung derselben ein
Ersatz für die Energieentwicklung gegeben ist, die sonst durch die
Teilnahme des Sauerstoffs am Stoffwechsel geschaffen wird; es findet
dann eine ausserordentlich umfangreiche, aber nur wenig tief-
gehende Spaltung statt, welche hochkonstituierte Produkte
zurücklässt. Die sonstigen weitgehenden Unterschiede im Verhalten
der Aeroben und Anaeroben haben bereits ihre Besprechung gefunden.
D. Die physikalischen Leistungen der Mikroorganismen.
I. Lokomotion.
Diese ist einer sehr grossen Zahl von Bakterienarten, insbesondere
den Spirillen und Vibrionen, vielen Bacillen und auch einigen Kokken
und Sarcinen eigen. Die Intensität und Mannigfaltigkeit der Be-
wegung ist bei verschiedenen Arten ausserordentlich verschieden,
worüber bei den einzelnen Arten im speziellen Teil näheres nach-
zusehen. Neben der Ortsveränderung besteht häufig noch eine Dreh-
ung um die Längsaxe oder Wirbelbewegungen auf der Stelle. Bei
den meisten Arten, denen überhaupt Eigenbewegung zukommt, besitzt
jedes Individuum diese Fähigkeit; einige dagegen bilden nur zu Zeiten
bewegliche Keime, den Schwärmern der Algen vergleichbar, so die
158 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Cladothricheen. Aerobe Formen verlieren die Eigenbewegung bei der
Sporulation, während anaerobe sie auch in diesem Zustand beibehalten.
Die Sporen selbst sind ausnahmslos ohne Eigenbewegung. Die Lo-
'komotion wird durch besondere Organe, die Geissein, vermittelt; die-
selben sind nicht als pseudopodienartige Fortsätze des Protoplasmas,
sondern als differenzierte, von der Hülle entspringende Cuticularorgane
anzusehen. Eine Einziehung derselben in den Bakterienkörper ist nie
beobachtet; im Gegenteil spricht das Fortbestehen derselben bei deut-
licher Plasmolyse des Protoplastes durch massig koncentrierte Salz-
lösungen mit aller Bestimmtheit gegen eine solche Annahme (Fischer,
Unters, üb. Bakt. Berlin 1894. 36). Diese Versuche beweisen gleich-
zeitig, dass die Schwärmbewegung nur durch die Wirkung der Geissein,
nicht, wie man früher annahm, durch direkte Kontraktionen des Proto-
plasmas zustande kommt, welches in plasmolysiertern Zustande derselben
gar nicht fähig wäre. Doch ist wahrscheinlich in Analogie mit dem
Verhalten der Geissein bei Flagellaten, Flimnierepithelien etc. der Zu-
sammenhang zwischen Protoplast und Geissein notwendige Vorbedingung
für die Thätigkeit der letzteren.
Die Bildung der Geissein ist von der normalen morphologischen
Entwicklung der Bakterien unzertrennlich und erfolgt daher unter
allen Umständen, die überhaupt Wachstum zulassen; hiermit sind aber
noch keineswegs die notwendigen Bedingungen für die normale
Funktion der Geissein erfüllt; unter ungünstigen Umständen kann
bei vollständig normaler Entwicklung der Cilien die Eigenbewegung
sistiert werden oder von vornherein fast ganz fehlen. Als solche
hemmende Einflüsse sind nach A. Fischer (a. a. 0.) zu nennen: un-
genügende Nährstoffzufuhr, übermässiger Gehalt des Substrats an
Neutralsalzen (über 5 °/0 KN03) und Anwesenheit von Giften (z. B.
0,1 °/0 Carbolsäure). Stark koncentrierte Lösungen von Neutralsalzen
wirken wahrscheinlich nicht allein, wie schon Wladimiroff (Z. 10. 89)
zeigte, durch Wasserentziehung, sondern auch durch spezifische chemische
Einflüsse, da verschiedene Salze nicht immer im Verhältnis ihrer isoto-
nischen Koncentrationen wirken. Durch Auswaschen mit Wasser kann
in wenigen Minuten die Bewegung vollständig wieder hergestellt werden.
Ausser durch Wasserverlust und Gifte kann auch durch Säuren „Geissei-
starre" hervorgerufen werden. Die auf ungeeignetem Nährsubstrat auf-
tretende „Hungerstarre", von Pfeffer (Üb. chemotakt. Bewegungen
von Bakterien, Flagellaten und Volvocineen. 630) als Trophotonus be-
zeichnet, lässt sich durch Zusatz geeigneter Nährstoffe aufheben; die
bewegungs anregen de Wirkung dieser Stoffe ist keineswegs mit dem
nachher zu besprechenden bewegungsrichtenden chemotaktischen Ein-
fluss mancher Stoffe zu* verwechseln, kann sich aber mit letzterem
Gotschlich, Lebensäussemngen der Mikroorganismen. 159
kombinieren. Die roten Schwefelbakterien bedürfen zu ihrer Bewegung,
wie überhaupt zu ihrem Leben der Anwesenheit reichlicher Menge von
H2S (Winogeadskt, Zur Morphologie u. Physiol. d. Schwefeibakt.
1888. S. 52).
Ausser vom Nährsubstrat ist die Beweglichkeit hauptsächlich von
der Temperatur und dem Sauerstoffzutritt abhängig. Was erstere
anlangt, so fallen wohl meist Grenzen und Optimum für die Eigen-
bewegung mit denen des Wachstums zusammen. Mit steigender Tem-
peratur nimmt die Intensität der Bewegung zu; zu hohe und zu niedere
Temperatur rufen Starre hervor, die jedoch innerhalb gewisser Grenzen
wieder rückgängig gemacht werden kann. Besonders gegen Kälte sind
auch in dieser Beziehung die Bakterien recht resistent; Zopf fand selbst
nach 3 stündigem Aufenthalt seines Bact. vermicosum (Beitr. z. Physiol.
und Morphologie niederer Organismen. Heft 1. 1892) bei — 83° das
Schwärmvermögen erhalten; Bac. subtilis war etwas empfindlicher.
Der Sauer stoff zutritt ist für aerobe Arten Vorbedingung zur Fähigkeit
der Lokomotion; doch sind verschiedene Arten auf sehr verschiedene
Sauorstoffspannungen abgestimmt, wie sich besonders schön mit der
ENGELMANN'schen Bakterienmethode oder durch Darstellung der
BEUEEiNCK'schen Atmungsfiguren zeigen lässt; manche Proteusarten
z. B. entfalten bei maximaler Sauerstoffspannung ihre grösste Energie,
während andere, z.B. Spirillen, auf niedrigere Grade der Sauerstoffspannung
abgestimmt sind und durch vermehrte Zufuhr schädlich beeinflusst
werden; besonders interessant ist das Verhalten der Chromatien, die
einer minimalen Sauerstoffmenge dringend bedürfen, bei der geringsten
Erhöhung der Sauerstoffspannung aber ihre Eigenbewegung einstellen
(Winogeadskt, a. a. 0. 51). Anaeroben hingegen entfalten ihre Be-
wegung nur bei Sauerstoffabschluss.
Nach Engelmann (Pflüger's Ar eh. 1882) ist auch das Licht für eine Bak-
terienart, von ihm als Bakterium photometricura bezeichnet und nach Wino-
gradsky zur Reihe der Chromatien gehörig, notwendige Vorbedingung ihrer Eigen-
bewegung; die letztere soll überhaupt nur bei Lichtzutritt erweckt werden können
und in ihrer Geschwindigkeit zu der Stärke der Beleuchtung in direktem Ver-
hältnis stehen; im Dunkeln soll die Beweguug durch „photokinetische Nach-
wirkung" nur eine gewisse Zeit fortdauern, und zwar um so länger, je intensiver
die vorangegangene Beleuchtung war. Winogradsky (a. a. 0. 90 ff.) konnte bei
der Nachprüfung dieser Befunde nicht zu demselben Resultat gelangen; er fand
bei Chromatien erst nach 10 tägigem Aufenthalt imDunkeln einErlöschen der Eigen-
bewegung; starke Beleuchtung schien sogar eher das Festsitzen der Chromatien
zu begünstigen. Für die Bewegung der übrigen Bakterien ist Beleuchtung keine
notwendige Bedingung.
Die Richtung der Bewegung wird durch mannigfache äussere
Einwirkungen bestimmt. Vor allem spielen chemische Einflüsse
160 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
eine Rolle; viele chemische Stoffe üben hei ungleichmässiger Verteilung
im Nährmedium auf die Bakterien chemotaktische Reize aus, in-
folge deren die Mikroben dem betr. Stoff bezw. der Stelle seiner stärkeren
Koncentration sich nähern (positive Chemotaxis), oder sich von ihm
entfernen (negative Chemotaxis). Die chemotaktische Bewegung
des Bakteriums erfolgt in der Diffusionszone des reizenden Stoffes so,
dass die Längsaxe und die Bewegungsrichtung senkrecht gegen die
Kurven gleicher Koncentration gerichtet sind.
Unter den chemotaktisch wirksamen Stoffen nimmt der Sauer-
stoff eine ganz besondere Stellung ein, indem er je nach seiner Span-
nung positiv oder negativ chemotaktisch wirkt. Wie schon mehrfach
betont, sind verschiedene Bakterien auf verschiedene Sauerstoffspan-
nungen abgestimmt; jede Art sammelt sich in derjenigen Zone an,
in welcher die ihr zusagende Sauerstoffspannung herrscht, während sie
höhere Spannungen flieht. Für obligate Anaeroben wirkt nach
Beijebinck's direkten Beobachtungen schon die geringste Sauerstoff-
spannung negativ chemotaktisch. Von diesem Autor, sowie vor
allem schon früher von Engelmann sind diese Verhältnisse in sehr
anschaulicher Weise zur Darstellung gebracht worden. Die hierbei in
Anwendung gezogene „Bakterienmethode" Engelmann's, sowie die
Darstellung der BEUEEiNCKschen „Atmungsfiguren" und „Bak-
terienniveaus" ist bereits an früherer Stelle besprochen (s. S. 129).
Die chemotaktische Wirkung fester und flüssiger Stoffe in Lösung
ist sehr eingehend von Peeffer (Üb. chemotakt. Bewegungen von
Bakterien, Flagellaten und Volvocineen) studiert worden. Die Methodik
der Beobachtung ist eine sehr einfache; in einen, mit dem zu prüfen-
den Bakterium beschickten hängenden Tropfen wird von der einen
Seite eine Kapillare eingeschoben, die mit der auf ihre chemotaktische
Wirkung zu untersuchenden Flüssigkeit gefüllt ist. Nach kurzer Zeit,
oft schon nach wenigen Minuten, bildet sich dann um den Kapillar-
mund eine charakteristische Anordnung der Bakterien aus, indem bei
positiver Chemotaxis die Bakterien in dichten Haufen den Kapillar-
mund umdrängen und sogar in die Kapillare selbst massenhaft ein-
wandern, bei abstossender Wirkung dagegen rings um den Kapillar-
mund eine vollständig bakterienfreie Zone entsteht. Das wesentliche
der Resultate Pfeffers ist im Folgenden wiedergegeben.
Positive Chemotaxis wird unter anorganischen Körpern am stärksten durch
Kaliumsalze bewirkt; unter den organischen Verbindungen übten vor allem Pepton,
demnächst Asparagin eine starke, Harnstoff und Xanthinkörper eine schwächere
Wirkung aus; Kohlehydrate sind nur bei einigen Arten wirksam, und dem Glycerin
kommt merkwürdigerweise gar keine chemotaktische Wirkung zu. Negative
Chemotaxis wird allgemein durch Alkohol, ferner durch saure und alkalische Re-
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. Ißl
aktion, oft auch durch genügende Steigerung der Koncentration einer Lösung er-
reicht. Die geringste, noch eben wirksame Koncentration, welche die „Reiz-
schwelle" bezeichnet, ist bei verschiedenen Körpern ausserordentlich verschieden;
sie beträgt z. B. beim Trikaliumphosphat nur 0,001 %, beim Traubenzucker da-
gegen 10%. Zwischen den einzelnen Arten bestehen spezifische Unterschiede der
chemotaktischen Reizbarkeit; z. B. ist Dextrin ein sehr wirksames Anlockungs-
mittel für Bact. termo, während es auf Spirillum undula kaum merklich wirkt;
andererseits wird Bact. termo durch stark koncentrierte Salzlösungen fast gar
nicht, Spirillum undala dagegen sehr energisch zurückgetrieben. Manche Arten
scheinen ganz unempfindlich zu sein. Schon diese spezifisch verschiedene Empfind-
lichkeit differenter Arten zeigt, dass die chemotaktische Wirkung einer Verbindung
ebensowenig wie der Nährwert im allgemeinen schematischer Weise aus der
chemischen Zusammensetzung derselben hergeleitet werden kann. Aber auch
für einen einzelnen Mikroben lässt sich vorläufig der chemotaktische Reizwert
einer Verbindung nicht in jedem speziellen Falle gesetzmässig ableiten; so steht
der Reizwert eines Metalls in keiner direkten Beziehung zum Atomgewicht des-
selben; ferner lässt sich z. B. der Reizwert der Kaliumsalze nicht durch ihren
Gehalt an Kalium bemessen; das Kaliumchlorat übt erst bei 10 fach höherem
Kaliumgehalt in der Lösung die gleiche Wirkung aus wie Kaliumphosphat, wobei
aber der Phosphorsäure kein besonderer Reizwert zukommen kann, da Mono-
und Trikaliumphosphat bei gleichem Kaliumgehalt annähernd die gleiche Reiz-
wirkung ausüben. Der Reizwert einer Verbindung entsteht also nicht etwa
durch Summation der Wirkungen der in derselben enthaltenen Atome oder
Radikale, sondern hängt in einer bisher unbekannten Weise von der Kon-
figuration des Moleküls ab, wobei die Reizwirkung jeder einzelnen Gruppe
durch Verbindung mit anderen in weitem Umfange modifiziert, ja sogar ganz aus-
gelöscht werden kann; eine Analogie hierzu bietet das chemotaktische Verhalten
der Apfelsäure gegenüber den Samenfäden der Farne, die sowohl frei als auch in
ihren Alkalisalzen eine mächtige und ziemlich gleichbleibende anziehendeWirkung
entfaltet, während ihr Diäthyläther völlig wirkungslos ist. Auch von, der Dif-
fusionsbewegung und der osmotischen Wirksamkeit einer Lösung ist der chemo-
taktische Wirkungswert nicht abhängig, wie man wohl besonders betr. der repul-
siven Wirkung stärker koncentrierter Lösungen geglaubt hatte ; Spirillum undula
wird durch Lösungen von Metallsalzen schon bei geringer Koncentration zurück-
getrieben, während Glycerin selbst in 17,1 proz. Lösung gar keine Wirkung- äussert;
auch finden sich gute Reizmittel sowohl unter krystalloiden Körpern (Kali-
salze), wie unter kolloiden (Pepton, Dextrin). Sehr bemerkenswert ist ferner
das Fehlen einer bestimmten Beziehung zwischen Nährwert und chemotak-
tischer Wirksamkeit einer Verbindung; so z. B. kommt dem Glycerin, welches
ein guter Nährstoff für Bakterien ist, gar keine chemotaktische Wirksamkeit zu;
andererseits stellen Lithiumsalze, welche für die Ernährung der Mikroben ganz
entbehrlich sind, ein gutes Anlockungsmittel für Bact. termo dar. Auch kommt
entwicklungshemmenden, schädlichen Substanzen durchaus nicht immer repulsive
Wirksamkeit zu. So z. B. steuern Bakterien in tötliche Koncentrationen von
Glycerin, ferner noch in 20 proz. Chlornatrium- oder 40 proz. Chlorcalciumlösungen
hinein, in denen sie sehr bald ihre Bewegungen einstellen müssen; selbst intensive
Gifte, z. B. Sublimat, haben oft keine repulsive Wirksamkeit; Bakterien lassen
sich durch zugesetzte Reizmittel in 0,05 proz. Sublimatlösung hineinlocken, wo sie
sehr rasch absterben. In ganz analoger Weise fehlt auch für die Samenfäden
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 11
162 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
der Farne eine Repulsion gegenüber Sublimat und Strychnin. Die Erklärung vom
teleologischen Gesichtspunkt aus, welche in den chemotaktischen Bewegungen
ein Mittel sieht, die Bakterien zu günstigen Nährstoffen zu führen und Schädlich-
keiten zu vermeiden, ist also keineswegs für alle Fälle zutreffend.
Interessant ist das Verhalten der Bakterien bei antagonistisch wirkender
Anlockung und Abstossung, wie sie in Gemischen, oder auch in einheitlichen
Lösungen bei Steigerung der Koncentration zustande kommt, wo dann durch die
spezifische qualitative Wirkung des betr. Stoffes eine Anziehung, durch die er-
höhte Koncentration dagegen eine Abstossung stattfindet; soweit bekannt, ist die
resultierende Wirkung hierbei durch einfache algebraische Addition der einzelnen
wirksamen Komponenten bestimmt, im Gegensatz zur chemischen Verbindung,
in welcher, wie oben ausgeführt, eine funktionelle Abhängigkeit der einzelnen
chemotaktischen Reizwerte der eintretenden Atome oder Gruppen besteht. Für
die einfache Summation in Gemischen spricht insbesondere die Thatsache, dass
ein positiver chemotaktischer Erfolg durch Vereinigung zweier Reizmittel erzeugt
werden kann, von denen jedes einzelne in einer so geringen Menge vorhanden
ist, dass es für sich allein unwirksam wäre; und zwar muss zur Erzielung gleichen
Erfolges von dem weniger wirksamen Natriumsalz entsprechend mehr zugesetzt
werden als von dem stärker anlockenden Kaliumsalz. Eine scheinbare Ausnahme
kann zustande kommen, wenn durch den Einfluss eines Stoffes die Reizbarkeit
der betr. Mikroorganismen so alteriert wird, dass ein gegebener Stoff nunmehr
einen quantitativ anderen Reizerfolg erzielt. Dass dies in der That der Fall ist,
erhellt aus der Betrachtung der quantitativen Verhältnisse zwischen Reiz- und
Reaktionsgrösse bei der chemotaktischen Wirkung. Für diese gilt nämlich,
so lange nicht durch übermässig steigende Koncentration störende repulsive
Wirkungen herbeigeführt werden, dieselbe Beziehung, welche im WEBER'schen
Gesetz ausgesprochen und von Fechner (Elemente d. Psychophysik. I) für die
Abhängigkeit zwischen Empfindungs- und Reizgrösse beim Menschen festgestellt
worden ist. Dieses Abhängigkeitsverhältnis liess sich ebensowenig wie bei den
menschlichen Empfindungen durch direkten Vergleich der auf Reize von ver-
schiedener Stärke erzeugten Reaktionen feststellen; es gelang aber, genau wie
beim FECHXER'schen Verfahren, auf einem Umweg, nämlich durch Bestimmung
der Unterschiedsschwelle, d.h. derjenigen Reizgrösse, die zu dem schon vor-
handenen Reiz hinzutreten muss, um einen eben merklichen Erfolg herbei-
zuführen, bei verschiedener Grösse des ursprünglichen Reizes. Es wurde nun er-
mittelt, dass zur Erzielung einer eben merklichen chemotaktischen Anlockung eine
um so grössere Koncentration der reizenden Aussenflüssigkeit geboten werden
musste, je grösser der Gehalt des Mediums, in welchem sich die Bakterien be-
fanden, an derselben oder einer im gleichen Sinne wirkenden Substanz be-
reitswar. Wegen der gleichmässigen Verteilung der Substanz in dem flüssigen Medium
konnte dieselbe natürlich nicht einseitig richtend wirken; sehr wohl aber beein-
fiusste sie die Reaktionsfähigkeit der Bakterien gegen eine einseitige Verstärkung
des Reizes. Zur Erzeugung einer wirksamen Unterschiedsschwelle war also bei
verschiedenen Koncentrationen der Nährflüssigkeit nicht eine konstante Dif-
ferenz, sondern ein konstantes direktes Verhältnis zwischen Innen- und
Aussenflüssigkeit erforderlich, so dass bei erhöhter Koncentration des Mediums
die Differenz zwischen beiden Flüssigkeiten im steten Wachsen begriffen war.
So z. B. war bei Bact. termo in 0,01 proz. Fleischextraktlösung zur Erzeugung einer
deutlichen chemotaktischen Anlockung eine Koncentration der Kapillarflüssigkeit
Gotschxich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. j[63
von 0,05% Fleischextrakt vollkommen ausreichend, während aus einer hundert-
mal koncentrierteren Nährlösung von 1 % Gehalt an Fleischextrakt die Kapillar-
flüssigkeit erst bei einem Gehalt von 5% deutliche Anlockung erzielte; dagegen
war eine 3proz. Aussenflüssigkeit noch von durchaus unsicherer Wirkung, trotzdem
die absolute Differenz hier fünfzigmal grösser war als die kleinste noch eben
wirksame absolute Differenz im vorigen Falle. Genau dasselbe Resultat ergab
sich bei Anwendung von Dextrinlösung in der Kapillarflüssigkeit bei verschiedenem
Gehalt an Fleischextrakt im ursprünglichen Medium; merkwürdiger Weise war
sogar der Wert der Unterschiedsschwelle bei beiden annähernd in gleicher Weise
wirksamen Substanzen nahezu gleich, nämlich 5; d. h. zur Erzielung eines chemo-
taktischen Erfolges muss die Reizflüssigkeit eine 5 mal höhere Koncentration besitzen
wie das ursprüngliche Medium, und zwar in gleicher Weise innerhalb einer bis zum
hundertfachen Betrage gehenden Koncentrationsänclerung des letzteren. Pfeffer
betont übrigens ausdrücklich, dass die hier zwischen Reiz- und Reaktions grosse
gefundene Beziehung nicht ohne weiteres zu der von Fechner aufgedeckten Be-
ziehung zwischen Reiz- und Empfindungs grosse beim Menschen in Parallele
gestellt werden dürfe, wenn sie auch beide gleichen mathematischen Ausdrucks sind.
Dass für die Reaktion nicht ohne weiteres Empfindung substituiert werden
darf, geht schon daraus hervor, dass die Reaktion den Schlusseffekt der durch
den Reiz im Protoplasma bewirkten Kette von Umsetzungen darstellt; mit welchem
Glied dieser Kette aber und ob überhaupt mit irgend einem derselben eine Em-
pfindung funktionell verknüpft ist, wissen wir nicht. Auch beweist die Existenz
einer Reaktion auf einen Reiz nicht im mindestens mit Notwendigkeit das Vor-
handensein einer Sensibilität; nach Analogie kann man eine solche mit ebenso
viel Recht annehmen, wie bei anderen Lebewesen. Dieselbe wäre dann bei den
Bakterien gegenüber anderen niederen Lebewesen, die nur auf wenige Reize
reagieren, wie z. B. die Spermatozoen der Farne auf Apfel- und Maleinsäure,
verhältnismässig vielseitig ausgebildet, um so mehr, als ausser den chemischen
Einflüssen auch noch viele andere äussere Agentien Reaktionen der Bakterien
hervorrufen.
Unter diesen ist vor allem der Einwirkung des Lichtes zu ge-
denken, welches nachWiNOGRADSKT (Zur Morphologie und Physiologie
der Schwefelbakterien. S.94 u. f.) und Beijeeinck (C. 14. 844) auf die Be-
wegungen der Chromatien einen deutlichen richtenden Einfiuss aus-
übt. Dieselben sammeln sich stets an der hellsten Stelle, sind also
positiv phototaktisch; ihre Empfindlichkeit ist eine so bedeutende,
dass sie nach Beijeeinck zu den besten Photometern gezählt werden
können. Sehr merkwürdig ist ferner ihre äusserst heftige Reaktion
auf plötzliche Abnahme der Lichtintensität, die schon von
Engelmann festgestellt und als„S ehr e ckb e we gung" bezeichnet wurde;
selbst auf die leiseste plötzliche Beschattung erfolgt momentaner Still-
stand oder heftiges Zurückprallen, worauf dann sehr bald die Bewegung
meist mit geänderter Richtung fortgesetzt wird. Plötzliche Verstärkung
der Lichtintensität ruft solche „Schreckbewegungen" nicht hervor.
Nach Schenk (C. 14. 37) soll auch Wärme einen richtenden
Einfiuss auf die Bewegung ausüben, und zwar im Sinne einer An-
11*
164 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
lockung zu einem wärmeren Punkte. Da dieses Zuströmen auch an
unbeweglichen Mikroorganismen beobachtet wurde, z. B. am Staphy-
lokokkus pyogen, aureus, so fragt es sich sehr, ob hier nicht rein
physikalische Strömungen vorliegen.
Ferner will Roth (D. 1893. Nr. 15) einen Einfluss schwacher
Flüssigkeitsströmungen beobachtet haben, und zwar in dem Sinne,
dass die Bakterien gegen den Strom schwimmen. Diese Erscheinung
stände in Analogie zu dem von Stahl (B. Z. 1884. 147) beobachteten
„Rheotropismus" der Myxomyceten.
Nach Mass art soll auch die Oberflächenspannung (r: C. 11.
566), sowie die Schwerkraft (Bull, de FAcad. Royale de Belgicpie.
Serie III. t. XXII, no. 8) auf die Bewegungsrichtung bei einigen Spi-
rillen einwirken, und zwar bei verschiedenen Arten bald in positivem,
bald in negativem Sinne.
Die von demselben Autor (a. a. 0.) beobachteten Bewegungen von
Mikroorganismen gegen koncentriertere oder verdünntere Salzlösungen,
die er als positiven bezw. negativen Tonotaxismus bezeichnet, fallen
vielleicht mit den oben geschilderten chemotaktischen Bewegungen
zusammen.
Ebenso wie innerhalb der Gruppe der chemotaktischen Wirkungen
kann auch zwischen diesen und anderen bewegungsrichtenden Einwir-
kungen Antagonismus bestehen; in sehr merkwürdiger Weise zeigt sich
derselbe bei Chromatien, die selbst bei stärkster Beleuchtung nie bis
an den Rand des Tropfens kommen, weil dort eine zu hohe Sauerstoff-
spannung herrscht, sondern sich in einer bestimmten Entfernung vom
Rande halten. Auch die BEUERiNCKschen Atmungsfiguren und Bak-
terienniveaus sind Produkte antagonistischer Wirkungen verschiedener
bewegungsrichtender Faktoren.
II. Wärmeproduktion.
Ahnlich wie bei höheren Lebewesen, ist auch bei den niederen
Pilzen eine deutlich wahrnehmbare Wärmeproduktion beobachtet. Die-
selbe ist minimal, wenn nur die intramolekulare Atmung vor sich geht
und weder durch Sauerstoff noch durch Gährung von aussen Energie
erzeugt wird; in solchem Falle wurde für Hefe in Wasserstoffatmo-
sphäre ein Temperaturüberschuss von 0,2° über die Temperatur der
Umgebung konstatiert; bei Luftzutritt steigerte sich der Überschuss
auf 1,2°, bei Gährung auf 3,9° (Eriksson, Unters, a. d. bot. Inst, in
Tübingen. 1881. H. 1). Sehr bedeutende chemische Effekte kommen
durch die Lebensthätigkeit von Bakterien bei der sog. Selbsterhitzung
verschiedener Stoffe, wie Malz, Dünger, Baumwolle, Heu u. s. w., die in
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. j^ß5
feuchtem Zustande und in grossen Massen dicht zusammengepresst
aufeinander lagern, zustande; in solchen Fällen kann sogar Selbst-
entzündung erfolgen. Schloesing (Ann. agronom. XVIII. 5) wies zu-
erst als Ursache der Erwärmung des Düngers die Thätigkeit von Mikro-
organismen nach; er fand im geimpften Dünger eine über 17 mal
stärkere C02 -Produktion wie im sterilisierten. Für die Selbsterhitzung
des Heus machte es Berthelot (C. R. 117. 1039) wahrscheinlich, dass
sie durch Fermentthätigkeit von Mikroorganismen eingeleitet werde.
Insbesondere hat F. Cohn (Jahresber. d. schles. Ges. 1890) die Erhitzung
keimender Gerste bis 64,5° auf die intensive Vegetation des Aspergillus
fumigatus zurückgeführt; wurde die Gerste durch Behandlung mit
Kupfervitriol von Aspergillussporen befreit, so erwärmte sie sich beim
Keimen nur auf 40 °. Die Selbsterhitzung der Baumwolle kommt nach
demselben Autor (B. G. 1893. 66) durch Mikroorganismen zustande,
die an den durch den Reisswolf entfernten Unreinigkeiten , den sog.
Nisseln, haften; bei reichlicher Befeuchtung erfolgt die Entwicklung
der Mikroben unter Produktion von Trimethylamin und humusartigen
Körpern mit einer Temperatursteigerung bis 67°. Die Erhitzung geht,
wie alle fermentativen Selbsterhitzungsprozesse, mit lebhafter Sauer-
stoffaufnahme und Kohlensäureabgabe einher und steht beiLuftabschluss
still; der Prozess ist also durch die Atmung aerober Mikroorganismen
bedingt. Sterilisierte Baumwollabfälle zeigen nie spontane Erhitzung;
erst auf Zusatz von Waschwasser frischer Abfälle beginnt der Prozess.
III. Lichtentwicklung.
Pflüger (Pf. 10. 275; 11. 222) war der erste, der das zuweilen
vorkommende Leuchten faulender organischer Substanzen, das ins-
besondere an toten Seefischen zur Beobachtung gelangt, auf die
Lebensthätigkeit von Mikroorganismen, und zwar eines Mikrokokkus
zurückführte. Die von Ludwig (Z. f. Mikroskopie. I) und Nüesch (r:
C. B. 27. 161) beobachteten Leuchtbakterien sind wahrscheinlich mit
dem PFLÜGER'schen Mikrokokkus identisch. Seitdem ist eine grosse
Anzahl leuchtender Bacillen beschrieben worden, so von B. Fischer
ein solcher aus den westindischen Gewässern (Z. 2. 54), sowie mehrere
Arten aus der Nord- und Ostsee (C. 3. 105 und 137), ferner von Katz
(C. 9. 157) 6 Arten aus dem stillen Ocean, eine Art aus Java von
Eukmann (r: K. 1892. 71), eine interessante für Krustaceen pathogene
Art von Giard (r: C. 6. 645); ferner mehrere Arten leuchtender Vi-
brionen von Dunbar u. Kutscher (C. 15. 44) aus der Elbe bei Hamburg,
vouKänsche (r: Kruse, Z. 17.33) aus einem oberschlesischenGrenzfluss etc.
Das Licht ist bei den verschiedenen Arten von verschiedener Intensität
Ißß Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
und Farbe; letztere ist entweder rein weiss oder bläulich bis grünlich.
Mehrfach sind Spektraluntersuchungen des Lichtes angestellt worden;
so fand Fischer beim einheimischen Leuchtbacillus ein kontinuierliches
Spektrum von D bis etwas über G hinaus; das Maximum der Hellig-
keit befand sich zwischen E und der Mitte von F und G. Das Licht
einiger von Fischer isolierter Arten besass eine solche Intensität, dass
man beim Scheine desselben den Stand der Uhr ablesen konnte; die
Kulturen phosphorescierender Bakterien sind sogar schon in ihrem
eigenen Lichte photographiert. Hauptbedingung für das Zustande-
kommen desLeuchtensist reichlicher unmittelbarer Sauerstoffzutritt; feste
Kulturen leuchten nur an der Oberfläche, flüssige Kulturen können durch
Schütteln mit Luft für kurze Zeit in ihrer ganzen Masse leuchtend ge-
macht werden. — Nächst dem Sauerstoffzutritt ist eine gewisse Temperatur
notwendige Bedingung für das Leuchten, deren Grenzen jedoch keines-
wegs mit den Grenzen des Temperaturbereichs zusammenzufallenbrauchen,
in denen das Leben für die betr. Arten möglich ist; vielmehr können
diese Bakterien auch leben und wachsen, ohne Licht zu entwickeln. Die
für das Leuchten notwendige Temperatur ist bei verschiedenen Arten
verschieden; ein von Forster (C. 2. 337) und Fischer (C. 4. 89) be-
schriebenes Leuchtbakterium leuchtet z. B. noch bei 0° und in geringem
Grade sogar noch bei — 12 ° (Tollhausen, Unters, üb. Bakt. phosphoresc.
Fischer [Diss.], Würzburg 1S89). Die einheimischen Leuchtbacillen
Fischer's leuchten zwischen 5° und 25°; jenseits 25° erfolgt Beein-
trächtigung und bei 35 ° schon nach 5 Minuten völliges Erlöschen des
Lichtes. Beim westindischen Leuchtbacillus zeigte sich, entsprechend
seiner Abkunft aus einer wärmeren Zone, die untere Grenze bei 10°,
das Optimum bei 25 bis 30°, deutliche Schädigung erst bei 37 °. Kul-
turen, deren Leuchtkraft durch Abkühlung oder vorsichtige Erwärmung
erloschen ist, können dieselbe wiedergewinnen. — Belichtung hatte
auf das Leuchtvermögen meist gar keinen Einfluss; nur Dubois (C. R.
d. 1. soc. d. biol. 1893. 160) berichtet von einer Abschwächung der
Lichtentwicklung nach mehrtägigem Aufenthalt im Licht. — Elektro-
lyse hebt nach Dubois (C. R. 111. 363) das Leuchten auf, und zwar
an der Anode durch Säureentwicklung, an der Kathode durch die re-
duzierende, sauerstoffverdrängende Wirkung des naszierenden Wasser-
stoffs; durch Neutralisation mit Ammoniak auf der einen Seite, durch
Lufteinblasen auf der anderen Seite wird dieser schädigende Effekt
rückgängig gemacht. — Alle chemischen Agentien, welche das Leben
der Mikroorganismen schwächen oder zerstören, heben auch die Licht-
entwicklung auf; auch Fäulnis sistiert dieselbe. — Von dem bestimmen-
den Einfluss des Nährsubstrats auf die Lichtentwicklung ist vor allem
>die Begünstigung derselben durch Natrium- und Magnesiumsalze zu
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 167
erwähnen daher eignet sich auch das Seewasser besonders gut zur Be-
reitung von Kultursubstraten für Leuchtbakterien. Meerwasser kann
nach Fischer durch Impfung mit Leuchtbacillen künstlich leuchtend
gemacht werden; dieser Autor hält es auch für sehr wahrscheinlich,
dass beim natürlichen Meerleuchten diese Mikroben eine wichtige ur-
sächliche Rolle spielen. Über die sonstigen Ernährungsbedingungen
und über die chemischen Leistungen der Leuchtbacillen hat Beijerinck
(ref. Koch's. Jahresber. 1890. 180) eingehende Untersuchungen ange-
stellt; einige dieser Mikroorganismen vermögen mit Pepton und eiweiss-
artigen Körpern allein auszukommen, während andere neben diesen
noch eine besondere Kohlenstoffcmelle (Kohlehydrate, Salze organischer
Säuren etc.) verlangen. — Die Dauer des Leuchtens einer Kultur kann
nach Tollhausen eine sehr lange sein; an einer und derselben Kultur
des Bact. phosphoresc. Fischer war noch nach einem Jahre deutliches
Leuchten wahrzunehmen; allerdings schwächt sich die Intensität des
Lichtes schon nach einigen Tagen ab.
Die Ursache des Leuchtens kann in zweifacher Weise gedacht
werden: entweder ist die Lichtentwicklung eine direkte Funktion des
lebenden Protoplasmas und von diesem ebenso unzertrennlich, wie die
Wärmeproduktion, die Gährthätigkeit etc.; oder die lebende Zelle
produziert ein nach aussen abgeschiedenes „Photogen", eine Substanz,
die extracellulär leuchtet. Die erste Theorie ist die wahrscheinlichere
und vermag allen Thatsachen Rechnung zu tragen; auch die Erschei-
nung, dass tief unter 0° abgekühlte Kulturen noch einige Zeit fortfahren
zu leuchten, bereitet ihr keine ernstliche Schwierigkeit, da bei den
betr. Bakterien ungestörte Ausübung aller Lebensfunktionen 'noch bei
0° beobachtet ist und demnach ein langsames Eintreten der Kältestarre
bei — 12° sehr wohl begreiflich wird. Gegen die Theorie eines extra-
cellulären Leuchtstoffes spricht vor allem die Unmöglichkeit, einen
solchen Stoff bisher mit Sicherheit zu isolieren; Dubois (C. R. 107. 502)
allerdings will bei einem auf Seetieren lebenden Leuchtbacillus eine
solche Substanz, die er „Luciferin" nennt, sogar in krystallinischem
Zustand gefunden haben; auch sollen nach Ludwig (C. 2. 40) beim
Mikrokokkus Pfmegeri nicht die Kolonien selbst, sondern ausgeschie-
dene Stoffwechselprodukte desselben leuchten. In allen übrigen Ver-
suchen über die Isolierung eines Leuchtstoffes aber war das Resultat
ein durchaus negatives; man müsste also annehmen, dass das hypo-
thetische Photogen gegen äussere Eingriffe fast ebenso empfindlich sei
wie das lebende Plasma. So wenig wahrscheinlich hiernach diese
Theorie ist, so lässt sie sich doch freilich bisher auch nicht mit zwin-
gender Sicherheit ausschliessen.
Ißg Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
E. Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen.
Eine allgemein umfassende, rationelle Darstellung der Lehre von
den Stoffvvechselprodukten der Mikroorganismen ist vor der Hand nicht
möglich, weil es uns an der hierzu erforderlichen Kenntnis der chemischen
Fähigkeiten der Bakterien mangelt, mittelst deren wir für jedes Produkt
die Quelle und den Entstehungsmodus anzugeben vermöchten. "Wir
müssen uns also mit einer speziellen Aufzählung der vorkommenden
Produkte begnügen; ausserdem können einige genauer studierte Klassen
von Stoffvvechselprodukten, deren Entstehungsbedingungen und Be-
deutung sich unter allgemeine Gesetzmässigkeiten subsumieren lassen,
wie die Reduktionsprozesse, die Schwefelwasserstoffproduktion, die Farb-
stoffbildung, die Veränderungen der Reaktion des Substrats, in speziellen
Kapiteln behandelt werden. Endlich sind noch einige allgemeinere
Fragen, wie die nach der Spezifität einzelner Stoffwechsel-
produkte bestimmter Arten und ihrer differential-diagno-
stischen Bedeutung, sowie nach Konstanz und Variabilität
des Stoffwechsels innerhalb eines gegebenen Kreises von Lebens-
bedingungen, zu erledigen.
Die Reihe der gelegentlich bei Kulturen der Mikroorganismen
beobachteten Stoffwechselprodukte ist eine ausserordentlich grosse: Gase
wie C02, H2, CH4, H2S, NHs; Nitrate; Wasser; Schwefel; flüchtige
Körper, wie Trimethylamin, Alkohol, Ameisensäure, Essigsäure, Propion-
säure, Buttersäure; Oxysäuren und mehrbasische Säuren, wie Milchsäure,
Apfelsäure,Bernsteinsäure,Oxalsäure,Weinsäure; Sulfosäuren, wieTaurin;
Amide, namentlich Leucin, Alanin u. s. w.; aromatische Körper, wie
Tyrosin, Phenol, Kresol, Hydroparacumarsäure; Indol; Farbstoffe; Kohle-
hydrate; Peptone; alkaloidähnliche und eiweissähnliche giftige Substanzen;
hydrolytische Fermente. Je nach der spezifischen Art des herrschenden
Mikroben und je nach der im Nährmedium gebotenen Bedingungen
treten bald diese, bald jene Produkte auf; eine besonders grosse Zahl
derselben und darunter ganz eigentümliche, sonst nicht vorkommende
Produkte finden sich bei Entfaltung der Gährthätigkeit vor.
Die allgemein beim Lebensprozess sämtlicher oder doch
der meisten Mikroorganismen auftretenden Stoffwechsel-
produkte wurden schon im vorigen Abschnitt unter den N-haltigen
und N-freien Exkreten behandelt. Unter den spezielleren, nur einzelnen
Klassen oder Arten der Mikroben zukommenden chemischen Leistungen
erheischen die giftigen Produkte, die isolierbaren Fermente und die
Gährprodukte eine gesonderte Besprechung in eigenen Abschnitten.
Hier ist noch auf folgende, spezielle chemische Leistungen der Mikroben
einzugehen.
Gotschuch, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 169
I. Reduktionsvorgänge
durch Bakterien kommen insbesondere bei der Fäulnis yor, wo sie
später noch eingehend zu besprechen sind, und wurden hier zuerst
von Helmholtz (A. f. Ph. 1843) mittelst lakmushaltiger flüssiger
Nährböden (Glutinlösungen) erkannt. Ferner ist hier noch die be-
reits erwähnte Reduktion der Nitrate und die Reduktion des Wasser-
stoffsuperoxyds zu nennen; auch die weiter unten zu besprechende
H2S-Bildung beruht in vielen Fällen auf Reduktionsvorgängen. Be-
sonders energische reduzierende Wirksamkeit kommt den Anaeroben
zu, bei welchen, wie bereits dargelegt, diese Thätigkeit für die
direkte Sauerstoffaufnahme der aeroben Arten als Energiequelle
einzutreten vermag. Die reduzierende Wirkung der Bakterien lässt
sich durch Verwendung gefärbter Nährböden sehr hübsch demonstrieren;
nach Behring (Z. 6. 177) eignen sich hierzu am besten Strichkulturen
auf mit Lakmus gefärbtem Agar, die bei 37° gehalten werden; zu
demselben Zweck wurde früher von Buchner (A. 3. 361) Lakmus-
bouillon verwendet. Der blaue Lakmusfarbstoff wird durch die redu-
zierende Thätigkeit der Bakterien entfärbt; es bildet sich ein farb-
loses Leukoprodukt. Durch starkes Schütteln mit Luft geht dasselbe
infolge von Oxydation wieder in den blauen Farbstoff über. Lakmus-
gelatine verwendete F. Cahen (Z. 2. 386) und konnte hierbei kon-
statieren, dass alle Bakterien, welche die Gelatine verflüssigen, auch
Reduktionen bewirken; die Entfärbung ging in vielen Fällen infolge
von Diffusion der Stoffwechselprodukte über den Verflüssigungsbereich
weit hinaus. Auch unter den nichtverfiüssigenden Bakterien "fanden
sich reduzierende Arten. Ausser Lakmus sind noch Methylenblau von
Spina (C. 2. 71), ferner indigschwefelsaures Natrium von Kitasato
und Weyl (Z. 8.) sowie Rosolsäure von Sommarttga (Z. 12. 290) zur
Erkennung von Reduktionsvorgängen in Bakterienkulturen empfohlen
worden. Die Ergebnisse solcher Versuche können auch oft in differen-
tial-diagnostischer Hinsicht verwertbare Aufschlüsse liefern.
Die reduzierenden Wirkungen der Bakterien scheinen in vielen
Fällen durch nascierenden Wasserstoff hervorgebracht zu werden,
worüber weiter unten bei der H2S-Produktion noch eingehend gehan-
delt werden soll. In anderen Fällen überträgt das Protoplasma Wasser-
stoff und Sauerstoff; so wird z. B. nach Loew (B. Ch. 1890. 675)
bei Luftabschluss und gleichzeitiger Gegenwart von Äthylalkohol und
Kaliumnitrat der N des letzteren zu Ammoniak reduziert und der
Alkohol zu Essigsäure oxydiert; es findet also eine Wanderung des
H- und O-Atoms statt, die sich nach Loew durch den sehr heftigen
Bewegungszustand des Protoplasmas erklärt; derselbe rege die Mole-
170 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
küle des Salpeters und Alkohols zu energischem Mitschwingen an
und ermögliche auf diese Weise den Austausch der Affinitäten. In
ganz ähnlicher Weise wirkt nach Loew Platinmohr, welches durch
den an seiner Oberfläche verdichteten Sauerstoff denselben lebhaften
Schwingungszustand auszulösen vermag.
Es kommen also gleichzeitig mit den Reduktionsvorgängen auch
mächtige Oxydationen zustande, die entweder wie in dem soeben be-
trachteten Falle durch Atomaustausch oder wie bei freiem Luftzutritt
nach der Annahme von Hoppe -Seyler durch Aktivierung des Sauer-
stoffs mittelst nascierenden H bewirkt werden.
IL Die Entwicklung von Schwefelwasserstoff
bei der Fäulnis und bei gewissen krankhaften Harnzersetzungen (Hydro-
thionurie) ist eine längst bekannte Thatsache. Schon Chevallier (cit.
nach Rosenheim und Gutzmann, D. 88. Nr. 10) vermutete, dass es sich
hierbei um eine Gährungserscheinung handle. Mit Bestimmtheit ver-
lieh Ranke (cit. ebd.) dieser Ansicht Ausdruck, dem es bereits gelang,
durch Übertragung solchen zersetzten Harns auch im gesunden Urin
H2 S-Entwicklung zu erzeugen. Die Isolierung bestimmter Mikroorga-
nismen aus derartigem Harn, deren Reinkultur dann, in sterilisierten
Harn überimpft, H2 S-Entwicklung bewirkte, gelang zuerst F. Müller
(B. 87. Nr. 23) und Hartling (Üb. d. Vorkommen von H2S im Harn.
Diss. Berlin 1886), später Rosenheim u. Gutzmann (F. 87. 345 und
D. 88. Nr. 10) und neuerdings Karplus (V. 131. 210). Ferner war
schon 1879 von Miquel (r: B. Ch. 12. 2152) in Jauche, Trink- und
Regenwasser eine anaerobe Bakterienart gefunden worden, welche aus
Eiweisskörpern oder bei Anwesenheit von Schwefel oder vulkanisiertem
Kautschuk H2S bildete. Schwefelwasserstoff erzeugende Bakterien aus
Wasser und Schlamm wurden ferner von Holschewnikoff (F. 89,
201) beschrieben; Strassmann und Strecker (r: C. 4. Nr. 3) fanden
ein solches bei der Leichenfäulnis. Neuere Versuchsreihen von Stag-
nitta-Balistreri (A. 16. 10), sowie von Petri und Maassen (A.
G. 8. 319 u. 490) haben nachgewiesen, dass die Schwefelwasserstoff-
bildung unter den Bakterien sehr weit verbreitet ist; die letzteren
Autoren fanden bei sämtlichen von ihnen untersuchten Arten, worunter
sich auch alle wichtigen pathogenen Arten befanden, unter geeignetenEr-
nährungsbedingungen deutliche Schwefelwasserstoffproduktion; auch bei
denjenigen Bakterien, welche in den Versuchen Stagnitta-Balistreri's
ein negatives Resultat ergeben hatten, nämlich beim Mikrokokk. tetra-
genus, beim Milzbrand- und Diphtheriebacillus, beim Wurzelbacillus,
Heu- und Kartoffelbacillus, wurde H,S mit Sicherheit nachgewiesen.
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 171
Der scheinbare Widerspruch der beiden Arbeiten erklärt sich offenbar
durch Verschiedenheiten der Ernährungsbedingungen; so zeigten Petei u.
Maassen, dass in peptonfreien Substraten bei manchen Arten die H2S-
Bildung ausbleibt, während sie in 5 — 10% Pepton enthaltenden Nähr-
lösungen bei allen Arten ausnahmslos in Erscheinung trat. Die Energie
der H2 S-Produktion hält mit der Wachstumsenergie gleichen Schritt;
sie ist je nach dem Gehalt des Substrats an Nährstoffen und locker
gebundenem Schwefel, sowie nach der Art der Erreger bedeutenden
quantitativen Unterschieden unterworfen.
Selbst ganz geringe Differenzen in der Beschaffenheit des Nähr-
bodens, wie der Unterschied zwischen koaguliertem und frischem Ei-
weiss, bewirken nach Holschewnikofe's und Stagnitta-Balisteeei's
Versuchen erhebliche Änderungen im Ausfall des Versuches. Eine
scharfe Trennung zwischen Sulfidbildnern und Nichtsulfidbildnern halten
Petei u. Maassen hiernach für unthunlich. Durch gleichzeitig sich
abspielende anderweitige Stoffwechselvorgänge kann die Schwefel-
wasserstoffbildung teilweise verdeckt werden; so fand Rubnee (A.
12. 78), dass bei ausgiebiger Lüftung einer Kulturflüssigkeit die
Schwefelwasserstoffproduktion erheblich vermindert wurde, die Sulfate
dagegen eine sehr bedeutende Vermehrung erfuhren; es ist also wahr-
scheinlich der erzeugte H2S zu H2S04 oxydiert worden. Als Quellen
des H2S sind ausser komplizierten schwefelhaltigen Molekülen, wie z.B.
Eiweissstoffen, noch alle diejenigen Stoffe zu nennen, welche Schwefel
in leicht reduzierbarer Form enthalten, als Sulfate, Sulfide, Thiosulfate
und regulinischer Schwefel. Letzterer giebt, in feinverteilter Form
flüssigen Kulturen zugesetzt, bei allen bisher untersuchten Arten zur
Bildung von H2 S Anlass. H2 S-Entwicklung aus Sulfaten ist von
Rubnee und Beijeeinck, aus Sulfiden und Thiosulfaten von Beijeeinck,
Holschewnikoef und Zelinsky (r: C. C. 1. 6) unter Ausschluss an-
derer S- haltiger Verbindungen festgestellt. Andere schwefelwasser-
stoffbildende Bakterien scheinen hingegen ganz auf kompliziertere
Stoffe angewiesen zu sein; so konnte Kaeplus (a. a. 0.) feststellen,
dass ein von ihm gefundenes Bakterium im Harn nur aus dem Neutral-
schwefel H2S zu entwickeln vermochte, den oxydierten Schwefel da-
gegen gar nicht angriff. Über die quantitative Beteiligung von Sulfaten
und organischen Schwefelverbindungen, sowie über das Verhältnis
der H2S-Ausscheidung zum gesamten Schwefelstoffwechsel
der Bakterien hat Rubnee (A. 16. 78) Untersuchungen angestellt.
Er fand, dass zwischen Sulfidbildnern und Nichtsulfidbildnern im ge-
samten Schwefelstoffwechsel eine sehr grosse Ähnlichkeit besteht; in
beiden Fällen werden die organischen Schwefelverbindungen in stärkerem
Masse herangezogen als die Sulfate; 22,8—40,1 % des dargebotenen
172 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Schwefels fanden sich in der Leibessubstanz der Bakterien wieder.
Besonders interessant ist, dass in einem Falle bei einer Proteuskultur
trotz intensiver H2S-Entwicklung nicht nur keine Verminderung,
sondern sogar eine Vermehrung der Sulfate stattgefunden hatte;
hier waren also Sulfate als Stoffwechselprodukte der Bakterien erzeugt
worden.
Nach der chemischen Natur der Substanzen, welche als Quellen
der H2 S-Entwicklung zu dienen vermögen, kann der Chemismus
dieses Prozesses in zweierlei Weise gedacht werden: als Reduktions-
prozess oder als Resultat einer Spaltung. Erstere Art der Ent-
stehung muss überall da angenommen werden, wo H2 S aus oxydiertem
oder regulinischem Schwefel entsteht, weil hier eine andere Art der
Entstehung überhaupt nicht möglich ist; bei der Bildung von H2S
aus Eiweissstoffen aber könnte ebensowohl auch eine Abspaltung prä-
formierter H2 S-Gruppen unter dem Einfluss des Bakterienlebens zu-
stande kommen, ganz wie sie bei viel einfacheren Eingriffen, z. B. beim
Erhitzen des Eieralbumins oder sterilisierter Würze beobachtet ist.
Neuerdings haben jedoch Petei u. Maassen (a. a. 0.) versucht, auch
diese Fälle als Reduktionswirkungen aufzufassen. Ihre allgemeine
Theorie über die Entstehung des biogenen H2 S gründen sie auf die
Annahme, dass unter dem Einfluss des Bakterienlebens nascierender
Wasserstoff entstehe, der neben anderen wohl bekannten Reduktions-
vorgängen auch die Hydratation des in Säuren oder komplizierten Ver-
bindungen vorhandenen Schwefels bewirke. Als Hauptstütze für diese
Ansicht lässt sich die Thatsache anführen, dass bei Gegenwart fein
verteilten regulinischen Schwefels alle Bakterienarten H2 S entwickeln,
was überhaupt gar nicht anders, als durch reduzierende Wirkung
nascierenden Wasserstoffs zu erklären ist. Ferner spricht hierfür die
von Petki u. Maassen konstatierte Thatsache, dass nur diejenigen
S-haltigen Verbindungen, welche ihren Schwefel ganz oder teilweise
an nascierenden H abgeben, den Bakterien als Quelle der H2S-
Produktion zu dienen vermögen, während diejenigen, welche ihren
Schwefel nur durch tiefgreifende Spaltung abgeben, hierzu unfähig
seien. Andererseits bildet auch das Argument, dass freier Wasser-
stoff bisher nur bei Anaeroben, nicht aber bei Aeroben gefunden
sei, kein Hindernis für die Petri - MAASSEN'sche Anschauung; bei
Aeroben geht eben der nascierende H sogleich in chemische Ver-
bindungen ein.
Überhaupt ist nach den angeführten Versuchen nicht daran zu
zweifeln, dass in gewissen Fällen die H2S-Bildung durch nascierenden
H vermittelt wird; auch die Existenz analog wirkender, stark redu-
zierender Stoffe, wie z. B. des von de Rey-Pailhade (r: K. 9<>. 32
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 173
und C. R. soc. biol. 1893. 46) in Hefezellen nachgewiesenen „Philo-
thions" kann als Erweiterung der PETRi-MAASSEisr'schen Theorie
angesehen werden. Gegen die allgemeine Geltung derselben jedoch
lässt sich manches einwenden. So hat Rubner mit Recht dagegen
geltend gemacht, dass die Thatsache der synthetischen Entstehung
des H2S in Kulturen, die regulinischen Schwefel enthalten, noch lange
nicht denselben Modus der Entstehung für schwefelfreie Substrate
beweist; im Gegenteil sah er vielfach beim Fehlen des regulinischen
Schwefels in der sonst in gleicher Weise zusammengesetzten Nährlösung
Ausbleiben der H2S-Produktiou. Es liegt also nahe anzunehmen, dass
dieH2S-Entwicklung aus komplizierteren Molekülen, als Eiweissstoffen etc.,
nicht auf indirektem synthetischen Wege, durch Reduktion zu-
stande kommt, sondern vielmehr einer Spaltung des Moleküls, wobei
präformierte H2S-Gruppen frei werden, seine Entstehung verdankt.
Zwar hatten auch Petri und Maassen sich einer derartigen An-
schauung insofern angenähert, als sie betonten, dass der zur Erzeugung
des H2S erforderliche nascierende Wasserstoff auch aus demselben
Molekül entstehen könne, welches den Schwefel dazu hergiebt, dass also
hier eine Wanderung des Wasserstoffs im Molekül, eine „innere Re-
duktion" zustande komme; doch halten sie ersichtlich auch hier die Not-
wendigkeit des nascierenden Wasserstoffs für die Schwefel wasserstoff-
entwicklung fest, während Rubner einfach die Existenz des H2S als
eines Abspaltungsproduktes von Eiweissmolekülen konstatiert, ohne über
den vorläufig unbekannten Modus desselben sich zu verbreiten. In der
That stehen nun auch auf diesem Punkte der Petri -MAASSEN'-schen
Anschauung gewichtige Bedenken gegenüber. So betont Beijerinck
(a. a. 0.), dass manchen Bakterien, welche freien Wasserstoff in grossen
Mengen ausscheiden, wie die anaeroben Granulobakterarten, und sehr
intensive Reduktionsvorgänge Joewirken, doch das Vermögen fehlt, H2S
aus Sulfaten zu bilden; ferner ist es in Rubner' s Versuchen höchst
auffallend, dass die orange Sarcine trotz lebhaftester H2S-Entwicklung
doch Nitrate nicht zu Nitriten zu reduzieren vermag. Auch die von
Rubner gefundene Thatsache, dass bei energischer Durchlüftung der
Kulturflüssigkeit, wobei an die Wirksamkeit nascierenden Wasserstoffs
nicht wohl gedacht werden kann, doch die H2 S- Ausscheidung fort-
besteht, bereitet der PETRi-MAASSENschen Anschauung mindestens
grosse Schwierigkeiten.
Jedenfalls ist hiernach die ausschliessliche Auffassung jeder
H2S-Entwicklung als eines Reduktionsprozesses bedenklich erschüttert,
und man wird, wie dies auch Petri und Maassen in ihrer letzten Mit-
teilung thun, für gewisse Fälle die Möglichkeit der Entstehung des H2S
als eines primären Spaltungsproduktes anerkennen müssen.
174 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Ganz ähnlich liegt die Frage nach der Entstehung des häufig neben dem H2S
auftretenden und zuerst von Nencki (M. Ch. 10. 526) bei der Fäulnis nach-
gewiesenen Merkaptans. Auch hier kann entweder eine synthetische Ent-
stehung aus gleichzeitig erzeugtem B>S und Alkylen vorliegen, oder das Merkaptan
bei der Spaltung der Eiweisskörper als fertige, relativ resistente Gruppe abge-
spalten werden. Wahrscheinlich kommen in der That beide Prozesse vor und
ist die Entstehung des Merkaptans bei verschiehenen Arten verschieden. Für die
Existenz der synthetischen Bildung des Merkaptans spricht der Befund bei dem
von Maassen entdeckten Bac. esterificans , bei welchem in den ersten Tagen der
Kultur intensive Entwicklung von Merkaptan, später aber eine durch den Ge-
ruch nach Ananasäther sich kundgebende Esterbildung vorliegt; ferner fand
Rübner (A. 19. 187) in gährenden Hefekulturen, die aus beigemengtem feinverteilten
Schwefel gleichzeitigH2S entwickelten, Erzeugung von Aethylmerkaptan. Anderer-
seits spricht für die Möglichkeit einer direkten Abspaltung der Merkaptangruppe
die von Rubner gefundene Thatsache, dass Eiweissstoffe beim Schmelzen mit
Kali Merkaptan abgeben. Sporen von Penicillium glaucum, Reinkulturen von
Hefe und Bac. prodigiosus entwickelten bei derselben Behandlung nur wenig
Merkaptan; also sind abgestorbene Zellleiber keine sehr ergiebige Merkaptanquelle;
doch spricht dieses Resultat indirekt für die thatsächliche Existenz der Ab-
stossung von Merkaptangruppen aus dem als Nahrung dargebotenen Eiweiss-
molekül, bevor es zum Aufbau der Leibessubstanz von der Bakterienzelle ver-
wendet werden kann.
Auch Sulfate können, wie oben erwähnt, nach Rubnee's Ver-
suchen gelegentlich als Stoffwechselprodukte der Bakterien auftreten;
bei den Schwefelbakterien bilden sie nach Winogeadsky das wich-
tigste Stoffwechselprodukt, welches in seiner Bedeutung für die dyna-
mogene Ernährung dieser Mikroben der C02 - Ausscheidung anderer
Lebewesen gleichzustellen ist. — Der Kreislauf des Schwefels im Stoff-
wechsel der Bakterien, speziell die H2S- Ausscheidung hat wahrscheinlich
eine grosse Bedeutung in der Natur: einerseits für die grosse Fauna und
Flora, die speziell auf H2S als Lebensbedingung angewiesen ist, anderer-
seits auch für die chemischen Formen, in denen der Schwefel auf der
Erde auftritt; so ist nach Beijeeinck (a. a. 0.) der Gehalt ausgedehnter
Schlammlager am Grunde von Seen und besonders am Boden des
schwarzen Meeres an Schwefeleisen auf die Thätigkeit von Sulfidbak-
terien zurückzuführen; auch erklärt sich nach demselben Autor die
Armut mancher Grundwässer, z. B. im südlichen Holland, an Sul-
faten vielleicht durch die reduzierende Thätigkeit anaerober Mikro-
organismen.
III. Die Bildung von Farbstoffen
ist unter den Mikroorganismen ausserordentlich verbreitet. Rotes Pig-
ment wird beispielsweise gebildet von der Rosahefe, vom Mikrokokkus
cinnabareus, Bac. prodigiosus, Bac. indicus ruber, Spirillum rubrum, den
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. j_75
roten Schwefelbakterien u.a.m.; grünenFarbsto ff erzeugen unter anderem
der Bac. pyocyaneus und die ihm nahestehenden Arten, B. fluoresc. putidus,
B. erythrosporus, B. fluoresc. liquefac, Feick's Bac. des grünen Sputums;
blauer Farbstoff findet sich beim B. cyanogen., beim BEUEEiNCK'schen
Bac. cyaneo-füscus, violetter beim Bac. janthinus, brauner beim Bac.
fuscus, schwarzbrauner bei der Cladothrix dichotoma, schwarzer
bei einigen Torulaarten, gelber bei zahlreichen Mikrokokken, Sarcinen
und Bacillen, orangegelber beim Staphylokokkus pyogenes aureus, der
Sarcina aurantiaca etc. Ihrer physiologischen Dignität nach sind nun
aber diese Farbstoffe sehr verschieden; nach Beijeeinck (B. Z. 1891)
kann man hiernach folgende drei Hauptgruppen der chromogenen
Bakterien unterscheiden: 1. Chromophore Bakterien, bei denen der
Farbstoff in der Leibessubstanz selbst abgelagert ist und wahrschein-
lich eine bestimmte biologische Bedeutung hat, analog dem Chlorophyll
der höheren Pflanzen; hierher gehören zunächst die wenigen durch
van Tieg-hem und Engelmann (cit. nach de Baet, Vgl. Morphologie
der Pilze etc. 1884) beschriebenen Bakterienarten, welche echtes Chloro-
phyll führen und nachweislich genau wie die höheren Pflanzen im
Lichte Sauerstoff ausscheiden, ferner vor allem die schon mehrfach
erwähnten roten Schwefelbakterien, deren Farbstoff nach neueren
Untersuchungen- Engelmann's (Pf. 42) ebenfalls ein echtes Chromo-
phyll sein und im Lichte Sauerstoffausscheidung veranlassen soll.
2. Chromopare oder echte Pigmentbakterien scheiden den Farbstoff
als nutzloses Exkret aus, und zwar wahrscheinlich oft nicht als solchen
präformiert, sondern in Form einer ungefärbten Vorstufe, eines Leuko-
körpers, der dann mit dem atmosphärischen Sauerstoff sich, erst zu
dem gefärbten Produkt verbindet; die Individuen selbst sind also farb-
los und lassen sich unter veränderten Versuchsbedingungen leicht in
farblosen Varietäten züchten; hierher gehört insbesondere der Bac.
prodigiosus, der Bac. cyanogenes, B. cyaneo-fuscus, B. pyocyaneus. Die
Farbstoffe diffundieren häufig weit in das Nährsubstrat, wie z. B. beim
Bac. fluoresc. non-liquefac, Cladothrix dichotoma, oder lagern sich in
Krystallen in der Kulturmasse ab, wie beim Bac. cyaneo-fuscus und
den weiter unten zu beschreibenden Lipochrombildnern. 3. Para-
chromophore Bakterien bilden den Farbstoff zwar als Exkret, doch
haftet er ihrer Hülle an; hierher sollen B. janthinus und violaceus
gehören.
Die Bedingungen der Farbstoffproduktion fallen bei den
chromophoren Bakterien vollständig mit den Lebensbedingungen zu-
sammen, da bei ihnen die Farbstoffbildung ein notwendiges Glied des
allgemeinen Lebensprozesses darstellt. Die anderen chromogenen Mikro-
ben hingegen bedürfen zur Ausübung der Farbstoffbildung, welche für
176 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
sie gewisserniassen eine Luxusproduktion darstellt, gewisser optimaler
Bedingungen, während sie unter minder günstigen Verhältnissen farb-
lose Kulturen bilden, aber immer noch lebhaft wachsen. Betr. der
Nährstoffzufuhr ist bereits oben erwähnt, dass Gessaed einen gewissen,
0,25 ° 0 übersteigenden Gehalt an Phosphaten als notwendige Vor-
bedingung für die Erzeugung des fluorescierenden Farbstoffs des Bac.
pyocyaneus nachwies; in ähnlicher Weise zeigt Feick (V. 116), dass
sein Bac. virescens den grünen Farbstoff in mineralischer Nährlösung
trotz üppiger Kulturentwicklung nicht bildet, sondern ihn offenbar
nur aus hochkomplizierten Molekülen abzuspalten vermag. Auf ver-
schiedenen Nährböden sind auch häufig die Nuancen des Farb-
stoffs verschieden, z. B. in den Kulturen des Prodigiosus, Cyanogenes,
Pyocyaneus auf Gelatine einerseits, Kartoffel andererseits. Von ein-
greifendster Bedeutung für das Zustandekommen gefärbter Kulturen
ist reichlicher Zutritt freien Sauerstoffs; insbesondere Liboeius (Z. 1.
115) hat nachgewiesen, dass schon bei massiger Behinderung des
Luftzutritts, z. B. durch Bedeckung mit einer Olschicht, die Farbstoff-
produktion sistiert wird, während das Wachstum ungehemmt bleibt;
hiernach schien der Schluss geboten, dass die Bakterien zunächst nur
ein Leukoprodukt ausscheiden, welches bei Luftzutritt zu dem gefärb-
ten Stoffe oxydiert wird. Indessen existieren auch Bakterien, die ihren
Farbstoff gerade nur bei Luftabschluss bilden, so das Spirillum
rubr. von Esmarch. Bei manchen chromogenen Arten ist die Farb-
stoffproduktion nicht innerhalb des ganzen, das Wachstum gestatten-
den Temperaturbereichs, sondern nur in engeren Grenzen möglich;
am bekanntesten ist wohl das Beispiel des Bac. prodigiosus, der nach
Schottelius (Biolog. Stud. üb. d. Mikr. prodigios. Leipzig 1887) bei
Brüttemperatur völlig farblose Kulturen bildet. Dieudonne (A. G. 9.
492) hat ein ähnliches Verhalten auch für mehrere andere Arten kon-
statiert, gleichzeitig aber gefunden, dass durch eine allmähliche An-
gewöhnung an diese ungünstigen Temperaturen die Farbstoffproduktion
annähernd oder vollständig restituiert werden kann. Gegen das Licht
verhalten sich die chromogenen Arten sehr verschieden; notwendige
Vorbedingung ist dasselbe allein für die Farbstoffbildung des Mikro-
kokkus ochroleucus von Peove (B. B. IV), der im Dunkeln farblos
wächst, im Lichte schwefelgelbe Kulturen bildet; andere Farbstoff -
bildner, wie Feick's Bac. virescens, sind gegen massige Belichtung
indifferent, während noch andere durch Licht geschädigt werden, wie
z. B. ein von Geoteneeld (F. 89. 41) beschriebener Bacillus, der
seinen roten Farbstoff nur im Dunkeln bildet. Durch längere Fort-
züchtung oder schädigende Einwirkungen können farblose Rassen
entstehen; besonders ist dies vom B. cyanogenes (Behe, C. 8.
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 177
485) und Pyocyaneus (u. A. Chaeein u. Phisalix, C. R. 114. 1565)
bekannt.
Die chemische Untersuchung der Pigmente hat ergeben,
dass sie sehr verschiedenen Gruppen von Körpern angehören. Am ge-
nauesten ist ein Farbstoff des B. pyocyaneus, das Pyocyanin, von Gessaed
untersucht; dasselbe ist eine den Ptomamen nahestehende Base, dessen
Sulfat und Chlorid in rötlichen Nadeln krystallisieren, und dessen
Lösungen krystallinisch gefällt werden durch Goldchlorid, Platinchlorid,
Kaliumcmecksilberjodid, Quecksilberchlorid, Tannin, Phosphormolybdän-
säure; aus einem Gemisch von Ferridcyankalium und Eisenchlorid fällt
das Pyocyanin allmählich Berlinerblau. Ferner sind von Babes noch
3 andere Farbstoffe des Bac. pyocyaneus beschrieben worden: ein
azurblauer, der auf Säuren und Alkalien in ähnlicher, aber noch feinerer
Weise wie Lakmus reagiert, und 2 dichroitische Farbstoffe. Auch ein
gelbbrauner Farbstoff, Pyoxanthin, ist von Foedas aus Pyocyaneus-
kulturen isoliert worden. Die fluorescierende Substanz des Bac. fluo-
resc. liquefac. ist von Hoeea (M. 91. Nr. 14) als EiweisskÖrper erkannt
worden, der jedoch nur in ammoniakalischer Lösung fluoresciert. Das
Ammoniak scheint auch noch in mehreren anderen Fällen ein Bestand-
teil des Farbstoffs zu sein; so ist nach Hueppe und Scholl (F. 89. 807)
der in Milch gebildete Farbstoff des Bac. cyanogenes ein Salz, bestehend
aus Ammoniak und einer fetten Säure. Der Farbstoff des Bac. prodigiosus
hat nach Geieeiths (C. R. 115. 321) die Zusammensetzung C38 H56 N05
und zeigt in seinem Spektrum je einen Absorptionsstreifen im Blau
und im Grün. Dieser Farbstoff war bereits früher, von Scheoetee
(B. B. I. Heft 2, 109), allerdings ohne Verwendung von Reinkulturen,
eingehend untersucht worden; hierbei hatte sich eine interessante
Übereinstimmung mancher chemischer Reaktionen desselben
mit denen von gleichfarbigen Anilinfarbstoffen herausgestellt; ähn-
liche Übereinstimmungen waren auch von Erdmann (J. pr. Ch. 1866.
385) beobachtet worden. Der Farbstoff des Bac. cyaneo-fuscus ist nach
Beijeeinck mit dem Indigblau sehr nahe verwandt, vielleicht gar
identisch. Endlich sind noch neuerdings von Zope (B. Z. 89. Nr. 5/6 und
B. G. IX. 22) und Oveebeck (Nova Acta d. K Leop. Carol. Deutschen
Akad. d. Naturf. Bd. 55. Nr. 7) in Bakterien Farbstoffe von fettartigem
Charakter, Lipochrome, isoliert worden; dieselben machen auf
Papier Fettflecken, lassen sich verseifen, geben die Acrolei'nreaktion und
zeigen bei Behandlung mit Schwefel- oder Salpetersäure Blaufärbung
(Lipocyan). Gelbe Lipochrome mit zwei charakteristischen Absorptions-
streifen bei F und G, sog. Dilipoxanthine, werden von B. egregium Z.,
B. Chrysogloia Z. und von Staphylokokk. pyogen, aur. gebildet; rote, mit
einem Absorptionsstreifen beiF, sind bei zwei Mikrokokken nachgewiesen.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 12
178 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
IV. Die Veränderung der Reaktion des Nährsubstrats durch
Bildung von Säuren oder Alkalien
lässt unbeschadet der Verschiedenheit der erzeugten chemischen Pro-
dukte doch einen gewissen Einblick in die allgemeine Natur des Stoff-
wechsels zu, indem ein gegebener Mikroorganismus unter bestimmten
Versuchsbedingungen entweder saure Affinitäten freimacht oder solche
sättigt. Freilich ergeben sich je nach der Natur des Nährmaterials und
vor allem durch gleichzeitige Gährungen oft ganz veränderte Verhält-
nisse. Hierauf sind auch die häufig geradezu widersprechenden An-
gaben der Autoren zurückzuführen.
Zur Erkennung der Reaktionsveränderung bediente sich zuerst Buchner
(A. 3. 418) des Zusatzes von Lakmus zu den Nährböden; doch traten bei
dieser Versuchsanordnung besonders in eiweiss- und peptonhaltigen Medien in
störender Weise die Reduktionswirkungen der Bakterien hinzu. Eine Verbesserung
der Methode erreichte Petruschky (C. 6. 657) durch Verwendung von Lakmus-
Molke. Sommaruga (Z. 12. 273) prüfte die Reaktion der Stoffwechselprodukte
beim Wachstum in den gewöhnlichen Nährmedien durch nachträgliche Titration
der ausgewachsenen Kultur mit Rosolsäure; in einigen Versuchsreihen setzte er
den Indikator gleich von vornherein dem Nährmedium zu. Freilich kommen
hierbei häufig wieder intensive Reduktionsvorgänge ins Spiel, die jedoch nach
Sommaruga's Angabe leicht von den Veränderungen der Reaktion zu unter-
scheiden sind und das Resultat nicht beeinträchtigen. Phenolphthalein eignet
sich für diese Zwecke nicht, weil es in den gebräuchlichen Nährmedien erst
auf Alkalimengen reagiert, die schon entwicklungshemmend wirken. Kauf-
mann (C. 10. Nr. 2/3) empfiehlt für die Prüfung der Säure- oder Alkaliproduktion
als Nährsubstrat ein Dekokt von Jequiritysamen , welches bei neutraler Reaktion
von hellgelber Farbe ist, durch Säuren entfärbt und durch Alkalien grün gefärbt
wird. Ein hübsches, für demonstrative Zwecke geeignetes Verfahren zur Er-
kennung selbst kleiner Säuremengen hat Beijerinck (C. 9. 781) angegeben; die
zu prüfenden Mikroorganismen werden auf Gelatineplatten gebracht, die mittelst
einer Aufschwemmung von Kreide oder anderer unlöslicher Karbonaten undurch-
sichtig gemacht sind; um die säurebildende Kolonie entsteht dann durch Auf-
lösung der Kreideteilchen ein heller Hof.
Die bisher mit diesen Methoden erreichten Ergebnisse sind folgende.
Büchner (a. a. 0.) wies für den Bac. neapolitan. Emmerich, den
Typhusbacillus, einen aus Darminhalt isolierten Bacillus, den Cholera-
vibrio und den Vibrio Proteus intensive Säurebildung durch Zersetzung
des Traubenzuckers nach; Weisser (Z. 1. 335 ff.) bestätigte im we-
sentlichen diesen Befund. Petruschky (C. 7. 49) fand, dass nur
wenige Arten, als Hühnercholera, Kaninchenseptikämie, Mäusesepti-
kämie die Reaktion der neutralen Lakmusmolke gar nicht verän-
dern; die Mehrzahl der untersuchten Arten brachte eine deutliche, so-
wohl ihrem Sinne als auch annähernd ihrer Grösse nach unter gleichen
Versuchsbedingungen konstante Reaktionsveränderung hervor; unter
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 179
den Säurebildnern fanden sich in aufsteigender Reihe Mikrokokkus
tetragenus, Bacillus typhi abd., Bac. crassus sputigen., Bac. Fried-
länder, Bac. prodigiosus, Bac. neapolitan., Bac. capsulat. Pfeiffer, Bac.
acid. lactici; zu den Alkalibildnern gehörten Bac. der Schweineseuche,
Proteus Zenkeri, Spirill. Deneke, rosa Hefe, Oidium lact., Staphy-
lokokkus pyogen, aureus, Spirill. Finkler, Sarcine, Proteus vulgaris,
Streptokokk. erysipel., Bac. des Schweinerotlaufs, Spirill. choler.
asiat., Bac. violaceus, Bac. fluoresc. licpiefac., Bac. indicus ruber,
Pyocyaneus, Cyanogenes. Sommartjga (a. a. 0.) hingegen fand, dass
die von ihm untersuchten Arten, auf den gewöhnlichen Nährmedien
gezüchtet, fast sämtlich Alkali bilden; auf Agar, mit Fleisch-
wasserpeptonbouillon bereitet, wird überhaupt nur Alkali produziert;
unter ungünstigen Ernährungsbedingungen bewirken der Mikrokokkus
tetragenus, der Wurzelbacillus, Milzbrandbacillus und Heubacillus
Säurebildung. Die Werte schwanken schon bei verschiedenen Proben
von Bouillon sehr erheblich. Der scheinbare Widerspruch mit den
Versuchen Petruschky's erklärt sich dadurch, dass in dessen Ver-
suchen gährfähiges Material in Form von Milchzucker vorhanden war,
welches demgemäss zur Bildung von Säure Veranlassung gab. Auch
fand Sommaeuga (Z. 15. 291) in einer späteren Versuchsreihe, dass
eine grosse Anzahl von Bakterien auf glycerinhaltigen Nährböden
so viel Säure aus dem Glycerin abspalten, dass die sonst gebilde-
ten alkalischen Stoffwechselprodukte neutralisiert werden und freie
Säure auftritt, was auch durch eine Angabe von Bueki (A. 19. 29)
bestätigt wird. Die gleichzeitige Entstehung alkalischer und saurer
Stoffwechselprodukte durch denselben Bacillus aus 2 verschiedenen
Stoffen des Substrats beobachtete ferner Smith (C. 8. 389); selbstver-
ständlich hängt dann der Ausfall der Reaktion des ganzen Kultur-
mediums von dem Verhältnis beider Substanzen ab, ist also nicht
eindeutig. Nimmt man noch hinzu, dass nach Tataroff's (Die Dor-
pater Wasserbakterien. Diss. Dorpat 1891) Versuchen mit Petruschky-
scher Lakmusmolke die Tendenz einer Art, Alkali oder Säure zu produ-
zieren, ganz wesentlich von den äusseren Umständen abhängt, und dass
die Resultate sich schon bei geringen Differenzen der Temperatur, der
Zusammensetzung des Substrats etc. ändern, so wird man von einer
allgemeinen Einteilung der Bakterien in Säure- und Alkalibildner ganz
absehen müssen; für differential-diagnostische Zwecke zwischen man-
chen Arten vermag aber vielleicht die Reaktionsbestimmung, besonders,
wenn es sich nur um cpialitative Differenzen handelt, etwas zu leisten.
Alle diese verschiedenartigen Stoffwechselprodukte verteilen sich
nun nicht etwa in der Weise auf die produzierenden Pilzarten, dass jede
12*
180 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Art nur einige, zur gleichen Gruppe gehörige Produkte liefert, sondern
sehr häufig beobachten wir, dass dieselbe Bakterienart gleichzeitig
z. B. C02, Fettsäure, Ptornaine, Fermente, Farbstoff produzieren und
ausserdem Gährung erregen kann oder zu parasitärer Existenz und
Krankheitserregung befähigt ist. Die Bakterien entfalten also eine
ausserordentliche Vielseitigkeit in ihren chemischen Leistungen.
Was sodann die Beantwortung jener auf die Konstanz und
Spezifität der Stoffwechselprodukte bezüglichen Fragen anlangt,
so ergiebt sich zunächst aus zahlreichen Beobachtungen, dass die einzelne
Bakterienart nicht etwa auf jedem beliebigen Nährsubstrat alle die
Stoffe liefern kann, zu deren Produktion sie überhaupt befähigt ist;
viele Produkte setzen vielmehr ganz bestimmte physikalische Lebens-
bedingungen und eine bestimmte Beschaffenheit des Substrats voraus,
wofür z. B. die voraufgegangene Behandlung der Bedingungen der
Farbstoffproduktion zahlreiche Belege liefert. Endlich veranlassen zu-
weilen abnorme Veränderungen oder mehr zufällige Beimengungen
des Nährmediums das vorübergehende Auftreten abnormer Produkte.
Bei höheren Pflanzen beobachtet man in diesem Sinne die massenhafte
Bildung von Amiden beim Fortfall der C- Assimilation; ferner die
Bildung vonBenzoesäure, wenn den Pflanzen Hippursäure als N-haltiges
Nährmaterial geboten wird. Ebenso vermögen z. B. Schimmelpilze zu-
fällig vorhandene Gallusgerbsäure in der Weise zu verarbeiten, dass
Gallussäure und Glukose gebildet werden; in analoger Weise ist auch
die von Gosio (A. Bi. 92. 253) beobachtete Spaltung von Arsenver-
bindungen durch Penicillium und vielleicht auch die mehrfach erwähnte
Zerlegung von Nitraten durch Bakterien aufzufassen.
Wenn nun also auch, wie von vornherein zu erwarten war, keine
absolute Konstanz der Stoffwechselprodukte unter den verschiedensten
Versuchsbedingungen besteht, so ist doch die Variationsbreite
konstant, und innerhalb derselben vollziehen sich die chemischen
Leistungen in streng gesetzmässiger Abhängigkeit von den äusseren
Faktoren, so dass unter vollständig gleichen Bedingungen auch die er-
zeugten Produkte bei derselben Bakterienart stets die gleichen sind.
Es ist also zulässig, charakteristische Stoffwechselprodukte
als differential-diagnostisches Hilfsmittel zur Erkennung und
Unterscheidung der einzelnen Bakterienarten zu benutzen. Manchmal
reicht ein einzelnes Merkmal nicht aus, um diese Trennung verschiedener
Arten zu vollziehen, wie dies z. B. bei der Unterscheidung zwischen dem
Typhusbacillus und den typhusähnlichen Bacillen der Fall ist; dann
wird die Charakterisierung durch das Zusammensein verschiedener
biologischer Merkmale ermöglicht. Als Artcharakteristica werden
namentlich die Produktion von Farbstoffen, Peptonisierung der Gelatine
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. \%l
und Gährprodukte benutzt. Selbst wenn diese charakteristischen Pro-
dukte unter dem Einfluss abnormer äusserer Bedingungen in Wegfall
gekommen sind, lassen sie sich doch gewöhnlich wieder zur Anschauung
bringen, sobald die Mikroben wieder in günstige Bedingungen versetzt
werden. Die Konstanz der chemischen Wirkung einer Art erhält sich
also selbst nach Einwirkung schädigender äusserer Momente. Die
Bakterien verhalten sich in dieser Beziehung offenbar im ganzen ähnlich
wie die höheren Pflanzen, die auch nicht die Produktion bald dieser,
bald jener spezifischen Stoff Wechselprodukte ablegen oder erwerben; so
verliert wohl der Schierling unter abnormen Bedingungen die Fähig-
keit, Coniin zu produzieren; doch kehrt die Produktion wieder, wenn
günstigere Lebensbedingungen den überlebenden Exemplaren oder
deren Nachkommen die volle Ausübung aller Lebensfunktionen ge-
statten. Nur bezüglich der Gährungs- und Krankheitserregung zeigen
die Bakterien eine eigentümliche Abweichung von dem Verhalten der
höheren Pflanzen; die Spaltpilze können nämlich diese Fähigkeiten
unter dem Einfluss abnormer äusserer Bedingungen auch dauernd
einbüssen, und dieser Verlust vererbt sich dann auf die Nachkommen
durch mehrere Generationen, selbst wenn wieder normale Existenz-
bedingungen Platz gegriffen haben. Auf diese Punkte, sowie auf die
Rassenbildung bei den Bakterien überhaupt ist in einem besonderen
Kapitel „Variabilität" näher eingegangen.
F. Ptomame, Toxine und Toxalbumine.
Giftige Produkte, die unter dem Einfluss des Bakterienlebens ent-
stehen, sind zuerst aus Fäulnisgemischen isoliert worden. So gewannen
Panum sein „extraktförmiges putrides Gift", Bergmann und Schmiede-
berg ihr Sepsin, Zuelzer und Sonnenschein, Hager, Otto, Selmi u. A.
aus faulenden Substanzen giftige Extrakte, die meist dem Coniin, zu-
weilen aber auch dem Atropin, Curare, Delphinin, Morphin etc. in
ihrer Giftwirkung ähnlich waren und in ihrem ganzen chemischen Ver-
halten eine sehr nahe Verwandtschaft mit den pflanzlichen Alkaloiden
zeigten. Eine genaue historische Aufzählung der älteren Arbeiten über
Ptomai'ne würde hier zu weit führen; vgl. Husemann's Bericht im Arch.
f. Pharmazie. 3. R. Bd. 16 — 22, ferner Otto, Anleitung zur Ausmitte-
lung der Gifte. 6. Aufl. Braunschweig 1885, Brieger, Ptomaine. I — III.
Berlin 1885 u. 1886 und Maly's Jahresber. f. Tierchemie. Selmi
(B. Ch. 1878) schlug für die ganze Gruppe dieser N-haltigen Basen,
mit Einschluss auch derjenigen, welchen eine Giftwirkung fehlte, den
gemeinsamen Namen der Kadaveralkaloide oder Ptomaine [pixcoy,a,
Leichnam) vor. Die bisher erwähnten Untersuchungen hatten aber
182 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
noch nicht zur Isolierung wohl charakterisierter chemischer Individuen
geführt, sondern waren bei der Herstellung toxischer Extrakte von un-
sicherer Zusammensetzung stehen geblieben.
Die Reindarstellung und die Ermittlung der Elementarzusammen-
setzung und Struktur eines Ptoma'ins gelang zuerst Nencki (Üb. d.
Zersetzung der Gelatine u. d. Eiweisses. Bern 1876). Derselbe stellte
aus gefaulter Gelatine einen krystallinischen Körper dar, welcher die
Zusammensetzung CsHnN und mit Wahrscheinlichkeit die Struktur
OTT
C6H4 <pTT:! i^tt hatte; die Base ist also isomer mit dem Collidin,
jedoch durch das Verhalten beim Erhitzen etc. von diesem unterschieden.
Später stellten Gautier u. Etard (C. R. 94) aus gefaulten Fischen
2 Alkaloide dar, das Parvolin, C9H13N und das stark reduzierend
wirkende Hydrocollidin, CSH13N. Ferner erhielten Guareschi
u. Mosso (A. Bi. II) aus faulem Rindfleisch die Base C,0H15N, E. u.
H. Salkowski aus faulem Fibrin und Fleisch eine wahrscheinlich noch
nicht ganz reine Base, ferner Pouchet (C. R. 97) aus Abwässern von
Fleisch- und Knochenabfällen 2 sauerstoffhaltige Produkte, deren
Platinsalzen die Formeln (C7H,8N206, HCl)., PtCl4 bezw. (C5H12N204,
HC1)2 PtCl4 zukamen.
Die chemischen Methoden, welcher sich die genannten Autoren zur Isolierung
der Ptomaine bedienten, können hier nur kurz berührt werden. Am ältesten ist
die Methode von Stas-Otto; die faulenden Stoffe werden mit Alkohol mehrmals
digeriert und dann mit Äther unter Zusatz von Acicl. tartaric. etc. ausgeschüttelt;
diese Methode ist jedoch nicht imstande, die Ptomaine völlig rein zu isolieren.
Vollkommener ist das Verfahren von Dragendorff, bei welchem nach Analogie
der Gewinnung von Pflanzenalkoloiden die Ptomaine zuerst durch Ansäueruug
mit H2S04 in Sulfate übergeführt werden, die sich durch ihre Löslichkeit in
Alkohol von der übrigen Masse trennen lassen; durch Behandlung mit Alkalien
werden dann die Ptomaine frei und lassen sich in Äther oder Amylalkohol auf-
nehmen. Durch mehrmalige Wiederholung dieser Prozedur gelingt eine Reiniguno-
der Alkaloide. Freilich zersetzen sich manche Ptomaine bei der Behandlung
mit Alkali; andere gehen wieder in den Äther nicht über. Mit verbesserten che-
mischen Methoden nahm Brieger (Üb. Ptoma'ine. I— III. Berlin 1S85— 86) das
Studium dieser Körper in Angriff. Der Grundzug der BRiEGER'schen Methode
besteht darin, dass das Filtrat der unter Ansäueruug gekochten faulenden Sub-
stanzen zuerst mit Bleiacetat, dann, nach Entfernung des Bleies durch HoS, mit
Quecksilberchlorid gefällt wird; die Ptomaine lassen sich dann schon teilweise
durch die verschiedene Löslichkeit ihrer Quecksilberdoppelverbindungen, teilweise
aber erst durch das differente Verhalten ihrer Phosphormolybdänsäure-, Gold-
chlorid-, Platinchloriddoppelverbindungen und Pikrate trennen; die Darstellung der
Basen aus den Doppelsalzen gelingt dann durch Entfernung der Metalle mittelst
Schwefelwasserstoff, aus den Pikraten durch Ansäuerung mit Salzsäure und wieder-
holte Ausschüttelung mit Äther. In einzelnen Fällen sind oft spezielle Modi-
fikationen der Methode erforderlich.
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. igß
Bei der Beurteilung der mittelst dieser Methoden gewonnenen
Resultate ist jedoch gewisse Vorsicht geboten. Denn abgesehen davon,
dass die Reagentien, besonders der Amylalkohol, häufig stark giftige
Verunreinigungen enthalten oder selbst giftig sind, ist es auch sehr
wohl möglich, dass durch die eingreifenden chemischen Manipulationen
aus dem Eiweiss oder ungiftigen Spaltungsprodukten desselben Gifte ab-
gespalten werden, die dann fälschlich als präexistent angenommen und
derLebensthätigkeit der Mikroorganismen zugeschrieben werden können;
so hat z. B. Geam (A. P. XX. 116) darauf hingewiesen, dass das
Cholin, welches nach Beleges die Muttersubstanz vieler Ptomai'ne
darstellt, gegenüber chemischen Eingriffen sehr wenig widerstandsfähig
ist und leicht das giftige Neurin abspaltet. Andererseits ist es auch
möglich, dass präexistente kompliziertere Giftstoffe durch die schonungs-
lose chemische Behandlung so tief gespalten werden, dass nur einfache
ungiftige Produkte übrig bleiben; hierdurch erklärt sich vielleicht der
negative Erfolg mancher Untersuchungen. —
Mittelst dieser Verfahren gelang es nun Beleges, eine grosse An-
zahl N-haltiger Basen aus faulendem Material darzustellen, von denen
viele ohne besondere toxische Wirkung waren, während andere sich
stark giftig zeigten. Diese letzteren giftigen Basen fasste Beleges
unter dem speziellen Namen der Toxine zusammen.
1. Zu den ungiftigen oder höchstens in grossen Dosen toxisch
wirkenden Basen gehören:
Neuridin, C-H14N2, sehr verbreitet, erhalten bei der Fäulnis
von Fleisch, Käse, Leim (in besonders grossen Mengen), aus faulenden
menschlichen Leichenteilen vom dritten Tage ab. Es ist seiner Struktur
nach ein Diamin und chemisch durch seine schwerlösliche Pikrinsäure-
verbindung ausgezeichnet; in ganz reinem Zustande völlig ungiftig.
Gadinin, C7H17N02, unbekannter Struktur, aus faulenden Dorschen
und faulender Gelatine erhalten; Mäuse reagieren auf grössere Gaben
mit einem der akuten aufsteigenden Paralyse ähnlichen Symptomen-
komplex. Vielleicht ist dasselbe an den Symptomen bei Fischver-
giftung auch beim Menschen beteiligt.
TT
Dimetliylamin, N<,ptTN|
Triniethylamin, N(CH3)3.
Putreszin, C4Hi2N9, der Struktur nach Tetramethylendiamin:
NH2-CH2— CH2-CH2— CH2 -NH2.
Kadaverin, CjH^jNo, der Struktur nach Pentamethylendiamin:
NH2-CH2— CH2— CH2-CH-2CH2-NH2.
Wie das vorige in faulenden Leichenteilen, aber erst vom 4. Tage
ab nachzuweisen. Kadaverin tritt bei der Fäulnis eher auf als Putreszin.
] 84 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Beide vermögen eine lokale entzündungserregende Wirkung auszulösen;
in grösseren Dosen ist ausserdem Kadaverin nach Behring (D. 88.
Nr. 24) ein für Kaninchen, Meerschweinchen und Mäuse tätliches Gift.
Saprin, ebenfalls Kadaveralkaloid, prozentisch wie Kadaverin zu-
sammengesetzt, aber durch Eigenschaften des Chlorids und des Gold-
salzes von diesem unterschieden.
Cholin tritt in den ersten Tagen der Kadaverfäulnis auf; bald
zersetzt es sich und als Zerfallsprodukte entstehen Di- und Trirnethyl-
amin, sowie Triäthylamin. Das Cholin hat die Zusammensetzung
C5H15 NO 2 und ist als Trimethyloxäthylammoniumhydroxyd: (CH3)3.
N.OH.C2H4.OH aufzufassen. Mit Distearylglycerinmetaphosphorsäure
gepaart ist es im Lecithin sehr verbreitet im Organismus und entsteht
wahrscheinlich durch Zerlegung des Lecithins. Wirkt nur in sehr
grossen Gaben toxisch.
Mydatoxin und Mydin, von Brieger aus faulenden menschlichen
Leichenteilen dargestellt; ersteres ist wenig, letzteres gar nicht toxisch.
Mydin hat stark reduzierende Wirkung. Ferner isolierte nach Briegee' s
Methoden A. Eheenberg (Z. physiol. Ch. 11. 239) aus Wurst, deren
Genuss zu Vergiffcungsersch einungen geführt hatte, neben Ammoniak
Cholin, Neuridin, Trimethylamin, Dimethylamin, wahrscheinlich auch
etwas Methylamin.
Ferner gehört hierher ein von Garcia (Z. physiol. Ch. 17. 543)
aus fauligem Pferdefleisch isoliertes Ptoma'in von der Zusammen-
setzung C6H10N2, das vielleicht als Hexamethylendiamin aufzu-
fassen ist.
2. Zu den schon in kleinen Dosen stark giftigen Basen ge-
hören:
Peptotoxin, der giftige Bestandteil mancher Peptone; entsteht
z. B. bei der Verdauung von Fibrin durch künstlichen Magensaft, wahr-
scheinlich auch durch die peptonisierende Thätigkeit von Bakterien.
Durch Kontrollversuche überzeugte sich Brleger, dass aus gleich be-
handeltem unzersetzten Eiweiss kein derartiges Gift sich abspalten lässt.
Die Zusammensetzung des Peptotoxins ist noch unbekannt; Frösche
und Kaninchen werden unter Lähmungs- und Insensibilitätserschei-
nungen getötet.1)
1) Nach E. Salkowski (V. 124. 409) ist das Peptotoxin Brieger's kein nor-
males Produkt der Fibrinverdauung; er konnte unter 7 künstlichen Verdauungs-
versuchen nur einmal giftige Produkte erhalten und schliesst demnach, dass die-
selben entweder zufällige durch ßakterienwirkung , oder artefizielle , durch die
chemische Präparation entstandene Beimengungen darstellen. Die Erwiderung
Brieger's und die Diskussion heider Autoren s. D. 91. Nr. 20—31.
Gotschxich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 185
Neurin, aus 5 — 6 Tage gefaultem Fleisch gewonnen. Es hat die
Zusammensetzung C5H13NO, unterscheidet sich also von Cholin durch
ein Minus von einem Molekül H20 und ist aufzufassen als Trimethyl-
CH \
vinylammoniumhydroxyd, (CH3)3.C2H3.N.OH (Vinylgruppe = qjjM'
Das Neurin ist schon in kleinen Dosen giftig für Frösche und Säuge-
tiere; für 1 Kilo Katze sind 5 Milligr. die tötliche Dosis. Als Ver-
giftungssymptome beobachtet man Speichelfiuss, Dyspnoe, zuest Be-
schleunigung, dann Absinken der Herzaktion; daneben heftige Darm-
peristaltik, diarrhoische Entleerungen, Konvulsionen und Kollaps. Das
Vergiftungsbild ist dem durch Muscarin erzeugten am ähnlichsten. Als
wirksamstes Antidot erwies sich Atropin.
Das Neurin entsteht höchstwahrscheinlich aus dem Cholin des
Lecithins durch Wasserabspaltung; Jeseeich und Niemann (R. 93.
813) haben den Nachweis geliefert, dass eine Reihe von Bakterien-
arten diese Umwandlung vollziehen. Daneben sind aber auch rein
chemische Eingriffe imstande, Neurin aus Cholin abzuspalten.
Eine dem Athylendiamin ähnliche und isomere Base von der
Formel C2 H4 (NH2)2 wurde bei der Fischfäulnis erhalten.
Muscarin, C5H15N03. Oxydationsprodukt des Cholins, längst
als Gift des Fliegenpilzes bekannt, von Beiegee ebenfalls in faulenden
Fischen gefunden.
Bei der Fäulnis menschlicher Leichenteile erhielt Beiegee neben
den oben genannten ungiftigen auch toxische Basen, aber erst vom
7. Tage ab, und reichlich erst nach 2—3 Wochen. Für die chemische
Charakterisierung reichten die gewonnenen Mengen nicht aus. Das
eine Ptomai'n erzeugte bei Kaninchen starke Diarrhöen, das andere,
My dal ei'n genannt, bewirkte zunächst Pupillen dilatation. Injektion
der Ohrgefässe, Steigerung der Körpertemperatur, starker Speichel-
fiuss und Kotabgang, schliesslich unter Dyspnoe und Temperaturabfall
der Tod.
Aus gefaultem Pferdefleisch gewann Beiegee ein in seiner Wirkung
dem Curare ähnliches, nicht näher charakterisiertes Toxin, sowie
Methylguanidin (vielleicht durch Oxydation des Kreatinins ent-
standen); in einer Dosis von 0,01 gr injiziert tötet es Frösche unter
fibrillären Zuckungen, tetanischen Krämpfen und diastolischer Herz-
lähmung.
Aus den giftigen Miesmuscheln, welche 1S85 in Wilhelmshafen
eine Massenvergiftung verursachten, hat Beiegee (D. 85. Nr. 53) eine
giftige Base, das Mytilotoxin, C6H15N02 isoliert. Merkwürdiger-
weise waren die Muscheln nicht in Fäulnis begriffen, sondern äusserten
ihre toxische Wirkung im frischen Zustande. Hier muss also entweder
186 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
eine Produktion von Ptomainen durch die Muscheln selbst oder eine Auf-
nahme solcher Gifte aus dem umgebenden Wasser stattgefunden haben.
Ferner ist hier noch das von Vaughan (A. 7. 420) aus Vanille-
eis und aus Milch, die mit Buttersäureferment infiziert worden war,
dargestellte Tyrotoxicon zu erwähnen, welches seinem chemischen
Verhalten nach den Diazobenzolverbindungen nahestehen soll. Die
toxischen Wirkungen bestehen in Diarrhoe und schweren Allgemein-
erscheinungen. —
Von der Überlegung ausgehend, dass im Darmkanal des Men-
schen stets intensive Fäulnisprozesse stattfinden und demnach die Be-
dingungen zur Entstehung von Ptomainen gegeben sind, versuchte
man auch, in frischen Organteilen und Abscheidungsprodnkten des
lebenden Organismus nach Ptomainen zu fahnden. Man stellte sich
z. B. vor, dass ähnlich, wie die ihren Ursprung im Darmkanal
nehmenden gepaarten Schwefelsäuren und das Indican, so auch etwaige
bei der Darmfäulnis entstehende Ptomaine im Harn auftreten könnten.
In der That hatten auch schon Bence, Jones u. Dupre einen alkaloid-
ähnlichen Körper im Harn nachgewiesen, dem sie wegen der blauen
Fluorescenz seiner schwefelsauren Lösung den Namen „Quinoidine
animale" beilegten; ferner isolierte Gautier (Journ. de l'anat. et de
physiol. XVII. 333) aus normalem menschlichen Harn ein fixes, äusserst
giftiges Alkaloid. Um so auffallender war es, dass nach eingehenden
Untersuchungen von Stadthagen (Z. M. 15. H. 5 u. 6), sowie von
v. Udranszky und Baumann (Z. physiol. Ch. XIII.) Ptomaine im
normalen Harn und normalen Fäces nicht nachzuweisen
waren. Nur in einem Falle von Cystinurie konnten die beiden
letztgenannten Autoren während einer langdauernden Beobachtungs-
zeit Diamine (Kadaverin und Putreszin) im Harn konstant nach-
weisen; in ähnlichen Fällen konstatierten auch Stadthagen und
Brieger (B. 89. Nr. 16) und Roos (Z. physiol. Ch. 12. 192) Diamin-
urie. Schon die Seltenheit des Vorkommens solcher Ptomaine im
Harn musste darauf hinweisen, dass hierzu ganz besondere Beding-
ungen, vielleicht die Lebensthätigkeit bestimmter Mikroorganismen
im Darmkanal, zusammenwirken müssen; die letztere Vermutung ge-
wann um so mehr an Wahrscheinlichkeit, als Garcia nachwies, dass
Flüssigkeiten, die mit Fäces des v. Udranszky - BAUMANNschen
Patienten geimpft waren, eine stark erhöhte Bildung von Diaminen
aufwiesen und sogar unter solchen Umständen, wo bei Kontroll-
flüssigkeiten keine Diaminbildung stattfand, z. B. bei Luftabschluss
innerhalb der ersten Tage. Ferner war schon durch Brieger be-
kannt, dass in Cholerastühlen reichlich Kadaverin und Putreszin ent-
halten seien, übereinstimmend mit der noch nachher zu erwähnenden
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 1§7
Bildung dieser Körper in den Reinkulturen dieser Mikroben. Aus
frischen Organteilen von Typhusleichen hatte ferner Dixon Manns
(r: J. 88.451) neben Cholin eine neius giftige Base gewonnen, während in
Leichen, bei denen keine spezifische Infektionskrankheit die Todesursache
gewesen war, sich nur das erstere vorfand; ob eine direkte Beziehung
zwischen dieser neuen Base und der Lebensthätigkeit der Typhusbacillen
bestehe, rnusste er freilich unentschieden lassen. Dann war es Hoefa (A.
Ch. 39. 273) gelungen, bei der experimentell erzeugten Kanin chensepti-
kämie aus den Organen der erlegenen Kaninchen ein Toxin von der chemi-
schen Zusammensetzung des Methylguanidins zu isolieren. Griffiths und
Lodek (C. R. 117. 744) fanden im Harn bei Influenza die giftige Base
C9H9N04, die im normalen Harn nicht vorkommt und ihre Existenz
vielleicht der Lebensthätigkeit der Influenzabacillen verdankt; ein
anderes Ptomai'n Hess sich bei Pneumonie im Harn nachweisen. Von
fast allen auf diese Weise gefundenen Ptomai'nen musste es aber durch-
aus zweifelhaft bleiben, ob sie wirklich direkte Stoffwechselprodukte
der Bakterien seien, oder nicht vielmehr indirekt durch rein chemische
Änderungen des Gesamtstoffwechsels in der betr. Infektionskrankheit,
durch Abspaltung aus Gewebsbestandteilen ohne jede Mitwirkung der
Mikroben zustande kommen. Gatjtier hatte ja schon 1872 angenommen,
dass auch im normalen Stoffwechsel der tierische Organismus, gerade
so wie der pflanzliche, Alkaloide, sog. Leukomai'ne erzeuge, wozu er
z. B. die Gruppe der Extraktivstoffe, Xanthin, Kreatinin etc. rechnete.
Die Erforschung der aus dem lebenden Organismus oder frischen Teilen
desselben dargestellten Alkaloide giebt daher keinen sicheren Beitrag
zur Erkenntnis der Produkte der Bakterien, wenn auch einzelne Be-
funde mit grosser Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten mussten, dass
verschiedene Bakterienarten auch verschiedene und spezifische Ptomai'ne
erzeugen.
Die wertvollsten Versuche auf diesem Gebiete sind also die mit
Reinkulturen. Auch hier stammen die ersten Befunde von Brieger
(B. 86. 281) her. Aus Reinkulturen von Staphylokokkus pyogenes
aureus und Streptokokkus pyogenes auf Eleischbrei Hessen sich
nur ungiftige Ptomaine darstellen; der Staphylokokkus produzierte
vorwiegend Ammoniak, der Streptokokkus hauptsächlich Trimethylamin.
Dagegen Hess sich aus Kulturen von Typhusbacillen auf Fleisch-
brei ein wohl charakterisiertes Toxin, das Typhotoxin, von der Zu-
sammensetzung C7H17N02 gewinnen, welches bei Meerschweinchen
Speichelfluss, Diarrhoe, frequente Atmung, Pupillen dilatation und den
Tod hervorrief. Aus Kulturen vom Choleravibrio (B. 87. 303) ex-
trahierte Brieger neben zwei nur in Spuren erhältlichen spezifischen
Toxinen reichlich Kadaver in; letzteres war auch in Kulturen des
lg§ Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
FiNKLEK-PEiOR'schen Vibrios zu konstatieren. Als Stoffwechselprodukt
des Choleravibrio hat Kunz (M. Ch. 1888. 361) ausserdem das Sper-
min nachgewiesen. Aus Kulturen der Tetanusbacillen stellte
Brieger (B. 87. 311 und D. 87. 303) 4 Toxine dar: 1. das sehr
giftige Tetanin, eine ölige Substanz, deren Platindoppelsalz die
Zusammensetzung C13 H32 N2 04 Pt Cl6 besitzt; im Vergiftungsbilde
tritt zuerst eine eigentümliche Starre auf, worauf sehr bald klonische
und tonische Krämpfe mit tötlichem Ausgange folgen; 2. das lang-
samer, aber ähnlich wirkende Tetanotoxin; 3. das ähnlich wirkende
Spasmotoxin; 4. eine unbenannte Base, die neben den tetanischen
Attacken noch eine enorme Steigerung der Speichel- und Thränen-
sekretion bewirkt. Doch sind diese Gifte, wie aus dem weiteren hervor-
gehen wird, noch nicht als die ursprünglichen, vom Tetanusbacillus
gebildeten Giftstoffe anzusehen, wie auch schon daraus hervorgeht, dass
ihre Wirkung auf den Tierkörper sich nicht ganz mit der bei Tetanus-
infektion beobachteten deckt.
Aus Milzbrandkulturen, die früher mehrfach vergeblich auf
Toxine untersucht waren, gelang es Hoffa (Die Natur des Milzbrand-
giftes. 1886), sowie Heim u. Geyger (L. Heim, Lehrbuch d. bakteriol.
Untersuchung und Diagnostik. S. 229 u.f.) solche giftige Substanzen dar-
zustellen. Ferner fand Novy (r: C. 9. Nr. 25) in Kulturen des
Schweineseuchebacillus das giftige „Susotoxin", ebenso v. Schwei-
nitz (r: C. 9. Nr. 24) in Kulturen des Hog-Cholerabacillus neben
Kadaverin und einem primären Amin ein Ptomain, dessen Platindoppel-
salz die Zusammensetzung C{ 4 H3 4 N2 Pt C1B zukam, das jedoch nur
geringe toxische Wirkungen entfaltete.
Aus verflüssigten Gelatinekulturen des Proteus Hauseri stellte neuer-
dings Levy (A. P. 24) durch Fällung mit Alkohol oder Chlorcalcium
ein Gift dar, welches in seiner physiologischen Wirkung dem oben
besprochenen, von Bergmann und Schmiedeberg aus faulender Hefe
isolierten Sepsin gleich und vielleicht mit diesem identisch ist. Levy.
gelang es auch, in faulenden Hefegemischen den Proteus Hauseri nach-
zuweisen. —
3. Ausser den bisher betrachteten alkaloidähnlichen Stoffen wurden
bei den Reinkulturen anderer spezifisch pathogener Bakterien noch
Gifte isoliert, die eine eminente toxische Wirkung entfalten, dabei aber
in ihrem chemischen Verhalten sich den Eiweisskörpern nähern, wes-
halb sie zum Unterschied von den bisher besprochenen Toxinen als
Toxalbumine bezeichnet wurden. Gegen höhere Hitzegrade sind diese
Körper in wässriger Lösung meist sehr unbeständig; schon durch
Temperaturen von etwa 60 ° werden sie in kurzer Frist, durch Kochen
augenblicklich zerstört. Anwesenheit von Neutralsalzen verleiht nach
Gotschxich, Lebensäusserungen der Mikroorganisraen. Jgo,
Buchner (A. 17. 138) eine etwas gesteigerte Resistenz. Weitere ge-
meinsame Charakteristica dieser Substanzen sind, dass sie in Wasser
löslich, aus der Lösung durch Alkohol oder Aussalzen (Zusatz von
Ammoniaksulfat, Calciumchlorid) fällbar sind, durch Porzellanfilter gehen,
sehr langsam oder gar nicht dialysieren und die bekannten chemischen
Eiweissreaktionen geben. Letztere liefern freilich für sich allein, wie
u. A. Behring- (Die Geschichte d. Diphtherie. Leipzig 1893) undDucLAüx
(P. 91. 783; 92. 199, 274 u. 369) betonen, keinen einwandfreien Nach-
weis für die Eiweissnatur dieser Stoffe, da auch viele Spaltungspro-
dukte des Eiweiss jene Reaktionen liefern (vgl. Heim, Lehrb. d. bakt.
Unters, u. Diagnostik. 1894. 219). In vielen Fällen ist das eigentliche
Gift wahrscheinlich überhaupt keine eiweissähnliche Substanz und die
„Eiweissreaktionen" rühren nur von den dem Gift anhängenden Ver-
unreinigungen her. In der That gelang es ganz neuerdings Brieger
und Boer (Z. 21. 267), die Giftstoffe der Tetanus- und der Diph-
theriebacillen durch Fällung der Bouillonkulturen mittelst
Zinkchlorid in Gestalt von Zinkdoppelverbindungen voll-
ständig quantitativ zu gewinnen, die keine Spur von „Eiweiss"
oder seinen Derivaten im landläufigen Sinne des Wortes ent-
halten, da alle Fällungs- und Farbenreaktionen versagen; trotzdem
zeigt die unverminderte toxische Wirksamkeit, dass man den
spezifischen Giftstoff in der That in dieser Zinkdoppelverbindung in
Händen hat. Diese merkwürdigen Doppelverbindungen sind in Wasser
gänzlich unlöslich, in kochsalzhaltigem oder schwach alkalischem
Wasser dagegen löslich; durch Einleiten von C02 wird die Zinkdoppel-
verbindung als solche gefällt. Sprengung der Doppelverbindnng liess
sich bisher nur durch Natriumphosphat bewerkstelligen, wobei die
Toxine als solche, allerdings noch mit anorganischen Beimengungen
behaftet, in Freiheit gesetzt wurden. —
Die Gewinnung der Toxalbumine geschieht im allgemeinen nach folgendem
Gang: Zunächst wird die Kulturflüssigkeit von den Bakterien mittelst Chamber-
land'scher Porzellan- oder, da diese nach Sirotinin (Z. 4. 288) nicht alle ge-
lösten Stoffe durchlassen, besser durch BERCKEFELD-NoRDTMEYER'sche Infusorien -
erdefilter getrennt; dasselbe kann auch zuweilen geschehen durch einfaches Ab-
heben der über dem Kulturbodensatz stehenden klaren Flüssigkeit, oder bei wenig
resistenten sporenfreien Bakterien durch mehrmalige Erhitzung nicht über 50°,
wobei manche Bakterien absterben; bei letzterem Verfahren tritt jedoch schon
sehr leicht eine Schädigung der überaus empfindlichen Toxalbumine ein. Die
keimfreie Giftlösung wird dann im Vakuumdestillierapparat, wie solche von Brieger
(Z. M. 17. Suppl.), Dzierzgowski u. Rekowski (C. 11. 685) und in sehr einfacher
Weise von Petri (A. G. 6. 374) angegeben sind, bei konstanter niedriger Tem-
peratur eingedampft; aus der so koncentrierten Lösung erfolgt dann die Aus-
fällung, wie oben erwähnt, mittelst Alkohols oder Aussalzens; bei letzterer Methode
wird nach Roux und Yersin (P. S9. 284) zweckmässig eine fraktionierte
190 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Fällung vorgenommen, wobei die späteren Niederschläge das Gift in reinerem
Zustande enthalten, und endlich das Gift durch Dialyse von Salzen etc. befreit
und im Exsikkator getrocknet; es erscheint dann meist in Gestalt eines weissen,
leichten, amorphen Pulvers. Ist das Gift durch Alkoholfällung gewonnen, so
erfolgt seine weitere Reinigung durch mehrmaliges Auflösen in Wasser, wieder-
holte Alkoholfällung und Filtration. —
In die Gruppe dieser Körper gehört vor allem das Diphtherie-
gift, welches zuerst von Roux u. Yersin (P. 88. 629 und 89. 273)
dargestellt und von diesen Autoren seinem chemischen Verhalten nach
den Enzymen an die Seite gestellt wurde; später gelang die Dar-
stellung Brieger u. Feänkel (B. 90. Nr. 11), die jedoch nach der
Widerstandsfähigkeit des Giftes beim Eindampfen bei 50°, selbst bei
Gegenwart überschüssiger Salzsäure, die Zugehörigkeit desselben zu
den Enzymen bestreiten und es vielmehr als unmittelbaren Abkömm-
ling der Eiweisskörper und speziell der Serumalbumine auffassen.
Die chemische Analyse ergab nämlich 45,35% C, 7,13% H, 16,33% N,
1,39% S, 29,80% 0. Die Substanz paart sich mit Benzoylchlorid,
nicht aber mit Phenylhydrazin. In abgeschwächten, ungiftigen Kul-
turen der Diphtheriebacillen war dieser wirksame Eiweisskörper nicht
vorhanden; statt dessen fand sich eine un giftige, der vorigen
übrigens sehr ähnliche Verbindung, die auch aus giftigen Kulturen
spurweise neben dem Toxalbumin erhalten worden war. Ihre Ana-
lyse ergab 49,0% C, 7,0% H, 15% N, 2,23% S und 26,97% O.
Sie giebt sämtliche chemische Reaktionen des wirksamen Körpers,
unterscheidet sich aber von ihm durch die dunkelbraune Farbe, die Lös-
lichkeit in verdünntem Alkohol und die Eingehung einer Doppelver-
bindung mit Phenylhydrazin. Dieselben Autoren fanden das Diphtherie-
gift auch im Blute einer frischen Diphtherieleiche. Nach einer etwas
abgeänderten Methode stellte Löefler (D. 90. 109) aus Diphtherie-
kultur auf Fleischbrei das Gift dar. Später wiesen Wassermann u.
Proskaüer (D. 91. Nr. 17) nach, dass in dem bei der Darstellung
des Diphtheriegiftes erzeugten Alkoholniederschlag zwei chemisch ver-
schiedene Körper enthalten seien, die beide die Eiweissreaktionen geben,
von denen aber nur der eine, schon mit 60 — 70 % Alkohol fällbare,
das eigentliche Gift enthält. Die Fällung und Reindarstellung des
Diphtheriegiftes mittelst Zinkchlorid in Gestalt einer absolut eiweiss-
freien Zinkdoppelverbindung ist bereits oben erwähnt. Freund und
Grosz (C. M. 95. Nr. 38) fanden, dass das Diphtheriegift durch Nu-
kleohiston und Nukleinsäure gefällt wird. Histon übt diese Wirkung
nicht aus. Über die charakteristische Wirkung des Diphtheriegiftes,
sowie der anderen Toxalbumine wird an anderer Stelle dieses Werkes
verhandelt. Von seinen sonstigen Eigenschaften ist noch zu erwähnen,
dass es bei Erhitzung auf 58° in 2 Stunden, bei Siedehitze schon in
Gotschuch, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 191
20 Minuten seine Giftigkeit vollständig verliert; als trockenes Pulver,
wie es von Roux und Yersin erhalten wurde, zeigt es bedeutend
grössere Resistenz gegen Hitze, verträgt z. B. Einwirkung von 70 °
ohne Schaden. Das Diphtheriegift wird ferner durch direkte Inso-
lation bei Luftzutritt, sowie durch Säurezusatz geschädigt; im letzteren
Falle kann durch Neutralisieren eine teilweise Restitution des Giftes
erreicht werden.
Andere äusserst giftige, aber in ihrer Wirkung deutlich vorn Diph-
theriegift unterschiedene Toxalbumine stellten Beleges u. Feänkel
(a, a. 0.) aus Bouillon- und Blutserumkulturen von Typhus- und
Cholerabacillen, Tetanusbacillen und Staphylokokkus pyogen,
aur. (aus welchem übrigens bereits Cheistmas [P. 88. 478] einen
wirksamen Eiweisskörper gewonnen hatte), aus den Organen von an
Milzbrand verendeten Tieren, aus dem Harn eines Erysipelkranken
dar. Die aus den Kulturen des Typhus- und Cholerabacillus, sowie
des Staph. pyog. aur. gewonnenen Körper unterscheiden sich von den
anderen durch ihre geringe Löslichkeit in Wasser; sie sind daher eher
den Globulinen, als den Serumalbuminen verwandt, lösen sich aber
auch schwierig in verdünnten NaCl-Lösungen.
Besonders genau gekannt ist durch die Untersuchungen von
Kitasato (Z. 10. 267) das Tetanusgift, Beim Erhitzen auf 65°
ist es in wenigen Minuten, bei 55° erst in 1 1/2 Std. zerstört; beim
Eintrocknen im Exsikkator wird es nicht geschädigt, beim Trocknen im
Brütofen jedoch rasch zerstört; auch in Lösung wird es bei längerem
Verweilen bei 35 — 37° stark geschädigt. Zerstreutes Tageslicht zerstört
das Gift in mehreren Wochen, direktes Sonnenlicht bei Luftzutritt in
15 — 18 Std.; bei Sauerstoffabschluss dagegen bleibt es nach Vaillaed
u. Vincent (S 90. 51) trotz direkter Insolation erhalten. Kalt und
dunkel aufbewahrt, ist es sehr lange haltbar; auch wird es durch
beliebige Verdünnung mit Wasser oder Bouillon nicht geschädigt.
Gegen Säuren, insbesondere Mineralsäuren, und auch gegen Al-
kalien ist es ziemlich empfindlich. Seine toxische Wirksamkeit ist
ganz ausserordentlich. In den Versuchen von Beiegee und Cohn
(Z. 15. 444) genügten 0,000000 3 gr, um eine weisse Maus von 20 gr
binnen 4 Tagen zu töten. Die früher besprochenen, von Beiegee aus
Tetanuskulturen gewonnenen Toxine entfalten eine ungleich geringere
Wirksamkeit und sind daher vielleicht als Spaltungsprodukte des pri-
mären, sehr labilen Toxins infolge der eingreifenden chemischen Be-
handlung anzusehen. Betr. der neuerdings gelungenen Reindarstellung
des Tetanusgiftes mittelst Fällung durch Zinkchlorid vgl. oben S. 189.
Vor allem gehört dann ferner hierher das von R. Koch (D. 91.
Nr. 343) aus Tuberkelbacillen - Kulturen gewonnene Tuberkulin,
192 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
das durch Extraktion von Massenkulturen des Tuberkelbacillus mit-
telst Glycerin dargestellt und mittelst Filtration durch Kieseiguhr,
sowie durch mehrmalige sorgfältige Ausfällung mit 60proz. Alko-
hol gereinigt wird. Die Asche enthält keine Chloride und bestand
fast ganz aus Kalium- und Magnesiumphosphat. Trockensubtanz: Die
Elementaranalyse ergiebt folgende, auf aschefreie Trockensubstanz be-
rechnete mittlere Werte:
47,61 °0 C, 7,26 °/0 H, 14,55 % N, 1,16 °/0 S.
Das Tuberkulin giebt alle Eiweissreaktionen, wird durch Salpeter-
säure, Phosphorwolframsäure, Eisenacetat, Ammoniumsulfat, Gerbsäure,
Chlornatrium und 60proc. Alkohol vollständig ausgefällt; Pikrinsäure
bewirkt einen bei Erwärmung löslichen Niederschlag, der beim Erkal-
ten wieder erscheint. Verdünnte Salzsäure und Schwefelsäure bewir-
ken keinen Niederschlag. In Glycerin ist es leicht und vollständig, in
60proz. Alkohol teilweise löslich; der geringste Kochsalzzusatz genügt
aber, um es aus der letzteren, unvollkommenen Lösung wieder auszu-
fällen. Das Tuberkulin scheint in zwei Modifikationen von gleicher
Wirksamkeit vorzukommen, deren eine in Wasser löslich ist, während
sich die andere darin nicht löst. Die unlösliche Modifikation bildet
sich beim Eindampfen der wässrigen Lösung, sowie auch beim scharfen
Trocknen des Präparats. Wässrige Lösungen sind wenig haltbar
und büssen oft schon nach 1 — 2 Wochen den grössten Theil ihrer
Wirksamkeit ein. Lösungen des gereinigten Tuberkulins in 50%
Glycerin sind dagegen sehr lange haltbar und auch sehr hitzebestän-
dig; selbst nach zweistündigem Kochen im Autoklaven bei 160° bleibt
ihre Wirksamkeit erhalten. Durch diese Beständigkeit erscheint das
Tuberkulin von den Albumosen, denen es sonst sehr nahe steht, ver-
schieden. Die aus dem Tuberkulin von W. Kühne (Z. f. Biol. N. F.
11. 24; 12. 221) isolierten Albumine, Albumosen und Peptone reprä-
sentieren, wie Kühne selbst ausdrücklich betont, keineswegs das spe-
zifisch wirksame Prinzip desselben, sondern stammen aus dem als Nähr-
substrat verwendeten Handelspepton, aus dem sie zum Teil durch eine
der tryptischen Verdauung ähnliche Thätigkeit des Bacillus entstehen.
Über die Wirkungen des Tuberkulins auf den Tierkörper wird an
anderer Stelle dieses Werkes berichtet.
Aus Tuberkulosekulturen sind ferner durch Weyl (D. 91. 256)
das schon früher (vgl. S. 105) kurz besprochene Toxomucin, welches
in Dosen von 0, 000 145 gr bei Mäusen lokale Nekrose bewirkt, sowie
von Crookshank und Herroun (r: J. 91. 669) nicht näher chemisch
charakterisierte, ziemlich wenig wirksame Produkte dargestellt worden.
Aus Bouillonkulturen der Geflügeltuberkulose gewannen
Hericoürt und Richet (S. 91. 103) eine toxische Substanz. Toxal-
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 193
buniine wurden ferner von v. Schweinitz (a. a. 0.) und Novt (a. a. 0.)
aus Hog-Cholerakulturen neben den oben besprochenen basischen Pro-
dukten isoliert.
Aus Kulturen des Bac. lact. aerogen. Escherich stellten Dents und
Beion (r: C. 16. 126) eine toxische, durch Alkohol und Aussalzen fäll-
bare, aber gegen Erhitzung sehr widerstandsfähige Substanz dar.
Beim Rotzbacillus ist es bisher noch nicht gelungen, ein chemisch
wohl charakterisiertes Toxalbumin zu gewinnen; die aus Kulturen des-
selben durch Extraktion gewonnenen „Malieine" sind nicht als chemische
Individuen anzusehen.
Aus Kulturen des Choleravibrio isolierte Petei (A. Gr. 6. 374)
eine giftige, in ihren Reaktionen den Peptonen sehr ähnliche Substanz,
die er Toxopepton nannte; sie erträgt Erhitzen auf 100° im strömen-
den Dampf. Ahnliche, aber gegen Erhitzung unbeständige Giftstoffe
sind Scholl's (r: J. 90. 382) Cholera-Toxoglobulin und Cholera-
Toxopepton, Hueppe's (D. 91. Nr. 53) Cholerapepton etc., die
diese Autoren durch anaerobe Züchtung der Choleravibrionen in Hühner-
eiern erhielten und als Spaltprodukt des Ei weisses unter dem Einfluss
der Lebensthätigkeit des Choleravibrio auffassen; auch in aeroben Kul-
turen bilden sich diese Giftstoffe in geringer Menge, werden aber rasch
oxydiert und weiter zerlegt.
Neuerdings hat Peeifeee (Z. 11) in den Leibern der Cholera-
vibrionen selbst Giftstoffe von hoher Wirksamkeit und ausserordent-
licher Labilität gegenüber äusseren Einwirkungen nachgewiesen; nur
durch Abtöten der Kultur mit Chloroform oder vorsichtiges Trocknen
derselben bei 37 ° lassen sie sich fixieren; eingreifendere Reägentien,
wie Alkohol, koncentrierte Salzlösungen, Erhitzung, zerlegen diese
„primären Toxine" in die ungleich beständigeren „sekundären Toxine",
die aber eine 10 — 20 fach geringere Wirksamkeit entfalten. Die pri-
mären Toxine sind unmittelbar an die Leibessubstanz der Bakterien
gebunden; in filtrierten Kulturen fehlen sie. Ahnliche, aber in ihrer
Tierwirkung vom spezifischen Choleratoxin scharf unterschiedene Gift-
stoffe sind auch in mehreren choleraähnlichen Vibrionen nachgewiesen.
Im Gegensatz zu diesen Angaben Pfeiefee's haben in neuester
Zeit Behring und Ransom (D. 95. 18. Juli) aus Cholerakulturen ein
lösliches giftiges Produkt erhalten, welches sie für den spezifischen
Giftstoff ansehen. —
Toxalbumine von starker Giftwirkung wurden ferner auch bei ge-
wöhnlichen Fäulnisprozessen durch Bakterien gemi sehe von Scholl
(A. 15. 210), sowie von Nielsen (r: Z. 92. 368) in den ersten Tagen
der Fäulnis erhalten; am 15. Tage vermisste letzterer Forscher bereits
die Giftstoffe.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 13
194 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Endlich ist hier noch das von Centanni (Ri. 93. 256) aus einer
grossen Zahl verschiedener, teils pathogener, teils saprophytischer
Bakterienkulturen gewonnene „Pyrotoxin" zu erwähnen, welches im
Tierversuche fiebererregende Wirkungen zeigt. Das Pyrotoxin ist kein
Ei weisskörper im jetzigen Sinne des Wortes. Es zeigt eine ausser-
ordentliche Beständigkeit gegen Erhitzung, wie schon daraus hervor-
geht, dass die bei der Darstellung angewandte 3 Stunden dauernde
Einwirkung der Siedehitze den Körper nicht zerstört. Vielleicht ist
das Pyrotoxin aber überhaupt kein in der Kultur präformiertes, un-
mittelbares Stoffwechselprodukt der Bakterien, sondern ein erst durch
die eingreifende chemische Präparation artificiell erzeugtes Abbaupro-
dukt ursprünglich vorhandener, komplicierterer und labilerer Körper;
diese letzteren können auch sehr w^ohl bei verschiedenen Bakterien-
arten verschieden und für jede Art spezifisch gewesen sein und nur
bei Zersetzung ein gemeinsames., einfacheres und darum resistenteres
Restprodukt liefern.
Die Entstehung der Ptomai'ne, Toxine und Toxalbumine durch die
Lebensthätigkeit der Mikroorganismen kann offenbar in zweifacher
Weise gedacht werden: entweder sind dieselben Abbauprodukte der
Eiweisssubstanzen, welche die Bakterien bei der Spaltung ihrer Nähr-
stoffe übrig gelassen haben, oder es handelt sich um integrierende Be-
standteile des Zellleibes selbst resp. um deren nächste Derivate. Die
Frage hat deshalb ein sehr grosses Interesse, weil im ersten Falle die
Bildung jener Gifte offenbar ganz vom Nährsubstrat und den Ver-
suchsbedingungen abhängen wird, während sie im letzten Falle von
dem Leben und Wachstum des Erregers unzertrennlich und, in dem-
selben Umfang wie dieses, von äusseren Umständen unabhängig sein
muss. Als eine Modifikation der ersten Vorstellungsweise ist noch die
Annahme von Sidney Martin (B. M. 1892) anzuführen, nach welcher
das im tierischen oder menschlichen Organismus gebildete Diphtherie-
gift mittelbar durch die Wirkung eines vom Bacillus ausgeschiedenen
Enzyms auf das Körpereiweiss entstehen soll. Ob diese oder jene der
beiden möglichen Annahmen zutrifft, lässt sich durch Züchtung auf
verschiedenen Nährmedien, insbesondere auch auf eiweissfreiem Sub-
strat entscheiden. Versuche derart sind noch nicht in allgemeinem
Massstab durchgeführt; doch soweit das vorliegende Material Schlüsse
zulässt, wird man zunächst den erstangeführten Entstehungsmodus für
die BRiEGEE'schen Ptoma'me annehmen müssen. Die Bildung derselben
hängt in weitem Umfange von dem Nährsubstrat ab ; Fleischbreikulturen
z.B. geben eine besonders reiche Ausbeute; bei Sauerstoffabschluss bilden
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. ^95
sie sich in viel reichlicherer Menge, als bei Luftzutritt, wo sie rasch durch
Oxydation zerfallen; das Ternperaturoptimum für ihre Entstehung ist
nach KiJANiziN (Viertel, f. ger. Med. u. öff. San. 3. Folge. III. 1) etwa
bei 20°. Dieselbe Art der Entstehung ist ebenso für manche Toxal-
bumine anzunehmen; insbesondere sind die von Hueppe, Scholl u. A.
aus anaeroben Cholera-Eikulturen gewonnenen Eiweisskörper als Spalt-
produkte des Nährsubstrats anzusehen, die nur unter den gegebenen,
eng begrenzten Versuchsbedingungen zustande kommen. Solche Körper
werden daher, wie dies aue-h von einigen BpiEGEB'schen Ptoma'inen
direkt nachgewiesen ist, unter gleichen Züchtungsbedingungen von
vielen verschiedenen Mikroorganismen gebildet werden und demnach
keine spezifische Bedeutung besitzen. Von einer Reihe von Toxal-
buminen hingegen und speziell von den wichtigsten, dem Diphtheriegift,
dem Tuberkulin etc. ist mit Bestimmtheit anzunehmen, dass sie Be-
standteile des Bakterienleibes oder unmittelbare Derivate
solcher darstellen, dass sie also nicht aus dem Nährsubstrat als ein-
fachere Produkte abgespalten, sondern vielmehr synthetisch auf-
gebaut sind. Daher kann ihre Bildung auch in eiweissfreien
Lösungen zustande kommen, wie dies Guinochet (A. E. 92)
für das Diphtheriegift, W. Kühne (Z. f. Biol. N.F. 12. 221), Peoskauer
und Beck (Z. 18. 152) für das Tuberkulin, C. Fränkel (R. 94. 769) für
das Tuberkulin und Malle'in, Wesbrook (P. 94. 333) für ein aus Cholera-
kulturen dargestelltes Toxalbumin nachwiesen. Diese Körper geben uns
also Aufschluss über die charakteristischen chemischen Fähigkeiten und
die chemische Beschaffenheit der Leibessubstanz einer Bakterienart; sie
werden daher nur von dieser, mit Ausschluss aller anderen Aften ge-
bildet und sind demnach etwas für ihre Art absolut Spezifisches.
Freilich mögen unsere relativ rohen chemischen Reagentien gegenüber
der Unterscheidung so nahe verwandter Giftstoffe verschiedenerBakterien-
arten manchmal versagen; dann tritt als feinstes chemisches Reagens
das lebende Plasma, das Studium der spezifischen Tierwirkung dieser
Stoffe, in sein Recht.
G. Die isolierbaren Fermente.
Unter Fermenten oder Enzymen versteht man kompliziert zu-
sammengesetzte organische, leicht veränderliche Stoffe, welche inner-
halb bestimmter Temperaturgrenzen relativ sehr grosse Mengen anderer
Stoffe derart umzuwandeln vermögen, dass Körper von zusammen ge-
ringerer Verbrennungswärme -entstehen, als den vorher vorhandenen
Stoffen zukam.
Solche Fermente spielen bei physiologischen Prozessen, nament-
13*
196 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
lieh bei der Ernährung der Organismen, eine bedeutende Rolle. Sie
haben hier, allgemein ausgedrückt, die Aufgabe, Stoffe, die als solche
nicht fähig sind, in den Organismus einzutreten oder in ihm verwertet
zu werden, so umzuwandeln, class sie löslich, diffusibel und als Nähr-
stoffe verwendbar werden. So wird z. B. Eiweiss in Peptone, Stärke
und Cellulose in Zucker verwandelt; Fette werden gespalten; der als
solcher im Protoplasma nicht zerlegbare Rohrzucker wird in die leicht
zersetzbare d-Glukose und d- Fruktose gespalten. Freilich können alle
diese Umwandlungen auch durch einfache chemische Manipulationen
bewirkt werden; so kann Eiweiss durch gespannten Wasserdampf pep-
tonisiert, Rohrzucker durch Kochen mit Säuren invertiert werden; aber
diese Mittel sind zu eingreifend, um mit dem Bestände des Organismus
selbst vereinbar zu sein, und erfordern auch einen weit grösseren Stoff-
und Kraftaufwand, um zu demselben Ziele zu gelangen. Die Organismen
bedürfen daher zu ihren Leistungen sämtlich notwendig der Fermente,
die höchst organisierten Tiere ebenso wie die niedersten einzelligen
Lebewesen; bei ersteren liegt die Fermentproduktion besonderen drüsigen
Organen ob, aber auch bei den Mikroorganismen, bei denen wir keine
Organe mehr zu unterscheiden vermögen, sind doch Fermente ein weit
verbreitetes und zur Ernährung unumgänglich notwendiges Stoff-
wechselprodukt.
Die höchst auffallende, allen Fermentwirkungen gemeinsame Er-
scheinung, dass eine minimale Menge des Ferments genügt, um eine
grosse, scheinbar unbegrenzte Menge Substanz umzuwandeln, und zwar
ohne dass das Ferment selbst irgend welche Veränderungen erkennen
lässt, Hess diese merkwürdigen Prozesse mit den unmittelbaren Lebens-
wirkungen niederster Organismen, wie sie bei Gährung und Fäulnis statt-
finden, in eine Klasse setzen. Lebende Gährungserreger und Enzyme
wurden häufig genug mit dem gemeinsamen Namen „Fermente" belegt.
Die Unterscheidung warum so schwieriger, als die Gährungserreger häufig
neben ihrer unmittelbaren Gährthätigkeit gleichzeitig Ferment produ-
zieren und als kompliziertere Gährungsvorgänge häufig durch Ferment-
wirkung eingeleitet und erst ermöglicht werden. Eine strenge Scheidung
beider Begriffe ist erst nach eingehendem Studium der Bedingungen
und des Charakters beider Klassen von Vorgängen zustande gekommen.
Die Begründung dieser Scheidung, welche eine ganz getrennte Be-
handlung der Ferment- und der Gährungserscheinungen erfordert,
liegt darin, dass die Fermente von den sie erzeugenden Lebe-
wesen vollständig abgetrennt werden können und dann im
isolierten Zustand dieselbe Wirkung ungestört selbständig
weiter entfalten, die ihnen vorher in Verbindung mit der leben-
den Zelle eigen war, während die Gährthätigkeit von dem Be-
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 197
stände des Lebens der Gährungserreger unzertrennlich ist
und, soweit bisher bekannt, durch kein chemisch isoliertes Produkt der-
selben hervorgebracht werden kann.
Weitere Unterschiede beider Klassen von Vorgängen werden sich
aus der speziellen Betrachtung der Fermentwirkungen ergeben.
Unter den isolierbaren Fermenten lassen sich mehrere Haupt-
gruppen unterscheiden, innerhalb deren wiederum Unterabteilungen zu
machen sind.
I. Fermente, welcheKohlehydrate und derenDerivate spalten.
a) Fermente, welche den Abbau der Stärke und verwandter Körper
bewirken.
Für diese Gruppe, die sog. diastatischen Fermente schlägt
Beij^binck (C. C. 1. 221) neuerdings nach dem Vorgange französischer
Forscher die Bezeichnung „Amylasen" vor. Allen diesen Fermenten
gemeinsam ist die Fähigkeit, Stärke in Zuckerarten (d-Glukose, Mal-
tose etc.) zu verwandeln.
Sie finden sieb sehr häufig in Tieren und Pflanzen vor. Von tierischen
Fermenten sind hier zu nennen das Ptyalin des Speichels, das diastatische
Ferment des Pankreassaftes , das diastatische Ferment in der Leber, welches
auf Glykogen einwirkt, analog wirkende Fermente im Harn (Selmi, Atti del
Lincei V; Bechamp und Baetus, C. R. 92) und im Blut (Bial, Röhmann).
In Pflanzen sind diastatische Fermente sehr verbreitet, in besonders grosser Menge
im keimenden Samen von Gerste, Weizen, Hafer, Buchweizen, Mais etc. in dem
stärkehaltigen Reservestoffbehälter; ob die bedeutende Umsetzung der "Stärke in
den Blättern höherer Pflanzen ebenfalls unter der Mitwirkung eines solchen Fer-
ments zustande kommt, muss nach Versuchen vohWortmam (B.Z. 90. 581) zweifel-
haft erscheinen, da es ihm nicht gelang, in dem wässrigen Auszug der Blätter
Diastase nachzuweisen; freilich hat hiergegen Jentys (r: K. 93. 279) eingewendet,
dass doch Diastase in den Blättern vorhanden gewesen sein könne und dass viel-
leicht nur ihre Löslichkeit in Wasser durch beigemengte Gerbstoffe etc. verhindert
worden ist. Auch in den Mikroorganismen sind diastatische Fermente häufig vor-
zufinden. So wies Marcano (C. R. 95) ein solches in Bakterien nach, welche
häufig in der äusseren Hülle der Maiskörner vorkommen; ferner konstatierte
Htjeppe (M. G. Bd. II) eine diastatische Wirkung der Milchsäurebacillen, Miller
(D. S5. 49) eine solche bei einer aus menschlichem Darminhalt gezüchteten Bak-
terienart, Wortmann (Z. physiol. Ch. VII. 287) für Gemische von Fäulnisbak-
terien; nach Bitter (A. 5) übt auch der Choleravibrio, nach Vignal (r: D. 89)
der Kartoffelbacillus diastatische Wirkung aus. Bei allen diesen Untersuchungen
und auch noch bei den neueren Mitteilungen von Cavazzani (C. 13. 587) über
diastatische Wirkung eines neuen, aus Stärkekleister gezüchteten Bacillus, so-
wie von Heyder und Carraroli (ref. bei Cavazzani) über analoge Wirkung
des Bac. maydis, von Maumus (C. R. soc. biol. 1893. 107) über Umwandlung
von Kartoffelstärke in Zucker durch den Milzbrandbacillus , ist aber nicht
198 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
immer mit Sicherheit eine Mitwirkung des Lebensprozesses der Erreger aus-
geschlossen. Nur dann kann eine reine Ferment Wirkung sicher behauptet
werden, wenn es gelingt, das Ferment isoliert von den lebenden Bakterien
darzustellen und seine Wirksamkeit zu erweisen. Zwar hatten schon Marcano
und Wortmann in dieser Beziehung einen Schritt gethan; ersterer fand, dass
auch die mittelst Filtration durch Porzellan oder Chloroformzusatz von den leben-
den Bakterien befreite Kulturflüssigkeit noch diastatische Wirkung zeigte; Wort-
mann war es sogar schon gelungen, durch Extraktion seines Bakteriengemenges
und Fällung mit Alkobol ein isoliertes wirksames Ferment zu gewinnen; doch
war die Mirwirkung lebender Keime nicht als absolut ausgeschlossen zu er-
achten, und verliert auch das Resultat an Beweiskraft, weil nicht mit Rein-
kulturen, sondern mit einem unkontrollierbaren Bakteriengemenge gearbeitet
wurde. Neuerdings gelang es jedoch Fermi (A. 10. 1 und C. 12. 713) für eine
grosse Zahl von Mikroorganismen mit Sicherheit eine echte diastatische Fer-
mentwirkung nachzuweisen und die wirksamen Fermente bei einigen Arten,
welche ein besonders intensives diastatisches Vermögen zeigten, wie Milzbrand-
bacillus, Vibrio cholerae asiat. , Vibrio Finkler-Prior, Spirillum tyrogenum,
B. megaterium, Heubacillus etc. durch Füllung mit Alkohol zu isolieren. Keine
diastatische Wirkung zeigten Staphylokokk. pyogen, citr., Mikrokokkus ascoform.,
B. prodigiosus, B. pyocyan. und der Soorpilz.
Über die Natur der durch diese bakteriellen Diastasen erzeugten Zucker ist
nichts mitgeteilt, so dass sich hiernach der speziellere chemische Charakter der
Fermente nicht bestimmen lässt; übrigens scheinen nach dem verschiedenen Ver-
halten zu den Versuchsbedingungen, z. B. zur Temperatur, sowie nach der Ver-
schiedenheit der quantitativen Leistung die von differenten Arten producierten
Fermente chemisch verschiedene Körper darzustellen.
Betreffs der Bedingungen für die Bildung vonDiastase durch
Bakterien hatte Wortmann (a. a. 0.) festgestellt, dass dieselbe nur
bei Gegenwart freien Sauerstoffs und nur dann stattfinde, wenn den
Bakterien keine andere C-Quelle ausser der Stärke zur Verfügung steht;
in eiweisshaltigen Nährlösungen wird kein diastatisches, sondern ein
peptonisierendes Ferment gebildet. Da jedoch Wortmann, wie er-
wähnt, nur mit unkontrollierbaren Bakteriengemischen arbeitete, so ist
es sehr wohl möglich, dass auf den verschiedenen Nährsubstraten ganz
differente Arten zur Entwicklung gelangt waren. Fermi fand in seinen
mit Reinkulturen angestellten Versuchen, dass auch auf stärkefreiem
Substrat Bildung des diastatischen Ferments stattfinde; dagegen ver-
misste er dasselbe bei Züchtung auf eiweissfreiem Substrat, also unter
ungünstigeren Ernährungsbedingungen. —
Von den Bedingungen der fermentativen Wirksamkeit der
Diastase ist vor allem die Temperatur einfiussreich; das Optimum
liegt bei etwa 63°; die Wirkung beginnt schon bei +5° und er-
lischt zwischen 65 und 75 °. Glycerinbeimengung lässt die schäd-
liche Temperatur höher rücken, Alkoholzusatz wirkt in umgekehr-
tem Sinne. Geringe Acidität ist für die meisten diastatischen Fermente
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 199
günstig; Ptyalin und Pankreasferment wirken dagegen nur in alka-
lischer Lösung.
Die chemische Wirkung der diastatischen Fermente auf
die Stärke ist keine einheitliche; es existieren mehrere Gruppen
solcher Körper, die sich durch die verschiedene Natur der bei ihrer
Einwirkung auf die Stärke entstehenden Zwischen- und Endprodukte
unterscheiden und die in den gebräuchlichen Diastasepräparaten häufig
vereinigt vorkommen. Die ersten positiven Angaben über das Vor-
kommen zweier Enzyme im Gerstenmalz rühren von Dubruneaut
und Cuisinier (cit. nach BeiJERiNCK [C. C. 1. 229] her; die Trennung
derselben gelang mittelst ihrer ungleichen Diffusionsgeschwin-
digkeit in Gelatine zuerst Wijsman (r: K. 90. 155), welcher sie
nach Cuisinier' s Vorgang als Maltas e und Dextrinase benannte.
Diese „Zweienzymtheorie" stützt sich auf die Thatsache, dass bei
Einwirkung von Gerstenmalzdiastase auf Stärke bei Temperaturen
bis zu 60 ° viel mehr Maltose als Dextrine entsteht, während bei
höherer Temperatur die Dextrine überwiegen; ferner unterscheiden
sich die unter- und oberhalb 60° gebildeten Dextrine dadurch, dass
letztere durch neu hinzugefügtes Malzextrakt in Zucker übergeführt
werden können, während dies bei den unter 60° gebildeten nicht ge-
lingt. Hiernach muss nach Wusmaist angenommen werden, dass in
der Stärke zwei Fermente existieren: eines, die Maltase, welche schon
bei 55° zerstört wird, verwandelt Stärke in Maltose und Erythro-
granulose (identisch mit Erythrodextrin); das andere, welches gegen
diese Temperatur noch resistent ist, die Dextrinase, verwandelt
Stärke in Isomaltose, welche ihrerseits weiter durch Maltase in
Maltose umgewandelt werden kann. Nach Beijerinck (a. a. 0.) be-
darf diese Anschauung noch insofern einer Korrektur, als die Dextri-
nase wahrscheinlich nicht im Gerstenmalz präformiert vor-
kommt, sondern aus einer „Granulase", d. h. nach Beijerinck's
Definition einem Enzym, das bei seiner Einwirkung auf Stärke Maltose
und Achroodextrine erzeugt, durch die Erhitzung als Kunstprodukt ge-
bildet wird; hierbei soll die Granulase das Vermögen der Maltose-
produktion verlieren, während ihre Fähigkeit, Dextrin zu erzeugen, er-
halten bleibe, und hierdurch zu Wijsman's Dextrinase werden. Andere
Granulasearten, wie z. B. die im Mais- und Buchweizenmalz enthaltenen,
zeigen eine solche Veränderung bei Erhitzung nicht, woraus eine
chemische Verschiedenheit der Granulasen verschiedener Herkunft er-
sichtlich ist.
Unter den weitverbreiteten Granulasen lassen sich dann nach
Beijerinck: wiederum mehrere Arten unterscheiden; davon sei hier
nur erwähnt die Trennung in „Alkaligranulasen", wozu Ptyalin
200
Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
und Pankreasferment gehören, und „Säuregranu lasen", zu denen
z. B. auch das diastatische Ferment der anaeroben Granulobakterarten,
der Erreger der Buttersäuregährung, zu rechnen ist.
Neben diesen beiden Hauptgrnppen der Maltasen und Granulasen
ist als dritte gleichwertige die der Glukasen anzuführen. Die Glukase
wurde 1SS5 von Cuisinier im Maismalz entdeckt und von Geduld
(r.: Koch's Jahresber. 1891. 250) rein dargestellt. Sie liefert als End-
produkt d -Glukose durch Spaltung der Maltose, vermag aber auch
höhere Stärkederivate, z. B. Isomaltose und Stärke selbst zu spalten.
Hierbei werden aber Zwischenprodukte (Maltose bezw. Isomaltose) nur
vorübergehend gebildet; die Spaltung geht stets vollständig bis sur
d-Glukose als Endprodukt. Die Glukase ist in Wasser schwer löslich;
ihr Vorkommen kann daher leicht übersehen werden. Thatsächlich
sind Glukasen nach Belterinck (a. a, 0.), Röhmann (B. Ch. 27.
3251), Bial (Pf. 52. 137) im pflanzlichen und tierischen Orga-
nismus, wenn auch nur in geringen Mengen, doch sehr weit verbreitet.
Auch in Mikroorganismen sind dieselben mehrfach nachgewiesen, so
von Bourquelot (cit. nach E. Fischer, B. Ch. 28. 1430) im Asper-
gillus niger und neuerdings von Lintner (cit. ebd. 1433), Belterinck,
E. Fischer (a. a. O.) in der Hefe. Manche dieser Fermente zeigen
deutliche Unterschiede von derGEDULD'schenMaisglukase; Beijerinck's
„Zymoglukase" z. B. ist gegen Erhitzung empfindlicher, Lintner u.
Kröber's Hefeglukase vermag nur Maltose, nicht auch Dextrin zu
spalten. Eine Verwirrung der ohnedies schwierigen Nomenklatur
auf diesem Gebiete droht dadurch, dass Botjrquelot und E. Fischer
für die im Aspergillus bezw. in der Hefe enthaltene Glukase den
Namen „Maltase" vorschlagen, der bekanntlich längst für andere Fer-
mente vergeben ist. Wir halten uns im Folgenden an die unzweideutige
Bezeichnungsweise Beijerinck's. Nach diesem Autor lassen sich die
chemischen Leistungen der drei Hauptgruppen der Amylasen folgen-
dermassen tabellarisch veranschaulichen, wobei -j- die endgiltige, -|-v die
vorübergehende Erzeugung", — das Fehlen des betr. Produkts be-
deuten:
Amylase-
Umwandlungsprodukt aus Stärkegranulose
Gattungen
Erythrodextrin
Isomaltose Maltose d-Glukose
Glukase
Maltase
Granulase
+
+
+
+
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen.
201
Amylase-
Umwandlungsproclukte mit Erythrodextrin
Gattungen
Isomaltose
Maltose d-Glukose
Glukase
Maltase
Granulase
+
+
+
Amylase-
Umwandlungsprodukte aus Isomaltose
Umwandlungsp rodukt
Gattungen
Maltose
d-Glukose
aus Maltose
Glukase
Maltase
Granulase
-j-V
+
+
+
+
Ausser den genannten entsteht noch ein als Leukodextrin be-
zeichnetes, wegen ungleichmässiger Diffusionsgeschwindigkeit offenbar
als Gemenge anzusehendes Zwischenprodukt, welches schliesslich auch
in Maltose übergehen kann. Diese Auffassung zeigt eine ziemlich gute
Übereinstimmung mit den Resultaten, welche bei der Beobachtung
des Stärkeabbaus durch natürliche Diastasen, die stets ein Gemenge
der BEUEKiNCKschen Typen darstellen, gewonnen wurden. Insbesondere
scheint durch Untersuchungen von Lintner (r: K. 92. 254) und Schie-
ferer (Über die nicht krystallisierten Produkte der Einwirkung der
Diastase auf Stärke. Diss. Basel) sichergestellt zu sein, dass die
früher als Zwischenprodukte angesprochenen „Maltodextrine" (vgl.
z. B. Brown u. Morris, r: K. 90. 68) nur als Gemische von Achroo-
dextrin und Isomaltose aufzufassen sind, sowie dass das letzte vor
der Maltose auftretende Zwischenprodukt Isomaltose ist. Lintner
(B. Ch. 26. 2533) nimmt an, dass die Stärke zunächst in eine Anzahl
hoch komplizierter Komponenten zerfalle, und formuliert von dem
relativ einfachsten derselben, dem Amylodextrin (Cl2H20O10)54 an
den Prozess folgendermassen:
(C12H20O10)54 + 3 H20 =3 [(C12H20O10)l7 CiaHM0„] (Erythrodextrin).
3 [(C12H20OI0)17 C12H22Cn] + 6 H20 = 9 [(C12H20OI0)5 C12H22Ou] (Achroodextrin).
9 [(C12H20O10)5- C12H22On]+45H20 = 54 C12H22Ou (Isamaltose).
54 ^oHsaOj ! (Maltose).
Das Erythrodextrin wird übrigens von einigen Autoren, so von
202 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Schieferer (a. a. 0.) u. Rühmann (B. Ch. 25. 3654) für ein Gemenge
gehalten.
Vor der chemischen Spaltung wird die verkleisterte Stärke einem
Verflüssigungsprozess unterzogen; diese Arbeit wird nach Beijerinck
durch die Granulase geleistet. Hierbei kommen Korrosionen der Stärke-
körner zustande, und zwar nach Keabbe (r. K. 90. 149) nur durch
Einwirkung der Diastase von aussen, also durch gleichmässigen
Schwund oder durch kraterähnliche Korrosionen oder tiefe Poren-
kanäle; eine Verflüssigung der Stärke von innen heraus, die ein Ein-
dringen der Diastase in die intermicellaren Räume der Stärke vor-
aussetzen würde, soll nicht stattfinden, was allerdings von anderer
Seite bestritten wird. Die Korrosionsfiguren können je nach der Natur
der Diastase verschieden sein; so zeigt Kartoffelstärke nach Krabbe
(a. a. 0.) unter der diastatischen Wirkung von Fäulnisbacillen eine
andere Einschmelzung, wie in Malzdiastaselösungen.
Von analoger Wirkung, wie die besprochenen diastatischen Fermente,
ist die von Bourquelot (C. R. 116. 826 u. 1143; CR. soc. biol. 1893.
653) in Aspergillus niger und Penicillium glaucum aufgefundene
In u läse, welche Inulin fast vollständig in Lävulose verwandelt.
b) Invertierende Fermente.
Verwandeln Disaccharide (Rohrzucker, Maltose) in einfache Hexosen
(d-Glukose, d-Fruktose). Ambekanntesten ist daslnvertin, auchlnver-
tase genannt, welches Saccharose in d-Glukose und d-Fruktose spaltet.
Im tierischen Verdauungstraktus verbreitet, in höheren Pflanzen noch nicht
nachgewiesen. Dagegen ist ein solches Ferment in Penicillium- und Aspergillus-
arten von Gayon (Bull. soc. chim. 35. 58) nachgewiesen; Bourquelot (C. R. 97)
gelang es, aus dem Aspergillus niger ein invertierendes Ferment zu extrahieren.
Ferner wird dasselbe regelmässig und in reichlicher Menge von der gewöhnlichen
Hefe geliefert, welche nur vermöge dieses Ferments zur Vergährung des Rohr-
zuckers befähigt ist. Doch produzieren nicht alle Hefearten Invertin; so fand
Roux (Bull. soc. chim. 35) eine kleine runde Hefe, welche in Traubenzuckerlösungen
intensive Gährung veranlasste, auf Rohr- und Milchzucker aber gar keine Wir-
kung ausübte. Auch Hansen (C. R. laborat. Carlsberg. IL 144) fand bei mehreren,
keine Endosporen bildenden Saccharoniyceten und Saccharornyces membra-
naefaciens keine Invertinbildung, konnte sie aber bei der Mehrzahl der echten
Saccharomyeeten nachweisen. Beijerinck (C. 4) konnte beim Saccharornyces
Kefir und Sacch. Tyrocola invertierende Wirkung nachweisen; Kellner, Mori
und Nagaoka (Z. physiol. Ch. 14. 297) schrieben dem Eurotium oryzae inver-
tierende Wirkung zu; Kulturen desselben auf Reisbrei werden unter dem Namen
Koji in Japan zur Herstellung alkoholischer Getränke verwandt. In Mukorarten
konnte weder Gayon (a. a. 0.), noch Hansen (a. a. 0.) Invertin nachweisen. Über
das Vorkommen des Invertins in Bakterien ist Folgendes bekannt: Gayon schrieb
dem Bac. anthracis invertierende Wirkung zu, was aber durch die sogleich zu
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 203
erwähnende Untersuchungen von Feemi und Montesano (C. C. 1. 482 u. 542)
widerlegt wurde; Htjeppe (a. a. 0.) nahm für die Milchsäurebacillen invertie-
rende Wirkung an, was aber weder Bourqtjelot (a. a. 0.) noch Fermi und
Montesano bestätigen konnten; freilich bleibt hierbei die Möglichkeit, dass diesen
Autoren verschiedene Arten vorgelegen haben; Sclavo (cit. nach Fermi-Montesano)
fand beim Choleravibrio und beim Vibrio Metschnikoff eine inkonstante inver-
tierende Wirkung. Besonders eingehend ist die Frage neuerdings von Fermi u.
Montesano untersucht. Sie fanden unter etwa 70 Mikrobenarten in gewöhnlichen,
mit Rohrzucker versetzten Bouillonkulturen nur bei Bac. Megaterium, Bac. des
Kieler Hafens, Bac. fiuoresc. liquefac, Proteus vulgaris, weisser und rosa Hefe
Inversionsvermögen, inkonstant ausserdem beim Choleravibrio und Vibrio Metsch-
nikoff.
Bei veränderter Reaktion der Nährflüssigkeit verlieren einige der
genannten Mikroben ihre Invertinproduktion. An die Gegenwart von
Rohrzucker ist dieselbe nicht gebunden, wie schon Feenbach (P. 90.
1. u. 641) für den Aspergillus niger nachgewiesen hatte, der in
RAULiN'scher Flüssigkeit stets Invertin bildete. Einen guten Ersatz
des Rohrzuckers bildete für die meisten invertierenden Spaltpilze
das Glycerin, während in einfacher oder traubenzuckerhaltiger Bouillon
keine oder eine nur sehr unbeständige Wirkung stattfand. Auch auf
eiweissfreien Substraten erfolgt nach Feenbach, sowie nach Feemi
und Montesano bei den meisten überhaupt zur Invertinproduktion be-
fähigten Hypho-, Blasto- und Schizomyceten ungestörte Fermentbildung
statt. Die Quantität des Invertins, zu deren Messung Feenbach eine
etwas komplizierte Methode angegeben hat, ist bei differenten Arten von
Mikroben sehr verschieden. Ebenso zeigt der zeitliche Verlauf
der Invertinproduktion grosse Verschiedenheiten; während z, B.
Proteus in Glycerinbouillon schon nach 24 Stunden invertierende Wirkung
zeigt, tritt diese bei manchen Hefen erst nach 8 — 9 Tagen ein; bei
einer und derselben Art ergeben sich wieder je nach der Natur des
Nährbodens Verschiedenheiten. Besonderes Interesse verdienen Feen-
bach's Resultate über das Verhältnis der im Zellleib des Aspergillus
enthaltenen und der an dieKulturflüssigkeit abgegebenenlnver-
tinmengen in verschiedenen Stadien der Kultur; merkwürdiger-
weise findet sich die gesamte Menge des Invertins schon nach
24 Stunden in den Zellen fertig gebildet vor, aus denen sie
successive, und zwar zuerst sehr langsam an die Kulturfiüssigkeit ab-
gegeben wird; erst bei nahezu vollständigem Verbrauch des Zuckers
steigt die Invertinabgabe beträchtlich, was mit Rücksicht auf gleich-
zeitige degenerative Erscheinungen am Mycel auf Inanition zurück-
geführt werden muss. Wird dem Mycel frische Zuckerlösung geboten,
so erfolgt sofort Sistierung der Invertinabgabe. Letztere erfolgt ferner
sehr reichlich bei ungenügendem Sauerstoffzutritt. Ahnliche Resultate
204 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
erhielt Feenbach auch für die Invertinab gäbe derHefezellen. O.Suleivan
(r: K. 92. 256) findet sogar, dass jede Abgabe von Invertin aus der
Hefezelle in das Medium auf Degenerationserscheinungen der Hefe
zurückzuführen sei; gesunde Hefe giebt an Wasser kein Invertin ab,
dagegen wie bereits früher erwähnt, reichliche Mengen stickstoffhaltiger
Substanzen.
Hiernach müsste bei der Einwirkung lebender Hefe auf Rohrzucker
der Ort der invertierenden Wirkung als innerhalb des Zellleibes an-
genommen werden.
Invertin ist auch aus der Hefe isoliert dargestellt mittelst Extraktion
und nachträglicher Fällung mit Äther. Die Analyse ergiebt 40,5 % C,
6,9 °/o H, 9,5 °/0 N. Die vollständige Reinigung des Präparates scheitert
an seiner leichten Zersetzlichkeit; insbesondere wird es auch bei Luft-
zutritt sehr bald oxydiert. 0. Sullivan und Tompson (r. K. 90.
170) haben eine Reihe von Zersetzungsprodukten des Invertins, die
sie Invertane nennen und die aus einem Eiweisskörper und einem
Kohlehydrat bestehen sollen, eingehend studiert. Die von verschiedenen
Mikroben gebildeten Invertine scheinen chemisch differente Körper zu
sein , wie sich aus ihrem verschiedenen Verhalten gegen Dialyse und
Filtration durch Chamberland-Filter, sowie aus ihrer ungleichen Resistenz
gegen schädigende Einwirkungen ergiebt. So sind z. B. nur die von
Penicillium glaucum und Aspergillus niger gebildeten Invertine der
Dialyse fähig; ferner geht das Invertin der Bierhefe durch Porzellan-
filter, während die von den beiden oben erwähnten Schimmelpilzen
gebildeten Fermente hierbei ja auch schon durch Papierfilter zurück-
gehalten werden; auch sind die von Hyphomyceten gebildeten Inver-
tine gegen abnorme Reaktion des Mediums und Temperaturen über 60°
viel widerstandsfähiger, als die aus Bakterien stammenden.
Das Temperaturoptimum für die Wirkung des Invertins von
Schimmel- und Sprosspilzen liegt bei etwa 56° C. Zur Erreichung
maximaler Wirkung ist ferner eine schwachsaure Reaktion erforderlich;
der Aciditätsgrad ist bei verschiedenen Invertinen sehr verschieden; so
zeigt das von Aspergillus niger ausgeschiedene Ferment nach Feenbach
seine optimale Wirkung bei Gegenwart von T^jy Essigsäure, das der
Tautonville-Hefe aber bei t^töü- Alkaliüberschuss wirkt schon in ge-
ringsten Spuren schädigend ein. Auch Alkohol setzt die Intensität der
Inversion herab. Auffallend ist auch hier, dass das Invertin bei Gegen-
wart von Rohrzucker, im Zustande der Thätigkeit, gegen schädigende
Einwirkungen sich viel widerstandsfähiger zeigt, als isoliert im inaktiven
Zustande. — Die Zersetzung des Rohrzuckers durch Invertin ist als
hydrolytische Spaltung aufzufassen:
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 205
Cia H22 Ou + H20 = CG H12 06 + C6 H12 06.
(d-Glukose) (d-Fruktose)
Die Inversionsprodukte scheinen auf die Intensität des Prozesses
keinen Einfluss auszuüben. Die invertierende Thätigkeit einer gegebenen
Fermentmenge scheint bis ins Unbegrenzte fortzugehen; wenigstens
fanden 0. Sttllivan u. Tompson (a, a. 0.) noch Fortgehen des Prozesses,
nachdem das angewandte Präparat bereits das lOOOOOfache seines Eigen-
gewichtes an Rohrzucker zerlegt hatte. Sehr bemerkenswert ist, dass
der Inversionsprozess in quantitativer Beziehung bei optimalem Säure-
grad fast vollständig dem für einfache chemische Umsetzungen giltigen
HAKCOURT'schen Gesetz folgt, wonach unter gleichbleibenden Versuchs-
bedingungen (abgesehen von der Verminderung der umzusetzenden Sub-
stanz) die Intensität der Umsetzung proportional der Menge der ange-
wandten Substanz ist; für jeden Zeitpunkt der Umsetzung ist ein Wert
1 1
K = — ^ — log konstant, wo Q die Zeit in Minuten und x den in der
0 ° 1 — x
Zeiteinheit umgesetzten Bruchteil der ursprünglich vorhanden gewesenen
Substanzmenge bezeichnet. Die Zeit, die zur Erreichung eines bestimmten
Inversionsstadiums erforderlich ist, steht also im umgekehrten Verhältnis
zur Menge des vorhandenen Invertins. Bei Temperaturerhöhung bis 30°
steigt dieUmsatzgrösse entsprechend Haecotjrt's Gesetz, jenseits 30° lang-
samer. Die Grösse des optimalen Säuregehalts ist mit der Temperatur
und der Menge des Invertins in einer vorläufig noch nicht bestimmt
formulierbaren Weise gesetzmässig verknüpft. Die eben dargelegte
mathematische Gesetzmässigkeit gilt nun aber nach 0. Sullivan
(r: K. 92. 256) auch für die invertierende Wirkung lebender
Hefe auf Zuckerlösungen bei 12 — 20 °; nur ist hier die hydro-
lytische Energie der angewandten Hefe ohne Säurezusatz der
Menge derselben direkt proportional, weil in der Hefezelle selbst schon
die für das Invertin geeignetste Säuremenge sich vorfindet. Trotz-
dem also die Inversion des Rohrzuckers im Zellleib der Hefe selbst
vor sich geht, folgt sie doch einer für alle einfachen chemischen Pro-
zesse giltigen mathematischen Gesetzmässigkeit; sie bildet daher ein
Mittelglied zwischen einfachen chemischen Prozessen und Ferment-
wirkungen einerseits, Gährwirkungen und direkter Thätigkeit des Proto-
plasmas andererseits. —
In diese Gruppe gehört ferner die Zerlegung von Polysac-
chariden durch Hefe, z.B. der Melitriose in d-Fruktose und Meli-
biose, sowie der Melibiose in d-Glukose und d-Galaktose; das die Me-
litriose spaltende Ferment ist nach Bat; (Chemiker-Zeitung 1895. Nr. 89)
das gewöhnliche Invertin, während die Spaltung der Melibiose durch
ein besonderes, nur in Unterhefe enthaltenes Enzym, die Melibiase,
2()(3 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
zu stände kommt. Auch die Zerlegung der Maltose, deren Ferment,
die Glukase, bereits oben besprochen ist, lässt sich unter diese Gruppe
rechnen. Ferner ist hier der milchzuckerspaltenden Fermente, der
Laktasen, zu gedenken, die u.a. von E. Fischer (B. Ch. 27. 2991 u. 3481)
in Kefirkörnern, sowie in der Milchzuckerhefe nachgewiesen sind und
Milchzucker in d-Galaktose und d-Glukose zerlegen. Endlich wird
auch die Trehalose durch ein von E. Bourquelot (C. R, 116, 826)
im Aspergillus niger gefundenes Ferment, das er Trehalase nennt,
gespalten; da neuerdings indessen E. Fischer (B. Ch. 28. 1432) die-
selbe Zerlegung durch Malzdiastase eintreten sah, so wird an der
Existenz eines spezifischen, nur Trehalose zerlegenden Fermentes viel-
leicht zu zweifeln und diese Fähigkeit vielmehr einer besondern Art
von diastatischen Fermenten zu vindizieren sein; dann würde sich die
Trehalase in ähnlicher "Weise wie die Glukase in die Hauptgruppe der
Diastasen einreihen.
c) Glukosidspaltende Fermente.
Wirken auf Glukoside, d. h. auf Körper, die durch ätherartige
Zusammenlagerung der d-Glukose mit einer anderen Komponente unter
Wasseraustritt entstanden zu denken sind. In ganz analoger Weise
leiten sich von der Fruktose und der Galaktose, sowie ihren optischen
Antipoden, d- bezw. 1-Fruktoside und Galaktoside ab. Da die im vori-
gen Kapitel besprochenen Disaccharide nach der neueren Auffassung
von E. Fischer ebenfalls als Glukoside der Zucker unter sich aufzu-
fassen sind, so bieten sie mit den eigentlichen Glukosiden viel Ge-
meinsames; auch werden manchmal durch dasselbe Ferment, wie z. B.
durch Invertin, gleichzeitig Disaccharide und andere Glukoside gespal-
ten. Bei der Spaltung zerfällt das Glukosid-Molekül unter Wasser-
aufnahme in seine ursprünglichen Komponenten; es wird also stets
d-Glukose und daneben ein sehr verschiedenartig ausfallender anderer
Körper gebildet. Bekannte Beispiele dieser Art sind die Einwir-
kung des Emulsins auf Amygdalin, wodurch dieses in Glukose,
Benzaldehyd und Blausäure gespalten wird:
C20H27NOn + 2H20 = 2C6H1206 + C6H5 . COH -f- CNH;
ferner die Spaltung des myronsauren Kalis durch Myrosin in Glu-
kose und Senföl, die analogen Zerlegungen des Salicins, Coniferins,
Arbutins etc. Emulsin ist von Bourquelot (C. R. soc. biol. 1893. 653)
im Aspergillus niger, von Gerard in Penicillium glaucum (C. R. soc.
biol. 1893. 651) nachgewiesen worden. Unter den Bakterien fanden
Fermi und Montesano (C. 15. 722) nur bei drei Arten konstant
das Vermögen, Amygdalin zu spalten, ausserdem bei einigen Arten
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 207
eine unsichere Wirksamkeit. Doch scheint diese Spaltung direkt durch
das lebende Protoplasma der Mikroben und nicht durch ein isolier-
bares, von denselben ausgeschiedenes Ferment zustande zu kommen.
Eine Zersetzung des Amygdalins beim Fäulnisprozess wurde schon
von Geisson (Jahresber. d. Tierchem. 1883) beobachtet.
d) Celluloselösende Fermente
werden vermutlich von manchen Arten des Bac. butyricus, sowie von
Vibrio Rugula gebildet; auch ist wohl ihre Mitwirkung bei der Cellulose-
gährung anzunehmen, van Senus (r: K. 90. 136) gelang es, aus Wasser,
in dem Rüben faulten, durch Alkoholfällung ein celluloselösendes Fer-
ment darzustellen. Nähere Untersuchungen über diese Fermente fehlen
jedoch bisher.
II. Eiweissspaltende (peptonisierende) Fermente.
Sie führen die Eiweissstoffe durch hydrolytische Spaltung in lös-
liche, diffusible Produkte über. Ausser den hierher gehörigen Fermenten
des Magensaftes und Pankreassekrets sei hier als Beispiel für die weite
Verbreitung dieser Körper noch ein Ferment pflanzlicher Herkunft,
das Papai'n aus Carica Papaya erwähnt, das ebenso wie Trypsin in
alkalischer Lösung wirksam ist. — Bei den Mikroorganismen sind offen-
bar diese Fermente ebenfalls sehr häufig vertreten; die von so vielen
Arten bekannte Verflüssigung der Gelatine und anderer eiweisshaltiger
Nährböden kommt lediglich durch Produktion eines eiweiss- und leim-
lösenden Ferments zustande. Da diese Verflüssigung meist bei alka-
lischer Reaktion erfolgt, so nähern sich diese Fermente in ihrem Ver-
halten mehr dem Papai'n und Trypsin, als dem Pepsin.
Der Nachweis, dass dieses peptonisierende Ferment auch unabhängig von
der lebenden Bakterienzelle zu wirken vermöge, gelang zuerst Bitter (A. 5.
241); eine durch halbstündiges Erwärmen auf 60° sterisilierte Fleisch wasser-
peptonkultur des Choleravibrio zeigte noch energisches peptonisierendes Vermögen.
Auch Sexger (D. 87. Nr. 33/34) und Jerosch (r: J. S7. 104, Anm. 173) kamen zu der
Ansicht, dass die Verflüssigung der Gelatine durch Bakterienkulturen durch cbemische
Umsatzprodukte derselben zustande kommt. Rietsch und Sternberg (ref.ebd.362.f.)
konnten in den Kulturen verflüssigender Bakterienarten, wie beim Cholera vibrio,
Spirill. Finkler-Prior, Bac.prodigiosus,Pyocyaneus, pyogenen Staphylokokken pepto-
nisierende Fermente nachweisen, während in Kulturen nicht verflüssigender Bak-
terien, wie des Tuberkel- u. Typhusbacillus, bei gleicher Behandlung solche Fer-
mente nicht aufzufinden waren. Fermi (A. 10. 1) wies in einwandsfrei er Weise bei einer
grösseren Zahl von Mikroorganismen Leim und Fibrin peptonisierende Fermente
nach, indem er nach Ausschaltung der Wirkung des lebenden Protoplasmas
mittelst Desinficientien oder fraktionierter Sterilisation Verflüssigung der Gelatine
und des Fibrins konstatierte. Auch gelang es ihm mittelsct Fällung durch abso-
208 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
luten Alkohol die Fermente einer Anzahl von Arten , z. B. vom Choleravibrio,
Spirillum Finkler-Prior, Prodigiosns, Pyoeyaneus, Heubacillus, Megaterium etc., zu
isolieren. Weitaus am wirksamsten war das Ferment vom Finkler- PRioit'schen
Spirillum.
Die Fermente dialysieren nicht, sind im trockenen Zustande gelb-
liche amorphe Pulver; gegen trockene Hitze sind manche, ähnlich wie
das Trypsin, sehr widerstandsfähig; das Ferment des Spirillum Finkler-
Prior ertrug unbeschadet eine 10 Minuten dauernde Einwirkung einer
Temperatur von 1 20 — 140°. Bei Erwärmung über 70 ° in wässriger Lösung
hingegen werden alle Fermente zerstört, jedoch nicht gefällt. Ver-
schiedene Bakterienfermente zeigen eine ungleiche Resistenz gegen hohe
Temperaturen; so wird das Ferment des Prodigiosns schon bei 55°
zerstört, während dies beim FiNKLER-PitiOB'schen erst bei 70° der Fall
ist. Gegen Zusatz von Alkali selbst in hohen Koncentrationen sind
die peptonisierenden Fermente der Bakterien sehr resistent; dagegen
werden sie schon durch geringe Acidität erheblich beeinträchtigt. Or-
ganische Säuren wirken weit weniger ungünstig als anorganische;
unter letzteren zeigen sich besonders HNO:i und H2S04 stärkt schä-
digend; verschiedene Spezies zeigen eine ungleiche Empfindlichkeit
ihrer Fermente gegen ein und dieselbe Säure. Nur bei Schimmelpilzen
Hess sich ein Ferment nachweisen, welches ähnlich dem Pepsin nur
in Gegenwart von HCl seine peptonisierende Wirksamkeit ausübte; ein
Ferment, welches in saurer Lösung Fibrin peptonisiert, liess sich nirgends
nachweisen. Die Gelatine wird von den Fermenten viel leichter an-
gegriffen als das Fibrin; viele verflüssigende Arten vermögen Fibrin
überhaupt nicht zu peptonisieren, bei anderen wird diese Fähigkeit
durch schädigende Einwirkungen viel leichter beeinträchtigt als die
Verflüssigung der Gelatine. Flüssige Gelatine wird von einigen
Fermenten leichter* angegriffen, d. h. an der Erstarrung verhindert,
als starre; im letzteren Falle ist eben noch die Arbeit der Verflüssigung
zu leisten. In feuchtem Zustande aufbewahrt, werden die Fermente
mit der Zeit unwirksam. Das Sonnenlicht vermag ihre Wirksamkeit
sehr herabzusetzen. Die meisten Fermente wirken auch in Stickstoff-,
Wasserstoff-, Kohlenoxyd- und Kohlensäureatmosphäre; letztere vermag
nur einige Fermente sehr wenig abzuschwächen; durch Schwefelwasser-
stoff hingegen werden die Enzyme des Prodigiosus, Pyoeyaneus und
des Choleravibrio stark beeinträchtigt, während andere resistenter sind.
Gegen Carbolsäure und Sublimat zeigen die Fermente eine noch grössere
Resistenz als die Sporen. Ebenso wie unter sich sind die peptoni-
sierenden Fermente auch unterschieden von den oben besprochenen
diastatischen; häufig werden freilich mehrere Arten von Fermenten von
demselben Mikroorganismus produziert.
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 209
Die Fermentbildung hängt von einigen besonderen Bedingungen
ab, unter denen nach Febmi der Eiweissgehalt des Nährbodens und
nach Liborius (Z. 1. 115) der Zutritt freien Sauerstoffs besonders
wichtig sind. Auf eiweissfreien Nährböden sah Fermi nur beim Bac.
subtilis Bildung eines peptonisierenden Enzyms. Bei Sauerstoffabschluss
geht die Verflüssigung der Gelatine bekanntlich viel langsamer vor sich;
eine Ausnahme machen gewisse Anaeroben. Zusatz von Carbol- oder
Salicylsäure zum Nährboden hebt die Fermentproduktion auf, wirkt
aber gleichzeitig wachstumshemmend. Ohne jede Beeinträchtigung der
vegetativen Entwicklung vermögen dagegen bei einigen Mikroben
Chinin, Antipyrin und Strychnin die Fermentproduktion ganz zu
sistieren. Dieselbe ist also kein notwendiges Glied im Lebens-
prozess dieser Mikroben. —
Auch in Hefezellen scheint ein peptonisierendes Ferment, von
Delbrück (r: K. 93. 139) „Peptase" genannt, vorzukommen.
III. Labfermente
bewirken eine Alteration der Eiweissstoffe der Milch, welche sich in
der Gerinnung des Kaseins äussert.
Derartiges Ferment ist bekanntlich im Kälbermagen enthalten. Das Vor-
kommen desselben bei Bakterien ist zuerst von Dtjclaux (C. R. 91) und Htjeppe
(D. 84. Nr. 48 und 49) beobachtet worden; das Kasein der Milch wird bei schwach
saurer, amphoterer oder gar alkalischer Reaktion gefällt und häufig nachträglich
durch ein anderes tryptiscbes Ferment peptonisiert. Hierher gehören die Dtjclatjx-
schen Tyrothrixarten, der Bac. pyocyaneus, Sarcina aurantiaca und vor allem die
FLÜGGE'schen (Z. 17.272) peptonisierenden Bakterien der Milch. Auch Warington
(La. 88. No.25 u. r: C. 6. 498) erschloss aus der Thatsache, dass bei manchen Erregern
einer Milchgerinnung die Säurebildung ganz fehlte oder doch zu gering war, um für
'die Kase'infällung verantwortlich gemacht werden zu können, die Produktion lab-
artiger Fermente durch diese Mikroben. Andere Bacillen dagegen bewirken Milch-
gerinnung nur durch Säuerung; bei noch anderen wirken beide Faktoren zusammen.
Den Beweis dafür, dass die Kase'infällung durch Bakterien mittelst eines isolier-
baren, vom lebenden Bakterienleib unabhängigen Enzyms zustande komme, er-
brachte Cohn (C. 9. 653), indem er auch bei Gegenwart von Chloroform und voll-
ständiger Wachstumshemmung doch die Fermentthätigkeit der Kultur völlig intakt
fand. Später gelang es demselben Autor (C. 12. 223 und r: C. 16. 916) das Lab-
ferment mehrerer Arten von Bakterien zu isolieren und von etwaigen gleichzeitig
vorhandenen tryp tischen Fermenten zu trennen; dasselbe besitzt durchaus die
Eigenschaften des typischen, im Molkereibetriebe bekannten Labs und wird durch
Temperaturen von 63—75° zerstört. Ferner wies Gorini (ref. C. 12. 666 und
R. 93. 381) beim Bac. prodigiosus ein Labferment nach, welches sich von den
anderen in gleicher Weise wirkenden Enzymen durch seine bedeutende Re-
sistenz gegen Hitze unterscheidet; durch einstündige Einwirkung einer Temperatur
von 70—80° wird es noch nicht geschädigt; erst bei halbstündiger Erhitzung auf
100° wird es zerstört.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 14
210 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Die Menge des erzeugten Labfermentes ist bei verschiedenen Arten
und mit verschiedenem Alter der Kultur verschieden. Bei 20° wird
merkwürdigerweise viel mehr Lab erzeugt als bei 37°, während sich
das proteolytische Ferment gerade umgekehrt verhält. Das Ferment
wirkt, wie Kälbermagen, bei Brütwärme viel intensiver als bei niederer
Temperatur; durch Alkalien wird seine Wirksamkeit gehemmt. Bei gleich-
zeitiger Produktion tryptischer Enzyme kommt bisweilen das langsamer
gebildete Labferment nicht zur Wirkung, weil das Kasein peptonisiert
wird, ehe seine Ausfällung zustande kommt; in solchen Fällen kann
die Labproduktion leicht übersehen werden. Bei Gegenwart von 1%
Fluornatrium wird die Wirkung des Labfermentes nach Feeudenreich
(r. : K. 93. 291) gehemmt, während andere Enzyme durch diese Kon-
centration nicht geschädigt werden (Arthus u. Huber, C. R. 115. 839).
Der Chemismus der Labwirkung geht nach Untersuchungen von
Arthits u. Pages (A. Ph. V. ser. t. IL 331 u. 540) und Ringer
(Journ. of Physiol. XI. 464) wahrscheinlich in zwei Phasen vor sich:
zuerst wird das Kasein (oder nach Ringer Kasei'nogen) in ein
oder wahrscheinlich mehrere noch nicht näher bekannte Zwischen-
produkte umgewandelt; darauf tritt Fällung dieser Körper durch die
in der Milch vorhandenen Kalksalze ein. Für diese letzteren können
auch Barium- oder Magnesiumsalze eintreten, nicht aber die Salze der
leichten Alkalien. Nach dieser Vorstellung vom Chemismus der Lab-
wirkung erklärt sich z. B. die schon von Hammarsten gefundene
Thatsache, dass möglichst reines, von Zucker, Fett und Asche befreites
Kasein durch Labferment allein nicht gefällt wird, wohl aber, wenn
man noch Calciumphosphat hinzusetzt; ebenso koagulierte in den Ver-
suchen von Arthus u. Pages entkalkte Milch nicht direkt durch Lab,
sondern erst nach Zusatz von Chlor calcium; andererseits wurde frische,
nicht entkalkte Milch durch kleine Mengen Lab, die an sich erst spät
Koagulation hervorgebracht hätten, so verändert, dass beim Erwärmen
oder durch Chlorcalciumzusatz sofortige Gerinnung eintritt. Die Be-
dingungen für beide Phasen der Lab Wirkung sind durchaus verschie-
den; die Umwandlung des Kaseins wird durch niedere Temperatur
verlangsamt, durch Alkalien aufgehoben, durch verdünnte Säuren be-
schleunigt; die Verbindung mit Kalksalzen geht aber auch bei 0° und
in schwach alkalischer Lösung vor sich. Man kann daher das Ferment
nach seiner Einwirkung auf das Kasein durch Alkali zerstören, ohne
die nachträgliche Koagulation zu beeinträchtigen; auf diese Weise er-
hellt deutlich die Unabhängigkeit jener zweiten Phase des Gerinnungs-
prozesses von der Wirkung des Ferments. — Fick (Pf. 45) erblickt
eine fundamentale Verschiedenheit des Labfermentes von den hydro-
lytischen Fermenten darin, dass bei ersterem nicht, wie bei diesen,
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 211
Molekül der umzusetzenden Substanz mit einem Fermentmolekül
in Berührung komme, sondern dass sich der durch ein Fermentmole-
kül irgendwo angeregte Umsetzungsprozess ausserhalb desselben und
ohne seine weitere direkte Mitwirkung von Molekül zu Molekül der
umzuwandelnden Substanz fortsetze. Zum Beweise für diese Auf-
fassung macht Fick geltend, dass jedes Fermentmolekül durch seine
eigene Wirksamkeit sich mit einer festen Schicht geronnener Substanz
umgiebt und dadurch den Kontakt mit anderen Molekülen der gerin-
nungsfähigen Substanz unmöglich macht; auch kann bei der Käse-
bereitung ein halber Kubikmeter Milch in weniger als 5 Minuten ge-
rinnen, wenn man mit dem Lab nur einige Male darin herumfährt,
wobei nach Fick's Ansicht an eine vollständige Verbreitung des Labs
in der Milch in so kurzer Zeit nicht gedacht werden kann. Gegen
diese Auffassung Fick's und auch gegen die ihr zu Grunde liegenden
thatsächlichen Angaben sind nun aber von Lea u. Dickinson (r: K.
90. 175) und Walthee, (Pf. 48. 529) gewichtige Einwände erhoben
worden; bei vorsichtigem "Oberschichten von Milch mit Lablösung,
wobei eine schnelle, direkte Vermischung beider Flüssigkeiten völlig
ausgeschlossen war, beobachteten sie den Eintritt der Gerinnung in
den von der Lablösung entferntesten Schichten der Milch erst nach
mehreren Stunden.
IV. Harnferment,
welches eine hydrolytische Spaltung gewisser Amidverbindungen des
Harns bewirkt; Harnstoff wird in Ammoniumcarbonat, Hippursäure
in Glykokoll und Benzoesäure verwandelt. Man schrieb frühe? diese
Fermentwirkung, die sich beim normalen Harn nach längerem Stehen
an der Luft, bei Cystitis dagegen schon innerhalb der Blase voll-
zieht, ausschliesslich dem Mikrokokkus ureae zu. Musculus (Pf.
XII. 214) isolierte aus einem stark schleimigen Harn bei Cystitis ein
im Wasser lösliches, Harnstoff zerlegendes Enzym, das von diesen Kokken
gebildet sein sollte. Ladukeau (C. R. 99) stellte die Bedingungen der
Wirksamkeit desselben fest; er fand es bei Gegenwart von Sauerstoff,
Wasserstoff, Stickstoff, sowie im luftleeren Raum und auch bei einem
Druck von 3 Atmosphären wirksam. Da jedoch Leube (V. 100. 540)
nachwies, dass Reinkulturen des Mikrokokkus ureae nach Filtration
durch Thonzellen unwirksam werden, so musste es mindestens zwei-
felhaft erscheinen, ob das von Musculus isolierte Ferment wirklich
von den Bakterien gebildet worden sei. Später gelang es jedoch Miquel,
mit Sicherheit die Existenz eines isolierbaren, unabhängig von den
lebenden Mikroben wirksamen Enzyms darzuthun, welches er als
Urase bezeichnet. In einer Reihe von Abhandlungen (A. Mi. I. 414,
14*
212 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
470, 506, 552, II. 53, 122, 145, 367, 488, III. No. 6, V. 162; CR. 111.
397) beschreibt er an 60 verschiedene aus der Luft, Flusswasser und
besonders aus Abwässern gezüchtete Harnstoffbakterien — teils „Uro-
kokken", teils „Urobacillen" und eine „Urosarcine Hansenii" — , welche
sich durch' die Intensität der erzeugten Umsetzung und kulturelle Merk-
male scharf unterscheiden. Ein besonders kräftiger Harnstoffspalter,
der Urobacillus Pasteurii, wandelt 3 gr Harnstoff pro Stunde um,
während ein Urokokkus nur 0,5 gr pro Tag zu zerlegen vermochte.
Dass es sich bei diesem Prozess nicht, wie man bisher glaubte, um
eine Harnstoff- Gährung, um eine direkte Zerlegung des Harnstoffs
durch das lebende Bakterienplasma, sondern um eine unabhängig von
der lebenden Zelle erfolgende Enzymwirkung handle, entnimmt Miqüel
zunächst aus der Thatsache, dass die Bakterien den Harnstoff keines-
wegs zum Aufbau ihres Zellleibes verwenden, sondern Pepton und ähn-
liche Körper als Stickstoffquelle bei weitem vorziehen, daher denn auch
der Eiweissstickstoff in der Kulturflüssigkeit nicht vermehrt, sondern
vermindert wird. Ferner findet eine intensive Fermentwirkung noch
bei 55 ° statt, bei welcher Temperatur die Harnstoffbakterien bereits
abgestorben sind. Endlich gelang es auch nach vielen vergeblichen
Bemühungen, das Ferment rein darzustellen; die Schwierigkeit, an der
frühere Versuche scheiterten, besteht in der sehr leichten Zersetzlich-
keit der Urase, welche fast der Labilität des lebenden Plasma gleich-
kommt. Bei 50° zersetzt sich die Urase in 3 — 4 Stunden, bei 70°
in 20 — 30 Minuten, bei 80° in wenigen Sekunden; bei 0° ist sie einige
Wochen lang haltbar. Von den gebräuchlichen Fällungsmitteln wird
sie fast vollständig zerstört, auch ist sie sehr leicht oxydierbar; bei
Filtration einer Kultur durch Porzellanerde ohne besondere Vorsichts-
massregeln wird sie häufig ganz oxydiert und in den Filterporen zurück-
gehalten, woher sich wohl auch die oben erwähnten negativen Resul-
tate Leube's erklären. Die Darstellung der Urase gelingt nur in Lösung,
und zwar aus sehr urasereichenKulturflüssigkeitenmittelstFiltration durch
Porzellanerde bei Sauerstoffabschluss, also z. B. in Leuchtgasatmosphäre.
Verschiedene Harnstoffbakterien erzeugen, wie bereits aus dem obigen
hervorgeht, sehr verschiedene Mengen Urase. Alle bedürfen zu ihrer
Erzeugung der Zufuhr freien Sauerstoffs. Die fermentative Thätigkeit
scheint auch bei demselben Erreger nicht immer den vegetativen parallel
zu gehen, indem bei Urosarcina Hansenii mit fortschreitender Harnstoff-
zersetzung das Verhältnis der umgewandelten Harnstoffmenge zum Gewicht
der vorhandenen Zellen sinkt. Wahrscheinlich erklärt sich dies aus einer
schädigenden Einwirkung des gebildeten kohlensauren Ammoniums auf
die Bakterien; daher ist auf harnstofffreiem Substrat das Wachstum
derselben weit üppiger und die Lebensdauer der einzelnen Kultur viel
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 213
länger. Verschiedene Harnstoffbakterien zeigen übrigens eine sehr un-
gleiche Resistenz gegenüber dem Ammoniumkarbonat. Auch auf die
isolierte Urase wirkt Ammoniumkarbonat schädigend ein, wie sich bei
der reinen Ferment Wirkung mit Ausschluss der lebenden Mikroben
konstatieren lässt. Bei letzterem Prozess erreicht die Reaktion sehr
bald ein Maximum und wird dann viel schwächer; unter. Umständen
kann sogar die Urase in harnstoffreichen Lösungen schwächer arbeiten,
als in einer weniger konzentrierten Kulturflüssigkeit. Das Optimum
der Wirkung der Ursache liegt bei 50°; jenseits dieser Temperatur
tritt sehr bald Schädigung und Zerstörung des Enzyms ein.
V. Fettspaltende Fermente,
welche Neutralfette in Glycerin und Fettsäure zerlegen, sind bisher in
Mikroorganismen noch nicht nachgewiesen; v. Sommarttga (Z. 18. 441)
sah zwar eine solche Spaltung der Fette durch eine Reihe von Mikro-
organismen eintreten, die dann das Glycerin als wertvolles Nährmaterial
auszunützen vermögen; doch muss es unentschieden bleiben, ob dieser
Prozess als Wirkung eines isolierbaren Enzyms oder nicht vielmehr
als direkte Leistung des lebenden Plasmas aufzufassen sei.
In ihrer chemischen Zusammensetzung scheinen die Fermente einen
gemeinsamen Typus zu repräsentieren, über dessen Zugehörigkeit zu
den sonst bekannten Klassen von Körpern jedoch noch nichts Be-
stimmtes feststeht. Die quantitative elementare Zusammensetzung zeigt
eine grosse Annäherung an die der Eiweisskörper. Den älteren Ana-
lysen haben noch stark verunreinigte Fermente zu Grunde gelegen;
später jedoch gelang es Loew (Pf. 27) durch möglichste Reinigung
derselben namentlich von gummi- und dextrinähnlichen Körpern Fer-
mente darzustellen, die eine den Eiweisskörpern sehr ähnliche Zu-
sammensetzung aufweisen. So ergab die Analyse des Pankreasferments:
52,75 °/0 C, 7,51% H, 16,55 °/0 N, 23,19% 0 + S,l,77°/0 Asche.
Jegoeow (r: K. 93. 279) giebt für Weizendiastase folgende Zu-
sammensetzung an: 40,24% C, 6,78 °'0 H, 4,7% N, 0,7% S, 1,45% P,
4,6% Asche. Der Gehalt an C, H und S in der Diastase kommt hier-
nach dem in den Nuklei'nen sehr nahe.
Auch in ihrem chemischen Verhalten zeigen die isolierbaren Fer-
mente viel Gemeinsames. Sämtlichen Fermenten kommt die Fähig-
keit zu,Wasserstoffsuperoxyd zu zerlegen; diese allgemeine Reak-
tion hängt aber, wie Jacobson (Z. physiol. Ch. 16. 340) angiebt, durch-
aus nicht in derselben Weise von den Versuchsbedingungen ab, wie
die spezielle spezifische Wirksamkeit des einzelnen Fermentes. Alle
214 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Fermente sind löslich in "Wasser und unlöslich in Alkohol; durch
Fällung mit letzterem können sie daher aus ihrer Lösung abgeschieden
und rein dargestellt werden. Gegen äussere Einwirkungen sind
die Fermente sehr empfindlich; im einzelnen ergeben sich natürlich
noch grosse Differenzen. Nur innerhalb eines bestimmten Temperatur-
bereichs und in besonders intensiver Weise an einem Temperatur-
optimum wird die Fermentwirkung ausgeübt; Optimum und Temperatur-
grenzen sind bei verschiedenen Enzymen verschieden; das Optimum liegt
meist bei 50 ° oder etwas höher, über 70 ° werden fast alle gelösten
Fermente (mit Ausnahme des resistenten Labferments des Bac. prodi-
giosus) rasch zerstört. In trockenem Zustande dagegen ertragen die
Fermente Temperaturen von 120 — 160° ohne Schädigung. Alkaliüber-
schuss, sowie stärkere Säuregrade sind für die meisten Fermente schäd-
lich; geringe Acidität wirkt auf manche fördernd. Die Salze der
schweren Metalle und sonstige Eiweissfällungsmittel wirken zerstörend;
Diastase wird schon in einer Sublimatlösung von 1 — 200000 voll-
ständig gehemmt. Carbolsäure dagegen beeinträchtigt die Diastase in
1 — 2prozentigen Lösungen noch gar nicht; Salicylsäure hinwiederum
wirkt schon bei einem Gehalt von 0,1 % zerstörend. Fluornatrium,
sowie Wasserstoffsuperoxyd, welche alle echten, auf unmittelbare Lebens-
thätigkeit von Mikroorganismen zurückzuführenden Gährungen hemmen,
schädigen die isolierten Fermente fast gar nicht; ebenso unwirksam
sind Blausäure, Chloroform, Äther, Benzol, Terpentinöl.
Sehr merkwürdig ist die Thatsache, dass manche Salze und N-
haltige Verbindungen die Wirksamkeit der Fermente intensiv
zu steigern vermögen. So wies Effront (C. R. 115. 1324) nach, dass
die verzuckernde Kraft von Diastase, Glukase und des Fermentes von
Aspergillus oryzae durch eine passende Mischung von Aluminiumsalzen,
Phosphaten und Asparagin auf den zehnfachen Wert erhöht werden
kann. Möglicherweise erklärt sich diese Begünstigung durch Bildung
von Zwischenprodukten, die leichter von den Fermenten gespalten werden
als das ursprüngliche Material; inParallele hierzu steht der begünstigende
Einfluss, den nach Friedel u. Crafts (A. eh. ph. [6] 1. 449; 14. 433)
manche Mineralsalze auf organische Synthesen ausüben.
Alle Fermente zeigen, soweit sie daraufhin untersucht sind, im
Zustand der Thätigkeit eine grössere Resistenz gegen äussere
schädigende Einwirkungen als in rein dargestelltem Zustand; hierbei
scheint vor allem das umzusetzende Material und demnächst auch noch
andere Körper, wie Salze, sowie endlich eine günstige Reaktion des
Substrats auf das Ferment einen schützenden Einfluss auszuüben. So
fand Petzoldt (r: K. 90. 163) dass Malzdiastase gegen schädigende
Einwirkung abnorm hoher Temperatur durch die Gegenwart von ver-
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 215
zu ckerter Maische geschützt werden kann; Invertin hält nach O'Sulliv an
(r: K. 92. 258) in Gegenwart von Zucker eine um 25° höhere Tem-
peratur aus als sonst; Trypsin und Ptyalin werden nach Biernacki (Z.
f. Biol. 28. H. 1) durch alkalische Reaktion der Lösung, sowie durch
Neutralsalze in ihrer Resistenz gegen zerstörende hohe Temperatur
gefestigt, ähnlich Pepsin durch Acidität und Peptongehalt der Lösung.
Die Wirkung der schützenden Körper erklärt sich vielleicht dadurch,
dass sie mit dem Ferment resistentere Zwischenprodukte bilden. Die
schützende Wirkung der Neutralsalze, die übrigens nach Buchner
(A. 17. 183) in ganz analoger Weise auch auf Toxalbumine und Se-
rumalexime sich erstreckt, beruht nach diesem Autor vielleicht auf der
wasserentziehenden Wirkung der Salze; hiermit würde die Thatsache,
dass der Grad dieser schützenden Wirkung mit dem Grade der wasser-
entziehenden Kraft des Salzes parallel geht, dass z. B. die stark wasser-
entziehenden Sulfate einen wirksameren Schutz verleihen als die Chloride
und Nitrate, wohl zusammenstimmen.
Die chemische Wirkungsweise sämtlicher isolierbarer Fermente
ist relativ einfach und besteht allgemein in einer hydrolytischen
Spaltung, bei welcher das Molekül der zu zerlegenden Substanz unter
Aufnahme eines oder mehrerer Moleküle H20 in zwei oder mehrere
Moleküle gespalten wird. Für eine Reihe von Fermentwirkungen ist
es möglich, den Prozess bestimmt zu formulieren, wie bei der Wirkung
des Invertins, des Emulsins, der Urase etc. oben angegeben; bei anderen
sind die speziellen Formulierungen mehr oder minder hypothetischer
Natur oder, wie bei den eiweissspaltenden Fermenten, überhaupt noch
nicht aufstellbar. Jedenfalls steht die Einfachheit dieser chemischen
Leistung in scharfem Gegensatz zu den später zu betrachtenden Gäh-
rungsvorgängen, bei denen ungleich kompliziertere und eingreifendere
Veränderungen im Bau des Moleküls stattfinden.
Jedes Ferment wirkt nur auf eine bestimmte, ihrer chemischen
Natur nach ganz nahe verwandte Klasse von Körpern; systematische
Untersuchungen über den Einfluss der Zusammensetzung und Kon-
figuration der zu zerlegenden Stoffe auf die Enzyme sind in neuester
Zeit von E. Fischer (B. Ch. 27. 2985 u. 3479; 28. 1429) angestellt
worden. Dieselben haben dargethan, dass die Enzyme ebenso eine
Elektion ihres Angriffsmaterials zeigen, wie dielebendenMikroorganismen
in Bezug auf Nährstoffe und gährungsfähige Stoffe. Als Angriffsmaterial
wurden Glukoside gewählt, und zwar sowohl die in der Natur vorkommen-
den mit aromatischem Bestandteil, als die von E. Fischer durch Kochen
der betr.Zucker mit Alkoholen in salzsaurerLösung künstlich dargestellten
Alkoholglukoside (B. Ch. 26. III. 2400), als endlich auch einige Disac-
charide, die nach E. Fischer als Glukoside der Zucker mit ein-
216 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ander aufzufassen sind. Es ergab sich nun, dass Hefeauszug die
Maltose und das «-Methyl-d-Glukosid spaltete, die entsprechende /9-Ver-
bindung und die hiernach zur ß-Reihe gehörigen natürlichen aromatischen
Glukoside aber unverändert Hess; die korrespondierenden a- und ß-
Methyl-1-Glukoside blieben wegen der abweichenden stereochemischen
Konfiguration unverändert; das Methyl-d-Fruktosid hingegen wurde
wegen der nahen Verwandtschaft zwischen d- Glukose und d-Fruktose
gespalten (diese Spaltungen sind übrigens nicht durch das Invertin,
sondern durch die Glukase der Hefe ausgeführt). Eniul sin hingegen
verhielt sich in mancher Beziehung gerade umgekehrt; es spaltet das
^-Methyl -d-Glukosid und die zur /?-Reihe gehörigen natürlichen aro-
matischen Glukoside, nicht aber das a-Methyl-d-Glukosid; es spaltet
ferner das /3-Methyl-d-Galaktosid wegen seiner auch durch die Ver-
gährbarkeit der Galaktose evidenten nahen Verwandtschaft mit dem
d-Glukosid; die 1-Glukoside sind ebenso, wie für den Hefeauszug, auch
für das Emulsin nicht spaltbar. Ebenso indifferent gegen beide Enzyme
verhalten sich die Methylderivate der mit grösseren Abweichungen der
Konfiguration behafteten Glukoheptose, Rhamnose,Arabinose undXylose.
Der spezifische Gegensatz zwischen beiden Fermenten wird also durch
den Gegensatz von a- und ^-Modifikation beherrscht; gemeinsam ist
beiden, dass eine geringe Änderung der Konfiguration (wie zum
-Fruktosid oder -Galaktosid) die Fermentwirksamkeit nicht stört; bei
grösseren Änderungen jedoch hört dieselbe sehr bald auf, wie das ge-
meinsame Verhalten beider Fermente gegen die 1-Glukoside und gegen
die Derivate der zuletzt genannten Zucker beweist. Beide Fermente
unterscheiden sich endlich von dem My rosin, welches weder das «-,
noch das ß-Methyl-d-Glukosid spaltet, also unabhängig von der a- und
/^-Modifikation Widerstände im Molekül vorfindet, die es nicht über-
winden kann. Die Ursache dieses elektiven Verhaltens der Enzyme
mag, wie bei den lebenden Gährimgserregern in dem asymmetrischen
Bau ihrer Eiweisskörper liegen. E. Fischer stellt sich vor, dass nur
bei ähnlichem geometrischen Bau des Enzym- und desGlukosid-Moleküls
diejenige räumliche Annäherung des Moleküls stattfinden kann, welche
zur Auslösung des chemischen Vorganges erforderlich ist, ähnlich wie
Schloss und Schlüssel zu einander passen müssen, um die Aufschliessung
des ersteren zu bewirken.
Was die quantitativen Verhältnisse der Ferment Wirkungen
anlangt, so hat eine genauere Beobachtung gezeigt, dass die Menge
der zerlegten Substanz durchaus nicht unbegrenzt ist, wie es den
Anschein hat. Insbesondere hat es Tammann (Z. physiol. Ch. 16. 271)
geradezu als Charakteristikum der Fermentreaktionen hingestellt,
dass sie unvollständig sind; ein Teil der zu zerlegenden Substanz
Gotschlich, Lebensäusserungen der Mikroorganismen. 217
bleibt unverändert. Die einzige sichere, sogleich zu erklärende Aus-
nahme von diesem Gesetz bildet die Labwirkung. Das Zustandekommen
eines Endzustandes ist nach Tammann so zu erklären, dass das
Ferment mit den Spaltungsprodukten der zerlegten Substanz sich zu
einer unwirksamen Modifikation verbindet; diese letztere ist aber
nur in Gegenwart der Spaltungsprodukte beständig und wandelt sich
leicht wieder in das ursprüngliche Ferment zurück. Werden also die
Spaltungsprodukte beseitigt, wie dies z. B. bei der Labwirkung durch ihr
Ausfallen geschieht, so wird die ursprüngliche wirksame Modifikation des
Fermentes regeneriert, und die Reaktion wird ausnahmsweise vollständig.
Die unwirksame Modifikation ist offenbar gegen schädigende äussere
Einwirkungen beständiger, wodurch sich gleichzeitig die oben erwähnte
schützende Einwirkung von Spaltungsprodukten etc. auf das gelöste
Ferment gegenüber demselben in isoliertem Zustande erklärt. Die im
Endzustand gespaltene Menge der Substanz hängt von der Temperatur
und der Menge des angewandten Fermentes ab; mit beiden Faktoren
'steigt sie bis zu einem gewissen Maximum, welches bei weiter zu-
nehmender Fermentmenge einen konstanten Wert zu behalten scheint,
während bei weiterer Steigerung der Temperatur sehr bald Abnahme
und endlich völliges Erlöschen der Fermentwirkung stattfindet. Ahnlich
verhält sich die Geschwindigkeit der Fermentreaktion. Die Abnahme
der Energie der Fermentwirkung bei abnorm hohen Temperaturen bildet
nur eine scheinbare Ausnahme von dem Fundamentalgesetz über den
Einfluss der Temperatur auf die Reaktionsgeschwindigkeit; sie erklärt
sich daraus, dass das Ferment oberhalb einer bestimmten Temperatur
mit zunehmender Geschwindigkeit in unwirksame Komponenten "zerfällt,
aus denen es sich nicht wieder zurückbilden kann; die Geschwindigkeit
dieses Zerfalls des Fermentes wächst mit steigender Temperatur viel
schneller als die Geschwindigkeit der spezifischen Fermentreaktion und
wird endlich bei 70 — 80° meist so gross, dass das Ferment augenblicklich
zerfällt, ohne seine Thätigkeit ausgeübt zu haben. Ganz ähnlichen
Verhältnissen sind wir schon bei dem Einfluss der Temperatur auf
das lebende Plasma begegnet; auch hier findet Steigerung der Lebens-
äusserungen bis zu einem Temperatur Optimum statt, von da ab aber
mit zunehmender Beschleunigung eine deletäre Zersetzung desselben,
welche seine Lebensthätigkeiten beeinträchtigt und schliesslich ver-
nichtet. Die besonders genau studierten quantitativen Verhältnisse der
Invertinwirkung sind schon oben im speziellen Teil besprochen.
Was endlich den Chemismus der Fermentwirkung anbe-
langt, so lassen sich darüber gegenwärtig noch keine bestimmten
Vorstellungen machen. Am ehesten wird man sich den Vorgang wohl
so denken müssen, dass zuerst Zwischenprodukte des Ferments ent-
218 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
stehen, die leicht wieder zerfallen und zu Regeneration des ursprüng-
lichen Fermentes führen; sei es nun, dass das Ferment als Überträger
des einzulagernden Wassers wirke, oder nach Bunsen-Hüfner (ähnlich
wie die Schwefelsäure bei der Ätherbildung) direkt mit gewissen Atom-
gruppen der zu zerlegenden Sustanz interimistische, leicht zerfallende
Produkte bildet, nach deren Zerfall dann einerseits eine neue Atom-
gruppierung geschaffen und andererseits das Ferment regeneriert ist.
Auf die Annahme der Bildung solcher Zwischenprodukte sind wir ja
bisher schon durch eine Reihe von Gründen geführt worden. Daneben
stellt sich Nägeli in Übereinstimmung mit seiner unten zu besprechen-
den Gährungstheorie vor, dass die Fermente durch Übertragung ihres
intramolekularen Bewegungszustandes auf die umliegenden Moleküle
Umlagerung und Neugruppierung der Atome bewirken. Neuerdings
wird sogar mehrfach eine Fernwirkung bei der Fermentwirkung an-
genommen (vgl. oben Fick's Theorie der Labwirkung); de Jager
(V. 121. 182) möchte die Fermente sogar den früheren Im-
ponderabilien an die Seite stellen und will Übertragung der Ferment-
wirkung durch Äther oder gar Luft (?!) beobachtet haben; die experi-
mentellen Grundlagen dieser Anschauungen sind aber mindestens
äusserst zweifelhaft.
Soweit unsere jetzige Kenntnis über die Fermentwirkungen reicht,
nehmen dieselben eine interessante Mittelstellung zwischen einfachen
chemischen Prozessen und den Gährungsprozessen sowie überhaupt
den Lebensäusserungen der Mikroorganismen ein. Die Berechtigung
und Notwendigkeit einer Trennung zwischen Ferment- und Gähr-
wirkung ist nach allen Eigenschaften der ersteren, speziell mit Rück-
sicht auf ihre Isolierbarkeit, auf ihre relativ beschränkten chemischen
Fähigkeiten, auf ihr von den Mikroorganismen vielfach völlig ab-
weichendes Verhalten zu äusseren Momenten, evident. Doch ist nicht
zu verkennen, dass auch grosse Ähnlichkeiten der Fermente mit dem
lebenden Plasma bestehen, so die z. B. bei der Urase ganz ausser-
ordentliche Labilität, ferner ganz besonders das Wahlvermögen für die
zu zerlegenden Substanzen, die Fähigkeit, eine im Vergleich zur wir-
kenden Masse des Ferments unverhältnismässig grosse Menge Simstanz
zu spalten, sowie endlich das merkwürdige Verhalten zur Temperatur,
wenn auch das Optimum und die deletäre Grenze der Temperatur im
Durchschnitt höher liegt, als bei den meisten Mikroorganismen. Nach
diesen Ähnlichkeiten sind die Fermente von Ad. Mayer als „Plasma-
splitter", von Hueppe (Naturwissenschaftl. Einführung in d. Bakterio-
logie. 1896. 31) als „ausgestossenes Zellprotoplasma" bezeichnet worden.
Trotz aller Ähnlichkeiten besteht aber immer noch der Kardinal-
unterschied zwischen den Trägern der Ferment- und der Gährwir-
Gotschlich, Gährungserregung. 219
kungen, dass die ersteren nur leblose, wenn auch noch so komplizierte,
Substanz darstellen, während die Gährung eine Funktion lebender,
organisierter, fortpflanzungsfähiger Elemente ist.
Drittes Kapitel.
(jährungserregung
von
Dr. E. Gotschlich.
Unter besonderen Umständen tritt eine eigenartige Veränderung
in dem biologischen Verhalten der Mikroorganismen ein, die mit einer
ausserordentlich umfangreichen Zersetzung des Nährmaterials und mit
der Bildung eigentümlicher, durch Qualität und Quantität auffallender
Produkte einhergeht. Unter den letzteren pflegen namentlich massen-
haft entweichende Gase eine wichtige Rolle zu spielen; ferner entstehen
dabei stets Produkte von zusammen geringerer Verbrennungswärme,
als derjenigen Stoffe, aus denen sie gebildet sind, so dass bei der Zer-
legung immer lebendige Kraft frei wird. Die Gesamtheit dieser Er-
scheinungen pflegt man als Gährung zu bezeichnen.
Als allgemeines äusseres Charakteristikum jedes Gähr-
prozesses, wodurch sich derselbe von dem gewöhnlichen Stoffwechsel
der Mikroben unterscheidet, erscheint das ausserordentliche Über-
wiegen der durch den Gährungserreger bewirkten äusseren
Zersetzungsprozesse üb er dieplastischeThätigkeit desselben,
über die gleichzeitig stattfindenden Assimilations- und Fort-
pflanzungsprozesse. Die Masse des Gährungserregers verschwindet
gegenüber der Grösse der Umsetzungen, welche er hervorruft; auch
hier besteht, wie bei den leblosen isolierbaren Fermenten, dasselbe er-
staunliche scheinbare Missverhältnis zwischen Ursache und Wirkung,
und dieser Umstand hat früher Veranlassung gegeben, beide Prozesse
zu konfundieren. Der Hauptunterschied jeder Gährung von den reinen
Enzymwirkungen besteht aber, wie bereits erwähnt, darin, dass die
Enzymwirkungen, wenn auch häufig ebenfalls bei Lebewesen auftretend,
an ein lebloses, isolierbares Substrat geknüpft sind, während die Gähr-
wirkung mit dem lebenden Individuum unzertrennlich ver-
bunden und noch nie ohne Mitwirkung lebender Zellen be-
obachtet worden ist.
Der bei den Gährungsvorgängen stattfindende Chemismus wird in
seiner Bedeutung erst eingehend gewürdigt werden können, wenn wir
220 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
die einzelnen Gährungsprozesse einer speziellen Besprechung
unterworfen haben. Doch zeigen sich schon jetzt einige Unterschiede
ganz allgemeiner Natur, welche der Chemismus bei verschiedenen
Klassen von Gährungen erkennen lässt, und die daher zweckmässig
als Einteilungsprinzipien für die spezielle Betrachtung verwandt werden
können. Der Prozess, durch welchen die Gährprodukte aus dem Gähr-
material entstehen, ist nämlich entweder eine Spaltung oder eine
Oxydation, oder es wirken bei komplizierteren Gährphänomenen diese
beiden Kardinalprozesse kombiniert. Hiernach unterscheiden wir
a) Gährungen durch Spaltung, b) Gährungen durch Oxydation,
c) zusammengesetzte Gährungen. Zwar finden sich auch bei den
Spaltungsgährungen sogar stets Produkte, die nur als Oxydations-
produkte aufgefasst werden können, wie z. B. vor allem die C02 ; doch
findet hierbei immer die Oxydation innerhalb der Moleküle des Gähr-
materials, ohne Mitwirkung des äusseren Sauerstoffs, also stets erst
nach vorgängiger Spaltung statt, während bei den Oxydationsgährungen
ein synthetischer Prozess, eine Oxydation des Gährmaterials durch
den von anderwärts, aus der Luft bezogenen Sauerstoff zustande kommt.
Hiernach müssen offenbar Bedingungen, Material und Erreger des
Gährprozesses bei beiden Klassen von Vorgängen grundverschieden
sein, was schon an sich als genügende Berechtigung unseres Ein-
teilungsprinzips erscheint. Innerhalb der 3 grossen Gruppen scheiden
wir dann die Gährungen nach dem Material, ein Einteilungsprinzip,
das auf der Thatsache basiert, dass nur ganz bestimmte Arten
von chemischen Körpern als Gährmaterial fungieren können
und dass unter diesen immer für jeden einzelnen Gährungserreger und
jede einzelne Art der chemischen Umsetzung nur wenige auserlesen
sind. Die Benennung der einzelnen Gährungen erfolgt entweder nach
dem zu zerlegenden Material oder nach einem charakteristischen Gähr-
produkt, oder auch wohl nach dem Erreger. Bei jeder einzelnen Gährung
sind vor allem Material, Erreger, Chemismus und Produkte derselben,
dann ihre Abhängigkeit von den Versuchsbedingungen und eventuelle
hygienische oder gewerblich-technische Bedeutung derselben zu erörtern.
A. Gährungen durch Spaltung.
I. Vergährungen der Kohlehydrate.
1. Die alkoholische Gährung der Zuckerarten durch Hefe.
Das Material der alkoholischen Gährung kann entweder in direkt
vergährbarer Form dargeboten werden, oder es ist nur indirekt,
nach vorangegangener chemischer Umformung durch Fermente, die
unter Umständen auch von dem Gährungserreger selbst geliefert sein
Gotschlich, Gährungserregung. 221
können, vergährbar. Für Hefe direkt vergährbare Zuckerarten finden
sich nur unter denjenigen Monosacchariden, deren Anzahl von
C-Atomen 3 oder ein Multiplum dieser Zahl beträgt; so sind
nach E. Fischer (B. Ch. 23. IL 2137) ausser den noch näher zu
charakterisierenden gährfähigen Hexosen (C6H12Oti) nur die Glycerose
(C3H603) und die Mannononose (C9H1809) durch Hefe direkt ver-
gährbar, während Tetrosen, Pentosen, Heptosen und Oktosen hierzu
nicht fähig sind; einige derselben können indessen sehr wohl durch
Bakterien vergohren werden, woraus schon erhellt, dass die Gährfähig-
keit nicht blos von der Beschaffenheit des Substrats, sondern auch
von der Natur des Erregers abhängig ist und demnach eine kombi-
nierte Funktion beider darstellt. Unter den Hexosen spielt nun weiter
die Struktur und die molekulare Konfiguration der Verbindung
eine ausschlaggebende Rolle für die Gährfähigkeit. Was zunächst den
Unterschied zwischen Aldosen und Ketosen anbelangt, so findet
sich unter den letzteren (d. h. Zuckern, die die Ketongruppe -CO- ent-
halten) nur ein gährfähiger Zucker, die d-Fruktose (früher als Lävu-
lose bezeichnet); unter den Aldosen (Zuckern, in deren Molekül die Alde-
hydgruppe -CHO sich vorfindet) sind leicht vergährbar die d-Mannose
und d- Glukose (früher als Traubenzucker, Dextrose, bezeichnet); schwie-
riger vergährbar ist die d- Galaktose, welche von minder gährkräfti-
gen Arten, z. B. nach F. Voit (Z. f. Biol. 29. 149) vom Sacch. apicu-
latus, überhaupt nicht angegriffen werden kann. Alle anderen bekann-
ten Hexosen, also die optischen Antipoden der d-Mannose, d-Glukose,
d-Galaktose und d-Fruktose, die Talose, die Gulose und die zur Ketosen-
reihe gehörige Sorbose, sind unvergährbar. Die Konfigurationsformeln
der drei gährfähigen Aldosen sind nach E. Fischee (B. Ch. 24. II. 2685;
27. I. 385):
H HOHH
d-Glukose : CH2OH - C - C - C - C - COH
ÖHÖHH ÖH
H H OH OH
d-Mannose: CH2OH - C - C - C - C - COH
ÖHÖHH H
H OHOHH
d-Galaktose: CH2OH - C - C - C - C - COH
ÖHH H ÖH
Jede weitere Veränderung in der Stellung der H- und OH-Gruppen
an den 4 asymmetrischen C-Atomen hebt die Gährfähigkeit auf. Ein
besonders interessantes Beispiel hierfür bildet die d-Talose:
H OH OH OH
CH2OH - C - C - C - C - COH
ÖHH H H
222 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
welche, wie ersichtlich, in der Konfiguration zur d-Galaktose in dem-
selben Verhältnis steht, wie die d-Mannose zur d-Glukose; in beiden
Fällen handelt es sich um eine Vertauschung in der Stellung des H
und OH am letzten, der Aldehydgruppe benachbarten asymmetrischen
C-Atom; während aber bei der leicht vergährbaren d-Glukose diese
Verschiebung noch nichts ausmacht und aus ihr die ebenfalls leicht
vergährbare d-Mannose hervorgeht, genügt bei der d-Galaktose, die
wegen der von der d-Glukose abweichenden Konfiguration am zwei-
ten asymmetrischen C-Atom schon schwieriger der Gährung unter-
liegt, die weitere kleine Verschiebung am letzten asymmetrischen
C-Atom, um die Gährfähigkeit der d-Talose ganz zu vernichten. Die
Gährfähigkeit verschiedener Zucker ist also nicht etwa blos, wie das
verschiedene Verhalten optisch isomerer Verbindungen, von einem Unter-
schied in der Stellung einer Atomgruppe, sondern von der Kon-
figuration des gesamten Moleküls abhängig. Endlich gehört
hierher die Thatsache, dass nur die d-Verbindungen vergährbar
sind, während die korrespondierenden 1- Zuck er unvergohren blei-
ben. Daher werden nach Fischer (B. Ch. 23. I. 375 ff; IL 2114) die in-
aktiven racemischen Zucker durch Penicillium glaucum oder Bierhefe so
gespalten, dass der 1-Zucker übrig bleibt, während der d-Zucker vergoh-
ren wird; diese Spaltung ist für i-Glukose, i-Fruktose, i-Mannose und
i-Mannonsäure nachgewiesen.
Zu den indirekt gährfähigen Substanzen, die erst nach Be-
handlung mit Fermenten oder analogen chemischen Einwirkungen
direkt vergährbare Spaltprodukte liefern, gehören zunächst die Di- und
Polysaccharide, als Saccharose (Rohrzucker), Maltose, Isomaltose,
Milchzucker, Raffinose etc. Durch die im vorigen Abschnitt be-
sprochenen und teilweise von den Hefen selbst gelieferten Fermente
werden diese Körper in einfache, direkt gährfähige Hexosen zerlegt
(so z. B. Saccharose in d-Glukose und d-Fruktose, Milchzucker in d-Glu-
kose und d-Galaktose, Raffinose in d-Fruktose und Melibiose) und dann
vergohren. Eine scheinbare Ausnahme von dem Verhalten der Disac-
charide macht der Rohrzucker, indem er durch Monilia Candida nach
Hansen direkt ohne vorangegangene Inversion vergohren
wird; wenn aber auch aus diesem Pilz ein isolierbares invertierendes
Ferment nicht gewonnen werden konnte, und demgemäss die direkte
Vergährung des Rohrzuckers durch denselben gefolgert wurde, so ist
doch wahrscheinlich der Prozess so aufzufassen, dass auch hier zuerst
eine Spaltung des Rohrzuckers durch die lebende Zelle selbst
zustande kommt und erst die Komponenten desselben der direkten Ver-
gährung anheimfallen; auch in der lebenden Hefe kommt ja, wie oben
dargelegt, die Inversion mittelst Invertin nur innerhalb des Zellleibes
Gotschlich, Gährungserregung. 223
zustande; der Unterschied gegenüber der Monilia würde also nur darin
liegen, dass bei letzterer eine Trennung des invertierenden Prinzips
vom lebenden Plasma bisher unausführbar ist. Neuerdings ist es übrigens
E. Fischer u. P. Lindneb (B. Ch. 28. 3034) gelungen, durch frische,
mit Glaspulver zerriebene oder durch getrocknete Monilia Candida, die
keinerlei Gährwirkung mehr auszuüben vermochte, doch eine deutliche
Inversion des Rohrzuckers (mit Bildung von Invertzucker bis zu 60 °/0)
zu erzielen; das invertierende Agens war in Wasser nicht löslich und
konnte nicht rein dargestellt werden. Jedenfalls ist aber hiermit er-
wiesen, dass auch bei der Monilia Candida Inversion und Vergährung
getrennte Funktionen sind. Ferner wurde früher die Maltose für
direkt vergährbar gehalten; doch ist für viele Fälle bereits die
Existenz maltose-spaltender glukaseartiger Fermente in der Hefe nach-
gewiesen (vgl. S. 200); in anderen Fällen mögen vielleicht ähnliche Ver-
hältnisse obwalten, wie bei der „direkten" Vergährung des Rohrzuckers
durch Monilia. Als auch vom chemischen Standpunkte wahrschein-
lichste Annahme lässt sich wohl also die dargelegte Ansicht aufstellen,
dass nur Monosaccharide unmittelbar gährfähig sind, während bei
Disacchariden stets vorgängige Spaltung, sei es durch isolierbare Fermente,
sei es durch das lebende Plasma selbst, stattfindet. Ferner ist eine solche
Spaltung in allen Fällen anzunehmen, wenn höhere Zuckerderivate als
Gährmaterial dienen; hierher gehören Dextrine, Stärke, Inulin, zwei neue
vonTATTEET (CR. 117. 50) in Topinambour-Knollen nachgewiesene Kohle-
hydrate Helianthenin und Synarthrin etc.; diese Stoffe werden zuerst durch
diastatische Fermente verzuckert und erst dann vergohren. Glykogen
dagegen kann nach A. Koch und HosÄus (C. 16. 157) selbst von kräftigen
Hefen nicht vergohren werden. Praktisch hat wegen der leichten
Spaltbarkeit der Disaccharide und Stärkesubstanzen durch Fermente
das Unvermögen derselben zur direkten Vergährung gar keine Be-
deutung; im Gegenteil finden gerade diese Stoffe in den Gährungsgewerben
ausgedehnte Verwendung. Für die Gährungserreger selbst bedeutet ihre
Ausstattung mit verzuckernden und invertierenden Fermenten eine
wichtige Erweiterung ihrer Lebens- und Wirkungsfähigkeit. ■ —
Wenngleich eine Abspaltung von Alkohol undC02 aus Kohlehydraten
auch durch die Lebensthätigkeit zahlreicher Schimmelpilze und Bakterien
gelegentlich zustande kommt, so ist doch die massenhafte und fast
ausschliessliche Bildung dieser Produkte aus bestimmten
Zuckerarten, wie sie für die alkoholische Gährung charakte-
ristisch ist, nur bei Hefen und hefeartigen Sprossungen einiger
Schimmelpilze zu finden. Eine physiologische Einteilung der
Alkoholgährungspilze nach dem Gährsubstrat lässt sich im
wesentlichen den Angaben Hansens (Meddedelser etc. Bd.II. Heft 5), der
224 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Zusammenstellung Jörgensen's (Die Mikroorg. d. Gährungsindustrie.
S. 131 ff.) und den Untersuchungen von E. Fischer und Thierfelder
(B. Ch. 27. 2031) gemäss etwa folgendermassen aufstellen.
d) Echte Saccharomyceten mit endogener Sporenbildung.
1. Solche, die Alkoholgährung verursachen und isolierbare inver-
tierende Fermente ausscheiden.
a) Solche, die d-Glukose, d-Mannose, d-Galaktose, d-Fruktose, sowie Saccharose,
Maltose, aber nicht Laktose vergähren. Hierzu gehören Hansen's 6 Hefearten:
S. cerevis. I, S. Pastorian. I, II, III, S.ellipsoid.I, II, sowie sämtliche in der Brauerei-
industrie verwandten untergährigen Rassen. Die d-Galaktose wird von einigen
Arten, so von S. ellipsoid. II nur schwach vergohren. Bei gleichzeitigem Vor-
handensein von d-Glukose und d-Fruktose, wie z. B. nach Inversion des Rohr-
zuckers, wird von den meisten Hefen die d-Glukose bevorzugt und daher rascher
vergohren als die d-Fruktose; es giebt aber nach Gayon u. Dubourg (C. R. 110. 865)
auch Hefen, die das umgekehrte Verhalten zeigen.
ß) Solche, die von den Disacchariden nur Saccharose vergähren, Maltose
und Laktose dagegen nicht angreifen; S. Marxianus, S. exiguus, S. Ludwigii.
y) Solche, die Laktose vergähren, als die von Duclaux (P. 87. 573),
Adametz (C. 5. 116), Grotenfeldt (F. 89. 121), Beijerinck (C. 6. 44), Kayser
(P. 91. 395), Schnurmatjs-Stekhoven (ref. K. 1891. 136), Bociccmo (C. XV. 548),
Fischer und Thierfelder (B. Ch. 27. 2031) beschriebenen Arten.
2. Solche, die weder gährende, noch invertierende Wirksamkeit
äussern. Hierher gehören Sacc. membranaefaciens Hansen und zwei demselben
sehr ähnliche, von Pichi entdeckte Arten.
b) Sprosspilze ohne Endosporenbildung.
1. Sacch. apiculatus vergährt nur d-Mannose, d-Fruktose, d-Glukose, und zwar
sehr langsam, gar nicht die d-Galaktose; invertierende Wirkung fehlt, daher werden
Rohrzucker, Milchzucker und Maltose nicht vergohren.
2. Torula- Arten geben grossenteils nur wenig Alkohol; einige bewirken In-
version des Rohrzuckers und vergähren d-Glukose und Invertzucker, nicht aber
Maltose.
3. Monilia Candida produziert kein isolierbares invertierendes Fer-
ment, vergährt Rohrzucker „direkt", vergährt d-Glukose leicht, Maltose
schwieriger und nur in Gegenwart N-haltigen Nährmaterials.
4. Mykoderma zeigt weder Gährthätigkeit, noch invertierende Wirksamkeit.
c) Hefeartige Sptrossungen von Schimmelpilzen.
Werden Schimmelpilze, besonders Mukorarten in zuckerhaltige Nährlösungen
untergetaucht und so zu anaerober Existenz gezwungen, so bilden sich, wie be-
reits erwähnt, hefeartige Sprossungen, die eine ziemlich energische Gährthätigkeit
entfalten können. Verschiedene Arten zeigen nach Hansen (a. a. 0.) Verschieden-
heit ihrer chemischen Leistung; so vergährt Mucor erectus d-Glukose und Maltose,
Dextrin und sogar Stärke nach vorangegangener Verzuckerung; Rohrzucker wird
weder invertiert noch vergohren; Mucor racemosus vergährt schwächer d-Glukose
Gotschxich, Gährungserregung. 225
und Maltose, auch Rohrzucker nach vorgängiger Inversion; Mucor spinosus und
Mucor mucedo vergähren nur d-Glukose und Maltose, letztere aber nur schwach.
Ausserdem sind in neuester Zeit mehrfach hefeartige Sprossungen von
Schimmelpilzen beschrieben worden, die sich durch ihre Endosporenbildung und
Gährthätigkeit als echte Saccharomyceten erwiesen, so dass hiernach vielleicht
sämtliche Saccharomyceten in den Entwicklungskreis von Schimmelpilzen gehören
würden. So fand Jtjhler (C. C. I. 16 u. 326), dass Konidien des Aspergillus
oryzae in zuckerhaltigen Nährlösungen sich zu typischen Saccharomyceten um-
bilden. Jörgensen (ebd. 322) bestätigte dieses Resultat und wies auch für die
Weinhefe, den Sacch. ellipsoideus, einen ähnlichen Ursprung aus dematium- oder
chalaraähnlichen Schimmelpilzen , die auf den Trauben vegetieren , nach. Gegen
die Richtigkeit dieser Angaben hat sich jedoch bereits von Kosai u. Yabe (C. C.
I. 609 und Kxöcker u. Schiönning (ebd. 777) Widerspruch erhoben; endgiltige
Entscheidung bleibt abzuwarten.
Unter den Angehörigen der einzelnen Gruppen finden sich wieder
Verschiedenheiten je nach der Art und Grösse der Leistung bei der
Vergährung. Bekannt ist die alte Unterscheidung der Brauereihefen
in Ober- und Unterhefe; bei ersterer bilden sich die Sprossungen
rascher aus, es entstehen zusammenhängende Zellkomplexe, welche durch
den Strom von C02 -Bläschen leicht an die Oberfläche gerissen werden;
bei der Unterhefe erfolgen die Sprossungen langsam, es entstehen nur
kleine Sprossverbände, die am Boden liegen bleiben; die Gährung
erfolgt bei der Unterhefe weniger stürmisch und meist bei einem
niedrigeren Temperaturoptimum wie bei der Oberhefe. Ein Unterschied
besteht ferner darin, dass die in der Bierbrauerei verwendeten Unter-
hefen Melibiose nach vorgängiger Spaltung in Glukose und Galaktose
vergähren, während Oberhefen dazu nicht imstande sind (Fischee u.
LiNDNEE,B.Ch.28.3034;BAU,Chemiker-Ztg.l895.Nr.83). Während früher
nach Reess und Pasteue angenommen wurde, dass die eine dieser Formen
sich leicht in die andere umbilden könne, ist jetzt von Hansen (Unters, a.
d. Praxis d. Gährungsindustrie. I. 70f. 1895) mit Bestimmtheit nachge-
wiesen, dass derartige Umbildungen selbst bei jahrelanger Fortzüchtung
nicht vorkommen; jede Hefeart bewahrt vielmehr ihren Charakter als
Ober- oder Unterhefe als konstantes Merkmal. — Ferner unterscheidet
man je nach dem Umfang und der Geschwindigkeit der Vergährung
schwache und kräftige Hefen. —
Die Art und Weise der Zerlegung der Hexosen durch die Hefe-
gährung hat man früher durch eine sehr einfache chemische Gleichung
dargestellt. Man glaubte, dass eine Spaltung des Zuckermoleküls in
2 Moleküle Alkohol und 2 Moleküle C02 stattfinde; C6H12 06 =
2C2H5OH+ 2C02. Pasteite wies zuerst nach, dass regelmässig
noch eine Reihe von Nebenprodukten auftritt, selbst wenn mög-
lichst reines Gährmaterial benutzt wird; die thatsächlich gefundene
Menge Alkohol ist stets geringer als die aus der obigen einfachen
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 15
22(3 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Formel theoretisch hergeleitete; ca. 6% des umgesetzten Zuckers sind
für die Entstehung der Nebenprodukte verbraucht. Unter diesen letzteren
treten in vorwiegender Menge Glycerin und Bernsteinsäure auf;
die Menge des ersteren entspricht im Durchschnitt 2,5 — 3,6 % des ver-
gohrenen Zuckers, die der Bernsteinsäure 0,4 — 0,7 % desselben; ausser-
dem finden sich konstant als Beimengungen Spuren von Aldehyd und
Essigsäure, ferner Acetal, höhere Alkohole, wie Propyl-, Butyl-,
Amyl-, Hexylalkohol (letzterer besonders im Spiritus aus Rübenmelasse),
deren Gemenge als Fuselöl bekannt ist, Furfurol und ätherartige
Stoffe, welche letzteren insbesondere bei der Gährung des Weines als
Boucjuetbildner eine wichtige, noch zu • besprechende Rolle spielen.
Während für die früheren Gährversuche die Möglichkeit bestand, dass
diese Nebenprodukte nicht der alkoholischen Gährung selbst, sondern
der Mitwirkung fremder, zufällig eingedrungener Mikroben ihre Ent-
stehung verdanken, kann dieser Einwand einer ganzen Reihe neuerer
Untersuchungen gegenüber, die mit tadellosen Hefe-Reinkulturen unter
allen Vorsichtsmassregeln angestellt wurden und bei denen trotzdem
die erwähnten Nebenprodukte auftraten, nicht mehr aufrecht erhalten
werden; vgl. z. B. Boegmann (C. 1. 8), Lindner (r. ebd. 3. 749),
Amthoe (r. ebd. 4. 650; Z. physiol. Ch. XII. 64), Maetinaud (C. R,
107), Thylmann und Hilgee (A. 8. 451), Rau (ebd. 14. 225),
Woetmann (Landw. Jahrb. 1892. 906 u. r. Koch 1893. 159), Katsee
(P. 90. 321), Mach und Portele (L. V. 41. 233), Roesee (P. 93.
41). Diese Untersuchungen haben ferner ergeben, dass das Ver-
hältnis der einzelnen Produkte bei verschiedenen Hefearten ein ver-
schiedenes ist; es ist deshalb nicht möglich, der Bildung dieser
Nebenprodukte durch eine allgemein giltige, kompliziertere Gährungs-
gleichung Genüge zu leisten, wie dies früher von Pasteue u. Monotee
versucht worden ist. Sehr wichtig für die Praxis der Gährungsindustrie
sind ferner jene Unterschiede in der chemischen Leistung verschiedener
Hefearten, die die ätherartigen, aromagebenden oder Bouquetstoffe des
Gährproduktes, speziell des Weines betreffen und sich deutlich in ver-
schiedenem Geschmack und Aroma der verschiedenen Gährprodukte
kundgeben; hierauf ist später noch zurückzukommen. Die Bildung der
Nebenprodukte der alkoholischen Gährung ist aber nicht nur von der
Natur des Erregers, sondern ausserdem noch von den äusseren Versuchs-
bedingungen abhängig. So fand Beefeld, dass die Nebenprodukte
sich um so mehr anhäufen, je ungünstiger die Verhältnisse für den
Gährungserreger liegen; daher häufen sich dieselben gegen Ende der
Gährung an und kommen besonders reichlich bei solchen Gährungs-
erregern zustande, die nur mühsam eine Gährung unterhalten und
eigentlich auf andere Existenzbedingungen angewiesen sind, z. B. bei
Gotschlich, Gährungserregung. 227
Mucor stolonifer und mucedo; auch scheint nach Pasteue sowie nach
Mach und Poetele (L. V. 41. 261) alte Hefe mehr Bernsteinsäure
und Glycerin zu liefern als frische. Für die Bedingungen der Glycerin-
und Bernsteinsäurebildung konstatierten Thylmann u. Hilgee (a. a. 0.)
bezw. Ratt (a. a. 0.) Folgendes: Niedere Temperatur verringert die
Glycerinbildung, nicht aber die Bernsteinsäureproduktion; Nährstoff-
zusatz zum Gährgemisch ruft erhöhte Glycerinbildung hervor, vermehrt
aber die Bernsteinsäuremenge nicht; die Entstehung beider Neben-
produkte geht in gleicher Weise bei Zutritt und Abschluss der Luft
vor sich. Auffallend gering war die Glycerinproduktion in mehreren
Fällen, in denen reine Hefen angewandt wurden. Die Produktion
der höheren Alkohole erfolgt nach Lindet (C. R. 107. 182; 112. 102)
erst in den späteren Stadien der Gährung und wird durch niedrige
Temperaturen unterdrückt. Aldehyd entsteht nach Roesee (a. a. 0.)
bei Luftzutritt in weit grösserer Menge als bei Luftabschluss und ver-
dankt wahrscheinlich, wenigstens teilweise, seine Existenz einer durch
die Hefe vollzogenen Oxydation des Alkohols. Man kann sich vielleicht
vorstellen, dass in einigen der besprochenen Nebenprodukte nicht direkte
Abbauprodukte des vergohrenen Zuckers zu sehen sind, sondern dass
sie dem von der Gährwirkung unterschiedenen und neben ihr hergehen-
den Stoffwechsel der Hefe angehören. Für diese Ansicht könnten
manche Punkte herangezogen werden, so z. B. die Thatsache, dass die
Aldehydbildung nach Roesee auch in Nährlösungen vor sich geht, die
gar kein gährfähiges Substrat enthalten, ferner die durch v. Udeanszky
(Z. physiol. Ch. 13. 539) bei Hefe beobachtete Glycerinproduktion
ohne gleichzeitige C02 -Bildung unter Umständen, unter denen, sowohl
Gährwirkung als Selbstvergährung der Hefe ausgeschlossen waren, sowie
die von demselben Autor beim Absterben der Hefe festgestellte Glycerin-
produktion ohne C02 -Entwicklung. Indessen spricht doch auch man-
ches, so insbesondere die eigentümliche Qualität der Produkte, ihr fast
regelmässiges Auftreten bei jeder alkoholischen Vergährung des Zuckers,
gegen die allgemeine Zulässigkeit einer solchen Annahme. Die Frage nach
der Bedeutung der Nebenprodukte ist offenbar noch nicht abgeschlossen.
Über die Veränderungen, welche dasGährprodukt der Hefe bei jahrelangem Ver-
weilen der letzteren in dem gegohrenen Substrat erleidet, haben Raymann und
Kruis (r. K. J. 1891. 125) Untersuchungen unter Verwendung von Reinkulturen an-
gestellt. Der Alkohol verbleibt neben der Hefe jahrelang unverändert, wenn die
Flüssigkeit bei niedriger Temperatur und Luftabschluss aufbewahrt wird; anderen-
falls steigt die Hefe an die Oberfläche, bildet hier eine Kahmhaut und oxydiert
den gebildeten Alkohol weiter zu C02 und H20. Die in der Flüssigkeit ent-
haltenen Eiweisskörper werden, sobald der Hefe keine gährfähigen Kohlehydrate
mehr zur Verfügung stehen, angegriffen und bis zu Amiden und Ammoniaksalzen
organischer Säuren hydratisiert ; ausserdem findet eine Oxydation der Eiwei
15*
228 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
produkte zu Ameisen- und Valeriansäure statt. Auch Dtjclaux (P. 93. 537)
fand bei längerem Lagern von Weinproben mit Krankheitshefen Fortgehen der
Oxydationsprozesse im Wein; in sterilisierten Weinen fand dagegen selbst nach
20jähriger Lagerung keine weitere Oxydation, jedoch eine erhebliche Ester-
bildung statt.
Unter normalen Verhältnissen, wo wie in der Gährungsindustrie
von einer ganz geringen Aussaatmenge ausgegangen wird, findet stets
bei der Vergährung des Zuckers eine gleichzeitige Vermehrung
der Hefe zellen statt. Diese Vermehrung steht cet. par. in direktem
Verhältnis zur Menge des umgesetzten Zuckers, bezw. des neugebilde-
ten Alkohols; nach Ad. Mayer (L.V. 16. 301) beträgt sie, berechnet
auf trockene Hefesubstanz, etwa 1,38 — 2,03 °/0 des neugebildeten Alko-
hols. Durch reichliche Lüftung kann die Vermehrung der Hefe
erheblich gesteigert werden. Selbstverständliche Voraussetzung zum
Zustandekommen einer reichlichen Hefevermehrung ist die Anwesen-
heit genügender Mengen organischer Nährstoffe. In einer gegebenen
Gährflüssigkeit kann daher nur eine ganz begrenzte Anzahl von Hefe-
zellen vegetieren, die Hefeernte ist daher unabhängig von der Aus-
saatstärke (Brown: r. K. 92. 101); werden von vornherein mehr Hefe-
zellen in die Gährflüssigkeit gebracht, als darin nach Massgabe der
Versuchsbedingungen sich überhaupt entwickeln könnten, so tritt gar
keine Vermehrung ein. Nichtsdestoweniger findet hierbei doch
Gährung statt; auf diese Weise ist es auch möglich, sogar in reinen
Zuckerlösungen durch grosse Hefegaben Gährung hervorzurufen, wo-
bei freilich eine an N-haltigen Stoffen sehr erschöpfte Hefe zurück-
bleibt. Auch unter normalen Verhältnissen bei Hefevermehrung gehen
die vegetative und die Gährungsenergie der einzelnen Hefe-
zelle nicht immer parallel. Ob im zeitlichen Verlauf der Gährung
das Maximum der Energieentfaltung bezüglich Teilung und Gähr-
wirkung zusammenfällt, ist noch nicht eindeutig entschieden; Brown
(a. a. 0.) behauptet es, während Andere, wie z. B. Mach u. Portele
(r: K. 1892. 130), annehmen, dass zuerst die vegetative, dann die
Gährungsenergie ihr Maximum zeige. Sicher geht die Vergährung
noch weiter fort, nachdem die Vermehrung der Zellen längst aufgehört
hat. Ferner besteht ein solcher Parallelismus nicht bei der Erhöhung
der Vermehrungsenergie der Hefe durch ausgiebige Lüftung; hier ist
nach van Laer (r: K. 1893. 137) zwar die Gesammtmenge der
in einer gegebenen Zeit stattfindenden Zuckerumsetzung wegen der
grösseren Zahl der beteiligten Individuen vermehrt, doch die Gäh-
rungsenergie der einzelnen Zelle geringer als bei Luft-
abs chluss. In merkwürdigem Gegensatz zu diesem Verhalten der
normal sprossenden Hefe steht die Thatsache, dass Hefe, die in so
Gotschlich, Gährungserregung. 229
grossen Mengen in die Gährflüssigkeit gebracht ist, dass keine weitere
Vermehrung mehr stattfinden kann, doch durch Sauerstoffzufuhr in
ihrer Gährleistung, also natürlich auch in der Gährungsenergie jeder ein-
zelnen Zelle gefördert wird (Brown, 1. c). Es hat vorläufig noch nicht
gelingen wollen, diese divergenten Thatsachen zwanglos unter einen
Gesichtspunkt zu vereinen. Hierher gehört endlich noch Effront's
(r: K. 1891. 156) Beobachtung, dass durch Fluorverbindungen in
bestimmten Koncentrationen Hefe zwar in ihrer Vermehrungsfähig-
keit beeinträchtigt wird, wobei jedoch die Gährenergie der Einzelzelle
sogar eine Steigerung erfährt; ein analoges Resultat ergiebt sich aus
den Versuchen von Foth (C. 1. 502) für Hefe in C02 -Atmosphäre.
Betreffs der Abhängigkeit der Gährung von äusseren Beding-
ungen kommt neben dem bereits besprochenen Nährstoffgehalt
der Lösung die Koncentration der Zuckerlösung in Betracht.
Zuckerlösungen von 5 — 20°/0 werden nach Brown (1. c.) annähernd
mit der gleichen Intensität vergohren; 30proz. Lösungen vergähren
langsamer. Nach Dumas (A. eh. ph. 1874) ist die Dauer der
Gährung annähernd der vorhandenen Zuckermenge direkt proportional.
Die Diffusion kann nicht der beherrschende Faktor bei der Gährung
sein, da Gayon u. Dubourg (C. R. 110. 865) fanden, dass verschiedene
Hefen verschiedene Zuckerarten in einem ganz anderen Verhältnis ver-
gähren, als deren Diffusionsfähigkeit entspricht. Als Temperatur-
optimum ist im allgemeinen etwa 25° anzusehen, doch ist dasselbe
unter dem Einfiuss verschiedener anderer äusserer Faktoren verschieb-
bar. — Der Fortdauer der Gährung wird sehr bald ein Ziel gesetzt
durch die Ansammlung der Gährprodukte; ein Gehalt von 12°/0
Alkohol hemmt bereits das Wachstum der Hefe, und bei mehr als
14°/0 Alkohol sistiertjede Gährung. Für Mukorhefe liegt diese Grenze
noch viel tiefer, bei 374 — 4 °0 (bei Mucor stolonifer gar nur bei 1,3 °/0);
Mukorhefe ist auch gegen stärkere Koncentration der Zuckerlösung
viel empfindlicher, da nur bis zu einem Zuckergehalt von 7 °/0 aus-
giebige Gährung eintritt. Verschiedene Hefearten scheinen gegen die-
selbe Koncentration ihrer flüchtigen Gährprodukte sehr verschiedene
Resistenz zu zeigen; so soll nach Prior (C. C. 1. 432) der durch
die „schwache" Saazer Hefe erreichte niedrige Endvergährungsgrad sich
durch die Empfindlichkeit dieser Hefe gegen ihre Gährprodukte erklä-
ren; werden dieselben durch Überdestillieren im Vakuum stetig ent-
fernt und sonst für günstige Gährungsbedingungen Sorge getragen,
so lässt sich auch mit dieser schwachen Hefe eine fast vollständige
Vergährung erreichen.
Den zeitlichen Verlauf der Gährung hat Cochin (CR. 96) durch
fortlaufende Messung der entwickelten C02 -Mengen zu bestimmen ge-
230 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
sucht. Er fand, dass immer zunächst 10 — 20 Minuten vergehen, bis
lebhafte Gährung eintritt, in verdünnten Lösungen noch längere Zeit.
Diese Inkubationszeit kommt nicht etwa dadurch zustande, dass die
Zuckerlösung zunächst ins Innere der Zellen eindringen muss und
dazu eine gewisse Zeit verbraucht; denn sie ist auch dann zu beob-
achten, wenn die Hefe direkt aus bereits gährender Zuckerlösung in
neue Lösung übertragen wird. Der weitere Verlauf der Gährung lässt
sich durch eine steil aufsteigende Curve versinnlichen, die nach neueren
Untersuchungen von Bkown (1. c.) sich sehr der Geraden nähert, jeden-
falls von einer für rein chemische Umsetzungen berechneten Kurve
völlig abweicht; die Gährung kann also nicht etwa als ein durch eine
von der Zelle ausgeschiedene chemische Substanz zustande kommender
einfacher chemischer Prozess angesehen werden.
Besondere Beachtung ist von vielen Forschern der sog. Selbstvergährung
der Hefe geschenkt. Dieselbe findet statt, wenn grosse Massen frischer, lebens-
kräftiger Hefe mit reichlich Wasser bei ungenügendem Luftzutritt und günstiger
Temperatur (25 — 30°) sich selbst überlassen werden. Es wird unter diesen Um-
ständen reichlich C02 und Alkohol gebildet; die Hefe geht in einen erweichten
Zustand über und lässt in das wässrige Extrakt zahlreiche Stoffe übertreten,
die zum Teil als Eiweissspaltprodukte (Tyrosin, Butalanin, Carnin, Sarkin, Guanin,
Xanthin etc.) angesprochen werden müssen. Die Produktion von C02 und Alkohol
Hesse sich entweder dadurch erklären, dass vergährbarer Zucker in der Hefe vor-
handen war, oder dass irgend ein Bestandteil der Hefe, sei es ein Kohlehydrat
oder eineProtei'nsubstanz, sich leicht in Zucker umwandelte. Nach Pasteur finden
sich nun in der That stets in der Hefe zuckerähnliche Stoffe, die als solche schwer
extrahierbar sind, aber z. B. durch Mineralsäuren die Umwandlung in Zucker er-
leiden; diese, sowie die Cellulose der Zellmembran sollten nach Pasteur das
Material der Selbstvergährung liefern. Liebig vertrat eine andere Anschauung;
da er zuweilen bei der Selbstvergährung so grosse Mengen von C02 und Alkohol
entstehen sah (8 — 13,5% Alkohol vom Trockengewicht der Hefe), dass der ge-
samte Gehalt der Hefe an Kohlehydraten nicht ausreichte, um diese Menge von
Gährprodukten zu liefern, nahm er an, dass dieselben aus einer Spaltung der
Eiweisssubstanzen der Hefezellen hervorgehen, und sah darin eine Stütze seiner
allgemeinen Anschauung, nach welcher der wesentliche bei jeder Gährung statt-
findende Vorgang stets die Zersetzung einer komplizierten Protemsubstanz und
Übertragung der chemischen Bewegung von dieser auf die Zuckermoleküle sei.
Nägeli wies jedoch nach, dass bei der Selbstvergährung kein auf die Hefe allein
beschränkter Prozess vorliege, sondern dass in den früheren Versuchen zweifellos
Spaltpilze an der Zersetzung mitgewirkt haben. Die C02- und Alkohol-Produktion
kann dann ebenso wie die Bildung der N-haltigen Produkte auf die Gährthätigkeit
dieser Spaltpilze zurückgeführt werden, für deren Vermehrung ja alle Bedingungen
gegeben waren. Wurde die Ansiedlung dieser fremden Eindringlinge z. B. durch
Zusatz von Citronensäure erschwert, so fanden sich immer nur minimale Spuren
Alkohol, die vielleicht durch Vergährung der geringen in der Hefe präformierten
Zuckermengen entstanden. Dieser letztere Vorgang würde den Zersetzungen im
hungernden Tier ganz analog sein. Dass aber weiterhin auch die Prote'insubstanzen
Gotschlich, Gährungserregung. 231
der erschöpften Hefezellen durch die Gährthätigkeit anderer lebender Hefezellen
angegriffen werden, dafür fehlen bisher alle sicheren Anhaltspunkte.
In der technischen Verwertung der Alkoholgährung bei
der Brauerei, Brennerei, Weinbereitung etc. benutzte man früher als
Gährungserreger unkontrollierbare Hefegemische, die als "Weinhefe, Bier-
hefe u. dgl. bezeichnet wurden Nachdem sich aber durch die Unter-
suchungen von E. Che. Hansen (C. R. laborat. d. Carlsberg: Unters, a.
d. Praxis d. Gährungsindusrie. H. 1 u. 2) herausgestellt hat, dass viele
Krankheiten des Bieres, als schlechter bitterer Geschmack, mangelhafte
Klärung, geringe Haltbarkeit etc. durch „wilde Hefen" bewirkt werden,
die zufällig in die Gährbottiche gelangen und die Thätigkeit der Kultur-
hefen stören, — nachdem ferner durch die Arbeiten desselben Autors die
Möglichkeit gegeben war, Hefe sicher rein zu züchten und durch Aus-
sat derselben ein ganz bestimmtes zuverlässiges Gährprodukt zu er-
halten, erschien es geboten, auch bei der Brauerei im grossen
reine Hefearten und sterilisierte Würze anzuwenden. Dies ist
zuerst von Hansen, später von vielen Anderen mit durchweg aus-
gezeichnetem Erfolge unternommen worden; zahlreiche Brauereien
arbeiten bereits mit grossem Vorteil nach diesem Prinzipe, welches
wirksam vor dem Eindringen von Krankheitshefen und anderen Bier-
krankheiten verursachenden Mikroben (als Bacillen, Sarcinen etc.) schützt
und jede Unsicherheit aus dem Gährungsbetriebe verbannt. Das zuerst
für Untergährung angegebene Prinzip Hansen's ist nach Jörgensen
auch in obergährigen Brauereien anwendbar. Berichte über die Er-
fahrungen, welche man mit Hansens Verfahren gemacht hat, finden
sich in grosser Anzahl in den erwähnten Werken Hansens und
Jörgensen' s zusammengestellt. Neuerdings ist das HANSEN'sche Prinzip
mit grossem Vorteil auch bei der Wein- und Schaumweinberei-
tung (vgl. u. a. Wortmann, r: K. 1893. 159), sowie von Greg
(r: C. 15. 46) bei der Rumfabrikation angewandt werden. Ja, man
ist noch einen Schritt weiter gegangen: auf die Überlegung gestützt,
dass verschiedene Arten von Hefen verschiedene charakteristische Aroma-
stoffe erzeugen, auf denen teilweise die verschiedene Qualität differenter
Weinsorten beruht, hat man versucht, minderwertige Weine durch
Impfung mit vorzüglich aromagebenden Hefen zu veredeln.
Diese Versuche, die schon in grosser Zahl angestellt sind, haben im
allgemeinen ein günstiges Resultat ergeben; nur darf man nicht ver-
langen, dass die Thätigkeit der Hefe den ganzen Charakter des Weines
ändern und etwa aus einem ganz minderwertigen Gährmaterial ein vor-
zügliches Produkt erzeugen soll. Der Grundcharakter des Weines,
beruhend auf den von der Rebe fertig gelieferten „primären Bouquet-
stoffen" (Müller-Thurgau, Wortmann) bleibt ungeändert; die von
232 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
der Hefe gelieferten „sekundären Bouquetstoffe" vermögen auf
dieser Grundlage jedoch Modifikationen des Geschmacks und Aromas
hervorzurufen. Eine besonders dankbare Wirkung wird daher bei Ver-
edlung minderwertiger Moste, die wenig primäre Bouquetstoffe enthalten,
beispielsweise bei Veredlung von Obstwein durch Weinhefen (Nathan,
r: K. 1893. 1601 erzielt,
2. Oxalsäuregährung
in Lösungen von d- Glukose, Galaktose, Maltose, Rohrzucker, Milchzucker, Mannit,
Dulcit und Glycerin konstatierte Zopf (Ber. d. dtsch. botan. Ges. 1889. 94) bei
seinem echten endosporen „Saccharomyces Hansemi".
3. Citronensäuregährung
von Zuckerarten sah Wehmer (C. 15. 427) durch zwei neu entdeckte Schimmel-
pilze: Citromyces Pfefferianus und glaber, zustande kommen. Die Ausbeute ist so
reichlich, dass an eine technische Verwertung des Verfahrens gedacht werden kann.
4. Milchsäuregährung.
Das Material für die Milchsäuregährung liefern Traubenzucker,
Rohrzucker, Milchzucker (letztere beiden wahrscheinlich erst nach vor-
gängiger Inversion), Rhamnose, Mannit, Sorbit.
Spontan tritt die Milchsäuregährung regelmässig in der Milch auf,
wenn diese 3 — 4 Tage bei Zimmertemperatur oder besser noch bei
30° gehalten wird; ausserdem wird sie sehr häufig bei Fruchtsäften,
Rübensaft, vegetabilischen Stoffen, wie Rübenschnitzeln, beobachtet und
bei der Herstellung des Sauerkrauts und Sauerfutters verwertet. Künst-
lich erhält man Milchsäuregährung auch durch mehrtägiges Stehenlassen
einer mit etwas altem Käse und geschlemmter Kreide versetzten Rohr-
zuckerlösung von geringer Koncentration bei 30 — 35°; der milchsaure
Kalk lässt sich in einfacher Weise gewinnen.
Als Erreger dieser Gährung können eine ganze Reihe von
Bakterien fungieren. Bei der spontanen Milchsäuregährung in der
Milch sind zuerst von Hueppe (M. G. II), später von Grotenfelt
(F. 1889. 121) u. A. Bacillen als Erreger isoliert worden, die in Rein-
kultur auf sterile Milch übertragen typische Milchsäuregährung hervor-
riefen. Daneben sind aber auch noch viel andere Bacillen, ferner
Kokken, so von Lübbert (Biolog. Spaltpilzunters. S. 35), ferner von
Fokker(Z.9.41), auch Sarcinen,so vonLiNDNER(r:C.2.340)beschrieben,
und nach Gosio (A. 21. 114; 22. 1) und Kuprianow (ebd. 19. H. 3) auch
Vibrionen zu dieser Gährwirkung befähigt. Das Hauptprodukt der
Gährung ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Athyliden-
milchsäure: CH3-CHOH.COOH; nur Hilger (A. Ch. Pharm. 160. 336)
will in einem Falle neben Propion- und Buttersäure die isomere Äthylen-
Gotschlich, Gährungserregxmg. 233
milchsäure: CH2OH-CH2.COOH erhalten haben. Die Äthylidenmilch-
säure tritt in drei optisch isomeren Modifikationen als Gährprodukt
auf: erstens als gewöhnliche, optisch inaktive sog. Gährungsmilch-
säure, ausserdem aber in zwei optisch aktiven Formen als Rechts-
bezw. Linksmilchsäure, deren erstere mit der längst bekannten
Fleisch- oder Paramilchsäure des Muskels identisch ist. Die Linksmilch-
säure wurde erst neuerdings von Schakdinger (M. Ch. 11. 545) als
Produkt einer durch einen Wasserbacillus erzeugten Gährung erhalten.
Die Zinksalze der beiden optisch aktiven Milchsäuren verhalten sich in
optischer Beziehung gerade umgekehrt wie die zugehörigen Säuren;
das Paralaktat dreht links, während das Zinksalz der Linksmilchsäure
rechtsdrehend ist. Die inaktive Gährungsmilchsäure ist als eine race-
mische Verbindung, analog der Traubensäure aufzufassen; hierfür sprechen
die Krystallisationsversuche Scharding-er's, sowie die durch Lewkowitsch,
Linossier (r:K. 1891. 177) und Frankland u.Mac Gregor (r: ebd. 1893.
193) konstatierte Spaltung der inaktiven Säure durch Mikro-
organismen, wobei nach Angabe letzterer Autoren die linksdrehende
Säure zuerst zersetzt wird und die Fleischmilchsäure übrig bleibt. Welche
der drei optisch isomeren Athylidenrnilchsäuren als Gährprodukt auf-
tritt, hängt zunächst von der Natur des Erregers ab. So fand Schar-
dinger (r: C. 15. 48) unter 9 Arten von Milchsäure produzierenden Bak-
terien bei 2 die inaktiven, bei 7 Arten die aktiven Milchsäuren; ferner
unterscheiden sich nach Gosio und Kttprianow selbst nahe verwandte,
zu derselben Gruppe gehörige Bakterien, nämlich die choleraähnlichen
Vibrionen, durch die Natur der entstehenden Milchsäure: der Vibrio
choleraeasiaticae, sowie die Vibrionen von Finkler-Prior, Metscbznikofe,
Weibel, Dunbar, Wernicke I, II und III, Vibrio Massaua und Vibrio
danubicus bilden Linksmilchsäure, während die Vibrionen von Deneke
und Bonhoef a die rechtsdrehende und endlich Vibrio aquatilis, Bero-
linensis und Bonhoee b die inaktive Modifikation erzeugen; analoge
Differenzen existieren nach Blachstein (r: K. 1892. 80) zwischen
Typhus- und manchen Colibacillen. Ausserdem hängt aber die
Natur der gebildeten Säure auch von der chemischen Natur des
Gährsubstrats und den sonstigen Versuchsbedingungen, insbesondere
den Ernährungsverhältnissen des Erregers ab; so fand Täte (r: K.
1893. 191) bei demselben Bakterium Bildung von Linksmilchsäure
aus d- Glukose und Mannit, von inaktiver Milchsäure dagegen bei
der Vergährung von Rhamnose; nach Pere (P. 92. 512) bildet dasselbe
Bact. coli bei Vergährung der d-Glukose unter Luftzutritt Rechtsmilch-
säure, aus d-Fruktose inaktive Milchsäure; bei länger fortgesetzter Kultur
unter schwierigen Ernährungsbedingungen hingegen wird letztere ge-
spalten und von den entstehenden Komponenten die Linksmilchsäure
234 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
stärker angegriffen. Derselbe Autor fand in einer späteren Unter-
suchung (P. 93. 737), dass manche Colibacillen, die bei günstigen Er-
nährungsbedingungen Rechtsmilchsäure liefern, unter ungünstigeren
Verhältnissen Linksmilchsäure produzieren; andere Arten vermögen
überhaupt nur Linksmilchsäure zu bilden; entweder muss also die Pro-
duktion der Linksmilchsäure für die Zelle leichter sein, als die der
rechtsdrehenden Form, oder die Linksmilchsäure wird schwieriger weiter
zersetzt als die Rechtsmilchsäure. Jede Zuckerart scheint also, je nach
der Natur des Erregers und der Gährungsbedingungen, zur Abspaltung
aller 3 optischen Isomeren der Athylidenmilchsäure fähig zu sein.
Die Art der chemischen Umsetzung stellte man sich früher
in sehr einfacher Weise so vor, dass ein Molekül Hexose glatt in zwei
Moleküle Milchsäure gespalten würde:
CcHi206 = 2C3HC03.
Eine solche einfache Spaltung, die unter allen übrigen Gähr-
prozessen ganz ohne Analogie dastände und überhaupt kaum mehr zur
Gährung zu rechnen wäre, findet aber hierbei mit Bestimmtheit nicht
statt. Nur etwa 83°/0 des umgesetzten Zuckers finden sich nämlich
in Form von Milchsäure wieder; der Rest wird auf die Produktion
von Nebenprodukten verwandt. Zwar haben die von früheren Beob-
achtern erhaltenen Nebenprodukte (Alkohol, Buttersäure, Mannit, Gummi)
wahrscheinlich keine direkte Beziehung zur Milchsäuregährung, son-
dern sind vielfach nur der gleichzeitigen Wirksamkeit anderer Mikro-
organismen zuzuschreiben; doch ist es auch gelungen, bei Gährung
mit Reinkulturen solche Nebenprodukte zu beobachten, die bei ver-
schiedenen Erregern verschieden ausfielen; so wies Hueppe (a. a. 0.)
neben der Milchsäureproduktion eine Entwicklung von C02 nach;
Leichmann fand (r: C. 16. 826) bei seinem von dem HuEPPE'schen
scharf unterschiedenen Erreger deutliche Spuren von Äthylalkohol,
aber keine Spur C02; Adametz (C. C. 1. 465) sah bei der durch
seinen Mikrokokkus Sornthalii eingeleiteten Milchsäuregährung sogar
erhebliche Gasentwicklung; auch konnte Kuprianow (a. a. 0.) konsta-
tieren, dass bei der durch Vibrionen vermittelten Gährung die Menge
der erzeugten Milchsäure durchaus nicht immer der Menge des zer-
setzten Zuckers parallel geht, ein Teil des letzteren also auf Neben-
produkte verbraucht worden sein muss. Hiernach ist die alte oben
erwähnte Formel als unrichtig anzusehen, da sie der Erzeugung der
Nebenprodukte, insbesondere der C02- Entwicklung nicht Rechnung
trägt. Eine allgemein giltige Formel dürfte bei dem differenten Ver-
halten der einzelnen Arten überhaupt nicht möglich sein; vielmehr
wird der Prozess wahrscheinlich in den verschiedenen Fällen einen
verschiedenen und wohl recht komplizierten Verlauf nehmen.
Gotschlich, Gährungserregung. 235
Von besonderer Bedeutung ist die verschiedene chemische Leistung
differenter Arten von Milchsäurebakterien für die technische Verwer-
tung der Rahmsäuerung im Molkereibetriebe, welche meist zur
Erleichterung des Ausbutterns vorgenommen wird. Nachdem durch
eine Reihe von Untersuchungen, z. B. von Storch (r: K. 1890. 85),
Jensen (ebd. 1891. 181), Conn (C. 9. 653), Adametz (r: nach
Klecki, C. 15. 354), Weigmann (r: ebd.) festgestellt ist, dass eine
grosse Anzahl von Butterfehlern, sowohl bezüglich der Haltbarkeit als
bezüglich des Aromas der Butter, durch die Wirkung zufällig ein-
gedrungener fremder Bakterien zustande kommt, erscheint es dringend
geboten, durch Anwendung von pasteurisiertem Rahm und Säuerung
mittelst Reinkulturen solche Vorkommnisse zu verhüten. In der That
ist dies auch auf dem angegebenen Wege nach den umfangreichen
Erfahrungen von Weigmann (r: K. 1890. 84; 1891. 178; 1892. 179),
Adametz und Wilkens (Landw. Jahrb. XXI. 131), Conn (r: K.
1893. 181), Zirn (r: C. C. 1. 706) in überraschend zufriedenstellender
Weise gelungen. Die zur Butterbereitung verwendeten Kulturen
sind bereits käuflich zu haben; einige derselben, wie z. B. die Quist-
schen Milchsäurebakterien, erzeugen eine reinschmeckende Süssrahm-
butter ohne Beigeschmack, andere geben der Butter verschiedenartige,
zuweilen vorzügliche Aromen; eine solche Aromaerzeugung kann, wie
z. B. bei einem von Conn isolierten Bacillus (C. C. 1. 385) auch ohne
Säuerung zustande kommen. In manchen Fällen übertraf die künstlich
mittelst Reinkulturen hergestellte Butter sowohl an Haltbarkeit als an
Geschmack selbst die feinsten natürlichen Produkte.
Von den äusseren Bedingungen der Milchsäur egährung ist
vor allem der merkwürdige Einfluss des Sauerstoffs zu erwähnen;
Zutritt freien Sauerstoffs ist nach A. Mater (r: K. 1891. 173 und
Gährungschemie. 1895. 191) zum Zustandekommen der Gährung zwar
nicht notwendig, begünstigt aber die Energie der Umsetzung
erheblich. Diese Begünstigung beruht wahrscheinlich nicht blos,
wie bei der Einwirkung des Sauerstoffs auf die Erreger der alko-
holischen Gährung, auf einer Anregung zur Vermehrung, sondern
auf einer unmittelbaren direkten Förderung der Gährthätig-
keit selbst, freilich wiederum nicht in dem Sinne, dass der atmosphä-
rische Sauerstoff in der Gährungsgleichung eine Rolle spielte, wie dies
bei den Oxydationsgährungen kennen zu lernen sein wird. Das Tem-
peraturoptimum liegt bei 30 — 35°; bei 50° hört die Gährung auf,
doch werden die Keime bei kurzem Verweilen auf dieser Temperatur
noch nicht getötet; bei sehr niedrigen Temperaturen, 2—3°, findet
keine Gährung statt. Eine Kurve für die Vermehrungsenergie eines
gewöhnlichen Bac. acid. lact. bei verschiedenen Temperaturen findet sich
236 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
bei Flügge (Z. 17. 300). Gegen freie Säure sind die gewöhn-
lichen Milchsäurebacillen sehr empfindlich; die Gährung kommt
daher durch die vom Bacillus selbst erzeugte Säure sehr bald ins
Stocken, wenn nicht für Neutralisation derselben gesorgt ist. In Milch
wird trotzdem unter gleichen Umständen stets mehr Milchsäure ge-
bildet als in zuckerhaltigen Nährlösungen, was sich nach Timpe
(A. 18. 1) und Kabkhel (Z. 19. 392) dadurch erklärt, dass ein
Teil der produzierten Säure sich mit dem Kasein chemisch ver-
bindet und so für die Bakterien unschädlich gemacht wird; daneben
wird noch ein anderer Teil durch Umsetzung der in der Milch vor-
handenen neutralen in saure Phosphate neutralisiert. — Metallsalze
fördern in sehr schwacher Dosis (CuS04 und HgCl2 z. B. in 0,0005 gr
pro Liter) nach Richet (C. R. 114. 1494) die Gährung; bei Steigerung
der Dosis tritt zuerst eine Verlangsamung, dann völlige Hemmung
ein. Diese letztere gährungshemmende Koncentration („dose antibio-
ticpie") fällt aber durchaus nicht immer mit derjenigen zusammen,
welche die Vermehrung der Erreger sistiert („dose antigeneticpie"); letz-
tere ist vielmehr nach Chassevant u. Richet (C. R. 117. 673) oft schon
bei einer dreimal schwächeren Koncentration erreicht, so dass also die
Gährung, analog dem Verhalten der Saccharomyceten gegenüber Fluor-
verbindungen, unabhängig von der Fortpflanzungsfähigkeit des Er-
regers ungestört fortbestehen kann. Das lebende Plasma kann also die
eine Funktion, die Gährungserregung, noch ausüben, während es zu
bedeutenderer Kraftentfaltung, zur Erzeugung neuer Individuen, nicht
mehr fähig ist.
5. Buttersäuregährung.
Stärke, Dextrin, Inulin, Rohrzucker, Traubenzucker liefern das
Material für diese Gährung; die Di- und Polysaccharide werden vor
der eigentlichen Vergährung erst durch Fermente, an denen die hier
in Betracht kommenden Bakterienarten sehr reich sind, gespalten; Milch-
zucker kann nur in bereits invertiertem Zustande angegriffen werden.
Spontan kommt die Buttersäuregährung sehr verbreitet vor, so in lange
gestandener Milch, wo sie sich, wie noch unten zu besprechen, der
Milchsäuregährung als zweite Phase anschliesst, in Sauerkraut, Rüben-
schnitzeln, Sauerfutter und vielfach in den Gährungsgewerben, in
Brennereien, Brauereien etc., wo sie eine grosse Gefahr für den Betrieb
darstellt; vielleicht spielt sie auch eine Rolle bei der Käsereifung (vgl.
unten). Auch bei der „Nassfäule" der Kartoffeln scheint nach Kramer
(r: K. 1891. 228) eine Buttersäuregährung wesentlich mit im Spiele
zu sein. Zur künstlichen Herstellung von Buttersäure mischt man
nach Fitz 100 gr Kartoffelstärke (oder Dextrin), 1 gr Salmiak und
Gotschlich, Gährungserregung. 237
die üblichen Nährsalze mit 2 Liter Wasser und fügt zur Neutralisation
der gebildeten Buttersäure 50 gr CaC03 zu. Das Gährgemisch wird mit
Acker- oder Gartenerde, in der sich nach Deherain u. Maquenne
(Bull. soc. chim. (2.) Bd. 39) die Erreger der Buttersäuregährung in
grossen Mengen finden, oder mit etwas altem Käse oder Kuhexkrementen
u. dgl. infiziert und bei 40° gehalten.
Die Buttersäuregährung wurde zuerst von Pasteur (C. R. 45. 913)
und Cohn (B. B. IL H. 1. 172) beobachtet. Peazmowski (Unters, üb.
d. Entwicklungsgesch. u. Fermentwirkung einiger Bakt. Leipzig 1880)
beschrieb als den Erreger das Clostridium butyricum (Amylobakter),
welches jedoch nach neueren Untersuchungen nur noch als Sammel-
name einer grossen Gruppe von Bacillen, denen sämtlich die Fähigkeit,
Buttersäuregährung zu erregen, zukommt, angesehen werden darf. So
beschrieben Fitz (B. Cb. XVII. 1188), Hueppe (M. G. IL 319),
Liborius (Z. I. 160), Botkin (Z. XL 421), Gruber (C. I. 367), Perdrix
(P. 91. 286), Kedrowski (Z. XVI. 445), Beijerinck (r: K. 1893. 258j,
Baier (C. C. 1. 118) Arten, welche Buttersäuregährung erregen; die
systematische Beschreibung derselben s. Bd. IL Die weitaus über-
wiegende Mehrzahl derselben sind obligate Anaeröben. Viele sind,
besonders in physiologischer Hinsicht, sehr wenig gekannt. So viel
steht jedoch fest, dass die Zersetzung in allen Fällen nach einem
komplizierten Prozess erfolgt, bei dem noch grosse Mengen von Neben-
produkten gebildet werden, und dass die Art und Weise der Zersetzung
bei den einzelnen Arten sehr verschieden ist. Man kennt Buttersäure-
gährungen in neutraler, saurer und alkalischer Lösung; die Buttersäure-
erzeugung tritt vielfach so wenig vor den anderen Umsetzungen hervor,
dass eine Abgrenzung dieser Gährung von verwandten Prozessen oft
sehr schwierig ist und Baier z. B. eine eigentliche Buttersäuregährung
überhaupt nicht mehr gelten lassen will. Auf die älteren Analysen
der Gährprodukte ist kein allzu grosser Wert zu legen, da dieselben
nicht mit zuverlässigen Reinkulturen angestellt sind; neuerdings sind
jedoch für einige Arten die Gährprodukte in einwandfreier Weise nach-
gewiesen und auch ein Verständnis des dabei stattfindenden chemischen
Prozesses angebahnt. So fand Beijerink (a. a. 0.) bei seinem Granulo-
bakter saccharobutyricum, welches den echten Erreger der Buttersäure-
gährung in Zuckerlösungen darstellt, Produktion von Buttersäure, da-
neben normalen Butylalkahol, C02 und H2 ; dagegen erzeugt das nahe
verwandte Granulobakter butylicum aus Maltose nur normalen Butyl-
alkohol, C02 und H2, aber keine Buttersäure. Perdrix (a. a. O.) fand
bei seinem „Bacille amylozyme", dass die Vergährung des Trauben-
zuckers in den ersten Tagen des Versuchs einen anderen Verlauf nahm,
als in der späteren Zeit; in den ersten 3 Tagen entsteht nämlich neben
238 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Buttersäure, C02 und H2 noch Essigsäure, die im späteren Stadium
nicht mehr gebildet wird; auch überwiegt anfangs die Menge des
Wasserstoffs erheblich die der C02, was sich später ausgleicht. Für
das erste Stadium der Gährung gilt die Gleichung:
56 C6H1206 + 42 H20 = 312 H + 114 C02 -f- 30 C2H402 + 38 C4Hs02.
Traubenzucker Essigsäure Buttersäure
Im späteren Stadium aber lässt sich der Prozess so formulieren:
C6H1206 = 4H + 2 C02 + C4 H8 02.
Traubenzucker Buttersäure
Bei der Vergährung der Stärke, die der Bacillus vorher verzuckert,
nimmt die Menge der erzeugten Kohlensäure und Buttersäure im Ver-
laufe der Gährung successive zu.
Sehr eingehend ist der Verlauf der Buttersäuregährung und ihre Ab-
hängigkeit von den äusseren Bedingungen von Geimbeet (P. 93. 353)
für seinen anaeroben „Bac. orthobutylicus" untersucht. Der Bacillus
vergährt Glycerin, Mannit, Arabinose. Glukose, Galaktose, Invertzucker,
Rohrzucker, Maltose, Milchzucker, Stärke, Dextrin, Inulin, greift da-
gegen Glykol, Erythrit, Trehalose, arabisches Gummi, milchsauren und
weinsauren Kalk nicht an. Es findet also, ähnlich wie bei der alko-
holischen Gährung durch Hefe, selbst unter einander sehr nahe stehen-
den Körpern eine Elektion des Gährmaterials statt. Der Bacillus ver-
gährt die Disaccharide ohne vorgängige Inversion, ebenso das Inulin
ohne vorgängige Umwandlung zu d-Fruktose, eine Ausnahme, die wohl
analog wie bei der Monilia Candida so erklärt werden muss, dass das
lebende Plasma selbst die Spaltung bis zu einfachen Hexosen besorgt,
die dann sofort weiter vergohren werden, so dass reduktionsfähiger
Zucker niemals nachweisbar ist. Gährungsprodukte sind normaler Butyl-
alkohol, etwas Isobutylalkohol, normale Buttersäure, Essigsäure, zu-
weilen etwas Ameisensäure, daneben C02 und H2. Der Gesamtverlauf
der Gährung lässt sich folgendermassen formulieren:
7C6H1206 = 2 C4H10O + 2C2H402 + 5C4HS02 + 10 C02 + 4H + 6H20.
Hexose Butylalkohol Essigsäure Buttersäure
Im Fortgang der Gährung verändert sich, analog den Resultaten
von Peedeix, das Verhältnis von H2 : C02 zu Gunsten der letzteren;
ebenso nimmt die Menge des Butylalkohols kontinuierlich zu, die der
Butter- und Essigsäure dagegen ab. Dies beruht wahrscheinlich auf
dem hemmenden Einfmss, den die produzierte Säure auf das Weiter-
gehen der Gährung ausübt; erfolgt Neutralisation durch CaC03, so be-
ginnt sofort wieder eine stärkere Säurebildung. Auch das Alter der
verwandten Kultur, sowie das Substrat, auf dem sie gewachsen war,
ist auf den Verlauf der Gährung von Einfmss. Jede Zelle des Erregers
Gotschlich, Gährungserregung. 239
macht eine biologische Entwicklung durch, in deren Verlauf sie ein
Maximum ihrer GTährkraft erreichen soll; es ist also eine vergebliche
Hoffnung, den vollständigen Verlauf der Gährung rationell durch eine
einzelne Gleichung darzustellen; die Gährung kann vielmehr nur durch
ein System von Gleichungen erschöpfend dargestellt werden, von denen
jede einzelne nur für ein ganz bestimmtes Stadium des Gährprozesses
und für ganz bestimmte Versuchsbedingungen giltig ist.
6. Schleimige Gährungen.
Unter diesem Namen kann man eine Reihe von Gährprozessen zu-
sammenfassen, die in zuckerhaltigen Nährsnbstraten vor sich gehen
und wobei als Hauptprodukt Massen schleimiger, fadenziehender bis
gallertiger Substanz auftreten. Unmittelbar vergährbares Material sind
für viele Arten nur d-Glukose und Invertzucker; andere Arten aber
können auch den Rohrzucker angreifen, den sie vorher durch ein in-
vertierendes Ferment zerlegen. Künstlich erhält man solche Gährungen
am besten mit Hefendekokt, welches filtriert und mit Zucker versetzt
ist, oder auch mit zuckerhaltigem Stärke-, Reis- oder Gerstenwasser;
das Temperaturoptimum ist etwa 30°. Auch spontan kommt diese
Gährung häufig in einer ganzen Reihe von Substraten vor.
1. Im Wein, besonders in gerbstoffarmen Weiss weinen ist sie schon von Pasteur
(Etud. s. 1. vin. p. 57) beschrieben und auf die Gährthätigkeit des Mikrokokkus
viscosus zurückgeführt. Als Gährprodukte sollen hierbei konstant eine dem
Dextrin nahestehende Gummiart, welche von Bechamp (CR. 93. 78) als „Viskose"
bezeichnet wird, ferner Mannit und C02 auftreten. Die Viskose ist in kaltem
Wasser löslich, wird durch Alkohol gefällt, reduziert nicht die Fehling'sche Lösung,
zeigt die Zusammensetzung der Stärke und ein Drehungsvermögen ähnlich dem
der löslichen Stärke. Aus 100 Teilen Zucker erhält man bis zu 51,1 Teile Mannit,
45,5 Teile Gummi und 6,2 Teile C02; danach würde diese Gährung einen ent-
sprechenden Ausdruck finden durch die Formel:
50 (C6H1206) = 12 (CI2H20O10) + 24 (C6H1406) + 12 C02 + 12 H20.
Traubenzucker Gummi Mannit
Nach Schmidt-Mülheim laufen bei dieser Gährung wahrscheinlich zwei Pro-
zesse neben einander her: durch den einen wird Mannit und C02, durch den
anderen die schleimige Substanz produziert. Hiernach würde sich erklären, dass
nach Pasteur bei verschiedenen Gährungen bald das Mannit, bald das Gummi
überwiegt; auch stimmt hiermit die Thatsache, dass bei den weiter zu besprechenden
schleimigen Gährungen die Mannitbildung fehlt, für welche demnach ein be-
sonderer Entstehungsmodus anzunehmen wäre. Diese Gährung kommt nur in
neutraler Lösung zustande, während eine andere ähnliche von Kramer (M. Ch.
10. 167) beschriebene Zersetzung auch in saurer Lösung erfolgt.
2. In Bier und Würze konstatierte van Laer (Mein. publ. par l'Acad. roy.
d. Belgique. Bd. 43) als Ursache der schleimigen Gährung 3 Arten von „Bac. vis-
cosus". Bemerkenswert ist, dass die Produktion der schleimigen Substanz von
der Gegenwart N-haltiger Stoffe abhängt; in reinen Zuckerlösungen tritt sie nicht
240 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ein, dagegen um so leichter, je höher der N-Gehalt des Substrats ist, und je
weniger freie Säure sich vorfindet. In stickstoffarmen Lösungen vermag schon eine
sehr geringe Acidität die Schleimproduktion vollständig zu hemmen. Das Gähr-
produkt besteht aus einer stickstoffhaltigen, in Wasser unlöslichen und einer
stickstofffreien, wasserlöslichen Substanz. — Langwerden der Würze durch De-
matium pullulans beobachtete auch Lindner fr: C. 3. 750).
3. Im Saft der Zuckerrüben kommt häufig Bildung massenhafter schlei-
miger bis gallertiger Substanz als sog. „Froschlaich" der Zuckerfabriken
vor und stellt in den letzteren eine gefürchtete Betriebsstörung dar. Der Erreger
wurde zuerst von von Jubert (cit. b. Stift, C. C. 278) nachgewiesen und
von Cienkowski (cit. ebd.) und van Tieghem (Ann. d. sc. natur. 1878. 180)
alsLeuconostocmesenterioides beschrieben, ein Name, der j edoch nicht eine
einzelne Art, sondern eine ganze Gruppe bezeichnet. Später wurde das Leuconostoc
nicht nur bei der Rübenverarbeitung, sondern auch von Däumichen (cit. b. Stift)
im Osmosezucker und von Strohmer (cit. ebd.) im Raffineriebetrieb nachgewiesen.
Die gallertartige Substanz ist am eingehendsten von Scheibler (Z. d. Vereins f.
Rübenzuckerindustrie d. dtsch. Reiches. 24. 309) untersucht und als Dextran be-
zeichnet. Beim Kochen mit Säuren wird sie in Traubenzucker übergeführt. Über
die Bildungsbedingungen des Dextrans und die sonstigen- Gährprodukte des
Leuconostoc haben Liesenberg und Zopf (r: K. 1892. 89) Untersuchungen
angestellt. Auf Substraten, welche frei von Trauben- oder Rohrzucker sind, bildet
Leuconostoc keine Gallertmassen und erscheint demnach in einer hüllenlosen
Varietät; in dieser Form kommt es vielleicht häufig in der Natur vor, wo ihm
nicht immer Zucker zu Gebote steht; sobald es aber in Zuckerlösungen gelangt,
beginnt sofort die Dextranproduktion ; so erklärt sich wohl das manchmal ganz
plötzliche Auftreten dieser Betriebsstörung in der Zuckerindustrie. Von den Kohle-
hydraten werden nur Trauben- und Rohrzucker, letzterer nach Inversion durch
den Pilz, zur Dextranbildung verwandt. Ausserdem wird aus diesen beiden Zucker-
arten, sowie aus Maltose, Milchzucker und Dextrin Milchsäure gebildet. Einen
sehr fördernden Einfluss auf die Gährthätigkeit des Leuconostoc übt ein Zusatz
von Chlorcalcium in 3 — 5% oder NaCl in 1—3% oder NaN03 in 1% aus; bei-
spielsweise wurde unter auch sonst günstigen Bedingungen und bei einem Zu-
satz von 4,5% CaCL binnen 4 Tagen aus 50 gr Rohrzucker eine Gallertmasse ,
von 101,5 gr Frischgewicht produziert; auch kommt es dabei zu einer sichtbaren
Gasentwicklung. Leuconostoc ist fakultativ anaerobiotisch; durch Sauerstoff -
abschluss wird die Gährung beschleunigt. Das Temperaturoptimum liegt für die
gewöhnliche in Europa vorkommende Form bei 30 — 35°, für eine indische Form
bei 37°. — Ein merkwürdiger anderer Erreger des Froschlaiches der Zuckerfabriken
wurde von A. Koch u. Hosäus (C. 16. 225) als Bact. pediculatum beschrieben;
die Schleimproduktion erfolgt nur an der einen Längsseite des Bakteriums. Die
erzeugte Gallertmasse verquillt schon bei massiger Erwärmung und löst sich auf. —
Ferner beobachtete Leichmann (Landw. Versuchsstat. 43. 375) eine durch einen
Bacillus verursachte schleimige Gährung, deren Bedingungen sich von der vorigen
wesentlich dadurch unterschieden, dass auch in zuckerhaltigen Lösungen erst von
einem bestimmten Trockengehalt ab Schleimbildung erfolgte, während vorher nur
hüllenloses Wachstum stattfand. Als Gährsubstrat waren verwendbar: Trauben-
zucker, Fruchtzucker, Galaktose, Rohrzucker, Maltose, Milchzucker, Dextrin, da-
gegen nicht Stärke und Mannit. Ausser dem Schleim entstehen als Nebenprodukte
Ätliylideninilchsäure und Äthylalkohol; Gasbildung findet nicht statt.
Gotschlich, Gährungserregung. 241
4. Zahlreiche Untersuchungen sind über die Erreger der schleimigen oder
fadenziehenden Milch angestellt worden. Schmidt - Mülheim (L. V. 28. 91),
Htjeppe (D. 84. 777), Ratz (r: K. 1890. 87), Weigmann (Milchztg. 1889. Nr. 48.
Beil.), Guillebeatt (r: K. 1891. 185) beschrieben als Erreger derselben Kokken;
Dtjclaux (Le lait. 1887), Freudenreich (r: K. 1890. 95), Guillebeatt (a. a. 0.),
Adametz (Landw. Jahrb. 20. H. 1) sahen ähnliche Prozesse durch Bacillen
zustande kommen; auch einige unter den FLÜGGE'schen (Z. 17. 273) pepto-
nisierenden Bakterien der Kuhmilch bewirken eine intensive Produktion schlei-
miger, fadenziehender Substanz. Einige der oben genannten Mikroben sind auch
von pathogener Wirkung und erzeugen im Kuheuter schwere Mastitis. — In
chemischer Beziehung ist die produzierte schleimige Substanz sicher nicht in allen
Fällen von gleicher Entstehungsweise; in einigen Untersuchungen, wie z. B. bei
Adametz, hat sich gezeigt, dass der Schleim sicher nicht als Gährprodukt von
Kohlehydraten anfzufassen ist, da er sich auch in zuckerfreien, reinen Pepton-
lösungen bildet; er stellt hier vielmehr wahrscheinlich ein Quellungsprodukt der
Bakterienhüllen, einen Abkömmling des Zellprotoplasmas dar. Nur des praktischen
Zusammenhangs halber, den diese Fälle mit der echten schleimigen Gährung
gemein haben, seien sie an dieser Stelle erwähnt.
5. Aus demselben äusseren Grunde seien hier auch die Betrachtungen von
Malerba u. Sanna - Salaris (Z. physiol. Ch. XV. 539) über schleimigen,
fadenziehenden Harn erwähnt, wobei das „Baki gliscrogenum" ursächlich
beteiligt ist. Die produzierte weisse, ausserordentlich viskose, in trockenem Zu-
stande dagegen elastische Masse charakterisiert sich durch ihre Reaktionen als
Eiweisskörper.
6. Schleimigwerden von Pflanzeninfusen wurde schon 1878 von
Binz (Pharm. Ztg. 36. 707 u. 766) auf die Wirkung von Schimmelpilzen zurück-
geführt. Bräutigam (Pharm. Centralhalle. 32. 427), Ritsert (Pharm. Ztg. 36. 774)
und Happ (r: K. 1893. 247) isolierten als Erreger desselben verschiedene Bacillen
und Kokken. Als Nebenprodukte der schleimigen Gährung fand Happ Mannit,
Milchsäure, Buttersäure und C02. Hery (r: K. 1893. 223) fand auch als Ursache
des Fadenziehendwerdens der Tinte zwei Bakterienformen.
7. Cellulosevergährung (Sumpfgasgährung).
Cellulose in Form von abgestorbenen Pflanzen, Stroh, Papier, Baum-
wolle unterliegt häufig einer Lösung und Vergährung durch Bakterien.
Diese Vergährung wurde zuerst von Mitscherlich (Monatsber. d. Berlin.
Akad. 1850. 104) beobachtet und auf die Thätigkeit von Mikroorganismen
bezogen. Dieselbe scheint in der Natur ausserordentlich weit verbreitet
zu sein; so ist zuerzt von Popoff (Pf. 10. 113) wahrscheinlich gemacht, dass
die in Sümpfen häufig beobachtete Entwicklung von CH4 und C02 auf
Cellulosevergährung beruht; auch kommt sie nach Deherain und
Gaton (C. K 98) sehr oft im Dünger vor. van Tieghem (C. R. 88. 205;
89. 5) sprach als Erreger der Gährung Bakterien an, die mit der von
ihm als Amylobakter bezeichneten Art übereinstimmten; als Neben-
produkt fand er eine Säure, welche bei zunehmender Anhäufung den
weiteren Fortgang der Gährung hemmt. Tappeiner (Z. f. Biol. 19.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 16
242 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
288; 20. 52) wies nach, dass auch im Intestinaltractus des Rindes durch
die Bakterien des Pansens, der Haube und des Dickdarms Cellulose
vergohren wird. Tappeiner konnte hierbei je nach der Reaktion des
Substrats einen verschiedenen Verlauf der Vergährung konstatieren; bei
neutraler Reaktion wurde die in 1 proz. Fleischextraktlösung suspendierte
Cellulose (in Form von gereinigtem Papierbrei oder Baumwolle) zu C02
und CH4 vergohren, wobei in den ersten Tagen das Methan stärker
überwog wie in der späteren Zeit; in alkalischer Fleischextraktlösung
hingegen ergab die Vergährung der Cellulose C02 und H2 als End-
produkte; in beiden Fällen entstanden als Nebenprodukt kleine Mengen
von H2S, Aldehyd, Essigsäure und Isobuttersäure, die aber vielleicht
gar nicht aus der Cellulose, sondern aus einer gleichzeitigen Vergährung
des Fleischextraktes stammen. Hoppe-Seylee (Z. physiol. Ch. 10. 401)
vermochte die Cellulosegährung durch jeden Schlamm, Acker-, Wiesen-
und Walderde in Gang zu setzen; Bedingungen waren nur vollständiger
Luftabschluss, genügende Feuchtigkeit und relativ hohe Temperatur;
analoge Bedingungen konstatierten auch Schlösing (C. R. 109. 835) und
Hebert (C. R. 115. 1321) für die Vergährung der Cellulose im Stall-
dünger. Als Erreger nahm Hoppe-Seyler ebenfalls die von van Tieghem
als Arnylobakter bezeichneten Arten an. Als Produkte ergaben sich
bei Vergährung von reinem, feuchtem Fliesspapier mit etwas Schlamm
nur CH4 und C02 , und zwar in annähernd gleichen Volumina; H2
war nicht nachweisbar. Das Mengenverhältnis zwischen CH4 und C02
ändert sich zu Grünsten der letzteren, wenn Spuren freien Sauerstoffs
oder solche Stoffe zugegen sind, die bei ihrer Reduktion Sauerstoff ab-
geben, wie Sulfate, Eisenoxyd, Manganoxyd. Die Menge der ent-
wickelten Gase war grösser, als dem Gehalt des Schlamms an orga-
nischer Substanz entsprach, so dass sie hiernach mit Sicherheit als
Gährprodukte der Cellulose anzusprechen sind. Die Gährung ging
nur so lange vor sich, als noch lebende Bacillen vorhanden waren.
vanSenus (r: K. 1890. 136) kommt zu dem Schlüsse, dass Bac. amylobacter
für sich allein die Vergährung der Cellulose nicht bewirken könne;
wohl aber ist er dies in Symbiose mit einer anderen sehr kleinen, aus
dem Kaninchendarm isolierten Form imstande, die ihrerseits ebenfalls
isoliert Cellulose nicht anzugreifen vermag. Den Prozess der Ver-
gährung denkt er sich so, dass die Bakterien zuerst durch ein cellulose-
lösendes Ferment(vgl. oben S. 207) die Cellulose spalten und die Spaltungs-
produkte sofort zu H2, C02 und Essigsäure zerlegen; die Essigsäure
soll dann durch den Wasserstoff successive zu Aldehyd, Alkohol, Äthan
und Methan reduziert werden, wobei in Medien, die an anderen reduzier-
baren Stoffen sehr arm sind, Wasserstoff und Essigsäure vollständig
verbraucht werden und als Endprodukte der Vergährung wie in Hoppe-
Gotschlich, Gährungserreguug. 243
Seyler's Versuchen CH4 und C02 übrig bleiben; sind aber noch andere
reduzierbare Verbindungen vorhanden, wie z. B. im Darmkanal, so bleibt
die Essigsäure unzersetzt. Durch direkte mikroskopische Betrachtung
konnte van Senus die zunehmende Verquellung und Auflösung der
cellulosehaltigen Zellwände durch die angelagerten Bakterien, die sich
hierbei mit Schleimmassen umgeben hatten, konstatieren.
Eine ganz ähnliche Vergährung erleidet nach Hoppe -Setlee (Z.
physiol. Ch. 13. 82) auch das Holzgummi.
Die Cellulosevergährung hat vielleicht eine gewisse technische Be-
deutung bei der Flachsbereitung und spielt möglicherweise im Darm
der Herbivoren eine physiologisch wichtige Rolle.
8. Verschiedene Vergährungen der Kohlehydrate.
In diesem Kapitel werden eine Reihe von Gährungen behandelt,
die sich unter allgemein durchgreifende Gesichtspunkte bisher nicht
bringen Hessen, hauptsächlich deshalb nicht, weil die Spaltung oft sehr
kompliziert ist und kein Spaltungsprodukt so vor den anderen hervor-
tritt, dass eine besondere Bezeichnung der Gährung nach diesem einen
Produkt gerechtfertigt wäre. Unter den Produkten finden sich neben
C02 und H2 hauptsächlich Milchsäure, Essigsäure, Buttersäure, Äthyl-
alkohol etc.
So beobachtete Fitz bei verschiedenen Kohlehydraten eine Gährung, bei
welcher Äthylalkohol als vorherrschendes Produkt gebildet wurde.
Die Kenntnis einer Reihe von Vergährungen der Kohlehydrate durch patho-
gene Bakterien verdanken wir namentlich Brieger (Z. physiol. Ch. 8. 306
und 9. 1). So zerlegt der Bac. cavicida Traubenzucker derart, dass Propionsäure
als Hauptprodukt entsteht. Der Bac. Friedländer ruft in traubenzuckerhaltigem Nähr-
substrat starke Gasentwicklung hervor und bildet als Hauptprodukt Essigsäure,
daneben kleine Mengen von Ameisensäure und Äthylalkohol. Die bei dieser
Gährung entwickelten Gase wurden von Frankland, Stanley und Frew (r : K.
1S91. 234) quantitativ untersucht; es ergaben sich neben geringen Mengen
von Sauerstoff und Stickstoff aus der anfangs über der Kultur befindlichen
atmosphärischen Luft nach einer Gährdauer von 11 Tagen 51,14% C02 und
47,41% H, nach einer Gährdauer von 21 Tagen 56,57% C02 und 43,24% H; im
Mittel wurden auf 10 Moleküle H 13 Moleküle C02 ausgegeben (vgl. unten die
korrespondierende Mannitvergährung). Eine ganz ähnliche Vergährung konstatierte
Smith (C. 10. Nr. 6) für mehrere dem Bac. Friedländer sehr ähnliche Darmbakterien.
— Die normalen Darmbakterien des Menschen, speziell des Säuglings sind auf
ihr Gährvermögen mehrfach untersucht. Nach Escherich (Die Darmbakt. d. Säug-
lings. Stuttg. 1881) bewirkt Bac. lactis aerogenes ausgiebige Zuckerspaltung, wo-
bei als Hauptprodukt Milchsäure auftritt. Ein von Baginsky (Z. physiol.
Ch. 12. 434) isolierter Bacillus, vielleicht mit dem eben genannten EscHERiCH'schen
identisch, bildet aus Milchzucker hauptsächlich Essigsäure, daneben etwas
Aceton und sehr wenig Milchsäure; aus milchsauren Salzen wird wesentlich Butter-
säure gebildet; auch bei der Spaltung der Stärke entsteht hauptsächlich Essig-
16*
244 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
säure; die Analyse der entwickelten Gase ergab H2, CH4 und C02. Bei Sauer-
stoffabschluss entsteht nach Oppenheim (r: C. VI. 5SG) statt Essigsäure ganz
überwiegend, vielleicht ausschliesslich Milchsäure; vielleicht ist diese über-
haupt stets das primäre Produkt und wird erst bei Luftzutritt zu Essigsäure
oxydiert, wodurch sich auch erklären würde, dass im Säuglingsstuhl selbst stets
nur Milchsäure, nicht Essigsäure nachgewiesen ist. — Ferner sind sehr zahlreiche
Arten des Bact. coli comm. zur Vergährung der Zuckerarten befähigt, wobei die
Produkte je nach der Art des Erregers verschieden sind: so fand z. B. Bagixsky
(Z. physiol. Ch. 13. 352) bei der Spaltung des Milchzuckers neben Essigsäure
und geringen Mengen höherer Fettsäuren, als Propion- und Buttersäure, erhebliche
Mengen von Ameisensäure und Milchsäure, Bovet (r: K. 1891. 239) bei Ver-
gährung des Traubenzuckers Milchsäure, Bernsteinsäure, Äthyl- und Propyl-
alkohol u. s. w. Über die optische Verschiedenheit der bei der Vergährung von
Zucker durch Typhus- und Coli - Bacillen entstehenden Milchsäuren ist bereits
oben verhandelt. Manche Bakterien erzeugen bei der Zuckerspaltung auch wohl-
riechende Produkte, so der von Sclavo und Gosio (r: K. 1891. 242)
beschriebene „Bac. suaveolens", der neben Alkohol, Aldehyd, Ameisen- Essig-
und Buttersäure wohlriechende Butter- und Valeriansäureester produziert; ferner
ein von Went (r: K. 1893. 248) entdeckter Schimmelpilz, der neben Alkohol,
Essigsäure und Äthylacetat einen Ananasäther erzeugt. — Von anaeroben
Gährungen sei die von Kerry und Fränkel (M. Ch. 11. 268 u. Z. 12. 204)
beobachtete Spaltung des Traubenzuckers durch Bac. oedemat. malign. erwähnt,
wobei als Gährprodukte Äthylalkohol, Buttersäure, Ameisensäure und Gährungs-
milchsäure gefunden wurden.
Von ganz besonderem Interesse ist endlich die von Frankland u.
Mac Gregor (r: K. 1892. 232) erforschte Vergährung der
Arabinose durch den „Bac. esthaceticus", weil hierdurch gezeigt
wird, dass die Pentosen nicht an sich und für alle Gährungs-
erreger unvergährbar sind, sondern nur von der Hefe wegen des
spezifischen asymmetrischen Baues ihrer wirksamen Protoplasmasub-
stanz nicht angegriffen werden können. Als Produkte der Arabinose-
vergährung fanden sich neben C02 und H2 hauptsächlich Äthylalkohol
und Essigsäure, ferner etwas Bernsteinsäure und eine Spur eines höheren
Alkohols; bei Luftabschluss entstand auch etwas Ameisensäure. Auf
2 Moleküle Äthylalkohol entstehen nahezu 3 Moleküle Essigsäure.
II. Vergährung der mehrwertigen Alkohole.
Während für die zweiwertigen Glykole noch keine Gährungen mit
Sicherheit ermittelt sind, hat man für den dreiwertigen Alkohol Glycerin,
den vierwertigen Alkohol Erythrit, den fünfwertigen Quercit und die
sechswertigen Alkohole Mannit und Dulcit verschiedene Gährungen
durch Spaltpilze festgestellt. Die Gährprodukte sind meist den bei
Kohlehydratvergährungen sehr ähnlich, was bei der nahen Verwandt-
schaft der Struktur beider Reihen von Körpern nicht Wunder nehmen
darf. —
Gotschxich, Gährungserregung. 245
Für Glycerin beobachtete Fitz 4 Gährungen. Erstens liefert es unter dem
Einnuss des an anderer Stelle zu beschreibenden Bac. Fitzianus reichlich
Äthylalkohol (z. B. 29 gr Alkohol aus 100 gr Glycerin) und als Nebenprodukt
Kapronsäure , Buttersäure und etwas Essigsäure. Zweitens wird durch Heuinfus
eine Vergährung des Glycerins ausgelöst, bei der hauptsächlich Butylalkohol
entsteht und deren Erreger wahrscheinlich zu den Heubacillen zu rechnen ist.
Drittens entsteht aus Glycerin durch die Gährthätigkeit des Bac. pyocyaneus
reichlich Buttersäure und daneben etwas Äthylalkohol und Bernsteinsäure.
Viertens wurde Glycerin durch kleine Stäbchen, die nämlichen, die auch äpfelsauren
Kalk vergähren, derart gespalten, dass reichlich Äthylalkohol und daneben Ameisen-
und Bernsteinsäure entstanden. Auch von anderen Autoren wurden noch Ver-
gährungen des Glycerins mitgeteilt; so fand Vandevelde (Z. physiol. Ch. 8.367)
eine Vergährung des Glycerins durch Bac. subtilis, wobei als wesentliche Produkte
Milchsäure und Buttersäure (letztere wohl erst indirekt aus der Milchsäure ge-
bildet), daneben etwas Bernsteinsäure entstanden. Doch bot in allen genannten
Fällen die Methode nicht hinreichende Garantie für reine Einsat, wodurch
die Verwertbarkeit der sorgfältigen chemischen Untersuchungen leider beein-
trächtigt wird. Dagegen erhielt Frankxand (Proc. Lond. 1889. 345) mittelst
eines reingezüchteten Bacillus (Bac. esthaceticus) eine einwandfreie Vergährung
des Glycerins; als Gährprodukte traten wesentlich Äthylalkohol und Essigsäure,
daneben etwas Ameisensäure und Spuren von Bernsteinsäure auf.
Für Erythrit fand Fitz ebenfalls verschiedene Gährungen: ein Spaltpilz
bewirkte eine Zersetzung, die sich als Spaltung von 2 Mol. Erythrit in 1 Mol.
Buttersäure und 1 Mol. Bernsteinsäure unter Austritt von 2 H20 und 1 H auf-
fassen Hess; ein anderer Spaltpilz ergab bei der Gährung nur geringe Spuren
von Bernsteinsäure.
Quercit liefert nach Fitz eine Gährung mit fast ausschliesslicher Bildung
von Normalbuttersäure.
Mannit und Dulcit liefern zunächst die oben besprochene Milchsäure-
gährung. Ausserdem ist von Fitz für Mannit eine Vergährung mit Bildung von
Normalbutylalkohol , Äthylalkohol, Bernsteinsäure und Milchsäure, sowie eine
andere mit Bildung von Äthylalkohol (26%), Ameisensäure (5,6%) und etwas
Bernsteinsäure nachgewiesen, ebenso für Dulcit eine Gährung mit etwas Alkohol
und viel Buttersäure. Eingehende quantitative Untersuchungen über die Ver-
gährung von Mannit und Dulcit mit Verwendung sicherer Reinkulturen sind von
Fbankland in Verbindung mit anderen Forschern angestellt worden. So fanden
z. B. Frankland, Stanley u. Frew (a. a. 0.), dass sowohl durch den Fried-
EÄNDER'schen Bacillus als durch den Bac. esthaceticus von den beiden isomeren
Körpern Mannit und Dulcit nur der erstere vergohren wird; als Gährprodukte
ergaben sich hauptsächlich Alkohol und Essigsäure, daneben etwas Propionsäure
und Bernsteinsäure. Das Verhältnis des Alkohols zu den flüchtigen Säuren (als
Essigsäure berechnet) war bei beiden Gährungserregern annähernd gleich dem
Molekularverhältnis : 2 C2 H5 OH : CH3 COOH = 1,53.
Die Mengen der gebildeten Produkte waren aber bei der durch Friedländer
hervorgerufenen Gährung viel geringer als bei der durch Esthaceticus bewirkten.
Als Umsetzungsgleichung ergab sich mit Wahrscheinlichkeit für den Fried-
länder' sehen Bacillus:
6 C6H1406 + H20 = 9 C2H60 + 4 C2H402 + 10 C02 + 8 H2.
Mannit Äthylalkohol Essigsäure
246 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Für die durch den Bac. esthaceticus hervorgerufene Mannitgährung dagegen
gilt nach Frankland und Lttjisdex (r: K. 1892. 231) folgende Gleichung:
3 C6H1406 + H20 = C2H402 + 5 C2H60 -f 5 CH202 + C02.
Mannit Essigsäure Äthylalkohol Ameisensäure
Die Ameisensäure wird, besonders bei Luftzutritt, rasch weiter zersetzt.
Ferner fanden Frankxand und Frew (ref. ebd. 229) einen Bacillus, der Mannit
und Dulcit vergäkrt; als Gährprodukte fanden sich neben C02 und H2 Äthyl-
alkohol, Essigsäure und ziemlich viel Bernsteinsäure (nahezu 10% der vergohrenen
Substanz), weshalb der Erreger als Bac. esthacetosuccinicus bezeichnet wurde;
ein grosser Teil der C02 und des H2 stammen aus Ameisensäure, welche bei der
Gährung gebildet, aber besonders bei Luftzutritt rasch weiter zersetzt wird.
Auffallender Weise blieb trotz langer Gährdauer (85 Tage) ein grosser Teil,
etwa 3/4 der angewandten Substanz, unvergohren zurück; hierbei handelte es sich
aber nicht etwa um eine Spaltung des optisch inaktiven Dulcits mit Zurücklassung
der einen unbrauchbaren optischen Komponente, da der unvergohrene Rest eben-
falls optisch inaktiv war.
111. Vergährungen der Fettsäuren und Oxysäuren.
Zahlreiche Fettsäuren und Oxysäuren liefern ein geeignetes Gähr-
material, sobald sie den Spaltpilzen in Form neutraler Salze dargeboten
werden. Am geeignetsten scheint das Kalksalz dieser Säuren zu sein,
und mit diesem wurden auch fast durchgehends die betreffenden Gähr-
versuche angestellt. Es zeigten sich gährfähig: Ameisensäure [H.COOH],
Essigsäure [CH3.COOH], ferner die Oxysäuren: Milchsäure [C2H4.OH-
COOH], Glycerinsäure [C0H3.(OH)2.COOH] , Apfelsäure [C,H3.OH.
(COOH)2], Weinsäure [CoH~(OH>>.(COOH)9], Citronensäure [C3H4.OH.
(COOH)3].
Ameisensaurer Kalk liefert nach Hoppe - Seyler (Z. physiol. Ch. 11. 561)
mit Schlamm versetzt CaC03, C02 und H2; essigsaurer Kalk liefert bei gleicher
Behandlung CaC03, C02 und CH4 (Methangährung der Essigsäure). Hierbei
findet eine Vermehrung der Spaltpilze nur in sehr geringem Umfange statt. Eine
ähnliche chemische Wirkung wird auch von fein verteiltem Rhodium oder Iridium
ausgeübt.
Milchsaurer Kalk geht nach Fitz 4 verschiedene Gährungen ein: erstens
unter dem Einfluss eines dünnen Bacillus, der oft lange Ketten bildet, die Pro-
pionsäuregährung, bei der als Nebenprodukte etwas Essigsäure, Bernstein-
säure und Alkohol auftreten. Zweitens liefert das Calciumlaktat bei anderer
Einsat neben Propionsäure reichlich Normalvaleriansäure; aus 3 kgr
Calciumlaktat wurden etwa 126 gr Propionsäure und 101 gr Valeriansäure ge-
wonnen. Drittens erfolgt unter der Gährwirkung eines kurzen aeroben Butter-
säurebacillus gleichzeitige Produktion von Buttersäure und Propion-
säure. Viertens ist schon früher von Pasteur (C. R. 1861) die Buttersäure-
gährung des Calciumlaktats beobachtet, bei der nur geringe Mengen von Neben-
produkten entstehen; Fitz erhielt aus 500 gr Calciumlaktat etwa 34 gr buttersauren
Kalk, ausserdem 3,6 gr Äthyl- und Butylalkohol. Der wesentliche Teil dieses
Gährprozesses kann also folgendermassen formuliert werden:
Gotschlich, Gährungserregung. 247
2 (C2H4 . OH . COO)2Ca = C03Ca + 3 C02 + 4 H20 + (C3H7COO)2Ca.
Milchsaurer Kalk Calciumkarbonat Buttersaurer Kalk.
Glycerinsaurer Kalk wird nach Frankland und Frew (r: K. 1891.
237 f.) durch den Bac. esthaceticus vergohren, wobei Äthylalkohol und Essigsäure,
sowie Spuren von Ameisensäure und von Bernsteinsäure entstehen. Sehr annähernd
werden hierbei auf 1 Mol. Äthylalkohol 4 Mol. Essigsäure gebildet; der wesent-
liche Teil der Zersetzung kann also folgendermassen formuliert werden:
5 C3Hc04 = C2H5 . OH + 4 C2H402 + H20 + 5 C02 -+■ 3 H2.
Glycerinsäure Äthylalkohol Essigsäure
Ungefähr die Hälfte der angewandten optisch inaktiven Glycerinsäure bleibt
nach Ablauf der Gähruug zurück; dieser Rest ist rechtsdrehend und bildet links-
drehende Na- und Ca-Salze. Es findet also bei der Gährung eine Spaltung der
inaktiven Glycerinsäure statt, wobei die Linksglycerinsäure weiter vergohren wird,
die rechtsdrehende Modifikation dagegen übrig bleibt. — Nach Fitz kann glycerin-
saurer Kalk noch eine andere Vergährung durch mittelgrosse Bacillen erleiden,
wobei Ameisensäure mit etwas Methylalkohol und Essigsäure als Nebenprodukte
entsteht.
Äpfelsaurer Kalk ist ebenfalls mehreren Gährungen unterworfen. Unter
der Einwirkung dünner Bacillen — derselben, die auch Glycerin vergähren —
wird hauptsächlich Bernsteinsäure (etwa 60% des vergohrenen Materials) und
etwas Essigsäure gebildet. Mit anderen, kürzeren Bacillen entsteht Propionsäure
als Hauptprodukt, daneben wieder Essigsäure. Drittens tritt zuweilen eine Butter-
säureproduktion unter H2 -Entwicklung ein; endlich wird nach Schützenberger
(Die Gährungserscheinungen. 1876) der äpfelsaure Kalk auch unter Produktion
von Milchsäure und C02 zerlegt.
Weinsaurer Kalk liefert entweder die schon Pasteur bekannte und auch
von Fitz erhaltene Propionsäuregährung, die vielleicht nach der Gleichung
verläuft:
3 C4H606 = C2H5 . COOH + 2 CH3 . COOH + 5 C02 + 2 H20. •
Weinsäure Propionsäure Essigsäure
Oder es entsteht Buttersäuregährung, oder drittens findet eine Zerlegung statt, bei
der hauptsächlich Essigsäure gebildet wird (aus 100 gr weinsaurem Kalk erhielt
Fitz 45 gr essigsauren Kalk) und daneben etwas Äthylalkohol, Buttersäure und
B ernsteinsäure.
Citronensaurer Kalk liefert nach Versuchen von Fitz unter der Gähr-
wirkung kleiner dünner Bacillen (aus Heuwaschwasser) reichlich Essigsäure, als
Nebenprodukte Äthylalkohol und Bernsteinsäure.
Auch die Schleimsäure wird nach Schützenberger leicht unter Ent-
stehung von Essigsäure, C02 und H2 vergohren.
Anhangsweise sei hier auch noch der von Loew beobachteten Vergährung
des chinasauren Kalkes gedacht, bei welcher unter dem Einfluss von Spalt-
pilzen bei Luftzutritt Protokatechusäure, bei Sauerstoffabschluss statt dieser Essig-
säure und Propionsäure entstehen soll.
Der Wert vieler älteren, in diesem Kapitel aufgeführten Versuche
wird leider dadurch sehr beeinträchtigt, dass nicht mit völlig einwand-
freien Reinkulturen gearbeitet worden war. Insbesondere ist es erforder-
248 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
lieh, nach Beendigung der Gährung die restierende Gährflüssigkeit genau
daraufhin zu untersuchen, ob keine anderen Bakterien als die einge-
säten vorhanden sind. Nur wenn auf diese Weise absolut ausgeschlossen
ist, dass andere Mikroorganismen zufällig eingedrungen sind und sich
in unkontrollierbarer Weise an den Zersetzungsvorgängen beteiligt
haben, ist man vor Irrtum in der Beurteilung der chemischen Leistungen
einer Art geschützt.
B. Gährungen durch Oxydation.
I. Die Essiggährung.
Als Essiggährung bezeichnet man den bereits seit Jahrtausenden
bekannten Vorgang, durch welchen verdünnte alkoholische Lösungen
spontane Säuerung erfahren, wobei der Alkohol in Essigsäure verwan-
delt wird. Dabei ist stets auf der gährenden Flüssigkeit die Ent-
wicklung einer oberflächlichen Haut oder eines schleimigen Boden-
satzes zu konstatieren, Bildungen, die als „Essigmutter", „Essigkahm"
oder dergl. bezeichnet wurden. Die Zusammensetzung dieser Kahm-
haut aus kleinsten Lebewesen wurde schon 1837 von Kützing er-
kannt; die Mikroben wurden dann von Thomson (Ann. Ch. Pharm. 83)
und Pasteur (Etud. s. 1. vinaigre. — C. R. 54. 265) als Mykoderma
aceti beschrieben. Hansen (Medd. Carlsberg Laborat. 1879) wies 1879
nach, dass unter dem Namen Mykoderma aceti zwei botanisch ver-
schiedene Bakterienarten zusammengefasst worden waren, die er als
Bakt. aceti und Bakt. Pasteurianum bezeichnete; die Kahmhäute des
ersteren färbten sich mit Jod gelb, die des letzteren blau. Später
fand Hansen (R. G. 1893. 69 u. C. R. Carlsberg. III. 182) noch eine
dritte Art, das Bakt. Kuetzingianum. Ferner hat Wermischeff
P. 93. 213) zwei neue Essigbakterien isoliert, die weder die gelbe
noch die blaue Jodreaktion gaben und sich ausserdem von einer durch
Duclaux (r: bei Wermischeff) beschriebenen Art deutlich unterschie-
den. Es ist also nicht nur eine Art, sondern eine ganze Reihe
von Bakterien zu dieser Gährthätigkeit befähigt. (Betr. der morpho-
logischen Eigenschaften der Essigbakterien s. Bd. II).
Nach Lafae (C. 13. 684) scheint auch ein Sprosspilz als Erreger
von Essiggährung funktionieren zu können. Dagegen ist der sehr
häufig gleichzeitig mit den Essigbakterien, besonders im Anfang der
Gährung auftretende Saccharomyces mycoderma, Weinkahm, nicht als
Erreger der Essiggährung aufzufassen; er oxydiert vielmehr den Alko-
hol bis zu den Endprodukten C02 und H20. Das auffallend häufige
Zusammentreffen beider Pilze erklärt sich nach Nägeli daraus, dass
Gotschlich, Gährungserregung. 249
die Hefeart oft erst den Essigbakterien den Nährboden bereitet, indem
sie bei einem starken Gehalt des Nährmaterials an Fruchtsäuren diese
aufzehrt und dadurch die Acidität des Substrats verringert; doch be-
friedigt diese Annahme deshalb nicht Yollkommen, weil ja gerade die
Essigbakterien in viel höherem Grade als andere Spaltpilze saure Reaktion
des Substrats ohne Schaden ertragen.
Ob die Essigbakterien bei der Essiggährung wirklich eine ursäch-
liche Rolle als Gährungserreger spielen, ist lange zweifelhaft ge-
wesen. Dieselbe Umsetzung von Alkohol in Essigsäure Hess sich
nämlich in derselben Weise, allerdings in geringerem Grade auch
durch Platinmohr erreichen. Hiernach stellte sich Liebig (Ann. Ch.
Pharm. 153. 144) den Vorgang in beiden Fällen in ganz gleicher Weise
als rein chemische Wirkung vor; wie das Platinmohr so sollte auch
der Essigkahm als ausserordentlich poröser Körper den Sauerstoff auf
seiner Oberfläche kondensieren und so die Umwandlung des Alkohols
in Essigsäure bewirken; hiermit stimmt scheinbar die Begünstigung
der Essiggährung durch andere poröse Substanzen, wie die in der
Schnellessigfabrikation angewencletenHobelspäne,wohl überein. Pasteur
betonte zwar, dass zum Zustandekommen der Essiggährung in allen
Fällen die Anwesenheit des Essigpilzes unumgänglich nothwendig sei,
führte jedoch die Art der Wirksamkeit des letzteren auf eine in ganz
analoger Weise wie beim Platinmohr vor sich gehende Sauerstoff-
kondensierung und -Übertragung zurück (vgl. Etud. s. 1. vinaigre.
p. 72). Ad. Mayer und Knierim (L. V. 16. 305) wiesen nun aber
in überzeugender Weise nach, dass die Bedingungen beider Vorgänge
ganz verschieden sind, indem die Essigbildung durch Platinmohr in
gleicher Weise bei niedriger wie bei höchster Koncentration des Alko-
hols sich vollzieht und durch Temperaturen über 35° eher begünstigt
wird, während die durch den Essigpilz vermittelte Gährung nur in
Lösungen bis zu einem Alkoholgehalt von etwa 10°/0 und nur unter-
halb 35°, am besten zwischen 20 und 30° vor sich geht; ferner Hess
sich nachweisen, dass Essigkahmhäute, die durch massige Erhitzung
über 50° nachweislich abgetötet, aber in ihrer mechanischen Struktur
gar nicht verändert worden waren, sich unfähig zeigten, Essiggährung
hervorzurufen, und dass ebenso unorganisiertes poröses Material, wie
Fliesspapier, selbst bei sehr langer Dauer des Versuchs, nicht durch
Sauerstoffübertragung Essigsäure aus Alkohol zu bilden vermochte, so
lange das Hinzutreten von Essigbakterien von aussen absolut verhin-
dert war. Hiernach ist also die Funktion der Essiggährung unmittelbar
mit dem Leben der Essigbakterien verknüpft und als echte physiologische
Leistung derselben zu betrachten. Hierfür sprechen auch die übrigen
Bedingungen der Essiggährung. Dieselbe kommt nämlich nur dann zu-
250 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
stände, wenn die Essigbakterien ausser dem verdünnten Alkohol, der
ihnen als hauptsächlichster Nährstoff dient, noch stickstoffhaltiges
Nährmaterial und Aschebestandtheile vorfinden. Die N-haltige Nah-
rung wird am besten in Gestalt von Prote'instoffen, weniger günstig
durch Ammoniaksalze geliefert. Über den Bedarf an Salzen ist nichts
näheres bekannt; doch scheint derselbe ähnlich zu sein wie bei den
Hefepilzen, da dieselben Nährsalzlösungen für beide Gattungen von
Mikroorganismen brauchbar sind. Besonders begünstigt wird die Ent-
wicklung der Essigbakterien, wenn schon eine gewisse Menge Essig-
säure (1 — 2%) vorhanden ist. Unbedingtes Erfordernis für die Essig-
gährung ist reichlicher Luftzutritt, da die Oxydation des Alkohols zu
Essigsäure auf Kosten des atmosphärischen Sauerstoffs vor sich geht.
Daher wirkt auch die Anwendung porösen Materials, z. B. der Hobel-
späne, über welche das Essiggut bei der Schnellessigfabrikation sickert,
durch die Yergrösserung der Oberfläche, zu welcher der Sauerstoff un-
gehinderten Zutritt hat, indirekt begünstigend auf den Prozess.
Gegen die Temperatur zeigen verschiedene Arten der Essigbakterien
ein verschiedenes Verhalten; nachLAEAR (C. C. 1. 145) vermag das Bakt.
Pasteurian. bei 4,5 — 5° C. selbst bei einer Versuchsdauer von über drei
Monaten keine Essiggährung hervorzurufen, während Bakt. aceti Hansen
noch bei 4 — 4,5° intensive Gährthätigkeit äussert. Die Säureproduktion
erfolgt anfangs um so langsamer, je niedriger die Temperatur; ist aber
erst einmal eine bestimmte Menge von Essigsäure gebildet, so steigt
unter deren begünstigender "Wirkung die weitere Produktion auch bei
niederer Temperatur ganz rapid. Das Temperaturoptimum liegt zwischen
30 und 34°; bei weiterer Steigerung der Temperatur nimmt die Gähr-
intensität rasch ab, um bei 42° ganz zu sistieren; Erhitzung auf etwa
50° tötet die Essigbakterien ab. — Während die Essigbakterien gegen
ziemlich hohen Gehalt an Essigsäure sehr widerstandsfähig sind und
durch einen Gehalt von 2°/0 dieser Säure sogar gefördert werden, sind
sie gegen andere Säuren viel empfindlicher. Salzsäure wirkt nach
Hirschfeld (r: K. 1890. 139) schon in einer Koncentration von
0.06—0,07% störend, während 0,01— 0,02% den Prozess fördern sollen;
auch Phosphorsäure wirkt nach Cohn (ebd. 1890. 140) schon in 0,05 bis
0,07 proz. Lösung hindernd. Thymol soll nach Ad. Mater (Gährungs-
chemie. 1895. 181) schon in der Verdünnung von 1:10000 nachteilig
wirken; Salicylsäure in gleicher Verdünnung ist unschädlich, soll sogar
fremde Mikroben ausschliessen, so dass sie vielleicht zur Reinerhaltung
der Essiggährung verwendet werden könnte. — Der chemische
Prozess bei der Essiggährung lässt sich einfach folgendermassen aus-
drücken:
C2H5.OH + 02 = CHg.COOH + H20.
Gotschlich, Gährungserregung. 251
Wahrscheinlich wird als Zwischenprodukt Aldehyd gebildet, der be-
sonders bei ungenügendem Sauerstoffzutritt in merkbarer Menge auf-
tritt, so dass der Prozess in folgenden 2 Phasen verläuft:
C2H5 . OH + 0 = CH3 . CHO + H20
CH3.CHO + 0 = CH3 . COOH.
Daneben sollen nach Nägeli auch ausserordentlich kleine Mengen
von C02 entstehen. Endlich tritt als sekundäres Produkt durch Ver-
bindung der neugebildeten Essigsäure mit dem Alkohol des Gährsub-
strats Essigäther auf. Unter Umständen kann nach Verbrauch sämt-
lichen vorhandenen Alkohols auch die neu erzeugte Essigsäure selbst
weiter zu C02 und H20 verbrannt werden, weshalb bei längerer Gäh-
rungsdauer der Säuregehalt des Essiggutes wieder abnimmt; diese
bereits von Pasteue beobachtete Thatsache ist neuerdings von Laeae
für das B. Pasteurian. Hansen sichergestellt worden. Da die ver-
schiedenen Arten von Essigbakterien in ihrer Gährthätigkeit nach Laeae
durchaus nicht gleichwertig sind und häufig durch fremde Eindring-
linge Störungen des Prozesses herbeigeführt werden können, so er-
scheint die Forderung von Beesch (r: K. 1893. 252), in den Be-
trieb der Essigfabrikation behufs besserer Materialausnutzung und Er-
zeugung eines qualitativ feineren Gährproduktes Reinkulturen von
Essigbakterien einzuführen, durchaus berechtigt.
IL Nitrifikation.
Im Ackerboden vollzieht sich beständig eine Oxydation des Am-
moniaks, welches das letzte Abbauprodukt der bei der Fäulnis zer-
störten komplizierten N-haltigen Substanzen darstellt, zu Nitrat, das
dann von den Pflanzen aufgenommen und zur Synthese der N-haltigen
Proteinsubstanzen verwandt wird. Hiermit ist der Kreislauf des Stick-
stoffs in der Natur geschlossen. Dasjenige Glied dieses Kreislaufs nun,
welches den Übergang vom Ammoniak zum Nitrat darstellt, war bis
vor kurzem in seinem Mechanismus und seinen Bedingungen noch un-
aufgeklärt. Nachdem dieser Nitrifikationsprozess bisher stets als rein
chemischer Oxydationsvorgang aufgefasst worden war, wiesen zuerst
Müllee (L. V. 6. 263) und Scklösing u. Müntz (C. R. 84. 301; 85. 1018)
nach, dass zum Zustandekommen der Nitrifikation die Lebensthätigkeit
gewisser, vorläufig noch nicht näher zu definierender Mikroorganismen
unumgänglich notwendig ist; in erhitztem oder mit desinfizierenden
Mitteln behandeltem Boden kommt dieser Prozess nicht zustande. Diese
Ansicht der Forscher fand durch Waeington, Emich, Mttneo (cit.
n. Btjeei, C. C. 1. 23) weitere Bestätigung. Die Bemühungen je-
doch, die nitrifizierenden Mikroorganismen des Bodens rein zu züchten,
252 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
schlugen lange Zeit völlig fehl. Zwar gelang es Heraus (Z. 1. 193) von einer
ganzen Anzahl von Bakterien, so vom Bac. prodigios., Typhusbacillus,
Milzbrandbacillus , Spirillum Finkler, Spirillum Denecke, eine Nitrit-
bildung aus Ammoniak nachzuweisen; doch waren sowohl hier, wie bei
analogen Befunden Hueppe's (Tagebl. d. Naturf.-Vers. Wiesbaden 1887),
die stattfindenden Umsetzungen so geringfügig, dass sie die ausgiebig
unter natürlichen Verhältnissen im Boden stattfindende Nitrifikation
in keiner Weise zu erklären vermochten. Das Misslingen aller bis-
herigen Versuche, die spezifischen nitrifizierenden Mikroorganismen
rein zu züchten, hatte seinen Grund darin, dass zur Züchtung die ge-
bräuchlichen, an organischen Stoffen reichen Nährsubstrate verwendet
wurden, in denen, wie sogleich gezeigt werden soll, die nitrifizierenden
Organismen nicht zu wachsen vermögen. In der That gelang es Wino-
gradsky (P. 1890. 213, 257, 760) zuerst bei Züchtung in rein minera-
lischer Nährlösung (1 gr Ammonsulfat, 1 gr Kaliumphosphat, 0,5 bis
1,0 gr basisches Magnesiumkarbonat auf 1 Liter Wasser) durch fortge-
setzte Übertragung einen nitrifizierenden Organismus rein zu
züchten, den er als „Nitromonas" bezeichnete. Auf ähnlichem Wege
vermochten auch P. u. G. Frankland (Proc. Lond.. 47. 289; Ph. Tr.
181. 107), sowie Warington (r: K. 1S90. 109; 1891. 215) nitrifizierende
Mikroben zu isolieren.
Auffallend war dabei, dass in den mit den nitrifizierenden
Mikroorganismen infizierten Ammoniaksalzlösungen stets
viel mehr Nitrite als Nitrate gebildet wurden, obgleich im
Ackerboden sich nur die letzteren finden, Nitrite dagegen ganz fehlen.
In den Kulturen von P. u. G. Frankland fanden sich überhaupt nur
Nitrite, gar kein Nitrat. Durch ungenügenden Luftzutritt konnte diese
unvollständige Oxydation nicht erklärt werden; denn bei vergrösserter
Oberfläche der Kulturflüssigkeit, also bei vermehrtem Sauerstoffzutritt
sah Winogradsky die Energie der gesamten Oxydation zwar steigen,
doch das Verhältnis zwischen Nitriten und Nitraten sich noch mehr
zu Ungunsten der letzteren verschieben. Das Überwiegen der Nitrite
über die Nitrate konnte nun entweder in der Weise erklärt werden,
dass die nitrifizierenden Organismen die Oxydation des Ammoniaks stets
nur bis zum Nitrit treiben, welches dann durch den atmosphärischen
Sauerstoff auf rein chemischem Wege weiter zu Nitrat oxydiert werde,
oder durch die Existenz verschiedener Arten von Nitrifikationserregern,
deren einer das Ammoniak nur bis zum Nitrit oxydiert, während der
andere die Oxydation zu Nitraten bewirkt. Letztere Annahme bewährte
sich als zutreffend; die Trennung beider Arten von Organismen gelang
Warington noch unvollständig, Winogradsky (P. 91; S. 92 u. 577)
dagegen vermochte sie mit Hilfe einer verbesserten Methode durch
Gotschlich, Gährangserregung. 253
Züchtung auf dein von W. Kühne (C. 8. 410) angegebenen rein
mineralischen, gelatinierenden Kieselsäure - Nährboden mit Sicherheit
durchzuführen und erhielt so zwei ganz verschiedene Arten von nitri-
fizierenden Mikroorganismen, deren eine Ammoniak zu Nitriten
oxydiert, während die andere auf Ammonsalze gar nicht ein-
zuwirken vermag und Nitrite in Nitrate überführt. Durch
zahlreiche Untersuchungen von Bodenproben aus den verschiedensten
Erdteilen überzeugte sich Winogradsky (r: C. C. 1. 243) von der
geradezu ubiquitären Verbreitung seiner Nitrifikationsorganismen,
wodurch ihre Bedeutung als das spezifische Salpeterferment des Bodens
eine weitere Stütze erhielt. Diejenige Klasse von Mikroben, welche
Ammoniak in Nitrite oxydiert, zerfällt in 2 Arten, deren eine, Nitro -
somonas, mit 2 Unterarten europaea und javanensis in der alten Welt
gefunden wurde, während die andere, Nitrosokokkus, aus Bodenproben
von Südamerika und Australien stammt; dasjenige Bakterium, welches
die Verwandlung der Nitrite in Nitrate vollzieht, ist als Nitrobakter
benannt. Die morphologischen Eigenschaften der Nitrobakterien s. Bd.II.
Die ausserordentlich merkwürdige physiologische Stellung, welche diese
Mikroorganismen dadurch einnehmen, dass sie ihren C-Bedarf ohne
Chlorophyll und ohne Mitwirkung des Lichtes aus der C02
der Atmosphäre decken, ist früher bereits besprochen. Die
Mengen des assimilierten C und des oxydierten N zeigten bei den
einzelnen Versuchen Winogeadsky's ein ziemlich konstantes Verhältnis,
das zwischen 1 : 33 und 1 : 37 schwankte; im Mittel bedurfte es der
Oxydation von 35,4 mgr N, um 1 mgr C in organische Verbindungen
überzuführen. Dieses gewaltige Überwiegen des Nitrifikationsprozesses
über die Assimilationsvorgänge berechtigt uns vollauf, den Vorgang
als eine Gährung zu bezeichnen; der Unterschied von den gewöhnlichen
Gährungen liegt hier, wie bei den übrigen Oxydationsgährungen, darin,
dass diese Existenz unter Gährthätigkeit überhaupt die für den betr.
Pilz einzig mögliche ist, während andere Gährungserreger, wie z. B die
Hefe, auch ohne Gährthätigkeit zu vegetieren vermögen. Die Nitri-
fikation des NH3 stellt für die Nitrobakterien die einzige Kraftquelle
dar; auf organischem Nährmaterial vermögen sie nicht zu existieren;
die bezüglichen vermeintlichen positiven Befunde von P. u. G. Feank-
land und Waeington erklären sich nach Winogeadskt's sorgfältigen
Kontrollversuchen durch Verunreinigungen der Kulturen jener Autoren.
Ganz neuerdings wollen indessen Btteei und Sttjtzee (C. C. 1. 721)
einen nitrifizierenden Bacillus gezüchtet haben, der auch auf Gelatine
wächst, hier jedoch seine nitrifizierende Thätigkeit nicht ausübt. Von
der Einwirkung äusserer Bedingungen auf den Nitrifikationsprozess sei
der von Dumont u. Ceochetelle (C. R. 117. 670; 118. 601; 119. 93)
254 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
konstatierte begünstigende Einfluss niancherSalzehervorgehoben; Kaliurn-
karbonatbefördert denselben bei einem Zusatz von 0,2 — 0,3 %, Kaliumsulf'at
in etwa 0,7—0,8 °/0, doch nur bei einem gewissen Kalkgehalt des Bodens.
Chlorkaliumzusatz wirkt schädlich, aber nur indirekt, indem im Boden
eine teilweise Umsetzung zu Chlorcalcium erfolgt; wird letzteres aus
dem Boden ausgewaschen, so tritt sogar ein günstiger Erfolg des Salz-
zusatzes zu Tage; hiernach glauben die Verff. den sehr wechselnden
Einfluss des Zusatzes von Chloriden auf die Erntegrösse je nach der
Durchspülung des Ackers mit Regen erklären zu können. Selbst-
verständliche Voraussetzung zum Zustandekommen des Nitrifikations-
prozesses ist reichlicher Zutritt von atmosphärischem Sauerstoff, da auf
dessen Kosten die Oxydation erfolgt. Die Konkurrenz zwischen der
Ammoniakbildung und der Nitrifikation im Ackerboden wird daher
wesentlich durch die Porosität und Luftdurchgängigkeit des Bodens
entschieden (Müntz: C. R. 110. 1206); in sehr dichtem Boden findet
nur NH3 -Entwicklung statt. So erklärt sich auch die von Deherain
(C. R. 116.1091) festgestellte Thatsache, dass in stark durchgearbeitetem,
energisch zerkleinertem Boden die Nitrifikation viel energischer vor
sich geht. Ausserdem zeigt die Energie der Nitrifikation im Boden
jahreszeitliche Schwankungen und ist speziell vom Frühling bis zum
Herbst viel intensiver als im Winter. Genauere Aufklärung dieser
auch praktisch hochwichtigen Verhältnisse muss späteren Untersuchungen
aufbewahrt bleiben.
Zu den Oxydationsgährungen ist wohl noch zu rechnen die von
Bottteoux (CR. 102. 924) beobachtete Vergährung des Trauben-
zuckers zu Glukonsäure: C6H1207, oder einer mit dieser isomeren
Zymoglukonsäure, sowie die weitere Vergährung dieser zur Oxyglukon-
säure: C6H|2Os. Ferner lässt sich auch die früher besprochene Oxydation
von Eisenoxydulsalzen zu Ferrihydrat durch Winogeadsky's Eisen-
bakterien, sowie die Oxydation des H2S zu H2S04 durch die Schwefel-
bakterien desselben Autors unter dem Gesichtspunkt einer Oxydations-
gährung betrachten. Die Grenzbestimmung zwischen einfachem Stoff-
wechsel und Gährthätigkeit ist hier mindestens sehr schwierig.
C. Zusammengesetzte Gährungen.
I. Die Fäulnis.
Unter Fäulnis oder fauliger Gährung begreift man die rasche und
intensive Zerlegung N-haltiger, hauptsächlich eiweissartiger Substanzen
durch gewisse Spaltpilze, bei welcher gasige, übelriechende Produkte
in grösserer Menge gebildet werden.
Gotschlich, Gährungserregung. 255
Das Material für diese Gährung liefern zunächst die eigent-
lichen Eiweissstoffe; dieselben scheinen allerdings niemals direkt der
Zerlegung anheimzufallen, sondern zunächst einer Verwandlung in Peptone
zu unterliegen; da aber peptonisierendes Ferment den fäulniserregen-
den und vielen anderen Spaltpilzen zuzukommen pflegt, so ist prak-
tisch nur ein zeitlicher Unterschied zwischen der Fäulnis löslicher und
unlöslicher eiweissartiger Stoffe; durch Hinzufügen von peptonisieren-
dem Pankreasferment wird aber dementsprechend die Fäulnis besonders
beschleunigt. Ferner sind die leimartigen und leimgebenden
Stoffe zur Fäulnis disponiert, dann die Peptone, endlich einige
N-haltige Körper von viel einfacherer chemischer Zusammensetzung
als die Eiweisssubstanzen, die jedoch den letzteren dadurch nahe stehen,
dass sie als Komponenten des Eiweissmoleküls angesehen werden
müssen, so namentlich das Leu ein.
Auffallend ist, dass Milch sehr wenig zur Fäulnis neigt und sogar
andere fäulnisfällige Stoffe, "wie Fleisch, gegen Fäulnis zu schützen
vermag. Dies ist schon eine alte Erfahrung aus der Haushaltung, wird aber
noch besonders durch Versuche von Winternitz (Z. physiol. Ch. 16. 460) bestätigt,
Auch im Darmkanal äussert sich diese fäulnishemmende Eigenschaft der Milch;
daher fehlen in den Säuglingsstühlen gänzlich Indol, Skatol, Phenol; ebenso ist
die Darmfäulnis beim Erwachsenen bei Milch- oder Kefyrdiät nach Pohl (Maly's
Jahrb. 1S87. 277), Biernacki (A. M. 49), Rovighi (Z. physiol. Ch. 16. 43),
Winternitz (a. a. 0.) sehr herabgesetzt, wie sich in der verminderten Ausschei-
dung der Athersckwefel säuren im' Harn kundgiebt. Diese fäulniswidrige Wirkung
der Milch beruht auf ihrem Gehalt an Milchzucker, in Übereinstimmung mit Ver-
suchen von Hirschler (Z. physiol. Ch. 10. 302), der allgemein eine fäulnisverzögernde
Wirkung der Kohlehydrate beobachtete. Nach den Fütterungsversuchen von
K. Schmitz (ebd. 14. 378; 15. 401) übt auch frischer Käse eine solche fäulnis-
widrige Wirkung aus; doch beruht diese nur auf seinem Gehalt an Milchzucker ;
reines Kasein setzt der Fäulnis keinen Widerstand entgegen. Die fäulniswidrige
Wirkung der Kohlehydrate erklärt sich nach Hirschler dadurch, dass bei gleich-
zeitiger Anwesenheit von Eiweisskörpern und Kohlehydraten eine Elektion des
Nährmaterials statthat, wobei die letzteren leichter angegriffen werden und da-
durch das Eiweissmolekül vor Zerfall schützen, oder nach Winternitz und
K. Schmitz dadurch, dass unter den durch den Zusatz von Zucker oder dgl. ganz
veränderten Verhältnissen des Nährbodens nicht die zur fauligen Zersetzung des
Eiweiss befähigten spezifischen Fäulniserreger, sondern eine ganz andere Bakterien-
flora mit anderen chemischen Fähigkeiten auftritt. — Übrigens ist die Milch nicht
gegen jeden Fäulnisprozess gefeit; vielmehr konstatierte Flügge (Z. 17) eine mit
Produktion ausserordentlich übelriechender Gase einhergehende, durch Anaeroben
eingeleitete faulige Zersetzung derselben.
Die Art der Zerlegung des Eiweissmoleküls bei der Fäulnis ver-
läuft in vieler Beziehung analog der durch einfache chemische Eingriffe,
z. B. durch Behandlung mit Säuren oder Alkalien hervorgerufenen
Spaltung. Zuerst erfolgt eine hydrolytische Spaltung in Albumosen
256 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
und weiterhin in Peptone. Diese komplizierten Moleküle werden
dann zunächst in der Weise abgebaut, dass Amidoderivate der Fett-
reihe (namentlich Amidosäuren), N-haltige Körper aus der aromatischen
Reihe (z. B. Indol, Skatol), Sulfosäuren (Taurin) und vielleicht noch
peptonartige Reste entstehen. Unter diesen ersten Fäulnisprodukten
findet sich anch das von Stadelmann (Z. f. Biol. 26) beschriebene
Tryptophan, das sich, mit Bromwasser versetzt, purpurrot färbt.
Meist unterliegen diese erstgebildeten Produkte rasch einer weiteren
Zerlegung, so dass sie wenig bemerkbar werden; z. B. die Amidosäuren
in NH3 und Fettsäuren, von denen die letzteren noch weiter nach
einer der oben gegebenen Gleichungen, gewöhnlich unter Freiwerden
von C02, H2, CH4 gespalten werden. So hat man speziell für das Leucin
eine Gährung feststellen können, die nach folgender Gleichung zu ver-
laufen scheint:
C5H10.NH2.COOH + 2H20 = C4H!).COOH + NE, + C02 + 2H2.
Leucin Valeriansäure.
Leucinsäure unterliegt nach Stolnikofe (Z. physiol. Ch. I. 345)
einer ähnlichen Zersetzung, bei welcher ein Teil zu Kapronsäure redu-
ziert wird, während der grössere Teil eine tiefer gehende Spaltung zu
Buttersäure, Essigsäure, CH4 , C02 und H2 erfährt. Ahnliche Zer-
setzungen erleiden ferner vielleicht das Glykokoll und andere Amido-
säuren. Auch für das Tyrosin muss man eine baldige weitere Zerlegung
supponieren, da dasselbe in grösserer Menge nur im Anfang der Fäulnis
gefunden wird.
Die Entstehung der N-freien aromatischen Substanzen, der Homo-
logen der Benzoesäure, als Phenylessigsäure und Phenylpropionsäure,
erfolgt nach Baumann (B. Ch. 13. 385) aus einer im Eiweissmolekül
präformierten Phenylamidosäure, wie eine solche von Schulze u. Bar-
biert (ebd. 14. 1785) bei anderer Gelegenheit als Eiweissspaltungs-
produkt nachgewiesen ist; auch giebt Phenylamidopropionsäure nach
Baumann (Z. physiol. Ch. 7. 282) bei der Fäulnis in der That Phenyl-
essigsäure. Daneben könnten aber die Homologen der Benzoesäure
nach E. u. H. Salkowski (ebd. 7. 450) wahrscheinlich auch direkt
aus dem Tyrosinkern des Eiweissmoleküls entstehen, da es gelang, aus
reinem Tyrosin Hydrozimmtsäure zu erhalten.
Die N-haltigen aromatischen Fäulnisprodukte, als Indol, Skatol,
Skatolkarbonsäure, entstehen nach E. Salkowski (ebd. 8. 417) wahr-
scheinlich aus einer gemeinsamen, im Eiweissmolekül präformierten
Muttersubstanz, da Indol und Skatol sich vertreten können; ausserdem
wird das Indol nicht direkt als solches aus dem Eiweissmolekül abge-
spalten, sondern zunächst in Form einer Zwischensubstanz, die dann
ihrerseits bei weiterer Zerlegung Indol liefert; daher steigt in der ersten
Gotschlich, Gährungserregung. 257
Zeit des Fäulnisprozesses die Menge des gebildeten Indols in stärkerer
Progression als die Zersetzung des Eiweisses. Die quantitative Aus-
beute an Indol ist bei verschiedenen Fäulnisgemischen verschieden, kann
aber bis über 1 °'0 betragen. — Von den äusserst zahlreichen Körpern,
die überhaupt als Fäulnisprodukte auftreten können, seien genannt:
C02, CH4, H2, N2 , H2S; Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure,
Valerian säure, Palmitinsäure, Akrylsäure, Krotonsäure, Glykolsäure,
Milchsäure, Valerolaktonsäure; Oxalsäure, Bernsteinsäure; Leucin, Gly-
kokoll, Glutaminsäure, Asparaginsäure, Amidostearinsäure; Ammoniak,
Ammoniumkarbonat,Ammoniumsulfid;Propylamin,Trimethylaminu.s.w.;
die oben besprochenen aromatischen Körper, sowie Ortho- und Para-
kresol, Hydroparacumarsäure; endlich die früher eingehend behandelten
Ptomai'ne.
Schon die Zahl und Mannigfaltigkeit dieser Produkte lässt darauf
schliessen, dass ihre Bildung nicht in dem gleichen Umfang bei jedem
Fäulnisakte wiederkehrt. In der That finden wir durchaus nicht immer
alle die aufgezählten Produkte, sondern die Zerlegung des Eiweissmole-
küls verläuft in wechselnder Weise und fördert bald diese, bald jene
Produkte zu Tage. An diesem schwankenden Verlauf der Fäulnis kann
teilweise wohl die Verschiedenheit des Gährmaterials, sowie eine Diffe-
renz der äusseren Bedingungen beteiligt sein; zum grössten Teil ist
aber die Verschiedenheit der die Fäulnis erregenden Bakterien die Ur-
sache. Je nachdem die eine oder die andere Bakterienart oder ein
wechselndes Gemenge derselben im Fäulnisgemisch vorherrscht, kommt
es zu qualitativ oder quantitativ anderer Zusammensetzung der Pro-
dukte. In der That ist durch Versuche mit Reinkulturen bereits eine
grosse Zahl von Bakterienarten bekannt geworden, welche sämtlich in
reiner Kultur eine rasche Zerlegung des Eiweissmoleküls unter Bil-
dung übelriechender Gase bewirken, deren Leistung aber sowohl hin-
sichtlich der Qualität der Produkte, wie nach der quantitativen Seite
hin sehr verschieden ist. Bei vielen Arten giebt allerdings einstweilen
nur die Entwicklung chemisch nicht näher definierter übelriechender
Gase das Kriterium, auf welches hin wir eine Zerlegung des Eiweiss-
moleküls im Sinne der Fäulnis annehmen, so bei Bac. saprogenes I,
II, III, Bac. coprogen. foetidus, Proteus, Bac. pyogen, foetidus, Mikrok.
foetidus und verschiedenen Anaeroben. Bei anderen ist eine schärfere
Charakterisierung der entstehenden Produkte bereits möglich; so ist z. B.
die Bildung von Trimethylamin durch Bac. ureae, Bac. prodigiosus, Bac.
fiuorescens putidus erwiesen; Bac. fluorescens liquefac. bildet Pepton
und flüchtige Fettsäuren, Bac. butyricus Hueppe Pepton, Leucin,
Tyrosin, Ammoniak, Bac. putrificus coli Bienstock (Z. M. 8) Pepton,
Ammoniak, Fettsäuren, Tyrosin, Phenol, Indol, Skatol. Nach Kuhn
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 17
258 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
(A. 13. 40) sind als hauptsächlichste Erreger der Leichenfäulnis Pro-
teus vulgaris und Zenkeri zu betrachten; nur der erstere bildet In-
dol. Es sind also zahlreiche Bakterien zur Eiweissspaltung
befähigt; die meisten lassen jedoch grosse Reste des Eiweissmole-
küls unzerlegt und bewirken nur in einzelnen Teilen desselben tiefere
Spaltungen; nur wenige bewirken so vollständige und tiefgehende Zer-
legungen, wie etwa Bienstock's Bac. putrificus coli, der Repräsentanten
der verschiedensten Gruppen von Fäulnisprodukten erzeugt, und bei
diesen wenigen muss es zweifelhaft bleiben, ob die ganze Spaltung
unter direkter Einwirkung des Bakterienlebens erfolgt', oder ob nicht
nach einer oberflächlichen direkten Zerlegung der weitere Abbau der
Zwischenprodukte mittelbar durch Reduktionen und Oxydationen, her-
vorgerufen durch nascierenden H, bewirkt wird. Jedenfalls kann von
der Aufstellung einer allgemein giltigen Umsetzungsgleichung für die
als Fäulnis bezeichnete Zerlegung der Eiweisskörper nicht die Rede
sein, sondern es werden bestimmte chemische Gleichungen nur für jede
einzelne, durch einen bestimmten Mikroben verursachte Art der Zer-
legung anzunehmen sein.
Hiernach wird die spontan verlaufende Fäulnis je nach den zu-
fällig vorhandenen Bakterien und nach den jeweiligen, der einen oder
anderen Art günstigeren Existenzbedingungen ausserordentlich viele
Verschiedenheiten zeigen. Welche Pilze namentlich im Anfang zur
Herrschaft gelangen, das hängt von der chemischen Zusammensetzung,
der Koncentration, Reaktion und Temperatur des fäulnisfähigen Sub-
strats ab; im Laufe der Zeit und unter dem Einfluss der allmählich
fortschreitenden Fäulnis ändern sich diese Bedingungen vollständig; aus
neutralen Körpern können Säuren abgespalten werden, durch Zerfall
der N-haltigen Moleküle unter Bildung von NH3 kann andererseits die
Alkalescenz vermehrt werden; die Relation der einzelnen chemischen
Bestandteile ändert sich, weil die eine Art stärker in die Zerlegung
hineingezogen wird, als die andere. Dadurch bieten sich immer wieder
für andere Spaltpilze günstige Existenzbedingungen, und so stellt sich
die spontan verlaufende Fäulnis gewöhnlich als eine fast regellose, von
nicht übersehbaren Einzelbedingungen abhängige Folge von Umsetzungen
dar, welche durch die verschiedensten und in ganz verschiedener Weise
wirksamen Spaltpilzarten hervorgebracht wird. Im Anfang der Fäul-
nis beobachtet man gewöhnlich mehrere Arten von Mikrokokken so-
wie grosse Bacillen, später finden sich auch Massen von kürzeren Bak-
terien ein; an der Oberfläche des Fäulnisgemisches scheinen Formen
zu prävalieren, wie sie früher unter dem Sammelnamen Bakt. termo
beschrieben wurden und unter denen nach Ausweis der Plattenkultu-
ren der Bac. fluorescens liquefac. in grösster Zahl vertreten ist. Da-
Gotschlich, Gährungserregung. 259
bei ist nicht zu vergessen, class ausserdem zahlreiche Spaltpilze in
faulenden Gemischen sich ansiedeln, denen überhaupt keine Gährwir-
kung zukommt, oder die doch einstweilen noch kein für sie passendes
Gährmaterial vorfinden; später freilich, wenn erst intensive Gährung
eingeleitet ist, pflegen die dabei aktiv beteiligten Pilze die Entwick-
lung anderer Formen zu hemmen. Alle diese Massen von begleitenden
Mikroorganismen müssen den Fäulnisprozess noch dadurch komplizie-
ren, dass auch ihre Stoffwechselprodukte sich mit den Gährprodukten
mischen.
Von grösstem Einfrass auf den Verlauf des Fäulnisprozesses ist
der Sauerstoff. Schon längst ist bekannt, dass nur bei Beschränkung
des Luftzutritts eigentliche stinkende Fäulnis stattfindet. Bei reich-
licher Luftzufuhr dagegen fehlen die übelriechenden Gase, vielmehr
beobachtet man hierbei eine rasche und sehr vollständige Oxydation
aller fäulnisfähigen Stoffe und bezeichnet daher diese Art von Fäul-
nis mit einem besonderen Namen als „Verwesung". Pastettb, hob
den Unterschied der Fäulnis mit Sauerstoffzutritt und derjenigen ohne
Sauerstoff zuerst schärfer hervor; nach seiner Ansicht sind die eigent-
lichen Fäulnispilze Anaeroben und bedürfen zu ihrer Entwicklung
durchaus der vorbereitenden Thätigkeit aerober Mikroorganismen, welche
bei Luffcabschluss nur den in der Faulflüssigkeit gelösten Sauerstoff
zu verzehren brauchen und dann ihre Thätigkeit einstellen, bei Luft-
zutritt dagegen während der ganzen Dauer des Fäulnisprozesses auf
der Oberfläche der Flüssigkeit unter Häutchenbildung intensiv wuchern
und so den Zutritt des Sauerstoffs zum Innern durch Konsumption
desselben hindern; die erste Spaltung der Eiweisskörper wird dann
durch die in der Tiefe des Substrats vegetierenden Anaeroben bewirkt,
während die hieraus hervorgehenden komplizierten Zwischenprodukte
durch die Thätigkeit der an der Oberfläche wuchernden Aeroben rasch
und vollständig bis zu den Endprodukten zerlegt werden. Pasteue.
suchte also den Unterschied zwischen Fäulnis bei Sauerstoffzutritt und
-Abschluss entsprechend seiner auf der Anaerobiose basierenden Gähr-
theorie zu erklären. Doch ist durch neuere Untersuchungen zweifel-
los erwiesen, dass einige Bakterien sowohl bei Fehlen wie bei reich-
licher Anwesenheit von Sauerstoff imstande sind, das Eiweissmolekül
unter Erzeugung charakteristischer Fäulnisprodukte zu zerlegen. Ausser-
dem ergiebt sich eine teilweise Erklärung für den Einfluss der Sauer-
stoffzufuhr schon aas den rein chemischen Vorgängen, die sich bei
der Fäulnis abspielen. Unter Abschluss des Sauerstoffs treten um-
fangreiche Reduktionen auf, teils direkt durch den Gährvorgang
selbst, teils indirekt durch den hierbei entstehenden Wasserstoff. Über
den Chemismus und die Produkte dieser Reduktionen ist schon in
250 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
einem früheren Abschnitt bei der Behandlung der Stoffwechselpro-
dukte eingehend gehandelt, worauf hier verwiesen sein mag. Im gan-
zen ist jedenfalls die Veränderung des Gährmaterials und der Gähr-
produkte hierbei nur eine geringfügige, und es ist somit für den Ver-
lauf der Fäulnis ohne Sauerstoff charakteristisch, dass die eigentlichen
Gährprodukte meist unverändert zu Tage treten, ohne dass eine um-
fangreichere Zerstörung und Oxydation derselben erfolgt; auch ist es
begreiflich, dass unter diesen Bedingungen nur solche Spaltpilze existie-
ren können, denen der Sauerstoff völlig entbehrlich ist, so lange ihnen
Gährmaterial zur Verfügung steht.
Anders bei reichlichem Sauerstoffzutritt. Hier spielt der nascierende
Wasserstoff vermutlich eine viel bedeutsamere Rolle. Hoppe-Setler
hat es wahrscheinlich zu machen gesucht, dass der nascierende H das
Sauerstoffmolekül zerreissen und so den Sauerstoff aktivieren muss;
der Vorgang ist hierbei so vorzustellen, dass je 2 Atome des nascierenden
H immer ein Atom des Sauerstoffmoleküls 02 an sich reissen und damit
Wasser bilden, während nun das andere Atom Sauerstoff in freiem
Zustand zu den kräftigsten Oxydationen befähigt ist. Auch auf anderem,
rein chemischem Wege entstandener H vermag diese Aktivierung des
Sauerstoffs auszuführen, so der aus Palladiumwasserstoff durch Disso-
ciation allmählich austretende H. Unter dieser Annahme wird es leicht
verständlich, weshalb bei Luftzutritt die Fäulnis so völlig anders ver-
läuft, als bei Luftabschluss. Nicht nur dass die eigentlichen Reduktions-
produkte, wie H2, H2S, überhaupt nicht zu Tage treten, sondern der
Oxydation anheimfallen, auch eine Menge anderer Substanzen, die sonst
dem geschlossenen Sauerstoffmolekül gegenüber bei gewöhnlicher Tempe-
ratur völlig resistent sind, werden von dem aktivierten Sauerstoff an-
gegriffen und in einfachste Verbindungen übergeführt. Die Zerstörung
der fäulnisfähigen Stoffe erfolgt so in gleich vollständiger Weise wie
bei der Zerlegung im lebenden tierischen Organismus oder auch in
Spaltpilzen, die bei Sauerstoffzufuhr in normaler Weise die gebotenen
Nährstoffe oxydieren. Ausserdem werden nicht selten auch an der
Oberfläche der Faulflüssigkeit angesiedelte Mikroorganismen sich von
den Gährprodukten ernähren und diese zu einfachsten Verbindungen
verbrennen. — In unserer natürlichen Umgebung sind beide Vorgänge
— Fäulnis und Verwesung — reichlich vertreten. Häufig findet man
beide Prozesse neben einander auf demselben toten organischen Substrat;
so kann an der Oberfläche einer Faulflüssigkeit vollständige Verwesung
erfolgen, während in der Tiefe unter anaeroben Bedingungen Fäulnis-
prozesse vor sich gehen; ferner findet man Überwiegen der Oxydations-
prozesse an der Bodenoberfläche, während in tieferen Schichten haupt-
sächlich Reduktionsprozesse sich abspielen. Auch die Zersetzungen im
Gotschlich, Gährungserregung. 261
Stallmist, sowie im gedüngten Acker sind nach Wollny (C. 1. 441) und
Severin (C. C. 1) teils als Reduktions-, teils als Oxydationsprozesse
aufzufassen. Reine Fäulnis kommt leicht überall da zustande, wo für
vollständige Fernhaltung des Sauerstoffs gesorgt ist, sei es in der Tiefe
der faulenden Substrate, sei es nach vorgängiger Konsumption des vor-
handenen Sauerstoffs durch aerobe Arten. Vollständige Verwesung
dagegen ohne jede Entwicklung von übelriechenden Gasen und kom-
plizierten Reduktionsprodukten kommt viel seltener vor, weil hierzu
eine äusserst innige, beständige Berührung des Fäulnismaterials mit
Luft vorausgesetzt wird; am günstigsten scheinen die Bedingungen
hierfür in leicht durchgängigem und zeitweise durchfeuchtetem Boden
zu liegen; dort geht geradezu eine Mineralisierung organischer Sub-
stanzen in so vollkommener Weise vor sich, dass bald weder kompli-
ziertere C-Verbindungen, noch H2S, noch NH3 vorhanden sind, sondern
nur noch C02, Sulfate und Nitrate. (Vgl. den vorangegangenen Ab-
schnitt Nitrifikation.) — Endlich beobachtet man noch häufig, be-
sonders bei der Zersetzung pflanzlicher, N-armer, cellulosehaltiger Sub-
stanzen im Boden einen nicht näher charakterisierten Prozess, bei dem
es zur Bildung von Huminsubstanzen und CH4 kommt; dieser Prozess,
der sowohl in Bezug auf seine Erreger als auf seinen Chemismus noch
ganz unklar ist, wird als „Vermoderung" bezeichnet.
Von besonderem Interesse, zumal in praktischer Hinsicht, sind die
unter gewissen Bedingungen bei der Fäulnis, z. B. im gedüngten Boden
und bei verwandten Prozessen, auftretenden Stickstoffverluste, wo-
bei elementarer N2 entweicht und für die Ausnutzung für landwirt-
schaftliche Zwecke verloren geht. Der Prozess ist als eine Reduktion
der Nitrate anzusehen und geht nur bei völligem Luftabschluss
vor sich. In faulendem Material, das weder Nitrate noch Nitrite ent-
hält, findet daher nach den übereinstimmenden Angaben zahlreicher
Beobachter, wie König (Der Kreislauf des Stickstoffs. 1878. 19), Morgen
(L. V. 30. 213), Lowes, Gilbert u. Pugh (Ph. Tr. 1861. II. 497),
Rüge (Sitzungsber. d. Wiener Akad. math. Kl. 43. 758), Tacke (Landw.
Jahrb. 1887. 917), Ehrenberg (Z. physiol. Ch. 11. 145), Kellner u.
Yoshii (ebd. 12. 95), Burri, Hereeldt u. Stutzer (Journ. f. Landw.
1894. 329), kein Stickstoffverlust statt. Bei Gegenwart von Nitraten
oder Nitriten hingegen kann elementarer N2 abgespalten werden, wie
durch Gayon u. Dupetit (C. R. 95. 644 u. 1365), Deherain u. Maquenne
(ebd. 691, 732, 854), Heraus (Z. 1. 193), Tacke (a. a. 0.), Ehrenberg (a. a.
0.), Springer (B. Ch. 16. 1278), Leone (r: K. 90. 111), Dietzell (r:
Z. physiol. Ch. 11. 153), Breal (C. R. 114. 681), Giltat u. Aberson
(r: K. 92. 226), Burri u. Stutzer (C. C. 1. 353) festgestellt ist.
Der Stickstoffverlust in dem faulenden Material betrug in manchen
262 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Versuchen nur einige Prozent, in anderen Fällen aber, wie bei Bueei
u. Stutzek, etwa 80 % ; Giltay u. Abeeson geben sogar an, dass fast
der ganze Nitratstickstoff in freien Stickstoff umgewandelt worden sei.
Bedingung für das Zustandekommen der Nitratreduktion ist ausser dem
Luftabschluss noch starker Wassergehalt der Substrate; ferner scheint,
wenigstens für manche Arten, der Gehalt des Fäulnisgemisches an be-
stimmten organischen Nährstoffen notwendig zu sein. Die älteren Ver-
suche sind meist nicht mit Reinkulturen, sondern mit Fäulnisgemischen
angestellt, oder die Beschreibung der verwendeten Arten ist nur eine
unvollständige, so dass ein Wiedererkennen derselben unmöglich wäre.
Neuerdings haben aber Bueei u. Stützee mehrere Arten nitrat-
zerlegender Bakterien sehr eingehend beschrieben, die sie aus Pferde-
fäces und Stroh isolierten. Besonders bemerkenswert sind zwei dieser
Arten, deren eine fakultativ anaerob, deren andere obligat aerob ist,
und die nur in Symbiose mit einander zur Nitratzerlegung befähigt
sind, während jede einzelne Art diesen Prozess nicht auszulösen vermag.
Doch kann die fakultativ anaerobe Art in ihrer Funktion sehr wohl
durch Bact. coli comm. und durch den Typhusbacillus vertreten werden,
während dies bei der anderen Art nicht angeht. Ein dritter denitri-
fizierender Bacillus übte für sich allein seine Wirkung aus, ja sogar
in einer Lösung, die das Nitrat als einzige N-Quelle enthielt. Bei der
Reduktion des Salpeters werden bedeutende Mengen von Alkali frei,
die schliesslich hemmend auf den Fortgang der Gährung einwirken.
II. Komplizierte, ihrem chemischen Verlauf nach noch un-
bekannte Gährungen, die in den Gährungsgewerben Anwen-
dung finden.
1. Kefir gährung. Kefir und Kumys sind alkoholische Getränke, die seit
Alters von kaukasischen Völkern durch die Vergährung der Milch gewonnen
werden. Hierbei findet ein Zusammenwirken von Milchsäurebakterien und Hefe
statt; erstere bewirken die Umwandlung des Milchzuckers in gährfähigen Trauben-
zucker, der dann durch die Hefe zu Alkohol vergohren wird; ausserdem bilden
die Milchsäurebakterien natürlich noch Milchsäure. Das Ferment der Kefirgährung,
welches diese Erreger enthält, kann in Gestalt der sog. „Kefirkörner" lange
Zeit trocken aufbewahrt und versandt werden. Die in den Kefirkörnern ent-
haltenen Mikroorganismen sind zuerst von Krannhals (A. M. 35) und Kern
(Biol. Centralbl. 2. 137) genau beschrieben worden, (vgl. Bd. II). Im Kumys
fanden Nencki u. Fabian (r: C. IL 523) zwei ähnliche Mikroben. Beijerinck
(r: K. 92. 182) fand, dass die Hefe der Kefirkörner ein Milchzucker spalten-
des Ferment, eine Laktase besitzt und so zur Vergährung desselben befähigt ist;
durch die von den Milchsäurebakterien ausgeschiedene Säure wird die Entwicklung
der Hefe begünstigt.
Die im Kaukasus übliche Methode der Kefirbereitung ist sehr einfach; frische
Kuh- oder Ziegenmilch wird in einen Schlauch gefüllt, mit einigen frischen Kefir-
Gotsohlich, Gährungserregung. 263
hörnern versetzt, der Schlauch geschlossen, bei mittlerer Temperatur verwahrt
und häufig durchgeschüttelt; nach 1 — 2 Tagen ist das Getränk fertig und wird
abgefüllt; der im Schlauch verbleibende Rückstand von Kefirkörnern kann sogleich
zu einer neuen Gährung verwendet werden. — Zur Bereitung ausserhalb des
einheimischen Gebietes sind 2 Methoden anwendbar. Nach der ersten lässt man
die trockenen bräunlichen Kefirkörner des Handels 5—6 Stunden in lauem Wasser
liegen, bis sie quellen; dann spült man sie sorgfältig ab und bringt sie in frische
Milch, die täglich 1 — 2 mal zu erneuern ist, bis die Körner rein weiss werden
und in frischer Milch rasch (nach 20 — 30 Min.) an die Oberfläche steigen. Auf
einen vollen Esslöffel der so vorbereiteten Körner giesst man dann in einer Flasche
etwa 1 Liter Milch, lässt 5 — 8 St. offen stehen, verschliesst dann die Flasche fest
und hält dieselbe bei ca. 18°, indem man sie etwa alle 2 Stunden schüttelt. Nach
8 — 24 Stunden giesst man die Flüssigkeit durch ein feines Sieb in eine andere
Flasche, die höchstens zu 4/5 gefüllt werden darf, und lässt wieder verschlossen
nnd unter Umschütteln stehen. Nach 24 Stunden erhält man dann den sog. ein-
tägigen Kefir, der noch wenig C02 und Alkohol enthält; gewöhnlich trinkt man
erst den 2tägigen, der nach längerem ruhigen Stehen 2 Schichten, eine untere molken-
artige, durchscheinende und eine obere, aus feinsten Kasei'nflöckchen bestehende
unterscheiden lässt und nach dem Durchschütteln rahmähnliche Konsistenz zeigt.
3tägiger Kefir ist wieder dünnflüssiger und sehr saner. — Der beim Absieben er-
haltene Rückstand kann nach gründlichen Abspülen mit Wasser sogleich zu einer
neuen Gährung verwandt werden. Die im Gebrauch befindlichen Körner sind
stets von Zeit zu Zeit gründlich zu reinigen und immer wieder bis zu Erbsen-
grösse zu zerkleinern. Im lufttrockenen Zustand bewahren die Körner ihre Keim-
fähigkeit jahrelang. — Eine zweite einfachere Methode ist da anwendbar, wo
man einen guten 2 — 3tägigen Kefir fertig bekommen kann. Man fügt dann von
diesem 1 Teil zu 3 —4 Teilen frischer Kuhmilch, füllt auf Flaschen und lässt etwa
48 Stunden unter zeitweisem Umschütteln stehen. Von dem fertigen Getränk
lässt man etwa 1/5 — i/3 in der Flasche zurück, als Ferment für die neu anzusetzende
Gährung. — Schuppan (C. 13. 527) empfiehlt, Kefir aus sterilisierter Milch
mittelst aus Kefirkörnern gewonnenen Reinkulturen zu bereiten.
Die chemische Untersuchung ergiebt als wesentlichste Gährprodukte Äthyl-
alkohol, Milchsäure und C02; daneben treten kleine Mengen von Glycerin, Bern-
stein-, Essig- und Buttersäure auf. Der Gehalt an Milchsäure beträgt in fertigem
Kefir gewöhnlich 1,5%, der Alkoholgehalt 1° Tr.; beide entstehen nachweislich
nur aus dem Milchzucker; in den ersten 24 Stunden überwiegt die Milchsäure-
bildung, in den folgenden Tagen dagegen die Alkoholproduktion. Dnrch höhere
Temperatur (25—30°) wird die Milchsäuregährung zu stark gegenüber der Alkohol-
gährung begünstigt; bei etwa 18° laufen beide gleichmässig neben einander her.
Der Eiweissgehalt der Milch scheint durch die Kefirgährung nicht verändert zu
werden; Peptone sind nicht nachweisbar, doch erfährt das Kasein eine Verände-
rung in der Weise, dass es äusserst feinflockig verteilt wird, so dass die Flüssig-
keit eine fast rahmartige Konsistenz erhält. Auf dieser Veränderung beruht ver-
mutlich der hohe diätetische Wert des Präparats (in Deutschland zuerst in der
Kuranstalt des Hofrats Dr. Stern in Kissingen eingeführt).
2. Käsereifung und abnorme Käsegährungen. Der normale Käse-
rei fungsprozess, bei welchem zuerst eine Peptonisierung der Eiweisskörper, in
späteren Phasen eine tiefergehende Zersetzung mit Freiwerden von Ammoniak,
Leucin und Tyrosin (Macigiora, A. 14. 217) stattfindet, erfolgt nur unter
264 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
der Einwirkung bestimmter Mikroorganismen. Bei Ausschluss der
letzteren, z. B. durch Verwendung von gekochter oder pasteurisierter Milch und
sterilisiertem Lab (Schaffer u. Bondzynski, r: Koch's J. 1S90. 92; Freudenreich,
r: ebd. 1891. 135) oder durch Zusatz von Antisepticis , wie Thymol oder Kreolin
(Adametz, Landw. Jahrb. 18. 228) kommt keine Käsereifung zustande. DieMikroben,
welchen diesen Prozess verursachen, müssen offenbar in der Milch selbst enthalten
sein ; doch ist die Frage, welche Arten als Erreger der Käsereifung anzusprechen
sind, noch nicht endgiltig entschieden. Nachdem schon F. Cohn (B. B. H. 3.
191) eine ursächliche Beteiligung des Bac. subtilis an diesem Prozesse für wahr-
scheinlich erklärt hatte, wies Benecke (C. I. 521) denselben im Käse nach,
und glaubten insbesondere Duclaux (Le lait. 1887), sowie Marchal (C. C. 1.
506) und W. Winckler (ebd. 609) den nahe verwandten Tyrothrixarten
die Hauptrolle bei der Käsereifung vindizieren zu müssen, v. Freudenreich
(ebd. 349) hat es dagegen mindestens für den Emmenthaler Käse sehr wahrschein-
lich gemacht, dass hier die Milchsäurebakterien als wesentliche Erreger anzusehen
sind, und die Tyrothrixarten eine nur ganz sekundäre Bedeutung haben, da die
letzteren gewöhnlich nur in geringer Zahl im Käse vorhanden sind, in ihm keine
Vermehrung zeigen, sondern sogar rasch absterben und bei Verimpfung auf einen
Käse dessen Reifung nicht beschleunigen. In Weichkäsen scheinen Oi'dium lactis
und verwandte Formen bei der Reifung wesentlich beteiligt zu sein (Marchal 1. c).
— Die Lochbildung im Käse wird durch eine grosse Anzahl von gasentwickeln-
den Mikroorganismen bewirkt, unter denen sich hauptsächlich Bacillen, aber auch
Kokken und Hefen befinden ; der von Batjmann (L. V. 42. 181) besonders benannte
„Bac. diatrypeticus casei" ist also nur als ein Repräsentant einer grossen Gruppe
anzusehen. Viele von diesen gasentwickelnden Mikroben, die sich z. B. bei
Adametz (r: bei Bocicchto, C. 15. 548) übersichtlich zusammengestellt finden,
können unter Umständen abnorm stark geblähte oder „nisserige", d. h. mit zahl-
losen kleinen Löchern durchsetzte Käse erzeugen und so arge Betriebsstörungen
hervorrufen; daneben verleihen solche abnorme Gährungserreger häufig noch
einen schlechten Geschmack. Die Käseblähung kann nach Freudenreich (r:
K. 93. 206) durch Zusatz von etwa 2,5% Kochsalz verhindert werden, ohne dass
dadurch der normale Reifungspro zess beeinträchtigt wird. Auch durch Anwendung
höherer Temperaturen (bis 60°) beim „Nachwärmen" des Käses lassen sich nach
Schaffer und v. Freudenreich (r: C. C. 1. 760 und 763) übermässige Zer-
setzungen hintanhalten, weil hierbei die Erreger teilweise abgetötet werden. — An-
hangsweise sei endlich noch den Störungen in der Käsefabrikation durch chro-
mogene Bakterien gedacht, wie solche z. B. von de Vries, Beijerinck
(r: K. 1891. 82), Adametz (r: ebd. 91. 196; 92. 184) u. A. beschrieben sind.
3. Brotgährung. Während bei der Weissbrotbereitung wahrscheinlich nur
eine mechanische Auflockerung des Teiges durch die bei der alkoholischen Gähr-
thätigkeit einer Hefe entstehende C02 zustande kommt (Lehmann, C. 15. 350),
haben wir es bei der durch Sauerteig vermittelten Brotgährung mit einem viel
komplizierteren Prozesse zu thun. Im Sauerteig sind stets neben Hefen noch
Spaltpilze in überwiegender Mehrzahl vorzufinden. Einige Autoren, wie Chic andard
(C. R. Bd. 96 u. 97) , Marcano (ebd.), Laurent (C. I. 504) , Popoff (P. 90. 679),
glaubten daher verschiedenen Bakterienarten die Hauptrolle bei der Brotgährung
zuschreiben zu müssen. In der That gelang es Popoff sowie Wolffin, der bei
Lehmann (1. c.) arbeitete, durch Verimpfung von Reinkulturen von gährungs-
erregenden Bakterien aus Sauerteig auf steriles Material typische Brotgährung
Gotschlich, Gährungserregung. 265
wie durch Sauerteig zu bewirken; als Gährprodukte fand Wolffin bei seinem
wahrscheinlich zur Coli-Gruppe gehörigen Bakterium H2, C02, Essigsäure, Milch-
säure und Buttersäure. In der Regel scheint aber nach Boutroux (CR. 97; 113.
203), Arcangeli (r: C. 3. 717), Peters (B. Z. 47. 405) eine kombinierte Gähr-
wirkung von Hefen (von denen häufig eine dem S. minor. Engel sehr ähnliche
Form gefunden wurde) und Bakterien stattzufinden, wobei durch die Hefe eine
alkoholische Gährung bewirkt wird, während die Bakterien diastatische Wirkung
ausüben und Lösungsvorgänge und Säuregährungen von keineswegs nebensäch-
licher Bedeutung einleiten. In welcher Weise in den einzelnen Fällen das Zu-
sammenwirken von Hefe und Bakterien zustande kommt, ist noch unbekannt.
Auch über die Abhängigkeit des Gährungsverlaufes von den Versuchsbedingungen
ist noch wenig ermittelt; nach Lehmann (A. 19. H. 4) gähren Schrotmehl-
teige viel rascher und intensiver als Feinmehl teige; aus jedem Teige lassen sich
aber durch Anwendung reiner Hefen annährend säurefreie Gebäcke herstellen.
Die Triebkraft einer Hefe im Teig lässt sich nicht nach ihrer
Gährungsenergie (gemessen durch die C02-Menge) bestimmen (Elion, C. 14. 53);
Hefen von ausgezeichneter Triebkraft entwickeln manchmal erheblich weniger C02,
als Hefen von geringerer Triebkraft. Das Aufgehen des Teiges wird also wohl
nicht allein durch die Menge der entwickelten C02 , sondern noch durch ander-
weitige Veränderungen des Teiges, vielleicht durch ein von der Hefe ausgeschiedenes
Ferment bewirkt. — Von Anomalien des Brotes sahen Uffelmann (C. 8),
sowie Kratschmer u. Niemxlowicz (cit. bei Uffelmann) Klebrig- und Schleimig-
werden des Brotes durch Bac. liodermos und Bac. mesenter. vulgat. zustande
kommen.
4. Gährungen im Gerbereibetriebe. Die während des Gerbeprozesses
eintretende Säuerung der aus Rinden hergestellten Gerbebrühen ist nach
Hänlein (r: K. 93. 225; C. C. 1. 30) wahrscheinlich auf Bakterienwirkung zurück-
zuführen; vielleicht spielt dabei der von Hänlein regelmässig auf Fichtenrinde
gefundene Bac. corticalis eine Rolle, der die kohlehydratartigen Bestandteile der
Rinde unter Säureentwicklung vergährt.
Genauer gekannt ist nach den Untersuchungen von Wood u. Willcox
(r: K. 93. 256) die Gährung der in der Lederfabrikation behufs Schwellung
der Häute angewandten Weizenkleie nbeize. Als Gährprodukte finden
sich C02 und H2, die vielleicht erst sekundär aus Ameisensäure hervorgehen,
ferner N, H2S, Butter-, Essig- und Milchsäure. Als Gährmaterial dient nicht die
Cellulose der Kleie, sondern die vorher durch ein Enzym verzuckerte Stärke.
Als Erreger soll ein „B. furfuris" fungieren. Durch Antiseptica wird die Gährung
sistiert.
5. Tabaksgährung. Nach Erreichung der Dachreife werden die Tabaks-
blätter in grossen Haufen fest zusammengepackt und gehen eine unter starker
Erwärmung verlaufende Gährung ein. Die Produkte derselben sind von Behrens
(L. V. 43. 293) eingehend untersucht; in reichlicher Menge entsteht C02, daneben
wahrscheinlich Buttersäure und Bernsteinsäure; die Vergährung geht auf Kosten
der Kohlehydrate, des Nikotins und der organischen, nicht flüchtigen Säuren vor
sich; das Verhältnis der Eiweisskörper zu den übrigen N-haltigen Verbindungen
ändert sich dagegen bei der Fermentation nicht. Ausserdem entstehen bei der
Tabaksgährung die spezifischen Aromastoffe, welche die Qualität verschiedener
fertiger Tabakssorten bedingen. Verschiedene bei der Tabaksgährung beteiligte
Bakterien üben in dieser Beziehung eine verschiedene Wirkung aus. Suchsland
266 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
(B. G. 9- 79) hat daher, und zwar mit günstigem Erfolge, versucht, in-
ländische, bei der gewöhnlichen Verarbeitung minderwertig ausfallende
Tabakssorten durch künstliche Vergährung mit Reinkulturen, die
aus feinen ausländischen Tabaken gewonnen waren, zu veredeln, ein
Verfahren, welches nach Hanatjsek (r: K. 92. 242) bereits in Cuba in primi-
tiverer Gestalt zur Verbesserung des Aromas Anwendung findet.
6. Bei der Opiumgährung, der das zum Rauchen dienende Opium 10 — 12
Monate vor dem Konsum unterworfen sein muss, ist nach Calmette (r: K.
K. 92. 242) hauptsächlich der Aspergillus niger beteiligt, der Zucker und
Dextrin des Gährmaterials zu Oxalsäure vergährt, die Alkaloide aber nicht anzu-
greifen scheint. Durch Zusatz von Reinkulturen konnte der Prozess beschleunigt
werden.
7. Bei der Indigofabrikation fand Alvarez (C. R. 105. 286) einen dem
Bac. Friedländer und Rhinosklerombacillus sehr ähnlichen „Bac. indogen.", der
ebenso wie jene die Produktion des Farbstoffs aus den Indigopflanzen besorgt.
Sterilisierte Indigopflanzen bilden selbst nach monatelangem Lagern keinen Farbstoff.
D. Allgemeine Eigenschaften und Theorie der Gährungsprozesse.
So verschieden auch im einzelnen der chemische Vorgang bei
den Gährungen ist, so lassen sich doch einige allgemeine Gesichtspunkte
aufstellen, die bei allen echten Gährungen zur Geltung kommen. Wäh-
rend bei den Wirkungen isolierbarer Enzyme nur eine geringe chemische
Arbeit geleistet wird, gehen bei der Gährung weitgehende Unilagerungen
der Atome vor sich und werden stets neue Bindungen zwischen
Sauerstoff einerseits und am häufigsten Kohlenstoff, seltener
anderen Elementen andererseits geschaffen. Bei den Oxydationsgäh-
rungen, bei denen, wie schon der Name andeutet, stets eine solche
neue Bindung geschaffen wird, ist die hierbei geleistete chemische Ar-
beit am grössten, indem erstens eine Verbindung äusseren freien Sauer-
stoffs mit dem Gährmaterial, also eine echte Synthese, vollzogen wird,
und indem zweitens die Oxydation nicht allein, wie z. B. in der Essig-
säuregährung, am C-Atom, das die grösste Affinität zum Sauerstoff be-
sitzt, sondern auch an anderen Elementen, z. B. bei der Nitrifikation
am N, beim Lebensprozess der Schwefel- und Eisenbakterien (sofern
dieser überhaupt als Gährungsprozess anerkannt wird) am S bezw. Fe
zustande kommt. Freilich sind diese Oxydationsgährungen mit
ihrer gewaltigen chemischen Leistung ja auch die einzige Energie-
quelle für ihre Erreger, die ausserhalb ihres Gährsubstrats über-
haupt nicht zu vegetieren vermögen.
Bei den Spaltungsgährungen wird kein ausserhalb des zu vergäh-
renden Moleküls stehendes Atom in den Chemismus einbezogen und
beschränkt sich die chemische Arbeit nur auf Umlagerung der schon
zu einem Molekül vereinigt gewesenen Atome; immerhin treten auch
Gotschlich, Gährungserregung. 9ß7
hier sehr erhebliche Mengen chemischer Energie in Aktion. Stets
werden nene Bindungen zwischen C und 0 geschaffen, was
sich in der Bildung von C02 kundgiebt. Auf Kosten der neu zustande
kommenden Bindungen des Sauerstoffs werden andere Bindungen
zwischen 0 und H, C und H, C und C gelöst (vgl. Hoppe-Seylee,
Physiol. Ch. S. 124 und Pf. 12. 1). So wird bei der Vergährung
der Ameisensäure H-C<qtt die Bindung des 0- und H- Atoms in der
OH-Gruppe und die zwischen H und C gelöst; die frei gewordenen
Haftstellen des 0- und des C- Atoms lagern sich aneinander, die ge-
lösten H- Atome verbinden sich miteinander; so entstehen C02 und H2.
Bei dieser ganzen Bewegung findet Sättigung stärkerer Affinitäten statt
und wird Energie frei. Die Wanderung des 0- Atoms findet jedoch
nur dann statt, wenn das Molekül nicht zu gross ist im Verhältnis der
verschiebbaren O-Atome, weil sonst die durch die Sättigung der Affi-
nitäten zwischen C und 0 disponible Energie zur Sprengung des ganzen
Molekularkomplexes nicht ausreicht. Sind also, wie in vielen Benzol-
derivaten, in den höheren Fettsäuren, zahlreiche C-Atome miteinander
verknüpft, während nur eine OH-Gruppe vorhanden ist, die in Carboxyl
übergehen kann, so findet überhaupt keine solche Wanderung im Mole-
kül statt; sie wird dagegen wieder möglich, wenn mehrere O-Atome
neue C-Bindungen eigehen können, so bei der Vergährung der Hexosen,
wo innerhalb der 6 C-Atome 3 Carboxylbindungen stattfinden und zum
Zerfall des relativ grossen Moleküls führen. Bei der Essigsäure und
noch mehr bei der Propionsäure tritt dagegen die Vergährung schwie-
riger ein; denn hier ist, wie bei der Ameisensäure, nur ein- O-Atom
zur Carboxylbildung befähigt, aber das Molekül schon erheblich grösser;
bei den korrespondierenden Oxysäuren, z. B. der Milchsäure, hinwiederum
kommt durch das Hinzutreten des neuen in der OH-Gruppe enthaltenen
verschiebbaren O-Atoms die Vergährung leichter zustande. Sonach
werden überhaupt nicht gährfähig (durch Spaltung) sein: Kohlenwasser-
stoffe, Amine, die überhaupt keinen 0 enthalten; ferner die grossen und
O-armen Fettsäuren und Benzolderivate (letztere natürlich nur in Be-
zug auf den Benzolkern, während in den Seitenketten eine O-Wande-
rung stattfinden kann). Gährfähig dagegen müssen unter anderen
sein die mehrwertigen Alkohole, die niederen einbasischen Fettsäuren,
die Oxysäuren und mehrbasischen Fettsäuren, die Kohlehydrate und
die Eiweissstoffe; mit diesen Forderungen der Theorie stimmt die Er-
fahrung in der That üb er ein.
Ohne ausgiebige Verschiebung der Atome ist also keine Gährung
denkbar, und gerade hierin liegt der Hauptunterschied im Chemismus
gegenüber den Enzymwirkungen, bei denen nur hydrolytische Spaltung
268 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
zustande kommt, die Anzahl der C-O-Bindungen dagegen nicht ver-
mehrt wird. Wegen dieses verschiedenen Verhaltens von Gährung und
Enzymwirkung ist auch die Vorstellung unannehmbar, dass die Gähr-
wirkung im Innern des lebenden Zellleibes durch einen besonderen, von
der Zelle produzierten fermentartigen Stoff, — der sich nur wegen seiner
grossen Labilität nicht isolieren lässt, — also doch nach Analogie einer
Enzymwirkung zustande komme; als der Träger der Gährwirkung
ist vielmehr das lebende Plasma selbst aufzufassen. Hiermit ver-
trägt sich sehr wohl die von E. Fischee festgestellte Thatsache, dass
die lebenden Gährungserreger ebenso wie die Enzyme ein
elektives Vermögen in Bezug auf das Gährmaterial äussern; die
asymmetrisch strukturierten Stoffe, die hiernach in beiden anzunehmen
sind und die nur bei ähnlicher Konfiguration von Erreger und Sub-
strat diejenige örtliche Annäherung der wirkenden Moleküle zustande
kommen lassen, die zur Erzeugung der Enzym- bezw. Gährwirkung
erforderlich ist, sind eben bei den Enzymen unorganisierte, isolierbare
Substanzen, bei den Gährungserregern aber die lebende Substanz
selbst. Dasselbe, in gleicher Weise auf asymmetrische Konfiguration zu-
rückzuführende Wahlvermögen tritt uns ja auch bei der Elektion
der Nährstoffe entgegen, und die Ernährung ist doch gewiss eine
unmittelbare Funktion der lebenden Substanz. An der vorgetragenen
Auffassung kann auch die Thatsache nichts ändern, dass Gährwirkung
noch unter Umständen zustande kommen kann, unter denen keine Fort-
pflanzung mehr möglich ist (s.S. 228 f. u. 236); dies beweist durchaus nicht,
dass die Gährwirkung nur eine mittelbare Funktion des Lebensprozesses
ist, sondern nur, dass Gährungserregung und Fortpflanzungsfähigkeit zwei
getrennte, von einander unabhängige Funktionen der lebenden Mikroben
sind; kommt ja doch auch in „abgeschwächten" Kulturen von Milch-
säure- und Buttersäuregährungserregern vegetatives Leben und Fort-
pflanzung ohne Entfaltung der Gährwirksamkeit vor.
Wenn also hiernach die Trennung zwischen Enzym- und Gähr-
wirkung sich ebenso scharf ziehen lässt, wie die zwischen leblosen
und lebenden Wesen, so dürfte andererseits eine scharfe Scheidung
zwischen der Gährungserregung und dem gewöhnlichenStoff-
wechsel auf die grössten Schwierigkeiten stossen. Pasteur
stellte sich die Beziehungen zwischen beiden Formen der Lebensthätig-
keit so vor, dass der gewöhnlich unter Zutritt des atmosphärischen
Sauerstoffs erfolgende Stoffwechsel die normale Art und Weise dar-
stelle, in welcher die für die Lebensäusserungen erforderlichen Ener-
giemengen beschafft werden; bei Luftabschluss hingegen, wo alle die
Energiemengen wegfallen, welche sonst durch die mächtige Mitwirkung
des Sauerstoffs, durch die vollständige Verbrennung der ersten bei der
Gotschlich, Gährungserregung. 269
intramolekularen Atmung gelieferten komplizierten Produkte entstan-
den, bedarf es eines Ersatzes; dieser wird durch die Anwesenheit gähr-
fähigen Substrats geliefert, welches nunmehr in die intramolekulare
Atmung einbezogen und, wenn auch nicht sehr tief, so doch in um
so umfangreicherem Masse gespalten wird; die hierdurch freiwerden-
den Energiemengen treten für jene ein, die sonst durch die vom Luft-
sauerstoff eingeleiteten oxydatorischen Prozesse geliefert wurden. Gäh-
rung sei also Leben ohne freien Sauerstoff! Diese Theorie, welche
die Erscheinungen der Gährung und der Anaerobiose unter einem Gesichts-
punkte in glücklicher Weise vereinigte, vermag sicherlich vielen That-
sachen gerecht zu werden; insbesondere spricht für die Richtigkeit
ihres Grundgedankens, der prinzipiellen Identität des Gährpro-
zesses mit dem gewöhnlichen Lebensprozess, dass auch Zellen
höherer Pflanzen unter Luftabschluss Produkte bilden können, die
denen der Gährung sehr ähnlich sind. Doch ist diese Theorie Pastettk's
in ihrer überkommenen engen Begrenzung gegenüber einer ganzen
Reihe neuerer Thatsachen nicht mehr haltbar. Schon bei der Be-
sprechung der Anaerobiose haben wir gesehen, dass die Theorie nicht
genügt, um die Erscheinungen derselben zu erklären; es giebt z. B.
obligate Anaeroben, die gar keine Gährwirkung äussern. Andererseits
aber sehen wir bei den Gährungserscheinungen, dass Sauerstoffzutritt
in einigen Fällen nicht nur nicht hindernd, sondern geradezu fördernd
auf die Gährungsenergie wirkt; bei den Oxydationsgährungen vollends
ist er absolut notwendig zum Zustandekommen der Gährung. Aber
sehen wir selbst von den Oxydationsgährungen, für die Pasteue/s
Theorie absolut keine Erklärung hätte, einmal ganz ab, so ist auch im
Gebiet der Spaltungsgährungen der Einfluss des Sauerstoffs durch-
aus nicht immer derart, wie es die Theorie erfordern würde. Die Theorie
bedarf also auf der Basis des von Pasteuk, überkommenen Axioms,
dass die Gährung eine der Energiequellen des lebenden Plas-
mas darstellt, einer Erweiterung, die wir vielleicht in dem Sinne machen
dürfen, dass wir eine Gährung überall da statuieren, wo im Le-
bensprozess eines Mikroben mittelst eines bestimmten che-
mischenProzesses an einembestimmten chemischenStoff (dem
Gährmaterial) so unverhältnismässig grosse Mengen Energie
erzeugt werden — der dynamogene Stoffwechsel so auffal-
lend den plastischen überwiegt — , wie es bei demselben Mikro-
ben unter anderen Ernährungsbedingungen nicht der Fall ist. Hiermit
ist freilich eine scharfe Unterscheidung des Gährprozesses von
der gewöhnlichen dynamogenen Ernährung unmöglich ge-
worden; doch dies liegt in der Natur der Sache begründet und erklärt
sich daraus, dass der Begriff der „Gährung" sich zunächst nach rein
270 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
äusserlichen Kriterien, nämlich vor allem nach der Gasentwicklung
im populären Sprachgebrauch herangebildet hat. Beispielsweise wird
wohl jeder die Zerlegung des Traubenzuckers unter C02 -Entwicklung
durch Bakt. coli als „Gährung" bezeichnen, während man die ohne Gas-
entwicklung einhergehende Zersetzung desselben Zuckers durch den
Typhusbacillus, wobei Linksmilchsäure entsteht, vielleicht nicht ohne
weiteres, vor allem aus didaktischen Gründen, mit diesem Namen be-
legen wird. Hier kann nur die quantitative Untersuchung der Produkte
und die Feststellung des Verhältnisses zwischen dynamogenem und
plastischem Stoffwechsel bei Verwendung des fraglichen „Gähr"-
materials einerseits und anderen Ernährungsbedingungen andererseits
den Ausschlag geben. —
Endlich sei noch die von Nägeli aufgestellte molekular-
physikalische Theorie der Gährung erwähnt. Hiernach braucht
das Gährmaterial nicht wie die übrigen Nährstoffe in unmittelbare
Berührung mit der lebenden Substanz des Gährungserregers zu treten,,
sondern es wird bereits ausserhalb der Zelle, allerdings nur in deren
nächster Umgebung, durch die infolge der intramolekularen Bewegungs-
energie im Protoplasma nach aussen übertragenen Schwingungen zer-
setzt; freilich sind hierzu nur solche Moleküle geeignet, die infolge
ihrer besonderen gährfähigen Struktur durch die in der Umgebung des
Protoplasmas geschaffenen Bewregungszustände leicht zum Mitschwingen
veranlasst werden. Für diese Theorie spricht vielleicht der Umstand,
dass bei der Gährung so grosse Massen von Material in der Zeiteinheit
zerlegt werden, dass eine chemische Verbindung zwischen Protoplasma
und Nährstoff nicht füglich anzunehmen ist. Andererseits würde auch
die von Cochin (C. R. 96) gefundene Thatsache, dass ein Teil des
Zuckers nachweislich in die Hefezellen eintritt und dort rasch zerlegt
wird, nicht unbedingt gegen Nägeli's Theorie sprechen, da die nach-
gewiesene Aufnahme nur einen kleinen Teil des ganzen vergährbaren
Zuckers betrifft, der sehr wohl zu plastischen Zwecken aufgebraucht
werden könnte. Endlich hat Nägeli selbst noch einige direkte, be-
stimmte Gründe für die Existenz einer extracellulären Vergährung an-
gegeben, die aber sämtlich sehr diskutabel sind.
Kruse, Kranklieitserregung. 21 1
Viertes Kapitel.
Krankheitserregung *)
von
Dr. W. Kruse.
A. Einteilung der Bakterien nach Wachstumsfähigkeit und Wirkung im
lebenden Körper.
Das Hauptinteresse der Medizin, im besonderen der Gesundheits-
lehre an den Bakterien besteht in den krankmachenden Wirkungen,
die sie im lebenden menschlichen oder tierischen Organismus entfalten.2)
Der pathogene Effekt hängt von verschiedenen Bedingungen ab: von
der Fähigkeit der Bakterien sich im lebenden Körper zu vermehren,
von ihrem Vermögen örtlich und allgemein wirkende Stoffe zu pro-
duzieren, von der Menge, dem Virulenzgrad und der Eintrittspforte der
Mikroorganismen, von der angeborenen oder erworbenen Widerstands-
kraft der angegriffenen Organismen und von den Mitteln, die angewandt
werden zur Bekämpfung der Krankheit.
Von einem pathogenen oder nicht pathogenen Bakterium schlecht-
hin darf man im strengen Sinne des Wortes nicht sprechen, denn es
giebt kein Bakterium, das nicht unter Umständen Krankheit erregen
könnte, und andererseits können als sehr pathogen bekannte Mikro-
organismen in vielen Fällen ohne Wirkung bleiben.
Man kann nach dem Wachstumsvermögen der Bakterien im lebenden
Körper und ihren Wirkungen auf den letzteren folgende Typen unter-
scheiden.
1. Die Bakterien vermögen im lebenden Organismus nicht
zu wachsen. Hierher gehört die grosse Masse derjenigen Mikro-
organismen, die in der Aussenwelt vegetieren, Zersetzungen erregen,
Pigmente erzeugen u. s. f., die Saprophyten de Baey's. Injiziert
man z. B. beliebige Mengen des gemeinen Heubacillus (B. subtilis) in
das Blut eines Kaninchens, so findet von Anfang an eine Abnahme
der Bacillen im Blut und in den Organen statt, die nach 24 Stunden
schon steril sind. Sporen von Heubakterien wachsen ebenfalls nicht
aus, bewahren aber im Körper viel länger ihre Lebensfähigkeit. So
fand Wtssokowitsch (Z. 1) in einem Versuchstier, das 78 Tage vor
der Tötung injiziert worden war, noch einige Keime.
1) Im wesentlichen bezieht sich dieses Kapitel nur auf die Krankkeitserregung
durch Bakterien.
2) Die durch Bakterien verursachten Pflanzenkrankheiten werden am Ende
dieses Kapitels (Anhang) besprochen.
272 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Die Saprophyten werden im allgemeinen als nicht pathogene
Bakterien bezeichnet, nicht mit Recht, denn auch von ihnen können
Krankheitserscheinungen hervorgerufen werden, und z war erstens lokale,
wie es scheint, durch alle Mikroorganismen ohne Ausnahme. Dem
Bakterienprotoplasma wohnt die Fähigkeit inne, in genügender Menge
und Koncentration in das subkutane Gewebe von Warmblütern injiziert,
daselbst Entzündungen und in den meisten Fällen Eiterungen zu er-
regen (vgl. B S. 279). Die Intensität der Wirkung ist freilich bei den
einzelnen Bakterienarten ausserordentlich verschieden.
Aber auch zweitens einen allgemeineren, einen toxischen
Effekt kann man häufig durch saprophytische Mikroorganismen erzielen.
Von den Bakterien der Fäulnis ist diese Eigenschaft schon lange be-
kannt und immer wieder bestätigt (Panum u. A.). Die wirksamen Stoffe
finden sich teils in den Kulturen gelöst, teils in den Bakterienleibern
(vgl. C S. 285). Nicht blos im Experiment, sondern auch unter natür-
lichen Verhältnissen kommen die von saprophytischen Mikroorganismen
gebildeten Gifte als krankheitserregende Momente in Betracht. Manche
Fälle von Vergiftung mit verdorbenen Nahrungsmitteln, die sog. Autoin-
toxicationen vom Darm aus bei Stagnationen von dessen Inhalt (vgl.
Bouchard, Autointoxications. Paris 87), ferner die „putriden Intoxi-
kationen" bei fauligen Prozessen im Körper müssen hierher gezählt werden.
Im Gegensatz zu den giftigen saprophytischen Bakterien werden
diejenigen Bakterien, die sich im Organismus ihrer Wirte vermehren,
als parasitische oder besser als infektiöse oder virulente bezeichnet.
Sie sind sämtlich pathogen, mit anderen Worten, ein Wachstum von
Bakterien im lebenden tierischen Körper bedingt nach unseren Er-
fahrungen stets eine Krankheit desselben.1) Es kommen verschiedene
Fälle vor.
2. Die Bakterien vermehren sich nur an einer begrenzten
Stelle des von ihnen infizierten lebenden Organismus. Es
schliesst das nicht aus, dass vereinzelte Exemplare durch Resorption
mittelst des Blut- oder Lymphgefässsystems auch in andere Körper-
teile gelangen. Eine weitere Vermehrung daselbst findet aber
nicht statt.
1) Ausgenommen sind natürlich die Bakterien, die regelmässig im Mund-
und Darminlialt schmarotzen, ohne die Schleimhäute selbst anzugreifen. Nur
unter besonderen Umständen werden auch diese pathogen (vgl. dieses Kap. u. N).
Das Vorkommen einer „Symbiose" zwischen Bakterien und tierischen Zellen ist
mehr als zweifelhaft (vgl. Blochmann, C. 11. 234; Dubois, r: J. 88. 337). Dass
die Darrnbakterien zur Verdauung nicht nötig sind, haben neuerdings Nuttall
und Thierpelder (Z. phys. Chem. 21. 2/3) gezeigt. Über die Symbiose zwischen
Bakterien und Pflanzen vgl. den Bac. radicicola (Bd. II). Die merkwürdige Theorie
der „Nosoparasiten" hat Liebreich (B. 95. 14/15) aufgestellt.
Kruse, Krankheitserregung. 273
a) Ausserordentlich spärlich ist die Vermehrung des Infektions-
erregers bei den natürlichen Infektionen mit Tetanus. Nach den Unter-
suchungen von Vaillard, Rouget und Vincent (P. 91 — 93) wird selbst
dieses beschränkte Wachstum erst ermöglicht durch eine Mischinfektion
(vgl. F. S. 313) mit anderen Bakterien. Entsprechend den enorm giftigen
Eigenschaften der Produkte des Tetanusbacillus ist dennoch der Effekt
meist ein sehr starker. Ahnlich dem Tetanus verhält sich oft die
experimentelle Infektion mit Diphtheriebacillen. Geringe, aber doch
totliche Mengen der letzteren scheinen in der Subcutis des Meer-
schweinchens, wenn überhaupt, dann doch nur sehr mangelhaft und
vorübergehend zu gedeihen. Mithin steht die Vergiftung im Vor-
dergrunde. Daneben bestehen hier bedeutende örtliche Wirkungen, die
bei der Tetanusinfektion fehlen.
b) Anders ist der Verlauf bei der menschlichen Diphtherie, ferner
bei Abscedierungen verschiedenster Art von der Aknepustel bis zum
faustgrossen Abscess, beim Erysipel, bei Pneumonie, Pleuritis, Peritonitis,
desgleichen bei lokalisierter Tuberkulose. Das sind der Regel nach
örtliche Infektionen mit mehr oder weniger reichlicher Vermehrung der
Infektionserreger (Diphtherie- und Tuberkelbacillen, Staphylo-, Strepto-
und Pneumokokken) und mit geringeren oder grösseren (Diphtherie)
toxischen Wirkungen sowie stets erheblichen Lokaleffekten.
c) Weniger in der Tiefe des Gewebes, wie die letztgenannten
Bakterien, vielmehr hauptsächlich in den oberflächlichsten Schichten
desselben (Epithel) schmarotzen die Gonokokken, die Konjunktivitis-
bacillen, die Influenzabakterien und die Mikroorganismen anderer
katarrhalischer Infektionen der Schleimhäute (Streptokokken, Pneumo-
kokken), ferner die Spirillen der Cholera asiatica und wahrscheinlich
auch die Erreger der Cholera nostras. Trotz der oberflächlichen Lage
der wuchernden Bakterien ergeben sich manchmal bedeutende Gift-
wirkungen (Influenza, Cholera).
3. Die Bakterien entfalten ein fortschreitendes Wachs-
tum und zwar
a) durch Ausbreitung in contiguo. Solcher Art ist die Entwick-
lang der Streptokokken bei bösartigen Phlegmonen, der Bacillen beim
experimentellen malignen Ödem. Bei dieser letzteren Affektion pflegen
die Bacillen auch nach dem Tode des Versuchstieres noch weiter zu
wuchern, bis sie schliesslich den ganzen Körper erfüllen.
b) Durch Metastasen pflanzt sich die Infektion fort erstens bei den
verschiedenenFormenderPyämie. Den Ausgangspunkt bildet immer ein
ursprünglich rein örtlicher Wucherungsherd von Streptokokken, Staphylo-
kokken, seltener Pneumokokken. Gewöhnlich nach Resorption auf dem
Wege des Lymphstroms vermittelt das Blutgefässsystem die Ausbreitung
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 18
274 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
der Krankheitserreger, die sich aber nur an einer verhältnismässig be-
schränkten Zahl von Stellen festzusetzen vermögen. Häufig besteht
dabei eine gewisse Auswahl der Organe, so dass in dem einen Fall
nur die Gelenke, im anderen das Mark der Knochen, in einem dritten
die Haut und in einem vierten nur die inneren Organe von den Krankheits-
erregern betroffen werden. In ihrer Ausbreitung werden die Infektions-
erreger meistenteils aufgehalten, wenn auch oft nur für kurze Zeit, durch
die regionalen Lymphdrüsen; eine Zwischenstation finden sie nicht selten
in den Lungen und auf den Herzklappen. Gerade die Ansiedelung an
letzterem Orte wird dem übrigen Körper besonders verderblich, weil
von hier aus grössere, leichter haftende Bakterienmassen in den arteriellen
Blutstrom hineingeworfen werden (Bakterienembolie).
"Während bei der Pyämie die lokale Affektion in einer Eiterung
besteht, gehören die durch Tuberkulose-, Lepra-, Rotz- und Syphilis-
bacillen verursachten metastatischen Prozesse in die Gruppe der
Granulationsgeschwülste (proliferativen Entzündungen, vgl. S. 277). Das
Zustandekommen der Metastasen geschieht in ähnlicher Weise wie bei
der Pyämie, nur hat jede Infektion ihre Besonderheiten.
Der Typhus muss auch als eine metastasierende Erkrankung auf-
gefasst werden, wenn man als erwiesen annimmt, dass die Bacillenhaufen,
die in den lymphatischen Apparaten des Darms, den Mesenterialdrüsen,
der Milz gefunden werden, einer Vermehrung der Bacillen während
des Lebens ihres Wirtes ihr Dasein verdanken. Die Lokalisationen
unterscheiden sich aber dadurch von den oben erwähnten, dass ihnen
keine histologischen Veränderungen in der Umgebung der Herde ent-
sprechen. Die Lymphknoten, die sich häufig in den Unterleibsdrüsen
bei Typhus entwickeln, konnten noch nicht mit Sicherheit auf Bacillen-
ansiedelungen zurückgeführt werden.
c) Als Septikämien werden diejenigen Infektionen be-
zeichnet, deren Erreger sich von einem primären Herd aus
über das ganze Blutgefässsystem verbreiten und in dem-
selben gleichmässig vermehren. Beispiele hierfür bietet nament-
lich die experimentelle und Tierpathologie (Pneumokokken, Strepto-
kokken, Tetragenus, Milzbrand, hämorrhagische Septikämie, Schweine-
rotlauf). Beim Menschen tritt diese Form verhältnismässig selten auf,
und zwar in typischer "Weise bei Recurrens (Spirillen), ferner bei sog.
hämorrhagischer Infektion (vgl. Bd. II), die durch verschiedene Ba-
cillen verursacht zu werden scheint, und bei den Strepto- und Pneu-
mokokkenseptikämien, die sich in bösartigen Fällen aus örtlichen
Affektionen der Haut (Erysipel, Phlegmonen), des Rachens (Diphtherie),
der Lunge (Pneumonie, Mischinfektion bei Tuberkulose), des Endome-
triums u.s.w. entwickeln. In der vorbakteriologischen Zeit wurden manche
Kruse, Krankheitserregung. 275
Krankheiten, z. B. die putride Intoxikation und lokale Infektionen mit
schweren allgemeinen Vergiftungserscheinungen, wie Fälle von Peri-
tonitis und Diphtherie mit der Septikämie (Sepsis, „Blutvergiftung")
zusammengeworfen. Jetzt, wo man die Mittel zur Entscheidung dieser
Fragen in der Hand hat, sollten die Kliniker und Pathologen mit dem
Begriff der Septikämie etwas vorsichtiger umgehen.1) Wohl bemerkt
bedeutet das Vorkommen von Mikroorganismen im Blut noch nicht
eine Septikämie im bakteriologischen Sinne, sondern nur die nachge-
wiesene Vervielfältigung der resorbierten Keime im Gefässsystem.
Im cirkulierenden Blut kann die Zahl der Keime dabei sehr wechseln,
manchmal sogar eine geringe sein. Man erklärt sich das leicht, wenn
man sich die Genese der Blutinfektion veranschaulicht.
Die durch Resorption mittelst der Lymphgefässe oder direkt ins
Blut gelangten Bakterien werden, wie die vielfach bestätigten Versuche
von Wtssokowitsch (Z. 1) ergeben, in recht kurzer Zeit, d. h. oft schon
im Laufe von Minuten oder wenigen Stunden aus der Cirkulation
entfernt. Die Kapillaren, namentlich der grossen drüsigen Organe,
fungieren dabei als Filter, das die Mikroorganismen wie andere
feinste Körperchen zurückhält. Sind die so fixierten Bakterien im-
stande, an Ort und Stelle sich zu vermehren, dann wachsen sie durch
das Filter, in diesem Falle das Kapillargefässsystem, hindurch und ge-
langen schliesslich in die Venen hinein, aus denen sie durch den
schnellen Blutstrom in die Cirkulation mitgerissen werden. Der reich-
liche Eintritt von Keimen aus den Kapillaren der Organe in die Venen
bezeichnet den Höhepunkt der Septikämie, der bei unseren Versuchs-
tieren erst einige Stunden vor dem Tode eintritt (vgl. Frank u. Eubarsch,
Kruse u. Pansini, Z. 11.) Beim Menschen kommt es nur selten so weit,
weil der Patient gewöhnlich früher stirbt; die Kapillaren der Organe
können aber reichlich mit Bakterien durchsetzt sein, obwohl es intra
vitam nicht gelungen ist, sie im cirkulierenden Blute in erheblichen
Mengen nachzuweisen.
Wenn von einer gleichmässigen Verteilung der Bakterien im Blut-
gefässsystem bei der Septikämie gesprochen wurde, so ist das so auf-
zufassen, dass keine so ausgesprochenen Lokalisationen wie bei den
metastatischen Prozessen vorkommen; eine Vorliebe der einzelnen
Mikroorganismen für gewisse Organe lässt sich dennoch öfter be-
1) Das Recht, diesen bis dahin schwankenden Begriff zu fixieren, ist der
Bakteriologie wohl nicht zu bestreiten. Statt Septikämie schlagen Kocher und
Tavel (Vorl. üb. chir. Infektionskrankh. Basel u. Leipzig 95) den Ausdruck
Bakteriämie vor, die Vergiftung des Blutes durch bakterielle Produkte nennen
sie Toxinämie.
18*
276 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
obachten. So treten die Tetragenuskokken besonders reichlich auf in
den Kapillaren der Lunge, die Milzbrandbacillen in der Milz.
Nach allen Erfahrungen muss der Septikämie eine örtliche Affektion
vorangehen, dieselbe kann allerdings sehr verschiedenen Umfang haben.
Bei der äusserst akut verlaufenden sog. Kaninchenseptikämie ist z. B.
die Veränderung an der Impfstelle unter der Haut eben angedeutet,
bei einer Pneumokokkenseptikämie, die in einigen Tagen zum Tode führt,
zeigt sich ein grösserer Entzündungstumor entwickelt. In manchen
Fällen, den sog. kryptogenetischen Septikämien des Menschen, ist
die örtliche Affektion so versteckt, dass man sie nicht aufzufinden ver-
mag. Beim Febris recurrens ist man — wie bei der durch Pro-
tozoen verursachten Malaria — über den Modus der Blutinfektion
ganz im Unklaren, da die Spirillen bisher nur im Blute gesehen
worden sind. Aus dem Vorstehenden ergiebt sich folgendes Schema:
I. Saprophyten ( 1. nicht toxische Bakterien,
(nicht infekt. B.) \ 2. toxische „
!i t ^i -\a t fai ( a) gering. Wachst., starke Toxinbildung.
Vnl i? b) stark. Wachst, in d. Tiefe d. Gewebe,
üonserreger ( c t fc w h{ & Oberfläche.
( a) m contiguo fortschreit. W.
2. Allgem. Infektionserreger \ b) metastatisches W.
I c) septikämisches W.
So wichtig es ist, sich die Unterschiede, die in diesem Schema aus-
gedrückt sind, zu vergegenwärtigen, so nötig ist die Erinnerung, dass
es an Übergängen zwischen den einzelnen Kategorien nicht fehlt (z. B.
zwischen 2b und 3 a — c), und dass manche Mikroorganismen — das
gilt in besonderem Grade von den Pneumokokken und Streptokokken —
unter verschiedenen Bedingungen bald in diese, bald in jene Unter-
abteilung gehören. Auf diese Bedingungen, nämlich die Menge des
Virus, den Virulenzgrad, den Einfmss der Mischinfektion, der Eintritts-
pforte, die Empfänglichkeit und Immunität des Wirtsorganismus wird
in den Abschnitten D— L näher einzugehen sein.
B. Lokale Wirkungen der Bakterien.
Die Formen, in denen die lokalen Wirkungen pathogener Bakterien
zu Tage treten, sind die der gewöhnlichen Entzündung und der spezi-
fischen proliferativen Entzündung (spezifische Entzündung Rindfleisch's,
Granulationsgeschwulst Virchow's, Infektionsgeschwulst Klebs', infekti-
öse Granulationsgeschwulst Ziegler' s). Rein nutritive Störungen (Dege-
neration und Nekrose) und rein formative (Proliferation) werden selbst
in gefässlosen Geweben (Hornhaut: Leber1)) durch Bakterien nicht be-
1) Die Entstehung der Entzündung. Leipzig 1891.
Kruse, Krankheitserregimg. 277
obachtet, sondern sind immer mit entzündlichen Gefässalterationen kombi-
niert. Dass aber durch Bakterienprodnkte in gewissen Fällen doch einfache
Degenerationen und Nekrosen verursacht werden können, wird im folgen-
den Abschnitt unter den Fernwirkungen zu berichten sein. Fast alle be-
kannten Formen der akuten Entzündung sehen wir als örtliche Folge
von Bakterienwucherungen auftreten.
Entzündungen mit wesentlich serösem Exsudat können wir im
Experiment hervorrufen in der Subcutis der Versuchstiere durch
Pneumokokken und Milzbrandbacillen, seröse Ergüsse finden wir
bei der durch Pneumokokken verursachten Pleuritis und Pericarditis
des Menschen, bei der tuberkulösen Erkrankung der serösen Flächen.
Fibrinöse Beimischungen sind bei den genannten Prozessen sehr ge-
wöhnlich, vorwiegend fibrinösen Charakter tragen viele durch Pneumonie-
kokken erzeugte experimentelle und spontane Affektionen, ferner die ex-
perimentelle Diphtherie des Meerschweinchens und Kaninchens. Eitrige
Infiltrationen werden vorwiegend durch Streptokokken, Staphy-
lokokken und Pneumokokken erzeugt, Abscesse und Empyeme
ausserdem durch Tuberkel- und Kolonbacillen, selten durch Tetragenus-
kokken und Typhusbacillen, ausnahmsweise durch Milzbrandkeime.
Diese Aufzählung umfasst nur die eigentlichen infektiösen Bakterien,
wir werden später sehen, class auch durch Saprophyten, wenn sie in
geeigneter Form zur Wirkung gelangen, cirkumskripte Eiterung ver-
ursacht werden kann.
Eitrige Katarrhe erregen Pneumokokken, Gonokokken, Influenza-,
Konjunktivitisbacillen. Hämorrhagische Exsudate haben wir bei der
fibrinösen Pneumonie des Menschen, beim Milzbrand, malignen Odem
und Rauschbrand und anderen Tierkrankheiten. Nekrotisierende
Entzündungen charakterisieren die Diphtherie des Rachens beim Menschen
(Diphtheriebacillen und Streptokokken) und bei Kälbern und Tauben
(Bacillen von Löfflee), die Brustseuche der Pferde, die Schweineseuche
und Schweinepest, den Typhus abdominalis, die diphtherischen Darm-
erkrankungen des Menschen (Bacillen und Streptokokken), die Darm-
diphtherie des Kaninchens (Ribbert's Bacillen). Nekrosen in kleinerem
Umfang kommen ausserdem bei fast allen heftigen (eitrigen) bakteriellen
Entzündungen vor, besonders schön lassen sie sich nach Leber (a. a. 0.)
an der Kornea studieren. In manchen Fällen werden Nekrosen durch
das Milzbrandvirus erzeugt (Czaplewski, Z. 12. 400; K. Müller, Milz-
brand der Ratten. F. 93). Auch die Tuberkelbacillen verursachen
einfache exsudative Entzündungen mit Ausgang in Nekrose (käsige
Pneumonie).
Als spezifische proliferative Entzündungen sind am besten
die lokalen Produkte der Tuberkulose, der Pseudotuberkulose, der Lepra.,
278 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
des Rotzes, der Syphilis und des Rhinoskleroms zu bezeichnen. !) Arn
genauesten studiert ist der Vorgang der Tuberkelbildung, besonders
durch Baumgabten, der die unter dem Einfluss der Tuberkelbacillen
stattfindende Gewebsneubildung auf karyokinetische Teilung der fixen
Gewebszellen zurückgeführt hat. Nebenher geht zellige Exsudation,
und den Prozess beschliesst die Nekrobiose des Tuberkels (Verkäsung).
Histologisch in mancher Beziehung ähnlich ist die Pseudotuberkulose
der Nagetiere (Malassez u. Vignab, Ebektii, Manfbedi, Chantemesse
U.A., s.Bd.II). Bei der Lepra fehlt der ausgedehnte Zerfall der Neubildung,
es findet nur eine langsame Resorption derselben statt. Beim Rotz
tritt die Gewebsproliferation zu Gunsten der eitrigen Exsudation oft sehr
in den Hintergrund. Die anatomisch sehr vielgestaltige Syphilis kann
wegen der durchaus ungenügenden Bekanntschaft mit ihrem Erreger
hier nicht weiter in Betracht kommen. Das Gewebe des Rhinoskleroms
ähnelt dem eines Granulationsgewebes, wie dieses geht es meist in
Schrumpfung über. Charakteristisch ist hier die vakuoläre und hyaline
Degeneration der Zellen, die an manchen Stellen der Geschwulst unter
dem direkten Einfluss der spezifischen Bacillen eintritt.
Man darf sich nicht vorstellen, dass die im Vorstehenden aus-
geführte Scheidung eine absolute wäre, vielmehr bestehen hier ähn-
liche Übergänge, wie wir sie bei Besprechung des infektiösen Ver-
mögens der Bakterien haben zugeben müssen. Ein und derselbe
Mikroorganismus kann einfache und proliferative Entzündungen erregen
(Tuberkel- und Rotzbacillus). Unter den Entzündungserregern sind
einige, die seröse, serofibrinöse, eitrige und hämorrhagische Exsudatio-
nen verursachen können, z. B. Strepto- und Pneumokokken, Staphy-
lokokken, Typhus- und Tuberkelbacillen. Der Erfolg hängt teils von
dem Virulenzgrade und der Menge der wirkenden Bakterien, teils
von der Stelle der Infektion und von der Art des Wirtsorganismus
ab. Die nekrotisierende Entzündung, die man pathologisch-anatomisch
als Diphtherie bezeichnet, ist ebensowenig spezifisch für ein einziges
Bakterium (s. o.)
Es fragt sich, wie man sich das Zustandekommen der lokalen
Veränderungen zu denken hat. Man könnte a priori vielleicht voraus-
setzen — und das ist von manchen Autoren früher in ausgedehntem
Masse geschehen — dass die Bakterien selbst als Fremdkörper ge-
wisse Erscheinungen auslösen könnten. Dieselben müssten aber dann
durchaus gleichartig sein. Das ist nicht der Fall; werden z. B. Tuber-
kelbacillen im abgetöteten Zustand ins Blut von Tieren gespritzt, so
1) Bezüglich der Aktinomykose und verwandter Prozesse, die histologisch
in dieselbe Gruppe gehören, vgl. Band II S. 48: Streptothricheen.
Kruse, Krankheitserregung. 279
verursachen sie, wo sie hinkommen, durch Gewebsproliferation Knöt-
chen, die an echte Tuberkulose erinnern (Peudden u. Hodenptl, New-
York med. Journ. 91 ; Steatjs u. Gamaleia, A.E. 91; Vissmann, V. 129;
Geancheb u. Ledottx-Lebaed, A. E. 92; Mastte u. Kockel, Zi. 16. 2);
andere Bakterien haben diese Wirkung nicht. Die Erklärung liegt darin,
dass die Bakterien nicht als indifferente Fremdkörper, sondern durch die
chemischen Stoffe, die von ihnen ausgehen, wirken. Die Versuche von
Lebee (a. a. 0.) beweisen, dass selbst scheinbar unangreifbare Stoffe,
wie die Edelmetalle, ihre Umgebung chemisch beeinflussen, um wie
viel mehr müssen das organische Substanzen thun. j) Der Beweis,
dass die Bakterien sogar in die Ferne wirken, ist auf anatomischem
Wege bei allen Infektionen zu erbringen: die Exsudation geht regel-
mässig weit über den Ort der Bakterienwucherung hinaus.
Es gelingt leicht, den Einwand abzuschneiden, dass nur die leben-
den Bakterien zu einer solchen Wirkung befähigt sind. Schon Pasteue 2)
hat durch abgetötete Kulturen eines Eitermikroben Eiterung erzielt.
Geawitz und de Baet (V. 108), sowie Scheueelen (F. 87. 23) be-
wiesen dasselbe für Staphylokokkenkulturen, Wtssokowitsch (r : J. 88.
399) für Milzbrandsporen, B. prodigiosus und B. Neapolitanus, Chaeein
für B. pyocyaneus. Buchnee (B. 90. 10, 30 u. 47) that einen Schritt
weiter; er zeigte, dass den Bakterien im allgemeinen, Saprophyten und
Parasiten, die Fähigkeit zukommt, in ihrem Körper Substanzen zu
produzieren, die Entzündung und Eiterung erregen. Durch Injektion
der mittelst Siedehitze abgetöteten Leiber des Staphylokokkus pyoge-
nes aureus, St. cereus albus, der Sarcina aurantiaca, des Bacillus pro-
digiosus, Fitzianus, cyanogenus, Megatherium, ramosus, subtilis, coli com-
munis, acidi lactici, anthracis, mallei, Proteus vulgaris, des Kieler
Wasserbacillus, des Spirillum Finkler-Prior in das subkutane Ge-
webe von Versuchstieren liess sich eine mehr oder weniger intensive
Eiterung hervorrufen. Durch Auskochen der Bakterienkörper mit
0,5 Proz. Kalilauge und nachherige wiederholte Fällung mit Essigsäure
und Lösung in leicht alkalischem Wasser wurde als wirksame Substanz
das die Reaktionen des Alkalialbuminats gebende „Bakterienprotein"
gewonnen. Freilich giebt die subkutane Einspritzung dieses Stoffes
gewöhnlich keine Eiterung, sondern nur Entzündung, weil die Re-
sorption durch den Lymphstrom zu schnell erfolgt, aber mit Hilfe
von CoHNHEiM-CouNCiLMAN'schen Glasröhrchen, die mit der Sub-
1) z. B auch diejenigen unbelebten Stoffe, die Pseudotuberkulose erregen
(Seidenfäden, Kanin chenhaare) [vgl. Baumgarten, Histogenese d. tuberkulös.
Prozesses. Berlin 85]. Eine einfache Fremdkörperwirkung ist hier völlig aus-
iossen.
1) Vgl. Steinhaus, Ätiologie der akuten Eiterungen. Leipzig 1889.
2g0 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
stanz gefüllt an einem Ende geschlossen unter die Haut der Versuchs-
tiere geschoben werden, gelingt es, die Aufsaugung zu verlangsamen und
dann eine deutliche Ansammlung von Eiterkörperchen zu erzielen. Die
in den Bakterienleibern aufgespeicherten und ausziehbaren Substanzen
besitzen also eine positiv chemotaktische Wirkung gegenüber
Leukocyten (Pfeffer1)). Diese BucHNER'schen Experimente
geben eine genügende Erklärung für die Erscheinungen der
durch Bakterien hervorgerufenen Eiterungen. Wir wissen durch
die systematische Untersuchung der natürlich vorkommenden pyogenen
Prozesse beim Menschen und beim Tier, dass für dieselben nicht nur
die sogenannten Eitermikroorganismen (Staphylokokken, Streptokokken)
in Betracht kommen, sondern noch eine grosse Anzahl anderer Bak-
terien, unter denen sich manche befinden, die wir gewohnt sind als
Erreger anderer Arten von Entzündung und sogar als Septikämieerreger
zu betrachten. Der Tierversuch unter verschiedenen Verhältnissen hat
die Reihe dieser Mikroorganismen noch erheblich vergrössert.
Das gemeinsame Merkmal aller dieser Eiterungen ist,
dass sie an Stellen entstehen, wo Bakterien in grösserer An-
zahl zugrunde gehen. Die genaue histologische Verfolgung des
örtlichen Prozesses lehrt, dass die Bakterien auf dem Höhepunkt
ihrer Wucherung allerdings schon zellige Exsudationen verursachen,
dass diese sich aber erst nach dem Ueb erschreiten dieses Maximums der
Entwicklung, d. h. beim Beginn des Absterbens der Keime in lebhafterer
Weise einstellen. Die Umwandlung der harten Entzündungsgeschwulst
in den fluktuierenden Abscess, z. B. bei Staphylokokkeninfektion, fällt
mit diesem Stadium zusammen. Die Septikämieerreger, z. B. der Milz-
1) Vgl. S. 402. Ähnlich den Bakterienproteinen wirken nach Buchner
Pflanzenkasei'ne und Alkalialbuminate stark chemotaktisch und entzündungs-
erregend, nicht dagegen — oder in geringerem Grade — die meisten Produkte
der Eiweisszersetzung. Die starken chemischen Reizmittel, die unter Umständen
ohne Beihilfe von Bakterien Eiterung zu bewirken imstande sind, wie Ammoniak,
Terpentinöl, Krotonöl, Quecksilber u. s. w. (Leber a. a. 0.; Uskofp, V. 86; Orth-
mann, V. 90; Councilman, V. 92; Grawitz und de Bary, V. 108 u. 110; Christmas,
P. 88; Steinhaus a. a. O.; P. Kaupmann, A. P.27; Poliakoff, C.18. 2/3 u.A. gegen
Straus, S. B. 83; Klemperer, Z.M.10; Scheurlen, A. Ch.32 u. F. 87. 23) sollen nach
Buchner nicht direkt chemotaktisch wirken, sondern indirekt durch die Produkte,
die aus der Schädigung des Gewebes hervorgehen. Leber bezeichnet dagegen die ein-
zelnen Prozesse von der Nekrose bis zur Entzündung als direkte Folgen der Reize.
Letzterer Autor hat übrigens durch beweiskräftige Experimente dargethan, dass die
Verflüssigung des Gewebes bei der Eiterung nicht, wie man früher glaubte,
durch Enzyme der Bakterien — höchstens bei den Staphylokokken kämen diese ja in
Betracht — sondern durch enzymartige Wirkung der Leukocyten selbst verur-
sacht wird.
Kruse, Krankheitserregung. 281
brandbacillus, pflegen im empfänglichen Tiere, z. B. im Meerschwein-
chen, an der Infektionsstelle keine Eiterung zu verursachen, weil sie
unaufhaltsam weiter wachsen. Nur die Pneumokokken, deren Lebens-
dauer innerhalb wie ausserhalb des Körpers eine sehr beschränkte ist,,
machen davon eine Ausnahme, sie erregen durch ihr Absterben eine
starke zellige Exsudation, die oft den Namen der eitrigen Infiltration
verdient. Dasselbe gilt von den Milzbrandbacillen, wenn sie in einem
für sie ungünstigen Terrain, d. h. in unempfänglichen Tieren (Ratten)
sich nicht behaupten können. Da wir durch Büchner wissen, dass
gerade die Bakterienkörper die pyogenen Subtanzen enthalten, erklären
wir uns die Eiterung durch Auslaugung dieser Stoffe aus den ab-
sterbenden oder abgestorbenen Bakterienindividuen (vgl. S. 335 ff.).
Bei dieser Auffassung lässt sich freilich die Auffassung der Eite-
rung als einer spezifischen Entzündungsform nicht beibehalten. Sie
entspricht aber auch durchaus nicht den thatsächlichen Verhältnissen.
Ueberall sind Uebergänge zu beobachten. Beim Erysipel der Haut
z. B. ist eine eigentliche makroskopisch sichtbare Eiterung in dem
Gewebe der Cutis, wo die Bakterien Wucherung stattfindet, nicht zu
beobachten. Dagegen finden sich bei mikroskopischer Untersuchung
reichliche Anhäufungen von Eiterzellen vor und zwar gerade an den
Stellen, wo die Erysipelstreptokokken nicht mehr üppig wuchern, son-
dern sichtlich im Absterben begriffen sind. Dieselben Streptokokken
erzeugen beim Menschen im subkutanen Gewebe grosse Eiteransamm-
lungen. Beim Tier kann man ebenfalls beiderlei Prozesse künstlich
hervorrufen. Teilweise ist die Lokalität entscheidend: das straffe Ge-
webe der Cutis verträgt keine Eiterherde. Andererseits ist aber auch
der Virulenzgrad und die Empfänglichkeit des Versuchstieres von Be-
deutung, wovon man sich gerade leicht bei den gewöhnlichen Eiterungs-
erregern überzeugen kann.
Es ist vorläufig nicht sicher zu sagen, ob die entzündungs erregen-
den Stoffe der Bakterienzelle sich qualitativ im wesentlichen gleich
verhalten, quantitative Unterschiede ergeben sich für die einzelnen
Bakterien aus der verschiedenen Schnelligkeit, mit der die „Proteine"
aus den Bakterienleibern ausgezogen werden. Beim B. pyocyaneus
macht die Auslaugung keine Schwierigkeit, beim Tuberkelbacillus ge-
hört schon eine energische Behandlung dazu. Die Kenntnis der che-
mischen Komposition der in Rede stehenden Substanzen ist zunächst
durch Römer (W. K. 91. 45) und Büchner (M. 91. 49), die eine verein-
fachte Ausziehung der „Proteine" durch Kochen der Kulturen und
Stehenlassen bei gewöhnlicher Temperatur gelehrt haben, ganz besonders
durch Centanni (D. 94. 7/8; vgl. auch C. 286 ff.) gefördert worden.
Aus den Angaben des letzteren Forschers wäre zu schliessen, dass die
282 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
pyogene Substanz der Bakterien gar nicht zu den Eiweissstoffen, freilich
auch nicht zu einer anderen, besser bekannten Gruppe zu rechnen wäre.
Für manche Mikroorganismen sind ausser den eben besprochenen
Stoffen für die Entstehung der örtlichen Wirkungen sicher noch andere
Substanzen verantwortlich zu machen. Die Diphtheriebacillen erzeugen
z. B. ein Gift (vgl. unt. C), das sich chemisch schon durch seine geringere
Widerstandsfähigkeit gegen Hitze und andere Agentien von den
BüCHNERschen Entzündungsgiften unterscheidet. Die ausgesprochene
nekrotisierende Wirkung der Diphtheriemikroben ist auf dieses Produkt
zurückzuführen. Weniger bedeutsam sind gewisse bei einzelnen Bakterien
nachgewiesene Substanzen, die zu den Alkaloiden (Ptomainen) zu rechnen
sind, z. B. das Phlogosin der Staphylokokken nach Leber, das
Kadaverin und Putrescin der Cholerabacillen und Fäulnisbakterien
nach Brieger (vgl. S. 292). Obwohl es nach den Arbeiten von Leber,
Grawitz und Scheurlen (s. Anm. S. 280) nicht zweifelhaft sein kann,
dass die genannten Produkte erhebliche örtliche Wirkungen, Nekrosen
und Eiterungen, verursachen können, spielen sie dennoch wegen der
Inkonstanz ihres Vorkommens resp. wegen ihrer cpuantitativ unge-
nügenden Sekretion keine wichtige Rolle.
Bezüglich der Ursachen der Proliferation, die durch Tuberkel-,
Rotz- und Rhinosklerombacillen u. s. w. bewirkt wird, sind wir
bis jetzt über die schon citierten Experimente von Prudden und
Hodenpyl (S. 279) nicht hinausgekommen.
Aus unserer Darstellung ergiebt sich wohl, dass ein vielversprechen-
der Anfang gemacht ist, die lokalen Wirkungen der Bakterien zu er-
klären, dass aber die Forschung noch sehr ins Einzelne zu gehen hat,
um die „spezifischen" Erscheinungen der lokalen Infektion auf ihre
Ursache zurückzuführen.
Dass meistenteils örtliche und allgemeine Wirkungen an ein und
dieselbe Substanz gebunden zu sein scheinen, wird der folgende Ab-
schnitt ergeben.
C. Allgemeinwirkungen der Bakterien.
Schon seit langer Zeit spricht man bei Infektionskrankheiten von
örtlichen und allgemeinen Symptomen, erst die Bakteriologie hat uns
aber die Mittel an die Hand gegeben zur sicheren Unterscheidung
derselben.
Wir wissen jetzt, dass die infektiösen Bakterien rein lokal wuchern
und dennoch höchst kräftige Allgemeinwirkungen entfalten können.
Heutzutage zweifelt zwar Niemand mehr daran, dass solche Effekte nur
durch die Verbreitung gelöster Substanzen von der Stelle der Infektion
Kruse, Krankheitserregung. 283
aus zustande kommen können, dass also mit anderen Worten die
Infektion immer begleitet ist von einer Vergiftung, es ist
aber nützlich, daran zu erinnern, dass diese Anschauung sich erst all-
mählich hat Bahn brechen müssen. Auch bei den Septikämien, d. h.
denjenigen Krankheiten, deren Erreger in grossen Massen und gleich-
massig über das ganze Blutgefässsystem verteilt sind, muss man der-
artige Gifte voraussetzen, der Unterschied besteht gegenüber den ört-
lichen Infektionen nur darin, dass die Giftstoffe der septikämischen
Bakterien einen kleineren Weg zu machen haben, um die empfindlichen
Elemente, nämlich die Nervenzellen, Nervenfasern, Epithelien u. s. w.
zu beeinflussen. Gerade bei diesen „Allgemeininfektionen" hat man
sich übrigens noch bis in die neueste Zeit hinein bemüht, die Annahme
giftiger Bakterienprodukte zu umgehen. Einerseits hat man darauf
hingewiesen, dass bei manchen dieser Krankheiten, z. B. beim Milz-
brand, eine so massenhafte Bakterienentwicklung im Blute stattfindet,
dass sich dadurch mechanische Hindernisse der Cirkulation, die nicht
ohne schädlichen Einfmss auf die Thätigkeit dazugehöriger Zellterri-
torien bleiben können, ergeben.
Die Bedeutung solcher mechanischen Momente soll nicht unter-
schätzt werden, sie ist aber gerade bei der Septikämie lange nicht so
hoch anzuschlagen, wie bei der Pyämie (vgl. S. 273). Hier kommt es
allerdings oft genug vor, dass durch Bakterienzooglöen, die von einem
Venenthrombus oder vom Endokardium losgerissen werden, kleinere oder
grössere arterielle Gefässgebiete vollständig verstopft werden. Infarkte,
ischämische Erweichungen, Abscesse sind die Folge davon, Prozesse,
die je nach ihrer Lokalisation verschiedene Bedeutung für den Körper
haben. Solche Effekte werden durch Metastasen der Krankheits-
erreger verursacht, sie sind nicht Allgemeinwirkungen im gewöhn-
lichen Sinne.
Andererseits hat man geglaubt annehmen zu dürfen, dass die un-
gemein lebhafte Bakterienvegetation bei Septikämien durch Nahrungs-
entziehung auf die Körperzellen einen schädlichen Einfmss ausüben
könnte. Abgesehen davon, dass die allgemeinen Symptome der Infektion
nicht mit denen der Inanition übereinstimmen, erscheint eine solche
Schätzung der in den Gefässen befindlichen Bakterienmasse und ihres
Stoffwechsels denn doch sehr übertrieben. Nur ein anderer Ausdruck
für „Bakteriengifte" ist es schliesslich, wenn man die schädlichen All-
gemeinwirkungen der Septikämieerreger auf die Zersetzungstoffe, die
sie durch ihren Vegetationsprozess im Körper erzeugen, zurückführt.
Die vorstehende Erörterung würde überflüssig sein, wenn wir schon
bei allen Infektionen imstande wären, die giftigen Produkte ihrer Er-
reger unmittelbar nachzuweisen. Man darf sich nicht verhehlen, dass
2S4 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
dazu bis jetzt nur ein Anfang gemacht ist. Das Ziel ist allerdings er-
reicht bei zwei Krankheiten, die sich durch ein besonders starkes und
charakteristisches Gift auszeichnen: beim Tetanus (Kitasato, Z. 10) und
bei der Diphtherie (Roux u. Yersin, P. 88 u. 89; Löefler, D. 90. 5/6 ;
Brieger u. C. Fränkel, B. 90. 11/12). Es gelingt hier durch Kul-
turen der spezifischen Mikroorganismen, die keine lebenden Keime
mehr enthalten, und auch durch daraus auf chemischem Wege her-
gestellte Präparate das Vergiftungsbild zu reproduzieren, das durch
die Bakterien selbst im Tier und im Menschen erzeugt wird. Die
selben Giftstoffe konnten auch aus dem Blut und den Sekreten an natür-
licher oder künstlicher Infektion gestorbener Tiere und Menschen darge-
stellt werden (Wassermann u. Proskauer, D. 91. 17; Immerwahr, D. 91.
30). Bei der Cholera besteht die Schwierigkeit, dass die Infektion sich
nur unvollkommen experimentell reproduzieren lässt, dementsprechend ist
der Erfolg der vielfachen Bemühungen, das Choleragift darzustellen J),
nicht unzweifelhaft. In noch höherem Grade gilt dasselbe vom Typhus.2)
Der Anerkennung der experimentell erhaltenen Cholera- und Typhus-
gifte steht in den Augen mancher Forscher besonders der Umstand ent-
gegen, dass durch viele andere Bakterien und ihre Produkte (vgl. Hueppe,
B. 92. 17; Klein, C. 13. 13 u. 15. 16; Sobernheim, R. 93. 22 und besonders
Centanni, D. 94. 7 u. 8) ganz ähnliche Symptomenkomplexe hervor-
gerufen werden können. Die Identität dieser Gifte wird zwar z. B.
von Sanarelli (P. 94. 6) und Gamaleia (A. E. 92) auf Grund
bestimmter biologischer Reaktionen geleugnet, aber selbst wenn sie
in weiter Ausdehnung bestände, würde das unserer Meinung nach nicht
beweisen, dass man nach anderen „spezifischen" Giften zu suchen hätte.
Das Beispiel der Cholera zeugt dafür, dass ein und dasselbe klinische
Krankheitsbild durch sehr verschiedene Agentien nicht nur bakterieller
(Choleraspirillen, B.coli communis, Streptokokken, Fleisch- und Käsegifte),
sondern sogar anorganischer Natur (Arsenik) erzeugt werden kann.
Auch die Allgemeinerscheinungen des Typhus sind bekanntlich nicht
so spezifisch, dass nicht Verwechselungen mit anderen Affektionen
häufig vorkämen. Es wäre also wohl möglich, dass die Gifte des
Cholera- bez. Typhuserregers sich von denen vieler anderer Bakterien
gar nicht unterschieden. Wenn man aber fragt, warum z. B. die Spirillen,
die so oft im Wasser gefunden worden sind und sich im Tierexperiment
1) Nicati u Rietsch (C. R. 99. 123), Cantani (D. 86. 45), R. Pfeiffer (Z. 11),
Petri (A. G. 6), Gruber (W. K. 92. 48 u. A. 15), Scholl (A. 15), Gamaleia (A.
E. 92), Sobernheim (Z. 14), Wesbrook (P. 94. 5), Hueppe (B. 94. 17/18), Klem-
perer (Z. M. 25), Sluyts (Cell. 10).
2) Brieger (B. 86. 18), Sirotinin (Z. 1), Beumer u. Peiper (Z. 1 u. 2),
Brieger u. Fränkel (B. 90. 12), Sanarelli (P. 94. 4 u. 6) u. A.
Kruse, Krankheitserregung. 285
ganz ähnlich den Cholerabakterien verhalten, beim Menschen keine
Cholera hervorrufen, so ist zu entgegnen, dass ihnen eben im mensch-
lichen Organismus die ausgesprochenen infektiösen Eigenschaften der
letzteren fehlen, d. h. sie sind nicht imstande, im Darmlumen und auf
dem Darm epithel des Menschen sich genügend zu vermehren, um
toxische Wirkungen auszuüben (vgl. Metschnikoee, P. 93).
Diejenigen Bakterien, die so stark infektiös sind, dass sie beim
Menschen oder bei Tieren Septikämie erregen können, produzieren
natürlich nicht so heftige Gifte, wie die vorgenannten Bakterien, denn
sonst würden sie ihre Wirte töten, bevor sie das ganze Blutgefäss-
system erfüllt haben. Deswegen erscheint es paradox, wenn Selandee
(P. 90) und Metschnikoee (P. 9*2) für die Hogcholerabacillen die
Angabe machen, dass schon verhältnismässig geringe Mengen septi-
kämischen Blutes von damit infizierten Kaninchen für andere Tiere
gleicher Art eminent toxisch sind. Bei anderen hierher gehörigen In-
fektionen ist der Nachweis von Giften nur unvollkommen geführt, so
von Pastette (C. R. 90) für Hühnercholera, von Hoefa (A. Ch. 39)
für Kaninchenseptikämie, von Hoeea (A. Ch. 39), Martin (r: J. 90. 159),
Balp u. Caebone (r: J. 91. 147), Hankin u. Wesbeook (P. 92), Aeloing
(L. 280), Maemiee (P. 95. 7) für Milzbrand, von Bonabdi (r: J. 89),
G. u. F. Klempeeee (B. 91. 35) und Keuse u. Pansini (Z. 11) für
Pneumokokken1), von Meieeowitsch (r: J. 88. 39), Maneeedi u.
Teaveesa (G. J. 88) und Rogeb (S. B. 91) für Streptokokken.
Die Angaben der genannten Autoren haben nur einen beschränkten
Wert, so ist z. B. das Milzbrandgift Hankin's und Wesbeook's nur
schädlich für Ratten und Frösche, nicht für andere Tiere. Öfter sind
die quantitativen Verhältnisse nicht genügend berücksichtigt, z. B. das
„Pneumotoxin", das G. u. F. Klempeeee aus 1li 1 Bouillonkultur
der Pneumokokken darstellten, war gerade imstande, ein Kaninchen
von dem dreifachen Gewichte (765 gr) zu töten!
Der B. pyocyaneus, der in der Mitte steht zwischen den stark
toxischen Bakterien und den Septikämieerregern, erzeugt nach Chaeein
(Maladie pyocyanique. Paris 1889) in seinen Kulturen Gifte, die die
hauptsächlichsten Symptome der Krankheit reproduzieren.
Die metastasenbildenden Bakterien (s.S. 273) veranlassen im allgemei-
nen subakute und chronische Affektionen, bei denen die Intoxikation in den
Hintergrund tritt. Dass aber auch Staphylokokken, Tuberkel- und
Rotzbacillen tötliche Gifte entwickeln können, beweisen die akuten,
1) Emmerich u. Tsuboi (Verh. d. XL Kongr. f. inn. Mediz. 92) konnten durch
Verarbeitung ganzer, an der Infektion verstorbener Tiere überhaupt keine Gift-
substanz extrahieren.
286 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
durch sie verursachten Infektionen (Pyämie in ihren verschiedenen
Formen, die Miliartuberkulose, der akute Rotz). Der Nachweis der
wirksamen Substanzen ist für die Staphylokokken am schwierigsten,
nach ihren besten Kennern, Rodet u. Cottrmont (Re. 93. 2), deswegen,
weil ihre Produkte eine sehr variable Zusammensetzung haben (vgl.
ferner Brieger u. Fränkel, B. 90. 12; Nannoti, C. 15. 17; Nissen,
D. 92. 2). Die Gifte der Tuberkelbacillen sind namentlich durch R. Koch
(D. 90. 46a) und Maeettcci (CR 90), die der Rotzbacillen durch V. Bares
u. A. (s. J. 91 u. 92) bekannt geworden.
Von den Produkten saprophytischer Mikroorganismen, die nicht
blos im Experiment, sondern auch unter natürlichen Verhältnissen, z. B.
bei Einfuhr verdorbener Nahrungsmittel (Fleisch, Fisch, Mais, Kinder-
milch, Käse), bei Stagnation des Darminhalts, bei Perforationen des
Magen-Darmkanals, bei fauligen Zersetzungen im Uterus, auf Wunden
u. s. w. in Betracht kommen, sind schädliche Wirkungen seit Panum's
berühmten Untersuchungen oft konstatiert worden.1) —
Gehen wir zur Besprechung der einzelnen Erscheinungen über, so
steht in erster Linie das Fieber als dasjenige Symptom, das allen in-
fektiösen Krankheiten ohne Ausnahme zukommt. Die klinische Erfah-
rung hat das schon lange gelehrt, und die bakteriologische Forschung
hat es bestätigt, nicht in dem Sinne, dass ein Infektionserreger unter
allen Umständen febrile Temperatursteigerungen erzeugen muss —
das Gegenteil lehrt schon der Milzbrand unserer Versuchstiere und die
unkomplizierte chronische Lungentuberkulose des Menschen — , sondern
dass er unter bestimmten Verhältnissen die Fähigkeit dazu besitzt.
Erste Bedingung dafür ist, dass die fiebererregenden Stoffe in ge-
nügender Menge erzeugt werden — ein kleiner Furunkel verläuft
fieberlos, mehrere und grössere Furunkel können selbst beträcht-
liche Temperatursteigerungen veranlassen. Zweitens darf der tem-
peraturerhöhende Einfluss nicht durch entgegengesetzt wirkende Mo-
mente aufgehoben werden. Bei einer Reihe experimenteller Infek-
tionen unserer kleinen Versuchstiere kann man einen deutlichen
Unterschied konstatieren, je nachdem die Krankheit schnell oder lang-
sam verläuft: im ersteren Fall tritt häufig kein Fieber auf, sondern
recht schnell sogar ein Abfall der Körperwärme; im zweiten Fall um-
gekehrt eine kürzere oder längere Periode der Temperatursteigerung,
1) Vgl. Brieger' s Untersuchungen über Ptomaine 18S5— 86 u. D.87. 22, Vau-
ghan, A. 7; Nielsen, r: J. 92; Kijanizin, Viertelj. f. gericht. Med. 92; Hauser,
Fäulnisbakterien. Leipzig 85; Brunner, M. 95. 5; E. Levy, A. P. 34. 5/6; Gärtner,
r: J. 88. 249; van Ermenghem, r: J. 92. 285; Paltauf u. Heider, W. J. 88;
Flügge, Z. 17. 2, Fischel u. Enoch, F. 92. Vgl. auch den Pellagrabacillus, Bac.
der bittern Milch, die Gruppe des Proteus, des B. coli in Bd. IL
Kruse, Krankheitserregung. 287
der dann der Abfall folgt. Beschleunigend für die Infektion wirken
grössere Dosis des Virus und die Wahl einer Infektionsstelle, von der
aus die Resorption schneller erfolgt (Peritoneum). Man kann sich den
Vorgang entweder so vorstellen, dass im zweiten Fall die fiebererregen-
den Substanzen von antagonistisch wirkenden paralysiert werden, oder
dass eine und dieselbe Substanz in geringer Menge temperaturerhöhend,
in grösserer temperaturvermindernd wirkt. Für die intraperitoneale Injek-
tion käme vielleicht noch ein chokartiger, temperaturerniedrigender Effekt
mit inBetracht. Eine sichere Entscheidung darüber ist noch nicht zu liefern,
denn die Isolierung des Fiebergiftes lässt noch manches zu wünschen übrig.
Ein grosser Fortschritt ist freilich durch die Untersuchungen Centanni's
(D.94.7u.8) gemacht. Derselbe zieht zur Darstellung seines „Pyrotoxins"
die Bakterienkulturen (auf flüssigen peptonlosen Nährböden) drei
Stunden bei 60° und ebenso lange bei 100° aus, scheidet die Bakterien-
leiber durch Filtration ab, dampft das Filtrat ein, fällt mit Alkohol,
löst in Wasser, dialysiert 24 Stunden zur Reinigung von fremden, leicht
dialysierbaren Beimengungen und dann mehrere Tage zur Gewinnung
einer schwerer dialysierbaren Substanz, die aus der durch das Perga-
ment gegangenen Flüssigkeit durch Eindampfen, wiederholte Fällung
mit Alkohol und Lösung in Wasser isoliert wird. Der in destilliertem
Wasser, leicht sauren, alkalischen, salzhaltigen Flüssigkeiten lösliche,
in absolutem Alkohol unlösliche Stoff giebt keine Eiweissreaktionen,
ist kein Ptomain. Centanni hat ihn aus Kulturen von Pneumo-,
Strepto-, Staphylokokken, aus Milzbrand-, Typhus-, Kolon-, Tetanus-,.
Diphtherie-, Influenza-, Tuberkelbacillen, Cholera-, Finkler - Prior-,
Metschnikoff-, Deneke-Spirillen und einer grösseren Reihe saprophy-
tischer Bakterien darstellen können. Die chemischen Eigenschaften
des Pyrotoxins verschiedenen Ursprunges sind nicht nur
gleich, sondern ebenso die physiologischen. Das Hauptsymptom
besteht in einer Temperaturerhöhung, die bei gut präpariertem Pyrotoxin
schon in zwei Stunden ihren Höhepunkt (41,5°) und ihr Ende erreichen,
bei schlecht ausgezogenen Kulturen aber tagelang andauern kann.
Bemerkenswert ist, dass der Temperaturerhöhung eine Erniedrigung der-
selben (bis zu 1,5°) vorhergehen soll. Ausser dieser Beeinflussung der
Körperwärme gehört zu den Folgen der Pyrotoxineinspritzung eine
kräftige Wirkung auf den Verdauungsapparat, die sich klinisch in
Diarrhöen, anatomisch in Hyperämie des Darms, Hypersekretion der
Schleimdrüsen und starker Schwellung der Lymphfollikel äussert.
Namentlich nach grösseren oder wiederholten Dosen des Giftes tritt
eine ausgesprochene Abmagerung des Körpers ein. Die Herzaktion ist
beschleunigt, die Atmung dyspnoisch, das Sensorium benommen, die
Muskelkraft geschwächt. Die örtlichen Effekte sind entzündlicher
288 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Natur; Eiterung bewirkt das Pyrotoxin wegen seiner schnellen Resor-
birbarkeit nur bei Prüfung mittels der Kapillarröhrchen-Methode, die
zum Nachweis chemotaktischer Wirkungen im Gebrauch ist (s. S. 279),
nicht nach Injektion ins Gewebe, vielmehr bemerkt man hier oft ein
gelatinöses Odem und Hämorrhagien.
Diese Angaben Centanni's über das Fiebergift sind, wenn sie
auch in vielen Punkten noch der Vervollständigung und Bestätigung
bedürfen, von ausserordentlichem Interesse. Der Autor bemerkt selbst,
dass, abgesehen von dem „spezifischen" Tetanus-, Diphtherie- und In-
fluenzagift, die übrigen bekannten Giftwirkungen durchaus mit denen
seines Pyrotoxins übereinstimmen. Die Unterschiede zwischen den
einzelnen Bakterien bestehen hauptsächlich in der grösseren oder ge-
ringeren Schnelligkeit, mit der das Gift innerhalb der natürlichen Kul-
turen in Lösung übergeht, und in der verschiedenen Schwierigkeit, die
die künstliche Extraktion des Giftes bietet. Keinem Zweifel kann es unter-
liegen, dass die wirksamen Stoffe ursprünglich in den Bakterienzellen ihren
Sitz haben, sie ähneln in ihren örtlichen wie allgemeinen Reaktionen
den Bakterienproteinen Büchners (s. S. 279) ausserordentlich. Büch-
ner hat die fiebererregende Wirkung seiner Proteine wohl gewürdigt
und nicht blos durch Versuche am Tier, sondern auch am Menschen
nachgewiesen (B. 90. 11 u. 47). Eine klassische Demonstration für die
Fieberwirkung von Bakterienprodukten im menschlichen Körper gab
dann R. Koch, der mit seinem Tuberkulin beim Gesunden ein typi-
sches Fieber mit allen seinen Nebenerscheinungen, Schüttelfrost, Übel-
keit, Erbrechen, Gliederschmerzen u. s. w., erzeugen konnte (D. 90. 46a).
Das Tuberkulin gehört ebenso wie das Mallein (s. J. 91 u. 92), das
in gleicher Weise Fieber verursacht, nach seiner Darstellungsart zu
den Bakterienextrakten (vgl. Römer, B. 91. 51; Buchner, M. 91. 41),
die den BüCHNERschen Proteinen und dem ÜENTANNi'schen Pyrotoxin
sehr nahe stehen.1)
Ausser dem Symptomenkomplex, der gewöhnlich als Fieber be-
zeichnet wird, bewirken Proteine wie Bakterienextrakte und wahr-
scheinlich auch das Pyrotoxin eine Beschleunigung des Lymph-
stromes (Gärtner und Römer, W. K. 92. S. 22) und akute Leuko-
cytose (Römer, V. 128; Kanthack, r: C. 14. 573). Durch klinische
Untersuchungen haben v. Limbeck (Z. Heil. 89), Rieder (M. 92. 511),
Everard u. Demoor (r: R. 94. 1) das Vorkommen von Hypo- und
Tlyperleukocytose bei einer Reihe von Infektionen festgestellt. Die
1) Die fiebererzeugende Wirkung von Bakterienprodukten (Streptokokken, Pro-
digiosus etc.) wurde am Menschen ausser von Coley, Rümpf u. A. (s. S. 315) be-
sonders von Friedrich (B. 95. 49/50) studiert. Nicht selten wurde dabei als Begleit-
erscheinung ein doppelseitiger „Intoxicationsherpes" des Gesichts beobachtet.
Kruse, Krankheitserregung. 289
Deutung der Erscheinung ist eine verschiedene; nach Goldscheider
und Jakob (Z. M. 25. 5/6) beruht die Hypoleukocytose nicht auf
Zerstörung von weissen Blutzellen, sondern auf der Zurückhaltung
derselben in bestimmten Gefässgebieten, und die Hyperleukocytose
nicht auf Neubildung, sondern auf reichlicherem Zufiuss aus demKnochen-
mark. Die positiv chemotaktischen Eigenschaften der Bakterienprodukte
spielen dabei wohl die Hauptrolle (vgl. S. 280).
In manchen Infektionen tritt eine Verminderung des Hämo-
globingehalts des Blutes auf. Bianchi-Mariotti haben eine solche
im Tierversuch bei Injektion filtrierter Kulturen immer beobachtet,
Fischel u. Adler bei Streptokokken ein besonderes blutkörpertöten-
des Vermögen gefunden (Z. Heil. 14. 4).
Die Fähigkeit, Hämorrhagien im ganzen Blutgefässsystem zu
erzeugen, scheint manchen Mikroorganismen spezifisch anzuhaften
(hämorrhagische Septikämie [Htjeppe, B. 86. 44], Typhus und hämor-
rhagische Infektion des Menschen vgl. Bd. II). In manchen Fällen
von hämorrhagischer Infektion handelt es sich wohl um Individuen,
deren Gefäss wände zu einer gewissen Brüchigkeit disponiert sind. Nach
Centanni käme übrigens dem Pyrotoxin die Eigenschaft zu, am Orte
der Injektion und auch sonst im Körper (Darm) Extravasate her-
vorzurufen.
Der ungünstige Einfmss der Infektionen auf den allgemeinen
Ernährungsstand ist durch klinische und experimentelle Erfahrungen
genügend sichergestellt. Auch die Bakterienprodukte besitzen diese
Eigenschaft, nicht blos die lebenden Bakterien. Bei Immunisierungs-
versuchen macht sich diese Nebenwirkung leider oft allzu intensiv gel-
tend; es ist das offenbar ein allgemeines Symptom der Bakterienver-
giftung (vgl. Centanni's Pyrotoxin).
Wahrscheinlich lässt sich dasselbe sagen von den lokalen Er-
nährungsstörungen, den parenchymatösen Denegerationen derinnern
Organe (Nieren, Leber, Herz), die die Infektionskrankheiten zu begleiten
pflegen. Beim Menschen werden sie viel häufiger beobachtet als bei
den Versuchstieren, vielleicht deswegen, weil bei den letzteren die
Wirkungsdauer des Giftes eine kürzere zu sein pflegt. Sie sind aber
auch hier öfters konstatiert worden (vgl. Fattlhaber, Zi. 10; Ribbert,
D. 89. 39 u. Staphylokokkuserkrankungen. Bonn 91; Charrin, r: J. 93.
285; Pernice u. Sclagiosi, r: C. 17. 13/14; Roger, r: C. 15. 17). Die
schweren Entartungen der Nieren, die bei Cholera vorkommen, werden
wohl nicht blos auf toxische Einflüsse zurückzuführen sein, sondern we-
sentlich auf die Ischämie. Ganz regelmässig ist der Befund einer weit
fortgeschrittenen Degeneration der Leber und Nieren bei Intoxikation
mit Diphtheriegift. Hiermit sind auch nekrobiotische Prozesse in
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 19
290 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
den Lymphdrüsen, Milz und hyaline Veränderungen der Gefässwände
verbunden (Oertel, Pathogenese der epidemischen Diphtherie. 87; Welch
u. Flexner, r: J. 91. 232; Babes, r: J. 91. 231). Vielleicht erklären
diese letzteren die charakteristischen Transsudationen, die bei der expe-
rimentellen Diphtherie im Peritoneum und in der Pleura beobachtet
werden.
Entzündliche Vorgänge, namentlich in den Nieren (kleinzellige
Herde) sind den pathologischen Anatomen bei Infektionen aller Art
bekannt (vgl. Faulhaber, Zi. 10) und werden auch bei experimen-
teller Behandlung von Tieren mit bakteriellen Giftstoffen angetroffen
(Pernice und Scagliosi, r: C. 17. 13/14; K. Müller, Rattenmilz-
brand: F. 93, Masur u. Kockel, Zi. 16; Bonhoff, R. 96. 3). Manche
Autoren sind geneigt, die Häufigkeit der Nierenveränderungen da-
durch zu erklären, dass diese Organe hauptsächlich die Ausscheidung
nicht nur der gelösten Gifte, sondern auch der Bakterien selbst be-
sorgen. Das letztere ist aber doch recht zweifelhaft, nach Wyssoko-
witsch (Z. 1. 32 — 33) scheint es, als ob Leber, Milz und Knochenmark
viel besser imstande wären, die Bakterienleiber zurückzuhalten, als die
Nieren (vgl. dies. Kap. u. M).
Chronische fibröse Entzündungen sind als Folgekrankheiten
von Infektionen beim Menschen nicht selten und auch experimentell in
seltenen Fällen konstatiert worden, z. B. cirrhotische Zustände in der Leber
nach Pneumokokkeninfektion (Banti, Z. 11. 347). Man wird nicht
fehlgehen, wenn man hierbei eine direkte Wirkung von Bakterien oder
deren Produkten ausschliesst und die Bindegewebsentwicklung als eine
vikariierende auffasst, die zum Ersatz von durch Degeneration verloren
gegangenem Drüsenparenchym eintritt.
Die Bedeutung der Bakteriengifte für das Nervensystem ist
von der Schule Bouchard's u. Arloing's zum Gegenstand eingehen-
der Studien gemacht worden. Die Nerven des Cirkulationsapparates
unterliegen besonders mannigfachen Einflüssen.
Zuerst wurde von Charrin u. Gley (A. Ph. 90 u. 91) eine lähmende
Wirkung der Pyocyaneusprodukte auf die Vasoclilatatoren beobachtet,
und zwar waren die flüchtigen Substanzen aus den Kulturen die wirk-
samen. Dann entdeckten Bouchard u. Arloing (C. R. 1891) beim
Tuberkulin die entgegengesetzte Eigenschaft, d. h. einen gefässerweitern-
den Effekt. Rodet u. Courmont (Re. 93. 2) fanden bei demjenigen
Teil der Staphylokokkenprodukte, der in Alkohol löslich ist, eine intensiv
lähmende Wirkung auf das Herz und die sensiblen Nerven, bei dem
durch Alkohol fällbaren Teil eine beschleunigende Wirkung auf das
Herz und eine Steigerung der Reflexerregbarkeit bis zum Tetanus.
Roger konstatierte bei dem Bac. septicus putidus und Proteus vulgaris
Kruse, Krankt eitserregung. 291
eine verlangsamte, aber kräftige Herzaktion durch die mit Alkohol ge-
fällten Substanzen (A. Ph. 93). Nach Guinabd u. Aetaud j) verursachen
die sterilisierten Produkte des Pneumobacillus liquefaciens bovis und des
B. heminecrobiophilus Erniedrigung des Blutdrucks durch Reizung
der Vasodilatatoren mit starker Kongestion der Darmgefässe, Erbrechen
und Diarrhoe. Wir erinnern hier daran, dass auch Centanni eine
ähnliche Wirkung seines Pyrotoxins gesehen hat. Solche Darmer-
scheinungen spielen überhaupt bei bakteriellen Vergiftungen " sowohl
wie bei der Infektion eine grosse Rolle; sie sind für Pneumokokken von
Keuse u. Pansini (Z. 1.1), für Streptokokken von Pasquale (Zi. 12), für
die Gruppe des Typhusbacillus und B. coli von Sieotinin und vielen An-
deren (Z. 1), für den Diphtheriebacillus von Couemont u. Doyon (S. B. 95)
sichergestellt. Eine Vermehrung der schleimigen Darmsekretion findet
dabei vielfach statt. Ihr zur Seite zu stellen ist die Hypersekretion
derSchweiss- und Speicheldrüsen, die Aetaud (s.o.) und Cadiot u. Rogee
(S. 93. 45) nach Injektion von Bakteriengiften gefunden haben.
Palpable Veränderungen (Degeneration) an den peripheren Nerven
und dem centralen Nervensystem im Gefolge von Infektionskrankheiten
sind vielfach nachgewiesen.2) Dahin gehören z. B. die Nervenverände-
rungen, die als Ursache der diphtherischen Lähmungen des Menschen
auftreten. Bei der experimentellen Diphtherie kommen ähnliche Läh-
mungen vor, müssen aber erst noch anatomisch erklärt werden (vgl.Bd. II).
Paralytische Zustände progressiver Natur, die als Nachkrankheit bei
anderen Infektionskrankheiten (LANDEv'sche Paralyse3)) vorkommen,
hat man neuerdings auf Myelitis zurückführen und auch experimentell
z. B. durch Streptokokken (Rogee, P. 92. 6; Boueges, A. E. 93; Widal
u. Bezancon, S. 95. 5) und Kolonbacillen (Gilbeet u. Lion, S. B. 92.
283) erzeugen können. Chaeein beschreibt eine durch Pyocyaneus-
produkte verursachte Affektion des Kaninchens als spastische Paralyse
mit erkennbarer Muskelatrophie, Urinretention, trophischen und sensiblen
Störungen, ohne auf die Anatomie derselben einzugehen (S. 95. 27).
Die spastischen Erscheinungen bei Einverleibung von Bestand-
teilen der Staphylokokkuskulturen (Rodet u. Couemont) wurden oben
erwähnt, sie werden bei Injektion der ganzen Kulturen durch anta-
gonistische, lähmende Wirkungen verdeckt, wenn auch nicht völlig auf-
gehoben. Vielleicht ist dasselbe der Fall beiderPneumokokkeninfektion;
Keuse u. Pansini haben wenigstens aus dem Blute infizierter Tiere
1) Artatjd, Les toxines microbiermes. Paris 95.
2) Ygl. Ziegler's Patholog. Anatomie. 8. Aufl. Bd. IL 1895.
3) Vgl. die Referate über die Myelites infectieuses auf d. Kongr. f. inn. Mediz.
in Paris (S. 95. 40).
19*
992 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ein Gift hergestellt, das starke klonische Krämpfe erregte (Z. 11. 345).
Ein rein tetanisches Gift wird dagegen bekanntermassen vom Tetanus-
bacillus erzeugt; Gumprecht (Pf. 59 u. D. 95. 42; ibid. Litt.; vgl. auch
Goldscheider, D. 95. 44) hat dessen physiologischen Effekte unter-
sucht und dabei eine nahe Übereinstimmung mit dem Strychnin ge-
funden. Nach ihm scheint es direkt auf die refiexerregenden Nerven-
zellen des Rückenmarks zu wirken. Beek (r: C. W. 95. 19) will
sogar erhebliche degenerative Veränderungen derselben gefunden
haben. Mit dem Strychnin verglichen ist das Tetanusgift etwa
100 mal stärker, schon 0,23 mgr würden genügen, um einen Men-
schen zu töten (Brieger u. Cohn, Z. 15. 1). Ein eigentümliches Ver-
halten des Tetanusgiftes ist von Courmont und Doton (S. B. 93)
behauptet worden. Schon längere Zeit bekannt war die Thatsache,
dass nach Injektion des aus Kulturen gewonnenen Giftes eine In-
kubationszeit bis zum Eintritt der Wirkung verfliesst, die je nach
der Dosis Stunden bis Tage dauert. Aus den Muskeln tetanisierter
Tiere, weniger aus ihrem Blut und Urin, lässt sich aber eine Substanz
ausziehen, die unmittelbar nach Art des Strychnins wirkt. Die franzö-
sischen Autoren haben darauf die Theorie gegründet, dass in den
Kulturen nur ein nicht giftiger Stoff vorgebildet sei, der nach Art eines
Ferments erst im Körper des Tieres das wirkliche Gift erzeuge.
Das letztere unterscheide sich von dem ersteren durch seine Rezistenz
gegen die Siedehitze. Enriquez u. Hallion behaupten ebenfalls die
Fermentnatur des Diphtheriegiftes (S. B. 94).
"Wie man sieht, sind schon eine grössere Zahl interessanter That-
sachen bezüglich der Wirkungen der Bakterien bekannt geworden.
Es wird aber noch vieler Arbeit benötigen, um in dem Chaos der
Beobachtungen Klarheit zu schaffen. Die Hauptschwierigkeit, die man
sich nicht verhehlen darf, besteht darin, dass es mit den bisherigen
physiologisch - chemischen Methoden nur unvollkommen gelingt, be-
stimmt charakterisierte Substanzen (vgl. dies. Bd. S. 183 — 194) aus den
giftigen Bakterienprodukten abzuscheiden.
In der ersten Zeit der chemisch -bakteriologischen Forschung er-
schien das Problem verhältnismässig leicht, da es einer Reihe von For-
schern, unter denen besonders Brieger1) zu nennen ist, glückte, giftige,
alkaloidähnliche Stoffe, sog. Ptomaine (Selmi, „Toxine" Brieger' s) aus
Bakterienrein- und -Mischkulturen, sowie aus dem infizierten Körper zu
gewinnen. Allein die Zahl derselben blieb eine beschränkte: wir nennen
das Kadaverin, Putrescin, die Brieger aus faulenden Kadavern und
1) Brieger, Untersuchungen über Ptomaine. Berlin 1S85 — 86. I — III. Vgl.
auch die Übersicht von Schwalbe in D. 90. 36.
Kruse, Krankheitserregung. 293
Cholerakulturen darstellte und die in grossen Dosen giftig sind, in kleine-
ren Nekrose und Eiterung bewirken (Scheuelen, F. 87. 23). Giftiger sind
dasTyrotoxikon Vaughan's (aus faulem Käse; A. 7), die ebenfalls von
Beiegee gefundenen Ptomaine Neurin und Cholin (aus Kadavern),
Gadinin undMuskarin(aus faulendenFischen), Methylguanidin (ans
faulem Pferdefleisch und Cholerakulturen), Mytilotoxin (aus Mies-
muscheln, die in faulem Wasser leben). Aus Typhuskulturen isolierte der-
selbeForscher das Typhotoxin, aus Tetanuskulturen dasTetanin,Te-
tanotoxin und Spasmotoxin. Hoefa (A. Ch. 39) fand das Methyl-
guanidin beiKaninchenseptikämie, dasAnthracin bei Milzbrand, Fol u.
Bonome (Z. 5) das N eurin in Kulturen des B. proteus vulgaris, Meieeo witsch
(r: J. 88. 39) ein giftiges Alkaloid in Streptokokkenkulturen, Geieeith
u. Ladell (C. R. 113, 114 und 117) eine ganze Reihe solcher im Urin
von Scharlach-, Diphtherie-, Pneumonie-, Masern-, Keuchhusten-, Rotz-
und Infiuenzakranken, Lebee1) das stark entzündungserregende Phlo-
gosin in Staphylokokkenkulturen.
Leider genügen die meisten dieser Stoffe weder quantitativ noch
qualitativ, um die toxische Wirkung der Mikroorganismen zu erklären.
Dazu kommt die Inkonstanz der Befunde, die gegen die gewonnenen
Resultate misstrauisch machen muss. Eine Fehlerquelle besteht für
den Fall, dass die Darstellung aus dem tierischen Körper (im ganzen
oder aus dem Fleisch, dem Urin) erfolgt, in dem regelmässigen Vor-
handensein mehr oder weniger giftiger Alkaloide (Leukomaine Gautiee's)
im gesunden Organismus (Bouchaed 2)). Ebenso wichtig ist der Um-
stand, dass durch die Methode der Behandlung, durch das Eindampfen
mit Salzsäure und Ausziehen mit Alkohol, aus den Substanzen des
Nährbodens selbst giftige Alkaloide entstehen können (das Peptotoxin
Beiegee's aus Eiweissstoffen nach Bottveeet et Devic, Re. 92. 2; das
giftige Neurin aus Cholin nach Geam, A. P. 20).
Diese Gründe geben Veranlassung, nach anderen Substanzen als den
Trägern der Giftwirkung auszuschauen. Roux u. Yeesin (P. 88. 12)
sowie Löeelee (D. 90. 5/6) haben aus Diphtheriekulturen zuerst Stoffe
dargestellt, die sie als eine Art Enzyme bezeichnen, weil sie in Wasser
und Alkohol löslich, durch Alkohol fällbar sind, durch Hitzegrade von
58 — 100 ° zerstört werden. Beiegee und C. Feänkel gingen dieser
Frage weiter nach und glaubten (B. 90. 1 1/12) das Diphtheriegift viel-
mehr als einen den Serumalbuminen verwandten Körper, als ein Tox-
albumin, auffassen zu dürfen. Ahnlich sollten sich verhalten die Gifte
des Milzbrand- und Tetanusbacillus, mehr den Globulinen nahestehen
1) Leber, Entstehung der Entzündung. Leipzig 91. p. 154ff.
2) Bouchard, Autointoxications. Paris 1887. Vgl. Albu, D. 94. 1.
294 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
die des Staphylokokkus pyogenes (vgl. Christmas, P. 88), des Typhus-
bacillus und Choleraspirillum. Für den Milzbrand hatte schon früher
Hankin (B. M. 89. 810) die Existenz einer giftigen „Albumose"
behauptet. Petei (A. G. 6) gewann aus Cholerakulturen ein Toxo-
pepton, Scholl (B. 90. 41) ein Toxoglobulin und Toxopepton?
Weyl aus Tuberkelbacillen ein Toxomucin (D. 91. 7). Von einem
anderen Gesichtspunkt ausgehend, nicht um eine spezifische Giftwirkung
zu erhalten, sondern um die entzündungserregenden Bestandteile der
Bakterien zu isolieren, stellte Buchnee aus allen möglichen Bakterien, in-
fektiösen und saprophytischen, durch längeres Auskochen mit verdünnter
Kalilauge, wie sie schon von Nencki zur Gewinnung seines Mukoprotein
benutzt war, alkalialbuminatähnliche Stoffe dar, die er Bakterien-
proteine (s. S. 279) nannte. In ihrer Wirkung den letzteren ähnlich,
aber durch einfaches Auskochen der Bakterienleiber hergestellt, sind
die proteinhaltigen Bakterienextrakte JRömee's (W. K. 91. 45)
und Buchnee's (M. 91. 49) chemisch dadurch unterschieden, dass
diese Proteine bei schwachem Ansäuern nicht gefällt werden.
Gamaleia (A. E. 92. 4) will zweierlei Arten von Eiweisskörpern in
Cholerakulturen unterscheiden: das spezifische Gift, ein „Nukleoalbu-
min", das durch Hitze unschädlich gemacht wird, und eine einfach
entzündungserregende Substanz, ein Nuklein, das starke Hitzegrade
verträgt. Beide Stoffe sitzen in den Bakterienleibern und müssen ihnen,
wenn sie zur Wirkung gelangen sollen, entzogen werden. Diese
GAMALEiA'schen Gifte erinnern an das primäre und sekundäre Cholera-
gift R. Pfeiefee's (Z. 11), die dieser Autor nur nicht chemisch näher
charakterisiert hat (vgl. auch Klempeeee, Z. M. 25. 5/6).
Aus diesen Arbeiten könnte man den Schluss ziehen, dass die
Bakteriengifte zu den Eiweisssubstanzen gehörten, indessen haben die
Untersuchungen der letzten Jahre die Irrigkeit dieser Folgerung dar-
gethan. Schon die Inkonstanz der Giftausbeute aus gleichen Kulturen
durch die gleichen Fällungsmittel (Wasseemann u. Peoskauee, D. 91. 17),
ferner die scheinbare Differenz der Gifte bei Kulturen verschiedener
Nährböden sprechen dafür, dass der Niederschlag nicht nach Art einer
chemischen Reaktion erfolgt, sondern dass die Gifte durch andere ge-
fällte Körper in grösserer oder geringerer Menge mechanisch mit
niedergerissen werden, wobei sie natürlich die Reaktionen der letzteren
mit aufweisen. Dass in der That die früher erhaltenen Eiweissreaktio-
nen der Gifte auf solche Beimischungen zurückzuführen sind, haben
neuerdings Beiegee und Cohn (Z. 15. 1) für Tetanus und Cholera,
Beiegee (Z. 19. 1) für Diphtherie, Wesbeook (P. 94. 5) für Cholera sehr
wahrscheinlich gemacht. Der Nachweis wird dadurch erleichtert, dass
man nach dem Vorgange von Guinochet (A. E. 92. 4), Uschinsky (C. 14.
Kruse, Krankheitserregung. 295
316), Buchnee u. A. eiweissfreie Nährböden benutzt. Es fehlen auch dann
zwar in der ausgewachsenen Kultur die Eiweissstoffe nicht ganz, da die
Bakterienkörper solche ausscheiden, aber durch geeignete Behandlung
lassen sich diese fast vollständig von dem Gifte trennen, so dass die Ei-
weissreaktionen an diesem höchstens noch spurweise auftreten (vgl. auch
Beiegeeu.Boee, Z.21.2). Durch diese grössere Reinigung der Giftsubstan-
zen sind wir allerdings noch nicht in den Stand gesetzt, über ihre
chemische Natur zu entscheiden. Charakteristisch ist für das Tetanus-
und Diphteriegift namentlich die geringe Widerstandskraft gegen höhere
Temperaturen, für das erstere ausserdem die leichte Zersetzlichkeit
selbst bei niederer Temperatur, die eine längere Konservierung nur im
trockenen Zustande gestattet. Das Choleragift und ebenso das desTyphus-
und Kolonbacillus reagieren insofern anders, als durch Erhitzen (auf
100 — 120°) zwar ihre Wirksamkeit quantitativ verringert, aber quali-
tativ nicht verändert werden soll (Beleges, Wesbeook1)). Es fragt
sich, welche Deutung dieser Beobachtung zu geben ist, ob durch
die höhere Temperatur eine Umwandlung des kräftigen (primären) in
ein schwächer wirksames (sekundäres) Gift (Pfeiffee) stattfindet, oder
ob neben dem leichter zerstörbaren Gift durch die Methode der Dar-
stellung zugleich ein resistentes gewonnen wird.
Dieses letztere würde dann vielleicht mit der wirksamen Substanz
des Bakterienproteins (Buchnee), der protei'nhaltigen Bakterienextrakte
(Römee) und mit dem Pyrotoxin Centanni's (vgl. S. 287 ff.) zu identifi-
zieren sein. Soweit aus den vorliegenden Angaben ein Schluss gestattet
ist, sind alle diese Körper ihrer Wirkung nach wesentlich gleich. Das
CENTANNi'sche Präparat ist nur gegenüber den beiden Proteinen viel
besser gereinigt, besonders von den eiweissartigen Beimischungen so gut
wie völlig befreit.
Das Ergebnis wäre also etwa folgendes:
Die eigentlichen Bakteriengifte sind weder Alkaloide noch
Eiweissstoffe, obwohl giftige Körper der ersteren Gruppe manchmal
als Nebenbefunde in Kulturen konstatiert worden sind. Man kann
nach ihrer Resistenz gegenüber der Erhitzung zweierlei Arten von
Substanzen unterscheiden. Zu den weniger widerstandsfähigen gehört
das Tetanus- und Diphtheriegift — zweifellos spezifische Gifte — ferner
die primären Gifte des Cholera-, Typhus- und Kolonbacillus (wie
vielleicht vieler anderer Bakterien?). Ausserdem werden von allen
Bakterien sekundäre Gifte gewonnen, die Temperaturen von 100 — 120°
vertragen, und die möglicherweise aus den primären hervorgehen. Wie
1) Nach Gamaleia (A. E. 92. 4) sind allerdings das primäre und sekun-
däre Gift in ihrer Wirkung ganz verschieden.
296 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
weit dieselben für die einzelnen Mikroorganismen spezifisch sind, muss
noch festgestellt werden. In gewissen Eigenschaften (Erregung von
Fieber, Entzündung) stimmen sie mit einander überein. Andererseits
unterscheiden sie sich durch die verschiedene Zähigkeit, mit der sie
an den Bakterienkörpern haften. Dass sie an die letzteren ursprüng-
lich gebunden sind, folgt aus der ganz allgemeinen Regel, dass junge
Kulturen meist un giftige Filtrate liefern und dass mit dem Alter der-
selben die Giftigkeit der Filtrate wächst. Da das Wachstum in den
künstlichen Nährböden schon früh aufhört, hat man Grund anzuneh-
men, dass die wirksamen Substanzen allmählich aus den Leibern aus-
gelaugt werden.
Neben den genannten Stoffen werden, sei es in den Bakterien
selbst, sei es durch Vermittlung von fermentativer Thätigkeit ausser-
halb im Substrat, noch andere Substanzen gebildet, die vielleicht ge-
wisse Eigentümlichkeiten in den physiologischen Wirkungen der einzel-
nen Bakterienspezies bedingen helfen (z. B. Ptomaine). l)
Die Beobachtung Courmont u. Doyon's, nach der das Tetanusgift
in zweierlei Formen erscheinen soll: einer labilen, in den Kulturen
enthaltenen, die sie Ferment nennen, und einer resistenten, dem im leben-
den Körper auftretenden eigentlichen Gift, steht vorläufig isoliert da.
Der Ausdruck Ferment passt nicht, da die Umwandlung des ursprüng-
lichen Stoffes der Kulturen in Gift seiner ursprünglichen Menge streng
proportional erfolgt.
Die Eigenschaft der Bakterien, prädisponierende, vaccinierende und
heilende Stoffe zu entwickeln (Lysine, Antilysine, Antitoxine) wird un-
ter J, L u. P in diesem Kapitel erörtert werden.
D. Einfluss der Menge des Virus.
Der Einfluss der Menge der -in den lebenden Organismus ein-
geführten Bakterien ist ohne weiteres verständlich, wenn es sich um
Saprophyten handelt, d. h. um solche Mikroorganismen, die sich im Körper
ihres Wirtes nicht vermehren, aber dennoch durch Produktion giftiger
Stoffe (Proteine Büchners; allgemeines Bakteriegift Hueppe's; Fiebergift
Centanni's s. u. C S. 284 ff.) schädlich wirken können. Bei Einspritzung
geringer Mengen von lebenden oder abgetöteten Kulturen solcher
Bakterien ins Unterhautgewebe von Versuchstieren entsteht kaum eine
Reizung, bei grösseren Mengen eine Entzündung, die sich zurückbildet,
1) Hierher gehört auch die von Cholerabakterien in Kulturen häufig gebildete
salpetrige Säure, die nach der Hypothese Emmerich-Tsuboi's (M. 93. 25/26) das
wesentliche Agens der Choleravergiftung darstellt. Vor der Kritik Pfeiffer's,
Klemperer's u. A. hat diese Vermutung nicht Stich gehalten.
Kruse, Krankheitserregung. 297
und bei noch grösseren Dosen Eiterung. Bei intraperitonealer Injektion
derselben Kulturen entsteht in entsprechender Steigerung entweder nur
eine Temperaturerhöhung oder eine vorübergehende Temperaturerhöhung
mit nachfolgendem Abfall oder endlich ein bis zum Eintritt des Todes
andauerndes Sinken der Körperwärme. Auf kleine Dosen des Fieber-
giftes von Centanni reagieren die Tiere mit vorübergehender Tempe-
ratursteigerung und geringer Störung des Allgemeinbefindens, auf grosse
mit tagelang währendem Fieber und chronischem Marasmus.
Bei den infektiösen Bakterien werden die Verhältnisse dadurch
komplizierter, dass je nach der Menge des eingeführten Virus- die
Intensität seines Wachstums im Körper eine verschiedene sein kann.1)
Zwar die stärksten Infektionserreger aus der Klasse der septikämischen
und metastasierenden Bakterien, z. B. der Milzbrand- und Tuberkel-
bacillus, vermögen die empfänglichsten Tiere (Meerschweinchen) nach-
gewiesenermassen schon in der charakteristischen Weise zu infizieren
und zu töten, wenn nur wenige (z. B. bis 10) lebende Individuen
subkutan zur Wirksamkeit gelangen. Auch die übrigen Septikämie-
erreger (Pneunioniekokken. Mäuse-, Kaninchenseptikämiebacillen) dürften
oft dazu imstande sein. Aber auch bei diesen so energischen Bakterien
macht sich allgemein der Einfluss der Menge dadurch bemerkbar, dass
je grösser die Dosis, desto schneller der Infektionsverlauf
ist. Viel grösser ist die Bedeutung der ursprünglich eingeführten
Quantität des Virus, wenn dasselbe eine schwächere Infektionskraft
besitzt oder — was auf dasselbe hinausläuft — wenn ein kräftiges
Virus auf weniger empfängliche Tiere einwirkt. Wählen wir als Bei-
spiel die Wirkung einer wenig virulenten Pneumokokkenkultur auf
das Kaninchen. In sehr kleiner Dosis subkutan eingespritzt, macht
sie das Tier überhaupt nicht krank, die Bakterien kommen offenbar
gar nicht zum Wachstum; nach etwas grösseren Dosen entsteht durch
sehr begrenzte Wucherung der Bakterien eine schwache Entzündung,
die ohne Spuren resorbiert wird. Mittlere Dosen erzeugen durch er-
hebliche, aber doch immerhin lokal begrenzte Vermehrung ein starkes
Exsudat, das in Abscedierung übergeht. Grosse Dosen töten das Tier
unter den Erscheinungen der Septikämie (Kruse u. Pansini, Z. 11).
Sogar ein interessanter Übergang von der lokalen Affektion zur Septikämie,
nämlich die Metastasenbildung (vgl. S. 273), kann unter Umständen bei
der Diplokokkeninfektion auftreten. So sahen Fol und Boedoni-
Ueeeedüzzi (Z. 4) bei Kaninchen multiple eitrige Gelenkentzündungen
1) Auf den Einfluss der Menge des Virus hat zuerst besonders aufmerksam
gemacht Chatjveatj (C. R. 90. 1526), und Watson Cheyne (Brit. medic. Journ. 86.
31. July) hat dieselbe durch Zählung der Keime präzisiert.
298 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
nach intravenöser Injektion und Kruse u. Pansini nach subkutaner
beim Meerschweinchen ulceröse Endocarditis (Z. 11. 347). Ganz ähn-
liche Verhältnisse ergeben sich bei der Mehrzahl der übrigen In-
fektionserreger. Man kann den Satz aufstellen, dass dieselben je
nach der Dosis, in der sie zur Wirkung kommen, entweder
gar nicht im Tierkörper wachsen, oder lokal sich entwickeln,
oder an mehreren Körperste'llen Lokalisationen (Metastasen)
bilden, oder im Blute selbst zum Wachstum gelangen, d. h.
Septikämie erregen. Dass nicht nur die Variation der Menge,
sondern auch die Schwankungen des Virulenzgrades und die Wahl der
Eintrittspforte einen solchen Einfluss auf den Infektionsverlauf haben,
werden wir später sehen.
Bei den natürlichen Infektionen des Menschen und der Tiere spielt
die Quantität des Infektionsstoffes keine so deutliche Rolle wie im Tier-
versuch, weil die ursprünglich infizierende Substanz, soweit unsere
Kenntnisse reichen, stets in verhältnismässig geringer Menge in den
Körper gelangt. Indessen weisen die Erfahrungen, die bei Laparotomien
bezüglich des Eintritts von Infektionserregern ins Peritoneum und bei
Infektionen des Blutes von älteren Krankheitsherden aus gemacht worden
sind, auf die Wichtigkeit der quantitativen Verhältnisse hin. Je nach
der Menge der auf letztere Weise in das Blut gelangten Tuberkel-
bacillen und Eiterkokken ist die Verbreitung und Intensität der darauf
folgenden metastatischen Affektionen eine verschiedene. Die Erfolge,
die andererseits die gründliche Reinigung des Bauchfells nach Darm-
oder Abscessperforationen gehabt hat, sind auch nicht dem Umstände
zu verdanken, dass alle in die Peritonealhöhle hineingelangten Krank-
heitserreger weggeschafft oder abgetötet werden — denn das wäre wohl
nur ausnahmsweise möglich — sondern, dass die Zahl derselben bis
auf ein unschädliches Minimum verringert wird.
Es ist hier nicht der Ort, uns mit der Erklärung für den mass-
gebenden Einfluss der Menge des infektiösen Virus zu beschäftigen
(vgl. Abschn. P in dies. Kap.). Es sei nur hervorgehoben, dass die ange-
führten Thatsachen nicht etwa dadurch erklärt werden können, dass man
annehme, je grösser die Zahl der Bakterienindividuen wäre, desto eher
könnten sich darunter Exemplare von besonderer Virulenz befinden. Der
Gegenbeweis ist leicht zu liefern. Wenn man z. B. eine Dosis abge-
schwächter Pneumoniekokken, die gerade imstande ist, ein Kaninchen zu
töten, auf mehrere Tiere verteilt, so erliegt nicht eines davon, wie man
nach jener Hypothese annehmen müsste, sondern alle werden nur leicht
affiziert. Von wesentlich ungleichen Chancen der einzelnen Bakterienin-
dividuen ist also nicht die Rede. Etwas anderes ist es, wenn die Bakterien
nicht dem Gewebe des Körpers direkt einverleibt werden, sondern wenn sie
Kruse, Krankheitserregung. 299
Tom Darmkanal aus eine Infektion erregen sollen. Dann sind die Be-
dingungen, zur Wirkung zu gelangen, allerdings nicht für alle ein-
geführten Individuen die gleichen, weil nur eine kleine Minderzahl der-
selben mit dem lebenden Gewebe in Berührung kommen und günstigen
Falles infektiös werden wird. Dementsprechend ist auch die klinisch
und experimentell (für Cholera, Typhus, Milzbrand, Tuberkulose) sicher-
gestellte Thatsache, dass eine Steigerung der in den Darm eingeführten
Menge des Virus die Wahrscheinlichkeit und die Ausdehnung der In-
fektion erhöht, leicht zu erklären.
E. Virulenzgrad.
Bei allen Bakterien lassen sich Schwankungen ihres pathogenen
Vermögens beobachten. Nach A (oben S.272) haben wir die Infektiosität
oder Virulenz, d. h. die Fähigkeit im Tierkörper zu wachsen1), von
der Giftproduktion zu unterscheiden. Ein Mass der Virulenz
haben wir unter D kennen gelernt, nämlich die verschiedene Aus-
dehnung des Wachstums im Tierkörper je nach der Menge
des Infektions Stoffes. Es existieren danach etwa folgende Virulenz-
stufen:
1. Kleine Bakterienmengen erzeugen Septikämie (z. B. Milzbrand beim
Meerschweinchen).
2. Kleine Mengen erzeugen Lokalisationen mit Metastasen, grössere
Septikämie (Rotz bei Feldmäusen).
3. Kleine Mengen erzeugen einen Lokaleffekt, mittlere daneben Meta-
stasen, grössere Septikämie (Pneumonie- und Streptokokken).
4. Kleine Mengen sind nicht wachstumsfähig, mittlere und grosse
bewirken Lokalisationen und event. Metastasen.
■5. Kleine und mittlere Dosen sind nicht wachstumsfähig, grosse ent-
wickeln sich nur lokal.
'6. Auch die grössten Mengen von Bakterien sind nicht wachstums-
fähig (Saprophyten).
Der grösste Teil der infektiösen Mikroorganismen kann diese ver-
schiedenen Virulenzgrade darbieten, einige Bakterien, z. B. die Diphtherie-
und Tetanusbacillen, können dagegen nur zu örtlicher Wucherung ge-
langen, und zwar die ersteren je nach ihrer Virulenz und Menge in
grösserer oder geringerer Ausdehnung, die Tetanusbacillen immer nur
1) Diese Terminologie hat sich jetzt so eingebürgert, dass es nicht rätlich
erseheint, daran zu rütteln. Die lateinischen Ausdrücke : Virus, Virulenz, Infection,
beziehen sich demnach immer auf die organischen Krankheitsstoffe, die griechischen :
Toxine, Toxicität, Intoxication auf die nichtorganischen.
300 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
in sehr beschränktem Grade. Manche Bakterien (Tuberkelbacillen,
Lepra- und wahrscheinlich Syphilisbacillen), die zu unbeschränkter Ver-
breitung im Tierkörper befähigt sind, erzeugen dort niemals Septikämie,
sondern auch im virulentesten Zustand nur Metastasen, weil sie so
langsam wachsen, dass sie, wenn sie auch in den Cirkulationsapparat
gelangen, niemals innerhalb der Blutgefässe sich bis zur Anfüllung
derselben vermehren können. Die von Seiten des Gewebes auftretende
Reaktion hat vielmehr stets Zeit, die in den Kapillaren fixierten Mikro-
organismen einzukapseln und dadurch den Übertritt der inzwischen
zum Wachstum gelangten Bakterien in das strömende Blut, d. h. die
Septikämie zu verhindern. Eine Überschwemmung desselben mit
Keimen tritt höchstens vorübergehend ein, z. B. infolge des Durchbruchs
eines erweichten tuberkulösen Herdes in ein Blutgefäss. Aber auch
dann folgt wie bei der experimentellen Injektion grosser Massen von
Tuberkelbacillen nie Septikämie, sondern die Bildung von ausserordent-
lich zahlreichen, winzigen Metastasen (Miliartuberkulose).
Die Infektionserreger scheinen schon unter natürlichen Ver-
hältnissen sehr erhebliche Schwankungen ihrer Virulenz zu er-
leiden. Für Staphylo- und Streptokokken haben das u. A. Levy (A. P. 29),
v. Lingelsheim (Z. 10), Pasquale (Zi. 12. 3) nachgewiesen, für Pneu-
moniekokken Kruse u. Pansini (Z. 11), für B. coli communis Germano
u. Maurea (Zi. 12), für Diphtheriebacillen viele Autoren, für Milzbrand-
bacillen und Choleraspirillen vgl. Bd. II. Es verdient hervorgehoben
zu werden, dass von den meisten Autoren eine Beziehung zwischen der
Virulenz gegenüber den Versuchstieren und der Schwere der ursprüng-
lichen Affektion beim Menschen aufgestellt wird. Durchgreifend ist
das freilich nicht, wie das Beispiel der Diphtherie lehrt. Für die
Tuberkelbacillen ist ein ähnliches Verhalten behauptet worden, indessen
sind die Versuche der ARLOiNü'schen Schule nicht einwandfrei, weil
man die Versuche nicht mit Reinkulturen gemacht hat *), sondern mit
Gewebspartikelchen, die sehr ungleiche Mengen lebender Bacillen zu
enthalten pflegen. Gerade die „skrofulösen" Lymphdrüsen, die nach
Arloing der Effekt eines schwächeren Virus sein sollen, sind gewöhn-
lich sehr bacillenarm, müssen deswegen auch am Tier schwächer wirken.
Es sind also bessere Beweise abzuwarten.
Unter künstlichen Bedingungen sind dagegen bei fast allen In-
fektionserregern Virulenzschwankungen nachgewiesen worden. Die-
selben bewegen sich in zwei Richtungen: es gelingt entweder Ab-
schwäch ungen oder Verstärkungen der Virulenz zu erzielen.
1) s. Bd. II. Vgl. dagegen Koch's Versuche mit Reinkulturen. M. G. 2.
Kruse, Krankheitserregung. 301
Eine Abschwächung tritt ein
1. unter dem Einfluss erhöhter Temperatur. Toussaint hat diese
Methode 1880 (C. R. 91. 135 u. 303) beim Milzbrand angewandt, um
einen Impfstoff zu erhalten. Er erhitzte zu dem Zweck bacillenhaltiges
defibrinirtes Blut 10 Minuten lang auf 55°. Pasteue, Chambeeland
u. Roux (C. R. 92. 429 u. 666) zeigten, dass dieses Verfahren unsichere
Resultate gebe, und dass zudem die abgeschwächten Bacillen schon
in den folgenden Generationen zu ihrer früheren Virulenz zurückkehrten.
Die von ihnen ersonnene Methode, die in der wochenlang fortgesetzten
Züchtung der Milzbrandbakterien in Bouillon bei einer Temperatur von
42 — 43° bestand, führte dagegen zu durchaus befriedigenden Ergebnissen.
Alle Abstufungen der Virulenz, und zwar dauerhaft abgeschwächte
Varietäten Hessen sich auf diese Weise erhalten. Die nach 43 Tagen
gewonnenen Kulturen waren für kein Versuchstier mehr — in
den üblichen Dosen — virulent. Koch, Gaeeky u. Löeflee be-
stätigten diesen Erfolg (M. G. 2) und wiesen auf die Temperatur-
erhöhung als wesentlichen Faktor der Abschwächung hin, während
Pasteue, die Einwirkung des Sauerstoffs auf die vegetativen — durch
die hohe Temperatur zur Sporenbildung untauglich gewordenen —
Formen in den Vordergrund gestellt hatte. Chauveau (C. R. 96. 553
u. 678) kam schon früher zu dieser Vorstellung und wies nach, dass
auch eine kurzdauernde Erhitzung bei einer Temperatur, die etwas
niedriger war, als die von Toussaint angegebene, brauchbare Resultate
ergebe. Sporenlose (1 Tag bei 42°) gezüchtete Milzbrandbacillen konnten
durch 1—3 stündige Erwärmung auf 47° beliebig abgeschwächt werden,
und selbst die aus den so behandelten Bacillen hervorgegangenen
Sporen Hessen sich durch mehrstündige Erhitzung auf 80° wieder ab-
schwächen, während die Sporen des virulenten Milzbrandes dadurch
nicht beeinüusst wurden. Aeloing, Cornevin u. Thomas (C. R. 94 — 97)
erzielten ebenfalls durch Erhitzung auf 85 — 100° sporenhaltiges Rausch-
brandmaterial von verschiedener Wirksamkeit. Auch für Pneumonie-
kokken versuchten A. Feänkel (Z. M. 86) und Biondi (Z. 2) die Züchtung
bei höherer Temperatur als Abschwächungsmittel zu benutzen, die Er-
gebnisse sind aber wegen der Empfindlichkeit dieser Mikroorganismen
wenig brauchbar (Kruse u. Pansini, Z. 11. 380).
2. Die abschwächende Wirkung des Sonnenlichtes auf Milzbrand-
bacillen ist von Arloing (C. R. 101. 535) gefunden und von Pansini
(Soc. di Natural. Napoli 90) bestätigt worden. Es handelt sich nur
um eine wenige Stunden dauernde intensive Belichtung und um eine
Abschwächung, die in den folgenden Kulturgenerationen nicht Stand
hält. Eine dauernde Virulenzverminderuns ist auch durch 4wöchent-
302 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
liehe, fast bis zum Absterben der Keime verlängerte schwächere Be-
lichtung der Milzbrandsporen nicht zu erzielen (Kruse, Z. 19. 332).
3. Der trockene Zustand schädigt alle vegetativen Bakterien-
keime. Auch die dauerhaftesten werden früher oder später dadurch
getötet. Es ist wohl möglich, dass vor dem Absterben der Mikro-
organismen ein Virulenzverlust derselben eintritt, indessen ist dies nur
beim Pneumoniekokkus (vgl. Kruse u. Pansini, Z. 11. 330) bewiesen.
Die übrigen Beobachtungen (z. B. an Tuberkelbacillen) lassen den
Einwand zu, dass die durch das Trocknen bewirkte Verminderung
der Zahl lebensfähiger Keime bei der Beurteilung des Virulenzgrades
nicht genügend berücksichtigt worden ist.
4. Der elektrische Strom bewirkt nach Krüger (Z. M. 22) und
Smirnow (B. 94. 30) eine Abnahme des infektiösen Vermögens von
Bakterienkulturen. Der chemische Einfiuss der Elektrolyse kommt da
wohl ins Spiel. Es ist aber noch nicht festgestellt, wieviel von ab-
schwächender Wirkung auf die Verminderung der Keimzahl, die
zweifellos stattfindet, zu schieben ist.
5. Wossnessenskt (C. R. 98. 314) und Chauveau (C. R. 98. 1232 u.
A. E. 89) haben nachgewiesen, dass die Erhöhung des Atmosphären-
drucks auf das 3 — 6 fache zugleich mit einer Temperatur von 42 — 43a
Milzbrandbacillen in 4 — 6 Tagen dauerhaft abschwächt, aber nur, wenn
dieselben in geringen Mengen Bouillon dem Druck ausgesetzt werden.
Offenbar muss hier der Sauerstoff der Luft zu erhöhter Wirkung ge-
langen. Dies führt uns
6. auf die Bedeutung des Sauerstoffs für die Abschwächung.
Pasteur hat in seinen Untersuchungen über die Virulenz Verminderung
der Hühnercholerabakterien (C. R. 90. 239 u. 592), die für alle folgenden
Versuche über Abschwächung den Grund gegeben haben, gerade den
Sauerstoff der Luft für die in Monate alten Kulturen der genannten
Bakterien auftretenden Virulenzverluste verantwortlich gemacht, weil
er in luftdicht verschlossenen Kulturen einen solchen Effekt nicht hat
konstatieren können. Dasselbe Prinzip wäre nach ihm auch massgebend
für die Abschwächung des Milzbrands bei 42 — 43°. Nach den späteren
Forschungen ist ein solcher Einfiuss wohl nicht ganz zu leugnen, wenn
auch von Pasteur die Wirkung anderer Faktoren (der Temperatur
[s. oben], der Stoffwechselprodukte in alten Kulturen [s. später]) unter-
schätzt worden ist. Auch bei der Abschwächung eines anderen In-
fektionsstoffes, mit dem wir freilich noch ungenügend bekannt sind,
nämlich des Virus der Hundswut, kommt der Luftsauerstoff, wie Zagari
(G. J. 90) gezeigt hat, allerdings neben der Temperatur und Trocken-
heit in Betracht. Zur Gewinnung des abgeschwächten Wutgiftes wird
nach der PASTEURschen Methode das virulente Rückenmark 14 Tage
Kruse, Krankheitserreguxig. 3Q3;
lang bei gewöhnlicher Temperatur in Grefässen, die durch Ätzkali trocken
gehalten werden, aufbewahrt. Steigerung der Temperatur auf 35° be-
schleunigt die Abschwächung, Eintauchen des Markes in eine indifferente
Flüssigkeit, sowie Ersatz der Luft durch eine sauerstofffreie Atmo-
sphäre verlangsamt dieselbe.
7. Der Zusatz von antiseptischen Stoffen in solchen Mengen
zu den Kulturen, dass dadurch nicht eine vollständige Aufhebung,
sondern nur eine Hemmung des Wachstums bewirkt wird, ist nach
Chambekland u. Rottx (CL R. 96. 1 088) imstande, dieselben abzuschwächen.
So werden Milzbrandbacillen durch Züchtung in Bouillon mit Vßoo ms
7s oo Carbolsäure binnen 21 Tagen und mit 72000 — V5000 doppelchrom-
saurem Kalium binnen 10 Tagen zum wesentlichen ihrer Infektiosität
beraubt. Nach denselben Autoren (C. R. 96. 1410) unterliegen auch
die Milzbrandsporen einem ähnlichen Einfluss, wenn sie 8 — 10 Tage
lang in 2 proz. Schwefelsäure konserviert werden. Neuerdings ist von
Behring u. Kitasato (D. 90. 49 u. 50) das Jodtrichlorid verwandt worden,,
um Diphtherie- und Tetanusbacillen in ihrem pathogenen Effekt ab-
zuschwächen. Zum Teil spielt wohl ein giftzerstörendes Moment hier
mit (s. später).
8. Chemische Substanzen sind es wohl auch, die bei der in alten
Kulturen, z. B. von Hühnercholera (s. oben Pasteur), eintretenden
Abschwächung eine wichtige Rolle spielen. Der Vorgang scheint nach
der Ansicht mancher Forscher weit verbreitet zu sein, aber sehr häufig
ist der Virulenzverlust ein gewissermassen nur individueller, d. h. bei
Verimpfung auf frisches Nährsubstrat tritt das alte Infektionsvermögen
wieder zu Tage. In solchen Fällen muss man sich fragen, ,ob die
scheinbare Abschwächung der alten Kultur nicht vielmehr auf einem
teilweisen Absterben von Keimen in derselben beruht (vgl. Kruse m
Pansini, Z. 11. 329 und Gotschlich u. Weigano, Z. 20).
9. Bei vielen Bakterien, man kann fast sagen bei allen, wird im
Laufe der künstlichen Züchtung früher oder später eine Ab-
nahme der Virulenz beobachtet, auch wenn man die Kulturen nicht
alt werden lässt, sondern häufig den Nährboden erneuert. Sehr schnell
— in wenigen Tagen bis Wochen — tritt das ein beim Pneumonie-
kokkus, sehr langsam gewöhnlich — nach Jahren — beim Tuberkel-
bacillus. Die Abschwächung erfolgt oft scheinbar regellos, in der
Weise, dass sehr infektiöse Kulturen schneller ihre Virulenz verlieren,
als weniger infektiöse derselben Art unter denselben Umständen
(Krtjse u. Pansini, Z. 11. 328). Offenbar ist die Infektiosität eine
Eigenschaft, die mit verschiedener Zähigkeit festgehalten wird. Die-
jenigen Mikroorganismen, die befähigt sind, Sporen zu bilden, er-
weisen sich in ihrer Virulenz als relativ konstanter, offenbar weil die
304 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Sporen viel weniger durch äussere Momente zu beeinflussen sind. Als
Ursachen der Abschwächung kann man erstens die auch in relativ
jungen Kulturen gebildeten schädlichen Stoffwechelprodukte (z.B.
Säuren oder Alkalien), zweitens aber die Anpassung an den Nähr-
boden, die allmählich eintritt, ansehen. „Die Bakterien werden ihrer
parasitischen Existenz entfremdet und an saprophytische Lebensweise
gewöhnt." Dass dem wirklich so ist, dafür sprechen die Erfahrungen,
die man mit verschiedenen Nährsubstanzen gemacht hat. Diejenigen
Medien, die in ihrer Zusammensetzung den tierischen Säften näher
kommen, Serum, Blutnährböden, eiweissreiches Sputum (s. später unter
„Verstärkung der Virulenz") scheinen verhältnismässig am besten ge-
eignet, die infektiösen Eigenschaften der Bakterien zu konservieren.
10. Dass die Stoffwechselprodukte andererBakterien ausser-
halb wie innerhalb des thierischen Körpers einen abschwächenben Ein-
fluss auf Infektionserreger äussern können, wird unter F („Misch-
infektion") zu besprechen sein. Über die Verringerung der infektiösen
Wirksamkeit, die durch Erhöhung der Resistenz des Wirtstieres
und interne Anwendung von Antisepticis erreicht wird, ist
Abschnitt K zu vergleichen.
11. Nach einer weitverbreiteten Ansicht soll der lebende tie-
rische Körper die Virulenz der Bakterien abschwächen können. In
der Thatsache, an deren Richtigkeit kaum noch gezweifelt werden kann,
dass die Kuhpocken nur eine durch Verpflanzung auf das Rind ab-
geschwächte Form der Menschenpocken darstellten, würde eine wich-
tige Stütze für den obigen Satz liegen, wenn man davon absieht, dass die
bakterielle Natur des Pockenkontagiums noch nicht gesichert ist
(Fischer, M. 90. 43 und S. 92.389; Eternod u.Haccius, S.90. 31. decemb.;
Haccius, Variolo- Vaccine. Geneve et Paris 92 gegen Chauveau, Ac. 91).
Pasteur u. Thuillier (CR. 97. 1163) wollen ferner eine Abschwächung
des Schweinerotlaufbacillus vermittelst wiederholter Passage durch das
relativ unempfängliche Kaninchen erzielt haben. Kitt (C. 2. 693)
und Smirnow (Z. 4) haben dies Resultat nicht bestätigen können,
scheinen allerdings mit zu kleinen Dosen gearbeitet zu haben. Nach
Pasteur wäre ebenso eine Abschwächung des Hundswutkontagiums durch
fortgesetzte Verimpfung auf Affen zu erreichen. Der ähnliche Effekt,
den Banti bei Pneumoniekokken im Meerschweinchen erzielt haben
will, beruht nach Kruse und Pansini (Z. 11. 330) auf einer falschen
Methodik. Überträgt man nämlich das Blut von mit Pneumokokken
infizierten Meerschweinchen auf neue Tiere, so bekommt man immer
weniger lebendes Kokkenmaterial und deswegen eine schwächere
Wirkung. Werden dagegen von jedem Tiere wieder frische Kulturen
angelegt und mit diesen die Übertragung fortgesetzt, so tritt auch nach
Kruse, Krankheitserregung. 305
einer Reihe von 20 Meerschweinchen keine Spur von Abschwächung
zu Tage. Ebensowenig ist das der Fall, wenn man ein immunisiertes
Tier mit virulenten Pneumokokken infiziert: aus dem daraus hervor-
gegangenen Lokaleffekt wurde noch nach 12 Tagen eine durchaus
virulente Kultur gezüchtet. Auch im Menschen können die sonst so
empfindlichen Pneumonieerreger sich sehr lange Zeit ohne Verlust
ihres infektiösen Vermögens konservieren (a. a. 0. 331—333). Besser
gelungen erscheint der Nachweis der Viruler*zverminderung der Säuge-
tiertuberkulose im wenig empfindlichen Tiere; Gramatschikoff (C. P.
91) hat denselben dadurch erbracht, dass er Tuberkelbacillen, ein-
geschlossen in eine zur Dialyse geeignete Membran, in die Peritoneal-
höhle von Hühnern einführte und davon nach verschiedenen Zeiträumen
Kulturen anlegte, die er dann auf ihre Infektiosität prüfte. Auch
R. Pfeiffer hat den Vibrio Metschnikoff nach 90 stündigem Verweilen
im Organismus eines vaccinierten Meerschweinchens abgeschwächt ge-
funden (Z. 7; vgl. auch Lubarscie, Z. M. 19. 229 u. 230).
12. Wenn danach von einer konstant stattfindenden Abschwächung
im Körper eines relativ immunen Tieres sicher nicht die Rede sein kann,
so gilt das noch weniger, wenn man die Säfte eines solchen (z.B. das Blut
und Blutserum) ausserhalb des lebendenKörpers auf die Bakterien wirken
lässt (Kruse u. Pansini a. a. O. S. 332). Die Autoren, die dennoch
auf diese Weise eine Abschwächung erzielt zu haben glauben (Ogata
u. Jasuhara, C. 9. 1 und Charrin u. Roger, S. B. 92) sind in diesen
Irrtum verfallen, weil sie stets die tierischen Säfte, die zur Kultur
verwandt waren, zur Prüfung der Virulenz direkt injizierten. Metsch-
nikoff (P. 92. 5) hat nachgewiesen, dass der abschwächende Ein-
fluss dem Serum selbst zukommt, denn er verschwindet, wenn
man die Bakterien durch Filtration von dem Serum trennt und
allein einspritzt.
Ausser den gelösten Stoffen des tierischen Körpers hat man auch
gewissen Zellsubstanzen, namentlich dem Lymph- und Thymus-
drüsenextrakt eine abschwächende Wirkung auf pathogene Bakterien
zugeschrieben (Wooldridge, Proc. Lond. 87. 312; Brieger, Kitasato und
Wassermann, Z. 12). Die letzteren Autoren sprechen freilich nur von
einer Gifteinbusse der auf solchen Extrakten gezüchteten Mikro-
organismen, aus ihren Versuchen lässt sich aber doch auf eine zu-
gleich eintretende Verringerung der Virulenz schliessen. Dieselbe ist
nur eine vorübergehende, denn die Übertragung auf die gewöhnlichen
Nährböden bewirkt auch die Rückkehr der Virulenz. Die Versuchs-
anordnung der genannten Forscher schliesst übrigens die Möglichkeit
nicht aus, das hier wie in den eben citierten Experimenten Metschni-
koff's die mit den Bakterien zugleich einverleibten Substanzen — in
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 20
306 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
jenem Falle das Serum, in diesem die Zellauszüge — die einzig wirk-
samen Potenzen darstellen (vgl. Wooldridge, A. f. Ph. 88).
Wenn wir von diesen strittigen Punkten, auf die wir unten
noch zurückkommen werden, ganz absehen, so bleiben Einflüsse
genug übrig, die eine Abschwächung der Virulenz bewirken. Im all-
gemeinen kann man sagen, dass die meisten die Bakterien treffenden
schädlichen Momente imstande sind, auch ihre infektiösen Eigen-
schaften zu vermindern. Dem Absterben der Mikroorganismen scheint
eine Herabsetzung ihrer Virulenz vorherzugehen. Die längere Zeit
hindurch wirkenden, natürlich weniger intensiven Schädlichkeiten ver-
bürgen ein konstanteres und dauerhafteres Resultat, als diejenigen, die
schneller und intensiver wirken (vgl. Kap. „Variabilität" i. dies. Bde.).
Die Verstärkung der Virulenz ist in den meisten Fällen gleich-
bedeutend mit der Wiederherstellung der ursprünglichen Infektio-
sität nach einer kürzer oder länger dauernden Periode der Abschwächung.
Es ist aber auch vielfach gelungen, die Virulenz über das gewöhnliche
unter natürlichen Verhältnissen gefundene Mass zu steigern.
1. Durch Anwendung eines Luftdrucks von 3 — 13 Atmosphären
und Züchtung bei 35° sollen nach Wossnessensky (C. R. 98. 314; vgl.
S. 302) Milzbrandbacillen eine Zunahme ihrer Virulenz erfahren.
2. Die Zusammensetzung des Nährbodens hat einen grossen
Einfluss auf die Virulenz. Chattveau (CR. 108. 379u.A.E.89) stellte die
pathogenen Eigenschaften abgeschwächter Milzbrandbacillen in einem
bluthaltigen Nährmedium wieder her. Pneumoniekokken, die sonst ausser-
ordentlich schnell ihre Pathogenität verlieren, können nach Sclavo (r: R.
95. 13) in Eikulturen, nach E. Fränkel u. Reiche (Z. M. 25. 3/4) auf mit
Blut bestrichenem Agar, nach Grawitz u. Steffen (B. 94. 18) auf
koagulirtem pneumonischem Sputum nicht nur wirksam fortgezüchtet,
sondern auch, wenn sie abgeschwächt gewesen waren, von neuem viru-
lent gemacht werden. Die Eikultur ist auch nach Gruber u. Wiener
geeignet, die Virulenz von Cholerabacillen zu steigern (A. 15). Auf
Blutserum und in Bouillon behalten die Diphtheriebacillen viel länger
ihre infektiösen Eigenschaften, als auf Agar, und können auch durch
Übertragung in die genannten Nährböden die verlorene Virulenz zurück-
gewinnen. In anderer Weise, die noch der Erklärung harrt, ist es
Arloing u. Cornevin (C. R. 103) gelungen, schwach wirkende Rausch-
brandkulturen und selbst die konstanten Rauschbrandvaccins hoch
infektiös werden zu lassen: sie setzten denselben 2% Milchsäure zu
und Hessen das Gemisch 24 Stunden stehen, ein weiterer Zusatz von
etwas Zuckerlösung steigerte die Virulenz nach 48 Sunden auf ein
Maximum.
Neuerdings hat Blachstein (B. 94. 17) den Einfluss studiert, den
Kruse, Krankheitserregung. 307
die verschiedenen Salze der Nährlösungen auf die Virulenz des Cholera-
spirillum haben. Nach ihm wirken Ka-Nitrat, Na-Phosphat und anor-
ganische Eisensalze (nicht Hämoglobin) virulenzsteigend, Kochsalz ist
dagegen ohne Einfluss, eine Angabe, die der GAMALEiA'schen Ansicht
(S. B. 93. 809), dass durch Züchtung in koncentrierten Kochsalzlösungen
eine Virulenzerhöhung erzielt werden könne, direkt widerspricht.
3. Die Wirkung anderer Bakterien und ihrer Produkte auf den
Grad der Infektiosität eines Mikroorganismus, die Beförderung der
Disposition zu einer Infektion durch Einverleibung chemischer Sub-
stanzen, die Bedeutung der Eintrittspforte des Virus für abgeschwächte
Bakterien sind in späteren Abschnitten zu besprechen (F, G, J).
4. Bei weitem das wichtigste Mittel zur Wiederherstellung oder
auch zur weiteren Steigerung der Virulenz ist die Passage durch
empfängliche Tiere. Die erste Angabe darüber stammt von Davaine
(Ac.72), der auf Grund von Übertragungsversuchen mit Septikämiebacillen
von Tier auf Tier zur Vorstellung einer „progressiven Virulenz" kam.
Koch u. Gaefkt (M. G. 1. 80) bewiesen jedoch für einige Fälle, dass eine
solche durch unreines Material vorgetäuscht werden kann und nicht
vorhanden ist, wenn man von Reinkulturen ausgeht.
Pastette (C. R. 97. 1193) hat dann aber das Virus des Schweine-
rotlaufs durch Übertragung von Taube auf Taube in seiner Wirksam-
keit steigern können, und später sind in allen Laboratorien für pathogene
Bakterien verschiedener Art ähnliche Thatsachen mit Sicherheit festgestellt
worden. Freilich geht die Virulenzsteigerung nur bis zu einem gewissen
Grade, der für jeden Mikroorganismus konstant zu sein scheint. Man könnte
dann mit Pastette, der das Hunds wutgift auch durch Passage ira Kaninchen
nur auf ein bestimmtes Maximum hat bringen können, von einem Virus
fixe (CR. 101) sprechen. Im allgemeinen gilt die Regel, dass die in solcher
Weise erreichte Erhöhung der Infektiosität für alle überhaupt empfäng-
lichen Tiere gilt. Knoee (Z. 13) und Peteuschky (Z. 17) wollen je-
doch Streptokokken vermittelst wiederholter Passage durch den Mäuse-
körper ihrer Virulenz für das Kaninchen grösstenteils beraubt haben.
Die Übertragung von Tier durch Tier erfolgt am besten unter Ein-
schiebung von Reinkulturen, da man nur auf diese Weise die Be-
stimmung der Dosis in der Hand behält. Oft kommt man bei An-
wendung sehr grosser Mengen frischer Kulturen noch dazu, Mikroorganis-
men, die scheinbar keine Spur von Virulenz besitzen, infektiös zu machen
(Kruse u. Pansini, Z. 11. 334). Denselben Dienst wie erhöhte Dosen
thut die mit der Inokulation geringer Mengen des lebenden Virus ver-
bundene Einverleibung grosser Mengen von Stoffwechselprodukten
desselben Mikroorganismus (vgl. unter J Nr. 9). Statt empfänglicher Tiere
kann man zur Passage auch weniger empfängliche benutzen, wenn man
20*
308 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
nur dafür sorgt, dass dieselben erkranken, und wenn man in der Lage
ist, aus den Krankheitsprodukten das Virus wieder heranzuzüchten.
Man ist imstande, durch verschiedene Methoden (vgl. unter J) die
Empfänglichkeit solcher Tiere zu erhöhen; so haben Sawtschenko
(C. 9) nach Rückenmarksdurchschneidung im Taubenkörper Milz-
brandwachstum, Fermi und Salsano (C. 12) nach Vorbehandlung von
Meerschweinchen mit Traubenzucker oder Milchsäure in denselben
die Entwicklung von Hühnertuberkelbacillen eintreten sehen. In den
angeführten Fällen erwiesen sich die Bakterien, welche die sonst
refraktären Tiere passiert hatten, auch weiter als virulent für dieselbe
Spezies: sie hatten sich also dem von Natur immunen Organismus
angepasst, ohne dabei etwa für andere Tiere virulenter zu werden.
Ganz vereinzelt steht aber der Fall da, den Metschnikoef (P. 91. 8)
und Bürdet (P. 92. 5) anführen, dass nämlich die Virulenz eines Mikro-
organismus durch Aufenthalt im Körper eines immunisierten Tieres
auf einen höheren Grad gebracht werden könne, als mittelst Passage
durch ein empfängliches Tier.
Die Giftigkeit der Bakterien ist eine Funktion derselben, die
mit ihrer Virulenz im allgemeinen in keinem unmittelbaren Zusammen-
hange steht (vgl. Krehl, A.P. 35. 222). Nur bei den Diphtheriebacillen ist
ein solcher allerdings äusserst wahrscheinlich gemacht. Diejenigen Mikro-
organismen, die konstant aus den Membranen der menschlichen Diphtherie
isoliert werden und bei Versuchstieren Diphtherie erzeugen, die also für
diesen echten Infektionsprozess verantwortlich zu machen sind, besitzen
eine ausgesprochene Toxi cität. Die sog. Pseudodiphtheriebacillen dagegen,
die unschuldige Schmarotzer mehrerer Schleimhäute und von Geschwürs-
fiächen verschiedener Art und bei Versuchstieren gar nicht zum Wachstum
zu bringen sind, erweisen sich als ungiftig. Brieger u. Fränkel
(B. 90. 11 — 12) sowie Wassermann u. Proskaeer (D. 91. 17) haben
die Produkte dieser Bakterien untersucht und dabei die merkwürdige
Thatsache gefunden, dass die virulenten Diphtheriebacillen hauptsäch-
lich einen durch verdünnten Alkohol fällbaren giftigen Stoff neben
geringen Mengen eines ungiftigen, erst durch koncentrierten Alkohol
fällbaren enthalten, während die Sache bei den abgeschwächten Bacillen
gerade umgekehrt liegt. Über die chemischen Differenzen beider Körper
lässt sich leider bisher nicht mehr sagen.
Für andere Bakterien, wie die Choleraspi rillen und Staphylo-
kokken (v. Dungern, Z. 20. 1; van de Velde, Cell. 10. 2), ist da-
gegen der Nachweis geführt, dass die Giftigkeit im wesentlichen die-
selbe bleibt bei den infektiösen wie abgeschwächten Varietäten. Eine
weitere Behandlung dieser Frage wäre dringend erwünscht.
Die Giftausbeute aus den Bakterienkulturen unterliegt erheblichen
Kruse, Krankheitserregung. 309
Schwankungen. Teilweise erklären sich dieselben nicht aus Verände-
rungen der Giftproduktion selbst, sondern aus einer nachträglich in
den Kulturen stattfindenden Zersetzung des einmal gebildeten Giftes.
Diese wird z. B. von Beiegee (Z. 19. 1) auf den schädigenden Einfluss
basischer Produkte zurückgeführt und durch Gypszusatz zu vermeiden
gesucht.1) In anderen Fällen ist aber wahrscheinlich die Menge der
überhaupt gebildeten toxischen Produkte eine variable. Die Unter-
suchungen von Blachstein (B. 94. 17), die auf den Einfluss von Sal-
peter, Phosphaten, Eisensalzen hinweisen, wurden oben schon erwähnt.
Vielleicht begünstigen diese Zusätze eher die Giftproduktion als die
Virulenz der Bakterien. Den Salzen (Kochsalz) wird auch sonst eine
gewisse Wichtigkeit beigelegt (von Gamaleia, S. B. 93. 809 für die
Cholera; von Beiegee, Z. 19. 1 für den Tetanus). Vielfach wird die
Zusammensetzung des Nährbodens freilich dadurch eine mehr indirekte
Bedeutung für die Giftbildung haben, dass sie die Vegetation der
Bakterien selbst begünstigt. Diesem Zweck dient offenbar der Vor-
schlag Beiegee's und Feänkel's (B. 90. 11), zur Gewinnung des Diph-
therietoxalbumins sich Kulturen mit Zusatz von Blutserum und Glycerin
zu bedienen. Beiegee u. Cohn (Z. 15. 1) empfehlen für Tetanus-
nährmedien die Mischung der gewöhnlichen Bouillon mit alten Typhus-
kulturen und Extrakten aus faulem Fleisch. Die Ausbeute an giftigen
Ptomainen scheint nach der Mehrzahl der Autoren bei Benutzung von
Fleischnährböden am grössten zu sein. Alle diese Angaben sind vor-
läufig mehr praktische Winke für die Darstellung der Gifte, als dass
sie sich für die theoretische Auffassung des Vorgangs der Giftbildung
verwerten Hessen.
F. Mischinfektion.
Die kombinierte Wirkung zweier und mehrerer Bakterien oder
ihrer Produkte hat eine grosse Bedeutung für die Pathologie. Unter
natürlichen Verhältnissen hat man zu unterscheiden zwischen der
Sekundärinfektion und der eigentlichen Mischinfektion.2)
Eine Sekundärinfektion entsteht dadurch, dass zu einer ursprüng-
lich einfachen Infektion nachträglich eine zweite hinzutritt. Am häufigsten
spielen die Staphylo-, Strepto- und Pneumokokken diese Rolle. Die durch
1) Dass umgekehrt die saure Reaktion des Nährbodens die Ausbeute an
Diphtheriegift ungünstig beeinflusst, zeigte van Turenhotjt, r: C. IS. 9/10 (vgl.
Spronck, P. 95. 10). Die verschiedene Bedeutung der Eiweissstoff'e u. a. m. er-
kannte Smirnow, B. 95. 30/31.
2) Vgl. Roth, D. 86. 51 und Babes u. Cornil, Les associations bacteriennes.
Verhd. d. X. intern. Kongresses z. Berlin. II 3. 12 (Berlin 1891). Vollständige
Litt, siehe im speziellen Teil Bd. IL
310 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
diese verursachten Eiterungen und Entzündungen der verschiedensten
Art: Erysipele, Phlegmonen, Abscesse, Knochen- und Gelenkentzündungen,
Pneumonien, Empyeme, Endokarditiden u. s. w., kommen sehr häufig
im Gefolge des Typhus, der Masern, des Scharlachs, der Blattern, der
Diphtherie, der Tuberkulose vor. Die Streptokokken treten dabei in
besonderer Virulenz als Erreger von septikämischen Zuständen auf.1)
Die tuberkulöse Lungenphthise ist ein Prozess, der namentlich in vor-
geschrittenen Stadien oft durch eine mehrfache Kombination von Bakterien
unterhalten wird. Ausser den genannten Kokken treten zu den Tuberkel-
bacillen auch noch Influenzabacillen, Friedländer- und diphtherie-
ähnliche Bakterien, Fäulnisorganismen u. s. w. (Spengler, Z. 18. 2). Aber
auch die obengenannten primären Infektionen können ihrerseits als
sekundäre Erkrankungen erscheinen, so z. B. echte Diphtherie bei Schar-
lach, Tuberkulose nach Masern, Scharlach bei Wundeiterungen
u. s. w.
Die Voraussetzungen für die Sekundärinfektionen ergeben sich zum
Teil wohl sicher aus der örtlichen oder allgemeinen Schwächung des
Organismus durch die voraufgehende Krankheit, zum Teil aber auch aus
der Eröffnung von Eintrittspforten für weit verbreitete Infektionsstoffe,
wie Staphylo-, Strepto- und Pneumokokken.
Die Resorption von Bakterien verschiedener Art wird besonders
durch ausgedehnte Zerstörung der als Barriere dienenden Schleimhaut
des Darms bei Cholera (Lesage u. Macaigne, P. 93. 1), Typhus nnd
Dysenterie (Kruse u. Pasquale, Z. 16) erleichtert. Es ist aber gerade
hier zweifellos, dass die bei diesen Prozessen in den innern Organen
häufig in ziemlich reichlicher Menge gefundenen Mikroorganismen (z. B.
Kolonbacillen) durchaus nicht immer als Erreger von Sekundärinfektionen
zu betrachten sind, wie es von manchen Seiten geschieht, sondern als
nicht vermehrungsfähig angesehen werden müssen. Dass sie dabei als
chemisch für den Körper differente Fremdkörper wirken, ist wahr-
scheinlich.
Die Bedeutung der Sekundärinfekion für den Körper ist, nach den
klinischen Erfahrungen zu schliessen, im allgemeinen eine durchaus
ungünstige; indessen scheinen doch gewisse Kombinationen unter Um-
ständen von Vorteil zu sein. So schreiben, von älteren Beobachtungen ab-
gesehen, einige Autoren neuerdings dem Erysipel eine Heilwirkung zu auf
Syphilis (r: J. 86. 394; 88. 455 und 91. 269), auf chronische Eiterungen
(r: J. 88. 455) und selbst auf Lungenphthise (M. 88. 48). Wenn man
die Entstehung maligner Geschwülste auf eine Infektion zurückführt,
1) z. B. beim Typhus nach Vincent (r: C. 15. 2/3) und Wassermann (Ch. 19),
bei Tuberkulose nach Pasquale (Zi. 12. 3) und Petruschky (D. 93. 14.)
Kruse, Krankheitserregung. 311
so würde auf diese auch wieder das Erysipel antagonistisch wirken.1)
Gänzlich indifferent für den Menschen ist mit seltenen Ausnahmen
die sehr häufig vorkommende Infektion eiternder Wunden mit dem
Pyocyaneusbacillus.
Mischinfektionen im eigentlichen Sinne entstehen dadurch, dass
durch dieselbe Eintrittspforte gleichzeitig mehrere Bakterien in den
Körper eindringen und daselbst zum Wachstum gelangen. Sehr häufig
finden sich bei Eiterungen mehrere Spezies (Varietäten) nebeneinander,
z. B. Staphylokokkus aureus neben albus oder citreus, Staphylokokken
neben Streptokokken. Bei eitrigen Prozessen, die mehr oder weniger
zu dem Verdauungskanal in Beziehung stehen, tritt zu den Staphylo-,
Strepto- oder Pneumokokken häufig der B. coli. Seltener kombiniert
sich mit den gewöhnlichen pyogenen Mikroorganismen der B. Proteus
(Brunner, M. 95. 5). Auch die übrigen Infektionserreger werden häufig
von Eiterbakterien begleitet, so der Milzbrandbacillus bei dem malignen
Karbunkel des Menschen, der Tuberkelbacillus in den sog. Leichen-
tuberkeln, der Aktinomyces in den multiplen Eiterherden des Menschen.
Tetanus, malignes Odem und Rauschbrand sind wohl kaum jemals
reine, sondern stets gemischte Infektionen, bei denen die nicht spezifischen
Bakterien häufig an Zahl überwiegen. Der Diphtheriebacillus ist so
gut wie immer begleitet von anderen Mikroorganismen (Staphylo-,
Strepto-, Pneumokokken), aber freilich in sehr variablem Grade. Die
Dysenterie ist nach Kruse undPASQUALE (Z. 16) wahrscheinlich ein Pro-
zess, der durch kombinierte Wirkung von Amöben und Bakterien entsteht.
Nach Nägeli's2) von Buchner (Viertelj. f. Gesundh. 25) neuerdings für die
Cholera wieder aufgenommenen Hypothese („diblastische Theorie") wären
die sog. miasmatisch -kontagiösen Krankheiten (z. B. Cholera, Typhus)
Mischinfektionen von je zwei Mikroorganismen, von denen der eine aus
dem Boden stammen, der andere übertragen werden soll. Direkte Be-
weise dafür sind aber nicht erbracht und viele Thatsachen sprechen
dagegen. Dasselbe dürfte von der Anschauung Blachstein's undZuMFTS
(A. Pet. 2; r: R. 93. 909) und Metschnikoee's (P. 94, vgl. auch Fermi
u. Salto, A. J. 96. 1), die eine gemeinsame Wirkung des Cholerabacillus
namentlich mit Darmbakterien aus der Gruppe des B. coli annehmen,
gelten. Man hat zwar keine Veranlassung, für alle Fälle die Mitwirkung
derartiger Mikroorganismen auszuschliessen, aber in jedem Falle nötig
ist sie nicht.
Die Mischinfektionen erklären sich dadurch, dass teils der In-
fektionsstoff schon die betreffenden Komponenten enthält, teils an der
1) Vgl. die Litteratur bei Bruns, Beiträge z. klin. Chirurgie. III. 1888.
2) Nägeli, Die niederen Pilze in ihrer Beziehung zu den Infektionskrank-
heiten u. s. w. München 1877. S. 70.
312 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Eintrittspforte der Infektion zu den spezifischen Erregern sich ander-
weit verbreitete pathogene Bakterien zugesellen (Diphtherie, Dysenterie).
Die verschiedenen Kombinationen haben eine sehr verschiedene Be-
deutung. In vielen Fällen ist das Resultat, wie bei der Sekundär-
infektion in der Regel, ein ungünstiges. Die anaeroben Krankheits-
erreger scheinen geradezu der Beimischung anderer Bakterien zu
bedürfen, um zur Wirkung zu kommen (s. unten). Andere Male dürften
die die Hauptinfektion begleitenden Mikroorganismen, z. B. die Eiter-
bakterien im Milzbrandkarbunkel, einen abschwächenden Einfluss auf
die Schwere der Krankheit ausüben (s. unten). Für die Diphtherie
glauben Baebiee (A. E. 91) und Maetin (P. 92. 5) eine verschiedene
Prognose stellen zu dürfen, je nach der Bakterienassociation, die sich
aus der Untersuchung ergiebt.
Diese Verhältnisse werden einigermassen verständlich durch die Er-
gebnisse der experimentellen Forschungen über Mischinfektion. Der Anta-
gonismus von Bakterien differenter Spezies ist am frühesten in Kulturen
klar zu Tage getreten, wenn auch klinische Erfahrungen (s. oben S. 310)
schon länger daraufhin gedeutet hatten. Das Überwuchern von patho-
genen Bakterien durch Saprophyten ist in künstlichen Kulturen leicht
zu beobachten. Darauf beruht ja die Schwierigkeit der Herstellung von
Reinkulturen in flüssigen Nährböden. Cantani wurde dadurch auf
seine Idee der Bakteriotherapie gebracht (C. W. 85. 29). Er glaubte
durch Inhalationen von Fäulnisbakterien (B. termo) die Lungen-
tuberkulose bekämpfen zu können.1)
Eine Reihe von Autoren suchte zunächst durch Kulturexperimente der
Frage nach dem Bakterienantagonismus näher zu treten, doch ohne
konstante und unzweifelhafte Resultate zu erzielen. Vor allem ist aber
dagegen einzuwenden, dass die Versuche im Reagensglase, die noch dazu
je nach derZusammensetzungdesNährbodensverschieden ausfallen, keinen
Schluss auf die Vorgänge, wie sie sich im lebenden Körper abspielen,
zulassen, da in den Kulturen Stoffwechselprodukte, die im Organismus
sofort resorbiert und unschädlich gemacht werden müssen, z. B. Säuren
und Alkalien, die intensivste Wirkung entfalten.2) Die Entscheidung
1) Über die Geschichte dieser Methode vgl. Cimmino, Gaz. hebdoni. des
scienc. media 86. 427.
2) Vgl. Garre, Korresp. f. Schweizer Ärzte 87; Zagari, G. J. 87; Freuden-
reich, P. 88. 4; Soyka u. Bandler, F. 88. 20; Sirotinin, Z. 4. 262; Freuden-
reich, J. 89. 530; Dohle, J. 89. 532; Lewek, Zi. 6; Kitasato, Z. 6; Charrln u.
Guignard, C. R. 108; Babes, D. 89; Blagovistschensky , P. 90. 1; Olitzky,
J. 92. 473; Nencki, C. 11. 8; Gabritschewsky u. Maljutin, C. 13. 780; Kemp-
ner, C. 17. 1. Vgl. auch unter E „Vitale Concurrenz der Mikroorganismen" im
1. Kap. 2. Absch. dies. Bdes.
Kruse, Krankheitserregung. 3 13
kann nur gebracht werden durch Versuche am Lebenden, die denn auch
interessante Resultate zu Tage gefördert haben.
Wyssokowitsch scheint zuerst in nicht veröffentlichten Unter-
suchungen (vgl. Z. 1. 485) beobachtet zu haben, dass die Virulenz
von Bakterien, die allein nicht imstande sind, sich im Körper der Ver-
suchstiere zu vermehren, durch gleichzeitige Einverleibung der toxischen
Produkte anderer Bakterien (z. B. B. coli) gesteigert werden kann.
Monti1) hat dann für abgeschwächte Kulturen des Pneuino-, Strepto-
und Staphylokokkus einerseits und sterilisierte Proteuskulturen anderer-
seits dasselbe bewiesen. Nach Roncali (A. J. 93) gewinnen abgeschwächte
Bakterien (Milzbrand, Typhus, Cholera, Staphylokokken, Kaninchen-
septikämie u. s. w.), wenn sie auf tetanus gifthaltigen Nährböden ge-
züchtet werden, ihre Virulenz zurück und steigern sie noch über das
ursprüngliche Mass. Durch Kombination von unwirksamen Eiterbakterien
mit lebenden Kulturen anderer Eiterungserreger oder Saprophyten, wie
Bac. prodigiosus, cyanogenus, proteus, subtilis und coli communis, wird den
ersteren nach Geawitz (V. 108), Fessler (r: C. 13. 197) und Tkombetha
(C. 12. 4/5) ihr pyogenes Vermögen zurückgegeben. Die Virulenz von
Pneumokokken wird durch gemeinsame Verimpfung mit Milzbrand-
bacillen (Pake, Ri. 94. 238 und Mühlmann, C. 15. 23) oder Staphylo-
kokken (Mosnt, S. 95. 1) wiederhergestellt, und das gleiche gilt für abge-
schwächte Diphtheriebacillen und Streptokokken nach Roux u. Yersin (P.
88; vgl. auch Bonhoee, R. 96. 3). Die Entwicklung der Tuberkulose kann
durch gleichzeitige Verimpfung von Eiterbakterien nach Baum garten (C.
M. 84. 2) und Pawlowsky (P. 89. 10) sehr beschleunigt werden. Auch bei
Typhus und Cholera soll die Kombination mit Streptokokken (Vincent,
r: C. 92. 2/3), Kolonbacillen (Sanarelli, P. 94. 4/6; Blachstein u. Zumet,
A. Pet. 2; Agrö, A. J. 95. 1), Proteus (Lew u. Thomas, A. P. 35)
und anderen Bakterien (Metschnikoef , P. 94. 8) die Virulenz steigern.
Besonders interessant sind die Mischinfektionsversuche mit Anaerobien.
Nach Untersuchungen von Vaillard, die im wesentlichen auch von
Klipstein (P. 91. 1; 92. 6; 93. 11 und R. 93. 1) bestätigt worden sind,
besitzen die Tetanusbacillen oder -Sporen nicht die Fähigkeit, im Zu-
stande der Reinkultur im Körper der Versuchstiere sich zu vermehren
und Gift zu produzieren, wohl dagegen, wenn sie mit Bakterien anderer
Art gemischt sind — und das ist ja bei den natürlichen Infektionen
durch Splitter, erdige Partikelchen u. s. w. stets der Fall. Auch beim
malignen Odem und Rauschbrand wird die Infektion im weniger em-
pfänglichen Tier, oder wenn das Virus abgeschwächt ist, durch Bei-
mischungen anderer Mikroorganismen (Prodigiosus, Staphylokokken,
1) Atti della R. Accademia dei Lincei. Yol V, Fase. 7. 1889.
314 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Fäulnisbakterien) oder ihrer Produkte entschieden begünstigt (Rogee,
S. B. S9; Penzo, C. 10. 25; Besson, P. 95. 3; vgl. auch Kedrowski,
Z. 20. 3). Nach Sanfelice (Z. 14. 386) erlangen die nicht virulenten
Pseudoödem- undPseudorauschbrandbacillen in tetanusgifthaltigen Nähr-
böden die Virulenz des echten Odems und Rauschbrands. Toxische
Bakterien (Fluorescens, Prodigiosus, Cyanogenus u. s. w.) sollen durch
Kultur in tetanustoxinhaltigen Nährböden nach Roncali (A. J. 93) die
Fähigkeit, stärkere Gifte zu bilden, erlangen.
Wenn durch die berichteten Thatsachen Beispiele für die schäd-
lichen "Wirkungen von Bakterienassociationen beigebracht
Averden, so beleuchten die folgenden Beobachtungen die günstige,
geradezu kurative Bedeutung mancher Mischinfektionen.
Nachdem schon früher Pastetjr (C. R. 95. 107) bemerkt hatte,
dass man durch abgeschwächte Kulturen von Hühnercholera gegen
Milzbrand immunisieren könne (vgl. Arloing, L. 296), machte Emme-
rich *) zufällig die Beobachtung, dass man Meerschweinchen, welche
mit Erysipelkokkenkulturen infiziert worden waren, pathogene Bakterien
verschiedener Art injizieren kann, ohne dass die Tiere zu Grunde gehen.
Systematische Versuche ergaben dann, dass die Vorbehandlung mit
Erysipelkulturen gegen die nachträgliche Infektion mit Milzbrand
schützt. Subkutane Streptokokkeneinspritzung bei einmal ausgebrochener
Milzbrandinfektion ist wirkungslos, während die intravenöse Einverleibung
in vielen Fällen zur Heilung führt. Zagari konnte die Emmerich-
schen Resultate nur unvollkommen bestätigen, vielleicht weil sein
Milzbrand zu virulent oder seine Erysipelkulturen zu schwach waren
(G. J. 87). Dagegen gelang es Pawlowsky. (V. 108) eine heilende
Wirkung gegenüber dem Milzbrand nicht nur für Erysipelkokken,
sondern besonders für FRiEDLÄNDER'sche Bacillen, Prodigiosus und
Staphylokokken2) festzustellen, allerdings nur bei subkutaner Infektion und
lokaler Behandlung. Die intravenöse Injektion wies nur beim Fried-
LÄNDERschen Bacillus einige Erfolge auf. Den genaunten Bakterien
schliesst sich in seinem Effekt der Bac. pyocyaneus an, durch dessen
lebende Kulturen Bouchard (CR, 108) die Milzbrandinfektion mit Erfolg
bekämpfen konnte, während Woodhead und Wood (C. R. 109) mit
sterilisierten Kulturen Impfschutz und Heilung erzielten (vgl. auch
Blagovestschensky, P. 90. 11). Buchner (B. 90. 10) bewies, dass
man auch mit sterilisierten Kulturen des FRiEDLÄNDERschen Bacillus,
1) Emmerich, Tagebl. der 59. Naturforscherversammlung zu Berlin 86. S. 145,
sowie Emmerich u. di Mattei, F. 87. 20.
2) Vgl. auch Beco (r: C. 18. 20/21) über die gegenseitige Beeinflussung von
Milzbrandbacillen und Staphylokokken.
Kruse, Krankheitserregung. 3 15
und zwar sowohl durch Verimpfung an dem Orte der Infektion, als
auch an beliebiger anderer Körperstelle bei Kaninchen und Meer-
schweinchen die Entwicklung des Milzbrands hemmen oder ganz
aufhalten kann (vgl. auch v. Düngern, Z. 18. 1). In gewissem
Grade soll sich auch durch Fäulnistoxine (Kostjuein u. Keainsky,
C. 10. 17) Heilung von Milzbrand, durch Typhus (Pavone: G. J. 87)
und Cholera (Gabeitschewsky u. Maljutin, C. 13. 780) Impfschutz
dagegen erhalten lassen. Pane spricht sogar von einer gegen-
seitigen Immunisierung zwischen Milzbrand- und Pneumoniebak-
terien (B. 94. 19), während Mühlmann eine solche entschieden
leugnet (C. 15. 23). Nach Htjeppe u. Wood (B. 89. 16) gelingt die
Immunisierung gegen Milzbrand durch einen nicht virulenten, dem
Milzbrandbacillus ausserordentlich ähnlichen Sapröphyten. Den Schluss
dieser bakteriotherapeutischen Bestrebungen machte schliesslich Emme-
eich durch seine Mitteilung (M. 94. 28) über die Heilwirkung des Blut-
serums von Tieren, die gegen Streptokokken immunisiert waren, bei
der genannten Infektion.
Die Erysipelkokken wurden auch gegen andere Bakterien ins Feld
geführt, so z. B. gegen die Tuberkulose der Meerschweinchen (Solles,
r: J. 89. 272), entsprechend den klinischen Erfahrungen über die günstige
Beeinflussung menschlicher Tuberkulose durch Erysipel. Auf der
gleichen Basis beruhten auch die nicht selten mit mehr oder weniger
Glück ausgeführten Versuche, durch Verimpfung von Erysipelkulturen
(s. oben die Litt, bei Beuns), ihren Toxinen (Speonck, P. 92; Coley,
r: C. 16.23; Johnson, r: C. W.95.4; Feiedeich, B. 95. 49; Czeent,M.95.
36) und schliesslich von Erysipelserum (Emmeeich, D. 95. 43; «Scholl,
D. 95. 46) maligne Tumoren zum Schwinden zu bringen.
Auch die Behandlung mit Bac pyocyaneus resp. seinen Produkten
hat man auf Grund der BouCHAED'schen Experimente bei menschlichen
Infektionen versucht, und zwar mehrfach bei Typhus (Rumpe, D. 93. 41
u. C. W. 95; Keaus, W. 94. 26; Peessee, Z. Heil. 1 6). Ein Urteil über den
Erfolg dieser Methode wäre bei der geringen Zahl der Fälle noch verfrüht.
Schon oben wurden mehrere Beispiele für die Möglichkeit der Ver-
leihung eines präventiven Impfschutzes gegen Milzbrand durch
andere Bakterien (Erysipel, Pyocyaneus) genannt. Nach Bonome (F.
91. 18) soll ferner Impfung mit Kaninchenseptikämie gegen Pneumo-
kokkeninfektion, nach Peeeoncito (C. 11. 431) sogar Milzbrandimpfung
gegen Tuberkulose schützen. In ähnlicher Richtung bewegen sich die
Experimente Gamaleia's (P. 88), E. Klein's (C. 13. 426) und Sobeen-
heim's (R. 93. 22), die durch Injektion von anderen pathogenen Bakterien
oder Sapröphyten Versuchstiere vor dem Tode durch nachfolgende
Infektion mit Cholerakulturen retten konnten. An der Thatsache selbst
316 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ist nicht zu zweifeln, von der Immunisierung in spezifischem Sinne,
wie sie durch die eigenen Produkte des Infektionserregers erzeugt
wird, unterscheidet sich aber dieser Impfschutz durch seine geringe
Dauerhaftigkeit. Diese Thatsache wird schon von Di Mattei (Accad.
medic. Torino 88) berichtet, der die Schutzdauer der Impfung mit
Erysipel nur auf 3—10 Tage schätzte (vgl. R. Pfeiffer u. Issaeff, Z.
17. 3 und unter K und L).
Die Erklärung für die bisher aufgeführten günstigen und un-
günstigen Effekte der Bakterienassociation ist nicht leicht zu
geben, da ein und derselbe Mikroorganismus die eine Infektion er-
leichtern, die andere hemmen kann. Noch undurchsichtiger werden
diese Verhältnisse, wenn man die folgenden, neuerdings gemachten Be-
obachtungen berücksichtigt. Für den Rauschbrand hatte Roger (s. o.)
gefunden, dass das von Natur dafür wenig empfängliche Kaninchen
daran zu Grunde geht, wenn man den Bac. prodigiosus mit dem Virus
kombiniert. Dunschmann wies umgekehrt nach (P. 94. 6), dass die
empfänglichen Meerschweinchen durch Behandlung mit Prodigiosus vor
dem Tode durch Rauschbrand geschützt werden. Noch mehr! Charrin
(S. 95. 27) will Kaninchen — wie Pawlowskt — durch Prodigiosus
vor dem Milzbrandtode bewahrt, bei Meerschweinchen aber dieselbe
Iüfektion durch ebendenselben Prodigiosus beschleunigt haben!
Die Lösung der sich hier uns bietenden Rätsel muss auf chemi-
schem Wege versucht werden; denn dass die Produkte der Bakterien
die bei der Mischinfektion wirksamen Potenzen darstellen, folgt aus
der vielfach konstatierten Thatsache, dass die lebenden Bakterien ohne
Änderung des Erfolges durch sterilisierte Kulturen ersetzt werden
können. Von massgebender Bedeutung ist der Virulenzgrad der zu
beeinflussenden Bakterien dem Wirtsorganismus gegenüber und das
Mengenverhältnis der mit einander kombinierten Kulturen (vgl. u. P).
G. Eintrittspforten der Infektion.
Zum Begriff der Infektion gehört die Aufnahme der Infektions-
erreger in das Gewebe der Körpers, und sei es auch nur in die obersten
Schichten des Epithels. Die blosse Berührung des virulenten Keims
mit dem Körper ist noch keine Infektion, und selbst die Vermehrung
von Keimen auf inneren Oberflächen darf nicht als solche bezeichnet
werden, denn sonst müssten wir den Darm, in dessen Inhalt sicher eine
Bakterienvermehrung stattfindet, als einen Infektionsherd anerkennen.
Die Möglichkeiten für das Zustandekommen einer Infektion sind
verschiedene, je nach der Stelle, die dieselbe vermitteln soll, und nach
Kruse, Krankheitserregung. 317
den Eigenschaften des Infektionserregers. Ausserdem ist der Verlauf
der Erkrankung je nach der Eintrittspforte des Virus ein wechselnder.
Die äussere Haut bildet bei Mensch und Tier eine Schranke für den
Eintritt von Mikroorganismen in das Gewebe des Körpers, eine Schranke,
die freilich unter Umständen überschritten werden kann. Garre (F. 85. 6)
lind später Schimmelbusch (Arch. f. Ohrenheilk. 88) konnten durch Ein-
reibung von Staphylokokkenmassen in ihre eigene gesunde Haut typische
Furunkel und Karbunkel, Bockhart (M. D. 87) durch entsprechende
Applikation von verdünnteren Staphylokokkenaufschwemmungen Impe-
tigopusteln und Furunkel hervorrufen. Die Bakterien drangen dabei,
wie die histologische Untersuchung lehrte, in die Ausführungsgänge
der Talgdrüsen, Haarbälge und Schweissdrüsen und von da auch in
die sub epithelialen Schichten, erzeugten daselbst durch ihre Vermehrung
die genannten entzündlichen und entzündlich-nekrotischen Prozesse.
Auf ähnliche Weise, also ohne Verletzung der Haut, lassen sich auch
allgemeine Infektionen mit Milzbrand, Mäuseseptikämie, Rotz und den
Bacillen der RiBBERT'schen Darmdiphtherie bewerkstelligen (Roth, Z. 4;
Machnoff, C. 7. 441; Cornil, S. 90. 22; Wasmuth, C. 12. 23/24;
Kondorski, r: C. 12. 21). Die Einverleibung wird begünstigt, wenn
die Kulturen mit einer Salbengrundlage gemischt eingerieben werden.
Die Eintrittspforten sind dieselben wie oben, nur sind die letztgenannten
Bakterien zu fortschreitender Invasion besser geeignet. Auch die Milch-
gänge können als Eintrittspforte für infektiöse Bakterien (Staphylo-
kokken) dienen. Es müssen aber wohl besondere Bedingungen dafür
vorliegen, denn im allgemeinen besitzt die Milch eine bakterienfeind-
liche Wirkung (Fokker, Z. 9; v. Freudenreich, Ann. de miorogr. 91;
vgl. ausserdem M u. N.) £
Viel günstiger werden die Infektionsbedingungen natürlich, wenn
die Haut in ihrer Kontinuität verletzt, wenn eine Wunde gesetzt wird.
Endermatische Impfungen mit Septikämiebakterien, d. h. Einbringen
derselben in Wunden, die nur die Haut ritzen, sie nicht durchtrennen,
führen bei empfänglichen Tieren ausnahmslos den Tod der Tiere her-
bei. Auch mit dem Tuberkelbacillus lässt sich ein ähnliches Resultat
erreichen (Cozzolino, A. J. 95. 1). Für die gewöhnlichen Eiterungs-
und Entzündungserreger ist das gleiche aus der ärztlichen Erfahrung
und den Experimenten von Fehleisen, Bockhart u. A. bekannt. Gün-
stiger noch sind die Versuchsbedingungen bei subkutanen oder in die
Muskeln hineinreichenden Wunden, da die locker unter dem Corium
liegenden Gewebe die Resorption befördern. Ein wichtiger Unterschied
besteht darin, ob die Wunde klafft, ob also der Sauerstoff der Luft
die ganze Wundfläche bestreicht oder nicht. In ersterem Falle können
anaerobe Affektionen, wie Tetanus, malignes Ödem und Rausch-
318 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
brand nicht zur Entwicklung kommen; aber auch für gewöhnliche
Eiterbakterien scheint der Abschluss der Luft befördernd zu wirken.
Die Bakterienflora, die sich auf natürlichen Wunden findet, ist im
ganzen eine recht beschränkte. Es liegt das sicher nicht blos in den
Infektionsgelegenheiten, sondern teilweise auch in der spezifischen Be-
schaffenheit der Mikroorganismen, von denen eben einige, wie z. B.
Gonokokken, Pneumoniekokken, Infiuenzabacillen, so gut wie gar nicht
auf Wunden gedeihen. Dass aber alle Bakterien, selbst Saprophyten
durch frische Wunden, auf die sie gelangen, resorbiert werden, hat neuer-
dings Schimmelbusch (F. 95. 1/2 u. 7/9) gezeigt. Die Aufnahme er-
folgt sogar ausserordentlich rasch, besonders von Muskelwunden aus,
z. B. lassen sich die Keime manchmal schon eine halbe Stunde nach-
her in den inneren Organen durch die Kultur nachweisen. In einem
Experimente war sogar eine am Schwanz mit Milzbrand infizierte Maus
durch die nach 10 Minuten vorgenommene Amputation desselben nicht
mehr zu retten. Schon von Rodet1) u. A. sind am Kaninchenohr
ähnliche Thatsachen konstatiert worden. Die Schnelligkeit dieses Vor-
gangs spricht dafür, dass die Blutgefässe haupsächlich daran be-
teiligt sind.
Auf alten, eiternden Wunden vollzieht sich dagegen die Re-
sorption von Bakterien sehr viel unvollkommener. Sestini (Ri. 90.
172/173) hat experimentell auf diesem Wege weder eine Infektion mit
Milzbrand, noch mit Hühnercholera erreichen können. Auch von ge-
schlossenen-Abscessen aus, in die er Milzbrandbacillen injizierte, hat
Bergonzini (r: J. 92. 556) keine Allgemeininfektion erzielt.
Die Schleimhäute sind leichter verletzlich, sie resorbieren ge-
löste und suspendierte Stoffe leichter als die Haut, doch setzen auch
sie im allgemeinen der Resorption einen gewissen Widerstand entgegen.
Lösungen kommen für uns hier nur in Betracht, soweit sie Bak-
teriengifte betreffen. Gerade diesen gegenüber erweisen sich die un-
verletzten Schleimhäute verhältnismässig wenig zugänglich, wohl aus
rein mechanischen Gründen, d. h. weil sie sich gegen schwer diffusible
Substanzen wie osmotische Membranen verhalten. Bestehen aber Epithel-
defekte, so findet die Aufsaugung ungehindert statt. Es sind solche
Epithelverluste besonders bedenklich im Darm, in dessen Inhalt sich
unter normalen und pathologischen Verhältnissen durch Bakterien-
wirkung regelmässig toxische Produkte bilden. Die Cholera in ihren
verschiedenen Formen ist z. B. ein Prozess, der durch die auf solche
Weise entstehende Giftresorption gefährlich wird (vgl. unter N).
1) Vgl. Frank u. Lubaksch, Z. 11. 275.
Kktjse, Krankheitserregung. 3^9
Die Aufnahme der Bakterien selbst durch die Schleimhaut lässt sich
am bequemsten an der Konjunktiva studieren. Braunschweig (F. 89.
24) hat dabei das bemerkenswerte Resultat gefunden, dass durch diese
Membran, so lange sie unverletzt ist, keine Infektion mit Milzbrand,
Mäuseseptikämie, Hühnercholera, Tetragenus, Staphylokokkus pyogenes
möglich ist, während der Bacillus der Darmdiphtherie des Kaninchens
nach ihm, Ribbert (D. 87. 8) und Roth (Z. 4) konstant auf der Kon-
junktiva eine örtliche und später eine allgemeine Erkrankung erzeugt.
Ebenfalls pathogen für die intakte Bindehaut ist bekanntlich der Er-
reger der Gonorrhoe. Durchlässig ist die Konjunktiva nach Galtier
(S. B. 90) für das Virus der Hundswut.1)
Durch Verletzung der Konjunktiva wird selbstverständlich auch
den übrigen Infektionen ein Weg gebahnt. Nur die Kornea erweist
sich wegen der Starrheit ihres Gewebes und ihrer Gefässlosigkeit nach
zahlreichen Versuchen (vergl. G. Frank, C. 4. 23/24) refraktär gegen die
Mikroorganismen der Septikämien und metastatischen Erkrankungen,
die höchstens eine örtliche Affektion darin zu erregen imstande sind.
Freilich gelingt es nach Straes (r: J. 92. 119) bei Einimpfung reich-
lichen Materials manchmal, Milzbrandbacillen in der Kornea des Kanin-
chens zum reichlichen, allerdings stets sehr langsamen Wachstum und
schliesslich zur Ausbreitung in die Umgebung und zum Übergang in
den Kreislauf zu bringen. Und Löeeler (M. G. 1. 172) hat für die
Bacillen der Mäuseseptikämie bei Kaninchen den gleichen Befund er-
hoben.
Die Nasenschleimhaut ähnelt bezüglich ihrer Resorptions-
verhältnisse der Konjunktiva, die experimentelle Infektion glückt nach
Ribbert und Roth (a.a.O.) nur mit dem Bacillus der Darm diphtherie des
Kaninchens. Man fragt sich, worin diese Widerstandsfähigkeit der
Schleimhaut begründet ist. Es wäre doch anzunehmen, dass Bakterien,
die zufällig auf die Oberfläche und in das Sekret derselben gelangen, oder
absichtlich hineingebracht werden, darin zum Wachstum kommen,
dann durch ihre Stoffwechselprodukte die Schleimhaut selbst schädi-
gen und schliesslich in sie eindringen könnten. Der Versuch und die
ärztliche Erfahrung lehren, dass nur wenige Mikroorganismen dazu im-
stande sind. Nach Wurtz und Lermoyez ist die bakterienfeind-
liche Eigenschaft des Schleims daran schuld (S. 93. 44). Selbst
Milzbrandsporen sollen im menschlichen Nasensekret binnen drei Stun-
1) Die obigen Resultate wurden von Conte (r. J. 93. 609) nicht sämtlich
bestätigt. Bei Hühnercholera gelang die Infektion schon nach einer Berührung
der Schleimhaut mit dem Infektionsstoff, die eine Minute dauerte, hei Rotz nach
einer solchen von V2 — 6 Stunden, bei Hundswut nach 4 — 10 Stunden.
320 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
den absterben. Es liegt nahe, den Ausscheidungen der übrigen Schleim-
häute ähnliche Fähigkeiten zuzuschreiben. In der That ist das für die
schleimigen Absonderungen der weiblichen Genitalorgane (s. unten)
bestätigt worden. Weitere Untersuchungen wären recht wünschens-
wert. Auch die Mundschleimhaut ist durch den Speichel1) geschützt,
nach Sanarelli (C. 10. 25) sollen nur zwei Arten pathogener Bak-
terien darin fortkommen, nämlich die Diplokokken der Pneumonie
und Diphtheriebacillen. Es entspricht das einigermassen den Befunden,
die schon früher bezüglich der Bakterienflora des Mundes erhoben worden
sind (vgl. unter N). Die Schleimhaut des Mundes und Pharynx besitzt
ausserdem noch dadurch einen gewissen Schutz, dass sie mit sehr
resistentem Pflasterepithel versehen ist. So erklärt sich vielleicht die
Thatsache, dass selbst die sonst so invasionsfähigen Bakterien der
Darmdiphtherie des Kaninchens hier nicht zur Wirkung kommen.
Nur die Mandeln, deren Oberfläche bekanntlich tief zerklüftet und
durch starke Entwicklung lymphatischen Gewebes ausgezeichnet ist,
besitzen die Immunität der benachbarten Teile nicht, sondern scheinen
allen möglichen Infektionserregern den Eintritt zu gestatten. Durch
ihren Bau sind sie zur Retention von Infektionskeimen geeignet; die
reichlich stattfindende Auswanderung erzeugt eine Lockerung des Epi-
thels und bahnt möglicherweise den Bakterien direkte Wege; vielleicht
findet daneben noch eine Einwanderung von mit Fremdkörpern be-
ladenen Lymphkörperchen statt (vgl. Stöhe, V. 97). Sicherlich sind
die Mandeln Prädilektionsstellen für Infektionen, das be-
weisen zahllose klinische und auch experimentelle Erfahrungen
(vgl. Ribbert, D. 87.8; Strassmann, V. 96. 314; Baumgarten, L. 602/3).
Die Schleimhaut der Luftwege bis zu der Epithelialaus-
kleidung der Alveolen hinunter ist nach den vorliegenden Versuchen
nicht sehr geeignet, Infektionen zu vermitteln. Arnold's2) Unter-
suchungen haben allerdings bewiesen, dass kleinste korpuskulare Ele-
mente, die in die Luftwege eingeführt werden, durch den Lymphstrom
aufgenommen und in den Lymphdrüsen des Lungenhilus deponiert
werden. Die Möglichkeit, dass das gleiche auch mit Bakterien ge-
schieht, ist nicht auszuschliessen. Es kommen ja viele Fälle von intakten
Lungen vor, deren zugehörige Lymphdrüsen tuberkulös sind. Baum-
garten konstatierte den Übergang in die Lymphgefässe der Lunge
durch direkte Untersuchung nach Injektion reichlicher Mengen von
1) Nach Edinger, Ber. d. Freiburger Naturf. Gesellsch. 94, A. Müller, C.
17. 20, Martinotti, C. 19. 4/5 hätte man an einen Einfluss der Rhodanate, die
z. T. erhebliche antiseptische Fähigkeiten besitzen, zu denken.
2) Untersuchungen über Staubinhalation u. Staubmetastasen. Leipzig 1S85.
Kruse, Krankheitserregung. 321
Prodigiosus, Pilzsporen und Tuberkelbacillen (L. 407). Ein rein mecha-
nischer Übergang der Bakterien von der Lungenoberfläche ins Blut wird
dagegen ohne Erkrankungen der Lunge und der auf dem Wege liegen-
den lymphatischen Apparate ebensowenig erfolgen, als das nach Arnold
bei unbelebten kleinsten Körperchen der Fall ist. Im allgemeinen
verhalten sich freilich die Bakterien, namentlich die infektiösen, nicht
wie einfache Fremdkörper. Sie sind vor allen Dingen wachstumsfähig
und können, wenn die Bedingungen günstig sind, durch die Alveolen-
wand in die umgebenden Lymphräume, oder wenn sie durch einfache
Resorption schon dahin gelangen, von dort in die Blutkapillaren hinein-
wachsen.
In der That ist so die Infektion zu denken, die von Büchner
(A. 8), Muskatblüth (C. 1. 11), Enderlen (Z. T. 89), Hildebrandt
(Zi. 2), Banti (A. S. M. 88) bei Inhalation oder intratrachea-
ler Einspritzung von Milzbrand-, Hühnercholera-, Kaninchenseptikä-
mie- und Pneumoniebakterien und auch bei Lyssa (Galtier, S. B. 90)
beobachtet worden ist. Die Tuberkelbacillen sind ebenfalls befähigt,
im Lungengewebe zu wuchern und sich metastatisch weiter zu ver-
breiten. Allerdings ist — wenigstens bei den Septikämieerregern — meist
erst eine grosse Menge des Virus imstande, die Infektion zu erwirken. So
erklären sich teilweise die negativen Resultate, die Flügge (L. 607),
Hildebrandt (Zi. 2), Kruse undPANSiNi (Z. 11. 349) und Grammatschi-
koee (Tu. 1. 450) gehabt haben. Durch diese wird jedenfalls bewiesen,
dass das Lungengewebe dem Wachstum der Infektionskeime
einen gewissen Widerstand entgegenstellt. Leider ist durch diese
Experimente wenig gewonnen für das Verständnis der Ätiologie der
— ausser der Tuberkulose — beim Menschen hauptsächlich vorkom-
menden Lungenaffektionen, da dieselben im Tiere, von gewissen Formen
der Aspirationspneumonien abgesehen, nur höchst unvollkommen zu
reproduzieren sind (vgl. Kruse u.Pansini, Z. 11). Ob die anderen Pneu-
monien durch Inhalation oder durch kontinuierliches Wachstum den
Luftwegen entlang zustande kommen, wissen wir nicht. Die biologi-
schen Eigenschaften der Erreger (Pneumo-, Streptokokken, Influenza-
bacillen) sprechen mehr für letzteres, die plötzliche Entstehung nament-
lich der echten Lungenentzündung mehr für ersteres. Jedenfalls
sind die genannten Mikroorganismen zum oberflächlichen Wachstum
auf den Respirationsschleimhäuten, zur Erzeugung von Katarrhen ebenso
befähigt, wie zur Wucherung im Parenchym der Lunge. Bei Be-
sprechung der Disposition im folgenden Abschnitte (J) werden wir auf die
infektionsbegünstigenden Momente einzugehen haben. Hemmend soll
nach einigen Autoren eine Einrichtung wirken, die wir auf den Schleim-
häuten der Luftwege finden, nämlich die Flimmerbewegung ihrer
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 21
322 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Epithelien, durch die Fremdkörper aller Art, also auch Bakterien, am
Fortschreiten nach der Tiefe zu verhindert und unter günstigen Umständen
ganz nach aussen befördert werden könnten. Für wirklich infektiöse
Bakterien dürfte. dieser Schutz wohl unzureichend, für andere aber bei
ihrer geringen Masse und geringen Widerstandsfähigkeit überflüssig sein.
Im Magen-Darmkanal liegen die Dinge etwas günstiger für
Infektionen. Zwar ist der Magen selbst wohl hauptsächlich wegen der
Sekretion des Magensaftes äusserst wenig zu infektiösen Erkrankungen
disponiert (Steaus u. Wuetz, A. E. 89). In vielen Fällen wird
durch denselben eine Abtötung der eingeführten Keime bewirkt, stets
eine genügende Hemmung der Entwicklung. Die infektiösen Herde,
die man in seltenen Fällen, z. B. beim Milzbrand, in der Magenwand
findet, erklären sich wahrscheinlich durch Metastasen auf dem Blut-
wege. Die unzweifelhaft vorhandene desinfizierende Kraft des Magen-
saftes hat man lange überschätzt, bis namentlich die Erfahrungen
mit der Cholera eines Besseren belehrt haben: auch bei völlig ge-
sunder Funktion des Magens können Keime, die verhältnismässig wenig
widerstandsfähig sind, denselben lebend passieren, sei es wegen des
ungenügenden Verschlusses des Pylorus — besonders bei Aufnahme
von Flüssigkeiten — , sei es, weil die Zeit der Einwirkung nicht hin-
reicht, um alle Keime abzutöten. Sporen und resistentere Mikroorga-
nismen, wie Tuberkelbacillen, werden gar nicht geschädigt.
Sind die Infektionserreger erst in den Darm gelangt, so begegnen sie
weiter keinen schädigenden Einflüssen, abgesehen von der Konkurrenz
der Saprophyten, die praktisch wohl nur in wenigen Fällen in Betracht
kommt (bei der Cholera? vgl. Feemiu. Salto, A. J. 96. 1; Metschnikoff,
P. 94. 8). Wichtiger ist die starke Verdünnung der spezifischen Bakterien
durch die Nahrungsmassen und Verdauungsflüssigkeiten. Sie erklärt den
grossen Einfluss, der bei allen Experimenten sich bezüglich der Menge des
Virus ergebenhat (vgl. oben unter D. S. 298). Ist dieselbe genügend, so kann
man durch eine ganze Reihe von Mikroorganismen vom Darm aus Infektionen
erzielen, so beim Milzbrand, Schweinerotlauf, Hühnercholera und ver-
wandten Krankheiten, Tuberkulose, Cholera asiatica, Kaninchendiphtherie,
Mäusetyphus u. s. w. Es ist dazu nicht nötig, dass eine Darmverletzung
vorhergeht, wie Pasteue ursprünglich angenommen hatte, weil seine
Fütterungsversuche mit Milzbrand erst dann bessere Resultate gaben,
wenn er der Nahrung stacheliges Material beimengte (Koch, Gaffky,
Löfflee, M. G. 2). Auch bei den natürlichen Infektionen, die sich bis-
her auf künstlichem Wege nicht reproduzieren Hessen, bei Typhus,
Dysenterie, liegt kein Grund vor, eine andere Art der Entstehung
als bei den oben genannten Krankheiten anzunehmen. Wodurch ist
denn aber die grössere Disposition der Darmschleimhaut gegenüber
Kruse, Krankheitserregung. 323
derjenigen der Konjunktiva, der Nase u. s. w. begründet? Es liegt
das wahrscheinlich an dem grossen Reichtum der ersteren an Drüsen
und lymphatischen Apparaten. Gerade diese sind, wie die Tonsillen,
Prädilektionsstellen der Infektion. Der ganze Bau der Schleimhaut
ist ja übrigens schon normalerweise zur Resorption eingerichtet;
ebenso wie Fettkügelchen in feinster Verteilung in die Epithelien
eindringen, könnte man es sich vielleicht von den Bakterien vorstellen.
In der That wollen Nocaed und Kauemann neuerdings (S. 95. 8 u. 24)
während der Verdauung regelmässig einen solchen Durchtritt von Darm-
bakterien in den Chylus und ins Blut gefunden haben. Die älteren
Beobachtungen von Ribbeet, Bizzozebo, Maneeedi und Rtjfeer1), wo-
nach in den obersten Schichten der Darmwand gesunder Kaninchen durch
das Mikroskop Mikroorganismen nachzuweisen wären, würden sich in
ähnlicher Weise erklären. Selbstverständlich könnten immer nur diejenigen
unter den resorbierten Bakterien dem Körper gefährlich werden, die zur
parasitischen Existenz in demselben befähigt wären. Obwohl von früher
her (vgl. Flügge, L. 607) negative Befunde berichtet werden, verdiente
die Wichtigkeit der Frage nach der NocAEB-'schen Mitteilung eine er-
neute Bearbeitung.2) Einige pathologische Erfahrungen könnten schon
jetzt als Beweise für eine rein mechanische Resorption von Mikro-
organismen durch die Darmschleimhaut angeführt werden, so das Vor-
kommen einer Mesenterial drüsentuberkulose ohne begleitende Darm-
läsion (vgl. Dobeoklonski, A. E. 90). Die Entstehung mancher In-
fektionen, bei denen die Eintrittspforte nicht zu ermitteln ist, Hesse
sich vielleicht in derselben Weise deuten. Unter N bei Besprechung
der Selbstinfektion werden wir auf diese Frage zurückkommen (S. 382).
Die Harnröhre weist nur eine einzige infektiöse Erkrankung auf,
die gonorrhoische. Dass nicht auch andere Erreger oberflächlicher Ent-
zündungen diese Schleimhaut affizieren können, ist vielleicht durch die
besondere Beschaffenheit des dieselbe passierenden Sekretes zu be-
gründen. Der Gonokokkus seinerseits vermag sich nur noch — mit
Ausnahme sehr seltener Fälle (Rosinski, Z. Gy. 22. 1/2) auf zwei anderen
Schleimhäuten, die ebenfalls mit Cylinderepithel versehen sind, der Kon-
junktiva und in dem weiblichen Geschlechtskanal anzusiedeln. Die
1) Eibbert, D. 85. 13; Bizzozero, C. W. 85. 45; Manfredi, G. J. 86; Buffer,
Quarterly Journ. of nricroscop. Science. 1890 S. 481. Kulturversuche bewiesen, dass
die betreuenden Keime abgestorben waren.
2) Neue Versuche in JFlügge's Laboratorium haben ebenfalls wieder nega-
tive Resultate ergeben. Es folgt daraus zum mindesten, dass man die Ergebnisse
Nocard's mit grosser Vorsicht beurteilen soll. Wenn überhaupt eine Resorption
von Bakterien stattfindet, so werden sie natürlich zum allergrössten Teil in den
Lymphdrüsen des Mesenseriums zurückgehalten werden.
21*
324 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
mit Pflasterepithel ausgestatteten Strecken der letzteren (Scheide) pflegen
dabei nicht ergriffen zu werden.
Die Blasenschleimhaut ist Sitz von Prozessen, die durch eine
ganze Reihe von Bakterien hervorgerufen werden. Von der Tuber-
kulose abgesehen, handelt es sich wohl hier meistenteils um Selbst-
infektionen, oder wenigstens um solche äusseren Infektionen, die auf die
gleichen Erreger zurückzuführen sind wie jene (vgl. unter N). Die experi-
mentelle Erzeugung von Cystitiden gelingt mit seltenen Ausnahmen nur,
wenn man durch künstliche Harnstauung die Blase in einen abnormen
Zustand versetzt. Dieselbe bildet ja auch unter natürlichen Verhältnissen
ein sehr wesentliches Moment.1) "Wahrscheinlich liegt das in den Ver-
änderungen begründet, die der Harn bei der Stauung erleidet und die
seine normalerweise vorhandene antiseptische Kraft herabsetzen (vgl.
Richter, A. 12).
Der weibliche Geschlechtskanal, besonders die Schleimhaut
des Uterus ist, wenn wir die Gonorrhoe ganz bei Seite lassen, dadurch
besonders zu Infektionen disponiert, weil der physiologische Vorgang
der Geburt die Uterusinnenfläche in eine Art Wunde verwandelt, die
der Resorption von Krankheitserregern geringeren Widerstand entgegen-
setzt, als die intakte Schleimhaut. Daher kommt es denn wohl auch,
dass unsere Versuchstiere (Nagetiere), die bei dem Geburtsakt den
Epithelüberzug ihrer Uterusschleimhaut fast intakt erhalten, weniger
zu Infektionen neigen, als der Mensch. Nach Stratts u. Sanchez-
Toledo (P. 88. 8) haften bei Kaninchen, denen man frisch nach dem
Wurf verschiedene Bakterien intrauterin injiziert, nur die Bacillen
der Hühnercholera, nicht dagegen Milzbrand, Staphylokokken, malignes
Odem und Rauschbrand. Aber auch in den Geburtswegen des Menschen
sind gewisse Schutzeinrichtungen gegeben. Döderlein2) hat die saure
Beschaffenheit des Vaginalsekrets betont und auf die Vegetation eigen-
tümlicher nichtpathogener Scheidenbacillen zurückgeführt. Krönig
(D. 94. 43) und Menge (D. 94. 46—48) haben dann auch für die Fälle
von weniger saurem Sekret starke antibakterielle Eigenschaften in
demselben entdeckt, die nur unter gewissen Bedingungen, nämlich zur
Zeit der Menstruation, des Puerperiums u. s. w. geringer werden. Auch
dem Cervikalsekret wohnt ein ähnliches, wenigstens wachstumhemmendes
Vermögen inne (vgl. Walthard, C. 17. 9/10 und unter N).
Aus den mitgeteilten Thatsachen ist zweierlei zu entnehmen: erstens
1) Vgl. Rovsing , Über Blasenentzündung. Berlin, Hirschwald. 90 und
Schnitzler, Zur Ätiologie derCystitis. Wien, Braumüller. 92.
2) Döderlein, Über das Scheidensekret und seine Bedeutung für das
Puerperalfieber. Leipzig 92.
Kruse, Krankheitserregung. 325
dass die einzelnen Stellen der äusseren und inneren Oberfläche des
Körpers sich in sehr ungleicher Weise dazu eignen, Infektionen zu
vermitteln, so dass man von örtlichen Dispositionen des Orga-
nismus sprechen kann; zweitens existieren zwischen den einzelnen
Bakterien, was ihre Fähigkeit angeht, von einer Eintrittspforte aus
infektiös zu werden, spezifische Unterschiede.
Hat die Infektion einmal stattgefunden, so kann der Verlauf, die
Ausbreitung derselben je nach dem Orte der ersten Ansiedlung bei
einem und demselben Mikroorganismus sehr wechseln. Allerdings
macht es bei den virulentesten Bakterien, die Septikämie oder Meta-
stasen erzeugen, verhältnismässig wenig aus, ob die Infektion auf
intravenösem, intraperitonealem, subkutanem oder ender-
matischem Wege vor sich geht: der Tod erfolgtin jedem Falle durch
Verallgemeinerung des Erregers. Die Dauer der Krankheit wird
freilich stark beeinflusst, und zwar entspricht die obige Reihenfolge
dem Eintritt des Todes bei den genannten Applikationsweisen,
vorausgesetzt natürlich, dass mit gleichen Dosen gearbeitet wird.
Die Schwankungen der Zeitdauer betragen z. B. für die Pneumonie-
kokkeninfektion beim Kaninchen 1 — 5 Tage, für die Tuberkulose
des Meerschweinchens wenige Wochen bis mehrere Monate. Der
Grund liegt in erster Linie in der verschiedenen Schnelligkeit,
mit der die Krankheitserreger ins Blut resorbiert werden, denn
das letztere besorgt ja hauptsächlich die Verallgemeinerung der
Infektion. Die intraperitoneale Einverleibung steht deswegen der
Einspritzung ins Blut sehr nahe, weil vom Bauchfell aus durch
die Lymphgefässe besonders des Centrum tendineum die Aufsaugung
sehr rapide vor sich geht. Von der Subkutis und auch von oberfläch-
lichen Hautwunden werden, wie oben erwähnt, einzelne Keime zwar
auch sehr schnell — durch direkte Aufnahme in die Blutgefässe —
resorbiert, aber es trifft das eben nicht so viele wie im Peritoneum.
Die meisten gelangen vielmehr erst in die regionalen Lymphdrüsen
und müssen diese durchwachsen, ehe sie weiter kommen können.
Offenbar sind diese Organe also Schutzvorrichtungen, die freilich
bei höchster Virulenz des Infektionserregers das ungünstige Endresultat
nur hinausschieben, nicht verhüten können. Das ändert sich aber, wenn
das Virus abgeschwächt ist. Der Effekt ist dann, dass die subkutan
infizierten Tiere nur lokal erkranken, die intravenös infizierten aber an
Septikämie sterben. Kruse u. Pansini (Z. 11. 326) haben für den
Pneumoniekokkus folgende Stufenleiter der Virulenz aufgestellt, je
nach intraperitonealer oder subkutaner Einspritzung:
326 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Subkutane Injektion. Peritoneale Injektion.
Tod durch Septikämie in 1—5 Tagen. Septikämie mit regelmässig schnellerem
Tod in 5—15 Tagen oder Überstehen. Verlauf,
der Infektion mit Zurückbleiben lokaler Tod durch Septikämie binnen 5 Tagen,
Veränderungen. selten später durch Peritonitis.
Nur lokale Veränderungen dauernder Vorübergehende Erkrankung oder
Natur (Abscess, Ulceratioiv. Mangel jeder merkbaren Reaktion.
Lokale Veränderungen vorübergehender Mangel jeder merkbaren Reaktion.
Natur.
Für die intraperitoneale Einspritzung kann man ohne grossen
Fehler die intravenöse einsetzen; die endermatische ist noch unwirk-
samer als die hypoderinatische. In dieser Tabelle erscheint paradox,
dass zwar bei stärkerer Virulenz die peritoneale Infektion intensiver
ausfällt (Stufe 1 u. 2), bei schwächerer aber die subkutane (3 u. 4). Es ist
das aber ein Verhalten, das auch bei anderen Mikroorganismen wieder-
kehrt und das sich im wesentlichen aus den Resorptionsverhältnissen
erklärt. Sind die Bakterien so infektiös, dass sie in kleinsten Mengen
oder isoliert zu wachsen vermögen, dann können sie, ins Blut resorbiert,
Septikämie erzeugen, obwohl sie da über ein weites Gebiet zerstreut
werden. Sind sie dagegen nur noch imstande in grösseren Mengen
sich zu entwickeln, so bleibt ihre Vermehrung im Blute und auch auf
der grossen Fläche des Peritoneums aus, im subkutanen Herde tritt
aber ein Wachstum ein (vgl. Kruse u. Pansini, Z. 11. 338—349). So
finden wir denn regelmässig bei länger währender Erkrankung unter
der Haut einen Abscess, während das Peritoneum seltener erkrankt.
Und auch diese Ausnahme kommt häufiger vor durch Fortpflanzung
der subkutanen Eiterung auf das Bauchfell, als bei intraperitonealer
Infektion (a. a. 0. S. 342 u. 346). Hierdurch wird bewiesen, dass zwar
eine unleugbare Disposition des Bauchfells zur eitrigen Ent-
zündung durch Pneumokokken besteht, dass aber bei intakter Be-
schaffenheit desselben die Bakterien im allgemeinen, ohne Schaden
anzurichten, daraus resorbiert werden. Im Abschnitt J werden
die Einflüsse, die die Entstehung der Peritonitis begünstigen, weiter
zu besprechen sein. Auf die meisten Bakterien, die überhaupt imstande
sind, Septikämie zu erregen oder Metastasen zu erzeugen, scheint je
nach dem Orte der Infektion und dem Grade ihrer Virulenz das obige
Schema zu passen. Manche Mikroorganismen finden allerdings unter
allen Umständen im Blute günstigere Wachstumsbedingungen, als im
Unterhautgewebe. So veranlassen die Eiterstaphylokokken beim
Kaninchen auch in Mengen, in denen sie subkutan unwirksam sind,
im Gefässsystem multiple Abscesse. Noch enger gebunden an das
Leben im Blut scheinen die Spirillen des Rückfallfiebers zu sein, die
überhaupt noch an keinem anderen Orte gefunden worden sind.
Kruse, Krankheitserregung. 327
Umgekehrt giebt es freilich auch Bakterien, die ins Blutgefäss-
system gebracht gänzlich unwirksam sind. Dahin gehören wegen ihrer
anaeroben Lebensweise die Tetanus-, Odem- und Rauschbrandbacillen.
Andere Mikroorganismen, wie die Choleraspirillen, sind zwar unter
natürlichen Verhältnissen, d. h. beim Menschen, unfähig im Blute zu
leben, können aber doch bei Injektion grosser Mengen im Körper der
Versuchstiere dazu gebracht werden. Interessant ist es nun, dass Dosen,
die in die Venen von Kaninchen eingeführt, noch keine Vermehrung
der Spirillen gestatten, diese Tiere nachträglich unter dem Bilde der
Cholera mit ausschliesslichem und reichlichem Vibrionenbefund im Darm
töten (Issaeee u. Kolle, Z. 18. 1), ein Beweis für die Anpassung der
Cholerakeime an das Leben im Darm, wie er besser nicht geführt
werden kann. Die Typhusbacillen sind hingegen viel bessere Blut-
parasiten und können unter Umständen sich im Gefässsystem nach Art
echter Septikämiebakterien vermehren (s. Flexner, r: R. 95. 12).
Andere Prädilektionsstellen der Infektion sind: die vordere
Augenkammer1) für septikämische sowohl wie metastasierende
Bakterien, für Lyssa und besonders für Rauschbrand, denn der letztere
ist nach Roger (S. B. 89) von dieser Stelle aus für Kaninchen viel
virulenter, als von der Subcutis oder dem Muskelgewebe aus; ferner das
centrale Nervensystem für Rotzbacillen (Tedeschi, C. 12. 127),
Milzbrand (Martinotti u. Tedeschi, C. 10. 17) und Lyssa, die peri-
pheren Nerven wieder für Hunds wut, während andere Aplikations-
weisen, auch die Injektion ins Blut, für diese letztere Infektion (s. Bd. II)
wenig günstig sind.
Bei verschiedenen Tieren braucht die relative Empfänglichkeit
der einzelnen Körperstellen für die Infektion durchaus nicht gleich
zu sein, z. B. stellt Hermann (P. 91. 4) folgende Skala der lokalen Disposi-
tion für Staphylokken auf: vordere Augenkammer, Cirkulationsapparat
des Kaninchens, subkutanes Gewebe des Hundes, Pleura, Meningen, Sub-
cutis und Peritoneum des Kaninchens. Gegen Milzbrand sind bei sub-
kutaner Infektion Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen sehr empfäng-
lich, Rinder viel weniger; bei Einführung in den Darm verhält sich
das gerade umgekehrt. Auf ähnlichen Differenzen beruht, wie es scheint,
das verschiedene Verhalten des Menschen und der Tiere gegen Cholera
und Typhus (vgl. Fermi u. Salto, A. J. 96. 1).
Sehr interessante, aber leider noch so gut wie völlig dunkle Ver-
hältnisse bietet uns die Verteilung der Metastasen auf die einzelnen
1) Vielleicht kommt als Ursache dafür in Betracht, dass der Humor aqueus
im Gegensatz zu andern tierischen Säften kaum ein baktericides Vermögen be-
sitzt, dass solche auch nicht darin bei Immunisierungen auftreten, ebensowenig
wie andere schützende Stoffe (Metschnikoff, J. P. 92; vgl. Abschn. P).
328 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Organe; ich nenne nur als Beispiele das Freibleiben der Niere bei der
Tuberkulose des Meerschweinchens, die rotzige Affektion des Hodens
bei demselben Tier, die Nervenlepra des Menschen, die Lokalisation
der supponierten Erreger des akuten Gelenkrheumatismus in Gelenken
und Endokard.
Diejenigen Fälle von Infektionen, bei denen man keinen Anhalts-
punkt für ihre Entstehung, ihre Eintrittspforte hat, nennt man krypto-
genetische Infektionen, wie sie z. B. für Milzbrand, Septikopyämie,
Miliartuberkulose, Typhus u. s. w. nachgewiesen sind. Es kann sich
um verschiedene Möglichkeiten handeln. Entweder ist der Infektions-
erreger an irgend einer Stelle des Körpers eingetreten, ohne eine Lokali-
sation zu verursachen — eine Möglichkeit, die nach neueren Erfahrungen
über die Resorption durch den Darmkanal (vielleich auch die Tonsillen,
s. Abschnitt N) und über das Vorkommen von isolierter Tuberkulose
der Bronchial- und Mesenterialdrüsen nicht abzuleugnen ist; oder die
Infektion nimmt ihren Ursprung von einem lokalen Prozess, der seit
kürzerer oder längerer Zeit zur Ausheilung oder wenigstens zum Still-
stand gekommen ist, in dem sich aber die Erreger infektionstüchtig
erhalten haben — man spricht dann besser von einer Periode der
Latenz, von einem Recidiv der Infektion. Solche neue Ausbrüche
der Krankheit sind noch viele Jahre nach dem Überstehen des ersten
Anfalls, z. B. bei eitrigen (osteomyelitischen) Prozessen, bei Tuber-
kulose und Syphilis beobachtet worden. Man hat sich vorzustellen,
dass an dem ursprünglichen Infektionsherd eine Abkapselung von Keimen
stattgefunden hat1), und dass diese durch irgend eine Veranlassung allge-
meiner oder örtlicher Natur frei werden und von neuem zur Wirkung
gelangen können. Voraussetzung dafür wäre, dass eine etwa durch die
erste Infektion erworbene Immunität im Laufe der Zeit verschwunden
wäre. Ob ohne eine solche Abkapselung auch resistente Mikro-
organismen längere Zeit im Körper sich lebensfähig erhalten können,
ist sehr zweifelhaft, denn selbst die resistentesten Sporen werden im
lebenden Organismus nach Wyssokowitsch binnen relativ kurzer Frist
vernichtet (Z. 1). Dass der Grund zu solchen latenten Herden auch
durch intrauterine Infektion gelegt werden kann, werden wir im
Abschnitt 0 sehen.
H. Natürliche Immunität und Disposition.
Das ungleichartige Verhalten des Wirtsorganismus gegenüber den
Parasiten wurde bisher nur flüchtig gestreift, und doch ist die Empfäng-
1) Als Beispiel einer langen Konservierung von Krankheitskeimen im Körper
berichtet Schnitzler (C. 15. 8/9) von einem Fall von Osteomyelitis, der erst nach
35 Jahren ein Recidiv gemacht hat (daselbst auch andere Litt.).
Kruse, Krankheitserregung. 329
lichkeit (Disposition) des Tieres von ausschlaggebender Bedeutung
für die Möglichkeit und den Verlauf der Infektion.
Man spricht von angeborener und erworbener, oder besser von
natürlicher und künstlicher Immunität bezw. Disposition, je
nachdem die letztere unabhängig von äusseren Eingriffen oder durch
letztere entstanden ist. Man hat ferner zu unterscheiden zwischen der
Immunität gegen die Bakteriengifte — Giftfestigkeit — und der eigent-
lichen Immunität gegen das lebende Virus.
Vergleichen wir zunächst die natürliche Empfänglichkeit der ver-
schiedenen Tierklassen, so ergiebt das Experiment in der Regel (vgl.
Ltjbaesch, Z. M. 19. 104 u. 255 ff.), dass Kaltblüter sich gegen die Para-
siten der Warmblüter resistent verhalten. Ltjbaesch- hat z. B. gefunden,
das Milzbrandbacillen in Ascidien und Meerkrebsen, Rochen und Hai-
fischen, Fröschen, Schildkröten und Eidechsen nicht zum Auswachsen
gelangen. Ein anderer Seefisch, das Seepferdchen (Hippocampus), soll
dagegen nach Sabeazes und Colombot (P. 94. 10) an Milzbrand zu
Grunde gehen können. Dasselbe behaupten Pebnice und Pollacci
(Ri. 92. 206) für den Goldfisch (Cyprinus aratus) gegenüber demMilz-
brandbacillus, dem Prodigiosus und Pyocyaneus. Über die Versuche,
die Immunität der Kaltblüter zu überwinden, wird in der Folge zu
sprechen sein. Im allgemeinen scheinen dieselben für Bakterieninfek-
tionen überhaupt schlecht disponiert zu sein, denn es sind bisher nur
wenige Krankheiten solcher Art bei ihnen gefunden worden, die zum
Teil übrigens noch zweifelhafter Natur sind, so die Faulbrut der Bienen
(r: J. 86. 287 u. J. 90. 372), dieFlacherie der Seidenraupen (Bechamp, C. R.
64), die Nonnenseuche (r: J. 91. 326 u. C. 16. 15/16), eine Krustaceen-
infektion, die durch phosphorescierende Bacillen verursacht wird
(Giabd, S. B. 89 u. 90), eine Forellenseuche (Emmeeich u. Weibel,
A. 21) und einige Infektionen des Froschbluts (Sanaeelli, Ri. 90. 285;
Eenst, Zi. 8; Gabeitschewskt, P. 90; Kruse, V. 120). Soweit be-
kannt, ist nur der von Sanaeelli gefundene Bacillus auch für Warm-
blüter pathogen.
Zwischen den beiden Klassen der letzteren ergeben sich weit ge-
ringere Differenzen bezüglich ihrer Empfänglichkeit gegen Infektionen.
Die Milzbrandbacillen sind zwar mehr den Säugetieren schädlich als
den Vögeln, man spricht auch von einer Säugetier- und einer Vogel-
tuberkulose, aber diese Unterschiede sind nicht durchgreifend, sie sind
kaum grösser als diejenigen, die sich zwischen den Angehörigen der
gleichen Klasse, derselben Familie, ja derselben Spezies finden. Prüfen
wir z. B. dies Verhalten der einzelnen Tiere gegenüber den Milzbrand-
bacillen, so zeigen sich Meerschweinchen, Mäuse ausserordentlich em-
pfänglich, d. h. sie erliegen schon der Injektion weniger Bacillen;
330 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Kaninchen sind etwas resistenter, sie sterben aber auch bei der üblichen
Impfung mit einer Platinöse virulenter Reinkultur ausnahmslos; die
Ratten, besonders wildlebende Tiere, sind dadurch meist nicht zu infi-
zieren; Hunde verhalten sich refraktär, wenn man ihnen nicht sehr
grosse Dosen einspritzt, Tauben verhalten sich eben wie die Ratten,
Hühner sind gänzlich immun. Nehmen wir dagegen die Bacillen der
Hühnercholera, so erliegen Mäuse und Kaninchen schon ganz geringen
Dosen, ebenso Tauben und Hühner; Meerschweinchen und Hunde sterben
dagegen nicht, sondern bekommen höchstens örtliche Affektionen. Schon
aus diesen Beispielen lässt sich ersehen, dass eine allgemein giltige
Regel für die Immunität verschiedener Tiere, die sich etwa
auf die Verwandtschaft stützt, nicht gegeben werden kann,
dass ferner die gleichen Tiere gegenüber verschiedenen In-
fektionen sich entgegengesetzt verhalten können, und dass
schliesslich der Begriff der Immunität ein relativer ist, indem
man nur von verschiedenen Graden derselben zu sprechen hat. Es
hat sich immer mehr herausgestellt, dass absolute Unempfänglichkeit
eines Organismus gegenüber einem Infektionserreger, wenn sie über-
haupt besteht, jedenfalls selten ist. Durch sehr grosse Dosen lassen
sich im allgemeinen auch die scheinbar resistentesten Tiere infizieren,
d. h. sie sterben nicht etwa blos an den gleichzeitig eingeführten Bak-
teriengiften, sondern lassen die Bakterien selbst zum Wachstum kommen.
Die Giftfestigkeit geht durchaus nicht mit der Immuni-
tät gegen lebendes Virus Hand in Hand. Man kann den Beweis
dafür schon indirekt führen, indem man verschieden empfängliche Tiere,
z. B. Kaninchen, Meerschweinchen und Hunde, mit tötlichen Dosen,
z. B. 2 ccm einer Pneumokokkenkultur impft. Die Tiere sterben, wenn
die Bakterien durch ihre Wucherung genügend Gift gebildet haberi,
d. h. Kaninchen und Meerschweinchen nach Eintritt von Septikämie,
die Hunde schon nach blos lokaler Vermehrung unter der Haut. Die
letzteren sind also, obwohl sie am schwersten mit Pneumokokken zu
infizieren sind, verhältnismässig am leichtesten durch die toxischen
Produkte der Pneumokokken zu vergiften (Kruse u. Pansini, Z. 11).
Durch direkte Einspritzung der von lebenden Keimen befreiten Kulturen
haben ferner Gamaleia (P. 89) für den Vibrio Metschnikoff und die
Cholera, Chaeein (S. B. 90) für den Pyocyaneus, Selandee (P. 90) für
den Hogcholerabacillus, Aeloing- (L. 280) für den Milzbrandbacillus
bewiesen, dass Tiere für Gifte der Bakterien empfänglich sein und doch
den lebenden Bakterien selbst widerstehen können (vgl. Keehl, A. P. 35).
Oft wechselt die Empfindlichkeit für solche Gifte ganz enorm. So reagieren
Meerschweinchen, die schon von einem Tuberkelbacillus tötlich infiziert
werden können, nach R. Koch (D. 90. 469) selbst auf 2 ccm Tuberkulin,
Kruse, Krankheitserregung. 33 1
nur wenig, gesunde erwachsene Menschen, die sicher nicht mehr zu
Tuberkulose disponiert sind, dagegen schon auf 0,25 ccm sehr stark.
Auf das Körpergewicht berechnet, entfaltet also Vi 500 von der Menge,
die beim Meerschweinchen noch keine Wirkung hervorbringt, beim
Menschen einen kräftigen Effekt. l) Noch grösser sind die Unterschiede,
wenn man Tetanusgift verschiedenen Tieren gegenüber prüft. Während
alle gewöhnlich zum Experiment benutzten Tiere, auch Tauben, darauf
mehr oder weniger reagieren, vertragen Hühner nach Kitasato (Z. 10)
gewaltige Mengen, ohne krank zu werden. Dabei sind die lebenden
Tetanusbacillen für keines der genannten Tiere infektiös im eigentlichen
Sinne (Vaillakd).
Ahnliche Differenzen der natürlichen Immunität, die wir
bei Tieren verschiedener Arten finden, existieren aber auch zwischen
den Rassen und sogar zwischen den Individuen derselben
Spezies. Für die menschliche Pathologie gelingt es aus leicht er-
klärlichen Gründen kaum, den exakten Nachweis für diesen Satz zu
liefern, obwohl er auch da durch zahllose Erfahrungen für die meisten
Infektionen (Wundinfektionen, Typhus, Cholera, Tuberkulose u. s. w.)
wahrscheinlich gemacht werden kann. Soweit überhaupt am Menschen
Experimente ausgeführt sind, z. B. mit Erysipelkokken (Fehleisbn), ist
auch hier der Beweis erbracht. Viel ergiebigere Resultate hat aller-
dings der Tierversuch geliefert. Die verschiedene Empfänglichkeit der
Hammelrassen gegen Milzbrand, die der weissen und grauen Mäuse
gegen Tetragenus ist schon lange bekannt. Durch grosse Versuchs-
reihen bewiesen ist ferner, um nur einige der wichtigsten Beispiele an-
zuführen, die wechselnde Disposition der Ratten (K. Mülles, F. 93)
und der Tauben (Czaplewski, Z. 12. 381) gegen Milzbrand, die der
Meerschweinchen gegen Pneumokokken (Ketjse und Pansini, Z. 11),
der Kaninchen gegen Diphtherie (vgl. C. Feänkel, D. 95. 11), der Ka-
ninchen gegen Choleraspirillen (Issaeee und Kolle, Z. 18), der Meer-
schweinchen gegen Hühnertuberkulose (Pansini, D. 94. 35). Diese Er-
fahrungen sind nicht nur bei ausgewachsenen Tieren gemacht worden,
sondern in ganz besonderem Grade bei Individuen verschiedenen
Alters. Ganz allgemein erwiesen sich junge Tiere weniger
resistent, nicht blos absolut, sondern im Verhältnis zu ihrem Körper-
gewicht betrachtet. Bei erwachsenen Tieren ist das Körpergewicht
in erster Linie von Bedeutung, in dem Sinne, dass proportional mit
der Grösse auch die Widerstandskraft des Organismus zu steigen pflegt.
Dabei ist vorausgesetzt, class die übrigen Eigenschaften übereinstimmen,
1) Die Empfänglichkeit des Menschen ist auch anderen Bakteriengiften (Strepto-
kokken, Prodigiosus) gegenüber sehr gross (vgl. Friedrich, B. 95. 49/50).
332 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
dahin gehört namentlich die Farbe des Tieres. Vielfach hat man näm-
lich die Bemerkung gemacht, dass verschieden gefärbte, sonst gleiche
Tiere verschieden reagierten. Die weissen Exemplare sollen im allge-
meinen weniger resistent sein, als die dunkler gefärbten (vgl. K. Müller
a. a. 0.). Wie die Verhältnisse der Ernährung die Immunität beein-
flussen, werden wir gleich sehen. Bei vielen der oben erwähnten Unter-
suchungen hat sich herausgestellt, dass Tiere, die zu verschiedenen
Zeiten virulenten Impfungen unterzogen werden, sich ungleich verhalten,
also z. B. einer Dosis, die sie zuerst anstandslos vertragen haben, oder
sogar einer schwächeren später erliegen. Wenn dieser Versuch so an-
gestellt wird, dass ein nachteiliger Einfluss der vorangehenden Infektion
auf die folgenden ausgeschlossen werden kann, so ist aus dem Resultat
zu schliessen, dass die Disposition eines und desselben Tieres
zeitliche Schwankungen erleidet, ein Satz, der auch mit den
Erfahrungen am Menschen übereinstimmt.
I. Erworbene Disposition.
Die Möglichkeit solcher Veränderungen wird dadurch bewiesen,
dass wir verschiedene Mittel in der Hand haben, die natürliche Im-
munität eines Tieres herabzusetzen und andererseits zu erhöhen.
Das erstere gelingt
1. durch Verschlechtern des allgemeinen Ernährungs-
zustandes, Die Beobachtung am Krankenbette und im Laboratorium
lehrt, dass geschwächte Organismen im allgemeinen leichter und
schneller einer Infektion erliegen, als kräftige. Je chronischer eine
Krankheit verläuft, desto deutlicher pflegt dieser Effekt zu sein. Frei-
lich ist der Einfluss des Ernährungszustandes meist nicht so gross, dass
ein hoher Grad von Immunität durch die Verschlechterung desselben
vollständig aufgehoben wird. Experimentell lässt sich dieses Ergebnis
aber auf verschiedenem Wege in der That erreichen. Canalis und
Morpurgo (F. 90. 18/19) haben gezeigt, dass Tauben, die 8—9 Tage
gehungert haben, mit Milzbrand geimpft, ihre Immunität verlieren,
auch wenn man ihnen zugleich wieder Nahrung zuführt. Hat das
Hungern kürzere Zeit vor der Infektion begonnen, so kann man durch
Nahrungszufuhr die drohende Krankheit verhindern. Beginnt die Nah-
rungsenthaltung einen Tag vor oder an demselben Tage mit der Im-
pfung und wird sie streng (8 Tage) durchgeführt, so erfolgt der Tod
an Milzbrand. Exstirpation der Bauchspeicheldrüse hatte ähnliche
Wirkung wie das Hungern. Hungernde Hühner erwiesen sich etwas
resistenter, und Ratten waren überhaupt nicht zu infizieren. Pernice
und Alessi (Ri. 91. 27/29) wollen durch Wasserentziehung die
Kruse, Krankheitserregung. 333
gleichen Resultate bei Hühnern, Tauben und Hunden erhalten haben,
wie die vorgenannten Autoren durch Hunger. V. Gärtner (Zi.9) hat durch
künstliche Blutverluste, die zu Hydrämie führten, Kaninchen für Sta-
phylokokkeneiterungen empfänglicher gemacht; der Hydrämie durchaus
nicht gleichwertig ist die lokale Anämie durch Arterienunterbindung,
die im Gegenteil die Infektion hemmt.
2. Überanstrengung befördert nach den Versuchen von Char-
rin und Roger (A. Ph. 90) infektiöse Erkrankungen. Ratten, die ge-
zwungen wurden, sich stundenlang in einer rotierenden Trommel zu be-
wegen, erlagen an Milzbrand oder Rauschbrand sicherer und schneller
als Kontrolltiere. Meerschweinchen vertrugen die Übermüdung viel
schlechter, sie starben mit reichlichen Bakterien in den Organen, ohne
überhaupt geimpft zu sein (vgl. u. N „Selbstinfektion"). Auf die Überein-
stimmung dieser experimentellen Ergebnisse mit der ärztlichen Er-
fahrung braucht nur hingewiesen zu werden. Die Erklärung dieser That-
sachen könnte in ungünstigen Veränderungen des Stoffwechsels,
vielleicht aber auch in Nerveneinflüssen liegen. Dass letztere für
die Entstehung von Infektionen eine gewisse Bedeutung haben, ist
wohl nicht zu leugnen. Plötzliche Gemütserregungen heftiger Art,
Schreck, Freude, starke, andauernde Depressionen, spielen, wie es
scheint, eine nicht geringe Rolle in der Ätiologie. Auf die Deutung,
die in sehr verschiedener Weise versucht werden kann, lassen wir uns
hier nicht ein.
3. Temperaturerniedrigung ist ein Faktor, dessen Einfluss auf
die Disposition zu Milzbrand zuerst von Pasteur (Ac.78 gegen Colin) bei
Hühnern festgestellt worden ist. Wagner (r: C.9. 322) hat dieses Ergebnis
bestätigt und dahin erweitert, dass nicht nur das Eintauchen vonHühnern
in Wasser von ca. 25°, sondern auch Antipyrindarreichung die ur-
sprüngliche Immunität dieser Tiere gegen Milzbrand aufhebt. Lipari
(Lyon media 90) konnte durch intratracheale Injektion von Pneumo-
kokken bei Kaninchen keine Infektion erzielen, wohl aber, wenn er die
Tiere nach der Impfung stark abkühlte — eine Beobachtung, die, wenn
sie sich bestätigte, einiges Licht auf die Bedeutung der Erkältung
für die Entstehung der Pneumonie werfen würde. Sawtschenko (C. 9)
konstatierte auch für den Milzbrand der Tauben einen Immunitäts-
verlust durch Abkühlung (vgl. aber Canalis u. Mcrpttrgo F. 90. 740).
Bei diesen warmblütigen Tieren bedeutet die Temperaturerniedrigung
eine Abschwächung der vitalen Energie. Eine solche sollte bei
Fröschen kaum ins Spiel kommen, doch hat Ernst (Zi. 8) beo-
bachtet, dass sein Bacillus der Frühjahrsseuche Frösche nur bei Tem-
peraturen von 10°, nicht bei 20° infiziert. Dieselben Tiere vertragen
dagegen plötzliche Temperaturerhöhungen — auf 30° und höher —
334 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
recht schlecht. Wenn sie dabei ihre natürliche Resistenz gegen
Milzbrand verlieren, wie viele Autoren *) finden, so ist das nach dem Vor-
hergehenden verständlich. Lubarsch (Z. M. 19. 235) hat übrigens be-
obachtet, dass Frösche, die sich an höhere Temperaturgrade allmählich
akklimatisiert hatten, dann dem Milzbrand wie sonst Widerstand leisteten.
Dauernde Temperaturerhöhung bewirkt ferner nach Fermi und
Salsano (C. 12. 21) bei Mäusen und Meerschweinchen eine grössere Dis-
position für Geflügeltuberkulose.
4. Das Licht übt eine schädigende Wirkung auf Bakterien aus, so-
wohl das direkte Sonnen- als das diffuse Tageslicht (vgl. Kruse, Z. 19).
Man sollte deswegen eher an eine günstige Beeinflussung von In-
fektionskrankheiten durch Belichtung denken. Das Gegenteil wird
für die Verhältnisse beim Menschen, z. B. die Blattern (Oettinger, S.
94. 32) behauptet, und neuerdings will Masella (A. J. 95) ebenfalls
beobachtet haben, dass die experimentelle Typhus- und Cholera-
erkrankung im belichteten Tier schwerer verläuft, als im unbelichteten.
5. Die Art der Ernährung ist vielleicht für den Immunitätsgrad
des Körpers nicht gleichgiltig, auch wenn von einer Verschlechterung
des allgemeinen Ernährungszustandes nicht die Rede ist. Mehrere
Autoren, wie Bidder, Feser, K. Müller (a. a. 0.), haben einen Unterschied
zwischen fleischfressenden und pflanzenfressenden Tieren, zwischen vor-
wiegender Natron- und Kalidiät, und zwar zu Ungunsten der ersteren
finden wollen. Straus2) und E. Israel (r: J. 89. 272) konnten aller-
dings für Milzbrand und Tuberkulose diesen Unterschied nicht be-
stätigen. Die Erfahrungen am Menschen lassen eine unzweifelhafte
Deutung nicht zu.
6. Das Auftreten eines guten Nährstoffes für Bakterien, nämlich des
Zuckers im Organismus, soll nach einer weitverbreiteten Ansicht die Dis-
position desselben für infektiöse Erkrankungen, namentlich für Tuberku-
lose und ^Eiterungen steigern. Diese am diabeteskranken Menschen ge-
wonnenen Erfahrungen werden durch einige Versuche am Tier gestützt.
Die Untersuchungen von Leo (Z. 7) ergaben, dass Mäuse, die mit Phloridzin
gefüttert wurden und nachweislich Zucker im Harn ausschieden, für
Rotzbacillen empfänglich wurden. Die Immunität der Ratten gegen
Milzbrand und der Mäuse gegen Tuberkulose konnte auf dem ange-
führten Wege nicht beseitigt werden. Preiss (M. 91. 24/25) fand da-
gegen, dass Meerschweinchen, die er ebenfalls durch Phloridzin dia-
betisch gemacht hatte, bei Inhalation von Tuberkelbacillen intensiver
1) Gibier, C.R. 94. 1605; Metschnikoff, P. 87 ; Nuttall, Z. 4; Petruschky,
Zi. 3 u. Z. 7; Voswinkel, F. 90; Lubarsch, F. 88 u. 90 u. Z. M. 19.
2) Le charbon des animaux et de l'homme. Paris 87.
Kruse, Krankheitserregung. 335
erkrankten als die Kontrolltiere. Injektionen von Dextrose (oder
Milchsäure) steigern nach Fermi und Salsano (C. 12. 21) ebenfalls die
Disposition von Mäusen und Meerschweinchen für Tuberkulose. Ob
in allen diesen Versuchen wirklich allein der Zuckergehalt der Organe
den prädisponierenden Einfluss gehabt hat, muss dahingestellt bleiben.
Die Bedeutung des Zuckers als Nährstoff in künstlichen Kulturen ist
allerdings unbestritten.
7. Die Zu fuhr von Giften ist unter Umständen geeignet, Infektionen
zu begünstigen (vgl. Selbstinfection S. 382 ff.). So haben Salomonson und
Christmas (F. 84. 15/19) in mit Jequirity(Abrin)vergiftetenFröschenHeu-
bacillen,Prodigiosus,Cyanogenus u.a. zur Vermehrung gebracht. Platania
(G. J. 89) hat ferner durch Curare und Chloral Frösche, durch Chloral
Tauben, durch Alkohol und Chloral Hunde für Milzbrand empfänglich
gemacht. Lubaesch (Z. M. 19. 235) hat neben dem Curare auch Carbol-
säure bei Fröschen wirksam gefunden, Klein und Coxwell (C. 11. 464)
bei Ratten das Chloroform. Vielleicht ist auch die „Atherpneumonie",
die sich manchmal an die Narkose anschliesst, ähnlich zu deuten (vgl.
Nauwerck, D. 95. 8). Möglicherweise gehört die Pneumokokken-
epidemie, die Lanz (D. 93. 10) beobachtete, hierher. In anderer "Weise,
als die genannten Gifte, nämlich als hauptsächlich blutkörperzerstörende
Mittel dürften die Pyrogallussäure, das Hydracetin, die nach A. Gott-
stein (D. 90. 24) die Entwicklung von Hühnercholera und Eiterungen,
und das Acetylphenylhydrazin, das nach Mta und Sanarelli (F. 91.22)
den Milzbrandausbruch befördert, zur Wirkung kommen. Gamaleia
(Verh. d. X. internat. Congr. Berlin 91. 2. 3) hat für die Cholera der
Kaninchen in der intravenösen Einspritzung von Papai'n, Pankreatin,
Methämoglobin prädisponierende Stoffe gefunden. Die schon lange
von R. Koch (B. 85. 37a) empfohlene Verwendung von Opiumtink-
tur bei der künstlichen Infektion von Meerschweinchen mit Cholera-
spirillen wirkt wohl ebenfalls nicht nur durch Feststellung des Darmes,
sondern auch als allgemeines Gift. Schliesslich wird auch einigen
Gasen eine die Infektion begünstigende Wirkung zugeschrieben; so
Hessen sich nach Charrin und Roger (C. R. 1892) Meerschweinchen,
die gezwungen wurden, Kohlenoxyd oder Strohrauch einzuatmen, leichter
mit abgeschwächtem Milzbrand infizieren. Die bekannte Theorie, dass
die Einatmung von Kloakengasen zu Typhus disponiere, will Alessi
durch Experimente am Tier stützen (A. J. 94. vgl. aber Abbott, r:
R. 96. 2). Den ungünstigen Einfluss von Vergiftungen mit C02, CO,
CS2, H2S auf eine ganze Reihe von Infektionen konnte auch Di Mattei
(A. J. 96. 1) bestätigen. Einen Schluss auf die Verhältnisse beim
Menschen lassen freilich alle diese experimentellen Ergebnisse nicht zu.
8. Erkrankungen bestimmterOrgane, der Nieren, der Leber, des
336 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Herzens haben bekanntlich einen üblen Einfluss auf den Verlauf von
menschlichen Infektionskrankheiten; wahrscheinlich nicht nur, weil die
natürliche Immunität der Körpersäfte dadurch herabgesetzt wird, sondern
weil auch die giftigen Bakterienprodukte weniger leicht ausgeschieden
oder unschädlich gemacht werden können. Experimentell ist darüber,
soweit Infektionskrankheiten in Betracht kommen, nichts festgestellt.
Über die Bedeutung der Milz ist dagegen viel geschrieben und auch
experimentiert worden. Bardach (P. 89 u. 91) hat geglaubt durch
zwei grössere Versuchsreihen bei Kaninchen und Hunden, denen teil-
weise die Milz exstirpiert war, eine gewisse Zunahme der Disposition
für Milzbrand bei den entmilzten Tieren nachweisen zu können, ein
Resultat, das von Kuelow (A. 9) nicht bestätigt worden ist. Ebenso
widerstreiten sich die Ergebnisse von Sudakewitsch (P. 91. 9) und
Tictin (C. 14. 22), die in ähnlicher Weise bei Affen mit den Spirillen
des Rückfallfiebers experimentierten. Beiläufig bemerkt haben auch
die Versuche, einen Einfluss der Milz bei der künstlichen Immunisierung
festzustellen (Cesaeis-Demel, Ri. 91. 1—4; Tizzoni u. Cattani, Ri. 92.
49) keinen Erfolg gehabt, da die späteren Autoren übereinstimmend
die Bedeutungslosigkeit des Milzverlustes für die Immunisierung und
die einmal erlangte Immunität dargethan haben (Kanthack, C. 12. 227;
Oelandi, Ri. 93; Righi, Ri. 93; Benaeio, D. 94. 1; Tizzoni und Cattani,
D. 94. 6).
9. Schon früher (vgl. S. 307) wurde darauf hingewiesen, dass die
relative Immunität von Tieren gegen Infektionserreger durch Einverleibung
grosser Mengen derselben oder von deren eigenen Stoffwechsel-
produkten überwunden werden kann. Bouchaed (Verh. d. X. internat.
Congr. Berlin 91) hat die dabei wirksamen Substanzen „be günstig ende
Stoffe", Keuse (Zi. 12. 339) „Angriffsstoffe" oder „Lysine" ge-
nannt. Nachgewiesen sind dieselben z. B. von Chaeein und Ruefee
(S. B. 88) für den Pyocyaneus, von Couemont (S. B. 89) für die Tuber-
kulose, von Rogee (S. B. 89) für Rauschbrand, von Rodet u. Coue-
mont (S. B. 91) für den Staphylokokkus pyogenes, Rogee (S. B. 91)
für Streptokokken, von Bouchaed, Aeloing u. Couemont *) für Milz-
brandbacillen. Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass diese
lytischen Stoffe von allen Bakterien produziert werden, und zwar sind
sie ursprünglich in den Leibern derselben vorhanden, aus denen sie
mehr oder weniger schnell in Lösung gehen (vgl. Bonaduce, Zi. 12. 3).
10. Im Abschnitt über „Mischinfektionen" haben wir schon von der
prädisponierenden Wirkung fremder Bakterien bez. ihrer Gifte
1) Les matieres solubles predisposantes ä l'action patkogene de leurs microbes
producteurs. These, Montpellier 1891.
Kruse, Krankheitserregung. 337
auf die Entwicklung der Infektionserreger ausführlich gesprochen (vgl.
S. 313).
11. Durch Einflüsse verschiedener Art kann eine lokale Dispo-
sition zu Infektionen gegeben werden. Von "Wunden braucht hier
nicht mehr die Rede zu sein, denn dieselben sind oben S. 3 17 ff unter
den übrigen Eintrittspforten der Infektion behandelt worden. Traumen
hingegen, die, ohne eine Kontinuitätstrennung der Haut zu setzen, eine
Infektion zum Ausbruch kommen lassen, gehören hierher. Man hat
ihnen schon lange in der menschlichen Pathologie für die Entstehung
von örtlicher Tuberkulose, von Osteomyelitis, Pneumonie („Kontusions-
pneumonie") u. s. w. eine grosse Rolle zugeschrieben. Uns interessieren
hier nur die experimentellen Bestätigungen dieser Theorie. Den ersten
Autoren, die sich mit der Reproduktion des Osteomyelitis im Tiere
beschäftigten, J. Rosenbach (Z. Ch. 10), Köstlin (C. Ch. 80), Becker
(D. 84), Gangolphe u. A. glückte dieselbe nur, wenn sie neben der
Einspritzung des staphylokokkenhaltigen Materials in die Venen
Knochenverletzungen erzeugten. Erst Krause (F. 84) und namentlich
Rodet, Colzi, sowie Lannelongue u. Achard (P. 91. 4) kamen ohne
die letzteren aus, indem sie die Dauer der Krankheit verlängerten und
geeignetere Versuchstiere wählten. Ahnlich ist es mit der künstlichen
Erzeugung der infektiösen Endocarditis gegangen. Nach dem Vor-
gange von 0. Rosenbach (A. P. 9) konnten Wyssokowitsch (V. 103),
Weichselbaum (W. 85. 41) und Prudden (A. J. M. 87) eine solche
zu Wege bringen, wenn sie die Herzklappen mechanisch oder chemisch
verletzten und darauf Staphylokokken intravenös einspritzten (vgl. auch
Crocq, A. E. 94 für Gefässläsionen). Ribbert (F. 86. 1) erzielte ohne
direkten Eingriff dieselbe Erkrankung durch die Wahl eines wegen seiner
Konsistenz besser zum Haften geeigneten Infektionsmaterials (Kartoffel-
kultur), und spätere Forscher haben auch, ohne besondere Massregeln zu
treffen, gelegentlich Endocarditis bei Versuchstieren hervorgebracht (Kruse
u. Pansini, Z. 11. 347). Aus diesen Thatsachen ist zu schliessen, dass
in den genannten Fällen die Infektion zwar auch ohne die Beihilfe von
Traumen erfolgen kann, dass aber das verwundete Gewebe unzweifel-
haft zur Erkrankung prädisponiert wird. Für die drei pathogenen
Anaeroben scheint die Gewebsläsion eine noch grössere Bedeutung
zu haben. Nocard u. Roux (P. 87. 6) haben bewiesen, dass, wenn
man ein abgeschwächtes Rauschbrandvirus in ein Gewebe injiziert, das
durch Milchsäure, Essigsäure, Alkohol, Chlorkalium chemisch oder sonst-
wie mechanisch geschädigt ist, die dadurch erzeugte Infektion erheblich
intensiver verläuft. Ebenso konnten Vaillard u. Rouget (P. 92. 6)
und Besson (P. 95. 3) beobachten, dass Tetanussporen bez. die Bacillen
des malignen Odems in kleinsten Dosen, die für gewöhnlich unschädlich
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 22
338 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
waren, eine tötliche Infektion verursachten, wenn das Gewebe, in das
sie eingeführt wurden, nekrotisiert, gequetscht, oder wenn an der In-
jektionsstelle ein Knochen gebrochen war. Auch für die natürlichen
Infektionen werden diese Verhältnisse von Bedeutung sein.
Was einen anderen Einfluss anlangt, von dem man allgemein annimmt,
dass er eine örtliche Disposition erzeuge, so ist für die Wirkung der Er-
kältung das Tierexperiment nicht geeignet, da unsere Versuchstiere
sehr schlecht auf eine solche reagieren. Die wenigen Resultate, die
noch dazu unter Bedingungen gewonnen sind, wie sie sich in Wirk-
lichkeit kaum wiederholen werden, wurden oben schon erwähnt.
Fragen, die längere Zeit das Interesse der Bakteriologen gefesselt
haben, sind die nach den Bedingungen der Eiterung1) im All-
gemeinen und der eitrigen Peritonitis im besonderen. Wäre es
möglich gewesen mit kleinen Mengen der aus pyogenen Prozessen des
Menschen isolierten Bakterien auch beim Tier Eiterung zu erregen,
also den Vorgang, der sich im Gewebe des Menschen abspielt, ohne
Schwierigkeit zu reproduzieren, so würde sich wohl Niemand nach
begünstigenden Momenten für die Eiterung umgeschaut haben. Die
Tierexperimente mit Reinkulturen fielen aber zum grossen Teil negativ
aus. Bessere Resultate bekamen Geawitz und de Baey (V. 108),
Fehleisen (A. Ch. 36), Bttjwid (C. 4. 19), Herman (P. 91. 4) u. A.,
wenn sie neben den Bakterien mechanische und chemische Reize wirken
Hessen (Krotonöl, Kadaverin, koncentrierte Salzlösungen, Sublimat,
Carbölsäure, selbst einfaches Wasser nach Messner, M. 94. 19). Zucker-
lösung, die nach Bttjwid ebenfalls die Eiterung begünstigen sollte,
wurde von den übrigen Autoren unwirksam gefunden. Unter Um-
ständen erreicht man eine eitrige Lokalisation, wenn man die
chemischen Reizmittel subkutan und die Bakterien ins Blut spritzt
(Kronacher 1)). Ahnlich erklären sich die Abscesse, die Netter (r:
J. 92. 61) und Bignami (r: J. 92. 62) bei Pneumonikern durch Injektion
reizender Stoffe (Kampher, Coffein, Äther) unter die Haut erhielten.
Der Einfluss der Nerven und der Blutfülle eines Organs auf die
Eiterung daselbst ist mit verschiedenem Erfolge studiert worden. Darin
stimmen zwar alle Autoren überein, dass die Durchschneidung der zu-
gehörigen Nerven, die immer mit Hyperämie des betreffenden Teiles
einhergeht, die Wirkung einer bakteriellen Entzündung steigert; der
eine Teil glaubt aber darin einen ungünstigen Effekt sehen zu müssen
(Charrin und Rüfeer, S. B. 89; Herman, P. 91. 4; Ochotine, A. E.
1) Vgl. S. 279 ff', und die Litteratur bei Kronacher, Ätiologie und Wesen
der akuten eitrigen Entzündung. Jena 91, K. Müller (C. 15. 20/21) und
Janowski (Zi. 15. 1).
Kruse, Krankheitserregung. 339
92), der andere einen günstigen (Roger, S. B. 90; Frenkel, A. E. 92;
Dache u. Malvoz, P. 92).
Die experimentelle Erzeugung von eitriger Peritonitis bietet noch
grössere Schwierigkeiten. Das gesunde Bauchfell besitzt, wie wir seit
den Untersuchungen Wegner's1) wissen, eine ausserordentlich grosse
Resorptionskraft und reagiert — im Tier — auf Bakterien und ihre
Produkte viel schwächer, als man gewohnt ist, es beim Menschen vor-
auszusetzen. Grawitz (Ch. 86, V. 108. 110. 116) bestätigte diese Be-
obachtungen und zeigte, dass es nur gelingt, durch Bakterien Peri-
tonitis zu erzielen, wenn man die Resorptionsfähigkeit der Serosa durch
Anlegung von Wunden, durch Stagnation, Einklemmungen oder durch
chemische Stoffe beschränkt. Abgesehen von Pawlowsky (V. 117),
Baumgarten (L.) und Al. Frankel (C. 10), wurden diese Aufstellungen
im wesentlichen von den folgenden Autoren bestätigt: Waterhouse
(V. 119), Orth, Reichel (Z. Ch. 30), Kraet (r: J. 91. 33. 2). Walthard
(A. P. 30) lieferte den Beweis für die schädigende Wirkung des Subli-
mats und der Austrocknung der Serosa durch Luftzutritt (vgl. Mikulicz,
C. Ch. 87. 48). Silberschmidt 2) analysierte die schädlichen Folgen der
Darmperforation und kam dabei zu dem Resultat, dass ausser den
lebenden Mikroorganismen für die Entstehung dieser Form von Peritonitis
noch die Toxine, die Darm-Fermente und die festen Bestandteile der
Fäces in Betracht kommen.
Diese Ergebnisse des Tierversuchs bezüglich der Eiterung und der
Peritonitis sind natürlich nicht ohne weiteres auf den Menschen über-
tragbar. Die ärztliche Beobachtung und das Experiment am lebenden
Menschen (Garre, F. 85. 6; Bumm3); Bockhart, M. D. 87; Schimmel-
busch, A. f. Ohrenheilk. 88) bewiesen die grosse Empfänglickheit des
Menschen für Eiterbakterien, vorausgesetzt, dass dieselben nicht abge-
schwächt sind. Sogar von der unverletzten Haut aus können Infektionen
erfolgen, wenn man nur das unter natürlichen Verhältnissen häufig zur
Wirkung kommende Hilfsmoment der Reibung zu Hilfe nimmt. Bei Ein-
führung auch von geringen Kulturmengen in das menschliche Gewebe
bedarf man aller der obengenannten, die Disposition der wenig empfäng-
lichen Tiere befördernden Mittel nicht. Immerhin sind ganz vereinzelte
Keime nicht immer imstande, Eiterung zu erregen, dennBossowSKi(W.87);
Bloch (r: J. 90. 599); Welch (A. J. M. 91) und Büdinger (W. K. 92)
haben häufig in per primam geheilten Wunden virulente Eiterkokken
1) "Wegner, Chirurgische Beobachtungen über die Peritonealhöhle u. s. w.
Berlin 77.
2) S. die Litt, bei Silberschmidt , Experim. Untersuchungen über die Per-
forationsperitonitis u. s. w. Seh. 94.
3) Btjmm, Sitzungsber. d. physikal. niediz. Gesellsch. z. Würzburg 85.
22*
340 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
gefunden. Auch im Peritoneum werden sich dementsprechend schon viel
kleinere Mengen, selbst unter weniger günstigen Bedingungen, wie im
Tierversuch, gefährlich erweisen. Immerhin hat dort auch die bei
Laparotomien gewonnene Erfahrung gelehrt, dass die für die experimen-
telle Peritonitis wirksamen Hilfsursachen, die Austrocknung des Endo-
thels, die Schädigung desselben durch Sublimat, der Einfiuss von Fremd-
körpern, reizenden Stoffen u. s. w., auch beim Menschen nicht be-
deutungslos sind.
Auch für die krankhaften Prozesse in der Lunge können ausser
den schon oben angeführten (Trauma, Erkältung) unzweifelhaft ört-
lich prädisponierende Momente in Frage kommen: das Eindringen
von Fremdkörpern durch Verschlucken (Vaguspneumonie), durch In-
halation von Staub (Pneumokoniosen, Thomasschlackenpneumonie;
vgl. Enderlen, M. 92. 49), die Beschränkung des Blutzuflusses
durch Enge der Lungenarterien, die Bildung nekrotischer Herde
durch Embolien, die Stagnation von Sekreten — all das sind
Faktoren, die beim Menschen die Wucherung von Bakterien (Tuberkel-
bacillen, Pneumokokken, Fäulnisbacillen u. s. w.) begünstigen. Experi-
mentelle Bestätigungen fehlen dafür zwar fast vollständig (vgl. Peeiss,
M. 91. 24/25), sind aber auch kaum nötig.
Für die Infektionen aller möglichen Organe kommt ausserordent-
lich häufig das mechanische Moment der Blutstockung und der
Sekretretention in Betracht. Der Dekubitus der Haut, die Deku-
bitalgeschwüre des Larynx, das Mal perforant du pied, die Dysenterie
der Geisteskranken sind Krankheiten, die aus der kombinierten Wir-
kung der Schwäche der Cirkulation, von mechanischen und chemischen
Schädlichkeiten und Infektionserregern und Fäulnisbakterien hervor-
gehen. Sekretstauungen spielen eine grosse Rolle bei den Infektionen
der Brustdrüse, bei der Cystitis und Pyelonephritis, bei der Angio-
cholitis. Cirkulationsstörungen und Retention von Sekreten bedingen
die infektiösen Prozesse, welche die Einklemmung von Hernien, den
Darmverschluss komplizieren. Auf die genannten Vorgänge, die durch
zahlreiche Experimente in das rechte Licht gerückt sind, werden wir
unter N (Selbstinfektion) zurückkommen.
II. Auch die natürliche Giftfestigkeit eines Tieres kann durch
künstliche Einflüsse herabgesetzt werden. Wiederholte Gaben von Diph-
theriegift setzen die Widerstandsfähigkeit für dasselbe anscheinend herab,
ebenso von Tetanusgift — wenigstens gilt das für einige Tierspezies,
wenn man nicht besondere Massregeln dagegen ergreift. Roux (P. 94.
725) hat ferner mitgeteilt, dass Meerschweinchen, die gegen den
Vibrio Massaua immunisiert waren, oder mit anderen Bakterien
(B. coli etc.) behandelt werden, leichter dem Tetanusgifte erlagen (vgl.
Kruse, Krankheitserregung. 341
auch RoncaiiI, A. J. 93) und derselbe Autor (P. 94. 618 u. 624) ver-
sichert, dass Tiere durch vorherige Behandlung mit verschiedenen Bak-
teriengiften (z. B. Pneumokokken) eine erhöhte Empfänglichkeit für
das Diphtheriegift gewinnen.
K. Künstliche, nicht spezifische Immunität und Heilung.
Die Herabsetzung der Empfänglichkeit des Organismus für
lebende Bakterien und Bakteriengifte nennt man, Avenn sie vor der
Einführung des Virus in den Körper erfolgt, Immunisierung, Ver-
leihung eines Impfschutzes oder präventive Behandlung; wenn
sie nach der Einverleibung des Virus beginnt, spricht man von Hei-
lung der Infektion oder Intoxikation oder, falls das unglückliche Ende
nur aufgeschoben, nicht abgewandt werden kann, von günstiger Be-
einflussung der Krankheit durch therapeutische Eingriffe. Ein
wesentlicher Unterschied zwischen beiden Verfahren besteht nur inso-
weit, als die Heilung ein intensiveres Vorgehen verlangt als die Immu-
nisierung.
I. Sehen wir uns zuerst wieder die Mittel an, die uns zur Be-
kämpfung der lebenden Infektionserreger zur Verfügung stehen.
1. Oben unter I (S. 332) haben wir an erster Stelle die Bedeutung
des allgemeinen Ernährungsstandes für den Verlauf von In-
fektionen hervorgehoben. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung
dieses Faktors bei der Bekämpfung namentlich chronischer, aber
auch subakuter und akuter Krankheiten ist heutzutage allgemein an-
erkannt. Die Diätetik giebt die näheren Regeln zur Erreichung des
erstrebten Zieles.
2. Der Überanstrengung als ein besonders die Ökonomie des Stoff-
wechsels störendes Moment wurde dann herausgegriffen, weil das Ex-
periment in durchschlagender Weise die Beeinflussung der Disposition
zu Infektionskrankheiten durch diesen Faktor nachgewiesen hat. Die
ärztliche Erfahrung ihrerseits hat seit alter Zeit in richtiger Würdi-
gung dieses Verhältnisses der Prophylaxe und Therapie die Wege ge-
wiesen, indem sie für den Gesunden ein harmonisches Spiel der Kör-
perkräfte, für den Kranken die Enthaltung von jeder Anstrengung,
bei allen akuten Infektionen möglichste Ruhe des Muskel- und Nerven-
systems vorschreibt.
3. Erhöhung der Körpertemperatur spielt bei fast allen In-
fektionen eine grosse Rolle: man pflegt zu sagen, der Organismus
reagiere auf Bakterieninvasionen regelmässig mit Fieber. Dieser Aus-
druck „Reaktion" wird von vielen Autoren neuerdings — einer alten
Hypothese folgend — in dem Sinne gebraucht, dass dieselbe eine
342 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
heilsame Wirkung vorstelle. Es ist das eine Anschauung, für die Be-
weise nicht beigebracht sind. Die Hauptwirkungen des Fiebers sind
die Temperaturerhöhung und die Steigerung des allgemeinen Stoff-
wechsels. Die erstere könnte unter Umständen den Erregern der In-
fektion gefährlich werden, aber erstens erreicht die erhöhte Tempera-
tur viele Bakterien gar nicht, weil sie in zu grosser Nähe der
Körperoberfläche nisten (Erysipelkokken) , zweitens ist der Grad der
Temperatursteigerung nachweislich selten genügend, um die Mikro-
organismen in ihrer Vermehrung zu hemmen. Selbst die in dieser
Hinsicht empfindlichsten Bakterien, die Pneumokokken, scheinen im
Körper 42° ganz gut zu vertragen, während sie in künstlichen Kul-
turen allerdings darunter leiden. Auf der anderen Seite wird die
Fiebertemperatur sicher oft genug dem Körper des Wirtsorganismus
selbst gefährlich. Das Gleiche gilt von dem vermehrten Stoffzerfall
im Fieber. So lange nicht nachgewiesen ist, dass daraus bakterien-
feindliche Substanzen hervorgehen, können wir das Fieber nur als
ein Mittel, den Kräftevorrat des Körpers zu schwächen, an-
sehen und müssen es daher nach allen Regeln der Kunst zu bekämpfen
suchen. Die experimentellen Resultate, die bisher vorliegen, sind nicht
geeignet, dieses Urteil zu erschüttern. Walther (A. 12) setzte mitPneumo-
kokken infizierte Kaninchen in den Brütschrank bei 31 — 37°, was eine
Körpertemperatur von 41 — 42° erzeugte. Die Tiere starben später als die
Kontrolltiere, aber doch an der charakteristischen Septikämie. Wurden
die Tiere erst 14 Stunden nach der Infektion in den Brütschrank ge-
bracht, so ergab sich kein konstanter Unterschied gegenüber den Kon-
trolltieren. Filehne (r: C. 17. 13/14) bewirkte auf dieselbe Weise ein
künstliches Fieber bei Kaninchen, die am Ohr mit Erysipelkokken ge-
impft waren: die warmgehaltenen Tiere erkrankten dabei schneller,
aber leichter als die im Zimmer gehaltenen. Uns scheint, dass das
Kaninchenohr für solche Versuche gerade nicht günstig gewählt ist,
da seine Temperatur von der des Körpers erheblich abweicht und seine
Cirkulationsverhältnisse durch die umgebende Temperatur stark be-
einflusst werden. Schliesslich sind die nur kurz referierten Experi-
mente von Löwy u. Richter (D. 95. 15) zu erwähnen, welche durch
den Sachs- ARONSOHN'schen Hirnstich die Körpertemperatur von Kanin-
chen tagelang auf über 41° halten konnten. Die dann mit Pneumo-
kokken infizierten Tiere blieben bei kleinen Dosen am Leben und
starben bei grösseren später als die Kontroll tiere; die Dauer der Hühner-
cholera- und Diphtherieinfektion wurde verlängert; auch die am Ohr
vorgenommene Infektion mit Schweinerotlauf wurde günstig beeinfmsst.
Gegen diese Versuche ist, ganz abgesehen von den letzteren Impfungen
(am Ohr), einzuwenden, dass die erhöhte Temperatur vom ersten Moment
Kruse, Krankheitserregung. 343
der Infektion an gewirkt hat, wie es bei natürlichen Erkrankungen
niemals der Fall ist. Es bedarf ausserdem der Feststellung, ob diese
Methode der künstlichen Fiebererzeugung nicht den Stoffwechsel noch
in anderer Weise beeinflusst, als durch blosse Steigerung der Zer-
setzung.
4. Über die Einwirkung der Belichtung auf den Verlauf in-
fektiöser Krankheiten weiss man zu wenig, als dass sich bisher be-
stimmte Forderungen an die Behandlung stellen Hessen (vgl. S. 334).
Die Unterbringung der Pockenkranken in die „chambre rouge" und auf
der anderen Seite die „Sonnenbäder" bei tuberkulösen und rheumatischen
Affektionen seien hier nur erwähnt (vgl. Kruse, Z. 19. 2).
5. Was die Art der Ernährung anlangt, so wurde schon im
Vorhergehenden (S. 332) die Theorie erwähnt, nach der die Fleisch-
kost im Gegensatz zur Pflanzennahrung geeignet wäre, die Immuni-
tät gegen Infektion zu erhöhen. K. Müller (F. 93) glaubt eine Be-
stätigung dieser Ansicht dadurch erbracht zu haben, dass er Ratten
24 Stunden vor oder nach einer starken Impfung mit Milzbrand sub-
kutan 1 — 2 ccm einer öproz. Fleischextraktlösung einspritzte und die
Tiere danach überleben sah. Wir werden gleich sehen, dass eine andere
Erklärung für diese Erscheinung näher liegt (S. 346).
6. Wie der Zucker als Bestandteil des Körpers die Disposition der
Gewebe zum Wachstum von pathogenen Bakterien verbessert, so giebt
es Stoffe, die umgekehrt diesen Nährboden zu verschlechtern scheinen.
Behring (C. kl. M. 88. 38) fand die Immunität der Ratten gegen Milz-
brand einhergehen mit äusserst starker alkalisch er Reaktion ihres Blut-
serums; v. Fodor (C. 7. 753 und 17. 225) erreichte durch Verabreichung
von Natriumbikarbonat bei zahlreichen, allerdings nicht bei allen
behandelten Kaninchen Resultate, die er auch nach den abweichenden
Versuchsergebnissen Behring's (Z. 9. 463) und Chor's (P. 91) aufrecht
erhielt, v. Fodor glaubte auch durch Untersuchung der Alkalinität
des Blutes bei gesunden, kranken und rekonvalescenten Tieren Be-
ziehungen zwischen dem Grade der ersteren und der Disposition der
letzteren gefunden zu haben. Eine gewisse Bedeutung dieses Faktors
für Immunität und Krankheits verlauf ist auch nach den Arbeiten von
Kraus (A. P. 26), Lubarsch (Z. M. 19. 373), Pohl (B. 93. 36), Löwy
(C. W. 94. 45), Löwt u. Richter (D. 95. 33) wahrscheinlich, ohne dass
wir freilich bisher imstande sind, eine genügende Erklärung dafür zu
geben (vgl. Nr. 7 und 10 d. Abschn.). *) Eine direkt die Bakterien
1) Ist die Immunität der Kalkarbeiter gegen Tuberkulose, die Halter
(B. 88. 36—38) und Grab (i\ W. 90. 23) konstatierten, etwa unter dieselbe Eubrik
zu bringen?
344 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
schädigende, wachsturusfeindliche Wirkung hat man dagegen den anti-
septischen Mitteln zuzuschreiben, wenn sie in ausreichender Menge
dem Körper zugeführt werden. Das geschieht freilich nur ausnahms-
weise ohne Schädigung desselben, denn die Antiseptika sind in Mengen,
die im Körper noch nicht wachstumshemmend auf Infektionsstoffe
wirken, schon giftig für den Wirtsorganismus. Nach Behring (Z. 9) '
bestände sogar die — freilich durch Versuche im Reagensglas ge-
wonnene — Regel, dass die Minimaldosis eines Antiseptikums, die für
das Tier tötlich ist, etwa 6 mal kleiner ist, als die Menge, die im
Tierkörper gelöst Milzbrandbacillen am Wachstum verhindern würde.
Dementsprechend sind auch die allermeisten Versuche durch Allgemein-
behandlung mit antibakteriellen Stoffen Infektionen wie Milzbrand und
Tuberkulose (Löte, r: C. 2. 7; di Mattei, J. 88. 440; Cobnet, Z. 5;
CAVAGNis,r: J.88.172; R.Koch, C. 8. 572) zu heilen ohne Erfolg geblieben.
Beheing selbst hat freilich (D. 87. 37/38) einige Tiere durch Behandlung
mit Silberlösungen von Milzbrand retten können. Raymond u. Aetatjd
haben das Tannin, Gosselin das Jodoform, Niepce den Schwefelwasser-
stoff gegen experimentelle Tuberkulose erprobt gefunden. *) Die
„spezifische" Wirksamkeit des Chinins 2), der Salicylsäure, des Antipyrins,
des Methylenblaus, des Jods3), des Arsens, des Quecksilbers, des
Kreosots, des Menthols u. a. bei einigen Infektionen ist man eben-
falls geneigt durch direkte Beeinflussung der Krankheitserreger zu er-
klären. Bei Berücksichtigung der Mengenverhältnisse, in denen die ge-
nannten Stoffe zur Wirkung gelangen, muss diese Deutung jedoch zweifel-
haft werden, und man wird gezwungen sein, eine ganz besondere Affinität
derselben zu den Bakterien selbst oder den Geweben, in denen sie nisten,
anzunehmen, oder noch unbekannte Hilfskräfte des Organismus, die viel-
leicht erst durch die medikamentöse Behandlung ausgelöst werden, voraus-
zusetzen. Günstiger liegen die Dinge — wenigstens theoretisch — für die
örtliche Anwendung von Antisepticis, auf die wir später zu sprechen
kommen werden (S. 352 ff.).
7. Sicher nicht durch direkte Hemmung des Bakterienwachstums
wirken einige Stoffe, denen man neuerdings einen immunisierenden und
heilenden Einfluss auf Infektionen zugeschrieben hat. Dahin gehören
erstens Eiweisskörper, die Zell- oder Kernbestandteile darstellen.
Wooldeidge hat schon 1888 (A. f. Ph. 1888) über Versuche berichtet,
1) S. Arloing, L. 298; vgl. aber Cornet's (Z. 5. 1) gegenteilige Erfahrungen.
2) Pansini u Calabrese (G. J. 94) bobachteten bei Mäusen, die mit Pneumo-
kokken infiziert waren, Heilung durch Chinin, zu gleicher Zeit im Reagensglase eine
Steigerung des mikrobiotischen Kräfte des Blutserums durch dieses Mittel.
3) Pick (C. 17. 11) sah bei Rindern, die mit Jodkali behandelt waren,
Immunität gegen Maul- und Klauenseuche.
Kruse, Krankheitserregung. 345
in denen mit Hilfe von Hoden- und Thymusextrakten — einer
„Fibrinogenlösung" — die Immunisierung von Kaninchen gegen Milz-
brand gelungen sein sollte. Wright (B. M. 91) bestätigte dieses Resultat,
Gramatschikoee (P. 93. 12) hatte dagegen nur negative Ergebnisse.
Brieger, Kitas ato und Wassermann (Z. 12) verwendeten nach dem
Vorgänge von Wooldridge (Proc. Lond. 87) nicht die Zellstoffe selbst,
sondern Kulturen von pathogenen Bakterien in Lösungen derselben oder
Mischungen der Kulturen mit den Zellextrakten. Dabei konnten sie
zwar den günstigen Erfolg, den der letztere Forscher mit Hilfe dieser
Impfmethode gegen Milzbrand erreicht hatte, nur unvollkommen be-
stätigen, erzielten aber Immunität gegen Diphtherie, Tetanus, Cholera,
Typhus, Schweinerotlauf. Wie die Extrakte allein wirkten, wurde
nicht festgestellt. Einen Bestandteil der genannten Zellauszüge, nämlich
das Spermin, benutzten Löwv u. Richter (D. 95. 15, vgl. Pohl, D.
95. 30) mit Glück zur Immunisierung und Heilung von Pneumokokken-
infektionen im Kaninchen. Zacharoee (r: C. 17. 9/10) hat dann Sperma-
injektionen verwendet, und zwar bei Schafen gegen Milzbrand mit gewissem,
allerdings nicht sehr dauerhaftem Erfolge, gegen den Rotz der Katzen
ohne jedes Resultat. Von der Ansicht ausgehend, dass die Nukleine
als die wesentlichsten Bestandteile der Zelle die Immunität erzeugten, hat
Vatjghan (Med.News 94. Dec.) ein Hefenuklein gegen Pneumokokken
und Tuberkelbacillen ins Feld geführt und empfiehlt diese Behandlung
auch für die menschliche Tuberkulose. Eine andere Reihe experimen-
teller Arbeiten schloss sich an die Mitteilung Ogata's u. Jastthara's
(r: C. 9. 1), nach der es ihnen gelungen wäre, Mäuse, Meerschweinchen
und Kaninchen mit dem frischen Blute oder dem Blutserum «natür-
lich immuner Tiere (Frösche, Ratten, Hunde) vor Milzbrand zu
schützen und in gewissem Grade sogar zu heilen (vgl. S. 397).
Schon vorher hatten Behring (Z. 9. 473) mit Rattenserum bei Milzbrand
und Hericourt und Richet mit Hundeserum bei Tuberkulose ein ähn-
liches Resultat gehabt (S. B. 89 u. ff.). Hankin (C. 9. 10) konnte eben-
falls durch Rattenserum Mäuse vor dem Milzbrandtode bewahren. Die
Angaben Ogata's wurden von den späteren Autoren sämtlich bestritten,
und zwar von Enderlen (M. 91.320), Petermann (P. 91. 8), Seraeini
u. Erriquez (Ri. 91.152) für die Wirkung des Blutes von Hunden, von
Roudenko (P. 91. 8), für das Froschblut *) und von Metschnikoee und
Roux (P. 91. 8) wenigstens teilweise für das Rattenblut. Nur wenn
das letztere an derselben Stelle injiziert wurde, wo die Infektion mit
Milzbrand stattfand, gelang die Rettung des Tieres. Diesen negativen
1) Bokome (F. 91. 18) hat andererseits die schützende Wirkung des Frosch-
serums gegen Milzbrand in gewissem Sinne bestätigen können.
346 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Befunden folgten zunächst wieder die positiven Resultate, die Keuse
und Pansini (Z. 11) durch Behandlung von Mäusen mit Hundeserum
und namentlich Pansini (Zi. 12. 3) durch Behandlung von Kaninchen
mit Hunde- oder Menschenblutserum gegen Pneumoniekokkeninfektion
erzielten. Nicht jedes Serum war übrigens schütz- oder heilkräftig, sondern
nur dasjenige einiger Individuen; die zu einem günstigen AusgaDg nötigen
Mengen Serum waren recht beträchtliche (20 — 40 ccm pro Kaninchen),
so dass man also von einer Transfusion in grossem Massstabe reden musste
(vgl. Meyer, S.95.34). Ferner sahen Chenot und Picq (S.B. 92) von der Be-
handlung des Rotzes mit Rinderserum günstige Ergebnisse. Die Cholera-
arbeiten der letzten Jahre haben für die Möglichkeit der Immunisierung
durch normales Serum weitere Bestätigungen geliefert. Nachdem Metsch-
nikofe und Klemperer schon die schützende Wirkung solchen Serums
gegen die intraperitoneale Cholerainfeklion des Meerschweinchens ge-
funden, präcisierten Issaeff (Z. 16. 2), sowie Pfeiffer und Issaeff
(Z. 17. 2) diese Wirkungen genauer. Durch Kontrolluntersuchungen
liess sich die wichtige Thatsache feststellen, dass eine ganze Reihe
anderer Substanzen ebenfalls imstande waren, einen Impf-
schutz zu gewähren, und zwar sowohl bei Einspritzung in das Peri-
toneum, als — in freilich viel geringerem Grade — in die Subcutis,
also an einem von der Infektionsstelle verschiedenen Orte. Issaeff
stellt bezüglich dieser Wirkung folgende Skala auf: am schwächsten
wirkt physiologische Kochsalzlösung, schützt aber doch noch, in einer
Menge von 1 ccm Meerschweinchen 24 Stunden vor der Infektion in
die Bauchhöhle injiziert, gegen das Fünffache der tötlichen Minimal-
dosis. Dann folgen Harn, Bouillon, normales menschliches Blutserum,
2proz. Nukleinlösung, Tuberkulin, schliesslich nach einem späteren Be-
funde von Pfeiffer und Issaeff das Pferdeblutserum (Z. 17. 370), das
etwa 12 mal stärker wirkt als die Kochsalzlösung und 4mal stärker als
Menschenserum; auch das normale Meerschweinchenserum hat einen
ähnlichen Effekt wie das Serum von Menschen oder anderen Organismen.
Die Erklärung für diese merkwürdigen Schutzwirkungen nicht spezifischer
Substanzen steht noch aus, Issaeff hat nur eine gemeinsame Eigen-
schaft derselben festgestellt, nämlich die Fähigkeit allgemeine Leuko-
cytose im Blut und örtliche Leukocytose im Peritoneum zu
erregen. Dieselbe wächst nach einer vorübergehenden Hypoleukocytose
in ca. 24 Stunden zu einem Maximum und fällt von da an ab, ent-
sprechend der durch die Einspritzung gewonnenen Widerstandsfähig-
keit der Tiere, die auch nach einem Tage ihr Maximum erreicht, um
von da binnen wenigen (bis 14) Tagen sich vollständig zu verlieren.
Als ein Mittel, das zu gleicher Zeit starke Leukocytose erregt und
einen Impfschutz verleiht, ist das Pilokarpin hier anzureihen. Löwy
Kruse, Krankheitserregung. 347
und Richter (D. 95. 15) wollen einen solchen Einfluss gegenüber experi-
menteller Infektion mit Pneumokokken, Waldstein (B. 95. 18) sogar
eine Heilwirkung bei menschlichen Streptokokkeninfektionen konstatiert
haben. Die starke Giftigkeit dieses Medikaments steht übrigens seiner
allgemeinen Anwendung im Wege. Vielleicht sind auch die Fermente,
die nach Hildebrandt (M. 94. 15) und Pawlowsky (r: C. 16. 193)
gegen Kaninchenseptikämie immunisieren bezw. den Milzbrand heilen
sollen (Emulsin, Papayotin, Alerin), zu derselben Gruppe von Körpern
zu rechnen (vgl. über Leukocytose ferner S. 288 u. Nr. 10 dieses Abschn.
und Kraus u. Buswell, W. K. 94. 28; Löwt u. Richter, D. 95. 33;
Botkin, V. 141).
8. Wenn eine Schädigung der secernierenden Organe den Verlauf
von Infektionen ungünstig beeinflusst (S. 335), so ist auch anzunehmen,
dass durch Anregung der natürlichen Sekretionen der Heilprozess
gefördert werden kann. Wir verstehen das nicht in dem Sinne, dass,
wie von vielen Seiten vorausgesetzt worden ist, eine ausgiebige Aus-
scheidung der Krankheitserreger durch den Urin, die Darmsekrete oder
den Schweiss zu erreichen wäre. Die Möglichkeit des Vorgangs selbst
besteht freilich (vgl. unter M), aber seine günstige Bedeutung ist zum
mindesten sehr zweifelhaft. Unbestritten vorteilhaft für den kranken
Organismus ist hingegen die Ausscheidung der giftigen, durch den In-
fektionsprozess gebildeten Produkte, wie sie für Tetanus, Diphtherie
u. a. Krankheiten bewiesen ist. Durch Beförderung der Diurese, der
Schweissbildung, z. B. vermittelst reichlicher Wasseraufnahme, Bäder
u. s. w., sowie durch Verhinderung von Stauungen im Digestionsapparat
kann da ärztlicherseits eingegriffen werden. Die Wirkung der Hunger-
und Schwitzkur bei Syphilis ist dagegen nicht ohne weiteres verständlich.
9. Als spezifische Immunität und Heilung wird mit Recht
diejenige Form derselben unterschieden, die durch die eigenen Produkte
der Krankheitserreger erzeugt oder angeregt wird; denn sie hat nur
Geltung gegenüber der durch die letzteren verursachten Infektion. Im
folgenden Abschnitt werden wir diesen wichtigsten Punkt der Im-
munitätslehre behandeln (S. 355).
10. Dass ein Zustand von Unempfänglichkeit bez. eine Art Heilung
auch durch artverschieclene Bakterien hervorgerufen werden kann, haben
wir schon oben unter F (S. 3 14 ff.) gesehen. Durch die oben citierten Ar-
beiten von Peeieeer und Issaeee (Z. 17. 3) wurde der Unterschied auf-
gedeckt, der zwischen dieser Art von Immunität und der spezifischen
besteht. Der Impfschutz gegen Cholera z. B., der durch Vorbehandlung
der Versuchstiere mit beliebigen Bakterien (B. coli, typhi, Proteus,
Pyocyaneus) erzielt wird, ist, abgesehen von dem Mangel der Spezifizität,
geringfügiger und vor allen Dingen viel weniger dauerhaft, als der
348 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
durch Vorbehandlung mit Cholerakulturen gewonnene. Bezüglich der
ev. Erklärung dieser nicht spezifischen Immunität vgl. oben Nr. 7 und
unten S. 352 sowie u. P.
11. Auch durch örtliche Behandlung kann die Disposition zu
einer infektiösen Erkrankung herabgesetzt resp. die letztere in ihrem
Verlauf günstig beeinfiusst werden.
Es ist das möglich erstens durch operative Eingriffe. Am
radikalsten wäre es, den ganzen Infektionsherd zu entfernen oder zu
zerstören. Vorausgesetzt dass die Lokalität es erlaubt, ist dieses Ver-
fahren nicht nur gestattet, sondern empfehlenswert, weil man dadurch
in der That die Infektion wie mit einem Schlage beenden kann. Der
Erfolg hängt davon ab, ob man wirklich im Gesunden operiert1)
und ob die Infektion der Verallgemeinerung fähig ist. Kann nicht
der ganze Infektionsherd beseitigt werden, sondern bleiben Reste davon
zurück, so wird es von der Gestaltung der Wundfläche (s. später) und
von der Beschaffenheit des Erregers abhängen, ob die Krankheit günstig
beeinfiusst wird oder nicht. Die gewöhnlichen Mikroorganismen der
Wundinfektion sind, wenn sie in einzelnen Herden zurückbleiben, lange
nicht so gefährlich als die Tuberkelbacillen, die von den stehen ge-
bliebenen Herden aus die gesunden Teile der Wunde infizieren. So
erklären sich die ungünstigen Resultate der Resektion von tuberkulösen
Gelenken bei Erwachsenen. Sind die infizierenden Bakterien mit
grösster Virulenz begabt, wie die echten Septikämieerreger, dann nützt
eine Operation, auch wenn sie sehr früh erfolgt, gewöhnlich nichts.
Wir haben oben (S. 318) gesehen, wie schnell die Resorption der Bak-
terien durch Wunden erfolgt; man kommt, wie die Erfahrungen bei
den experimentellen Septikämien lehren, gewöhnlich zu spät, selbst die
Amputation im Gesunden kann nicht verhüten, dass die schon ins Blut
gelangten Keime ihre mörderische Thätigkeit beginnen. In der Praxis
kann man aber niemals den Grad der Virulenz des Krankheitserregers
mit Sicherheit vorhersagen, deswegen ist ein energisches, möglichst
frühzeitiges operatives Eingreifen beim Menschen, wo eine gefährliche
Infektion vermutet wird, durchaus zu empfehlen; z. B. gilt das für
Milzbrandinfektionen. Dieselben verlaufen zwar bekanntlich meist
lokal und führen dann, wie K. Müllee (D. 94. 24 ff.) mit Recht be-
merkt, auch ohne jede Behandlung zur Heilung. Die Zerstörung
des Infektionsherdes beeinfiusst aber den Verlauf sicherlich nur günstig,
und man hat, wenn man ausgiebig und früh operieren kann, in den
Fällen höherer Virulenz der Milzbrandkeime die Möglichkeit, die
1) Eine Gefahr bei Operationen in krankem Gewebe besteht in der plötzlichen
Eröffnung neuer Eesorptionswege (Tuberkulose!).
Kruse, Krankheitserregung. 349
Zahl der in den Kreislauf gelangten Keime niedrig zu halten und da-
durch den Ausbruch der Allgerneininfektion zu verhüten. Auch für
die Behandlung der Hunds wut trifft diese Regel zu. Gerade bei dieser
Infektion scheint die Verbreitung des Virus — möglicherweise weil
sie auf bestimmte Wege, die Nervenbahnen, angewiesen ist — relativ
langsam zu erfolgen. So berichtet Bombicci (J. 92. 108), dass, wenn
man einen Tag nach der Wutimpfung in die vordere Augenkammer
das Auge enukleiert, die Krankheit verhütet werden kann. Beim Tetanus
liegen die Verhältnisse einerseits günstiger, weil die spezifischen Ba-
cillen nur ein begrenztes lokales Wachstum entfalten und vom Blut
aus überhaupt nicht wirken; andererseits kommt man, wenn die ersten
tetanischen Symptome sich zeigen, mit der Excision des Infektions-
herdes meist zu spät, weil die Resorption des dort gebildeten Giftes
schon zu weit vorgeschritten ist. Trotzdem ist die Eintrittspforte des
Virus immer noch als ein Stapelplatz des Giftes anzusehen und mög-
lichst frühzeitig operativ zu entfernen; in manchen Fällen von chro-
nischem Tetanus kommt es auf das Mehr oder Weniger des Giftes
sicherlich an. Zur Prophylaxe wäre, wenn die Krankheit noch nicht
ausgebrochen ist, aber die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit Te-
tanus vorliegt, dasselbe Verfahren am Platz und hätte um so mehr
Aussicht auf Erfolg, je früher man eingreift (vgl. Roux und Vaillaed,
P. 93. 93).
Bei progressiven Eiterungen kann die Wegnahme des Herdes
durch Amputation unter Umständen lebensrettend wirken, denn die Ge-
fahr der Metastasenbildung ist um so grösser, je länger ein Eiterungs-
prozess im Körper besteht und je weiter er sich örtlich ausbreitet.
Es ist das wahrscheinlich nur in den günstigen Resorptionsbedingungen
begründet, nicht etwa darin, dass die lokale Eiterung als solche die
inneren Organe für Metastasenbildung prädisponiert.
Welche Rolle die Resorption bei derartigen Infektionen spielt,
ersieht man am besten an dem Einfiuss, den die Eröffnung der
Eiterherde und selbst die einfache Entspannung des Gewebes
durch Schnitt hat. Jede Stauung der Wundsekrete bedingt nicht nur
eine Steigerung der allgemeinen Vergiftungssymptome, des Fiebers u. s. w.,
also eine raschere Aufsaugung der bakteriellen Stoffwechselprodukte,
sondern vermehrt auch die Chancen für die kontinuierliche oder
metastatische Ausbreitung des Prozesses, d. h. also die Resorption
der Infektionserreger selbst. Der durch das Exsudat gesteigerte Druck
im entzündeten Gewebe muss freilich ausserdem noch eine günstige
Bedeutung für das Wachstum der Bakterien daselbst haben. Man
könnte in dieser Beziehung auf die direkte Schädigung der Gewebs-
elemente durch die höhere Spannung und auf die damit verbundenen
350 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
indirekten Ernährungsstörungen hinweisen. Dieselben führen ja ohne
operativen Eingriff häufig zu mehr oder weniger ausgedehnten Ne-
krosen. Ein anderer befördernder Einfiuss kommt namentlich bei
Mischinfektionen mit Fäulniserregern und bei anaerobiotischen Infek-
tionen in Betracht, nämlich der Ausschluss des Sauerstoffs in den
geschlossenen Herden. Nach Bkaatz (C. 17. 21) muss aber auch auf
die gewöhnlichen Eiterbakterien die Aerobiose hemmend, die Anaerobiose
wachstumsbefördernd wirken.
Eine günstige Beeinflussung der örtlichen Blutcirku-
lation und Temperatur erfolgt gewöhnlich durch dieselben Mittel:
lokale Blutentziehungen, Anwendung der Kälte, und erklärt sich durch
Entspannung des Gewebes; vielleicht hemmt aber auch bei oberfläch-
lichen Prozessen die niedrige Temperatur unmittelbar die Bakterien-
vermehrung. Scheinbar entgegengesetzt und dennoch oft günstig wirkt
die feuchte Wärme in Form von Umschlägen und Bädern, die, von
der Wirkung auf die sensiblen Nerven ganz abgesehen, offenbar die
Blutcirkulation und die Resorption anregen. Der gute Erfolg ist frei-
lich nur verbürgt, wenn der Prozess von Natur ein gutartiger ist, d. h.
dazu neigt sich zu lokalisieren: er verläuft dann regelmässig schneller,
aber auch intensiver. Die experimentelle Behandlung dieser Frage
lässt viel zu wünschen übrig (vgl. S. 338).
Die Stauungshyperämie ist schon von Rokitansky als ein
Faktor erkannt, der geeignet ist, der Lunge eine Art von Immunität
gegen Tuberkulose zu verleihen, Bier (A. Ch. 48. 2) hat ihren gleich
günstigen Einfiuss auf andere Formen der lokalen Tuberkulose konsta-
tiert und benutzt die künstlich hervorgerufene Blutstauung geradezu
als ein Mittel, die Tuberkulose zu heilen. Bei anderen Infektionen
kann man übrigens den entgegengesetzten Effekt beobachten, so bei
Eiterungen aller Art, z. B. der Epididymitis, die man ja durch Kom-
pression, bei der Phlegmone der Extremitäten, die man durch Hoch-
lagerung bekämpft, ferner bei Syphilis (Bier a. a. 0.).
Manche Autoren sind geneigt nicht nur die Hyperämie, sondern
auch die Entzündung selbst als ein Kampfmittel des Organismus
gegen die Infektion zu betrachten (vgl. Leber1), Buchner, M. 94. 30).
Diese teleologische Auffassung ist schon sehr alt, dem „Pus bonum et
laudabile* wird ja die Funktion zugeschrieben, den Organismus vom
Krankheitsstoff zu befreien. Nachdem nun die bakteriologische For-
schung die wirklichen Feinde kennen gelernt hatte, wurde die alte Theorie
durch Metschnikoff2) zuerst dahin präcisiert, dass er den Leukocyten
1) Leber, Die Entstehung der Entzündung u. s. w. Leipzig 91.
2) Vgl. dessen Darstellung in dem Aufsatz: „Zur vergleichenden Pathologie
der Entzündung" in den internationalen Beiträgen zur wissenschaftlichen Medizin,
Kruse, Krankheitserregung. 351
die Hauptrolle im Kampfe und zwar als Fresszellen, als Phagocyten,
zuwies. Andere Autoren wollen die Leukocyten sich dadurch beteiligen
lassen, dass sie antibakterielle Stoffe secernieren resp. bei ihrem Zerfall
ausscheiden (Hankin, Dents, Büchner). Noch andere legen das Haupt-
gewicht auf das flüssige Exsudat. Da die Entscheidung dieser Fragen
für die Theorie der Immunität und Heilung von dem grössten Interesse
ist, werden wir ihre Erörterung bis zum Abschnitt P aufschieben. Gegen-
über der Hypothese, die dem Fieber eine Bedeutung im Kampfe gegen
die Infektion zuschreibt (vgl. S. 341), erscheint die hier besprochene An-
schauung viel annehmbarer. Handelt es sich doch bei der Entzündung
um eine Reaktion, die gerade am Orte der Gefahr erfolgt, ohne den
übrigen Organismus in erhebliche Mitleidenschaft zu ziehen! Besteht das
Endresultat dieser Reaktion doch in sehr vielen Fällen — wenn es näm-
lich zur Eiterung und zum Durchbruch des Eiters kommt — in der
That in der Eliminierung derKrankheitserreger!
Die Probe auf das Exempel bestände darin, dass es gelänge, experi-
mentell eine allgemeine Infektion durch vorhergehende Erregung einer
Entzündung an der Eintrittspforte des Virus zu verhüten und eine be-
ginnende, aber noch örtlich beschränkte Infektion durch die nachträg-
liche Steigerung des lokalen Prozesses ihrer Gefährlichkeit zu ent-
kleiden. Nur in gewissem Grade ist der Beweis geglückt. Die von
Bergonzini (r: J. 90. 540) gefundene Thatsache, dass Milzbrandbacillen,
in einen Eiterherd injiziert, nicht zur Wirkung gelangen, kann so ge-
deutet werden, dass nur ihre Resorption dadurch unmöglich gemacht
wird (s. S. 318). Lubarsch (Z. M. 19. 98) schliesst aus ähnlichen Ver-
suchen, die nur eine Verzögerung der Milzbrandinfektion ergaben,
dass rein mechanische Momente dabei die wesentliche Rolle spielen.
Derselbe Autor hat dann den Einfiuss einer nicht eitrigen Entzündung
auf dieselben Mikroorganismen studiert, indem er die Ohren von Kanin-
chen verbrüte und verschiedene Zeit darnach in diese impfte. Nicht
einmal eine Verzögerung der Krankheit wurde dadurch herbeigeführt.
Wurden zu gleicher Zeit die Ohren der nicht infizierten Seite verbrüt,
so konnte Lubarsch wie schon früher Huber (V. 106) in ihren Ge-
fässen eher ein gesteigertes Wachstum konstatieren, als ein gehemmtes.
Pneumokokken lokalisieren sich, wie oben berichtet (S. 337), wenn sie
im Blutstrom cirkulieren, sogar an Hautstellen, die durch Einspritzungen
von Chemikalien gereizt werden. Das Gleiche gilt von Staphylokokken.
Auf der anderen Seite sprechen für die Theorie der Schutzkraft der Ent-
zündung die Versuche, die wir schon bei den Mischinfektionen (S. 314 ff.)
Virchow gewidmet. Bd. IL Berlin 91. u. Pathologie comparee de l'innarnmation.
Paris 92.
352 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
besprochen haben. Die Heilung des Milzbrandes durch Erysipelkokken,
Prodigiosus, Pyocyaneus, Pneumobacillen erfolgt unter lebhaften Ent-
zündungs-(Eiterungs-)Erscheinungen, sie ist am leichtesten zu er-
reichen, wenn die genannten Bakterien dicht um den Milzbrandherd
eingespritzt werden. Auch die Verhütung der Cholerainfektion, sei es
durch Vorbehandlung mit Stoffen beliebiger Art (Issaeef, Z. 16), sei
es mit anderen Mikroorganismen (Pfeiffer u. Issaeff, Z. 17) ist ein
Vorgang, der mit einer lebhaften örtlichen Leukocytenauswanderung und
flüssiger Exsudation Hand in Hand geht (S. 346).
Einen mächtigen Impuls hat die Entzündungstheorie empfangen
durch die Entdeckung des Tuberkulins (R. Koch, D. 90. 46a), des
Malleins (s. Bd. II) und die sich daran anschliessenden Erfahrungen über
die Wirkung anderer Bakterienextrakte (Römer, Buchner, Klemperer,
Z. M. 20), der Albumosen und Peptone (Mätthes, A. M. 54. 1) und des
Kantharidins (Liebreich, B. 95. 293) auf tuberkulöse Neubildungen. Die
genannten Substanzen erzeugen sämtlich durch eine noch nicht genügend
erklärte elektive Wirkung nach Aufnahme in den Kreislauf um die-
jenigen Gewebsstellen, die von tuberkulösen (rotzigen, leprösen) Herden
eingenommen werden, eine entzündliche Reaktion, die unter Umständen
zur Rückbildung derselben führt. Unabhängig von diesen Lokalisationen,
also z. B. im gesunden Organismus, sind dieselben Stoffe befähigt, all-
gemeine Leukocytose und Fieber (s. S. 288) zu erwecken, eine That-
sache, die möglicherweise für die Erklärung auch der örtlichen Wir-
kungen in. Frage kommen kann (vgl. Nr. 7 u. 10 oben). Das Tuberkulin
unterscheidet sich qualitativ nicht von den übrigen Bakterienextrakten
und sogar von den Albumosen Matthes', es scheint allerdings in ge-
ringeren Mengen wirksam zu sein.
Vorläufig nicht recht unterzubringen ist der Erfolg, den die Laparo-
tomie bei tuberkulöser Peritonitis auch ohne sonstige Eingriffe hat.
Experimentelle Bestätigungen sind dafür geliefert von Stchegoleff
(A. E. 94), Nannotti und Bacciochi (C. Ch. 95. 21) u. A.
Ein indirekter Einfluss der Entzündung besteht in ihrer ableiten-
den Wirkung, die durch alte klinische Erfahrungen und neuerdings
experimentell durch Bernabei (A. J. 93. 4) sichergestellt ist.
Die lokale Behandlung der Infektionskrankheiten sollte — so
könnte man a priori voraussetzen — von der lokalen Desinfektion
ihren Ausgangspunkt nehmen.
In der That sind die Versuche, die Krankheitserreger an Ort und
Stelle durch bakterientötende Mittel unschädlich zu machen, alt genug.
Die antiseptische Methode in ihrer ursprünglichen LisTER'schen Form
war ja auf diesen Gedanken gegründet. Im Laufe der Zeit haben sich die
Ansichten erheblich geändert: von vielen Seiten wird jetzt ge-
Kruse, Krankheitserregung. 353
radezu die Möglichkeit, ein schon infiziertes Gewebe zu desinfizieren,
geleugnet. Auf Grund von Tierversuchen kommen z. B. Schimmel-
busch (F. 95. 1/2), Reichel (A. Ch. 49. 4) und Haenel (D. 95. 8) zu
dem Resultat, dass frische Wunden, die mit Eiter oder Kulturen von
Staphylokokken, Streptokokken u. s. w. in innige Berührung kommen,
schon 4 — 18 Stunden danach nicht mehr zu sterilisieren sind. Ent-
gegengesetzte Ergeh nisse bekamen freilich Messner (M. 94. 19) und
Henle (A. Ch. 49). Ausschliessen muss man unter diesen Versuchen
von vornherein diejenigen, bei denen so virulente Bakterien verwendet
wurden, dass der Tod durch eine Allgemeinaffektion erfolgte, denn
wir wissen durch Schimmelbusch u. A., dass die Resorption in frischen
Wunden ausserordentlich schnell vor sich geht. Aber auch soweit andere
Mikroorganismen, z.B. die gewöhnlichen Eiterbakterien, inFrage kommen,
wird man jedenfalls gut thun, von antiseptischer Behandlung nicht
allzu viel zu erwarten, ein Schluss, den ja viele Chirurgen schon aus
ihren Erfahrungen am Krankenbette gezogen haben. *) Vielleicht dienen
die reizenden Eigenschaften, die unsere Antiseptika besitzen, dazu,
den antibakteriellen Effekt wieder aufzuwiegen. Es bleiben aber doch
einige Infektionen, die sich der lokalen Behandlung gegenüber nicht
so refraktär zu verhalten scheinen, wie die gewöhnlichen Wund-
infektionen. Dahin gehören die Gonorrhoe, der weiche Schanker, die
Syphilis, die Tuberkulose, faulige Mischinfektionen, die Diphtherie des
Rachens2), Lungen- resp. Bronchialerkrankungen verschiedener Art u. s. w.
Das Silbernitrat, die Quecksilberpräparate, die Pyrogallussäure, das Jodo-
form, das Terpentinöl, Menthol, der Kampher seien hier nur genannt.
Noch geringere Aussichten, als die Behandlung von Wunden und
Geschwüren, hat natürlich die lokale Anwendung von Antisepticis in
der Tiefe des Gewebes. Doch sind besonders von Behring (D. 91)
einige günstige Erfahrungen gemacht worden, so beim subkutanen
Milzbrand der Mäuse mit Sublimat und Natrium chloroborosum und
bei der Diphtherie der Meerschweinchen mit Jodtrichlorid. Hier, wie
überhaupt stets bei der Desinfektion im lebenden Körper, ist das höchste
Ziel natürlich dieAbtötung der Infektionskeime durch die antibakteriellen
Stoffe, aber auch schon die Entwicklungshemmung derselben wäre
ein schönes Resultat — in derThat wird im besten experimentellen Falle
1) Ob die von Schleich (Therapeut. Monatsh. 96. 2) empfohlene Forma-
lingelatine hierin gründlich Wandel schaffen wird, ist abzuwarten.
2) Die Zahl der gegen Diphtherie empfohlenen Mittel ist bekanntlich sehr
gross, deren Wirksamkeit aber eine recht zweifelhafte. Neuerdings hat Löfpler
(r: C. 16. 955) auf Grund zahlreicher Versuche im Keagensglas, am Tier und am
Menschen eine Mischung von Menthol, Toluol, absolut. Alkohol und Liquor ferri
(oder Kreolin) vorgeschlagen.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 23
354 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
auch nichts weiter erreicht. Bei natürlichen Infektionen, die man auch
wohl durch Einspritzung von Antisepticis in das kranke Gewebe oder
in seine Umgebung hat heilen wollen (Erysipel, Tetanus) kann bisher
von einem Erfolge im Ernst kaum die Rede sein.
Die Prophylaxe der Infektionskrankheiten durch äussere und
innere Desinfektion ist an dieser Stelle nicht zu erörtern (s. Kap. 6 d.
2. Abschn. d. Bdes.). An dem Beispiel der letzteren kann man übrigens
die Schwierigkeit des Problems der Gewebsdesinfektion wohl er-
messen. Zwar gelingt es allenfalls, die auf die oberflächlichen
Schleimhäute (Konjunktiva, Nase, Mund und Rachen) gelangenden
Mikroorganismen durch antiseptische Mittel unschädlich zu machen
(Weeks, A. A. 19; Millee, L. 217ff; Löfeler, D. 91. 10), aber die
Desinfektion der weiblichen Genitalwege ist schon viel schwieriger,
wenn nicht unausführbar (Krönig, D. 94. 43), und alle Versuche, den
Darminhalt zu desinfizieren, sind bisher gescheitert (vgl. R. Stern,
Z. 12; Germano, Bollet. Societä di Naturalisti. Napoli 94; Cassiani,
A. J. 96. 1; Albu, B. 95. 44).
II. Viel geringer, als unsere Kenntnisse über die Steigerung der
Resistenz gegen lebende Bakterien, sind diejenigen, welche sich auf
die Erhöhung der Giftfestigkeit des Organismus beziehen. Die
spezifischen Methoden, letztere hervorzurufen (Tetanus, Diphtherie), sind
im folgenden Abschnitt zu besprechen, hier interessieren uns die nicht
spezifischen Mittel. Behring (D. 90. 50) konnte durch mehrtägige
Vorbehandlung mit "Wasserstoffsuperoxyd Meerschweinchen gegen die
Diphtherieintoxikation schützen. Wird unmittelbar oder wenige Stun-
den nach der Einverleibung des Giftes und an den folgenden Tagen
die Injektionsstelle mit Jodtrichlorid behandelt, so überstehen die Tiere
ebenfalls den Eingriff. Boer (Z. 11) fand ausser Jodtrichlorid auch
Chlorzink und Goldnatriumchlorid u. a., Roux und Martin (P. 94. 9)
fanden LuGoi/sche Jodlösimg wirksam. Auch gegen Tetanusvergiftung
hilft die örtliche Applikation von Jodtrichlorid nach Kitasato (Z. 10.
29S), sowie die LuGOi/sche Jodlösung nach Roux u. Vaillard (P. 93. 2).
Es erklärt sich in allen diesen Fällen die Wirkung der Chemikalien
durch Giftzerstörimg, die auch im Reagensglas vorhanden ist (Kita-
sato, a. a. 0.; Behring u. Wernicke, Z. 12; Roux u. Martin, a. a. O.;
Roux u. Vaillard a. a. O.).
Auch die Abschwächung der Giftigkeit (vgl. S. 305) von Diphtherie-
und Tetanuskulturen, die mit Hoden- oder Thymus-Extrakten gemischt
werden, ist vielleicht ebenfalls auf eine Zerstörung des Giftes zurückzu-
führen (Brieger, Kitasato u. Wassermann, Z. 12). Man könnte daraus
schliessen, dass den Zellen gewisser Organe normalerweise ein
antitoxisches Vermögen zukommt (vgl. Charrin, S. 95. IS), ahn-
Kruse, Krankheitserregung. 355
lieh wie es für gewisse nicht bakterielle Gifte bewiesen ist (Leber,
Thyreoidea); Pohl will, allerdings ohne genügende Beweise, diese Eigen-
schaft sogar einem bestimmten chemischen Stoffe, dem Spermin zu-
schreiben (B. 93. 36 u. D. 95. 30). ]) Dielntercellularflüssigkeit, das Blut-
serum selbst natürlich unempfänglicher Tiere wäre dagegen nach früheren
Angaben nicht antitoxisch, nur Roux u. Martin berichten über einen
Fall, in dem normales Pferdeserum eine gewisse Resistenz gegen
Diphtheriegift verliehen hat (P. 94. 615 Anm.), und Aronson (B. 93.
26) schreibt dem Rattenserum eine geringe Schutzkraft gegen Diph-
therie zu. Neuere Untersuchungen machen es allerdings wahrschein-
lich, dass auch dem normalen Blutserum des Menschen eine anti-
toxische Wirkung gegen das Diphtheriegift häufig zukommt (Wasser-
mann, Z. 19. 3; Abel D.94.50; Orlowski, D. 95. 25; Pischl, J.K. 41),
ebenso wie dem Ziegenserum gegen Choleragift (R. Pfeiffer, Z. 20. 2).
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, durch pharmakologische Agentien
eine künstliche Immunität gegen Bakteriengifte zu erzeugen. So haben
Peyraud und Rummo (Ri. 93. p. 232) Tiere durch Strychnin gegen
Tetanus und Peyraud (C. R. 105) durch Tanacetum gegen Hundswut
festigen wollen. Sehr interessant sind, aber der Bestätigung bedürfen
die neuesten Mitteilungen von Roux (P. 94. 10) über die schützenden
Wirkungen, die das Blutserum von giftfest gemachten Tieren gegen
andere Gifte ausüben soll. Danach hatte Tetanus- und Hundswut-
serum einen antitoxischen Wert gegenüber Schlangengift, Schlangen-
gift und Diphtherieserum waren wirksam gegen Abrinvergiftung.
Letztere Angabe wird von Ehrlich bestritten (Z. 19. 90); dagegen
schützt nach diesem Forscher Robin gegen Abrin und Ricin.
L. Spezifische Immunität und Heilung.
Die Lehre von der spezifischen Immunität bildet unstreitig das
interessanteste Kapitel der Bakteriologie. Die Krankheitserreger er-
zeugen in dem Organismus, dessen Existenz sie bedrohen, einen Zu-
stand, der ihnen selbst einen zweiten Angriff auf denselben unmöglich
macht oder wenigstens erschwert. Ganz unverständlich ist dieser Vor-
gang, wenn wir ihn nicht als eine Verteidigungsmassregel auffassen,
im Kampfe geschaffen zur Erhaltung der höher organisierten Art. So-
weit sich bisher übersehen lässt, sind zweierlei Prozesse hier zu unter-
scheiden: erstens der Schutz des Körpers gegen die Überwucherung
1) Freund, Grosz und Jelinek (C. M. 95. 38 u. 39) finden gewisse Bestand-
teile des Leukocytenkörpers (Histon) antitoxisch wirksam gegenüber Dipktherie-
gift, andere (Nuklein, Nukleinsäure) unwirksam. Nack Kondratjew (r: C. 18. 2/3)
besitzen Milz- und Nebennierenextrakte antitoxische Wirkung gegen Tetanus.
23*
356 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
durch Infektionskeime und dann seine Festigung gegen die von jenen
produzierten Gifte. Hier wie bei der auf nichtspezifischeni Wege zu-
stande kommenden Unenipfänglichkeit (S. 341) ist von der präventiven
Impfung zur eigentlichen Heilung ein ganz allmählicher Übergang.
I. Immunität gegen das lebende Virus.
Die spezifische Immunität kann erworben werden:
1. durch das Überstehen der natürlichen Krankheit. Seit
Jahrhunderten kennt man den Schutz, den die siegreich überwundene
Infektion der Blattern, der Bubonenpest gegen die Ansteckung mit
demselben Virus gewährt. Durch sorgfältige Beobachtungen hat man
fast für alle Infektionskrankheiten ähnliche Verhältnisse festgestellt,
und die bakteriologische Forschung hat auch in den Fällen, wo, wie
z. B. bei Pneumonie und Erysipel, der einmal Betroffene eher eine
gesteigerte Disposition zu derselben Erkrankung davonzutragen schien,
die Existenz einer — allerdings zeitlich ziemlich beschränkten —
Immunität äusserst wahrscheinlich gemacht.
2. Jahrhunderte alt ist auch die Entdeckung, dass es gelingt,
durch künstliche Verimpfung der Krankheit einen Schutz gegen die-
selbe zu verleihen. Die günstige Wirkung der sog. Variolisation
erklärt sich in der Weise, dass die kutane Einimpfung des Blattern-
stoffes eine echte, aber in der grossen Mehrzahl der Fälle leichte spe-
zifische Erkrankung verursacht. Wir können uns wohl vorzustellen, dass
die Verschiedenheit der Eintrittspforte von der natürlichen hier
den leichteren Verlauf der Infektion bedingt. Für den Infektionsstoff der
Lungenseuche des Rindes hat Willems nachgewiesen, dass die Impfung
am Schwanzende eine geringe lokale Affektion und in deren Gefolge
Immunität bewirkt, die Einspritzung derselben Dosis in das lockere
Unterhautgewebe des Stammes aber eine gefährliche Krankheit er-
zeugt (vgl. Arloing, L. 290 — 293). Ein ähnliches Beispiel, das bak-
teriologisch sichergestellt ist, bietet die Pneumokokkeninfection. Bei
einfach kutaner Impfung mit diesem Virus entwickelt sich eine Lokal-
affektion, die gegen spätere Erkrankungen schützt; bei Einspritzung
derselben Menge ins Blut erfolgt dagegen der Tod an Septikämie
(Kruse u. Pansini Z. 11; vgl. auch S. 325). Anders liegt die Sache
bei den folgenden Beispielen. Bei Rauschbrand wirkt nach Arloing,
Cornevin und Thomas ') die intravenöse Injektion immunisierend, während
dieselben Dosen unter die Haut gebracht einen tötlichen Effekt bedingen.
Wahrscheinlich ist das so zu erklären, dass diese Bakterien im Blute
1) Le charbon symptomatique. Paris 87; vgl. auch Kitt, C. 1. 23 ff.
Kruse, Krankheitserregung. 357
überhaupt nicht zu wachsen vermögen, weil sie anaerobie sind und nur
durch ihre Stoffwechselprodukte wirken (s. Nr. 6 weiter unten). Viel-
leicht verhält es sich ähnlich mit der Impfung gegen Hundswut. Die
HAFFKiNE'sche Schutzimpfung gegen Cholera, die auf subkutaner Ein-
verleibung von Cholerakulturen beruht und praktisch gewisse Resultate
gezeitigt zu haben scheint, gehört ebenfalls hierher (vgl. Haeekine,
Bull, medic. 92. 67, B. M. 95 u. Kolle, C. 19. 4/5).
3. Ein Virus, das erst in grösseren Mengen ein Tier tötet, kann
demselben, in kleinerer Dosis verimpft, Immunität verschaffen, aber
nur, wenn die letztere imstande ist, eine örtliche Erkrankung hervor-
zurufen. Abloing-, Cornevin und Thomas1) bewiesen das nach dem
Vorgange von Chauveau für den Rauschbrand. Andere Beispiele
dafür bieten die Infektionen mit Mäuseseptikämie und Schweinerotlauf
(Emmerich u. Mastbaum, A. 12), mit Pneumoniekokken bei Kaninchen
(Kruse u. Pansini, Z. 11), mit Typhus-, Cholerabakterien u. s. w. (vgl.
oben D).
4. Pasteur entdeckte 1880 das grundlegende Prinzip, dass ab-
geschwächte Mikroorganismen gegen ein stärkeres Virus immuni-
sieren (CR. 90). Für Hühnercholera, Milzbrand und Schweinerotlauf, sowie
die Hundswut fanden er und seine Mitarbeiter nicht nur die Mittel zur Ab-
schwächung (s. unt. E S. 300 ff.), sondern auch praktisch brauchbare Impf-
methoden, die allerdings in der Folge einigermassen modifiziert wurden
(vgl. Bd. II). Arloing, Cornevin und Thomas thaten dasselbe für den
Rauschbrand, und zahlreiche Autoren haben für andere Infektionen die
Giltigkeit desPASTEURschen Prinzips nachgewiesen, so für Streptokokken,
Pneumokokken, die ganze Gruppe der hämorrhagischen Septikämie, Typhus,
malignes Ödem, Cholera u. s. w. Die Abschwächung darf übrigens
nicht so weit gehen, dass die betreffenden Bakterien überhaupt nicht
mehr wachstumsfähig im Tier sind, sondern eine örtliche Vermehrung
derselben ist zum Erfolge notwendig. Wo ohne die letztere dennoch
ein Impfschutz erreicht wird, da handelt es sich nicht mehr um die
Wirkung der lebenden Bakterien, sondern um deren Stoffwechsel-
produkte (s. unter Nr. 6).
Die JENNER'sche Kuhpockenimpfung gegen Variola ist wahrschein-
lich als Wirkung abgeschwächter Variolakeime anzusehen (s. oben S. 304)
5. Als eine Art Abschwächung im Tierkörper selbst ist die
Beeinflussung, die virulente Bakterien durch gleichzeitige lokale oder
allgemeine Behandlung des Tieres mit chemischen Stoffen verschiedener
Art (Antisepticis, normalem Blutserum u. s. w.; s. unter K) oder mit
anderen Bakterien (s. unter F) erleiden. Das genannte Verfahren führt,
1) Le charbon symptomatique. Paris 87; vgl. auch Kitt, C. 1. 23 ff.
358 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
wenn die Infektionserreger überhaupt zu einem lokalen Wachstum ge-
langen, sehr häufig zu spezifischer Immunität (vgl. Pansini, Zi. 12. 426).
6. Auch ohne die Mitwirkung lebender Mikroorganismen lässt
sich eine spezifische Immunität gegen die letzteren erzielen, indem man
ihre Stoffwechselprodukte dem Körper einverleibt. Chauveatj
hatte die Anschauung, dass die Bakterien überhaupt nur durch lösliche
Stoffe in den Stand gesetzt würden, eine immunisierende Wirkung aus-
zuüben, schon seit 1880 vertreten und den Beweis durch die Thatsache
zu erbringen gesucht (P. 88. 2), dass die Jungen von gegen Milzbrand
immunisierten Schafen sich ebenfalls gegenüber dieser Infektion refraktär
erwiesen, ohne dass doch die Bacillen selbst von dem Muttertier auf
die Embryonen übergegangen wären. Der direkte Beweis wurde zuerst
von Salmon u. Smith (C. 2. 18) geliefert, die durch ein- oder mehr-
malige Einverleibung von bei 60° sterilisierten Bouillonkulturen des
Hogcholerabacillus Tauben gegen letzteren immunisierten. Chakrin (C.
R. 105. 756) konnte in ähnlicher Weise — und zwar durch Anwendung
von gekochten oder nitrierten Kulturen des Pyocyaneus die Resistenz
von Kaninchen gegen die nachfolgende Infektion vermehren. Fol und
Bonome (Z. 5. 415) schützten Tiere durch Filtrate von Kulturen des
Proteus vulgaris, des Hühnercholerabacillus und Diplokokkus der
Pneumonie gegen die betreffenden Erreger. Roux und Chambeeland
(P. 87. 12) sowie Roux (P. 88. 2) gelang es, durch sehr grosse
Dosen (ca. 100 ccm) von durch Kochen sterilisierten Kulturen von
malignem Odem und Rauschbrand, die in verschiedenen Sitz-
ungen eingespritzt wurden, Meerschweinchen gegen die virulenten
Bacillen zu immunisieren; 10 mal geringere Mengen waren nötig, wenn
die durch Porzellan filtrierte Odemfiüssigkeit infizierter Tiere zur Impfung
benutzt wurde. Grösseren Schwierigkeiten begegneten die Versuche,
auf chemischem Wege Schutz gegen Milzbrand zu verleihen. Die Mög-
lichkeit davon erwiesen Roux und Chambeeland (P. 88. 8), indem sie
Hammel durch Milzbrandblut, das 40 Minuten auf 55° erhitzt wurde,
immunisierten. Aber da durch diese und ähnliche Methoden eine
sichere Abtötung der Bacillen nicht immer gelingt, ist die chemische
Vaccination gegen Milzbrand nicht gerade zu empfehlen. Auch die
Filtration von Milzbrandblut und die Darstellung von Extrakten aus
demselben führte nicht zum Ziel. Glücklicher war Peteemann (P. 92),
der durch Injektion grosser Mengen von filtrierter Serumkultur Immu-
nität von 1 — 2 Monaten Dauer erzielte. Auch Aeloing untersuchte (C. R.
114. 1421) die Kulturen von Milzbrandbacillen auf ihre „phylakogene"
Substanz und konnte allerdings, indem er dieselben sedimentieren Hess
und so die gelösten Stoffwechselprodukte rein gewann, durch die letzteren
Lämmer gegen Milzbrand immunisieren. Wooldeidge erreichte das-
Kruse, Krankheitserregung. 35g
selbe, wenn er die Milzbrandbacillen auf Thymus- und Hodenauszügen
züchtete und die filtrierte Kulturflüssigkeit injizierte. Der Filterrück-
stand war dagegen unwirksam. Hankin (B. M. 90) sowie dieser
Autor in Verbindung mit Wesbeook (P. 92) wollen unter bestimmten
Versuchsbedingungen, nämlich bei Innehaltung einer Temperatur von
20° sowie bei Kultivierung in Fleischextraktlösung mit Fibrinzusatz
oder in reiner Peptonlösung, eine „Alburnose" gewonnen haben, der ein
gewisses Schutzvermögen gegen die Infektion zukam. Andererseits
haben Kruse und Bonaduce durch die abgetöteten Leiber der Milz-
brandbacillen Meerschweinchen gegen Milzbrand geschützt (Zi. 12. 3),
aber auch diese Methode war nicht zuverlässig.
Die Zahl der Beispiele, welche die Möglichkeit der chemischen
Immunisierung beweisen, könnte leicht vermehrt werden. Es giebt
kaum eine Infektion, wo sie nicht versucht und mehr oder weniger ge-
lungen wäre: sogar gegen Tuberkulose wollen Heeicouet u. Richet
(S. B. 90) sowie Couemont u. Doe (S. 90. 52) durch filtrierte oder er-
hitzte Kulturen Impfschutz erzielt haben, und R. Koch (C. 8. 572) hat
in seiner ersten Mitteilung über das Tuberkulin die erhöhte Resistenz
der damit vorbehandelten Meerschweinchen behauptet.
Die vaccinierenden Substanzen sind in ihren chemischen Eigenschaften
nur sehr unvollkommen bekannt; nach den Angaben in der Litteratur
müsste man schliessen, däss dieselben bald mehr, bald weniger empfind-
lich gegen Erhitzung sind, aber im allgemeinen Temperaturen von 60°
eine Zeit lang, manchmal solche von 100 und 120° ertragen. Wir
haben sie oben zu den Stoffwechselprodukten der Bakterien gezählt,
indem wir zu den letzteren alle Substanzen rechnen, die während des
Stoffwechsels der Bakterienzelle — mag dieselbe leben oder im Ab-
sterben begriffen oder tot sein — aus der Zelle ausgeschieden werden.
Schon aus den oben mitgeteilten Daten ist zu ersehen, dass sie in den
Kulturflüssigkeiten bald wesentlich in Lösung befindlich sind, bald noch
innerhalb der Bakterienleiber stecken. Am reichlichsten scheint die
Bildung dieser Stoffe in dem natürlichen Kultursubstrat, im tierischen
Körper, vor sich zu gehen. Aus dem letzteren sind sie auch manchmal
durch Extraktion gewonnen worden, z. B. von Kruse u. Pansini (Z.
11. 357), die das Blut von an Pneumokokken gestorbenen Kaninchen
aus der Leiche in Alkohol übertrugen, den Niederschlag trockneten,
mit Glycerin auszogen und diesen Extrakt mit Erfolg als Impfstoff
benutzten. Abgesehen von der „Albumose" Hankin's ist hier noch das
Präparat Fol u. Caebone's (Gazzetta medica di Torino 91. 1 u. 15)
und der Gebr. Klempeeee (B. 91. 34/35) zu erwähnen, das durch Fällung
mit schwefelsaurem Ammon oder Alkohol aus Bouillonkulturen des
Pneumokokkus gewonnen und als Vaccin erprobt wurde. Impfstoffe
3(30 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
gegen Hogcholera — ein Ptomain und eine Albumose (Sucholotoxin
und Sucholoalbumin) — sowie gegen Swineplague (Suplagotoxin und
Suplagoalbumin) stellte v. Schweinitz aus Kulturen (r: J. 91. 192)
her. Ob das spezifische Substanzen waren, ruuss zweifelhaft bleiben,
zuuial da eine synthetische Darstellung derselben gelungen sein soll.
Wassermann (Z. 14) immunisierte ferner mit einem Stoff, den er aus
auf 70—80° erhitzten Cholerabouillonkulturen durch Alkoholfällung
erhalten hatte.
7. Wenn die Gewebe des infizierten Körpers oder Extrakte daraus
zur Immunisierung Verwendung finden, so bedingt das gegenüber der
Benutzung von ausserhalb des Körpers in künstlichen Kulturen ge-
bildeten Produkten des Infektionserregers keinen wesentlichen quali-
tativen, höchstens einen quantitativen Unterschied. Anders ist es, wenn
Bestandteile des gesunden, fertig immunisierten Organismus
als Impfmaterial dienen. Die Möglichkeit dieses Prinzips wurde zuerst
von Raynaud (C. R. 84) im Jahre 1877 ausgesprochen und durch ein
Experiment bestätigt, in dem das Blut eines gegen Kuhpocken vacci-
nierten Kalbes (250 ccm) ein zweites gegen die Vaccineeruption schützte.
Nach mehr als einem Jahrzehnt wurde dieselbe Idee, wie es scheint,
unabhängig von Raynaud und fast gleichzeitig von mehreren Forschern
verfolgt. Hericourt und Richet (S. 88. 427) machten zunächst die
Beobachtung, dass Hunde, die mit septischen Staphylokokken geimpft
wurden, wenn sie vorher mit Blut von anderen Hunden, die eine
Staphylokokkeninfektion überstanden hatten, behandelt waren, sich
resistent zeigten, im Gegensatz zu den Kontrolltieren, die Blut von
normalen Hunden bekommen hatten. Dann glückte Babes und Lepp
(P. 89. 7) die Immunisierung gegen die Hundswut mit Hilfe des Blutes
von Tieren, die schon künstlich gegen diese Infektion immunisiert
waren. Aber erst Behring's Befunde bei der Diphtherie (D. 90. 50)
und die gemeinschaftlich mit Kitasato beim Tetanus gemachten (D. 90.
49) haben den Anstoss zu weiteren Untersuchungen gegeben, die den
Satz, dass das Blutserum spezifisch immunisierter Tiere einen
Schutz gegen die betreffende Infektion verleiht, für eine
ganze Anzahl von Fällen begründet haben. Es soll das zutreffen für
Diphtherie- und Tetanusbacillen (vgl. unter II S. 368 ff.), für Staphylo-
kokken (Courmont, S. 94. 62; Viquerat, Z. 18. 3), für Pneumoniekokken
(Fol u. Carbone, Gazz. med. di Torino. 91. 1. u. Ri. 91. 256; Emmerich
u. Fowitzky, M. 91. 32; G. u. F. Klemperer, B. 91. 34/35; Arkharow,
E. A. 92. 4; Pansini, Zi. 12. 3; Issaefe, P. 93. 3), für Streptokokken
(Mironofe, A. E. 93. 4; Roger, S. 95. 11; Marmorek, P. 95. 7 u. 96. 1),
Schweinerotlauf und Mäuseseptikämie (Emmerich u. Mastbaum, A. 12
F. Klemperer, B. 92. 13; Lorenz, r: J. 92. 134), bei Hogcholera
Kruse, Krankheitserregung. 361
(Metschnikoff P. 92. 5; v. Schweinitz, r: C. 16. 18), Hühnercholera
(Kitt, r: C. 14. 869),' bei Friedländer's Bacillus (F. Klemperer, B.
92. 13), hei Typhus (Brieger, Kitasato u. Wassermann, Z. 12; Stern,
D. 92. 37. u. Z. 16. 3; Chantemesse u. Widal, P. 92. 11; E. Neisser,
Z. M. 23; R. Pfeiffer u. Kolle, Z. 21. 2), Cholera (Lazarus, B. 92.
44; Klemperer, B. 92. 39 u. 50; Pfeiffer u. Wassermann, Z. 14;
Sobernheim, Z. 14; Pawlowsky u. Buchstab, D. 93. 22; Fedoroff,
Z. 15; Metschnikoff, P. 93. 5; Issaeff, Z. 16; Pfeiffer u. Issaeff,
Z. 17; Pfeiffer, Z. 16. 18. u. 19; Kolle, C. 19. 4/5), Vibrio Metschni-
koffii (Metschnikoff, P. 91. 8; Sanarelli, P. 93; Pfeiffer u. Issaeff,
Pfeiffer a. a. 0.), bei Milzbrand (Marchoux, P. 95. 11; Sclavo, C. 18.
24), bei Pest (Yersin, P. 95. 7), bei Tuberkulose (Hericourt u. Richet,
C. R. 114; Boinet, S.95. 35; Maragliano, B. 95. 32), um von anderen In-
fektionen, Syphilis, Hundswut, Vaccine, Maul- und Klauenseuche, Brust-
seuche der Pferde u. s. w. nicht zu reden. Wenn auch manche von diesen
Angaben noch der Bestätigung bedürfen, so spricht doch alles dafür,
dass dem obigen Satze allgemeine Geltung zukommt. Besonders ver-
dient hervorgehoben zu werden, dass das schützende Blutserum auch
einer anderen Spezies angehören kann. So wurde gerade das Serum
von Menschen, die natürliche Infektionen an Typhus, Cholera u. a.
durchgemacht hatten, gegenüber Tieren besonders wirksam gefunden.
Die vaccinierenden Stoffe des Blutserums sind zwar bisher nur un-
vollkommen bekannt, doch sind bezüglich derselben einige Thatsachen
sichergestellt, die sie von anderen Substanzen unterscheiden und trennen
lassen. Nach R. Pfeiffer (Z. 19. 1) verliert z. B. Choleraserum seine
schützende Kraft durch 20 stündige Erhitzung auf 60° nicht, obwohl
eine Abnahme seines Wertes nicht zu verkennen ist; einstündiges Er-
wärmen auf 70° vernichtet seine Wirksamkeit bis auf einen kleinen
Rest, Aufkochen zerstört sie selbst in Verdünnungen, bei welchen die
Koagulation des Serumeiweisses ausbleibt. Zusatz von \ % Carbol-
säure schädigt das Serum gar nicht, bei gewöhnlicher Temperatur kann
dasselbe Monate lang aufbewahrt werden, selbst Fäulnis verringert
seinen Wert nur unbedeutend. Die Darstellung der wirksamen „Anti-
körper" aus dem Serum ist bisher noch wenig in Angriff genommen,
sie wird aber wohl in derselben Weise möglich sein, wie beim Tetanus-
und Diphtherieserum (s. unter II S. 368 ff.). Es sei erwähnt, dass nach
Emmerich u.. Tsuboi (XI. Kongr. f. innere Med. 92) das Rotlaufserum die
wirksame Substanz an das Albumin gebunden enthalten soll(„Immuntoxin-
protein"). Vorläufig genügt für alle Schutzversuche das Serum, wie
es ist; haben doch schon kleine Dosen oft sehr erhebliche Wirkungen:
so schützten z. B. nach Lazarus, Wassermann und R. Pfeiffer wenige
Milligramm des Serums von Cholerarekonvalescenten gegen die Meer-
362 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
schweinchencholera, und Pfeiffer (Z. 19. 78) hat neuerdings von
immunisierten Meerschweinchen ein Serum erhalten von dem Titer
V2 mgr, d. h. diese Dosis war imstande, ein Meerschweinchen von
200 gr Gewicht gegen eine gleichzeitig eingespritzte maximale (d. b.
noch nicht durch Vergiftung tötliche) Menge von in 1 ccm Bouillon
verteilten Cholerabakterien (2 mgr Agarkultur) zu schützen. Das Ver-
hältnis der schützenden Gabe des Heilserums zum Gewicht des Meer-
schweinchens war also 1 : 400000! Wie hat man sich nun die Wirk-
samkeit solchen Serums vorzustellen? Zunächst sind zwei Modi scharf
zu unterscheiden: bei der grossen Mehrzahl der Infektionen bewirkt
das Schutzserum nur eine Hemmung des Wachstums der Infektions-
erreger im Tierkörper, bei Tetanus und Diphtherie tritt hingegen
dieser Einfluss zurück hinter dem ausgesprochenen antitoxischen
Effekt (s. unter II). Den Mangel eines antitoxischen Vermögens des
immunisierten Körpers resp. Serums haben Gamaleia (P. 89) für den
Vibrio Metschnikoff und die Cholera, Selander für Hogcholera (P. 90),
Charrin für den Pyocyaneus (S. B. 90), Metschnikoff für Vibrio
Metschnikoff und Hogcholera (P. 91. 8 u. 92. 5), Chantemesse u.
Widal (P. 92. 11) sowie R. Pfeiffer u. Kolle (Z. 21. 2) für Typhus,
Pfeiffer u. Wassermann (Z. 14) für Cholera asiatica nachgewiesen.
Die von Klemperer u. A. gegebene Erklärung, dass die Wirksamkeit
des Pneumokokken-, Choleraserums u. s. w. auf ihrem Gehalt an an-
titoxischen Stoffen beruhe, ist also nicht zulässig. Ebenso steht es
mit der Ansicht von Roger (S.B. 90), der gestützt auf Versuche mit Kulturen
von Erysipelkokken in Erysipelserum eine abschwächende Wirkung
desselben auf die virulenten Kokken annahm. Metschnikoff (a.a.O.) hat
durch Trennung des Serums von den Bakterien mittelst Filtration darge-
legt, dass der abgeschwächte Effekt, den eine solche Serumkultur gegen-
über einer Kultur in normalem Serum ausübt, auf dem Einfluss des gleich-
zeitig eingespritzten Schutzserums beruht. Auch dasjenige Moment, das
nach den Untersuchungen vouBehringu. Nissen (Z. 8), Kruse u. Pansini
(Z. 11) und Pfeiffer (Z. 18. S. 2) eine gewisse Bedeutung zu haben schien,
nämlich die unmittelbare antiseptische Wirkung des Serums
von immunisierten Tieren auf die betreffenden Infektionserreger (Vibrio
Metschnikoff, Pneumokokken, Choleraspirillen) hat sich als nicht ge-
nügend herausgestellt, um die starken Effekte der spezifischen Serum-
arten zu verursachen. Es bleibt danach, wie Kruse (Zi. 12. 3) aus-
einandergesetzt hat, nichts übrig, als nur folgende Erklärung: Verfasser
glaubt die Schutzkraft des Serums in einem „antily tischen" Ver-
mögen desselben zu finden, d. h. in der durch das Serum bewirkten
Neutralisation der „lytischen" oder Angriffsstoffe der virulenten Bakterien,
die danach in dem mit Serum behandelten Organismus in gleicher
Kruse, Krankheitserregung. 363
Weise erliegen, wie nicht virulente Bakterien im nicht geschützten
Tier. Diese Anschauung des Verfassers ist durch die neuesten Resultate
von R. Pfeiffer u. A. gestützt worden, wir werden unter P auf die
Frage der Antilysine zurückkommen.
Ausser dem Blutserum kommen auch anderen Bestandteilen des
immunisierten Körpers Impfwirkungen zu, so haben Emmerich u.
Mastbatjm ihren „Heilsaft" durch Auspressen aus den gesammelten
Organen, Muskeln und Fett, und nachträgliches Filtrieren gewonnen.
Die Mitbeteiligung des Blutes an dem Effekt ist natürlich dadurch
nicht ausgeschlossen. Die Wirksamkeit der Milch ist zuerst durch
Ehrlich's Untersuchungen (Z. 12) für Intoxikationskrankheiten (Ricin,
Abrin, Tetanus) gefunden, dann aber auch bei echten Infektionen be-
stätigt worden (vgl. unter M). Die Beteiligung der Organe an der
Produktion impftüchtiger Substanzen hat Centanni (D. 93. 44/45) für
die Hundswut erwiesen, indem er dieselben nach gründlichem Aus-
waschen des Blutes aus den Gefässen mit Kochsalzlösung immunisierten
Tieren entnahm und als Impfstoff verwandte. Dabei stellte es sich
heraus, dass bei dieser Krankheit die Immunität am Blute und am
centralen Nervensystem haftet, nicht dagegen an Leber, Niere, Milz
und Muskeln.
Eine Übersicht über die 7 aufgeführten Immunisierungsmethoden
ergiebt, dass gegen eine und dieselbe Infektion die verschiedensten
Verfahren anwendbar sind und dass es nur sehr wenig Infektionen
giebt, gegen die uns keine Mittel, die Immunität zu erreichen, bekannt
sind. Dazu gehört bisher die Gonorrhoe, das Rückfallfieber (vgl. Löffler,
M. G. 1.166 — 168), die Influenza; die letztere wohl nur, weil sie bisher
zu wenig studiert ist. Die spezifische Immunisierung gegen Tuberkulose
kann noch nicht als sicher betrachtet werden (vgl. Bd. II); gegen Rotz hat
bisher nur Straf/s (C. R. 108. 550) und zwar bei Hunden Immunität
erzielt. Was die übrigen Infektionen anlangt, so ist der Grad des
künstlich erreichbaren Impfschutzes gegen sie ausserordentlich ver-
schieden, je nach der Art der Vorbehandlung. In dem einen Fall führt
diese, in dem anderen Fall jene Methode zum Ziel, häufig ist eine Kom-
bination mehrerer Methoden vom besten Erfolge begleitet. Im allge-
meinen ist die Immunisierung von Tieren, die schon natürlicherweise
einen gewissen Grad von Unempfänglichkeit besitzen, schwerer als die
von empfänglichen Tieren, aber auch bei fast refraktären Tieren
kann durch richtige Behandlung ein Zustand von künstlicher Immunität
erzielt werden, der sich durch das Blutserum weiter übertragen lässt
und als spezifisch erweist (vgl. F. Klemperer, A. P. 31).
Die Immunität gegen ein bestimmtes Virus gilt gewöhnlich für
den ganzen Körper. Auch die oberflächlichsten Teile desselben, selbst
364 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
die an dem Stoffwechsel des Körpers sich nur in geringem Grade be-
teiligende Kornea unterliegen demselben Gesetz, so hat z. B. Löffler
(M. G. 1) für die Mäuseseptikämie festgestellt, dass einerseits durch
Impfung in die Kornea eine allgemeine Immunität bedingt, anderer-
seits auch nach Impfung am Ohr die Kornea selbst, freilich etwas später
als die übrigen Körperteile, unempfänglich wurde. Vielleicht macht
die innere Darmoberfläche eine Ausnahme von der Regel, wenigstens
haben verschiedene Untersucher Tiere , die gegen Cholera immunisiert
waren, vom Darmkanal aus mit Erfolg infizieren können (Pfeiffer
u. Wassermann, Z. 14; Metschnikoff , P. 93. 5). Auch berichten
Koch, Gaffky und Löffler (M. G. 2), dass Rinder durch Immunisierung
von der Haut aus nicht sicher gegen Darm - Milzbrand — die natür-
liche Art der Infektion — zu schützen wären. Ahnlich ging es Smith
mit den Bacillen der Hogcholera (r: J. 91. 193). Indessen liegt hier
die Möglichheit vor, dass die Immunisierung nicht weit genug getrieben
worden ist. Die Ergebnisse der PASTEUR'schen Schutzimpfung gegen
Milzbrand sind jedenfalls im grossen recht günstig ausgefallen.
Ein grundlegender Unterschied besteht zwischen den ersten sechs
Impfverfahren und dem siebenten (Serumschutzimpfung). Die Behand-
lung nach den ersten Methoden erfordert immer eine gewisse Zeit, die
Immunität wird um so stärker, je länger die Behandlung dauert und je
energischer sie ist; durch Einverleibung von Schutzserum tritt umgekehrt
die Unempfänglichkeit fast momentan ein und ist um grösser, je grösser
die eingeimpfte Serummenge. Offenbar müssen im ersteren Falle die Sub-
stanzen, auf denen der immune Zustand beruht, erst gebildet werden, wäh-
rend sie im zweiten Fall fertig zur Wirkung kommen. Darum hat man wohl
mit Ehrlich (Z. 12) die erste Art der Immunisierung die aktive,
die zweite die passive genannt. Dieser Name rechtfertigt sich
noch mehr, wenn man das Zustandekommen beider Prozesse näher ver-
folgt. Die langsame Bildung der Immunität im Körper geschieht augen-
scheinlich unter aktiver Beteiligung des Organismus, deren
inneres Wesen wir zwar noch nicht verstehen, die wir aber, wie im
Anfang dieses Abschnittes betont wurde, als eine Art Verteidigung des
Organismus gegen die infektiösen Mikroorganismen auffassen müssen.
Diese Reaktion äussert sich in lokalen Erscheinungen an der Impf-
stelle, in Fieber und anderen Störungen des Allgemeinbefindens. In
vielen Fällen sind gerade die Erhöhung der Eigenwärme, die Gewichts-
abnahme des Körpers so hervortretend, dass wir diese Symptome als
Massstab für den Verlauf des Immunisierungsprozesses benutzen können.
Als praktische Regel, um eine Summierung der krankhaften Symptome
und damit einen ungünstigen Verlauf der Immunisierung zu vermeiden,
verdient festgehalten zu werden, dass man eine neue Impfung zur
Kruse, Krankheitserregung. 365
Steigerung der Immunität oder Probeimpfungen zur Feststellung des
Immunitätsgrades nicht eher vornehmen soll, ehe nicht die genannten
Reaktionserscheinungen völlig verschwunden sind.
Die Zeit, die dazu erforderlich ist, schwankt natürlich je nach der Art
der Infektion und je nach der Kraft und Menge des Impfstoffes („Vaccins").
Manche bevorzugen kleine Impfungen, die nur schwache Reaktionen
erregen, Andere wieder stärkere mit intensiveren Allgemeinerscheinungen.
Der Endeffekt wird im allgemeinen bei länger fortgesetzter, systematischer
Behandlung im Verhältnis stehen zu der im ganzen verbrauchten
Menge des Impfstoffes, er wird schliesslich gemessen durch die Dosis
des wirksamen Virus, die von dem Impfling noch vertragen wird. Bei
dieser Auffassung der Impfreaktion darf nicht übersehen werden, dass
sicher ein Teil derselben nicht der Immunität zugute kommt, sondern
anzusehen ist als störende Nebenwirkung, die durch giftige Produkte
des Vaccins bedingt wird. Es ist das besonders bei derjenigen Impf-
methode der Fall, die sich kleinerer Dosen virulenten Materials bedient,
weniger bei Verwendung eines abgeschwächten lebenden oder keimfreien
Impfstoffes.
Einige Beispiele werden den zeitlichen Verlauf der Immunisierung
beleuchten und zugleich zeigen, wie das Auftreten der Schutzwirkung
im Blutserum sich zu dem Grade der Immunität des Tieres selbst
verhält. Nach Issaeff (Z. 16. 303) ist die Resistenz des durch eine
einmalige intraperitoneale Injektion von Cholerakultur immmunisierten
Meerschweinchens am höchsten 24 Stunden1) nach der Impfung, das
Blutserum desselben besitzt dann noch keine spezifische Schutzwirkung.
Die Immunität des Tieres sinkt von da an langsam, die Schutzwirkung
des Serums tritt erst nach 7 Tagen in geringem Grade, nach 14 Tagen
sehr intensiv hervor. Nach 28 Tagen hat die Immunität des Meer-
schweinchens schon ziemlich abgenommen, sein Serum beginnt jetzt
auch weniger wirksam zu werden. Schliesslich überdauert die Immunität
des Tieres noch die Schutzwirkung des Serums, die nach Monaten
völlig verschwunden ist. Bei stärkerer Immunisierung von Meer-
schweinchen liegen die Verhältnisse ähnlich, nur bleibt das Schutz-
vermögen des Serums länger erhalten, ist aber auch hier spurlos ver-
schwunden, wenn der Organismus selbst noch stark resistent ist (vgl.
Z. 17. 395/396). Auch beim Menschen, der eine Cholerainfektion über-
standen hat, entwickeln sich die schützenden Eigenschaften seines Blut-
serums erst allmählich, und zwar treten sie nicht eher deutlich hervor
1) Bei den meisten anderen Infektionen pflegt mehr Zeit (Tage bis Wochen)
zu verfliessen, bis das Maximum der Immunität erreicht ist. Von dem Orte der
Einverleibung des Impfstoffes hängt viel ab.
366 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
als im Anfang der dritten Woche der Erkrankung; von der vierten bis
sechsten Woche ist seine spezifische Wirkung am stärksten, drei Monate
nach der Erkrankung ist sie wieder verloren gegangen, ohne dass man
deswegen annehmen müsste, dass auch der Mensch selbst seine Immuni-
tät schon eingebüsst hätte (s. Issaeff, Z. 16. 316). Noch klarer liegen
die Immunitätsverhältnisse bei der Hundswut dank den Untersuchungen
von Centanni (D. 93. 44/45). Dieser Autor hat den schützenden Wert
des Blutserums und des Nervensystems (s. o. S. 363) von gegen Wut
vaccinierten Kaninchen an andern Kaninchen durch subkutane Injektion
erprobt und dabei gefunden, dass am Schluss der 12 Tage dauernden
Vaccination das Blut beginnt, eine schützende Wirkung zu zeigen,
während das Nervensystem unwirksam ist, dass 14 Tage nachher beide
Substanzen gleich gut schützen, nach weiteren 4 Wochen und Monate
lang später nur die Nervenmasse noch immunisiert. Die Resistenz
der vaccinierten Tiere selbst ist am Ende der Vaccination noch nicht
ausgesprochen und tritt erst hervor, wenn das Nervensystem seine
Schutzkraft gewonnen hat. Diese Versuche Centanni's sind für das
Verständnis des Zustandekommens der spezifischen Immunität ausser-
ordentlich lehrreich; es wäre zu wünschen, dass man sie in ähnlicher
Weise für andere Infektionen wiederholte. Freilich wissen wir noch
bei keiner der letzteren, wo sich die schützende Substanz ausserhalb
des Blutes anhäuft. Jedenfalls ist durch diese und viele andere Experi-
mente der praktisch sehr wichtige Satz begründet, dass der Grad der
spezifischen Immunität eines Tieres durchaus nicht in jedem
Momente der Schutzkraft seines Blutserums entspricht.
Was die passive Immunität angeht, so sprechen alle Erfahrungen
dafür, dass dieselbe ihren höchsten Grad unmittelbar nach der Ein-
verleibung, z. B. des Serums, erreicht und von da an ziemlich schnell
abnimmt, so dass sich die passive von der aktiven Immunität, auch bei
ursprünglich bestehender gleicher Intensität, durch ihre geringere
Dauerhaftigkeit unterscheidet. Eine Übertragung von dem ersten
geschützten Tier auf ein zweites ist möglich, aber die Schutzkraft
vermindert sich in dem Masse, wie die ursprüngliche Serumdosis
durch die ganze unwirksame Serummenge des ersten Tieres ver-
dünnt wird. Eine Vermehrung des Impfstoffes etwa durch reaktive
Thätigkeit der Gewebe des ersten Tieres findet dabei nicht statt
(s. Pfeiffer, Z. IS. 13) und ebensowenig bei fortgesetzter Übertragung,
die nur zu einem immer vollständigeren Verlust der Impfkraft führt.
Bei einmaliger Einspritzung grosser Serummengen tritt sicherlich eine
schnelle Ausscheidung der vaccinierenden Substanz durch die Sekrete
ein, z. B. auch durch die Milch. Es wäre aber möglich, dass bei
häufig wiederholter Darreichung kleiner Mengen doch schliesslich eine
Kruse, Krankheitserregung. 367
Art Absorption des spezifischen Stoffes durch die Organe erreichbar
wäre und damit ein Zustand, der sich von der fertigen, auf aktivem
Wege gewonnenen Immunität dann vielleicht durch nichts unter-
scheiden Hesse.
Da die präventiven Stoffe im Serum des immunisierten Tieres fertig
gebildet existieren, liegt es nahe, dasselbe zu Heilzwecken zu verwenden.
In der Thatist das vonverschiedenenExperimentatorenmit günstigemEr-
folge versucht worden, z. B. gegen Pneumokokken, Streptokokken, Typhus-
und Cholerabacillen (Litt. S. 360/61). Es lässt sich denken, dass die dazu
nötige Dosis Serum eine bedeutend grössere sein muss, da die
virulenten Bakterien sich vor der Behandlung natürlich im Körper
üppig vermehren. Wenn man einige Stunden nach der Infektion ein-
greift, dann kann man allerdings noch einen Rückgang des Prozesses
beobachten, darüber hinaus sind aber bisher keine guten Resultate
erzielt worden. Zum Teil liegt das daran, dass trotz einer die Bakterien-
wucherung hemmenden Serumeinspritzung der Tod eintritt, weil die
schon gebildeten Gifstoffe nicht unschädlich gemacht werden können
(Cholera). Auch beim Menschen ist mit dieser spezifischen Behandlung
schon ein Anfang gemacht worden (Klemperer u. A.), aber mit durch-
aus ungenügenden Mengen oder mit Serum von unzureichender Wirk-
samkeit. Es ist gerade beim Menschen a priori ein besserer
Erfolg zu erwarten, als beim Tier, weil die menschlichen In-
fektionen im allgemeinen langsamer und nicht so schwer verlaufen,
d. h. nicht zur Septikämie führen. Was die Bekämpfung der Intoxi-
kation anlangt, die bei der bisher üblichen Methode der Heilserum-
gewinnung nicht mit Aussicht auf Erfolg versucht werden kann, so be-
rechtigen die Erfahrungen, die mit der Behandlung von anderen Bak-
terienvergiftungen gemacht sind, vielleicht zu der Hoffnung, dass auch
hier ähnliche Mittel gefunden werden können (s. unter II).
Andere spezifische Verfahren zur Heilung von Infektionen kommen
gegenüber derHeilserumtherapie nur in geringerem Masse in Betracht,
da wir bis jetzt keine Substanzen kennen, die mit augenblicklicher
Wirksamkeit eine so völlige Unschädlichkeit verbinden, wie das Serum
immunisierter Tiere.
Die Möglichkeit, auf anderem Wege Heilung zu erzielen, soll da-
durch nicht geleugnet werden. Die Resultate, die G. u. F. Klemperer
(B. 92. 421 u. Z. M. 20) durch Behandlung von Mäusen und Kaninchen
mit bei 60° sterilisierten Kulturen von Pneumokokken erhalten haben,
lauten allerdings nicht sehr ermutigend. In etwas anderer Weise ab-
geschwächte und sterilisierte Kulturen hat E. Fränkel zur Behand-
lung des Typhus verwendet (D. 93. 41). Die hier benutzten Methoden
scheinen uns nicht gerade geeignet, heilkräftige Substanzen zu liefern,
368 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
eher könnte man vielleicht zum Ziel kommen, wenn man sich mit
Kruse und Bonaduce (Zi. 12. 368) des extravasculären Blutserums von
Tieren zur Umwandlung der Lysine in Antilysine bediente. Die künst-
liche Erzeugung von Antitoxinen aus Kulturen mit Hilfe der Elektrizität
könnte zu ähnlichen Versuchen auffordern (s. unten).
Ob das Tuberkulin als spezifisch es Heilmittel betrachtet werden
kann, ist nach den vorliegenden Untersuchungen sehr zweifelhaft; jeden-
falls wirkt es in ganz anderer Weise, als spezifisches Blutserum, und
ähnlich wie andere Bakterienextrakte (S. 352).
IL Giftimmunität.
Die Thatsache, dass eine Gewöhnung an Gift möglich ist,
war schon den Alten und ist auch unzivilisierten Völkern bekannt.
Es betrifft das sowohl pflanzliche, wie tierische Gifte, und zwar solche
von einfacher und komplizierter Konstitution. 1) über den Vorgang,
der dabei im Organismus stattfindet, wissen wir nichts. Erst neuer-
dings haben Untersuchungen von Ehrlich (D. 91. 32. u. 44 u. Z. 12)
über einige spezielle Vergiftungen Licht verbreitet. Der genannte Autor
konnte Tiere gegen Ricin, Abrin und Robin, eiweissartige Pflanzen-
gifte, durch subkutane Injektion oder Verfütterung steigender Mengen,
oder auch durch wiederholte Darreichung kleinster Mengen allmählich
festigen, so dass sie der allgemeinen und lokalen Anwendung sehr
grosser Dosen desselben Mittels schliesslich widerstanden. Dabei stellte
es sich heraus, dass sich bei den behandelten Tieren eine antitoxische
Fähigkeit des Blutserums, die sich sowohl im Reagensglas, als bei
Vorbehandlung im tierischen Körper zeigte, mit der eintretenden Gift-
immunität zugleich entwickelte. Calmette, Phisalix u. Bertrand
(P. 92. 94. 95) haben für das Schlangengift ähnliche Verhältnisse fest-
gestellt. Dass auch eine Festigung gegen Fermente, wie Emulsin u. a.,
möglich ist, hat Hildebrandt (V. 121 u. 131, M. 94. 15) gezeigt, ohne
freilich ein antifermentatives Verhalten des Blutserums nachzuweisen.
Bevor diese interessanten Entdeckungen gemacht waren, hatten
schon die Bemühungen, gegen Bakteriengifte zu schützen, begonnen.
Den ersten gelungenen Versuch haben Fol und Bonome (Z. 5. 419) ge-
macht, indem sie Kaninchen durch eine Einspritzung von filtrierter
Proteuskultur gegen eine wenige Tage darauf erfolgende neue Injektion
einer tötlichen Dosis desselben Filtrats festigten. Die Autoren wiesen
auf die Möglichkeit hin, dass der wirksame Stoff hierbei das Neurin
sei. Vielleicht erklärt sich die Immunität, die Fol und Bonome auch
gegen lebende Proteuskulturen, durch kleinere Dosen von lebenden
1) S. Kobert, Intoxikationen. Stuttgart 93. S. 151.
Kruse, Krankheitserregung. 369
Kulturen oder Filtraten oder Neurin erzielten, durch diese Giftgewöhnung.
Viel weiter geht dieser Prozess bei der Tuberkulindarreichung.
Namentlich tuberkulöse Kranke, die auf wenige Milligramm stark
reagieren, werden schliesslich unempfindlich gegen die viel 100 fache
Menge (R. Koch, D. 90. 46 a). Die Erklärung für diese Giftgewöhnung
ist zwar vielfach versucht, aber noch nicht gelungen (vgl. Klein,
r: C. 14. 224; Matthes, C. M. 95. 385).
Im wesentlichen auch als eine „Giftfestigung" anzusehen ist die
Immunisierung gegenTetanus undDiphtherie. Die erstere gelingt
auf verschiedene Weise. Kitasato (Z. 10) hat nach dem Vorgange
von Behring Kaninchen, die mit Tetanuskulturfiltrat geimpft waren,
durch gleichzeitige örtliche Behandlung mit 1 proz. Jodtrichloridlösung
vor dem Tode zu retten vermocht und durch weitere Injektion vonFiltrat
oder lebender Kultur stärker immunisiert. Durch vorherige Vermischung
des Giftes mit verschiedenen Mengen Jodtrichlorid lassen sich nach
Behring (Z. 12) Impfflüssigkeiten gewinnen, die bei allmählichem
tibergang von den schwächeren zu den stärkeren schliesslich eine solide
Immunität verleihen. Roux und Vaillaed (P. 93) wählten statt des
Jodtrichlorids mit günstigem Erfolge Jod-Jodkaliumlösung. Andere Arten
der Abschwächung des Giftes, z.B. durch Erhitzung auf 50 — 65°(Vaillard,
P. 92. 224; Brieger u. Cohn, Z. 15. 440) oder durch giftzerstörende Chemi-
kalien wie Chlorwasser, Carbolsäure (Tizzoni u. Cattani, Ri. 91. 183/4),
führen bei Ziegen, Kaninchen und Meerschweinchen auch zur Giftfestigung.
Mit Hilfe eines Thymusextraktes, das Tetanuskulturen zugemischt und
mit ihm tagelang in Berührung gelassen wurde, haben Brieger,
Kitasato u. Wassermann (Z.12), sowie Brieger u. Ehrlich (D. 92. 18)
einen Impfstoff hergestellt, der kleinere und grosse Versuchstiere ver-
hältnismässig leicht immunisierte. Es bedeutet das eine Giftabschwächung
durch Zellsubstanzen. Die Säfte immunisierter Tiere, z. B. das Blut-
serum von Hunden (Tizzoni u. Cattani, Ri. 91. 183/4) wirken im leben-
den Körper empfänglicher Tiere ähnlich auf das Tetanusgift und ge-
statten einen gewissen Grad von Giftfestigkeit zu erreichen. Die Dar-
reichung des unveränderten Giftes in allmählich steigender Dosis ist
nach Kitasato und Behring bei Mäusen nicht imstande, eine Gift-
festigung zu bewirken; dagegen erreicht man dieses Ziel nach
Behring u. Vaillard (P. 92) allerdings durch sehr vorsichtiges Vor-
gehen bei Kaninchen und auch bei Ziegen (Brieger u. Cohn, Z. 15;
Brieger, Z. 19). Ist dagegen die Immunität einmal durch
irgend ein Verfahren gefestigt, so kann dieselbe durch ge-
steigerte Giftdosen immer mehr erhöht werden, ein Prinzip,
das dann auqh bei den Immunisierungen im grossen Stil ausgebreitete
Verwendung findet. Von Natur wenig gegen Tetanus empfindliche
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 24
370 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Tiere, Hunde und Tauben, gelingt es nach Tizzoni und Cattani (Ri.
91. 10) durch vollkräftiges Gift zu immunisieren. Auch durch lebende
Tetanuskeime, die er mit Milchsäure zusammen in geringer, nicht
tötlicher Menge Kaninchen subkutan beibrachte, hat Vaillaed (P. 92.
229) Immunität erzeugt.
Die Immunisierung gegen Diphtherie vollzieht sich in ähnlicher
Weise (C. Fränkel, B. 90. 49; Behring, D. 90. 50; Behring und
Wernicke, Z. 12; Wernicke, A. 18; Brieger, Kitas ato u. Wasser-
mann, Z. 12; Aronsohn, B. 93. 26 und 94. 18; Roux u. Martin, P. 94. 9);
sie ist von Behring u. Wernicke auch durch Verfütterung des Giftes
erreicht worden.
Das Resultat der Immunisierung ist, dass die geimpften Tiere den
lebenden oder sterilisierten, aber giftigen Kulturen des Tetanus- und
Diphtheriebacillus widerstehen. Über allen Zweifel erhaben und am
deutlichsten hervortretend ist die errungene Giftfestigkeit, die, wie
wir gesehen haben, den gegen andere Bakterien vaccinierten Tieren zu
fehlen scheint (S. 362). Daneben mag in gewissem Grade eine echte, gegen
die lebenden Bakterien gerichtete Immunität bestehen. Wenigstens
könnte man das aus den Experimenten Roux u. Martins, die bei
immunisierten Tieren oft kein Wachstum der in die Trachea eingeführten
Diphtheriebacillen beobachteten, während es bei den Kontrolltieren
ausnahmslos auftrat, schliessen. Indessen betonen alle Beobachter,
dass die antibakterielle Wirkung bei den immunisierten Tieren, z. B.
bei der gewöhnlichen Infektion unter die Haut, sehr gering sein muss,
da lebende Bakterien sich in den lokalen Herden bei diesen Tieren
noch lange nach überstandener Krankheit nachweisen lassen. Das Tier-
experiment ist übrigens zur sicheren Entscheidung dieser Frage wenig
geeignet, da sowohl Tetanus- als Diphtheriebacillen in unseren Versuchs-
tieren nur spärlich wachsen. Anders liegt die Sache bei der mensch-
lichen Diphtherie und gerade hier wird behauptet, dass durch künst-
liche Immunisierung die Entwicklung jeder lokalen Affektion, also
wohl auch jede Bacillenentwicklung, hintangehalten werden kann. Die
Giftfestigkeit bezieht sich sowohl auf die allgemeinen als auf die lokalen
Vergiftungssymptome, die bei der Diphtherie ja sehr erheblich sind.
Den beschriebenen Immunisierungsmethoden, die man als aktive (vgl.
S.364) bezeichnen kann, steht die passive Immunisierung durch Übertra-
gung von Blutserum gefestigter Tiere gegenüber. Die Entdeckung dieser
Methode durch Behring im Verein mit Kitasato (D. 90. 49/50) ist
es, die den Anstoss zu den neuesten prophylaktischen und therapeutischen
Bestrebungen in der Medizin gegeben hat. Dass Impfschutz und Heilung
hier auf derselben Grundlage beruhen, haben die genannten Autoren
sofort erkannt, im Serum haben wir eben das fertige Material zur
Kruse, Krankheilserregung. 37 \
Bekämpfung der spezifischen Vergiftung. Das grundlegende Experiment
ist folgendes: Das wirksame Blutserum wird in verschiedenem Ver-
hältnis zu der Giftlösung zugesetzt und dann Versuchstieren (z. B. für
Tetanus Mäusen, für Diphtherie Meerschweinchen) injiziert. Bei einer
gewissen Proportion zwischen Gift und Serum sieht man weder einen
Lokaleffekt noch ein allgemeines Vergiftungssymptom auftreten, bei un-
günstigerem Verhältnis tritt beides auf, aber es erfolgt doch noch
Heilung; wenn man noch weiter mit dem Serumzusatz heruntergeht, wird
der Tod blos hinausgeschoben, und schliesslich erkennt man überhaupt
keine Beeinflussung des Prozesses. Im ungünstigen Fall tritt der Tod
ein; ein Serumüberschuss wird dagegen anstandslos ertragen. Das
Serum erweist sich wirksam immer proportional den gleichzeitig ein-
gespritzten Giftmengen.
Die Sache wird etwas anders, wenn man das Serum nicht im
Reagensglase mit dem Gifte mischt, sondern jedes für sich injiziert.
Auch dann ist ein Effekt zweifellos vorhanden, er vollzieht sich aber
in anderen Verhältnissen, je nach der Injektionsstelle, nach der Menge
des Giftes und nach dem Zeitunterschiede zwischen den beiden In-
jektionen. Werden beide Flüssigkeiten an verschiedenen Stellen der
Haut gleichzeitig eingespritzt, so muss schon eine verhältnismässig
grössere Dosis Serum genommen werden; wird das letztere intraperi-
toneal eingespritzt, so verschiebt sich das Verhältnis wieder zu Gunsten
des Serums. Bei Steigerung der Giftmenge muss die Serumdosis
verhältnismässig höher gewählt worden, namentlich beim Tetanus.
Wird das Serum vor dem Gifte injiziert, so bedarf man geringerer,
im umgekehrten Falle sehr viel grösserer Dosen: der Immunisie-
rungswert des Serums ist also sehr viel höher als sein Heil-
wert. Bei der Diphtherie des Meerschweinchens ist z. B. nach Behring
und Weenicke die geringste Dosis Serum nötig bei Einspritzung
24 Stunden vor der Infektion, die 1 */2 — 2fache Dosis sofort nach der
Infektion, die dreifache 8 Stunden nachher, die 8 fache nach 24 — 36
Stunden. Beim Tetanus wird das Verhältnis für die Seruminjektion
erheblich ungünstiger, je später sie erfolgt. Nach Behring (Heilserum-
therapie. Leipzig 92. IL S. 20) beträgt die Heildosis im Momente der
allerersten Tetanussymptome (bei minimaler Giftmenge) das 1000-
fache der zur Immunisierung nötigen Dosis, wenige Stunden später
schon das 10000 fache u. s. w. Aus diesen Zahlen erklärt es sich
denn, dass die praktischen Erfolge der Heilserumtherapie
günstigere sind bei der Diphtherie als beim Tetanus. Bei
letzterem kommt noch in Betracht, dass die natürliche Infektion nicht
durch das fertige Gift, sondern durch Sporen geschieht, die zu ver-
schiedenen Zeiten auswachsen und also auch noch nach siegreicher Be-
24*
372 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
kämpfung der ersten Symptome ein neues Aufflackern des Krankheits-
prozesses bedingen können. Die letzten experimentellen Resultate
bezüglich der Bekämpfung des Tetanus sind dementsprechend wenig
glücklich ausgefallen (Roux u. Vaillard, P. 93. 2 und Beck, Z. 19).
Je nach der Höhe der Giftfestigkeit des Tieres, von dem das Serum
stammt, ist seine Wirkung natürlich verschieden. Man berechnet den
Titer desselben in folgender Weise: Für Tetanus giebt man an, wie
viel Serum im Verhältnis zum Körpergewicht einer Maus hinreicht,
um dieselbe 24 Stunden vor der Impfung mit der Minimaldosis des
Giftes vor dem Tetanustode zu bewahren; das von Roux und Vaillard
erreichte Maximum war 1 : 100 Millionen, d. h. 1 ccm des betreffenden
Serums genügte, um 100000 Kilogramm Mäuse oder etwa 5 Millionen
Mäuse zu schützen. Bei der Diphtherie bezeichnet man als Normal-
serum oder Serum mit dem Werte einer Immunisierungseinheit das-
jenige, das in einer Menge von 0,1 ccm mit der 10 fachen tötlichen
Minimaldosis Diphtheriegift vermischt Meerschweinchen von 200 bis
300 gr vor jeder Erkrankung schützt. Ehrlich, Kossel und Wasser-
mann berichten z. B. von einem 60 fachen Normalserum (D. 94. 16).
Wie hat man sich nun die Wirkung des Serums vorzustellen? Nach
dem Ausfall des Experiments im Reagensglase liegt es am nächsten
anzunehmen, dass das Gift durch den wirksamen Bestandteil ■ — das
„Antitoxin" — des Serums zerstört oder neutralisiert wird. Gegen diese
Auffassung sind neuerdings Zweifel erhoben worden, die Berücksich-
tigung verdienen. Buchner (M. 93. 25 und 94. 24; B. 94. 4) hat durch
die gleiche Dosis derselben Tetanustoxin-Antitoxinmischungen, die für
Mäuse fast unschädlich waren, die absolut weniger empfänglichen Meer-
schweinchen zum grossen Teil tetanisch machen können. In ähnlicher
Weise haben Diphtheriegift- Antitoxinmischungen, die bei Meerschwein-
chen nicht einmal einen Lokaleffekt hervorrufen, nach Roux u. Martin
(P. 94. 623) bei Kaninchen ein örtliches Ödem zur Folge. Nach den-
selben Autoren reagieren sogar Meerschweinchen, je nachdem sie mit
anderen Bakterien (Cholera, Prodigiosus etc.) vorbehandelt sind oder
nicht, auf solche Mischungen in verschiedener Art (vgl. auch Roux,
P. 94. 723 ff.). Es ist daraus zu schliessen, das das Antitoxin nicht das
Gift, mit dem es in Berührung kommt, zerstört, sondern dass beide
intakt neben einander existieren und nur durch ihre verschiedenen
Wirkungen auf den Organismus — also wohl auf die Körperzellen —
sich gegenseitig neutralisieren (vgl. Centanni, D. 93 und Buchner,
M. 94. 38).
Die Bildung des Antitoxins im Körper erfolgt auf aktivem Wege
(vgl. S. 364), durch Reaktion desselben auf das abgeschwächte oder
intakte Gift. Einige Autoren haben geglaubt eine besondere gift-
Kruse, Krankheitserregung. 373
festigende Substanz neben dem Gift unterscheiden zu müssen (C.Fränkel,
Brieger, Kitasato und Wassermann (B. 90. 50, Z. 12). Die Ver-
bältnisse bei der Immunisierung gegen Ricin, Abrin u. s. w. (S. 368),
sowie die Thatsacbe, dass die Hochtreibung der Immunität gegen
Diphtherie und Tetanus am besten mit den bakterienfreien Gift-
lösungen gelingt, sprechen wohl dagegen. Auf den Eintritt der Re-
aktion legen alle Autoren, die sich mit diesen Fragen beschäftigt
haben, einen grossen Wert, manche halten sogar das Fieber für ein
wesentliches Element bei der Giftfestigung und scheuen seine Be-
kämpfung (Behring und Casper bei Behring, Heilserumtherapie. 92.11).
Die antitoxische Wirkung des Serums tritt erst einige Zeit nach dem
Beginn der Immunisierung hervor und steigt dann entsprechend der
Behandlung. Wird dieselbe ausgesetzt, so sinkt die Wertigkeit des
Serums durch Ausscheidung mittelst der Sekrete recht schnell und
kann auf ein Minimum herabgehen, während die Resistenz des Tieres
selbst oft lange auf einer sehr hohen Stufe bleibt, z. B. nach Roux
und Vaillard bei einem Tetanus-Pferde 2 Jahre. Also auch hier
besteht der Satz, dass zwischen Immunität und Schutzkraft des
Blutserums kein notwendiger Zusammenhang besteht. Nach
jeder Gifteinspritzung sinkt gewöhnlich die Wertigkeit des Serums
etwas, um danach über das frühere Niveau zu steigen; selbst einen
völligen Verlust der Schutzkraft und sogar giftige Eigenschaften hat
Behring nach sehr grossen Giftdosen gesehen, ohne dass die Tiere
erlagen. Man sollte denken, dass durch reichliche Aderlässe der Vor-
rat des Blutes an Antitoxinen geschwächt würde. Roux und Vaillard
stellen das bestimmt in Abrede und behaupten, dass das dadurch aus-
geschiedene Antitoxin sofort ersetzt würde. Wie das geschehen kann,
ist vorläufig nicht einzusehen, da wir Ablagerungsstätten des Schutz-
stoffes ausserhalb des Blutes bisher nicht kennen. Bei daraufhin ge-
richteten Untersuchungen haben Tizzoni und Cattani (Ri. 91. 10 und
183/184) sowie Roux und Vaillard in anderen Organen nur geringere
oder gar keine Antitoxinmengen gefunden. Die Frage muss aber be-
sonders in Anbetracht der oben citierten Resultate Centanni's beim
gegen Hundswut immunisierten Tier (s. S. 366) noch offen gelassen
werden.
Sehr merkwürdig ist und ebenfalls noch der Erklärung harrt die
Erscheinung der "Überempfindlichkeit der behandelten Tiere.
Behring (D. 93. 48) und Wladimiroee (Z. 15) haben bei grösseren
Versuchstieren manchmal gefunden, dass dieselben auf die Einverleibung
von Giftmengen stärker und stärker reagierten und schliesslich zu
Grunde gingen, obwohl ihr Blutserum steigende Mengen Antitoxins
aufwies.
374 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Wird die Giftfestigkeit auf passivem Wege durch Serum über-
tragen, so nimmt sie, wie zu erwarten, von diesem Momente an ab.
Es findet dabei eine Ausscheidung wie bei der aktiven Immunität durch
die Sekrete, Urin, Speichel, Milch, statt.
Der Antitoxingehalt der Milch immunisierter Tiere giebt ein gutes
Mittel ab, ohne Schwierigkeit grössere Mengen des Schutzstoffes zu
gewinnen. Natürlich ist der relative Gehalt an demselben gegenüber
dem Blutserum geringer, nach Ehrlich u. Wassermann (Z. 18)
15 — 30 mal; trotzdem ist die gesamte Antitoxinmenge, die in der Milch
spontan ausgeschieden wird, etwa gleich derjenigen, die man, ohne das
Tier zu schädigen, durch Aderlässe erhalten kann.
Die wirksamen Substanzen, die Antitoxine, sind aus Serum sowohl
wie aus Milch, allerdings meist mit ziemlichen Verlusten, auf ähnlichem
Wege dargestellt worden wie die Gifte (Behring, Heilserumtherapie.
I. u. II; Ehrlich u. Brieger, Z. 13; Brieger u. Cohn, Z. 15;
Brieger, Z. 19. 1 u. 2 1. 2 ; Wassermann, Z. 18. 2 ; Aronsohn,B. 93. 26 ; Tizzoni
u. Cattani, Ri. 91. 102 u. B. 94. 3); sie unterscheiden sich von letzteren
durch ihre grössere Widerstandsfähigkeit gegenüber der Hitze und
Fäulnis, durch ihre unbeschränkte Konservierbarkeit. Die Angaben der
einzelnen Autoren sind übrigens nicht immer in Übereinstimmung mit
einander. Die Eiweissreaktionen, welche diese Stoffe bei ihrer ersten
Darstellung zeigten, traten um so mehr zurück, je besser die Reinigung
gelang. Neuerdings ist versucht worden, die Antitoxine künstlich aus den
Giften zu erzeugen; es soll das nach Smirnow (B. 94. 30 u. 95. 30) und
Krüger (D. 95. 21) durch den elektrischen Strom geschehen. Schon
durch einfache Erhitzung auf 65° hat man gewisse Erfolge gesehen
(Behring u. Knorr, Krüger). Die Möglichkeit, so zum Ziele zu
kommen, kann nicht bestritten werden, vielleicht nimmt man besser
tierische Säfte ausserhalb des lebenden Körpers zu Hilfe. Die Art,
wie im Körper des gänzlich gegen Tetanus immunen Huhnes nach
Einspritzung grosser Giftmengen ohne irgend welche Reaktion Anti-
toxinmengen entstehen (Vaillard, P. 92), lässt fast an eine einfache
chemische Reaktion denken. Der Beweis, dass Antitoxin aus dem
Gift selbst hervorgeht, würde am sichersten geliefert sein, wenn es
glückte das erstere in das letztere zurückzuverwandeln.
Für andere Infektionen ist die Bildung von antitoxischen Sub-
stanzen in irgendwie erheblichen Grade bei den üblichen Methoden der
Immunisierung noch nicht nachgewiesen worden (s. o. S. 362 ff.)1), es
1) Die Untersuchungen Bitter's über die Giftfestigung gegen das Typhusgift
(Z. 12) lehren zwar, dass eine gewisse Giftresistenz bei Kaninchen zu erreichen
ist, der Enderfolg ist aber schliesslich recht wenig befriedigend; die Gabe, die die
behandelten Tiere noch vertragen, ist wenig höher als die tötliche Dosis für
Kruse, Krankheitserregung. 375
darf indessen die Möglichkeit, dass auch dieses Resultat noch zu erreichen
ist, nicht geleugnet werden. Dass der Therapie dadurch bei allen In-
fektionskrankheiten genützt würde, ist unzweifelhaft; dieser Weg wäre
dann um so mehr zu beschreiten, wenn sich der andere, durch „ana-
lytisches" Serum die Entwicklung der Bakterienvermehrung zu hemmen
(S. 360 — 363), als ungangbar erweisen sollte.
M. Ausscheidung der Infektionserreger und ihrer Produkte.
Die Ausscheidung der Infektionserreger und ihrer Produkte aus
dem Körper ist entweder eine unmittelbare, oder wird durch die
Sekretionsorgane vermittelt. Das erstere trifft zu bei allen oberfläch-
lichen Entzündungen der Haut und namentlich der Schleimhäute
(Katarrhe) und bei Ulcerationsprozessen. Diese Entfernung der Krank-
heitserreger, ebenso wie der von ihnen gebildeten giftigen Produkte
auf vorgebildeten oder neu entstandenen Wegen ist insofern nütz-
lich, als Sekret- und Eiterstauungen die Gefahr der Krankheit ver-
mehren. Die Entleerung von grösseren Eiteransammlungen durch
natürliche oder künstliche Eröffnung nach einer inneren oder äusseren
Oberfläche ist sogar die Vorbedingung zur Heilung. Andererseits giebt
in sehr vielen Fällen die Ausscheidung von Bakterien noch durchaus
keine Gewähr für den glücklichen Ausgang der Krankheit. Die wirk-
samen Erreger haften eben fest im Gewebe und können ihr schädliches
Treiben dort fortsetzen. Unter Umständen können sogar die aus-
geschiedenen Bakterien auf ihrem Wege nach aussen noch Schaden
anstiften, eine Thatsache, die besonders häufig bei tuberkulösen Affektionen
beobachtet wird. So schliesst sich an eine phthisische Erkrankung der
Lunge häufig eine solche des Larynx, der Tonsillen und des Darms;
an die tuberkulöse Nephritis eine tuberkulöse Cystitis. Immer bildet
die Entfernung der Krankheitserreger aus dem kranken
Körper für die gesunde Umgebung des letzteren eine Gefahr.
Bei denjenigen Prozessen, die sich tiefer im Gewebe abspielen,
und in viel geringerem Grade bei den oberflächlichen besteht die Mög-
lichkeit der Ausscheidung auf dem Umwege über das Blut durch die
normale Tiere. Auch Stern's Versuche (Z. 16) sprechen für eine antitoxische
Wirkung des Typhusserums, ohne jedoch dessen Stärke zu bestimmen (vgl.
Betjmer u. Peiper, Z. M. 28). R. Pfeiffer u. Kolle haben neuerdings (Z. 21. 2)
das Fehlen eines wesentlichen antitoxischen Vermögens im Typhus-Serum festgestellt.
NachREiCHEL (r: C. 10. 4) können Versuchstiere gegen die Produkte des Staphylo-
kokkus pyogenes immunisiert werden, bis zu welchem Grade, wird nicht mitgeteilt;
die Immunität soll übrigens nur einige Wochen dauern. Ein Urteil über die neuesten
Resultate von Behring u. Ransom bezüglich der Choleragiftfestigung (D. 95. 29)
ist noch nicht gestattet (vgl. R. Pfeiffer, Z. 20).
376 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
secernierenden Epithelien. Die Resorption von gelösten Stoffen (Bak-
terienprodukten) vom Infektionsherde aus ist leicht zu beweisen, die
allgemeinen Vergiftungssymptome, die auch bei lokalen und oberfläch-
lichen Infektionsvorgängen selten ganz fehlen, erklären sich ja daraus.
Aber auch die Bakterien selbst werden in das Blut resorbiert, eine
Erfahrung, die man bei fast allen — auch den lokalisierten — Krank-
heiten, deren Erreger bekannt sind, mit der Zeit gemacht hat. Die
Thatsache, dass sich die letzteren im Blute finden, spricht durchaus
nicht gegen die rein örtliche Natur des betreffenden Leidens, denn die
Aufnahme ins Blut erfolgt auf mechanischem Wege und die resorbierten
Mikroorganismen brauchen in diesen Fällen nicht die Fähigkeit zu haben,
sich innerhalb der Gefässe zu vermehren. Dem entspricht ihre gewöhnlich
sehr kleine Anzahl, die durch mikroskopische Untersuchung des Blutes
kaum festzustellen ist, sondern nur durch Kultur oder Verimpfung
grösserer Blutmengen. Mit der örtlichen Ausdehnung und derMultiplizität
derBakterienherde wächst natürlich die Zahl der resorbierten Keime. Die
Art und Weise, wie dieselben ins Blut übergeführt werden, ist nicht
über allen Zweifel erhaben. Es wäre möglich 1. ein passives Durch-
treten der Bakterien durch die Stomata der Blutgefässe, was nur denk-
bar wäre, wenn unter dem Einfluss des Exsudats der Druck im Gewebe
grösser wäre als in den Gefässen; 2. die Verschleppung der Bakterien
ins Blut durch Einwanderung von Leukocyten, die mit ihnen beladen
sind; 3. ein Durchwachsen der Mikroorganismen durch die Gefässwand;
4. die Passage derselben durch die zwischen die Lymphbahn und das
Blutgefässsystem eingeschalteten Lymphdrüsen und zwar wieder a) auf
rein passivem Wege, b) mit Hilfe von wandernden Leukocyten, c) nach
aktivem Durchwachsen dieser Organe. Welche dieser Möglichkeiten
im einzelnen Falle der Wirklichkeit entspricht, ist vorläufig nicht immer
zu sagen. Die Thatsachen, die über Staubresorption bekannt sind1), ge-
nügen offenbar nicht zur Erklärung für pathologische (bakterielle) Ver-
hältnisse.
Die ins Blut gelangten Bakterien können unter Umständen nach
aussen befördert werden, dafür sprechen schon die Ergebnisse, die bei
Injektion von nicht organisierten feinsten Körperchen in das Gefäss-
system erhalten worden sind (vgl. Siebel, V. 104). Dieselben werden
in den Kapillaren, besonders einiger Organe, nämlich der Leber, Milz,
Lunge und des Knochenmarks fixiert und gelangen von da teils frei,
teils in Wanderzellen eingeschlossen in die umgebenden Gewebe. Hier
werden sie entweder im Bindegewebe abgelagert, oder gelangen in die
1) s. vollständige Litteratur bei Weintraud, Untersuchungen über Kohlen-
staubmetastase. Strassburger medizinische Dissertation. 1889.
Kruse, Krankheitserregung. 377
Lymphbahnen und Lymphdrüsen, oder sie treten in die Sekrete über
(Galle), oder dringen durch das Epithel an die Oberfläche der Organe
(Lungenalveolen, Tonsille, vielleicht auch der follikulären Darmapparate).
Auch auf eiternden Wundflächen sollen sie austreten, in den Harn
dagegen nicht übergehen. In den Fällen, wo die Bakterien nicht am
Ort ihrer Ablagerung zu wachsen vermögen und keine pathologische Ver-
änderungen erzeugen, werden sie sich im grossen und ganzen ähnlich
verhalten, wie andere kleinste Körperchen. Sehen wir, was .in dieser
Beziehung die Befunde am Menschen und Tier ergeben!
Die ersten systematischen Versuche rühren von Wtssokowitsch
(Z. 1. 1) her, sie führten zu dem Resultate, dass eine Ausscheidung von
Bakterien auch bei Anwesenheit grosser Mengen im Blut durch die
Nieren und den Darm normalerweise nicht stattfände, wohl aber, wenn
die betreffenden Organe der Sitz pathologischer Veränderungen (Blu-
tungen, Eiterungen etc.), würden, z. B. in den letzten Stadien des Milz-
brands, bei der Bildung von Staphylokokkenherden in der Niere,
bei den Darm stark beeinflussenden Bakterien (aus der Gruppe des
Bac. aerogenes u. coli) ').
Im wesentlichen wurden die Ergebnisse Wtssokowitsch's von den
folgenden Untersuchern bestätigt. So fanden Teambusti und Maffucci
(r: J. 86) die Niere für Milzbrand durchgängig, nur in seltenen Fällen
für Typhus. Sheeeington (J. P. 93) sah nur in 21 von 86 Fällen,
die Bakterien aller Art betrafen, einen Übergang derselben in den
Harn. Eine regelmässige Ausscheidung durch die Nieren wird dadurch
sicher widerlegt. Wenn andere Beobachter öfter positive Resultate
bekamen, so z. B. Philipowicz (J. 85) bei Menschen oder Tieren, die
an Milzbrand, Tuberkulose, Rotz und Streptokokkenaffektionen gestorben
waren, Peenice und Scagliosi (Ri. 92. 97 — 98) bei Infektionen ver-
schiedener Art, so sind hier die Veränderungen des Organs offenbar —
die beiden letzten Autoren geben das auch zu — daran schuld. Schweizee
(V. 110) hat für den positiven Befund von Bakterien im Harn, den er
bei Einspritzung eines fluorescierenden Mikroorganismus ins Blut er-
hoben, als Grund angegeben, dass nach seinen Versuchen auch Karmin-
körnchen die Glomeruli passierten. Bezüglich des Vorkommens von
Staphylokokken und Streptokokken im Urin, das von einer ganzen
Reihe von Autoren erwähnt wird (Longaed, J. 86; Nannotti u,Bacciochi,
Ri. 92, 186; Sittmann, A. M. 53), kommt einerseits in Betracht, dass die
genannten Bakterien nachweislich häufig Nierenläsionen verursachen,
1) Die Entzündung soll, wie Latis an der Kornea und am Mesenterium bei
Milzbrand beobachtete , neben der Auswanderung von Leukocyten auch die von
Bacillen ermöglichen (Zi. 10).
378 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
andererseits dieselben auch im normalen Urin nicht selten gefunden
worden sind. Über die Häufigkeit von Nierenerkrankungen bei In-
fektionen berichten Ribbert (D. 89. 39) und Faulhaber (Zi. 10).
In der Galle haben Trambusti und Maffucci die Typhusbacillen
regelmässig, Milzbrandbacillen selten, Pernice und Scagliosi die ge-
prüften Bakterien fast immer, Sherrington die verschiedenen Arten
in 18 von 49 Fällen, Bernabei (Accad. med. Rom. 90) Diplokokken
und Rotzbacillen niemals, Milzbrand selten, Büffelseuchebakterien und
Friedländer'sche Bacillen gewöhnlich konstatiert.
Der Übergang in den Darminhalt findet nach Emmerich und
Buchner (A. 3.) bei dem B. coli und dem Choleraspirillum, die den
Darm nachweislich schädigen, statt, eine Thatsache, die seitdem häufig
genug bestätigt worden ist, freilich nicht in dem Umfange, wie die
genannten Autoren angaben. Bernabei hat ähnliches bei Milzbrand, den
Pneumoniediplokokken und Büffelseuchebakterien beobachtet.
Die Frage, ob die Brustdrüse für pathogene Keime durchgängig
ist, hat ein grosses Interesse, weil die Milch als Nahrungsmittel aus-
gedehnteste Verwendung findet. Festgestellt ist durch eine grosse
Reihe von Versuchen, dass auch bei vollständig normaler Beschaffen-
heit dieser Drüse Tuberkelbacillen aus dem Körper in ihr Sekret über-
gehen können, z. B. nach Hirschberger (A. M. 44) in 55 % der Fälle
bei tuberkulösen Kühen. Man hätte danach allen Grund, das gleiche
für andere Bakterien anzunehmen. Fol und Bordoni-Uffreduzzi (Z. 4)
sowie Bozzolo (r: J. 91) haben Pneumokokken, Gaffkt und Paak (A.
G. 4), Basenau (A. 23. 1) Bacillen der Fleischvergiftung ebenfalls in
der Milch wiedergefunden, der letztere Autor sogar in einer Zahl, welche
die Menge der in derselben Quantität des Blutes vorhandenen Keime
übertraf. Man kann sich hier des Gedankens nicht erwehren, dass
sich innerhalb des Sekrets selbst eine Vervielfältigung der aus dem
Blute übergetretenen Mikroorganismen geltend gemacht habe. Auch
die Ergebnisse von zahlreichen Untersuchungen, die bezüglich des Vor-
kommens von Staphylokokken und Streptokokken in der Milch kranker
Wöchnerinnen angestellt worden sind (Escherich, Longard, Karlinski,
Eiselsberg), lassen an der Auslegung, wie sie von diesen Autoren gegeben
worden ist, einen Zweifel zu; denn Kontrollexperimente von Cohn und
Neumann (V. 126), Honigmann (Z. 14), Ringel (M. 93. 27) und Palleske
(V. 130) haben bei gesunden Frauen zu ganz ähnlichen Befunden ge-
führt. Die Einwanderung von den Ausführungsgängen der Brustdrüse
her, die Ausscheidung aus dem Blut in die Milch und die Vermehrung
der Bakterien in derselben sind jedenfalls Faktoren, deren Einfluss man
nicht leicht auseinanderhalten kann.
Dieselbe Quelle der Täuschung besteht bei der Untersuchung eines
Kruse, Krankheitserregung. 379
anderen Sekrets, des Schweisses, auf Staphylokokken. Darum werden
wohl nicht alle Befunde dieser Mikroorganismen, die von v. Eiselseerg
(B. 91. 23), TizzoNi(Ri.91. 100), F. Gärtner (C. Gy.91.40) und Brttnner
(B. 91. 21) herrühren, durch eine wirkliche Ausscheidung aus dem Blute
zu erklären sein. Die Möglichkeit einer solchen hat der letztere Autor
freilich dadurch bewiesen, dass er nach reichlicher Injektion von Milz-
brand und Prodigiosus ins Blut am Rüssel eines Schweines durch
Pilokarpin und an der Pfote einer Katze durch Ischiadicusreizung
Schweiss erzeugte und in demselben die leicht kenntlichen Bakterien
wiederfand.
Fast alle Schleimhäute sollen nach Pernice und Scagliosi für
die Mikroorganismen vom Blute aus durchgängig sein (Ri. 92.97 — 98) und
auch in die serösen Höhlen sollen sie übergehen können. Smirnow
(r: J. 89) hat bei Infektionskrankheiten des Menschen, in denen die Ge-
lenke intakt waren, dennoch manchmal in der Synovial flüssigkeit
Pneumo-, Strepto-, Staphylokokken undTyphusbacillen entdecken können.
Erwähnung verdient an dieser Stelle die bekannte Thatsache, dass das '
Hundswutgift in dem Speichel in reichlichster Menge erscheint. Aller
Wahrscheinlichkeit nach beruht das auf einer Lokalisation des Virus in
dieser Drüse. Den Übergang selbst von Prodigiosus aus dem Blut in
den Speichel hat übrigens Brunner beobachtet.
Aus dieser Übersicht über die bisherigen Forschungen ergiebt sich,
dass bei keiner Infektion, selbst nicht bei den echten Septikämien,
eine regelmässige und reichliche Ausscheidung der Er-
reger durch die Sekretionsorgane stattfindet, so lange die
letzteren nicht selbst Sitz von krankhaften Störungen werden. . Anderer-
seits scheinen alle Drüsen auch bei vollständig gesunder Beschaffen-
heit für Bakterien, die auf dem Blutwege an sie herantreten, nicht
völlig undurchdringlich zu sein. Die Inkonstanz dieses Durchtritts und
die geringe Zahl der durchtretenden Mikroorganismen, die meist nur
durch die Kultur oder das Tierexperiment nachweisbar sind, erklären es
wohl hinreichend, dass von den Autoren, die sich mit der Ausschei-
dung lebloser kleinster Körperchen beschäftigt haben, der Harn fast
stets frei gefunden worden ist. Über andere Sekrete, wie die Milch,
den Schweiss, liegen in dieser Beziehung keine Beobachtungen vor.
Andererseits fehlen Untersuchungen über die Ausscheidung von Bak-
terien durch die Lunge *) und die Tonsillen. Fast möchte es scheinen,
1) Die negativen Resultate, die Stratts und Dttbreuilh (C. R. 104) bezüglich
der Ausscheidung von Bakterien durch die Atmungsluft gewonnen haben, ge-
nügen natürlich nicht, um den Durchtritt von Bakterien von den Lungenkapillaren
in die Alveolen auszuschliessen.
380 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
als ob manche Mikroorganismen für diese, andere für jene Ausschei-
dungen eine gewisse Vorliebe hätten. Die vorliegenden Thatsachen
genügen noch nicht, um darüber bestimmte Sätze zu formulieren.
In jedem Falle ist die Bakterienausscheidung durch die natür-
lichen Sekrete nicht als ein Moment zu betrachten, das für die Heilung
von Infektionen von Bedeutung ist. Die Versuche vieler Autoren mit
unbelebten Staubkörperchen, diejenigen Wyssoko witsch' s mit lebenden
Mikroorganismen lehren, dass die Menge der Elemente, die durch die
Sekretionen aus dem Körper entfernt werden, in gar keinem Verhältnis
zu derjenigen steht, die in ihm zurückbleibt. Gerade diejenige Organe,
in denen die Ablagerung hauptsächlich eintritt, die Milz, das Knochen-
mark, haben überhaupt nicht die Möglichkeit zur Ausscheidung; sie ver-
fügen dagegen über andere Mittel, um die Fremdkörper unschädlich zu
machen (s. unt. P). Die schon oben erwähnte Gefahr, dass die Krank-
heitserreger auf dem Wege nach aussen noch Unheil anstiften und
draussen angelangt die Umgebung des Kranken vielfachen Infektions-
möglichkeiten aussetzen, steht andererseits ausser allem Zweifel.
Die Entfernung von gelösten Produkten schädlicher Natur aus dem
kranken Körper mit Hilfe der Ausscheidungen ist dagegen ohne Ein-
schränkung als ein wichtiges Hilfsmittel zur Heilung anzusehen. Es
betrifft das sowohl die eigentlichen Gifte der Infektionserreger als die-
jenigen Zerfallsprodukte, die aus dem imFieber gesteigerten Stoffwechsel
des Organismus selbst hervorgehen. In erster Linie kommen unter den
Sekretionsorganen die Nieren in Betracht. Die Giftigkeit des Urins
in Krankheiten ist ein Kapitel, das von vielen Seiten behandelt worden
ist. Leider entsprechen diesem Verhältnis die gewonnenen Kenntnisse
noch wenig. Wenn man vom Tetanus- und Diphtheriegift absieht,
deren Existenz im Harn mehrfach nachgewiesen ist, sind sonst wohl
charakterisierte und spezifische schädliche Substanzen in grösserer Menge
und mit nur einiger Konstanz nicht gefunden worden (vgl. Bouchakd,
Les Autointoxications. Paris 87; Albtj, B. 94. 1 u. 48). Noch weniger
weiss man von den übrigen Sekretionen (vgl. Queieolo und Penny,
J. 90, über die Giftigkeit des Schweisses bei Tetanus, Typhus und
Malaria).
Den Übergang von lebenden Bakterien und ihren Produkten von
den Eltern auf das Kind, die Thatsachen der Vererbung, werden wir
unter 0 besonders betrachten.
N. Infektionsquellen und Selbstinfektion.
Die Verbreitung der Infektionserreger1) hängt ab:
1) Die Fundorte der Infektionserreger im Einzelnen werden in einem be-
sonderen Abschnitte dies. Bdes. besprochen.
Kruse, Krankheitserregung. 381
1. von der Zahl der für eine bestimmte Infektion empfäng-
lichen Spezies. Viele infektiöse Krankheiten des Menschen kommen
bei Tieren überhaupt nicht vor, so nach unseren jetzigen Erfahrungen
die Gonorrhoe, Syphilis, Masern, Scharlach, Cholera, Typhus u. s. w.
Andere wieder werden nicht auf den Menschen übertragen, z. B. der
Rauschbrand, der Schweinerotlauf, die Hühnercholera. Eine Reihe von
Affektionen sind Menschen und Tieren gemeinsam, namentlich die
Tuberkulose, ferner Milzbrand und Rotz. Die Infektionsmöglichkeiten
werden natürlich dadurch erheblich vermehrt.
2. von der Menge der die spezifischen Keime enthaltenden Aus-
scheidungen. Am gefährlichsten sind (vgl. den vorigen Abschn.) die
unmittelbar von dem Infektionsherd nach aussen beförderten Sekrete,
das tuberkulöse, das Influenzasputum, die Diphtheriemembran, die
Choleradejektion, der gonorrhoische Eiter u. s. w. Viel weniger be-
denklich, weil sie die Erreger nur in kleiner Zahl enthalten, sind die
übrigen Ausscheidungen. Doch können unter Umständen grössere
Mengen des Infektionsstoffes zur Wirkung gelangen, z. B. wenn die
Milch tuberkulöser Kühe als Nahrungsmittel in erheblichen Quantitäten
genossen wird. Nur beim Tetanus ist die Möglichkeit, dass durch
Sekrete irgend welcher Art der Infektionsstoff auf andere Organismen
übertragen wird — unter natürlichen Bedingungen — eine minimale
wegen der kleinen Zahl der wirksamen Bakterien und ihres ver-
steckten Sitzes. Also bei diesen Mikroorganismen giebt es keine Kon-
tagion, keine direkte Ansteckung, abgesehen natürlich von den Labo-
ratoriumsversuchen. Es ist dies (neben dem malignen Odem) das ein-
zige Beispiel einer rein „miasmatischen" Infektion im alten Sinne.
Selbst bei den Malariaparasiten, die freilich in eine andere Gruppe der
Mikroorganismen gehören, kann die Möglichkeit einer direkten Über-
tragung (durch Insektenstiche) nicht geleugnet werden.
3. Die Resistenz der Infektionskeime ist von entscheidender
Bedeutung für ihre Verbreitung. Die sporenbildenden Bacillen (Milz-
brand, Tetanus, Rauschbrand, malignes Ödem) sind hier in grossem
Vorteil vor den nicht sporenbildenden; freilich müssen die Bacillen
nicht blos zur Entwicklung von Dauerformen befähigt sein, sondern
auch die Möglichkeit haben sie zu bilden. Das ist beim Milzbrand
innerhalb des infizierten Körpers überhaupt nicht der Fall, wohl bei
den anderen genannten Bakterien. Daher ist die Desinfektion der Ab-
gänge und des Kadavers eines Milzbrandtieres verhältnismässig viel
leichter als die eines Rauschbrandtieres. Die nicht sporenbildenden
Bakterien ihrerseits zeigen unter sich grosse Unterschiede in ihrer
Widerstandsfähigkeit gegen schädigende Einflüsse von aussen, als Aus-
trocknen, höhere und niedere Temperaturen, Belichtung, chemische
382 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Wirkungen aller Art. Am wenigsten resistent erweisen sich Gono-
kokken, Schanker- und Syphiliskeime, die Influenzabacillen, das Hunds-
wutvirus. Dann kommen Choleraspirillen, Pneumo- und Streptokokken,
Rotzbacillen. Noch mehr vertragen Typhus-, Diphtheriebacillen, Sta-
phylokokken und schliesslich Tuberkelbacillen (vgl. Kapitel „Absterbe-
bedingungen" und den speziellen Teil).
4. Sehr grosse Wichtigkeit hat die Fähigkeit der Krankheits-
erreger ausserhalb des infizierten Gewebes zu wachsen. Wir
können zwei Fälle unterscheiden.
a) Besteht die Möglichkeit einer Entwicklung in der unorgani-
sierten Umgebung, einer saprophytischen Lebensweise? Für Tuberkel-,
Influenza-, Schanker-, Syphilis-, Leprabacillen und wohl auch für Pneu-
moniekokken, Rotz- und Diphtheriebacillen (sowie die Rekurrensspirillen)
können wir diese Möglichkeit leugnen. Man kann diese Gruppe als
die der obligaten Parasiten oder der endogenen Infektionserreger
bezeichnen. Sie sind auf die Kontagion angewiesen. Gegenüber
stehen denselben die fakultativen oder exogenen Parasiten, die
Erreger der miasmatischen und miasmatisch-kontagiösenKrank-
heiten, nämlich die Strepto- und Staphylokokken, Milzbrand-, Typhus-,
Schweinerotlauf- und Hühnercholerabacillen, die Choleraspirillen und
die anaeroben Bakterien. Früher hat man zwar geglaubt, das manche
der genannten Mikroorganismen nicht imstande wären, die Konkurrenz
der eigentlichen Saprophyten in der Aussenwelt auszuhalten. Neuere
Erfahrungen haben aber immer mehr gelehrt, dass unter gewissen Be-
dingungen ganz gut pathogene und nicht pathogene Bakterien neben
einander gedeihen können. Den Anaerobien (Tetanus, Rauschbrand,
malignes Odem) scheinen es sogar erst die mit ihnen gemischten, auf
den Sauerstoff angewiesenen Bakterien zu ermöglichen, in den natür-
lichen, nie ganz von Sauerstoff freien Nährböden zu wachsen. Im allge-
meinen wird übrigens, namentlich in unserem Klima, die Vermehrung
von Infektionserregern nur eine zeitlich und örtlich beschränkte sein;
es wird sich mehr darum handeln, dass dieselben in den natürlichen
Mischkulturen ihre Lebensfähigkeit bewahren. Nichts spricht dafür,
dass die Erreger der sog. miasmatisch-kontagiösen Krankheiten,
z.B. die Typhus- und Choleramikrobien, um infektionstüchtig zu bleiben,
perioden weise ein saprophytisches Stadium durchmachen müssen (vgl.
den speziellen Teil), wie es von manchen Autoren gefordert wird.
Ebenso wenig haben wir Grund eine autochtone Neubildung von
Krankheitserregern aus Saprophyten anzunehmen (vgl. Kap. Variabilität).
b) Eine Reihe von infektiösen Bakterien ist imstande auf den
äusseren oder inneren Oberflächen des gesunden Körpers, der Haut und
den Schleimhäuten zu vegetieren, im allgemeinen ohne Krankheit zu
Kruse, Krankheitserregung. 383
erregen. Die Gegenwart dieser Mikroorganismen ist aber nicht be-
deutungslos, weil sie unter Umständen allerdings dem Körper schädlich
werden können. Wir kommen hier auf das interessante Gebiet der
Selbstinfektion.
Auf der Haut, an den mehr vor Verdunstung geschützten Stellen,
in den Ausführungsgängen ihrer Drüsen finden sich in weitester Ver-
breitung die Staphylokokken der Eiterung. Zur Wirkung können
dieselben gelangen, wenn Sekretstauungen stattfinden (Akne, Mastitis),
wenn Wunden gesetzt werden, die Haut durch Reibung entzündet, von
Schweiss durchtränkt wird (Impetigo, Furunkel; vgl. die Experimente von
Bockhart, Schimmelbusch etc. S. 317). Sekundär treten die Staphylo-
kokken zu anderenProzessen hinzu, bringen seröse Blasen (Verbrennungen,
Herpes, Variola) zur Vereiterung u. s. w. Bei manchen Zuständen,
in denen die Körperkonstitution geschwächt erscheint, in der Rekon-
valescenz schwerer Krankheiten, bei Diabetes werden die eitrigen
Prozesse besonders begünstigt (Furunculosis). In vielen Fällen mögen
Eiterungserreger auch noch von aussen hereingetragen werden, aber
die Selbstinfektion spielt hier sicher eine bedeutende Rolle.
Im Munde und Pharynx, weniger auf der Schleimhaut der
Nase und Konjunktiva und in deren Nebenhöhlen ist die Bakterien-
fiora eine sehr reichhaltige. Nicht die echten Infektionserreger, son-
dern Fäulnisorganismen und Gährungserreger haben eine Bedeutung
für die Entstehung und Unterhaltung von kariösen Prozessen an den
Zähnen, die durch mechanische und chemische Einwirkungen zu Loci
minoris resistentiae geworden sind (vgl. Miller, Mikroorganismen der
Mundhöhle. 92). Die pyogenen Bakterien, Staphylo-, Strepto- und
Pneumokokken, kommen in Betracht bei Stauungen von Sekreten, z. B.
in den Tonsillen (Tonsillarabscess), im Thränennasenkanal (Dacryocysti-
tis), in den Nebenhöhlen der Nase und des Rachens (Empyem der
Highmorshöhle, Otitis media). Bei den verschiedenen Formen der
Angina beteiligen sie sich ebenfalls teils primär, teils sekundär
(Mischinfektion bei echter Diphtherie). Die Streptokokken dieser
Schleimhäute vermitteln wahrscheinlich auch nicht selten Gesichts-
erysipele; deren Beginn an den Nasenöffnungen ist bekanntlich sehr
häufig. Eine Frage, die noch unentschieden zu lassen ist, betrifft die Ent-
stehung der echten Diphtherie. Abgeschwächte, sog.Pseudodiphtherie-
bacillen sind ausserordentlich häufige Ansiedler auf den genannten Schleim-
häuten, namentlich des Pharynx und der Konjunktiva. Es fragt sich,
ob diese unter Umständen volle Virulenz gewinnen und diphtherische
Prozesse erregen können. Die Möglichkeit dafür lässt sich bisher
ebensowenig in Abrede stellen, wie die Notwendigkeit davon behaup-
ten. Man kommt unserer Ansicht nach mit der Annahme einer kon-
384 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
tagiösen Übertragung der Diphtherie in der ungeheueren Mehrzahl der
Fälle aus; dass eine Kontagion in einzelnen Fällen nicht nachgewiesen
werden kann, wiederholt sich in ähnlicher Weise beim Typhus und
bei der Cholera, Prozessen, bei denen man eine autochthone Entstehung
nicht leicht zugeben könnte. Günstiger steht die Sache bezüglich
der Ätiologie der Pneumonie. Wir wissen, dass virulente Pneumo-
niekokken nicht selten bei Gesunden im Munde vorkommen und an-
dererseits, dass manche Pneumonien von verhältnismässig schwach
wirkenden Diplokokken erzeugt werden. Es ist am natürlichsten, da
die Lungenentzündung meist sporadisch auftritt, ihre Entstehung durch
Autoinfektion anzunehmen. An disponierenden Momenten fehlt es
gerade hier nicht (Erkältung, Kontusion, vorhergehende Infektionen
anderer Art). Dass ferner die Empfänglichkeit des Körpers zeitlichen
Schwankungen unterliegt, haben wir bei anderer Gelegenheit betont
(vgl. Kruse u. Pansini, Z. lt. 352 ff.). Die Thatsache, dass manch-
mal die Pneumonie in kleineren Epidemien auftritt, lässt sich ganz
gut mit unserer Anschauung vereinigen: es findet ja bei dieser Er-
krankung stets eine reichliche Ausscheidung virulenter Keime statt;
unter günstigen Bedingungen werden dieselben auch kontagiös wirken
können. Dieselbe Überlegung gilt für die kontagiösen Formen der
Angina.
Mit den genannten Beispielen sind die Möglichkeiten der Selbst-
infektion von diesen Schleimhäuten aus durchaus nicht erschöpft (vgl.
die Affektionen der Speicheldrüsen [Claisse u.Dupre, A.E.94], die katar-
rhalischen Pneumonien [Netter, A.E,92], Mischinfektionen bei Lungen-
tuberkulose etc.). Es ist wohl denkbar, dass auch Erkrankungen fern
liegender Organe in der Mundhöhle ihre Infektionsquelle haben. Wenn
man den akuten Gelenkrheumatismus als eine Affektion auffassen
dürfte, die durch abgeschwächte Eiterkokken veranlasst wäre, so würde
der Eintritt derselben am bequemsten z. B. in den Tonsillen erfolgen
können (vgl. Buss, A. M. 54. 1).
Der normale Darmkanal enthält eine Menge von Krankheits-
erregern. Tetanus- und Ödembacillen sind wohl nur als Saprophyten
von Bedeutung, die letzteren können aber in seltenen Fällen mit an-
deren Bakterien zugleich zur Wirkung gelangen (Monod, S. 95. 27). Viel
wichtiger sind Strepto- und Pneumokokken, Angehörige der Gruppe
des B. coli und aerogenes, Proteus, Pyocyaneus u. s. w. Um die Möglich-
keit ihrer Wirkungen besser zu verstehen, ist es nützlich, einen
Blick auf die Resorptionsverhältnisse des Darms zu werfen (vgl. S. 323).
Ribbert (D. 85. 13), Bizzozero (C. W. 85. 45) und Manfredi
(G. J. 86) haben bei Kaninchen die Beobachtung gemacht, dass
an gewissen Stellen ihres Darms, nämlich im Processus vermiformis
Kruse, Krankheitserregung. 385
und im Sacculus rotundus, konstant eine Aufnahme von verschieden-
artigen Bakterien in die Schleimhaut und namentlich in die Lymph-
follikel stattfindet. Es scheint das ein passiver Vorgang zu sein, denn
nach Manfeedi sind diese Mikroorganismen nicht wachstumsfähig.
Eibbert hat auch nach Einspritzung von Staphylokokken in das Darm-
lumen ebenfalls eine Einwanderung gesehen. Dass es sich hier nicht
um einen Ausnahmefall handelt, sondern dass die Darmschleimhaut
im allgemeinen, besonders die darin gelegenen lymphatischen Organe,
zur Resorption kleinster körperlicher Elemente befähigt sind, wird
durch Untersuchungen von Lewin (Beiträge zur Inhalationstherapie.
Berlin 65), der mit Kohlenstaub, sowie von Wasilieff-Kleimann
(A. P. 27), der mit Karmin und Tusche experimentierte, wahr-
scheinlich gemacht. Die Fettresorption erfolgt bekanntlich ebenfalls
durch Durchtritt feinster Fetttröpfchen durch das Epithel. Neuer-
dings wollen Nocaed (S. 95. 8) und Kaufmann (S. 95. 24) auch den
Übergang von Bakterien während der Verdauung in den Chylus und
ins Blut beobachtet haben.1)
Sehr erleichtert wird dieser Übergang nach Posneb, u. Lewin
(B. 95. 6) durch Stauungen des Darminhalts. Die letzteren Autoren
haben nach Verschluss des Mastdarms durch Abklemmung, Nat oder
einen erstarrenden Verband den hauptsächlichsten Insassen des Darms,
den B. coli, und wenn sie vorher den Prodigiosus in den Darm ge-
spritzt hatten, auch den letzteren in das Blut und damit in alle Or-
gane übergehen sehen. Es sind das ausserordentlich wichtige Beob-
achtungen, die eine Bestätigung bez. Erweiterung verlangen. Sie er-
klären die Möglichkeit des Eintritts von Infektionserregern durch den
Darm auch unter normalen Verhältnissen und werfen dadurch ein Licht
auf dieEntstehung mancher kryptogenetischer Infektionen, nament-
lich solcher, in denen der B. coli eine Rolle spielt.1)
DerEinfiuss einer lokalenDarmstenose und -Einklemmung auf
den Durchtritt von Bakterien durch die Darmwand bis zur Peritoneal-
oberfiäche ist schon früher studiert worden. Dabei sind von einer
Reihe von Forschern sowohl beim Menschen als im Tierexperiment
positive Resultate erhalten worden, so von Gaeee (F. 86, 15), Bön-
necken (V. 120), Aend (C. 13), Okee-Blom (C. 15. 16), Tietze (A. Ch.
49), und zwar um so öfter, je stärker die Cirkulationsstörung war
und je länger sie dauerte; eine Nekrose der Darmwand ist dazu nicht
1) Nach neueren umfangreichen Untersuchungen, die im Institut von Flügge
angestellt worden sind, sind die Ergebnisse von Nocaed, Posner u. s. w. sehr
vorsichtig zu beurteilen. Die Bakterienausbeute aus dem Chylus, den Lymph-
drüsen und inneren Organen war unter den verschiedensten Bedingungen, wenn
nur Versuchsfehler ausgeschlossen werden konnten, immer gleich Null.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 25
386 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
nöthig. Die Bakterien, die dabei in Betracht kommen, gehören ver-
schiedenen Spezies, besonders aber der Gruppe des B. coli an; sie
können zu peritonitischen Prozessen Veranlassung geben.
Einen ähnlichen Effekt hat ein Verschluss der Gallenausführungs-
gänge, z.B. durch Steininkarceration. Die Mikroorganismen wandern
dabei über die inkarcerierten Stellen hinaus in die Gallenwege ein und
verursachen daselbst Entzündungen von verschiedener Intensität, die
nicht selten zu Allgemeinerkrankung führen (Netter u. Martha,
A. Ph. 86; Netter, r: J. 86. 391; Naunyn, D. 91. 5; Ortner, r: C.
17. 5/6; Homen, C. P. 94. 19). Ohne die Sekretstauung dürften die
Mikroorganismen nicht imstande sein, von den Gallenwegen aus patho-
gen zu werden; dafür spricht der Befund von solchen in der Galle in
einem nicht geringen Prozentsatz von gesunden Individuen (Letienne,
A. E. 91).
In das Gebiet der Selbstinfektion dürften ferner gehören manche
Formen der Dysenterie, besonders diejenige, die bei Geisteskranken
nicht selten zum Ausbruch kommt. Disponierendes Moment sind hier
Stauungen des Darminhalts und der Cirkulation und die mangelnde
Reagier fähigkeit der Gewebe. Dass das letztere Moment nicht zu
vernachlässigen ist, folgt aus den früher erwähnten Experimenten
Charrin's und Rogers mit Meerschweinchen, die intensiven Überan-
strengungen unterworfen wurden (S. 333); ferner aus denen von Wurtz
(S. 92. 64) mit Versuchstieren, deren Temperatur künstlich erniedrigt
wurde, und schliesslich aus den Versuchsresultaten Wurtz' und
Htjdelo's (S. 95.6) und Beco's (P. 95, 3), die Tiere durch Alkohol
bez. Emetica vergifteten. In allen diesen Fällen fand schon während
des Lebens ein Eindringen von Darmbakterien in den Körper statt.
Begünstigend auf andere Infektionen (Streptokokkensepsis) wirkte in
den Versuchen Canon' s und Neumann's (Z. M. 19, Suppl.) die Darmunter-
bindung wahrscheinlich durch denEinfiuss der bakteriellen Stoffwechsel-
produkte der Darmbakterien. Als sekundäre Eindringlinge kommen Darm-
bakterien (B. coli, Streptokokken etc.) bei Ulcerationsprozessen der Darm-
schleimhaut (Typhus, Cholera, Dysenterie) in Betracht. Bei der tro-
pischen Dysenterie ist ihre Thätigkeit von derjenigen der spezifischen
Amöben kaum zu trennen. Sie finden sich immer mit ihnen gepaart
in den Darmgeschwüren sowohl wie in den sich daran schliessenden
Abscedierungen der Leber (Kruse u. Pasquale, Z. 16). Der Aufklä-
rung bedürftig ist die Mitwirkung der Darmbakterien bei den Magen-
Darmerkrankungen der Säuglinge, der Cholera nostras und vielen
anderen Darmstörungen bei Erwachsenen. Es fragt sich hier, ob durch
Einflüsse unbestimmter Art, wie Erkältungen oder Acria, die in den
Nahrungsmitteln enthalten sind, die Schleimhaut für die Invasion der
Kruse, Krankheitserregung. 3g7
gewöhnlichen Dannbewohner empfänglicher gemacht wird, oder ob etwa
noch nicht genau definierte Gifte, oder schliesslich spezifische Krankheits-
erreger — etwa in ihren Wirkungen denen der asiatischen Cholera ähnlich
— von aussen eingeführt werden. Die Erfahrungen, die bis jetzt vor-
liegen, sprechen teilweise für erstere Möglichkeit, z. B. die häufigen Be-
funde von Reinkulturen des „Bacterium coli" bei derartigen Prozessen,
und andererseits die Beobachtungen von Czernt u. Moser an rnagen-
darmkranken Säuglingen, nach denen im Blute der letzteren eine ganze
Reihe von Darmbakterien (Staphylokokken. Streptokokken, B. coli,
aerogenes, pyocyaneus) anzutreffen wäre (J. K. 94). Andererseits hat
aber Flügge (Z. 17) den Nachweis geliefert, dass durch peptonisierende
Bakterien in der Milch (auch sog. Dauermilch) starke vom Verdauungs-
kanal wirkende Gifte erzeugt werden können. Wahrscheinlich erklärt
sich wenigstens ein Teil der Fälle von Kinder-Diarrhoe auf diese Weise.
Auch bei der Cystitis und bei den Erkrankungen der Niere
spielt die Selbstinfektion allem Anschein nach eine grosse Rolle,
sei es, dass die zumeist beteiligten Bakterien (B. coli,- aerogenes,
Staphylokokken, Proteus) von der Urethra aus einwandern oder künst-
lich eingeführt werden, sei es, dass vom Darm aus direkt oder durch
Vermittelung des Blutes die Infektion des Urins stattfindet (Posner u.
Lewin, B. 95. 6 und Posner, D. 95. 40 Beil.). Ein wichtiges, prädis-
ponierendes Moment ist auch hier wieder die Stauung des Sekrets
(Rovsing, Schnitzler, vgl. S. 324).
Die Lehre von der Selbstinfektion hat ihren Ursprung genommen
in der Geburtshilfe, ihr liegt die Thatsache zu Grunde, dass infektiöse
Erkrankungen im Puerperium erfolgen können ohne die Importation
von Infektionsstoffen von aussen. Es handelt sich um die Frage, ob
Infektionserreger längere Zeit in den Geburtswegen existieren können,
ohne Erkrankungen zu verursachen. Nach Analogie mit den Erfahrungen
an anderen Schleimhäuten ist dies zu bejahen, und in der That haben
Winter (Z. Gy. 14), Thomen (A. Gy. 36), Stefeeck (Z. Gy. 20), Döderlein l),
Burckhardt (A. Gy. 45), Burguburu (A. P. 30) und Walthard (A.
Gy. 48) Staphylokokken und namentlich Streptokokken in der Scheide
bei gesunden Frauen nicht selten gefunden, und zwar häufig mit genügen-
der Virulenz begabte. Die negativen Resultate von Samschin (D. 90.
16), Krönig (C. G. 94. 1, 32, 41 u. D. 94. 43) und Menge (D. 94. 46—48)
fallen dem gegenüber natürlich nicht ins Gewicht. Auch die an sich
sehr interessanten Angaben letzterer beiden Autoren über die schnelle
(in 1 — 3 Tagen erfolgende) Vernichtung der in die Scheide gebrachten
1) Über das Scheidensekret und seine Bedeutung für das Puerperalfieber.
Leipzig 1892 und D. 95. 10.
25*
388 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
pathogenen Bakterien können daran nichts ändern, dass unter Umstän-
den eben doch längere Zeit lebensfähige Infektionserreger darin ange-
troffen werden. Die Existenz derselben in der Scheide genügt noch nicht
zur Infektion im Momente der Geburt, ebensowenig, wie eine Kontusion
der Lunge immer eine Pneumonie hervorruft, sondern es bedarf noch
anderer, teilweise nicht genau bekannter günstiger Bedingungen dafür.
Wahrscheinlich gehört dazu der Transport der Krankheitserreger von
der Scheide in den Uterus, z. B. durch eingeführte Instrumente oder
die Hände des Operateurs, und ausserdem die Schaffung von Kontinuitäts-
trennungen durch den Akt der Entbindung.1)
Mit der Autoinfektion ist stets eine Autointoxikation verbunden,
ebenso wie jeder Infektionsprozess mit einer spezifischen Vergiftung
Hand in Hand geht. Es giebt aber gewisse Bedingungen, unter denen
nur eine Intoxikation mit den normalerweise im Körper vorhandenen
Bakterien resp. ihren Produkten erfolgt; werden z. B. bei einfachen
Stauungszuständen im Darm oder bei grösseren, irgendwie erzeugten
Epitheldefekten die normalen Darmbakterien resorbiert, ohne sich weiter
im Körper zu vermehren, oder betrifft die Resorption nur die aus der
Bakterienvegetation im Darmlumen resultierenden Substanzen, so sind
das im wahren Sinne des Wortes Autointoxikationen. Das Studium
derselben steckt noch in den Anfangsgründen (vgl. S. 380). Der
Versuch, die bakteriellen Produkte von den Zersetzungsstoffen des
Körpers selbst, die uns hier nichts angehen, zu trennen, ist bisher nur
in wenigen Fällen gelungen.
0. Vererbung der Infektion, Disposition und Immunität.
Unter Vererbung einer Infektion versteht man die erfolgreiche
Übertragung des Infektionsstoffes von den Erzeugern auf den Keim
oder die Frucht vor dem Momente der Geburt. Zu unterscheiden ist
die germinative Infektion — die Übertragung von der Mutter auf das
unbefruchtete Ei, die konceptionelle Infektion — die Übertragung auf das
Ei durch das Sperma des Vaters, und die intrauterine Infektion — die
sowohl von Seiten der Mutter durch die Gefässe des Uterus als von
Seiten des Vaters durch das Sperma erfolgen kann. Nicht mit der
Vererbung der Infektion selbst ist die Vererbung der Disposition zu
verwechseln.
Bei weitem am wichtigsten ist die intrauterine Infektion. Dass
dieselbe stattfindet, wissen wir durch eine Reihe exakter Untersuchungen.
Die Placenta, die beim Säugetier die Ernährung des Embryo vermittelt,
1) In seltenen Fällen scheint die Selbstinfektion freilich auch ohne das
Hinzutreten solcher disponierenden Momente stattzufinden.
Kruse, Krankheitserregung. 3g9
ist, da ein direkter Blutaustausch durch dieselbe hindurch nicht statt-
findet, als ein Filter zu betrachten, das korpuskulare Elemente zurück-
hält. So haben auch die meisten Versuche mit Injektion unbelebter
feinster Partik eichen (Tusche, schwefelsauren Baryts) und saprophytischer
Bakterien (Prodigiosus) ins Blut von Muttertieren keinen Übergang
derselben auf die Föten zur Folge gehabt (Fehling; Ahleeld; Keuken-
beeg, A. Gy. 31; Malvoz l), nur Peels (Allg. Pathol.) hatte positive
Resultate mit Ultramarin und Zinnober, vielleicht wegen der scharf-
kantigen Beschaffenheit dieser Staubsorten.2) Die älteren Erfahrungen
von Beauell, Davaine, Bollingee mit Milzbrand sprachen ebenfalls
für Undurchlässigkeit der Placenta. Dagegen hatten Steatjs und Cham-
beeland (A. Ph. 83) und Peeeoncito (vgl. Demateis, C. 5. 23) bei der-
selben Infektion die ersten — und zwar nicht wenige — positiven
Ergebnisse, freilich waren die auf den Fötus übergegangenen Bacillen
meist so spärlich, dass ihr Nachweis nur durch die Kultur ermöglicht
wurde. In einem mehr oder weniger grossen Teil ihrer Fälle konnten
Moeisani (Morgagni 86), Malyoz (a.a.O.), Biech-Hieschfeld (Zi. 9), M.
WOLFE (V. 112), ROSENBLATH (V. 115), LaTIS (Zi. 10), LUBAESCH (V.
124) dieses Resultat bestätigen. Es stellte sich dabei heraus, dass die
Wahl der Versuchstiere keine gleichgiltige war. Bei Mäusen passierten
die Bacillen nur sehr selten die Placenta — vielleicht weil dieselbe
bei diesen Tieren einen ununterbrochenen Epithelüberzug besitzt, bei
Meerschweinchen öfter wie bei Kaninchen. Als Grund für die Inkon-
stanz der Befunde wurde, abgesehen von den histologischen Verschieden-
heiten, angegeben, dass nur durch eine Gewebsläsion (Hämorrhagie) den
Bakterien ein Weg geöffnet würde. Andere Autoren wieder konnten
in den positiven Fällen ein Durchwachsen der Bacillen aus den intakten
mütterlichen Gefässen in die Zotten des Fötus konstatieren. Dass eine
Vorbereitung des Gewebes allerdings von Bedeutung sein kann, haben
neuerdings Chaeein und Ducleet (S. 94. 34. u. 40) für den Pyocyaneus
bewiesen, indem sie zeigten, dass durch gleichzeitige Einspritzung von
anorganischen und organischen Giften, z. B. Quecksilber-, Bleisalzen,
Alkohol, Tuberkulin, Mallein und Pyocyaneusprodukten, die Passage der
Bakterien durch die Placenta ausserordenlich begünstigt wird.
Den Einfiuss der Bakterienspezies konnten schon Keonee (J. 86.
383) und Malvoz demonstrieren: die Bacillen der Hühnercholera
und der Kaninchenseptikämie überwanden die Barriere der Placenta
viel leichter, als die Milzbrandkeime; auch sie machen dafür die Häufig-
keit der Hämorrhagien bei jenen Infektionen verantwortlich. Ahnliches
1) Sur le mecanisnie du passage des bacteries de la mere au foetus. Bruxelles
87 und P. 88. 3. Hier auch die ältere Litteratur.
2) Über das verschiedene Verhalten metallischer Gifte vgl. Porak, A. E. 94. 2.
390 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
gilt nach Arloing, Cornevest und Thomas für den Rauschbrand, nach
Fol und Bordoni-Uffreduzzi (Z. 4.), Kruse und Pansini (Z. 11) und
Lubaesch für die Diplokokkenseptikämie. Auch bei der Pneumonie
des Menschen findet nach Netter (S. B. 89), Levt (A. P. 26) und
Birch-Hirschfeld manchmal eine gleichartige Infektion des Fötus
statt. Die verwandten Streptokokken des Erysipels gehen ebenfalls
durch die Placenta des Menschen (vgl. Lebedeff, Z. Gry. 12) und der
Tiere (Chambrelent, S. 93. 21) hindurch. Als seltenere hierhergehörige
Beispiele für die Übertragbarkeit auf den Fötus seien noch erwähnt
die Febris recurrens, die Brustseuche der Pferde, der Typhus (Freund
u. Levt, B. 95. 25.). Auffallend ist die Angabe von Tizzoni und Cattani
(C. W. 86. 8), dass die Choleraspirillen, die doch im besten Falle
sehr spärlich im Blute des Menschen vorkommen, aus einem Fötus
isoliert werden konnten.
Von denjenigen Bakterien, die mit einem erheblichen Destruktions-
vermögen begabt sind, wie Rotzbacillen (Löffler, A. G. 1;
Cadeac u. Malet, r: J. 86. 188), Staphylokokken (vgl. Wolff,
Festschr. f. Virchow. 91. III) und Tuberkelbacillen sollte man schon
eher erwarten, dass sie die Passage durch die Placenta erzwingen.
Indessen lagen bis vor nicht langer Zeit nur für die erstgenannten In-
fektionen häufigere Befunde vor. Wolff macht mit Recht auf die fötale
Endocarditis, Osteomyelitis, das Puerperalfieber und auch auf den Ge-
lenkrheumatismus der Neugeborenen aufmerksam, die wahrscheinlich
durch Staphylokokken verursacht werden und die in der That durch seine
Experimente ihre Erklärung finden. Der Übergang der Tuberkelbacillen
wurde zwar aus theoretischen Gründen von einigen Autoren schon lange
postuliert, war aber erst für seltene Fälle wirklich nachgewiesen, bis die
Untersuchungen Gärtner' s (Z. 13) ein reichliches Beweismaterial brachten.
Dadurch, dass er den ganzen Körper der Früchte auf Meerschweinchen
verimpfte, konnte Gärtner sowohl bei Kaninchen, als bei Mäusen und
Kanarienvögeln die sehr häufige Existenz von Tuberkelbacillen in
den Embryonen resp. Eiern und zwar nicht nur bei Peritoneal-, son-
dern ebenfalls bei Lungen- und Miliartuberkulose der Muttertiere de-
monstrieren. Damit ist die Gelegenheit zur intrauterinen Über-
tragung von Tuberkelbacillen wohl auch für den Menschen er-
wiesen und die Zurückführung der Tuberkulose der ersten Lebensjahre,
namentlich der primären Leber, Milz-, Haut-, Knochen- und Gelenktuber-
kulose auf fötale Infektion wenigstens möglich gemacht. Dass die letztere
in der Regel nicht schon bei der Geburt und in der ersten Zeit nach-
her manifest wird, hängt wahrscheinlich mit der geringen Zahl der
übertragenen Keime zusammen, aus der sich auch die meist negativen
Ergebnisse früherer Forscher erklären. Vielleicht bleibt ein Teil der er-
Kruse, Krankheitserregung. 39 \
erbten Bacillen nach Überstehen einer ersten Attacke in abgekapselten
Herden zurück, um erst in späteren Lebensaltern neue Infektionen zu
vermitteln. Eine vollständige Latenz der kongenital erworbenen Krank-
heitserreger bis zum erwachsenen Alter ohne primäre Lokalisationen in
der Kindheit ist gänzlich unwahrscheinlich (vgl. Abschn. G am Schluss).
Die Versuche von Maffucci (C. 5. 7) an Hühnereiern sprechen aber dafür,
dass auch bei Vorhandensein von Tuberkelbacillen in der Frucht die
regelmässige Entwicklung derselben nicht gestört zu werden braucht,
obwohl die Bacillen sich lebensfähig erhalten. Im ausgekrochenen
Hühnchen entwickelt sich die Infektion schon nach Wochen oder
Monaten zur tötlichen Erkrankung.
Wenn die intrauterine Infektion von mütterlicher Seite
sonach keinem Zweifel unterworfen ist, sind die Beweise für
die übrigen Arten der kongenitalen Übertragung recht
mangelhaft (vgl. Gärtner a. a. 0.). Die — sei es germinative, sei es
konceptionelle — Infektion des Vogeleies im Körper der Versuchstiere
Hesse, wenn sie selbst bewiesen wäre, natürlich wegen der ungeheueren
Differenz der Grösse der Eier keine Parallele zu mit einer etwaigen
Infektion des unbefruchteten Säugetiereies. Die Wahrscheinlichkeit für
die letztere ist also schon sehr gering, noch geringer aber die für
eine nachfolgende Entwicklung des infizierten Eies,. Es giebt übrigens
nur ein sicheres Beispiel einer generativen Infektion, ' nämlich die-
jenige des Insekteneies durch Mikrosporidien (Protozoen). Die Ver-
hältnisse liegen zu verschieden, um daraus für die höher organi-
sierten Tiere und die aktiveren bakteriellen Parasiten Schlüsse zu
ziehen. — Die konceptionelle Infektion ist noch viel unwahrschein-
licher als die germinative, allenfalls wäre die intrauterine An-
steckung des Fötus durch das Sperma zuzulassen. Bei der Syphilis
ist dieser Weg der Vererbung fast allgemein angenommen. Auch die
kongenitale Übertragung des Tuberkelkeims vom Vater her ist von
manchen Autoren als eine notwendige Forderung zur Erklärung klinischer
und experimenteller Beobachtungen aufgestellt worden, dürite aber der
Kritik von Gärtner (a. a. 0.) schwer standhalten. Als hauptsächlichste
Stütze jener Ansicht gilt die Arbeit von Jani (V. 103), der in dem
Hoden und der Prostata von Phthisikern, die in den genannten Organen
keine Lokalisationen hatten, in 5 von 8 bezw. in 4 von 6 Fällen
Tuberkelbacillen mikroskopisch nachwies. Rohlffs (Kiel. Diss. 85) und
Walther (Z. 16. 7) haben dagegen mit dem Sperma von Tuberkulösen
keine experimentelle Tuberkulose erzielen können. Gärtner hat zwar
die Infektiosität des Samens, den er Meerschweinchen mit Lungen- oder
allgemeiner Tuberkulose während des Lebens entzog, unter 32 Fällen
5 mal bestätigt, weist aber auf arithmetischem Wege nach, dass die
392 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Wahrscheinlichkeit für das Zusammentreffen von Befruchtung und
Infektion eine ganz minimale ist und gar nicht in Betracht kommen
kann bei latenter Infektion des Vaters. Bei Hodentuberkulose liegen
die Verhältnisse etwas günstiger, trotzdem hat Gärtner, wenn er ge-
sunde Muttertiere und infizierte Böcke paarte, unter 45 Sprösslingen
keine kongenitale Infektion beobachtet (vgl. aber Maffucci, C. P. 95. 1).
Wir kommen jetzt zur Vererbung von Disposition und
Immunität. Die natürliche Empfänglichkeit oder Unempfänglichkeit
gegen eine Infektion ist meist ein Spezies-, seltener ein individueller
Charakter, in beiden Fällen geht dieselbe nach den allgemeinen Ge-
setzen der Vererbung, sei es vom Vater, sei es von der Mutter auf
die Nachkommen über. Das Experiment entspricht dem durchaus.
Ist die Disposition oder Immunität der Eltern dagegen eine erworbene,
und zwar auf spezifischem oder nicht spezifischem Wege erworbene,
so bleibt die erbliche Übertragung zweifelhaft. Die Verteidiger einer
Vererbung erworbener Eigenschaften nehmen an, dass dieselbe dann
erfolgen kann, wenn die Keimzellen selbst durch die Modifikation des
sie erzeugenden Organismus in bestimmtem gleichartigen Sinne ver-
ändert werden. — Nehmen wir zuerst den Fall der nicht spezifisch
erworbenen Disposition oder Immunität, z. B. sei dieselbe veranlasst
durch die allgemeinen Bedingungen der Ernährung nach der ungünstigen
oder günstigen Seite hin. Experimente darüber stehen hier nicht zu
Gebote, sondern nur beschränkte ärztliche Erfahrungen; dieselben
sprechen dafür, dass allerdings in gewissem Grade Schwächezustände
vererbt werden, aber nicht von väterlicher, sondern nur von mütter-
licher Seite. Die Deutung liegt daher nahe, dass es sich hier nicht
oder nur in geringem Grade um eine germinative, sondern um eine
intrauterine, placentare Übertragung handelt: die schlechte Ernährung
der Mutter muss auf die Entwicklung des Fötus einen gleichartigen
Einfmss äussern. Auf diese Weise lässt sich die Vererbung einer
erworbenen Disposition auch in allen anderen Fällen, wo die Empfäng-
lichkeit in einer bestimmten Veränderung der Säfte und des davon
abhängigen gesamten Stoffwechsels gesucht werden muss, erklären. Die
Placenta bildet für gelöste Stoffe keine Barriere. Von einer
sonst etwa noch statthabenden erblichen Übertragung nicht spezifischer
Resistenzgrade wissen wir nichts.
Ganz ähnlich dem citierten Beispiele verhält sich die Sache bei
der Übertragung einer durch spezifische Behandlung erworbenen
Immunität. Chauveau's (CR. 91 u. P. 88) Experimente haben den
ersten Beweis dafür erbracht, indem durch sie festgestellt wurde, dass
Schafe, die während ihrer Tragzeit gegen Milzbrand immunisiert werden,
immune Junge werfen. Nach Thomas gilt das gleiche für den Rausch-
Kruke, Krankheitserregung. 393
brand (C. R. 94). Die Versuche bestehen zu recht, obwohl andere
Autoren nicht so glücklich gewesen sind, ihre Resultate zu bestätigen
(Löfflee, M. G. 1; di Mattet, Accad. medic. Rom. 87/88). Dagegen
scheint die Vaccination der Mutter gegen Kuhpocken trotzdem das
mehrfach behauptet worden ist, den Föten keinen Schutz gegen eine
Infektion nach der Geburt zu verleihen (vgl. M. Wolff, V. 112). Was
die Erklärung der auf dem placentaren Wege erlangten Immunität des
Fötus angeht, so meinte man ursprünglich, die durch die Placenta
hindurch gegangenen lebenden Bakterien bewirkten dieselbe, in ähn-
licher Weise wie die mütterliche. Chauveatj hat diese Anschauung
schon widerlegt und die Bedeutung der gelösten Stoffe für die Immuni-
sierung betont. Aber auch nach seinen Versuchen konnte es noch
zweifelhaft bleiben, ob man es beim Fötus mit aktiver oder passiver
Immunität zu thun hätte. Ehelich (Z. 12), der diese Frage zuerst ge-
stellt, hat sie auch gelöst und zwar für die spezifische Immunität gegen
Ricin und Abrin, später im Verein mit Hübnee auch bezüglich des
Tetanus (Z. 18, vgl. auch Vaillaed, P. 96.2). Er zeigte, dass die gegen
letztere Gifte gefestigten Mäusemütter Junge zur Welt brachten, die in der
ersten Zeit nach der Geburt resistent waren, aber bald ihre Immunität ver-
loren. Sie waren also nicht aktiv, sondern nur passiv gefestigt, das Gift
hatte offenbar nicht die Placenta passiert, sondern nur die antitoxischen
Stoffe des Blutserums. Zu gleicher Zeit wies der genannte Autor auch eine
andere Quelle ererbter Immunität nach, nämlich die durch die Mutter-
milch verliehene, die sog. Säugungsimmunität. Auch die durch
die Milch ausgeschiedenen Toxine gehen in unverändertem Zustand
auf die Säuglinge über und machen sie sogar in einem Grade refraktär,
der im intrauterinen Leben nicht erreicht wird. Auf die interessanten
Schlüsse, die sich aus dieser Thatsache bezüglich der Immunität der
Säuglinge gegen andere Krankheiten, z. B. gegen Masern ergeben, hat
Ehrlich selbst schon hingewiesen.
Auch die Eier gegen Tetanus immunisierter Hühner enthalten nach
F. Klempeeee (A. P. 31) Schutzstoffe und zwar nicht im Eiweiss,
sondern im Dotter. Kitt (r: C. 14. 870 u. 17. 687) hat eine gewisse
immunisierende Kraft auch im Ei — dem Eiweiss und Eigelb — gegen
Geflügelcholera immunisierter Tiere gefunden; Sclavo eine ebensolche
in den Eiern von Hühnern, die gegen Diphtherie geimpft waren (r: C.
18. 9/10).
In den oben angeführten Arbeiten war Ehelich in der Lage, die
Angaben mancher Autoren über die Übertragung spezifischer Immunität
gegen Pyocyaneus, Hundswut und Tetanus von väterlicher Seite
(Chaeein u. Gley, C. R. 117. 635; Tizzoni u. Centanni, C. 13. 8;
Tizzoni u. Cattani, ibid. S. 85) zurückzuweisen. Das Sperma ist
394 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
nicht imstande die Immunität des Vaters auf die Frucht zu
vererben — ein Satz, der, wenn wir die Entstehung der intrauterin
gewonnenen Immunität durch passiv übertragene Antitoxine berück-
sichtigen, ohne weiteres verständlich ist. Aus diesen exakten Unter-
suchungen dürften wohl auch einige Lehren für andere Infektionen
zu folgern sein. Vor allem kann das PROEETA'sche Gesetz, nach dem
die gesunde Nachkommenschaft syphilitischer Eltern gegen diese
Krankheit geschützt sein soll, höchstens bei mütterlicher Syphilis Geltung
haben, und auch da nur für kürzere Zeit nach der Geburt oder nach
der Säugung. Andererseits ist es jetzt erklärlich, dass ein Fötus, der
vom Vater her syphilitisch wird, wenn er den mütterlichen Organismus
nicht infiziert, den letzteren auf chemischem Wege immunisiert (Gesetz v.
Colles; vgl. auch Lingaed, F. 89. 8).
P. Theorie der Infektion, Immunität und Heilung.
Die wichtigsten Probleme der allgemeinen Bakterienlehre sind
folgende1):
I. Worin besteht die Infektiosität?
IL Worin besteht die natürliche Immuni-
tät und zwar
a) gegen lebende Bakterien'
(natürliche
antibakterielle T.)
b) gegen Bakteriengifte ?
(natürliche
antitoxische I.)
III. Worin besteht die künstliche Immunität und zwar •
„\ „ „ i -u„ i„ d i i ■ i 1. die nicht spezifische antibakterielle 1.
a) gegen lebende Bakterien: { g die Bpeaifi*ohe antibakterielle I.
vi „a„a„ -ro1 .„ • :« / 1. die nicht spezifische antitoxische I.
b) gegen Bakteriengifte: | 2 d].ß Bve7Äfi*Ghe antitoxische I.
Die Berechtigung dafür, dass wir hier dem Problem der Heilung
keinen besonderen Platz einräumen, ergiebt sich aus den früheren Er-
örterungen. Eine Krankheit, die heilt, ist entweder eine Infektion mit
relativ zu schwachem Virus — natürliche Heilung, oder sie verdankt
den günstigen Ausgang # einem künstlichen Immunisierungsprozesse
während des Krankheitsverlaufes — künstliche Heilung.
1) Die hier gebrauchten Ausdrücke empfehlen sich, weil sie sofort verständ-
lich sind. Es sind neuerdings von Buchner(M.94.38) und Pfeiffer (Z. 19) Verände-
rungen der Nomenklatur vorgeschlagen worden, die aber wenig für sich haben.
Immunität, Resistenz, Unempfänglichkeit, Widerstandskraft, — und andererseits
Disposition, Empfänglichkeit, Widerstandslosigkeit u. s. w. sind nun einmal im
Sprachgebrauch gleichbedeutend.
Kruse, Krankheitserregung. 395
Uns interessieren hier1) wesentlich die allgemeinen Erschei-
nungen der Infektiosität und der Immunität. Ausser Betracht müssen
bleiben die Arteigentümlichkeiten der pathogenen Bakterien, die sich
äussern in der verschiedenen Schnelligkeit ihres Wachstums und ihres
Absterbens, in der Vorliebe für aerobie oder anaerobie Entwicklung,
in der Neigung, das eine oder das andere Organ zu invadieren, in
der Produktion dieses oder jenes Giftes — ausser Betracht bleiben
auch die Besonderheiten der Tierspezies und der einzelnen Organe, die
in dem verschiedenen Verhalten der Tiere bezw. der Organe gegen eine
und dieselbe Infektion zu Tage treten (Art- und Organ-Immunität).
I. Da der Wirtsorganismus den Nährboden für die infektiösen
Bakterien darstellt, so müssen wir zuerst versuchen, eine Vorstellung
zu gewinnen über die natürliche Disposition und Immunität.
Aus der Thatsache, dass die grosse Mehrzahl der Bakterien, die Sapro-
phyten, im tierischen Organismus nicht wachstumsfähig sind, dass auch die
virulentesten Bakterien gegenüber einer grossen Zahl von Tieren sich
wie Saprophyten verhalten, dass ferner die Empfänglichkeit eines Tieres
gegenüber dem einen Mikroorganismus Immunität desselben gegenüber
einem zweiten nicht ausschliesst, und dass durch Abschwächung sich die
infektiösen Bakterien den Saprophyten nähern, ist zu folgern, dass
alle lebenden tierischen Gewebe den Bakterien im allge-
meinen einen Wachstumswiderstand entgegensetzen, der nur
von einem kleinen Teil derselben und zwar nur einer beschränkten
Zahl von Tieren gegenüber auf Grund einer spezifischen, variablen
Eigenschaft überwunden werden kann. Es handelt sich darum, den
Grund dieses Widerstandes zu erklären. Man könnte denken,* dass
1. der Tierkörper nicht die nötigen Nährstoffe enthielte, welche
die ihm gegenüber nicht infektiösen Bakterien zum Wachstum
brauchen. Für eine kleine Zahl von Saprophyten, nämlich diejenigen,
die wir auf unseren gewöhnlichen künstlichen Nährböden nicht zu
züchten vermögen, trifft das zu, für die grosse Masse aber nicht, denn
die abgestorbenen, abgetöteten Gewebe oder die daraus hergestellten
Extrakte bilden meist einen vorzüglichen Nährboden für die grosse
Masse der Saprophyten und infektiösen Bakterien. Höchstens gewisse,
sehr saftarme Gewebe, z. B. der Mantel der Tunikaten (Lubaksch,
Z. M. 19) sind als Nährboden ungeeignet.
1) Vgl. Flügge und seine Schüler, Z. 4; Sahli, Volkmann' s Samml.
Nr. 319/20, Leipzig. 88; Ziegler, Zi. 5; Lubarsch, Z. M. 18 u. 19 (Litteratur
bis 1891); Buchner, M. 91. 31 u. 32, M. 94. 37 u. 38; Roux, P. 91. 8, P. 94. 10
Metschnikoff, P. 91. 584 u. P. 94. 10; Kruse, Zi. 12. 3; Stern, C. P. 94. 201
(Litt, über Blutserum) ; Behring, Infektion und Desinfektion. Leipzig 94. Ausser-
dem die im Text genannten Arbeiten.
3Q6 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
2. Die hohe Koncentration der Nährstoffe im Tierkörper ist
für manche Saprophyten ein die Entwicklung hemmendes Moment,
genügt aber in den meisten Fällen ebenfalls nicht zur Erklärung.
3. Die Reaktion der tierischen Säfte entspricht im allgemeinen
der Forderung, die die Bakterien an die Reaktion der künstlichen
Nährsubstrate stellen. Das Blutserum der Ratte scheint nach Behring
(Z. 6. 123) wegen seiner hohen Alkalescenz eine Ausnahme zu machen,
allerdings nur extravaskulär, nicht im lebenden Organismus, denn die
Milzbrandbacillen, die in dem Blutserum nicht wachsen, können doch
die lebenden Ratten in der übergrossen Mehrzahl der Fälle infizieren
(vgl. K. Müller, Milzbrand d. Ratten. F. 93).
4. Die Eigenwärme des Tierkörpers ist für diejenigen Sapro-
phyten, die nur bei niederer Temperatur gedeihen, und umgekehrt die
niedere Temperatur der Kaltblüter für Tuberkelbacillen, Gonokokken,
Influenzabacillen ein Grund, der genügt, ein Wachstum zu verhüten.
Zur allgemeinen Erklärung der Immunität reicht dies Moment selbst-
verständlich nicht aus. Aber in einzelnen Fällen kommt die Temperatur
allerdings in Betracht. Wenn wir auch die Versuche, Frösche, die bei
höheren Temperaturen gehalten wurden, milzbrandig zu machen, nicht
als völlig beweiskräftig ansehen können (vgl. Lubarsch, Z. M. 19. 234),
so haben doch die Experimente von Dieudonne (A. G. 9. 3) dargethan,
dass bei gewöhnlicher Temperatur Frösche regelmässig an Milzbrand
erliegen, wenn man eine Kultur zur Infektion wählt, die durch an-
dauernde Züchtung bei niederer Temperatur derselben angepasst worden
ist. In gewissem Grade lässt sich auch die Immunität der Tauben
gegen Milzbrand durch ihre hohe Körpertemperatur erklären; denn auch
bei ihnen hat Dieudonne die Infektion zwar nicht immer, aber doch
häufiger als sonst bewirken können, wenn er ein der Temperatur von
42° angepasstes Virus wählte. Auch die auf S. 333 erwähnte That-
sache, dass Frösche dem Bacillus der Frühjahrsseuche nur bei niederer
Temperatur erliegen, ist vielleicht so zu deuten, dass der genannte
Bacillus dann eine grössere Wachstumsintensität entfaltet.
5. Zugegeben, dass an allen Stellen des Körpers Nährmaterial für
die Bakterien in genügendem Masse vorhanden ist, so könnte man für
die unempfänglichen Tiere behaupten, die Zellen derselben wären
stärker als die Mikroorganismen und machten im Kampfe ums
Dasein denselben die nötigen Stoffe streitig. In Anbetracht der in den
höheren Tieren reichlich vorhandenen Zwischensubstanz ist das an sich
schon nicht wahrscheinlich. Wenn ausserdem die Immunität eines
Tieres auf der Assimilationsenergie seiner Zellen beruhte, wie kommt
es, dass sich dieselben Tiere verschiedenen Bakterien gegenüber oft gerade
entgegengesetzt verhalten? Wie erklärt es sich ferner, dass nächstverwandte
Kruse, Krankheitserregung. 397
Tiere oft ganz verschieden gegenüber denselben Mikroorganismen
reagieren? Schliesslich spricht noch gegen diese Hypothese, dass die
lebenden Gewebe direkt schädlich auf die Eindringlinge wirken
(s. unten.)
6. Mehr für sich hat jene Theorie, nach welcher zwar das nötige
Nährmaterial vorhanden sei, aber in einer Form, welche die Assi-
milation durch die Bakterien nicht gestatte. Man hat Grund,
sich vorzustellen (Pfluges), dass das lebende Eiweiss vom toten ver-
schieden sei. Es ist möglich, dass dieses Moment eine gewisse Bedeutung
hat, dass z. B. für die grosse Masse der Saprophyten schon dadurch
die lebenden Gewebe des Körpers unangreifbar sind. Aber aus den
unter Nr. 5 angegebenen Gründen genügt diese Eigenschaft des leben-
den Organismus allein noch nicht zur Erklärung der Immunität.
7. Wir kommen so notgedrungen zu der Annahme, dass die Wider-
standskraft des lebenden Organismus gegenüber den Bak-
terien von der Existenz direkt bakterienfeindlicher Stoffe
abhängt. Drei Fälle sind hier möglich: entweder sind diese Stoffe
a) einmal gebildet, stets in den Zellen oder in den Säften oder in beiden
vorhanden. Oder b) sie werden regelmässig in den Zellen produziert
und unterliegen dem Stoffwechsel. Oder c) sie werden erst im Momente
der Bakterieninvasion entwickelt. Keiner dieser Fälle schliesst übrigens
den anderen aus, namentlich eine Kombination von b) und c) ist wohl
denkbar und, wie wir gleich sehen werden, sogar wahrscheinlich. Die
erste Möglichkeit ist wenig annehmbar, denn sie setzt voraus, dass die
einmal vorhandenen Substanzen nicht ausgeschieden werden können
und unzerstörbar, oder wenn verloren gegangen, unersetzbar sind.
Das grundlegende Experiment, welches das Vorhandensein einer
antibakteriellen Eigenschaft der Körpersäfte beweist, ist folgendes.
Wenn man einerseits unschädliche Bakterien und anderer-
seits solche, die für den betreffenden Organismus infektiös
sind, Tieren injiziert, so zeigen die ersteren vom ersten
Moment an keinen Ansatz zur Vermehrung, sondern degene-
rieren und sterben, je nach der Spezies mit verschiedener
Schnelligkeit, ab, während die letzteren sofort zu wachsen
beginnen. Irgend eine wesentliche Veränderung tritt dabei im Gewebe
gerade in den ersten Stadien des Prozesses nicht auf, wenn man darauf
achtet, dass man die Bakterien selbst ohne ihre gelösten Stoff wechsel-
produkte und nicht in zu grosser Menge injiziert. Der Unterschied
ist natürlich am deutlichsten, wenn man ganz unschuldige Mikroorga-
nismen und sehr virulente mit einander vergleicht. Die Demonstration
gelingt nach der Methode von R. Pfeiffer (Z. 18), der intraperitoneal
impft und von Zeit zu Zeit aus der Bauchhöhle mittelst kapillarer Glas-
398 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
röhrchen Material zur Untersuchung entnimmt,, am leichtesten. Um
die Mitwirkung zelliger Elemente ganz auszuschliessen, haben andere
Autoren, wie Peteuschkt (Zi. 3), Fahrenholz (Königberg. Diss. 89)
Pekelharing, (S. 92. 503) die Bakterien in Päckchen von Filtrier- oder
Pergamentpapier oder in pflanzliche und tierische Membranen einge-
schlossen unter die Haut von nicht empfänglichen Tieren gebracht
und auch dann kein Wachstum beobachtet. Aber nicht allein sind die
Säfte ohne direkte Beteiligung von Zellen imstande, eine Entwicklungs-
hemmung zu bewirken, sondern sie vermögen sogar die resistentesten
Keime, wie Milzbrandsporen (Pekelharing), in wenigen (11) Tagen zu
vernichten. Ohne solche Vorsichtsmassregeln, aber doch mit genügender
Beweiskraft, hat eine ganze Anzahl von Forschern den gleichen Vor-
gang im Gewebe beobachtet.1)
Nicht blos im lebenden Körper hat man auf diese Weise das Vor-
handensein antiseptischer Stoffe bewiesen, sondern auch durch Versuche
im Reagensglase. Am nächsten lag es, dazu das Blut oder das Serum
des Blutes und die Transsudate zu wählen, und so sind denn in der
That die meisten derartigen Experimente mit diesen Flüssigkeiten an-
gestellt2), wenige nur mit Muskelsaft (Tria, G. J. 91).3) Es hat
sich nun dabei herausgestellt, dass in einer grossen Zahl von Fällen
die Säfte antibakterielle Wirkung entfalten, und zwar spezifische in dem
Sinne, dass dieselbe nicht mit dem Effekt der chemischen Antiseptika
parallel geht. Die Art des Verhaltens der Mikroorganismen unter dem
Einfluss dieser Substanzen ist verschieden, indem die einen schneller,
die anderen langsamer erliegen, ohne überhaupt zum Wachstum zu
kommen, andere sich nur spärlich entwickeln und wieder andere üppig
gedeihen. Die Bedeutung der Menge, in welcher die Bakterien mit
jenen Flüssigkeiten in Berührung kommen, ist von ausschlaggebender
Bedeutung.
Durch diese Thatsachen ist die Möglichkeit dafür gegeben, dass
1) Vgl. Wyssokowitsch (Z. 1), Nuttall und Bitter (Z. 4), Czaplewski (Zi. 7
u. Z. 12), Lubarsch(Z.M.19), Behring (Z. 6), G. Frank (C. 4. 23 u. 24), Rogowttsch
(Zi. 4), Kruse und Pansini (Z. 11), Leber (Entstehung der Entzündung. Leipzig 91).
2) Traube und Gscheidlen (Schlesische Gesellschaft f. vaterländ. Kultur,
medizin. Sektion 1874), Grohmann (Dorpater mediz. Diss. 1S84), Fodor (D. 87. 745),
Nuttal (Z. 4), Behring (Z. 6. 117), Nissen (Z. 6), Lubarsch (F. 88. 4. u. Z. M. 19),
Buchner (C. 5. 25; C. 6. 1. und 21), Buchner, Voit, Sittmann, Orthenberger
(A. 10), Behring u. Nissen (Z. 8), Prudden (r: J. 90), de Giaxa u. Guarnieri
(Ann. de micrographie 90), Rovtghi (Ri. 90), Stern (Z. M. IS), Kruse u. Pansini
(Z. 11), Bakunin u. Boccardi (Ri. 91. 188), Kionka (C. 12), Bonaduce (Zi. 12),
Pansini (Zi. 12), Pasquale (Zi.12), Leclef (Cellule 10. 2), R. Pfeiffer (Z. 18. 15).
3) Über die baktericiden Eigenschaften der Milch, des Harns, Schleims u. s. w.
vgl. Abschn. G.
Kruse, Krankheitserregung. 399
die natürliche Immunität auf der Existenz ähnlicher Stoffe im Körper
beruht. Wenn weiter im einzelnen eine Korrespondenz zwischen
dem Verhalten z. B. des Blutserums als Nährboden gegenüber den
verschiedenen Bakterien und der relativen Empfänglichkeit des lebenden
Tieres gegenüber denselben bestände, so wäre dasProblem so gut wie gelöst.
In der That ist eine solche Beziehung jetzt durch einwandfreie Unter-
suchungen (vgl.BoNADUCB a. a. 0.) für viele Fälle nachgewiesen, ihr Nicht-
vorhandensein in anderen Fällen steht allerdings ebenso wenig in Zweifel.
Daraus folgt also, dass die Eigenschaft des Blutserums als Nähr-
boden nicht in allen Fällen einen sicheren Index der Immu-
nität abgiebt. Wir müssen deswegen auf die lebenden Zellen zurück-
greifen und die natürliche Immunität im wesentlichen auffassen als
bewirkt durch antiseptische Substanzen, die von den Zellen
fortwährend erzeugt werden und in die Intercellularflüssig-
keit (besonders das Blut) übergehen und sich unter Umstän-
den daselbst halten können.
Es sind allerdings eine Reihe von Einwänden gegen die Annahme
baktericider Stoffe im Blut erhoben worden.
Erstens haben Metschnikoff (P. 89), Haffkine (P. 90), Christ-
mas (P. 91), Czekelt u. Szana (C. 12), Jetter (Arb. d. pathol. Inst.
Tübingen 92. 421) behauptet, die Abtötung von Bakterien im extravas-
culären Blut erkläre sich aus der plötzlichen Übertragung aus dem ge-
wöhnlichen in einen total verschiedenen und zwar koncentrierteren neuen
Nährboden. Besonders Denys und Kaisin (Cellule 9. 2. 1893) haben
demgegenüber gezeigt, dass auch Bakterien, die vorher in gleichem
Blut gezüchtet waren, dem baktericiden Einfluss unterliegen. -
Zweitens soll nach Czekelt und Szana, sowie Jetter zwischen
der Zahl der abgetöteten Bakterien bei verschiedener Einsat Pro-
portionalitat bestehen und eine vollständige Abtötung der Einsat nie-
mals erzielt werden. Auch dieser Einwand wird durch die Ergebnisse
Büchners, Kruse und Pansini's, Denys und Kaisin's entkräftet.
Drittens soll die Erfahrung, die bei Serumversuchen. häufig ge-
macht wird, dass nach einer anfänglichen Abnahme der Keime wieder
eine wirkliche Zunahme erfolgt, gegen das Vorhandensein eines Anti-
septikums sprechen. Auch diese Thatsache hat durch Kruse und Bona-
duce, Denys und Kaisin eine ausreichende Erklärung gefunden. Sie
ist begründet in der Einwirkung der Bruttemperatur auf das Serum,
die dessen baktericide Kraft schwächt, sowie in dem Umstände, dass
die Bakterienleiber beim Zugrundegehen die bakteriellen feindlichen
Substanzen neutralisieren (Antilysine Kruse's vgl. später).
Viertens will Jetter in Kontroiversuchen gefunden haben, dass
auch in Flüssigkeiten, die keine Nährstoffe enthalten, die Bakterien in
400 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ähnlicher Weise absterben wie im Blutserum; der Einfluss des letzteren
soll also vorwiegend in mangelnder Nährfähigkeit bestehen. Durch
Zusatz von notorischen Nährsubstanzen zum Serum werden aber nach
Denys und Kaisin die baktericiden Eigenschaften des letzteren nicht
verändert.
Fünftens wird von manchen Seiten gegen die Blut- und Serum-
experimente der Einwurf erhoben, dass erst durch den Absterbeprozess
oder durch die vorhergehende Gerinnung die fraglichen Substanzen
entstehen. Dagegen konnten de Giaxa und Guarnieri nachweisen,
dass der Abtötungsprozess im Blut, das innerhalb abgebundenen
Gefässen des lebenden Tieres geprüft und dessen Gerinnung durch
vorsichtiges Arbeiten verhütet wird, ganz ähnlich verläuft wie im
Reagensglas. Ferner wurde durch Lubaesch, Nuttael, Nissen, Roger
u. Charrin, Behring u. Nissen, v. Szekelt u. Szana, Kruse u. Pan-
sini, Hankin und Kanthack, Denys und Kaisin gezeigt, dass das
antiseptische Vermögen des Blutes künstlich durch Infektionen herab-
gemindert und andererseits erhöht werden kann, ein Beweis dafür,
dass hier Verhältnisse des lebenden Blutes in Frage kommen.
Sechstens glaubt Lubaesch, dass extravasculäres Kaninchenblut
weit mehr Anthraxbacillen zu vernichten vermöge, als zur Tötung des
Tieres bei Injektion in den Kreislauf erforderlich seien. Buchner
(M. 91. 33) hat dagegen mit Recht darauf hingewiesen, dass die Fixie-
rung der Milzbrandbacillen in den Kapillaren sie vor der Einwirkung
grösserer Serummengen schützt, und Bonaduce hat auf weitere Fehler-
quellen in der LuBARSCH'schen Rechnung aufmerksam gemacht.
Die schon öfter citierten Untersuchungen von Denys und Kaisin
haben nun aber unsere Kenntnisse über die baktericiden Stoffe des
lebenden Körpers noch in anderer Weise bereichert, indem sie fest-
stellten, dass auch in den Fällen, wo das Blut eines immunen Tieres
(des Hundes) keine abtötende Wirkung auf Bakterien (Milzbrand,
B. coli) zeigt, diese sofort (nach 2 — 4 Stunden) hervortritt, nachdem
die Infektion mit den betreffenden Mikroorganismen erfolgt ist. Wir
finden also die oben ausgesprochene Möglichkeit, dass erst im Mo-
mente der Infektion die baktericiden Substanzen in den
Säften erscheinen, hierdurch bewahrheitet. Es ist dieser Vorgang
offenbar als eine heilsame Reaktion des Organismus auf eine
Bakterieninvasion aufzufassen. Dass diese Reaktion auch durch andere
Reize erhalten werden kann, zeigt die Angabe von Pfeiffer und
Issaeff (Z. 17. 399), die durch Injektion normalen Meerschweinchen-
serums die bakterienfeindliche Wirkung des Serums von anderen
Meerschweinchen erheblich steigern konnten. Diese Versuche ver-
dienten eine Erweiterung in ausgedehntestem Massstabe.
Kruse, Krankheitserregung. 401
• Über die Natur der im Blutserum vorhandenen baktericiden Sub-
stanzen — der Alexine Büchners — wissen wir namentlich durch
Büchner und seine Schüler, dass sie durch Erhitzung auf 55° — 60° binnen
il2- — 1 Stunde zerstört, durch Zusatz von 8 — 10 Teilen destillierten
Wassers ihrer Wirksamkeit beraubt werden. Im letzteren Fall be-
wirkt aber nachträgliche Zufügung von Kochsalz und anderen Salzen
eine mehr oder weniger vollständige Herstellung der Aktionskraft.
Ein starker Sulfatzusatz steigert die Wirkung der Alexine und erhöht
deren Resistenz gegen Erhitzung um 10 Temperaturgrade (A. 17. 173).
Die Fällung der Alexine aus Serum gelingt — allerdings mit erheb-
lichem Verlust — durch 40% Natriumsulfat (A. 17. 134), nicht mit
Alkohol.1) Neben der mikrobiciden Fähigkeit besitzt das aktive Serum
zugleich eine zerstörende Wirkung auf rote Blutkörperchen einer
fremden Spezies („globulicide" Wirkung). Die Einreihung der Alexine unter
die Eiweisskörper hält Büchner nach den angegebenen Reaktionen
für berechtigt. Jedenfalls handelt es sich um sehr kompliziert gebaute
Substanzen, denn sonst würden wir uns kaum die ausserordentliche
Yerschiedenheit der Alexine bei den einzelnen Tieren erklären können.
Die obigen Angaben über den Verlust der antibakteriellen Eigen-
schaften des Serums durch Erhitzung sind von den meisten Autoren
bestätigt worden, in manchen Fällen haben sich allerdings Ausnahmen
ergeben (vgl. Kruse u. Pansini, Z. 11. 377; Bonaduce, Zi. 12. 366
Pansini, Zi. 12. 892). Geschädigt werden übrigens die Alexine schon
durch Aufenthalt bei 37 ° während einiger Tage und durch wochen-
langes Stehen bei gewöhnlicher Temperatur. Die Labilität dieser in-
teressanten Stoffe ist also eine recht bedeutende.
Was die Herkunft der Alexine anlangt, so wird man wohl auf
die Zellen zurückgehen müssen. In der That haben Hankin (B. M.
90; C. 9 und 10; Z. 18) sowie Christmas (P. 91) und Bitter (Z. 12)
aus der Milz und anderen Organen baktericide Substanzen labiler
Natur, die freilich nicht alle durch Temperaturen von 65 ° zerstört werden,
1) Nach Christmas (P. 91) und Bitter (Z. 12) sind auch durch Alkohol-
fällung baktericide Substanzen aus dem Serum darzustellen. Ähnliches berichten
Emmerich, Tstjboi, Steinmetz u. Low (C. 12), die auch durch Alkalizusatz die
erhitzten Alexine haben regenerieren wollen, vgl. dazu Buchner (C. 12).
Mit den Alexinen haben wohl nichts gemein die Substanzen, die Ogata
(C. 9. 597) aus Hundeblut durch Fällung mit Alkohol-Äther und Wiederauflösen
in Glycerin gewonnen hat (nicht bestätigt von Petermann, P. 91. 8). Auf
bakterienfeindliche Wirkungen wurden sie nicht geprüft, erwiesen sich aber in
Tierversuchen als Schutzmittel gegen Milzbrand u. s. w. Einstündige Erwärmung
auf 45° machte sie unwirksam (vgl. S. 344).
Vaüghan u. Clintock (Medical News 93, r: C. 15. 13/14) isolierten aus Blut-
serum ein „Nuklein" mit mikrobiciden Eigenschaften.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 26
402 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
durch Ausziehen mit Glycerin, Fällung mit Alkohol und andere Me-
thoden dargestellt. Sicher sind nicht alle Zellen zur Produktion dieser
Schutzstoffe befähigt, die roten Blutkörperchen z. B. üben geradezu
einen verderblichen Einfluss auf das baktericide Vermögen des Serums
aus. Alle Momente, die geeignet sind, dieselben zu zerstören, begünstigen
dadurch mittelbar die Entwicklung von Bakterien. Möglicherweise
hängt diese Eigenschaft mit dem Mangel des Kerns zusammen. Der Kern
spielt ja auch in anderen Beziehungen die wichtigste Rolle im Leben der Zelle,
die Untersuchungen Vaughan's (Medic. News 93. 15—26) und H.Kossel's
(D. 94. 7) über die bakteriellen Kräfte des Nukleins und der Nukleinsäuren
scheinen dafür zu sprechen, dass er auch im Kampfe der Zelle gegen
die Bakterien Anteil nimmt. Die Nukleine selbst können allerdings
schon wegen ihrer grossen Resistenz mit den Alexinen nicht identisch sein;
ob sie etwa einen Bestandteil der letzteren darstellen, ist unbekannt.
Die Frage nach dem baktericiden Wert der Kernsubstanzen ge-
winnt dadurch eine besondere Bedeutung, weil eine Reihe von Er-
fahrungen zu beweisen scheint, dass diejenige Gruppe von Zellen, die
durch Reichtum an Kernsubstanz und zwar oft von zerfallenden Kern-
elementen ausgezeichnet ist, nämlich die Lymphzellen und Leukocyten
des Blutes, sich Bakterien gegenüber nicht indifferent verhalten. Sie
sind es gerade, die am Entzündungsprozess den bedeutendsten Anteil
nehmen, auf sie vor allem wird sich also die Aufmerksamkeit lenken,
wenn man die Entzündung als heilsamen Vorgang betrachtet (vgl. S. 350 ff. ).
Experimentell ist die schädliche Wirkung der Eiterkörperchen zuerst
beobachtet worden von v. Christmas-Dircking-Holmsfeld (F. 87. 13),
der Milzbrandbacillen in dem von immunen Tieren gewonnenen Eiter zu
Grunde gehen sah. Geawitz (V. 116) u. Eichel (V. 121) haben eben-
falls im keimfreien Terp entin eiter Staphylokokken und Milzbrandbacillen
im Laufe weniger Tage absterben sehen. Die genannten Autoren
konnten dabei eine aktive Bethätigung der Eiterzellen durch Aufnahme
von Keimen ausschliessen, sie haben aber die Versuche nicht mit Er-
hitzung des Eiters wiederholt, so dass der Anteil von Alexinen an der
Vernichtung der Bakterien nicht festzustellen ist. Neuerdings ist in dieser
Frage durch andere Beobachter ein Fortschritt erzielt worden. Dents
u. Havet (Cellule 10. 1), sowie Büchner (M. 94. 25) haben durch
sterilisierte Bakterienkulturen, oder durch Weizenkleberlösungen Exsudate
erzeugt und deren baktericide Wirkungen viel grösser gefunden, als
wenn sie die reichlich darin vorhandenen Leukocyten davon abfiltrierten
oder das zellfreie Blutserum damit verglichen. Nach Buchner ist es
leicht, durch Gefrieren des Exsudats die Leukocyten abzutöten: auch
in diesem Falle erfolgt die Bakterienvernichtung mindestens ebenso
kräftig, als im unveränderten Exsudat, wird aber durch Erhitzung auf 60 °
Kruse, Krankheitserregung. 4Q3
aufgehoben. Es werden also aus den Leukocyten den Alexinen
ähnliche Substanzen frei, welche den erhöhten Effekt be-
dingen. Auch die neuen Resultate von van de Velde (Cellule 10. 2) und
M. Hahn (A. 25. 2) bestätigen diesen Satz. Darin liegt der erste sichere
Beweis dafür, dass die Entzündung eine Einrichtung des Körpers
darstellt, welche dazu dient, den in jedem Gewebe vorhan-
denen Abwehrstoffen Hilfskräfte zuzuführen. Manche Autoren
sind noch weiter gegangen und wollen die Alexine überhaupt von den
Leukocyten ableiten; Hankin (C. 12. 22/23 u. 14. 25) bezeichnet eine
Gruppe von Leukocyten geradezu als „alexocytes". Es ist das
eine Theorie, die allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat: man
müsste natürlich annehmen, dass schon im normalen Zustande des Or-
ganismus — vielleicht durch den regelmässig stattfindenden Leukocyten-
zerfall — die betreffenden Substanzen frei werden und den ganzen
Körper durchdringen; denn die Bakterien finden in der Regel, wie wir
oben sahen, die Alexine im Gewebe vorgebildet. Allgemeine Leuko-
cytose müsste nach dieser Annahme die baktericide Fähigkeit des Blutes
steigern. In der That haben Dents u. Kaisin beim Hunde nach Milz-
brandinfektion Hyperleukocytose und Vermehrung der Alexine Hand in
Hand gehen sehen. Eveeaed, Massäet u. Demooe (P. 93), sowie Sana-
eelei (P. 93) konstatierten bei einer Reihe von Infektionen, wenn die-
selben in Heilung ausgingen, Hyperleukocytose (vgl. S. 288), frühere
Forscher in ähnlichen Fällen Vermehrung des antibakteriellen Ver-
mögens des Blutes (vgl. 413). Von den Leukocytose verursachenden
Substanzen, die zugleich immunisierend wirken, haben wir schon
S. 345 ff. gesprochen und werden bei Gelegenheit der Erklärungsver-
suche der nicht spezifischen Immunität darauf zurückkommen. Alle
diese Thatsachen berechtigen wohl dazu, die Möglichkeit des Ursprungs
der Alexine aus den Leukocyten festzuhalten, der sichere Beweis dafür
fehlt und ist auch von Boedet (P. 95. 6) nicht erbracht worden. Nach
ihm ist die baktericide Eigenschaft des Blutserums wesentlich auf die
Schädigung der Leukocyten durch den Vorgang der Koagulation im
Reagensglas zurückzuführen, im Transsudate von demselben Tier, das
durch künstliche Stauung gewonnen wird, gehen dagegen weniger
Leukocyten zu Grunde und es zeigt geringeres mikrobicides Vermögen.
Wird durch Injektion von Karmin eine Hypoleukocytose hervorgerufen,
so hat das aus diesem Blut durch Koagulation im Reagensglas abge-
schiedene Serum eine geringere antibakterielle Kraft als normales Blut-
serum. Die Beteiligung der Leukocyten an der Alexinbildung wird
durch diese Experimente zwar wieder bewiesen, aber die Herkunft aus
anderen Quellen noch nicht ausgeschlossen. Übrigens ist Boedet's
Methode nicht ganz einwandfrei: das Stauungsserum kann nicht gut
26*
404 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
mit dem Blutserum verglichen werden, weil das erstere nach der eigenen
Angabe des Autors zahlreiche rote Blutkörper, die bekanntlich auf die
Alexine ungünstig wirken, enthielt, das letztere aber vollständig zellen-
frei war. Es wäre wünschenswert, dass ähnliche vergleichende Ver-
suche am Menschen angestellt würden, die an natürlichen Stauungs-
transsudaten leiden.
Die wichtige Rolle der Leukocyten und der Entzündung wurde
auch von anderen Seiten hervorgehoben, aber durchaus verschieden inter-
pretiert. So schreibt Ribbert *) dem Leukocytenmantel, der sich
um die auskeimenden Schimmelpilzsporen im Kaninchenkörper bildet,
eine grosse Bedeutung zu, die hauptsächlich in mechanischer Behinde-
rung des "Wachstums und in Sauerstoffabschluss bestände. Viel wich-
tiger für die ganze Entwicklung der Immunitätslehre, weil sie den
Forschungen eine mächtige Anregung gaben, wurden die Anschauungen
Metschnikoff's über die Phagocytose.2) Nach Metschnikoff's
Theorie sind die Wanderzellen, besonders die Leukocyten des Blu-
tes, die wahren Kampforgane des tierischen Körpers, die sich den ein-
dringenden Mikroben entgegenwerfen, sie „auffressen" und durch intra-
celluläre Verdauung unschädlich machen. Auf dieser Fähigkeit der
Phagocyten beruht die — natürliche wie künstliche — Immunität,
auf der Lähmung derselben durch spezifische Giftstoffe die Wirkung
der virulenten Bakterien im empfänglichen Tier. Diese ursprüngliche
Theorie hat weiterhin Vervollständigungen erfahren, besonders nach
zwei Seiten: das Verdauungsvermögen der Phagocyten war eine Vor-
aussetzung, die nie bewiesen, sondern nur auf Grund der analogen
Eigenschaft einzelliger Tiere aufgestellt worden ist. Die Fähigkeit der
Bakterien, verdaut zu werden, ist ebenfalls sehr zweifelhaft. Die neuere
Entwicklung unserer Kenntnisse von den Alexinen hat die ursprüng-
liche METSCHNiKOFF'sche Lehre von der Verdauungsthätigkeit der Phago-
cyten insofern modifiziert, als den Phagocyten jetzt ein spezifisches bak-
tericides Vermögen zugeschrieben wird.
Während ferner früher das Erscheinen der Phagocyten auf dem
Kampfplatze bei immunen Tieren und ihr Fernbleiben bei empfäng-
lichen etwas Mystisches an sich hatte, haben die Untersuchungen von
Pfeffer (Botan. Institut. Tübingen 88), Leber (F. 88. 463), Pekelharing
1) Untergang pathogener Schimmelpilze im Körper. Bonn 87 und D. 85. 31.
2) Metschnikoff , Arbeiten d. zoolog. Instituts. Wien 83; V. 96 (Spross-
pilzkrankheit der Daphnien) ; V. 97 (Milzbrand) ; V. 107 (Erysipel) ; V. 109 (Recurrens) ;
V. 113 (Tuberkulose); V. 114 (Milzbrand); P. 87—95 (zahlreiche Arbeiten und
Kritiken von Metschnikoff und seinen Schülern); Hess (V. 109); Ltjbarsch (Z.
M. 18 u. 19) mit vollständiger Litteratur bis 1891; Roux, P. 91 u. 94. Vgl. ferner
Batjmgarten, L.; Zi. 7; Z. M. 15; Bitter, Z.4; Buchner, M. 91. 32/33; M. 94. 37.
Kruse, Krankheitserregung. 405
(S. 89), Massaet und Bobdet *), Gabritschewsky (P. 90), Büchner (B.
90. 30 u. 47) über Chemotaxis gezeigt, dass die Bakterien selbst durch
Produktion positiv chemotaktischer Stoffe die Leukocyten anlocken und
durch negative Chemotaxis fernhalten.2) Nach Massart wären im
allgemeinen die virulenten Bakterien schwächer chemotaktisch wirk-
sam, als die abgeschwächten, eine Beobachtung, die mit den Forde-
rungen der METSCHNiKOEE'schen Lehre übereinstimmt. Die negative
Chemotaxis kann man nach demselben Autor entweder erklären durch
grössere Koncentration desselben Stoffes, der in geringerer Menge Leu-
kocyten anlockt, oder durch Produktion einer immer abstossend wir-
kenden Substanz (Gift nach Metschnikoff). Einige Ausnahmen von
dem obigen Satze bestehen übrigens, so hat Massart gefunden, dass
der virulente Diphtheriebacillus stärker chemotaktisch wirkt, als der
nicht virulente, und nach Kruse u. Pansini (Z. 11) locken hochinfek-
tiöse und abgeschwächte Pneumokokken gleich stark Leukocyten an,
Thatsachen, mit denen es wohl zusammenhängt, dass sowohl bei Diph-
therie als auch bei schwerster Pneumokokkeninfektion die örtliche
Leukocytenansammlung eine sehr erhebliche ist. Bei der Diphtherie
liegt der Grund dafür, wie es scheint, in der chemotaktischen Eigen-
schaft des spezifischen Diphtheriegiftes, bei Pneumonie vielleicht in
dem schnellen Absterben der Infektionserreger. Wissen wir doch
durch Buchner, dass die positiv chemotaktischen Substanzen
der Bakterien aus deren Körper beim Absterben frei werden
(vgl. S. 279 ff.).
Wenn man auch zugeben muss, dass durch diese neueren Er-
rungenschaften die Phagocytentheorie entschieden an Klarheit ge-
wonnen hat, und wenn auch feststeht, dass der Prozess der Pha-
gocytose ausserordentlich weit verbreitet ist und gerade da
regelmässig sich einstellt, wo die Infektion für den Organis-
mus eine günstige Wendung nimmt, d. h. im relativ unem-
pfänglichen Tier und bei relativ schwachem Virus, während er
zu fehlen oder zurückzutreten pflegt bei raschem, siegreichem
1) Massaet u. Bordet, Recherches sur l'irritabilite des leucocytes et sur
Intervention de cette irritabilite dans la nutrition des cellules et dans l'inflammation.
Bruxelles 90 und P. 91; ferner Massart, P. 92 und Bordet, Communication faite
ä la Societe Royale des sciences medicales et naturelles de Bruxelles, seance
d. 13. VI. 92.
2) Die Versuchsanordnung ist die folgende : Kapillarröhrchen werden mit den
flüssigen Kulturen gefüllt, an einem Ende zugeschmolzen, in das Gewebe von
Tieren eingeschoben und nach verschieden langer Zeit (z. B. 24 Std.) herausgezogen.
Bei positiver Chemotaxis hat sich dann an dem offenen Ende der Kapillaren ein
Pfropf von Leukocyten gebildet, der verschiedene Länge hat.
406 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Verlauf der Infektion !), so ist nichtsdestoweniger die Auslegung,
die Metschnikoee diesen Vorgängen giebt, eine im wesentlichen
irrige. Die Frage, ob eine Infektion an einem bestimmten Orte
günstig oder ungünstig endet, ist schon entschieden, bevor die Phago-
cytose in ausgedehnterem Grade eingetreten ist, und zwar entschieden
erstens durch die baktericiden Eigenschaften des Gewebes im
Momente der Infektion (vgl. S. 397) und zweitens durch die Hilfe,
die dem Gewebe in der entzündlichen Reaktion, mit anderen Worten
in der secernierenden Thätigkeit der herzugewanderten Leuko-
cyten erwachsen ist (vergl. S. 402 ff). Je grösser die Unempfäng-
lichkeit des Organismus im Verhältnis zum Virus, desto
eher genügt schon das erstgenannte Moment zur Abwehr; je
grösser die Empfänglichkeit, desto mehr kommt das zweite
zur Geltung; im empfänglichsten Organismus sind beide
Schutzeinrichtungen unzureichend. Die Phagocytose kann
ohne Zweifel schon beginnen, während der Kampf noch tobt, sie
erreicht aber sicher ihren Höhepunkt erst nach dem Ende desselben.
Diese Sätze sind nachgerade durch die zahlreichen Forschungen, die
durch die METSCHNiKOJFF'sche Hypothese angeregt worden sind, als be-
wiesen anzusehen. Es ist schon lange zweifellos, dass Infektionserreger
im Körper in ihrem Wachstum gehemmt und vernichtet werden
können, ohne in Leukocyten aufgenommen zu sein. Früher hat man
ausschliesslich die baktericiden Eigenschaften der Säfte dafür verant-
wortlich machen wollen, neuerdings wurde die Mitwirkung der Leuko-
cyten an dem Kampfe gut beglaubigt, aber wohl gemerkt nur in dem
Sinne, dass der Wert der Leukocyten wesentlich in ihren Sekretionen,
nicht in ihrer Fressthätigkeit besteht. Die ersteren kommen viel
schneller zur Wirkung, als die letztere.
Selbstverständlich ist die Vorstellung, dass die Aufnahme der Bak-
terien in die Leukocyten, also die Phagocytose, die Unschädlich-
machung derselben vollenden kann, nicht von der Hand zu weisen.
Metschnikoee's Experimente mit Kultivierung leukocytenhaltigen
Exsudats im hängenden Tropfen haben ad oculos demonstriert, dass
nicht etwa nur tote Bakterien der Phagocytose zum Opfer fallen.
Sehr viele Bakterien beschliessen ihr Leben erst im Körper der Phago-
cyten; die Stoffe, die da wirken, sind mit den Sekretionsprodukten
der Leukocyten wahrscheinlich identisch. In manchen Fällen, in
denen die Mikroorganismen grosse Virulenz besitzen, folgt freilich der
1) An der Richtigkeit dieser Sätze ist gar nicht zu zweifeln, sie wären auch
schon längst allgemein anerkannt worden, wenn nicht ihr Verfechter Metschni-
koff zu sehr die ausschliessliche Bedeutung der Phagocytose betont hätte.
Kruse, Krankheitserregung. 407
intracellulären Aufnahme eine Vermehrung der Keime und die Zer-
störung der Wirtszellen (Mäuseseptikämie, Gonorrhoe, Tuberkulose).
Der Vorgang der Inkorporierung von Bakterien in Leukocyten ist in
seinen Einzelheiten noch nicht vollständig aufgeklärt, die verschiedenen
Spezies scheinen sich nicht gleich gut zur Aufnahme zu eignen. Es
kommen da wohl bakterielle Stoffe in Betracht, die mit den chemo-
taktisch wirkenden durchaus nicht identisch zu sein brauchen, z. B. hat
van de Velde (Cellule 10. 2) in Staphylokokkenkulturen eine bei
60° schnell zerstörte Substanz gefunden, das „Leuko eidin", das die Be-
wegungen der Leukocyten in kürzester Zeit zum Stillstand bringt und
sie dann abtötet.
Wenn wir somit der Phagocytose entgegen Metschnikoee nur
sekundären Wert zuschreiben können, so stimmen wir doch, wie man
gesehen hat, mit den Anschauungen dieses Forschers (Festschr. für
Virchow, Berlin 91. II) über die teleologische Rolle der Entzündung
überein und billigen seinen Versuch einer phylogenetischen Ableitung
derselben. Metschnikoee gebührt unstreitig das Verdienst, die Be-
deutung der Leukocyten als der mobilen Truppen des Organismus
zuerst betont und energisch verfochten zu haben.
II. Worauf die natürliche Immunität gegenüber den Bak-
teriengiften beruht, ist unbekannt. Die Unterschiede zwischen den
einzelnen Tierspezies sind hier übrigens lange nicht so bedeutend, wie
bei der Immunität gegen die lebenden Keime. Es handelt sich mehr
um quantitative Differenzen der Empfänglichkeit. Fertig in den Säften
gelöste Stoffe scheinen kaum in Betracht zu kommen, so dass man
keine Ursache hat, mit Hankin (C. 10. 704) von „Toxo-Phylaxinen"
oder „Toxo-Alexinen" zu reden. Manche Erfahrungen scheinen dafür
zu sprechen, dass einzelne Organe, besonders nuklein-reiche , wie die
Thymus, Lymphdrüsen u. s. w., ein antitoxisches Vermögen besitzen,
ähnlich wie es für andere Organe, z. B. die Leber gegenüber anderen
Giften, nachgewiesen ist (vgl. S. 330 u. 354). In manchen Fällen,
nämlich bei Giften, die nur auf Zellen bestimmter Art wirken, wie
das Tetanusgift auf die Zellen des centralen Nervensystems, wird die
Intensität der Giftwirkung ausschliesslich von der Zusammensetzung der
letzteren abhängen.
III. Wodurch werden die virulenten (infektiösen) Bakterien befähigt,
im tierischen Organismus trotz der Abwehreinrichtungen desselben zu
wachsen, worin besteht die sog. Virulenz oder Infektiosität? Nur
sehr wenige Autoren haben sich ernstlich mit dieser Frage beschäftigt.
1. Man könnte daran denken, dass die Zusammensetzung des
Protoplasmas, die Konstitution der Moleküle bei den virulenten
Bakterien eine derartige ist, dass keine Schädigung ihrer Lebensthätig-
408 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
keit durch die Alexine bewirkt wird. Wenn wir diese Annahme machen
wollten, hiesse das von vornherein auf ein Verständnis verzichten.
2. Schon näher liegt uns die Vorstellung, dass eine grössere Resistenz
bedingt würde durch die Ausbildung von Schutzvorrichtungen,
etwa von Hüllen, welche die Bakterien umgeben. Dann müsste man
folgern, dass die infektionstüchtigen Bakterien sich auch im allgemeinen
gegenüber den Antisepticis widerstandsfähiger erweisen, als die abge-
schwächten und saprophytischen. Als Regel ist das durchaus nicht der
Fall, wenn auch Flügge u. Smiknow (Z. 4) für einige künstlich ab-
geschwächte Bakterien den Nachweis haben führen können, dass sie
schädigenden Einflüssen leichter erlagen als die infektiösen Varietäten.
Behring hat aber für einzelne Kulturen des Milzbrandbacillus geradezu
umgekehrte Verhältnisse gefunden (Z. 6). Auch die künstlich abge-
schwächten Pneumoniekokken sind resistenter als die virulenten (Kruse
u. Pansini, Z. 11).
3. Es könnte sich um eine Eigenschaft der lebenden Mole-
küle der virulenten Mikroorganismen handeln, die letztere befähigt,
die Alexine des tierischen Gewebes etwa durch Zersetzung zu neu-
tralisieren. Dadurch wäre die Virulenz dem Gährvermögen der Hefe-
zellen und vieler Bakterien analog. Abschwächung wäre nichts anderes
als ein Verlust dieser Fähigkeit, dessen Möglichkeit auch für die
Gährungserreger nachgewiesen ist. Wir würden diese Erklärung zu der
unserigen machen, wenn nicht gewichtige Gründe dafür sprächen, dass
4. spezifischeBakterienprodukte es sind, denen die Eigen-
schaft zukommt, die Alexine unschädlich zu machen. Schon
Gamaleia (P. 88) und Behring (Z. 6. 138) haben zwischen den viru-
lenten und abgeschwächten Varietäten des Milzbrands Unterschiede in
ihren chemischen Wirkungen gefunden, die in stärkerer Säurebildung
bei den ersteren bestanden; den letzteren sind dagegen nach Behring
reduzierende Fähigkeiten eigen. Konstant sind diese Differenzen nicht,
so konnten Kruse u. Pansini (Z. 11. 317 u. 323) bei Pneumonie-
diplokokken und Pasquale bei Streptokokken (Z. 12. 460 u. 464/65)
regelmässige Beziehungen zwischen dem Grade der Säurebildung oder
Reduktionswirkung und der Virulenzstufe nicht konstatieren. Dagegen
dürfte uns die Analogie zwischen den enzymbildenden und virulenten
Mikroorganismen weiterführen. Sowohl die Eigenschaft der Enzym-
bildung als die Virulenz kann dem Grade nach variieren und ganz
verloren gehen und zwar durch dieselbe künstliche Behandlung der
Kulturen (Fortzüchtung in künstlichen Nährböden, Einwirkung von
Hitze und Antisepticis vgl. Kap. „Variabilität").
Es liegt der Schluss nahe, dass auch die virulenten Bakterien ihre
Wirksamkeit bestimmten Substanzen verdanken, die sie secernieren,
Kruse, Krankheitserregung. 409
wie die Enzyme von den Saprophyten secerniert werden. Ob aller-
dings die spezifischen Produkte der infektiösen Bakterien auf die
Alexine wie Fermente wirken (katalytisch), oder ob sie die Wirkung
der Alexine dadurch, dass sie sich mit ihnen zu unschädlichen Stoffen
verbinden, paralysieren, muss vorläufig noch unentschieden bleiben —
nennen wir sie Angriffsstoffe oder Lysine. Schon mehrfach (vgl.
S. 336 u. 362) haben wir auf das Vorhandensein solcher Substanzen hin-
weisen müssen. Die begünstigenden Stoffe, die sich nach Bouchard und
seinen Schülern in den Bakterienkulturen gelöst finden, sind wahrschein-
lich nichts anderes als unsere Lysine. In den toten Leibern der Milzbrand-
bacillen hat Kruse mitBoNADUCE (Zi. 12. 366 ff) lytische Kräfte nachge-
wiesen und zwar sowohl im Serum ausserhalb der Gefässe, als im lebenden
Körper. Dass es sich hier um spezifische Substanzen handelt, bedarf
freilich noch ausgedehnterer Beweise. Eine schöne Bestätigung dafür
ist schon in einem älteren Experiment Nissen' s (Z. 6) enthalten, ohne
dass der Autor seine Beobachtung in unserem Sinne verwertet hätte.
Nach Injektion grosser Mengen vonKokkus aquatilis in das cirkulierende
Blut fand Nissen, dass das defibrinierte Blut seine keim vernichtende
Eigenschaft gegenüber dem letzteren Bakterium verloren hatte, nicht
gegenüber dem Cholerabacillus; nach Einspritzung des Cholerabacillus
ergab sich gerade das entgegengesetzte Resultat. Bei einem ähnlichen
Versuch mit Staphylokokken und B. aerogenes konstatierte zwar Bastin
(Cellule 8. 2), dass diese Bakterien bezüglich ihrer Wirkung auf das
baktericide Vermögen des Blutes sich gegenseitig vertreten, es ist dies
aber kein Gegenbeweis gegen unsere Theorie, weil wir wissen, dass es
zahlreiche Kombinationen zwischen Bakterien verschiedener Art giebt,
die virulenzsteigernd wirken (s. S. 313 Mischinfektion). Die lytischen Sub-
stanzen des Aerogenes werden denen des Staphylokokkus in -gewissem
Grade gleichwertig sein. l) Für die Existenz von Lysinen spricht ferner
1) In einer sehr interessanten Arbeit beschäftigt sich van de Velde (Cellule
10. 2. 1894) mit dem Mechanismus der Virulenz von Eiterstaphylokokken. Er
bestätigt zunächst die Existenz von Lysinen in den Kulturen durch Versuche mit
Serum, dem im Reagensglas filtrierte Kulturen zugesetzt werden. Dann wirft er
die Frage auf, ob Lysine in gleicher Menge von virulenten und abgeschwächten
Staphylokokken gebildet werden, was er durch ein Experiment, in dem wieder
filtrierte eintägige Bouillon benutzt wird, im positiven Sinne entscheiden zu können
glaubt . Neben den Lysinen findet der Autor — ebenfalls in gleichen Mengen —
bei beiden Varietäten das leicht zerstörbare Leukocidin. Dasselbe betrachtet er gleich
den ersteren zwar als Hilfsmittel im Kampfe gegen den Organismus, das wahre
Wesen der Virulenz soll aber in der Resistenz der Bakterien gegenüber den
baktericiden Substanzen bestehen. Eine Wiederholung dieser Versuche mit nicht
filtrierten Kulturen ist dringend notwendig. Wie leicht diese „Resistenz" übrigens
vor den Antilysinen auch im Reagensglas verschwindet, werden wir gleich sehen.
410 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
der Umstand, dass einige Zeit nach dem Beginn einer tötlichen In-
fektion der baktericide Effekt des dem betreffenden Tiere entzogenen
Blutserums gegenüber dem Erreger erheblich geschwächt oder gänzlich
geschwunden erscheint (vgl. Flügge, Z. 4. 229; Szekelt u. Szana,
C. 12; Lubarsch, Z. M. 19. 363). Durch die Annahme lytischer Sub-
stanzen erklärt sich auch der Einfluss der Menge, in der die Bak-
terien zur Wirkung gelangen. Was den einzelnen Individuen an der
Fähigkeit, Lysine zu bilden, abgeht, wird durch die grössere Masse
ersetzt. Die wichtigsten Belege für unsere Ansicht ergeben sich aber
vor allem aus den Verhältnissen, denen wir im immunisierten Organis-
mus begegnen, aus der nachweisbaren Existenz der „Antilysine" (s. später
unter Nr. V).
Über die Natur der Lysine ist vorläufig nichts näheres auszusagen.
IV. Es handelt sich jetzt zunächst darum, die künstliche, nicht
spezifische Immunität zu erklären, die Thatsachen verständlich zu
machen, die über die Erhöhung und Herabsetzung der Empfänglichkeit
bei den Wirtsorganismen bekannt sind (vgl. S. 332 u. 341 ff).
Der Fall, wo durch Hinzutreten eines anderen Bakteriums zu dem
ursprünglichen Infektionserreger die Chancen des letzteren verbessert
werden, wurde eben schon auf das Vorhandensein gleichwertiger lyti-
scher Produkte beider Mikroorganismen zurückgeführt. Auch die
Mittel, welche die Vitalität des Infektionsmaterials schädigen oder seine
Entfernung aus dem angegriffenen Körper bezwecken, sind in ihrer
Wirkung ohne weiteres verständlich.
Wenn die Alexine ferner Stoffe sind, die von den Zellen produziert
werden, so ist klar, dass jede Verbesserung oder Verschlechterung des
allgemeinen Stoffwechsels einen günstigen bez. ungünstigen Einfluss
auf die Resistenz des Körpers, auf den Vorrat an schützenden Sub-
stanzen haben wird. Die Energie der Zelle, die Beschaffenheit ihrer
Sekretion hängt selbstverständlich von ihrer normalen Ernährung
und der normalen Inanspruchnahme ihrer Funktion ab. Ob es Arznei-
oder Nahrungsmittel giebt, die imstande sind, auf die Produktion oder
Sekretion von Alexinen direkt einzuwirken, wissen wir nicht.
Die Reagierfähigkeit des Organismus auf infektiöse Reize durch
Vermittlung der Entzündung und ihrer hauptsächlichsten Träger, der
Leukocyten, haben wir weiterhin als das wichtigste Hilfsmittel er-
kannt zur Bekämpfung der Infektionserreger. Diejenigen Fälle von
Misch infektionen, die eine günstige Beeinflussung des Prozesses er-
kennen lassen, verlaufen unter dem Bilde einer intensiven Entzündung.
Diejenigen nicht organischen (und nicht spezifischen) Stoffe, die gegen
eine Infektion Schutz verleihen, rufen, wie es scheint, immer eine lokale
Kruse, Krankheitserregung. 411
Leukocytose hervor (vgl. Metschnikoff, Issaeff, Z. 16). Auch die
allgemeine Leukocytose ist eine wichtige Erscheinung, wie die Wir-
kung von Bakterienextrakten, Seruminjektion, die Pilocarpin- und Fer-
mentbehandlung beweist (s. S. 345 ff). Es muss freilich durch wei-
tere Untersuchungen festgestellt werden, welche chemischen Verände-
rungen der Säfte dadurch in den einzelnen Fällen herbeigeführt werden,
ob es sich dabei um eine reichlichere Sekretion von Alexinen durch
die lebenden Leukocyten oder um die. Entstehung solcher Stoffe durch
den Zerfall derselben handelt, welcher Art schliesslich die Veränderung
der weissen Blutkörperchen sein muss, um die Resistenz des Körpers, die
Alexinproduktion, zu steigern. Bekanntlich giebt es mehrere Formen
von Leukocytose, die eine sehr bedenkliche Vorbedeutung haben.
V. Gegenüber diesen Mitteln, die zur Abwehr von Infektionen
aller Art dienen, gewährt das spezifische Immunisierungsverfah-
ren einen Schutz nur gegen den Infektionserreger, mit dessen Pro-
dukten — im weitesten Sinne des Wortes — der Organismus behan-
delt worden ist (vgl. S. 355). Diese Thatsache ist zwar neuerdings
angezweifelt worden, weil es gelingt, durch Behandlung mit ganz ver-
schiedenen Bakterien eine kurz dauernde Immunität gegen diese oder jene
Infektion zu erzielen (s. S. 314), indessen ist sie nicht nur schon lange
durch die ärztliche Erfahrung für die meisten der natürlich vor-
kommenden Krankheiten, sondern auch für die experimentellen In-
fektionen von zahlreichen Autoren, neuerdings durch die systematischen
Untersuchungen R. Pfeiffee's (Z.' 17 — 21, vgl. S. 344ff.; Sobeknheim,
Z. 20; Dunbar, Z. 21) bewiesen. Diese Spezificität geht so weit, dass
sie selbst Bakterien zukommt, die man durch unsere bakteriologischen
Differenzierungsmethoden nur schwer von einander unterscheiden kann
(vgl. Typhus u. Cholera Bd. II). Zur Erklärung sind eine Reihe von
Hypothesen aufgestellt worden:
1. die Erschöpfungstheorie von Pastetjr (C. R. 91) und Klebs
(A. P. 13), die besagt, dass eine zweite Infektion eines und desselben
Organismus dadurch unmöglich würde, dass durch die erste Vegetation
der Krankheitserreger eine zu ihrer Ernährung notwendige, nicht er-
setzbare Substanz verbraucht würde. Die Unwahrscheinlichkeit dieser
Lehre erhellt, von aprioristischen Gründen ganz abgesehen, aus der
Thatsache, dass erstens spezifische Immunität auch ohne die Invasion
lebender Bakterien erzielt werden kann, dass zweitens, wo eine solche
stattgefunden hat, nur eine Örtliche Vermehrung erfolgt, dass drit-
tens die Gewebe so geimpfter Tiere, wie Bitter (Z. 4) in einer
besondern Experimentalreihe festgestellt hat, einen gleich günstigen
Nährboden für die betreffenden Bakterien abgeben können, wie diejeni-
gen ungeimpfter Tiere, und dass endlich durch genügend grosse Dosen
412 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
des Virus meist auch beim immunisierten Tier ein Wachstum der
Bakterien, also die Überwindung der Immunität erreicht werden kann.
2. Auf eine lokale Veränderung in dem Organe, das zuerst
von der Infektion betroffen ist, führen Buchnee l) und Wolefberg l)
die spätere Immunität zurück, indem sie entweder eine Modifikation
des Gewebes durch die voraufgegangene reaktive Entzündung in einem
für die Bakterien ungünstigen Sinne oder eine Auslese der stärkeren
und ein Zugrundegehen der schwächeren Zellen durch die Impfkrank-
heit annehmen. Diese Theorie hat heutzutage nur noch historische
Bedeutung, da wir jetzt wissen, dass die durch die Impfung an irgend
einer Stelle des Körpers erzeugte Immunität Geltung hat für den
ganzen Körper.2)
3. Metschnikoee hat seine Phagocytentheorie auch auf die
Erklärung der spezifischen Immunität angewandt, indem er eine An-
passung der Leukocyten an die Gifte der Bakterien oder eine Auslese
der im Kampfe mit den Infektionserregern erprobten mobilen Zellen
des Organismus voraussetzte. Unsere Einwände gegen diese Theorie
(s. S. 404) bestehen in gleicher Weise wie für die natürliche Immunität
auch für die spezifische. Der Begriff der „Anpassung" und „Auslese" klärt
uns übrigens über die wirklichen Vorgänge bei der Immunisierung in
keiner Weise auf; jeder Versuch, sich die Sache im einzelnen vorzu-
stellen, scheitert, oder man müsste eine ganze Reihe unbewiesener Hilfs-
hypothesen herbeiziehen. Das gilt von allen ähnlichen Theorien, die
mit diesen Begriffen operieren.
4. Die Retentionshypothese, die von Weknich (V. 78) und
Chauveau (C. R. 90, 91) aufgestellt ist, lässt im Körper der Vacci-
nierten Stoffwechselprodukte der Infektionserreger zurückbleiben, die
eine nochmalige Invasion wegen ihrer antiseptischen Eigenschaften
verhindern. Zu Grunde liegt dieser Anschauung die bekannte That-
sache, dass das Bakterienwachstum in künstlichen Kulturen unter An-
häufung von schädlichen Zersetzungsprodukten allmählich erlischt.
Die Untersuchung der letzteren, besonders von Sirotinin (Z. 4, vgl.
2. Kap. dies. Abschn. unter E), haben allerdings gezeigt, dass es sich
hier häufiger um ein Zuviel von Säure oder von Alkali, oder um eine
Erschöpfung des Nährbodens handelt, Dinge, die im Tierkörper nicht
in Frage kommen können. Bei der Immunisierung ist ferner in Be-
1) Büchner, Neue Theorie über Erzielung von Immunität gegen Infektions-
krankheiten. München 83. Wolffberg, Ergänzungsheft 4 zum Centralblatt f.
allgem. Gesundheitspflege. Bonn 85.
2) Damit erledigt sich auch der Erklärungsversuch, den Schleich (mit Gott-
stein, Immunität, Infektionstheorie und Diphtherieserum. Berlin 94) neuerdings
gemacht hat.
Kruse, Krankheitserregung. 413
tracht zu ziehen, dass die Vaccins nur eine beschränkte Entwicklung
im Körper durchmachen, dass also, wenn man die Unschädlich-
machung und Ausscheidung der schädlichen Substanzen noch mit
berücksichtigt, kaum so viel von diesen letzteren zurückbleiben kann,
um einer neuen Infektion wirksam zu begegnen. Nach recht inten-
siver Immunisierung, d. h. nach allmählicher Einverleibung grösserer
Mengen von Stoffwechselprodukten oder wiederholte Impfung mit
steigenden Dosen virulenter Bakterien, ist es allerdings gelungen,
in manchen Fällen in dem Blutserum des immunisierten Tieres recht
energische baktericide Wirkungen nachzuweisen, die beim nor-
malen Tier fehlten, so z. B. nach Behandlung mit dem Vibrio
Metschnikoff (Behring u. Nissen, Z. 8), mit dem Diplokokkus der
Pneumonie (Kruse und Pansini, Z. 11), mit dem Choleraspirillum
(Sobernheim, Z. 14; R. Pfeiffer, Z. 18). In anderen Fällen, wie
beim Erysipelkokkus (Roger, S. B. 90), beim Hogcholerabacillus
(Metschnikoff, P. 92), bei Milzbrandhammeln (Behring u. Nissen, Z. 8
gegen Nuttall, Z. 4 und Lubarsch, Z. M. 19), bei Rauschbrand
(Ruffer, P. 91), beim Typhus (Stern, D. 92. 37 gegen Bruschettini,
Ri. 92. 181) war dieses Verhältnis nicht konstant. x) Wir kommen
schliesslich zur
5. modifizierten Retentionstheorie (Antilysintheorie). Die
eben genannten Arbeiten haben jedenfalls gezeigt, dass das Blut-
serum in manchen Fällen von spezifischer Immunität eine deutliche,
im Reagensglas nachweisbare chemische Veränderung erleidet. Es
hat sich aber auch in den eben citierten negativen Fällen, sowie bei
einer ganzen Reihe anderer Infektionen herausgestellt, dass auf anderem
Wege, nämlich durch den Tierversuch, eine durch die Immunisierung
bewirkte Modifikation des Blutserums hervortritt; auf S. 360 haben
wir die Schutz- und Heilwirkung, die derartigem Serum inne-
wohnt, besprochen. Wie lässt sich diese Thatsache anders erklären,
als durch die Annahme, dass der Immunisierungsprozess im Körper
Stoffe zurücklässt, die einen spezifischen Effekt haben? In welcher
Weise äussert sich die Schutzwirkung solchen Serums? Unter seinem
1) Auch wenn das spezifische Serum nicht sehr erhebliche baktericide Eigen-
schaften besitzt, zeigt es insofern eine Veränderung als Nährboden gegenüber dem
normalen Blutserum, als das Wachstum der betr. Bakterien nicht gleichmässig in
der ganzen Flüssigkeit erfolgt, sondern in Form von klumpigen Massen, die am
Boden des Gefässes entstehen. Es ist das schon von Kruse u. Pansini (Z. 11),
Metschnikoff, Issaeff u. A. beobachtet worden. Diese „agglutinierende" Fähig-
keit des spezifischen Serums soll nach Gbubeb und Dtjbham's neuester Hypothese
(M. 96. 13) die eigentliche Wirksamkeit desselben ausmachen. Uns erscheint sie
von sekundärer Bedeutung.
414 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Einfluss gelangen die vollständig virulenten Infektionserreger nicht
zum Wachstum im empfänglichen Organismus! Schon hierdurch
wird jeder Versuch, die Schutzkraft des Serums aus einer antitoxi-
schen Wirkung abzuleiten, illusorisch. Der Vorgang der Infektion
hat unmittelbar nichts zu thun mit dem der Intoxikation, die Be-
kämpfung der ersteren kann also nicht durch antitoxische Mittel ver-
sucht werden. Es hat kaum der besonderen, zur Widerlegung dieser
Hypothese ausgeführten Experimente bedurft (vgl. S. 362). Auch die ab-
schwächende Wirkung des spezifischen Blutserums, die vonBouCHARD
(Verh. internat. Kongr. Berlin 91) auf Grund der Versuche von Roger
(S. B. 90) mit dem Erysipelkokkus, dann von Roger u. Charrin für den
Pyocyaneus (S. 92. 268) behauptet war, hatMETSCHNiKOFF (P. 92 u. S. 92)
nicht bestätigen können, denn die vom Serum ab filtrierten Bakterien
zeigten ihre alte Virulenz, nur das bei den Tierversuchen mit ein-
gespritzte Serum hatte den Anschein erweckt, als ob die Infektions-
erreger abgeschwächt wären. Diesen vergeblichen Versuchen gegen-
über hat Verfasser 1892 (Zi. 12. 3) die Theorie entwickelt, dass die
Schutzkraft des Serums immunisierter Tiere auf seinem An-
tilysingehalt beruhe, d. h. auf seiner Fähigkeit, die Angriffsstoffe
der virulenten Bakterien, die Lysine (s. S. 409), im Momente ihrer Ent-
stehung zu neutralisieren.
Diese Annahme erklärt alle aus den Serumversuchen bisher be-
kannten Thatsachen. Das infektiöse Bakterium unterliegt, seiner Lysine
durch das. Schutzserum beraubt, den Einflüssen der Alexine des Ge-
webes, wie ein nichtvirulentes Bakterium, ohne dass sich eine lokale
Reaktion bemerkbar macht. Wenn die Wirkung des Serums eine nicht
ausreichende ist, wird zwar ein Teil der Lysine neutralisiert, aber
nicht alle; die Mikroorganismen verhalten sich dann wie abgeschwächte,
sie wachsen massig und werden schliesslich durch den Einfluss der
im Gewebe vorrätigen Alexine und der durch die Entzündung heran-
gezogenen Leukocytenalexine überwältigt. Wird die Serumbehandlung
erst einige Zeit nach der Infektion begonnen, so kann durch genügende
Mengen kräftigen Serums eine Heilung bewirkt werden, wenn diesel-
ben ausreichen, die durch die Vermehrung im Körper natürlich um
ein Vielfaches angewachsene Lysinproduktion zu kompensieren, und
wenn nicht schon alle verfügbaren Alexine des Körpers, die vorgebil-
deten und die in den Leukocyten enthaltenen, durch die bis zum
Momente der Serumeinspritzung ungehindert gebildeten Lysine un-
schädlich gemacht sind. So erklärt sich die von vielen Forschern
beobachtete Thatsache, dass nach einer gewissen Dauer der Infektion
selbst die grössten Heilserumdosen keine Wirkung mehr haben: die
natürlichen Resistenzmittel (Alexine) des Organismus sind erschöpft,
Kruse, Krankheitserregung. 4 15
die Bakterien wachsen mit oder ohne Lysine darin, da keine Wider-
stände mehr da sind.
Einige neuere Experimentalergebnisse haben die Antilysintheorie
sehr gefestigt. R. Pfeiffee, hat durch eine Versuchsanordnung, die
ihm gestattet, den Prozess der Bakterienentwicklung im lebenden Körper
fast wie im Reagensglase zu verfolgen, nämlich durch die in beliebigen
Zeiträumen wiederholte Probeentnahme von Flüssigkeit aus der infi-
zierten Peritonealhöhle mittels Glaskapillaren, den Nachweis geführt,
dass unter der Einwirkung von Schutzserum die in das Peritoneum
eingeführten virulenten Bakterien (Cholera u. ähnl.) in kürzester Frist,
ohne wesentliche Beteiligung von Phagocyten zerfallen und nicht
zum Wachstum kommen, genau ebenso, wie es stark abgeschwächte
Bakterien ohne Serumbehandlung thun. Pfeiffer glaubt wenigstens im
ersten Fall es mit spezifisch baktericiden Substanzen zu thun zu
haben, die auf reaktive Weise nach der Infektion ins Peritoneum ab-
gesondert werden. Nach unserer Auffassung handelt es sich um die-
selben nicht spezifischen Stoffe gegen Cholera im ersten wie im zweiten
Fall: um die Alexine, die teils schon in den Geweben vorgebildet sind,
teils wirksam durch Reaktion aus denLeukocyten ausgeschieden werden.
Dass gerade hier die Alexine vorgebildet sind, dafür sprechen die Ver-
suche mit dem extravasculären Blutserum von gegen Cholera immuni-
sierten und nicht immunisierten Meerschweinchen. Das erstere hat im
Reagensglas nach Pfeiffee, (Z. 18) — natürlich im frischen Zustande —
starke baktericide Eigenschaften gegen virulente Cholerabakterien, ganz
ebenso wie das Serum normaler Tiere gegen abgeschwächte (Behring und
Nissen, Z. 8). Auch in diesen beiden Fällen sind nach unserer Ansicht
die baktericiden Stoffe die gleichen, nämlich die Alexine, die durch
Erhitzen auf 60 ° zerstört werden. Der Unterschied besteht nur darin,
dass im Serum des normalen Tieres die abgeschwächten Bakterien
zu Grunde gehen, weil sie keine Lysine bilden, während die virulenten
Cholerabacillen im Serum des immunisierten Tieres zu Grunde gehen,
weil ihre Lysine durch die spezifischen Schutzstoffe desselben, unsere
Antilysine, neutralisiert werden. Natürlich müssen alle diejenigen Ein-
flüsse, die geeignet sind, die Alexine zu zerstören, ausser der Er-
wärmung auf 60° auch Aufenthalt bei 37 °, bei gewöhnlicher Temperatur
und selbst im Eisschranke, Zusatz von roten Blutkörperchen u. s. w.
(s. S. 401 ff.), auch die baktericiden Eigenschaften des spezifischen Serums
aufheben, daher sie wohl von Pfeiffer u. A. im Serum von cholera-
und typhusimmunen Menschen nicht gefunden worden sind. Ausserdem
wird sich in allen den Fällen, wo das Blutserum der normalen Tiere
keine keimtötenden Fähigkeiten gegenüber den abgeschwächten Infektions-
erregern besitzt, dieselbe auch nicht gegenüber den gleichen, aber viru-
416 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
lenten Bakterien einfinden, nachdem die betreffenden Tiere immuni-
siert worden sind.
Ganz überzeugend sprechen für unsere Theorie die neuesten Ver-
suche von Boedet (P. 95. 6). Derselbe setzte zu dem normalen Serum
von Meerschweinchen, das ein guter Nährboden für virulente Cholera-
bacillen war, nur Spuren von dem auf 58 ° erhitzten Serum einer gegen
Cholera hochimmunisierten Ziege und sah danach plötzlich die stärksten
baktericiden Effekte hervortreten, d. h. mit anderen Worten, der
Zusatz von Antilysin bewirkte in dem mit Cholera besäten Meer-
schweinchenserum die Neutralisierung der Lysine; die dadurch kampf-
unfähig gemachten Bakterien unterlagen den Alexinen. Der Versuch
schlug natürlich fehl, wenn die Alexine durch Erhitzen oder längeres
Stehenlassen des Meerschweinchenserums unschädlich gemacht waren.
Ebenso machte sich die Wirkung des Choleraserums nur gegen Cholera-
bakterien, nicht gegen andere geltend.
Weit verbreitet, weil am nächsten liegend, ist die Vorstellung, dass
die spezifischen Schutzstoffe im Serum gelöst vorgebildet seien, Boedet
giebt aber auf Grund von Experimenten der Ansicht Ausdruck, dass sie
wenigstens zum Teil erst bei der Gerinnung, aus den Leukocyten, in die
Flüssigkeit übertreten. Wir hätten danach diese mobilen Truppen des
Organismus mit zweierlei Stoffen ausgerüstet zu denken: im normalen
Tier mit alexinartigen Stoffen (vgl. S. 403), im immunisierten Tier ausser-
dem noch mit Antilysinen. Schon früher haben wir allerdings gesehen,
dass der. aktiv immunisierte Organismus nur zu gewissen Zeiten Schutz-
kräfte in seinem Blut besitzt und trotzdem in der Zeit vorher und
nachher spezifische Resistenz bekundet (S. 366). Man könnte dann von
einer dauerhaften „Gewebsimmunität" (Beheing) im Gegensatz zu der
vorübergehenden „Serumimmunität" sprechen und hätte sich vorzu-
stellen, dass die Gewebszellen Antilysine aufgespeichert ent-
halten — entweder als solche oder vielleicht in Bindung mit anderen
Stoffen. Jedenfalls müssen sie in allen Geweben vorhanden sein, denn,
wo auch eine Infektion erfolgt, treten im immunisierten Organismus
den Erregern die Schutzstoffe entgegen. Über die Entstehung der
Antilysine lässt sich bis jetzt nichts sicheres aussagen, aller Wahr-
scheinlichkeit nach werden sie während des Prozesses der aktiven
Immunisierung unter Beihilfe der Gewebszellen aus den Angriffsstoffen
der Bakterien, den Lysinen, erzeugt. Die Schwierigkeiten, die hier noch
bestehen, werden hoffentlich bald eine Aufklärung erfahren. Die passive
Immunität (s. S. 366) durch Serumübertragung besteht nur, so lange
die Antilysine im Blute kreisen. Sie ist nur mit einer der Verdünnung
entsprechenden Abschwächung auf neue Tiere zu überpflanzen, wie
R. Pfeiefee (Z. 17. 366 u. 18. 13) entgegen Feänkel u. Sobeenheim
Kruse. Krankheitserregung. 417
(R. 94. 3) festgestellt hat; eine Neubildung von Schutzstoffen findet in
dem passiv immunisierten Organismus keineswegs statt.
VI. So wenig man von dem Wesen der natürlichen Giftimmunität
weiss, so sehr kann man darüber im Zweifel sein, wie sich die künst-
liche Verminderung und Erhöhung dieser angeborenen Resistenz erklärt
(vgl. S. 340 u. 354). Nur über die Natur der spezifischen Immunität
gegen Bakteriengifte kann man einigermassen Bescheid geben (368 ff.),
dank den Arbeiten von Behring u. Kitasato u. A. über die Immuni-
sierung gegen Tetanus und Diphtherie. Auch hier geht die Erkenntnis
des Vorganges von den Eigenschaften des Blutserums der aktiv immuni-
sierten Tiere aus; die schützenden Prinzipien, die Antitoxine, sind hier
aber schon länger bekannt. Was eben von den Antilysinen gesagt
wurde, gilt auch von den Antitoxinen, nur sind hier die bekämpfen-
den SubstanzeD nicht die Angriffstoffe der Bakterien (Lysine), sondern
ihre Gifte (vgl. unter C S. 282 ff.).
VII. In kurzen Worten lassen sich die Ergebnisse unserer Unter-
suchungen über Infektion, Immunität und Heilung etwa folgender-
massen zusammenfassen.
In den tierischen Organismen sind im allgemeinen Schutzeinrich-
tungen ausgebildet J), die sie befähigen, in sie eingedrungene Bakterien
zu bekämpfen, es sind das:
1. die Abwehrstoffe oder Alexine, die in den Geweben
vorgebildet sind;
2. die Leukocyten, die durch die Entzündung herbeigelockt
unter Umständen in Aktion treten, nicht durch Vermittlung von Phago-
cytose, sondern durch Sekretion von ähnlichen Alexinen;
3. eine je nach der Spezies wechselnde Giftunempfindlichkeit,
die vielleicht auf giftzerstörender Wirkung einzelner Organe beruht.
Die Krankheitserreger ihrerseits verfügen
1. über Stoffe, die ihnen durch Zerstörung der Alexine ermög-
lichen, im lebenden tierischen Körper zu wachsen, das sind die An-
griffsstoffe oder Lysine;
2. über Gifte.
Sieger in dem Kampfe zwischen Organismen und Bakterien bleiben
die ersteren, wenn ihre Gewebs- oder Leukocyten-Alexine hinreichen,
das Wachstum der Bakterien zu beschränken, und wenn die während
1) Von denjenigen Schutzvorrichtungen, durch die der höhere Organismus
das Eindringen der Infektionserreger verhütet, ist hier nicht die Rede, sie haben
mit der eigentlichen Immunität nichts zu thun. Oben unter Eintrittspforten (S. 316)
haben wir sie im einzelnen besprochen (äusseres Integument, Epithel der Schleim-
häute, Flimmerzellen, Magensaft, Schleimsekretion, Lymphdrüsen u. s. w.) Über
die Bedeutung der Ausscheidungen für den Heilungsvorgang vgl. S. 375.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 27
418
Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
dessen gebildeten Gifte zu schwach sind, um die natürliche Gift-
festigkeit zu überwinden — natürliche Heilung.
Auf künstlichem Wege kann die "Widerstandsfähigkeit der Or-
ganismen erhöht werden und zwar
1. durch Erhöhung der Alexin-
produktion des Gewebes (Er-
nährung etc.);
2. durch Steigerung der zelli-
gen Exsudation oder örtlichen
Leukocytose;
3. durch Verabreichung von Anti-
septicis, die lebende Bakterien
oder ihre Gifte schädigen;
4. durch Erzeugung oder Übertragung von
Antilysinen, die durch Neutralisierung der
Lysine die Angriffskraft der Bakterien hemmen,
und von Antitoxinen, die deren fertigen Gifte
unschädlich machen.
Wenn die Behandlung vor der
Infektion eingeleitet wird und zu
glücklichem Ende führt, sprechen
wir vonPr äventivb ehandlung, Impf-
schutz, Immunisierung nicht
spezifischer Art; wenn die Be-
handlung nach der Infektion er-
folgt, von nicht spezifischer
Heilung.
Spezifischer Impf-
schutz und spezi-
fische Heilung.
Anhang: Pflanzeninfektion.
Eine Reihe von bakteriellen Infektionskrankheiten der Pflanzen ist
schon bekannt geworden. Dahin gehören (s. Bd. II: spezielle Systematik,
vgl. Migula, r:C. 13. 564; Ludwig, L; Russell, Bacteria in her relation to
vegetable tissue. Diss. Baltimore 92):
1. der Pear blight und Apple blight der Amerikaner (Bubrill),
2. der Hirsebrand (Bueeill),
3. die Bakterienkrankheit des Mais (Burbill),
4. der Rotz der Hyazinthen (Heinz),
5. die Nassfäule der Kartoffeln (Kramee), wahrscheinlich ferner
6. die Gallenkrankheit der Aleppokiefer (Vuillemin),
7. die Gallenkrankheit der Oliven (Pbillieux),
8. der gelbe Rotz der Hyazinthen (Wakker),
9. die Bacteriosis der Weintrauben (Cugini und Macchiati).
Sehr zweifelhaften Ursprungs sind die „Schleimflüsse" der Bäume, die
Gummosis des Weinstockes und anderer Pflanzen u.a.m. — Die Reaktionen
der Pflanzen auf infektiöse Reize bestehen in Zelldegenerationen (Nekrosen),
Zell Wucherungen, Sekretionen u. s. w. Die betreffenden Krankheiten
Kruse, Krankheitserregung. 419
befallen unter natürlichen Verhältnissen nur immer wenige Varietäten,
Arten oder Gattungen von Gewächsen. Für alle übrigen besteht Im-
munität. In manchen Fällen müssen die Ursachen der Immunität in
mechanischen Verhältnissen gesucht werden. Manche Birnensorten z. B.
verhalten sich gegenüber der natürlichen Infektion, die durch Über-
tragung des Bac. amylovorus auf die Blüten erfolgt, refraktär, sind
aber ebenso leicht durch parenchymatöse Injektion zu infizieren, wie
die empfänglichen Sorten (Russell a. a. 0.). Auch die letzteren
haben einen gewissen Schutz in ihren epidermoidalen Bedeckungen,
nur wo dieselben durch Wunden verletzt sind, oder wo natürliche Ein-
trittspforten bestehen, wie in der Blüte, vermögen die spezifischen Er-
reger einzudringen. Ihr Vordringen in den Geweben wird durch
die mehr oder weniger feste Konfiguration der Zellwandungen beein-
flusst, findet also in dem genannten Beispiel hauptsächlich in den
jüngeren Trieben der empfänglichen Pflanzen statt.
Die wichtigste Ursache der Immunität muss aber doch bei den
Pflanzen wie bei den Tieren in chemischen Eigenschaften der lebenden
Organismen gesucht werden. Für manche Bakterien und an manchen
Stellen der Pflanze wird schon die saure Reaktion des Gewebes genügen,
um jede Wucherung zu verhindern. Im allgemeinen ist aber diese
Reaktion nicht vorhanden und es giebt auch Bakterien genug, die eine
solche vertragen. Wir sind daher gezwungen, das Vorhandensein
anderer chemischer Kräfte in der Pflanzenzelle anzunehmen. Es ist
bis jetzt nicht gelungen, antiseptische Stoffe, die den Alexinen des Tier-
körpers entsprechen, in Pflanzen aufzufinden; ausgepresster Zellsaft der-
selben erwies sich inRussELL's Experimenten als vorzüglich er Nährboden
für alle möglichen Bakterien. Die Existenz eines stark ausgesproche-
nen baktericiden Vermögens im Pflanzenprotoplasma wird auch dadurch
widerlegt, dass bei Einimpfung von beliebigen, nicht pathogenen Bakterien
ins lebende Pfianzengewebe (Lominsky, r: C. 8. 325 u. Russell a. a. 0.)
nicht selten eine Vermehrung derselben erfolgt und jedenfalls ihr Ab-
sterben meist sehr lange (Wochen lang) auf sich warten lässt. Die
Bakterien (Prodigiosus, Fluorescens, B. acidi lactici, coli communis u. a.)
können sich sogar stellenweise ziemlich weit im Gewebe verbreiten.
Das Endresultat ist in allen Fällen allerdings das Verschwinden der
eingeführten Mikroorganismen.
Eine spezifische Immunität, die durch einmaliges Überstehen einer
Infektion erworben würde, kennt man bei Pflanzen nicht.
2V
42(J Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Fünftes Kapitel.
Fortpflanzung:, Wachstum und Fruktifikation der
Tga
von
Dr. E. Gotschlich.
Während bei den höheren mehrzelligen Lebewesen, in welchen die
einzelnen Zellen nicht mehr unabhängige Individuen, sondern abhängige
differenzierte Teile eines Ganzen sind, nicht jede Zellteilung eine Fort-
pflanzung der Art darstellt, sondern dem gegliederten Organismus meist
nur einen neuen, zu selbständigem Leben nicht befähigten Spross hin-
zufügt, und daher die Hervorbringung neuer Individuen besonderen
Funktionen obliegt, die bei aller Verschiedenheit im einzelnen unter
dem gemeinsamen Namen der Fruktifikation zusammengefasst werden
können, ist bei den Mikroorganismen eine solche Trennung noch nicht
ausgebildet. Hier bedeutet jede Zellteilung zugleich Erzeugung eines
neuen, zu selbständigem Leben und Fortpflanzung befähigten Indivi-
duums; daneben aber finden wir bei einer grossen Zahl der Mikro-
organismen noch besondere, durch ihre höhere Resistenz gegenüber
schädigenden äusseren Einflüssen vorzugsweise zur Erhaltung der Art
bestimmte Formen, die Sporen, welche durch einen, der Fruktifikation
höherer Organismen analogen Vorgang gebildet werden, und von denen
durch Keimung und Zellteilung erneute Vermehrung der Art ausgehen
kann. Das Verhältnis zwischen einfacher vegetativer Vermehrung und
Fruktifikation ist nun aber bei den Schimmelpilzen einerseits, den Spalt-
und Sprosspilzen andererseits wesentlich verschieden, so dass bei der
Besprechung der Sporenbildung eine getrennte Behandlung dieser drei
Klassen der Mikroorganismen erforderlich sein wird; auch die morpho-
logischen Verhältnisse der Sporenbildung, betr. deren auf frühere Ab-
schnitte verwiesen sei, sind ja bei diesen Klassen von durchaus ver-
schiedener Bedeutung.
A. Die Vermehrung durch Zellteilung
ist die höchste und wesentlichste Leistung der lebenden Zelle, zu der
alle früher besprochenen Funktionen in untergeordneter Bedeutung
stehen; ihre Intensität geht parallel mit allen übrigen Lebensäusse-
rungen, sie ist daher auch der beste Massstab für die Energie des
Lebensprozesses; fehlt die Vermehrung, so ist das Leben der Zelle ent-
weder erloschen oder sistiert; in letzterem Fall ist der Kraft- und Stoff-
Gotschlich, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 421
umsatz in derselben so herabgesetzt (z. B. durch niedere Temperatur),
dass nur das eigene Leben der Zelle erhalten werden, aber keine Energie
nach aussen, sei es zu physikalischen oder chemischen Leistungen, sei
es zur Erzeugung neuer Lebewesen, abgegeben werden kann. Der
quantitative Ausdruck für die Energie der Vermehrung wird durch
die Zahl der aus einer Zelle in einer gegebenen Zeiteinheit hervor-
gegangenen Individuen gegeben. Er bietet die Möglichkeit, die von
der lebenden Zelle geleistete Arbeit zu messen und zahlenmässig fest-
zustellen, ist also für die exakte Auffassung der Lebensprozesse von
hohem Wert.
Der strenge Parallelismus zwischen Vermehrungsenergie und der
Intensität aller übrigen Lebensäusserungen ist ausser durch den Augen-
schein, dass bei optimalen Vermehrungsbedingungen auch alle übrigen
chemischen und physikalischen Leistungen intensiver vor sich gehen,
für Bakterien noch zahlenmässig bewiesen, indem Smirnow (Z. 4.
248) zeigte, dass bei Abschwächung der Lebensäusserungen, speziell
der Virulenz von Bakterien auch ihre Vermehrungsenergie in dem-
selben Verhältnis abnahm, indem ferner Gotschlich und Weigang (Z.
20) nachwiesen, dass bei einer Cholerakultur die Grösse der Viru-
lenz in strengem Sinne eine Funktion der Individuenzahl darstelle.
Hiermit ist die Basis dafür gegeben, die Vermehrungsenergie im all-
gemeinen als sicheren Massstab der Intensität des Lebensprozesses auf-
zufassen. Ausnahmen von dieser Norm kommen bei dauernd abge-
schwächten Gährungs- oder Krankheitserregern vor, bei denen, wie früher
erwähnt, häufig mit der Verminderung ihrer spezifischen gährungs- oder
krankheitserregenden Energie eine Steigerung des vegetativen 'Wachs-
tums auf künstlichen Nährböden Hand in Hand geht.
Für die Vermehrungsenergie haben zuerst Buchner, Longard und
Riedlin (C. 2. 1) einen brauchbaren praktischen Ausdruck ge-
schaffen. Bezeichnet a die Zahl der Bakterien in der Aussat, b die
Zahl derselben in der Ernte, n die Zahl der aufeinander folgenden
Generationen, so ist unter Zugrundelegung der Thatsache, dass die
Bakterien sich stets durch Zweiteilung vermehren: b = a.2n und n =
— — j r— - — Ist T die Versuchszeit, so ist die Dauer jeder einzelnen
T
Generation = — • Auf diese Weise fanden die genannten Autoren für
n ö
den Choleravibrio bei Wachstum in Fleischwasserpeptonzuckerlösung
bei 37° die Generationsdauer zwischen 19,3 bis 40,0 Minuten. Die
Versuchszeit darf, wenn man einen brauchbaren Durchschnittswert ge-
winnen will, nicht zu lange ausgedehnt werden, da sehr bald durch
Erschöpfung des Nährbodens und zunehmende Bildung hemmender
422 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Stoffwechselprodukte die Entwicklung verlangsamt und die Generations-
dauer verlängert wird.
Über die Grösse der Generationsdauer bei verschiedenem Alter
einer Kultur hat M. Müllee (Z. 20. 245) am Typhusbacillus
interessante Ermittelungen angestellt. Derselbe fand, dass die Ver-
mehrungsintensität sehr rasch abnimmt; schon nach 24 Stunden hatten
die schädigenden Einflüsse so die Oberhand gewonnen, dass die Gene-
rationsdauer um das Doppelte oder noch mehr verlängert wurde; die-
selbe betrug z.B. in einer bei 37,5° gehaltenen Bouillonkultur 8 Stunden
nach Beginn des Versuchs durchschnittlich 28,95', 24 Stunden nach
Beginn des Versuches dagegen 69,05'. Die rasch eintretende Entwick-
lungshemmung und die damit parallel gehende Abschwächung der
einzelnen Individuen zeigt sich auch noch in der merkwürdigen That-
sache, dass beim Ansetzen einer neuen Kultur nicht sofort die Ver-
mehrung der von der alten Kultur abgeimpften Keime beginnt, sondern
dass erst eine gewisse Zeit vergeht, in der sich die übertragenen Keime
von ihrer vorangegangenen ungünstigen Alteration erholen müssen;
diese Zeit beträgt im Durchschnitt 2 — 3 Stunden, ihre Dauer hängt
ganz von dem Alter der zur Abimpfung verwandten Kultur ab; nur
bei Verwendung ganz junger (2 V2 — 3 stündiger) Kulturen beginnt die
Fortpflanzung fast sofort nach der Übertragung; aber schon bei
6 stündigen Bouillonkulturen liess sich eine Schädigung der Vermeh-
rungsenergie konstatieren. Ferner fand Müllee, dass die durchschnitt-
liche Länge der Generationsdauer durch Steigerung der Temperatur
über das Optimum vermehrt wird; bei 37,5 — 38,1° betrug die Gene-
rationsdauer im Mittel 32,02', bei 39,7—40,4° dagegen 37,2'. Erst die
Temperatur von 44,5° aber wirkte bei andauernder Einwirkung abtötend
auf die Typhusbacillen.
Über das zeitliche Verhalten der Entwicklung haben ferner
Gotschlich u. Weigang (a. a. 0.) Untersuchungen an Cholerabacillen,
und zwar auf Agarflächenkulturen angestellt. Die Besäung erfolgte
bei allen zu vergleichenden Kulturen in gleichmässiger Weise durch
eine wässrige Aufschwemmung einer 20stündigen Agarkultur. Die
Genannten fanden in Übereinstimmung mit Müllee's Resultaten, dass
das Maximum der Entwicklung bei 37° sehr rasch, zwischen 12 und
20 Stunden erreicht wird und dann das Wachstum nicht etwa blos
sistiert wird, sondern ein rapides Absterben erfolgt, so dass im
Mittel nach zwei Tagen nur noch 7,43%, nach drei Tagen gar nur
0,80 °/0 der in der 20 stündigen Kultur vorhandenen lebenden Individuen
übrig geblieben sind; in einem Falle starben in einer Kultur
bei 37° zwischen der sechszehnten uud zwanzigsten Stunde
10000 Millionen Individuen ab. Wurde dagegen die auf dem Höhe-
Gotschlich, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 423
punkt der Entwicklung stehende Kultur fernerhin bei Eisschrank-
temperatur verwahrt, so blieb die gesamte Individuenzahl er-
halten; bei Zimmertemperatur wurde das Absterben wenigstens sehr
verlangsamt. Genau parallel mit diesen Änderungen der Individuen-
zahl ging, wie bereits oben erwähnt, die Virulenz; sie nahm bei einer
dreitägigen im Brütofen gehaltenen Kultur ebenso rapid ab wie die
Individuenzahl und blieb bei Eisschranktemperatur ebenso wie jene
konserviert. Es hängt also nur von der Temperatur ab, ob die In-
dividuen einer Kultur von einer bestimmten Zeit an zu Grunde gehen
oder erhalten bleiben. Die Ursache dieses Absterbens massenhafter
Individuen beiBrutwärme liegt in der vollständigen Erschöpfung des
Nährbodens; unter solchen Umständen ist eine Erhaltung der Lebens-
fähigkeit der Mikroben nur dann möglich, wenn der Lebensprozess
keine oder nur minimale Energieausgaben und demgemäss auch keinen
Ersatz von aussen erfordert, wenn also das Leben latent ist; dies ge-
schieht aber bei niederer Temperatur, wo die intramolekulare Energie
im lebenden Plasma auf ein Minimum reduziert ist. Wird dagegen
durch günstige Temperaturverhältnisse die Entfaltung der Lebensäusse-
rungen ermöglicht, welche als unausbleibliche Grundbedingung eine
Ausgabe an Energie erfordern, so kann diese nur auf Kosten der
eigenen Leibessubstanz der Mikroorganismen stattfinden, und da jeder
Ersatz von aussen fehlt, so tritt notwendig eine vollständige Zerstörung
des Individuums ein. Besonders rapid muss dieser verzehrende Prozess
bei Brüttemperatur vor sich gehen, da hier, wie aus der maximalen
Energieentwicklung zu schliessen, die Dissimilation des lebenden Plasmas
mit fast explosiver Heftigkeit erfolgt. Die Bakterienzelle muss also,
ganz ähnlich wie ausgeschnittene Organe höherer Tiere, bei Abschnei-
dung der Nahrungszufuhr durch ihren eigenen Lebensprozess zu Grunde
gehen und kann einzig und allein durch vollständige Erstarrung,
Sistierung desselben vor dem Absterben bewahrt bleiben. Diese höchst
merkwürdige Thatsache, die mit dem Verhalten jeder lebenden Substanz
gegen die Temperatur prinzipiell übereinstimmt, giebt einen gewichtigen
Beweis für die oben dargestellte allgemeine Auffassung, dass auch bei
den Bakterien die primäre Ursache des Lebens eine Zersetzung,
nicht eine Synthese ist, und dass der ganze Charakter des Lebens-
prozesses auch hier eigentlich ein destruktiver ist. Die dargelegte
Auffassung, welche der Erschöpfung des Nährbodens die Hauptrolle
für das Zustandekommen des eigentümlichen Entwicklungsganges einer
Kultur beimisst, findet ferner eine Stütze in den vergleichenden Be-
obachtungen über das Verhalten von Bandzone und Mitte einer Kultur
In der Randzone findet noch üppige Entwicklung zu einer Zeit statt,
in der die Mitte bereits massenhafte abgestorbene Individuen aufweist;
424 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
dann aber erfolgt das Absterben am Rand ebenso rasch wie in der
Mitte, da ja nach Erschöpfung der Nährstoffe, die am Rande nur später
eintritt, die Verhältnisse sonst die gleichen sind. Auch das Verhalten
der Entwicklung bei mittleren, weit über dem Optimum liegenden
Temperaturen bestätigt durchaus die vorgetragene Auffassung; das
Maximum der Entwicklung ist hier zeitlich hinausgeschoben und die
Abnahme der Individuenzahl erfolgt nur sehr allmählich; die absolute
Zahl der erzeugten Individuen ist dabei sogar grösser wie beim Wachstum
bei 37°, aus dem einfachen Grunde, weil die einzelnen Individuen in-
folge ihres geringeren Umsatzes auch geringere Ansprüche an das
Nährmaterial stellen. Man sieht also, dass durch die absolute Grösse
der Vermehrung kein Massstab für die Energie des Lebens-
prozesses gegeben werden kann, wohl aber durch die relative Ver-
mehrung in der Zeiteinheit, welche auch bei 22°, ganz wie zu
erwarten, geringer ist als bei 37°. Es steht zu erwarten, dass syste-
matische, in dieser Richtung fortgesetzte Untersuchungen mit gleich-
zeitiger cjuantitativer Berücksichtigung der Ausnutzung der Nährstoffe
und der Stoffwechselprodukte uns zur Aufstellung zahlenmässiger Ab-
hängigkeitsverhältnisse der Arbeit lebender Zellen von äusseren Faktoren
führen werden. Auch ist es wahrscheinlich, dass der Grad der Vermehrung
und die Gestalt der Entwicklungskurve ceteris paribus spezifische Art-
charakteristika darstellen. Dass Volumen oder Gewicht der Kultur-
masse bei Vergleich verschiedener Arten von Bakterien keinen Mass-
stab für die Intensität der Entwicklung geben, dürfte schon jetzt aus
den mitgeteilten Untersuchungen folgen, da an der Bildung von Kultur-
masse zwei Bestandteile durchaus verschiedener Dignität sich beteiligen,
nämlich lebende Mikroben und leblose Intercellularsubstanz, und das
Verhältnis beider bei verschiedenen Arten durchaus different ist.
Über die Beziehungen zwischen der Grösse einer Kolonie
und ihrem Gehalt an lebenden Keimen giebt eine Untersuchung
von Ficker (Üb. Wachstumsgeschwindigkeit des Bakt. coli comm. auf
Platten. [Diss.] Leipzig 1895) Aufschluss. Es zeigte sich hierbei in
Übereinstimmung mit den soeben berichteten Resultaten anderer Auto-
ren, dass der relative Keimgehalt, die Keimzahl in der Kubikeinheit,
sehr bald, bei 22° schon am zweiten Tage ihr Maximum erreicht und
die Teilungsenergie bei zunehmender Annäherung an dasselbe fort und
fort träger wird. Nachher nimmt der relative Keimgehalt durch Ab-
sterben zahlreicher Individuen ab, die absolute Zahl der Keime in
der ganzen Kolonie aber ist noch einige Zeit im Wachsen begriffen,
bis völlige Erschöpfung des Nährbodens erreicht ist. Die Keimzahl
steht daher nur im Anfang der Entwicklung in direktem Verhältnis
zur Grösse der Kolonien; später nimmt sie viel langsamer zu als
Gotschlich, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 425
diese. Die Keimzahl gleichalteriger Kolonien schwankt sehr erheb-
lich, bis um 300 °/0 ; diese Differenzen sind auf verschiedene Lage der
Kolonien, insbesondere mit Bezug auf ihre Entfernung von der Ober-
fläche und den Zutritt des Sauerstoffs zurückzuführen.
B. Wachstum und Bildung von Kolonien.
Die durch Zellteilung neu gebildeten Individuen lagern sich nicht
regellos an einander, sondern vereinigen sich nach bestimmten, bei
verschiedenen Arten der Mikroorganismen verschiedenen Gesetzen zu
regelmässigen Anordnungen in Form von Haufen, Ketten, Spirillen etc.
Der physiologische Mechanismus, nach dem diese Gesetze wirken, ist
noch ganz unbekannt. Auf festem Nährsubstrat entstehen endlich
makroskopisch sichtbare Anhäufungen, Kolonien, in charakte-
ristischer Erscheinungsweise, die eine sichere Erkennung der Art er-
möglichen. Die Verschiedenheit der Kolonien wird theilweise durch
chemische Prozesse, durch Absonderung peptonisierender Fermente.
Farbstoffe etc., teilweise aber auch durch einfache Wachstums- und
Formverschiedenheiten, ähnlich den differenten Bildungen von Organ-
teilen höherer Pflanzen bewirkt. Die Faktoren, welche die Form der
Kolonie bedingen, sind im einzelnen noch nicht genau anzugeben;
doch kann man sehr wohl im allgemeinen die Momente bezeichnen,
die hierbei eine Rolle spielen. Zunächst ist hervorzuheben, dass die
verschiedenen Kolonieformen ebenso wenig wie die morphologische
Gruppierung der Einzelbakterien, spezifische Artcharakteristika
darstellen; sie sind vielmehr nur Wachstumstypen, von denen ein
und derselbe sehr vielen Arten zukommen kann und von denen anderer-
seits mehrere in den Entwicklungskreis einer und derselben Art ge-
hören. Um nur einige Beispiele herauszugreifen, sei daran erinnert,
dass oberflächliche, ausgebreitete, weinblattähnlich gezeichnete, häut-
chenartige Kolonien sowohl dem Typhusbacillus und dem Heere der
verwandten typhusähnlichen Arten, andererseits aber auch einzelnen
Vibrionen zukommen, und dass hingegen die meisten Arten, z. B. alle
typhusähnlichen Mikroben, zwei vollständig verschiedene Wachstums-
typen in ihren oberflächlichen und tiefen Kolonien erkennen lassen.
Gerade dieser Unterschied zwischen oberflächlichen und tiefen Kolo-
nien führt uns zur Erkenntnis eines bedeutsamen Moments bei der
Koloniebildung, nämlich des Zutritts atmosphärischen Sauerstoffs. In
früheren Abschnitten wurde gezeigt, dass den Bakterien eine direkte
Gasatmung zukommt und dass unmittelbarer Zutritt des Sauerstoffs
viele Funktionen fördert; so erklärt sich, dass die auf der Oberfläche
in direktem Kontakt mit der Luft befindlichen Keime eine intensivere
Vermehrung und grössere Ausbreitung gewinnen, als die in der Tiefe
426 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
des Nährbodens liegenden Individuen. Auch mag hierbei der Umstand
mitwirken, dass bei letzteren ein allseitig gleicher Wachstumswider-
stand durch den Nährboden stattfindet, daher eine gleichmässige
kugelige Ausbreitung der Kolonie zustande kommt, während bei den
oberflächlichen Kolonien der Wachstumswiderstand nur von der un-
teren Seite her wirkt, also die Entstehung platter, häutchen- oder
scheibenartiger Kolonieformen bedingt. Ferner zeigt die Anordnung
der einzelnen Individuen einen deutlichen Einfluss auf die Form der
Kolonie; liegen die einzelnen Bakterien in Ketten, wie z. B. bei
Streptokokken, beim Bac. anthracis und insbesondere bei manchen
Proteusarten, so weisen auch die Kolonien lockige, fädige oder netz-
artig verstrickte Bildungen auf. Sehr merkwürdig sind die bei ein-
zelnen Arten, zuerst bei Proteus von Hauser beobachteten verspreng-
ten kleinen Kolonien, die massenhaft um eine grössere geschart
liegen, und zwar in einer centrischen Anordnung, die ihren Ursprung
von jener unzweifelhaft darthut; dieselben entstehen durch Ausschwär-
men eines Bakterienfadens in die Umgebung, wobei vielleicht eine
chemotaktische Anlockung durch die noch unberührten Nährstoffe in
der Nähe der Kolonie mitwirken mag; unter günstige Ernährungs-
bedingungen gelangt, bilden diese Schwärmer eine neue Tochterkolo-
nie, die scheinbar unabhängig von der ursprünglichen erscheint, oft
aber noch durch dünne Fäden mit ihr verknüpft ist. Dass eine
Schwärmbewegung bei manchen Bakterien auch in gallertiger, fest-
weicher Masse thatsächlich vorkommt, konnte Beijerinck bei der Dar-
stellung seiner früher besprochenen „Atmungsfiguren" in l°/00 Agar
direkt nachweisen. Ferner übt es auf die Form der entstehenden
Kolonie wahrscheinlich einen wesentlichen Einfluss aus, ob sie aus
einem einzigen oder von mehreren zusammengelagerten Keimen her-
vorgeht; in letzterem Falle entstehen leicht unregelmässige Formen
durch Interferenzwirkung. Jendrassik (r: K. 91. 43) giebt an, dass aus
vollständig von einander getrennten, ganz einzeln liegenden Keimen
bei manchen Bakterienarten zuerst ganz geometrisch regelmässig
gebildete, an Krystalle erinnernde Kolonieformen entstehen; als
solche beschreibt er das Triphyllon, Hexaphyllon etc., Bildungen, die
im wesentlichen aus Blättern bestehen, die unter gleichen Winkeln
mit einander zusammenstossen; er führt ihre Entstehung auf polare
Eigenschaften der Bakterien zurück. Auch die Schwerkraft
scheint nach Beobachtungen von Boyce und Evans (Proc. Lond.
LIV. 300) am Bakt. Zopfii einen Einfluss auf die Form der Kulturen
auszuüben; in senkrecht stehenden Kulturröhrchen senden die Kolonien
fiederförmige, nach oben gerichtete Fortsätze aus; bei Elimination der
Schwerkraft durch langsame Drehung am Klinostaten bleibt die Fie-
Gotschxich, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 427
derung aus; bei schneller Drehung wird sie in gleicher Weise wie
durch die Schwere durch die Centrifugalkraft ausgebildet; Bakt.
Zopfii ist also negativ geotropisch.
Bei den Schimmelpilzen besteht nach Makabtj Mitoshi (B. Z.
1894. H. 1) ein wachstumsrichtender Einfluss hinzudiffun-
dierender chemischer Stoffe, der bald in positivem, bald in nega-
tivem Sinne wirkt und zum Unterschied von der Chemotaxis, zu der
sonst viele Analogien bestehen, als positiver bezw. negativer Chemo-
tropismus bezeichnet wird. Anlockend erwiesen sich für Mucor,
Penicillium, Aspergillus: Fleischextrakt, Pepton, Dextrin, neutrale Phos-
phate, Ammonsalze und ganz besonders Rohr- und Traubenzucker; der
Schwellenwert des letzteren für Mucor ist sehr gering, nämlich 0,01%.
Repulsion wird bewirkt durch Säuren, Alkalien, Alkohol, gewisse Salze,
giftige Substanzen und durch übermässige Koncentration auch solcher
Stoffe, die in verdünnteren Lösungen anlockend wirken; so ist z. B.
50proz. Traubenzuckerlösung für Mucor von repulsiver Wirkung. Die
Wirkung verschiedener Stoffe auf denselben Pilz ist nicht gleich stark;
ausserdem besteht bei verschiedenen Arten eine verschiedene Grösse
der Reizbarkeit gegenüber demselben äusseren Reiz. Auch hier hat das
WEBEE'sche Gesetz Giltigkeit.
C. Fruktifikation.
I. Bei Schimmelpilzen gehört die Sporenbildung ebenso in den
normalen Entwicklungsgang jeder Form wie die Fruchtbildung bei
höheren Pflanzen; es gelten daher die oben aufgeführten , Lebens-
bedingungen des Wachstums auch in ganz gleicher Weise für die
Fruktifikation; insbesondere ist für dieselbe der unmittelbare Zutritt
freien Sauerstoffs notwendig, daher denn auch die im tierischen Körper
schmarotzenden Aspergillus arten in den Geweben nur eine beschränkte
Mycelbildung, nie Fruchtträger produzieren. Über die chemische Be-
deutung des Vorgangs der Sporenbildung und die Zusammensetzung
der Sporen gegenüber dem vegetativen Mycel haben Ceamer's (A.
13. 71) Untersuchungen Folgendes gelehrt. Er fand bei der Analyse
im Mittel:
m , , Asche in % der Asche in % der
Trockensubstanz Trockensubstanz feucMen Masse
Mycel 12,36 11,34 1,30
Sporen .... 61,13 3,09 1,84
Auffallend ist ausserdem nach neueren Analysen desselben Autors
(A. 20. 197) der relativ sehr hohe Gehalt der Sporentrockensubstanz
an Cellulose (11,13%) und stärkeähnlichen Kohlehydraten (17,0%),
428 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
sowie an äusserst hygroskopischen alkohollöslichen Extraktivstoffen
(30,46°/o). Es hat also bei der Sporenbildung eine Differenzierung des
Plasmas in der Weise stattgefunden, dass unter Austritt von Wasser
und Salzen ein höchst koncentrierter Eiweisskörper entstanden
ist, der wohl den stark lichtbrechenden Kern der Spore bildet, wäh-
rend die schwer durchdringliche Hülle wahrscheinlich aus Cellulose
und ähnlichen Kohlehydraten besteht und mit den hygroskopischen
Extraktivstoffen durchtränkt ist. Fast sämtliche 38,87% Wasser
der Sporensubstanz sind an diese hygroskopischen Substanzen
gebunden; in trockener Luft wird das hygroskopische Wasser sofort
abgegeben, und dann stellt die Spore eine salzarme, wasserfreie Eiweiss-
substanz dar, deren Widerstandsfähigkeit gegen Koagulation selbst bei
sehr hohen Hitzegraden durch Lewith's Untersuchungen (A. P. 26. 641)
festgestellt ist. Hierdurch erklärt sich leicht die grosse Widerstands-
fähigkeit der Spore gegen trockene Hitze; die relativ ebenfalls sehr
bedeutende Resistenz gegen strömenden Dampf ist wohl so zu deuten,
dass die hygroskopischen Stoffe der Sporenmembran zuerst sich mit
Feuchtigkeit sättigen und so den lebenden Eiweisskern derselben lange
Zeit vor Quellung und Koagulation schützen. —
Für den Akt der Sporenkeimung ist zunächst nur eine gewisse
Wassermenge, dagegen meist nicht Anwesenheit von Nährstoffen er-
forderlich; die Bildung des Keimschlauchs erfolgt vielmehr auf Kosten
der in der Spore angehäuften Nährstoffe; erst von einer gewissen Ent-
wicklung des Keimschlauchs an bedarf es äusserer Nahrungszufuhr.
Das Auskeimen der benetzten Sporen kann daher selbst auf Glas-
platten beobachtet werden. Einige Pilze, wie Mucor mucedo, machen
hiervon eine Ausnahme, indem sie nur auf geeignetem Nährsubstrat
auskeimen. Ferner ist zum Keimungsprozess wie zu allen Lebens-
äusserungen der Schimmelpilze Sauerstoffzutritt und eine geeignete
Temperatur erforderlich. Letztere zeigt auch hier für verschiedene
Pilzsporen ein verschiedenes Minimum, Maximum und Optimum. Für
Penicilliumsporen liegt ersteres bei + 0,5°, das Maximum bei + 43°,
das Optimum bei -f- 22°; für Aspergillus fumigatus liegt dagegen das
Minimum schon bei 15°. Belichtung ist für die Sporenkeimung der
Schimmelpilze nicht erforderlich. Vom Eintritt der Keimungs-
bedingungen an bis zum Hervortreten des Keimschlauchs ist ein ge-
wisses Latenzstadium erforderlich, dessen Dauer von der Art der Sporen
und vermutlich vor allem von der Dicke der Sporenmembran abhängig
ist und von wenigen Stunden bis zu mehreren Tagen variiert. Ahn-
liche Schwankungen bestehen bezüglich der Dauer der Keimfähigkeit
der Sporen. Bei den Uredo- und Acidiumsporen der Rostpilze, sowie
bei Peronosporeen erhält sie sich nur wenige Wochen, während die
Gotschlich, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 429
Sporen von Penicillium glaucum 1 V2 Jahre, die von Mucor stolonifer
und Aspergill. niger etwa 1 Jahr, die von Aspergill. fiavus 6 Jahre,
von Aspergill. fumigatus 10 Jahre, von Tilletia caries und Ustilago
carbo ungefähr 8 Jahre keimfähig bleiben.
II. Bei Sprosspilzen besteht im Gegensatz zu den Schimmelpilzen
und höheren Pflanzen eine sehr grosse Neigung, das dargebotene Nähr-
material zu einer unbegrenzt fortlaufenden, rein vegetativen Zellver-
mehrung zu verwenden, ohne eine eigentliche Fruktifikation zu liefern.
In adäquatem Nährmedium treibt die Hefe durch Sprossung immer
neue Zellen, einem stark entwickelten Baum ohne Früchte vergleichbar.
Nur vereinzelte Saccharomyceten bilden auch in gährenden Nährlösungen
Sporen. In der Regel erfährt die gewöhnliche Art der Vermehrung
nur dann eine Unterbrechung, wenn die Nährbedingungen erheblich
ungünstiger werden, wenn einer der wichtigsten Nährstoffe zu fehlen
beginnt. Der Pilz flüchtet dann gewissermassen den Rest der aus-
reichenden Nährstoffe in eine haltbarere Zellenform, die ein gänzliches
Versiegen der Nährstoffe zu ertragen und demnächst selbst nach langer
Pause in frischem Nährsubstrat eine neue Vegetation hervorzurufen
vermag. Für die Hefe sind die Bedingungen der Sporenbildung nament-
lich dann gegeben, wenn das Nährsubstrat sehr arm an Zucker ist;
ausserdem ist nach Hansen vor allem reichlicher Zutritt des Sauer-
stoffs erforderlich, wobei jedoch eine schädliche Verdunstung zu ver-
meiden ist; auch sind nur junge, kräftige Zellen zur Sporenbildung
fähig; endlich findet die Sporenbildung nur innerhalb eines be-
grenzten Temperaturintervalls statt. Die Grenzen dieses letzteren,
sowie das Temperaturoptimum sind für verschiedene Arten verschieden
und bieten ein wertvolles Mittel zur Artcharakteristik. So bildet Sac-
charomyces cerevis. I Hansen nur zwischen 11 und 37° Sporen, Sac-
charomyces Pastorianus I Hansen hingegen nur zwischen 3 und 30,5°
(cit. nach Jörgensen, Mikroorg. d. Gährungsindustrie. S. 144 ff.). Das
Temperaturminimum, bei welchem überhaupt Sporenbildung beobachtet
wurde, betrug 0,5 — 3° C, das Maximum 37,5° C; das Optimum liegt für
die meisten untersuchten Arten in der Nähe von 25° C. Bei den
höheren Temperaturen erfolgt die Sporenbilclung bei verschiedenen
Arten mit annähernd gleicher Geschwindigkeit; in etwa 30 Stunden
erscheinen die „Anlagen zu den Sporen" deutlich ausgebildet. Bei nie-
deren Temperaturen hingegen ergeben sich bei den verschiedenen Arten
wiederum charakteristische, diagnostisch höchst verwertbare Differenzen.
Nach Holm u. Potjlsen (C. r. d. lab. d. Carlsberg II. H. 4 u. 5) scheiden
sich in dieser Beziehung die zu Brauereizwecken verwandten unter-
gährigen Kulturhefen in zwei Gruppen: die einen bilden bei 25 ° ihre
Sporen später als die wilden Hefen, die anderen zeigen zwar bei dieser
430 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Temperatur gleichzeitig Sporenbildung mit den wilden Hefen, bleiben
aber bei 15 ° C. erheblich hinter ihnen zurück. Die Methode gestattet
noch eine Verunreinigung von -pfas der Kulturhefenmasse mit Sicherheit
binnen 2 — 3 Tagen zu erkennen. Ein analoges Untersuchungsverfahren
ist nach Jörgensen (a. a. 0. u. Z. f. d. ges. Brauwesen. 1891. Nr. 3) auch
für Kulturoberhefen verwendbar. Zur Beobachtung der Sporenbildung
verwendet man nach Hansens Vorgang am zweckmässigsten Kulturen
auf angefeuchteten Gypsblöckchen.
Die Bedingungen für die Sporenkeimung sind hier ähnlich wie
bei den Schimmelpilzen; unbedingt nötig ist Feuchtigkeit, Sauerstoff-
zutritt und eine gewisse mittlere Temperatur, die Hansen (C. r. du la-
boratoire de Carlsberg III. 1) für Saccharomyces cerevisiae I und Sac-
charomyces anomalus auf 22 — 28° feststellt. Nährstoffe sind für die
ersten Sprossungen nicht unbedingt notwendig; auch in Wasser kommt
Keimung zustande; erst von einer gewissen Entwicklung an ist Nähr-
stoffzufuhr erforderlich; ein besonders günstiges Nährmedium für kei-
mende Hefesporen fand Hansen in gehopfter, stark gelüfteter Bier-
würze; Zusatz von 4 — 5 °/0 Gelatine verlangsamt die Entwicklung. Von
Einfiuss auf die Keimung ist es auch, ob die Sporen jung oder alt
sind und ob sie trocken oder feucht aufbewahrt werden. Sehr merk-
würdig ist die bei einigen Sprosspilzen, z. B. sehr häufig bei Saccharo-
myces Ludwigii, von Hansen beobachtete Verschmelzung zweier Sporen
oder ihrer Keimschläuche. Diese Fusion kommt besonders bei jungen
Sporen vor, während bei älteren, lange Zeit trocken aufbewahrten
Sporen der Keimschlauch meist isoliert weiter wächst. Die biologische
Bedeutung dieser Erscheinung ist unsicher; Hansen hält für möglich,
dass durch dieselbe die Vermehrungsenergie junger Sporen gesteigert
wird, wonach der Vorgang in gewissem Sinne den Kopulationsvorgängen
höherer Organismen an die Seite zu stellen wäre.
III. Bei Spaltpilzen1) besteht noch in weit höherem Grade als
bei den Sprosspilzen die Neigung, das dargebotene Nährmaterial zu
rein vegetativem Wachstum auszunutzen. Viele Arten besitzen überhaupt
keine Sporenbildung. Welche Bedingungen vorliegen müssen, um die
im ganzen seltene Erscheinnng der Sporenbildung hervorzurufen, ist
noch nicht völlig aufgeklärt. Vielfach acceptiert ist die Ansicht
Büchner' s (Sitzungsber. d. Kgl. Akad. d. Wiss. math.-phys. Kl.
München 7. Febr. 1880. — C. 8. 1), welche die physiologische Ursache
der Sporenbildung in dem „eintretenden Mangel an Ernährungsmaterial"
sieht; hiernach würden die Verhältnisse ähnlich wie bei den Spross-
1) Nach der Ansicht einiger Autoren stellt die Sporenbildung bei den Spalt-
pilzen überhaupt keinen Fruktifikationsprozess, sondern nur eine Bildung von
Dauerformen dar.
Gotschxich, Fortpflanzung, Wachstum u. Fruktifikation der Mikroorganismen. 43 1
pilzen liegen. Buchner stützt sich dabei auf die Thatsache, dass man
bei regelmässig fortgesetzter, sehr frühzeitiger Erneuerung der Nähr-
lösung unzählige Generationen rein vegetativer Zustände von Milz-
brandbacillen erhalten kann, ohne dass jemals Sporenbildung eintritt;
bei Übertragung in destilliertes Wasser aber erfolgt sehr schnell
Bildung massenhafter Sporen in den übergeimpften vegetativen Zellen.
Buchner betont dabei ausdrücklich, dass der „eintretende Ernährungs-
mangel", nicht eine von vornherein kümmerliche Ernährung
sei, welche die Sporenbildung begünstige. Vielmehr ist die Sporulation
um so reichlicher, je besser die vegetativen Formen vorher genährt
waren. Hiermit werden die Einwände Lehmann's (Würzburger med.-
physikal. Ges. 8. Febr. 1890) und Osborne's (A. 9. 51) gegenstands-
los, welche gegen Buchner geltend machen, dass Wachstum und ab-
solute Zahl der Sporen um so grösser sei, je günstiger der Nährboden
zusammengesetzt ist; um die absolute Zahl handelt es sich ja aber in
Büchners Theorie gar nicht, sondern um die Intensität der Sporen-
bildung im Verhältnis zum vegetativen Wachstum, die sich in
der Schnelligkeit der Fruktifikation und in der relativen Menge der
gebildeten Sporen kundgiebt; freilich giebt Osborne an, dass auch
relativ die Sporulation auf erschöpften Nährböden gegenüber nor-
malen Verhältnissen zurücksteht. Hiernach ist die Frage noch nicht
als erledigt anzusehen, um so weniger, als auch C. Fränkel (Grund-
riss d. Bakterienkunde. 3. Aufl. S. 23) behauptet, dass die meisten Arten
gerade auf der Höhe der Entwicklung Sporen bilden. Turro (r: K. 91. 74)
meint, dass die Sporenbildung nicht dnrch Erschöpfung des Nähr-
bodens zustande komme, sondern auf die entwicklungshemmende
Wirkung der regressiven Stoff Wechselprodukte zurückzuführen sei. —
Von grossem Einfluss auf die Sporenbildung ist der Sauerstoff, in
dieser Beziehung verhalten sich wiederum die beiden Gruppen der
Aeroben und echten Anaeroben grundverschieden. Erstere bedürfen
zur Sporenbildung notwendig des freien Sauerstoffs, wie dies z. B. von
Neisser für den Xerosebacillus, von Büchner für den Milzbrandbacillus
festgestellt ist und in flüssigen Kulturen auch dadurch sich deutlich
kundgiebt, dass in den oberflächlichen Deckenbildungen zuerst und am
reichlichsten Sporenbildung eintritt; für diese Bakterien ist nach Praz-
mowski das weitere Symptom charakteristisch, dass sie im Zustand der
Fruktifikation unbeweglich sind. Die Anaeroben dagegen, wie insbe-
sondere für Bac. butyricus nachgewiesen ist, bilden nur bei Sauerstoff-
abschluss Sporen und bleiben dann auch im Zustand der Fruktifikation
beweglich. — Fördernd wirkt ferner auf die Sporenbildung nach
Buchner (a. a. 0. S. 6) ein Zusatz von 2 % Na Cl zum Nährboden. —
Auch die Reaktion des Nährbodens ist nach Neisser von Einfluss.
432 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Am günstigsten erwies sich merkwürdigerweise schwach alkalischer
oder schwach saurer Nährboden, etwas weniger günstig neutrale Reaktion,
ganz unbrauchbar starke Acidität. — Einen beherrschenden Einfluss
hat auch hier wieder die Temperatur. Koch (M. G. I. 65) stellt
für die Sporenbildung der Milzbrandbacillen als Temperaturminimum
+ 16° fest, wobei aber erst nach 7 Tagen spärliche Mengen von Sporen
gebildet wurden; bei 21° waren 72 Stunden, bei 25° 35 — 40 Stunden,
bei 30—40° etwa 24 Stunden zur Sporenbildung erforderlich; das Opti-
mum für die Sporulation lag bei 20—25°. Bei Bac. subtilis trat unter
6° überhaupt keine Sporenbildung ein; bei 18,75° nahm sie zwei Tage,
bei 22,5° einen Tag, bei 30° 12 Stunden in Anspruch. Beim Bac.
xerosis lag nach Neisser das Minimum bei 13°, das Optimum bei
ca. 37,6°. Die einzelnen Bakterienarten verhalten sich also auch in
dieser Beziehung verschieden. — Nach Kotjlar (Wratsch 1892. Nr.
39/40) ist auch das Licht von Einfluss auf die Sporenbildung. Beim
Bac. pseudoanthracis fand er günstig wirkend violettes Licht, un-
günstig dagegen rote Strahlen.
Sehr bemerkenswert ist die Existenz asporogener Rassen, deren
spontanes Entstehen mehrfach im KocH'schen Institut beobachtet wurde
und die sich auch durch künstliche Züchtung mit vorsichtiger An-
wendung entwicklungshemmender Einwirkungen (Sublimatgelatine, Züch-
tung bei abnorm hoher Temperatur, 42°) nach Angaben von Behring-
(Z. 7. 171), Rofx (P. 90. 25), Phisalix, (A. Ph. 93. 217) aus normalen
sporogenen Rassen züchten und nach neueren Untersuchungen auch
wieder in diese zurückverwandeln lassen (Phisalix, A. Pb. 1893. 256).
Lehmann (M. W. 1 887. 485) beschreibt in diesen asporogenen Kulturen
runde, glänzende Körperchen, die wirklichen Milzbrandsporen täuschend
ähnlich sehen können, von diesen sich aber durch ihre mangelnde Re-
sistenz unterscheiden.
Über den biologischen Mechanismus der Sporenbildung bei den
Bakterien weiss man nichts; die Ähnlichkeit mit manchen plasmolytischen
Vorgängen haben Fischer (Ber. d.Kgl. sächs. Ges. math.-phys. Kl. Leipzig
1891) zu der vorläufig noch der thatsächlichen Begründung entbehren-
den Annahme geführt, dass durch Erhöhung des Salzgehalts im Nähr-
medium etc. künstlich bei solchen Bakterien Sporenbildung anzuerziehen
sei, bei denen bisher noch keine Sporulation gefunden war. Cramee
(A. 13) glaubt mit Rücksicht auf das vielfach übereinstimmende
Verhalten von Bakterien- und Schimmelpilzsporen gegen äussere Ein-
flüsse seine Beobachtungen an letzteren auch auf die Bakteriensporen
übertragen zu können. In der That hat auch Dtrmont (A. P. 21. 309)
beim Milzbrandbacillus den N-Gehalt der Sporen weit grösser gefunden
als den der vegetativen Zellen.
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 433
Die Bedingungen der Sporenkeimung bei den Bakterien sind
noch nicht genügend festgestellt; im allgemeinen stimmen sie mit den
Lebensbedingungen der betr. Arten überein. Das Optimum der Keimungs-
temperatur liegt für Bac. subtilis bei 30 — 35°, für Bac. anthracis
bei 35°.
Sechstes Kapitel.
Die Aosterbeoedingungen der Mikroorganismen
von
Dr. E. Gotschlich.
Verschiedene äussere Einflüsse verursachen eine Schädigung der
niederen Pilze, die bald mehr, bald weniger tief in die Lebensthätigkeit
derselben eingreift. Alle derartigen schädigenden Faktoren sind offen-
bar deshalb von grossem Interesse, weil wir unter ihnen die Mittel
suchen müssen, um die schweren uns von den Pilzen drohenden Gefahren,
die Infektionskrankheiten, zu beseitigen; daher bezeichnet man gern in
etwas einseitiger Betonung dieses Gesichtspunktes die gesamten das
normale Leben der niederen Pilze alterierenden Einflüsse als „Desin-
fektionsmittel". Ausserordentlich zahlreiche Versuchsreihen über
Art und Mass der "Wirkung von desinfizierenden Mitteln sind bereits
ausgeführt, und doch müssen dieselben noch vielfach ergänzt und
erweitert werden. Denn wie beim Studium der biologischen Verhält-
nisse der Pilze überhaupt, so hat sich auch hier gezeigt, dass die ver-
schiedenen Arten sich durchaus nicht gleichmässig verhalten: die einen
werden durch diese, die anderen durch jene Einwirkung stärker betroffen,
noch andere zeigen gegen schädigende Einflüsse jeglicher Art eine
gleichmässige geringere oder grössere Resistenz. Ausserdem wird aber
auch die Wirkung jedes einzelnen Desinfektionsmittels durch die Summe
der gleichzeitig vorhandenen übrigen Lebensbedingungen mitbestimmt;
so schädigen höhere Temperaturen die Pilze leichter, wenn gleichzeitig
schlechte Nährstoffe vorliegen; spezifische Gifte variieren in ihrer wirk-
samen Dosis, je nachdem die äusseren Verhältnisse Optima repräsen-
tieren oder von diesen abweichen. Ferner ist der Entwicklungszustand
der Bakterienart auf ihre Resistenzfähigkeit von bedeutendem Einnuss;
junge Individuen pflegen im allgemeinen besseren Widerstand zu leisten,
und ältere, der Involution bereits nahe Individuen können schon durch
geringfügige und vorübergehende Schädigung zum Absterben gebracht
werden. Besonders eingreifend ist der Effekt der Sporenbildung.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 28
434 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Liegen Pilze vor, welche diese so überaus resistenten Dauerformen
bilden, so sind die Mittel machtlos, welche andere Pilze schon tief
schädigen oder töten. Sporentragende und sporenfreie Mikroorganismen
sind daher, wie dies zuerst von Koch betont wurde, bei Desinfektions-
versuchen schlechterdings nicht gemeinsam zu behandeln, sondern erfor-
dern eine durchaus gesonderte Prüfung.
Die Schädigung, welche Mikroorganismen durch äussere Einwir-
kungen erfahren, kann von sehr verschiedenem Grade sein. Liegt nur
eine leichte Beeinträchtigung vor, so werden nur eine ödere mehrere
Funktionen der Mikroben in ihrer vollen Entfaltung gehemmt oder ganz
unterdrückt, wobei im übrigen die Entwicklung und alle anderen Lebens-
äusserungen ungestörten Fortgang nehmen können. Diese Ab-
schwächung oder der dauernde Verlust einer einzelnen Lebens-
äusserung kann die verschiedensten Funktionen der Mikroben, als
Produktion von Sporen, Lichterzeugung, Lokomotionsvermögen, Er-
zeugung von Farbstoffen, Fermenten, Giften, Gährungs- und Krankheits-
erregung betreffen und ist in den bezüglichen einzelnen Kapiteln nach-
zusehen. Die ganz besonders merkwürdige Thatsache, dass diese
Abschwächung auf die folgenden, wieder unter günstigeren Lebens-
bedingungen vegetierenden Generationen vererb bar ist, findet in dem
Kapitel über Konstanz und Variabilität der Arten eingehende Wür-
digung. — Ein stärkerer schädigender Einfmss zeigt sich sodann in der
Verlangsamung des Wachstums und Beeinträchtigung sämt-
licher Lebensäusserungen, die bis zur völligen Entwicklungs-
hemmung fortschreiten kann. Hiermit ist aber das Leben noch
keineswegs definitiv erloschen; vielmehr können die in ihrer Entwick-
lung vollständig gehemmten Mikroben bei Übertragung in günstigere
Verhältnisse von neuem ihre Lebensäusserungen entfalten. Die end-
giltige Abtötung der Mikroorganismen ist erst durch noch intensivere
Schädigungen zu erreichen. Diejenigen Grade der Schädigung, welche
die völligeEntwicklungshemmungunddie endgiltige Abtötung
bezeichnen, sind vom praktischen Gesichtspunkte aus besonders interessant
und sollen daher, soweit bekannt, bei der Besprechung der einzelnen
schädigenden Einwirkungen stets angegeben werden; auch liefern diese
beiden, verhältnismässig leicht und sicher festzustellenden Werte brauch-
bare Indikatoren für die vergleichende Beurteilung der Wirksamkeit
verschiedener Desinfektionsmittel ■ einerseits und der verschiedenen
Resistenz differenter Arten andererseits.
Die schädigenden Einwirkungen, welche die Mikroorganismen treffen
können, lassen sich behufs spezieller Behandlung zweckmässig in zwei
grosse Abteilungen einreihen, in physikalische und chemische Ein-
wirkungen.
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 435
Anmerkung. Die nachfolgende spezielle Darlegung dieser äusseren Ein-
wirkungen deckt sieb niebt mit der Gesamtheit der Desinfektionsmittel und
-Metboden überhaupt, wie diese vom praktischen Gesichtspunkte aus in Frage
kommt. In der Desinfektionspraxis bandelt es sich zunächst darum, die In-
fektionserreger zu beseitigen, und es werden daher manche Verfahren, wie
z. B. die Entfernung der Infektionserreger von infizierten Objekten durch Ab-
reiben etc., auch unter den Desinfektionsmethoden beschrieben, obgleich sie
keineswegs die Erreger abzutöten vermögen, sondern nur die infizierten Objekte
von den anhaftenden Keimen befreien. Der Gedanke, dass es sich bei der Des-
infektion in erster Linie um eine Befreiung infizierter Objekte von In-
fektionsstoffen handelt, der insbesondere von Behring (Bekämpfung d. In-
fektionskrankh. Leipzig 1894. S. 4) betont ist, muss auch sonst die Darstellung
der praktischen Desinfektion beherrschen; dieselbe muss auch bei den anderen
bakterientötenden Massnahmen mit steter Rücksicht auf das zu desinfizierende
Objekt, dem pathogene Keime anhaften (Fäces, Wäsche etc.) erfolgen.
A. Schädigung der Mikroorganismen durch physikalische Einwirkungen.
Von schädigenden physikalischen Einwirkungen kommen in Be-
tracht: Einwirkung excessiv hoher und niedriger Tempera-
turen, Belichtung, Elektrizität, Druck und mechanische
Erschütterungen, sowie endlich eine zu starke Verminderung des
Wassergehalts, ein Austrocknen der Kulturen.
Der mächtigste Effekt kommt unter den physikalischen desinfizieren-
den Agentien derEinwirkunghöhererTemperaturen zu. DerEffekt
der Hitze ist eine Funktion des Temperaturgrades und der Zeitdauer; mit
anhaltender Einwirkung relativ niedriger Temperatur lässt sich die gleiche
"Wirkung erzielen wie durch kurzdauernde starke Erhitzung. »Ferner
sind die zur Tötung erforderlichen Temperaturen sehr verschieden, je
nach den sonstigen Lebensbedingungen und namentlich nach der spezi-
fischen Resistenz der einzelnen Art. Der grösste Unterschied stellt
sich zwischen sporenfreien vegetativen Formen und Dauersporen heraus.
Erstere sind im allgemeinen im benetzten Zustand oder in Flüssig-
keiten durch eine etwa 10 — 15' dauernde Einwirkung einer Temperatur
von ca. 50 — 60° zu töten; in lufttrockenem Zustand pflegt eine länger
dauernde oder höhere Erhitzung notwendig zu sein. Dabei ergeben
sich jedoch merkliche Verschiedenheiten in der Resistenz der einzelnen
Arten.
So ist nach Steenberg's Versuchen (A Manual of Bacteriology. New- York
1892. S. 147) derjenige Temperaturgrad (feuchte Wärme), welcher bei einer Ein-
wirkung von 10 Minuten gerade hinreicht, um sämtliche Individuen der Kultur
abzutöten, für:
Spirill. cholerae asiat 52° CVl Vollständige Ab-
Spirill. tyrogen 52° j tötung schon nach 4'
28*
436 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Spirill. Finkler-Prior 50°
Bac. typh. abd 56°
Bac. des Schweinerotlaufs 58°
Bac. murisepticus 58°
Bac. neapolitan. Emmerich .... 62°
Bac. cavicida 62°
Bac. pneumon. Friedländer .... 56°
Bac. crassus sputigen 54°
Bac. pyocyaneus 56°
Bac. indicus 58°
Bac. prodigiosus 58°
Bac. cyanogen 54°
Bac. fluoresc 54°
Bac. acid. lact 56°
Staphylokokkus pyogen, aur 58°
„ citreus ... 62°
albus ... 62°
Streptokokkus pyogen 54°
Mikrokokk. tetragenus 58°
Sarcina lutea 04°
Sarcina aurantiaca 62°
Nach demselben Autor wird auch der Mikrokokk. gonorrhoeae im Tripper-
sekret, sowie das Virus der Lyssa in der Medulla eines an dieser Krankheit zu-
grunde gegangenen Kaninchens durch 10 Minuten lange Einwirkung von 60° ver-
nichtet. Nach Carsten und Coert (cit. ebd. 148) verliert frische animale Vaccine
bei 30' dauernder Erwärmung auf 54,5° ihre Wirksamkeit, während eine Tempe-
ratur von 52° sie intakt lässt. Ferner werden durch eine 10' lang dauernde Er-
wärmung getötet: der Milzbrandbacillus (ohne Sporen) nach Chauveatj bei 54°,
der Rotzbacillus nach Löffler bei 55°, der Diphtheriebacillus nach Löffler bei 60°.
Bei entsprechend längerer Dauer der Einwirkung genügen zur Erzielung desselben
Effekts bereits niedrigere Temperaturen; so wird nach Chauveatj der Milzbrand-
bacillus bei 20' dauernder Erwärmung schon bei 50° abgetötet; bei demselben
Temperaturgrad wird auch bei längerer Einwirkung der Diphtheriebacillus ver-
nichtet. Umgekehrt lässt sich die Abtötung bei Anwendung höherer Temperaturen
sehr beschleunigen; so fand van Genus (A. 9. 369) den Choleravibrio und den
Vibrio Finkler-Prior bei 55,5° schon in 30" vernichtet; ebenso sind nach Klein
(c. J. 1890. 501) Kulturen von Milzbrand (sporenfrei), Typhus, Bac. Friedländer,
Bac. diphth., Choleravibrio, Mäusesepsis, Mäusetyphus, Hühnercholera, Schweine-
seuche und den pyogenen Kokken bei 70° schon nach 5' abgestorben. Der
Tuberkelbacillus wird nach Bonhoff (R. IL 1009) bei 60° in 20', nach Forster
(ebd. 869) erst in 45—60', bei 70° dagegen schon in 5—10' sicher abgetötet; an-
nähernd hiermit übereinstimmende Werte fanden auch Sternberg (1. c. 150) und
Yersin (P. 88, IL 60). Häufig ergeben die Beobachtungen verschiedener
Autoren an einer und derselben Bakterienart etwas von einander abweichende
Werte; bei M. Neisser (Z. 20. 308) finden sich z. B. eine Anzahl solcher Daten
den Typhusbacillus betreffend zusammengestellt; vielleicht handelt es sich in
solchen Fällen, abgesehen von Differenzen in der Versuchsmethodik, um indivi-
duelle Verschiedenheiten in der Resistenz der Kulturen, wie solche noch weiter
unten kennen zu lernen sein werden.
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 437
Jedenfalls ist die Möglichkeit, sporenfreie Bakterien, zu denen
ja fast alle Krankheitserreger gehören, durch relativ kurze Einwir-
kung einer noch weit unter dem Siedepunkte liegenden Temperatur
mit Sicherheit zu vernichten, von grösster praktischer Bedeutung und
findet bei dem Pasteurisieren, d. h. Erwärmung der zu sterilisieren-
den Flüssigkeit während 30' auf etwa 70° Anwendung (vgl. Bitter,
(Z. 8. 268). — Auch sporenbildende Bakterien lassen sich durch
solche relativ niedere Hitzegrade abtöten, wenn man die Erhitzung
wiederholt anwendet und in den Pausen durch Herstellung günstiger
Existenzbedingungen dafür sorgt, dass die vorhandenen Sporen zu
Bacillen auswachsen; werden die letzteren, ehe noch eine erneute Sporen-
bildung eintreten kann, durch die folgende Erhitzung getötet und das
ganze Verfahren etwa 5 — 6 mal wiederholt, so kann man ziemlich
sicher sein, dass keine keimfähigen Sporen mehr vorhanden und alle
vegetativen Formen vernichtet sind. Dies ist das Prinzip der von
Ttndall angegebenen sog. „fraktionierten Sterilisation", mittelst
deren z. B. Blutserum, ohne durch die Erhitzung zur Gerinnung zu
gelangen, sterilisiert werden kann. — Viel schwieriger ist schon eine
rasche Abtötung von Schimmelpilzsporen. Heisse Luft von 120°
bewirkt bei V2 stündiger Einwirkung nicht sichere Abtötung; erst durch
1 V2 stündige Erhitzung auf 110 — 115° lässt sich diese erreichen. Peni-
cilliumsporen sind weniger resistent als Sporen von Aspergill. niger.
— Am schwierigsten endlich gelingt die Vernichtung der Bacillen-
sporen.
Besonders durch trockene Hitze, wie heisse Luft, ist nur sehr
schwierig und erst nach ausserordentlich langer Einwir-
kungsdauer eine Vernichtung der Sporen zu erreichen. Heisse
Luft von 100—120° vermochte nach den Versuchen von Koch u. Wolef-
hügel (M. G. I. 301) selbst nach stundenlanger Einwirkung noch
nicht die Entwicklungsfähigkeit der Milzbrandsporen aufzuheben; erst
eine 3 stündige Einwirkung einer trockenen Hitze von 140° war
hierzu imstande. Unter natürlichen Verhältnissen, wo die Sporen nicht
isoliert der schädigenden Einwirkung der Temperatur preisgegeben, son-
dern inmitten schlecht wärmeleitender Hüllen (Kleidungsstoffe oder dgl.)
verborgen sind, gestaltet sich die Desinfektion mit trockener Hitze
noch viel schwieriger, da nur nach sehr langer Erwärmungsdauer
im Innern der zu desinfizierenden Gegenstände die erforderlichen
hohen Temperaturgrade erreicht werden können. Schon bei einer 3 stün-
digen Einwirkung von 140° aber werden sämtliche Kleiderstoffe und
Gebrauchsgegenstände in irreparabler Weise beschädigt, so dass an
eine Verwendung der trockenen Hitze zu praktischen Desinfektions-
zwecken nicht gedacht werden kann.
438 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Im feuchten Zustand unterliegen die Sporen viel leichter der
Vernichtung durch Hitze. In siedendem Wasser gehen Milzbrand-
sporen in etwa zwei Minuten zugrunde; nach l' behalten sie meist
noch ihre Entwicklungsfähigkeit und Virulenz (Geppeet, B. 90. Nr.
11). In der Praxis ist es oft schwierig, die ganze zu desinfizierende
Flüssigkeitsmasse durch Kochen gleichmässig auf 100° zu erwärmen.
Leicht gelingt dies jedoch, wie Koch in Verbindung mit Löfelee
und Gäefky gezeigt hat (M. G. I. 301) durch strömenden Dampf,
der sehr rasch in die zu desinfizierenden Objekte eindringt und
dort die Temperatur von 100° erzeugt. Auf diesem Prinzipe be-
ruhen die verschiedenen Dampfdesinfektionsapparate, auf deren Kon-
struktion hier nicht näher eingegangen werden kann, sowie der bekannte
zur Sterilisierung der Nährsubstrate und Geräte beim bakteriologischen
Arbeiten verwendete KocHsche Dampfkochtopf. Milzbrandsporen gehen
in strömendem Dampf bei 100° in wenigen (höchstens 12) Minuten zu-
grunde. Noch viel widerstandsfähiger sind die Sporen vieler peptoni-
sierenden Bakterien der Kuhmilch (Flügge, Z. 17, 272), sowie gewisser in
Gartenerde vorkommender, zur Gruppe der Heu- und Kartoffelbacillen
gehöriger Bakterien, wie solche insbesondere von Globig (Z. 3. 322)
beschrieben sind, die erst nach 6 stündigem Verweilen in strömendem
Dampf vernichtet werden; die resistentesten dieser Sporen sind nach
Cheisten (r: C. 13. 498) sogar erst nach einer mehr als 16 Stun-
den dauernden Erhitzung im strömenden Dampf abgetötet. Der des-
infektorische Effekt lässt sich durch Anwendung gespannten Dampfes
von mehr als 1 Atmosphäre Druck steigern; in solchem gespannten
Dampf sterben nach Cheisten selbst die resistentesten Sporen aus
Erde etc. bei 105—110° in 2—4 Stunden, bei 115° in 30—60', bei 120°
zwischen 5 und 15', bei 125 — 130° in etwa 5', bei 140° in l' ab.
Im Gegensatz hierzu hat der auf über 100° „überhitzte" Dampf
von gewöhnlicher Spannung nicht nur nicht eine grössere desinfizierende
Wirkung als einfacher ungespannter, strömender Dampf von 100°,
sondern zeigt sogar eine wesentlich geringere Wirksamkeit, ähnlich
wie heisse Luft. Solcher überhitzter Dampf lässt sich leicht dadurch
herstellen, dass man gewöhnlichen Wasserdampf von 100° über stark
erhitzte Metallflächen oder durch ebensolche Metallröhren gehen lässt;
hierdurch kann die Temperatur des Dampfes bis gegen 200° erhöht
werden, ohne dass seine Spannung zunimmt; der überhitzte Dampf
ist also ungesättigt und „trockener" als der gesättigte Dampf von
100 °; mit zunehmender Überhitzung nähert er sich in seinen Eigen-
schaften mehr und mehr der heissen trockenen Luft. Dementsprechend
fand von Esmaech (Z. 4), dass bei Temperaturen über 100° die Des-
infektionskraft des Dampfes sich bald verringert, bei 120—130° ihren
Gotschuch, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 439
tiefsten Stand erreicht und dann allmählich wieder ansteigt, um erst
bei 150 — 200° wieder die ursprüngliche Wirksamkeit des gesättigten
Dampfes von 100° zu erreichen; bei so hohen Hitzegraden wirkt ja
freilich auch die trockene heisse Luft energisch desinfizierend. Über-
hitzter Dampf ist also für die Zwecke der Desinfektionspraxis als un-
geeignet anzusehen. In ähnlicher Weise wie die Überhitzung wirkt
auch die Beimengung von Luft vermindernd auf die desinfizierende
Energie des Dampfes ein, weil auch hierdurch die Sättigung und das
Wärmeleitungsvermögen desselben verringert wird. So machten schon
Koch, Gaffky u. Löffler (1. c.) darauf aufmerksam, dass zuweilen
selbst in dem v. NÄGELi'schen Dampfkochtopf, der nach dem Prinzip
des Papin'schen Topfes konstruiert war und mit 2 V2 Atmosphären
Überdruck arbeitete, die vollständige Sterilisation nicht erreicht wurde;
dies rührt von dem Zurückbleiben gewisser Luftmengen her, die sich
dann mit dem Dampf mischen und seine Wirksamkeit herabsetzen.
Dieser Übelstand lässt sich dadurch vermeiden, dass zunächst durch starkes
Strömen des Dampfes die Luft aus dem Apparat vollständig entfernt
wird. Da die Luft schwerer ist als der Dampf, so ist es vorteilhaft,
zur Erleichterung ihrer Entfernung die Einströmung des Dampfes von
oben her erfolgen zu lassen und die Abströmungsöffnung im unteren
Teil des Apparates anzubringen, so dass die Luft aus demselben direkt
„herausfallen" kann. — Die Verschiedenheit in der Wirkung der Hitze
auf die Sporen in trockenem und feuchtem Zustande erklärt sich von
demselben Gesichtspunkt aus wie die verschiedene Resistenz der vege-
tativen Formen und der Dauersporen gegen Erhitzung. In beiden
Fällen ist der Wassergehalt der ausschlaggebende Faktor. Diejenige
totale Änderung des Protoplasmas, die den Tod herbeiführt und die
wir uns als eine Koagulation vorstellen müssen, geht offenbar bei
einem gewissen Wassergehalt des Plasmas viel leichter vor sich, als
im völlig trockenen Zustande. Nun aber enthalten die Sporen nach
den früher besprochenen Befanden Cramer's ein fast wasserfreies, sehr
koncentriertes Eiweiss, welches nach den ebenfalls schon erwähnten
Untersuchungen Lewith's ausserordentlich schwer und nur durch sehr
hohe Temperaturen zur Gerinnung gebracht werden kann, während der
Wassergehalt der vegetativen Formen ein recht beträchtlicher, etwa
80% ist. In diesen letzteren wird daher schon bei den weit unter-
halb des Siedepunktes liegenden Gerinnungstemperaturen der Albumine
Koagulation und definitive Abtötung eintreten, während das höchst
koncentrierte, überdies noch durch seinen hohen Salzgehalt geschützte
Eiweiss der Sporen hierdurch noch gar nicht und durch höhere Grade
trockener Hitze, über 140°, auch noch schwierig angegriffen wird; bei
diesen hohen Graden trockener Hitze kann die Spore vielleicht, ohne zu
440 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
gerinnen, direkt verkohlen, verbrennen, wie dies auch leblos organische
Stoffe bei diesen Temperaturen bereits thun. In benetztem Zustande
hingegen quillt das Plasma der Spore auf, wird dadurch gerinnungs-
fähig und kann so durch weit niedrigere Temperaturen, denen gegen-
über die trockene Spore vollständig gefeit ist, koaguliert und seiner
Lebensfähigkeit beraubt werden.
Gegen niedere Temperaturen sind Bakterien im allgemeinen
sehr resistent. Fällt die Temperatur nicht auf excessiv niedere Grade,
oder ist die Einwirkung der Kälte nicht von sehr langer Dauer, so
wird überhaupt das Leben der Bakterien meist nur sistiert und kann
bei Übertragung in günstigere Temperaturbedingungen sofort wieder un-
geschwächt seine Leistungen fortsetzen. Der gewöhnlich in unseren Kli-
maten herrschenden Winterkälte vermögen viele Bakterien sehr lange stand-
zuhalten, selbst wenn die Temperatur zuweilen auf sehr niedrige Grade fällt.
So konnten nach Babes (Cornil u. Babes, Les bacteries.) Cholerabakterien
vollständig überwintern, wobei die Temperatur bis auf — 14° C. fiel; auch Uffelmann
(B.1893. Nr. 7), Raptschewski (r: C.17. 185) und Wntjkow (ref.ebd.) fanden Cholera-
kulturen nach einmonatlichem ununterbrochenen Aufenthalt bei Winterkälte noch
lebend, obgleich in den Versuchen des letzteren die Temperatur nie über — 12 °
gestiegen, einmal aber bis — 32,5° C gefallen war und 8 Tage hindurch sich
zwischen — 25 und — 30 ° C. hält. Kasansky (C. 17. 184) fand für Kulturen von
Cholerabacillen und mehreren ähnlichen Vibrionen, dass sie noch lebensfähig
bleiben, selbst wenn sie 20 Tage hindurch vollständig hart gefroren waren, und
dass sie sogar mehrmaliges Auftauen und Wiedergefrieren vertragen. Einzelne
Autoren, wie Finkelnburg (C 13. Nr. 4), Renk (F. 93. Nr. 10), Abel (C. 14. Nr. 6),
KarschinsKi (r: ebd. 17. 185) fanden etwas geringere Resistenz, die sich teilweise
vielleicht durch individuelle Differenzen der Kulturen erklären dürften; wenigstens
wiesen Finkelnburg (a. a. 0.) und Kasansky (a. a. O.) nach, dass ältere, jahrelang
schon fortgezüchtete Kulturen viel weniger widerstandsfähig wären als frische. Auch
ist die Resistenz der Choleravibrionen gegen Kälte verschieden je nach dem Me-
dium, in welchem sie sich während der Kälteeinwirkung befinden (Weiss, Z. 18.
492); in Bouillon ist ihre Widerstandsfähigkeit viel erheblicher als in Wasser;
am schnellsten gehen sie in Fäces zugrunde. Für Diphtheriebacillen wies Abel
(C. 17. 545) eine 2 — 3 monatliche Resistenz gegenüber der Winterkälte und mehr-
maligem Auftauen und Wiedergefrieren nach; selbst die Virulenz hatte nur wenig
abgenommen, und zwar weniger als bei gleichartigen Kulturen bei Zimmer-
temperatur; dies stimmt mit den Angaben Petruschky's (ebd. 551) über die Er-
haltung der Virulenz von Streptokokkenkulturen wohl überein. Eine bedeutende
Resistenz gegen Kälte wies ferner Nonewitsch (r: C. 17. 292) für die Schweinerot-
lauf bacillen nach, die nach einmonatlichem Aufenthalt im Freien, wo die Temperatur
zwischen — 1,5° und — 10° R. schwankte, lebend und virulent geblieben waren.
Von grossem praktischen Interesse ist ferner die Angabe Galtier's (ref. ebd.), der
Tuberkelbacillen nach 17tägigem Aufenthalt bei einer Temperatur von + 10° C.
am Tage und — 7 ° C. Nachts noch vollständig lebensfähig fand, was mit Rück-
sicht auf die häufigen grossen Temperaturschwankungen mit Auftauen und Wieder-
zufrieren eine sehr erhebliche Resistenz bedeutet. Ebenso wiesen Cadeac und
Malet (cit. n. Sternberg, A Manual of Bacteriologg. New-York 1892. S. 145) in
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 441
gefrorenen Stücken tuberkulöser Lungen nocb nach 4 Monaten virulente Bacillen
nach. Auch die sp o renfr eien Milzbrandbacillen können nach Kxepzoff (C. 17.289)
eine 12tägige ununterbrochene Einwirkung einer mittleren Temperatur von
— 26,8° C. ohne Beeinträchtigung ihrer Virulenz aushalten; bei längerem Aufent-
halte erfolgt Abschwächung und schliesslich Abtötung derselben.
Über die Einwirkung künstlich erzeugter, excessiv nie-
driger Temperaturen liegen folgende Erfahrungen vor. Schumacher
(Beiträge zur Morphologie und Biologie der Alkoholhefe. Diss. Wien
1874) fand Hefe und Bakterien nach kurzdauernder Einwirkung einer
Kälte von — 113° noch lebend. Frisch (Sitzungsber. d. Wiener Akad.
d. Wiss. Bd. 75. H. 5) fand verschiedene Bakterien nach einstündiger
Einwirkung einer Kälte von — 59 ° bis — 87,5 ° C. lebendig. Pictet
und JouNa (C. R. 1884. No. 12) fanden noch nach 20stündiger
Einwirkung einer Temperatur von — 130° C. oder 108stündigem
Aufenthalt bei — 70 °C. Milzbrandsporen und Bac. subtilis lebendig
und ungeschwächt, erstere sogar noch pathogen; Milzbrandbacillen
waren abgetötet, Hefe noch lebend, aber ihrer fermentativen Eigen-
schaften verlustig gegangen. —
Das Licht wirkt auf die überwiegend grösste Mehrzahl der Mikro-
organismen, insbesondere der Bakterien schädigend ein; die schädigende
Wirkung desselben äussert sich je nach Intensität und Dauer der Ein-
wirkung in Abschwächung einzelner Funktionen, Entwicklungshemmung
oder vollständige Abtötung der Mikroben. Von den wenigen Arten,
welche durch Licht begünstigt werden, ist schon früher das Eng-el-
MANN'sche Bakterium photometricum erwähnt worden; hier sei noch
der Angabe Gaillard's (De l'influence de la lumiere sur les Micro-
organismes. Lyon 1888, r: Z. 6 bei Raum) gedacht, welcher eine
Begünstigung mehrerer Arten von Schimmel- und Hefepilzen durch
Belichtung fand, sowie der Beobachtung Schenk's (r: K. 1893. 53),
welcher einen aus Fäces gezüchteten Kokkus bei Belichtung intensiver
wachsen sah als im Dunkeln, weshalb seine im Zimmer aufgestellten
Kulturen aus koncentrischen, entsprechend den wechselndenBedingungen
von Tag und Nacht dichter oder weniger üppig ausgewachsenen
Ringen zusammengesetzt erschienen.
Über die schädigende Einwirkung des Lichts auf Mikroorganismen
liegt eine umfangreiche Litteratur vor, in der sich jedoch in Betreff
mancher Einzelheiten widersprechende Angaben finden. Diese Wider-
sprüche erklären sich teilweise daraus, dass in den älteren Versuchen
nicht mit Reinkulturen, sondern mit unkontrollierbaren Bakterien-
gemischen gearbeitet wurde, deren einzelne Arten vielleicht ganz ver-
schiedene Resistenz gegen Lichteinwirkung zeigten, teilweise aus der
Verwendung verschiedenartiger Nährsubstrate, endlich, wie besonders
Buchner (C. 12. 217) hervorhebt, aus der Verwendung von Massen-
442 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
kulturen, in denen die tieferen Schichten vor dem Einfluss des Lichtes
mehr oder weniger geschützt sind. Es ist daher am zweckmässigsten, die
Bakterien nach Buchner' s Methode in gleichmässiger Suspension in Flüs-
sigkeit oder in gelatiniertem Substrat der Lichteinwirkung zu exponieren
und jedenfalls innerhalb vergleichender Versuchsreihen konstante Kultur-
bedingungen einzuhalten. Eine Schädigung von Bakterien durch Ein-
wirkung des Lichtes wurde zuerst von Downes u. Blunt (Proc. Lond.
26. 488) für Faulflüssigkeiten gefunden, dann von Duclaux (C. R. 100
u. 101) für Tyrothrix und einige Kokkenarten, von Arloing (C. R.
100 u. 101, A. Ph. 7) für Milzbrandbacillen und -Sporen, von Buchner
(C. 9. 781 u. 12. 217) für Fäulnisbakterien, Bac. typhi abd., Bakt. coli
u. den Choleravibrio, von Janowski (C. 8) ebenfalls für den Typhus-
bacillus, von Pansini (cit. Dieudonne, A. G. 9, 413) für eine Reihe
von Pigmentbakterien u. pathogenen Arten, von Galeotti (cit. ebd. 412)
für Pigmentbakterien, von Giunti (r: C. 9. 539) für die Erreger der
Essiggährung, von Martinaud (C. R. 113. 782) und Ward (Proc.
Lond. 93. 23) für Hefen, von R. Koch (Verhdlg. d. X. internat. Congr.
Berlin 1890. 1) und Migneco (A. 25. 361) für Tuberkelbacillen kon-
statiert. Eingehende Litteraturverzeichnisse finden sich u. a. bei Raum
(Z. 6) u. Dieudonne ( A. G. 9. 4 1 2). Besonders merkwürdig ist die verschiedene
Resistenz der Milzbrandsporen und Milzbrandbacillen, die sich hier nach
Arloing gerade in entgegengesetztem Sinne wie sonst geltend macht.
Die Sporen fand Arloing schon nach 2 stündiger direkter Besonnung
abgetötet, während die Bacillen viel widerstandsfähiger sind und erst
nach 26 — 30 Stunden dauernder Insolation vernichtet werden. Dieses
paradoxe Verhalten ist auch nicht etwa, wie Nocard wollte (cit. Dieu-
donne S. 413) auf eine besonders grosse Empfindlichkeit der aus den
Sporen hervorbrechenden Keimlinge zurückzuführen, denn auch auf Eis
gestellte und demnach am Auskeimen verhinderte Sporen sterben nach
Arloing viel rascher ab als vegetative Formen. — Direktes Sonnenlicht
übt eine weit intensivere Wirkung aus als diffuses Tageslicht; bei
direkter Besonnung sah Buchner schon nach 1 lj2 Stunden Entwicklungs-
hemmung der Typhusbacillen eintreten, im diffusen Tageslicht erst
nach 5 Stdn. Auch Kruse (Z. 19. 313) sah schon durch eine 2 stündige
Besonnung vollständige Abtötung eintreten. Da die baktericide Wir-
kung von der Intensität des Lichtes abhängt, so ist sie auch selbst-
verständlich in verschiedenen Jahreszeiten, bei verschiedenem Hochstand
der Sonne ganz verschieden; so fand Dieudonne (1. c.) am Bac. prodi-
giosus u. Bac. fluoresc. putidus Entwicklungshemmung eintreten nach
V-2 stündiger direkter Besonnung im März, Juli und August, dagegen
erst nach 1 il2 stündiger im November; zur definitiven Abtötung bedurfte
es im März, Juli u. August einer Insolation von 1 '/2 Stdn., im Novem-
Gotschxich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 443
ber von 2 % Stdn. Diffuses Tageslicht wirkt auf einige Arten, wie z. B.
die Tuberkelbacillen, erst nach mehreren Tagen schädlich. Auch elek-
trisches Licht ist von Büchnee u. Minck (A. 17), Santoei (A. J. 90.
121), Geislee (C. 9. 161) und Dieüdonne (1. c.) in seiner Wirkung
auf Bakterien geprüft worden; entsprechend seiner geringeren Intensität
wirkt es langsamer als Sonnenlicht. Unter den verschiedenen Strahlen
des Spektrums sind nach den im allgemeinen übereinstimmenden Re-
sultaten von Downes u. Blunt, Kotljae (r: C. 12. 836), Waed,
Galeotti, Büchnee u. Minck und Dieüdonne die ultraroten, roten u.
gelben Strahlen ganz unwirksam; die stärker brechbaren blauen, violetten
und ultravioletten Strahlen, die ja auch die stärkste chemische Wirkung
äussern, haben dagegen deutliche baktericide Eigenschaften. Mehrfach
wurde versucht, die bakterienfeindliche Wirkung des Lichtes einzig
und allein auf die begleitende Temperaturerhöhung zurückzuführen;
in der That will auch Geislee gefunden haben, dass die begleitende
strahlende, dunkle Wärme einen gewissen Anteil am Zustande-
kommen der baktericiden Wirkung habe, und Keüse und Santoei
konstatierten, dass diese Wirkung mit steigender Temperatur an Intensität
zunehme. Doch ist dieser Einfluss der Temperatur sicher nur eine
reine Begleiterscheinung; denn Licht, welches durch Absorption in einer
dicken Wasserschicht oder in Alaunlösung aller seiner dunklen Wärme-
strahlen beraubt war, zeigte doch nach Buchnee und Dieüdonne un-
verminderte baktericide Wirkung. Was den Chemismus der baktericiden
Wirkung des Lichtes anlangt, so ist sowohl eine direkte Wirkung
auf das Plasma der Bakterien selbst, als auch eine gleichzeitige
indirekte Schädigung durch photochemische Veränderung
des Nährbodens anzunehmen. Eine solche indirekte Wirkung kon-
statierten z. B. Geislee und Ketjse durch nachträgliche Aussat auf
Nährböden, die vorher im sterilen Zustand besonnt worden waren; es
zeigte sich deutliche Entwicklungshemmung, die bei Kruse etwa dem
schädigenden Effekt eines Carbolgehalts von % °/0 gleichkam. Über
die Natur der hierbei entstehenden chemischen Substanzen ist noch
nichts sicheres bekannt; die Stoffe sind hitzebeständig; Ketjse sah
dieselben nur aus komplizierten Körpern, Peptonen o. dgl., nicht aber
aus weinsaurem Ammon oder Zucker entstehen; zu ihrer Bildung ist
Zutritt freien Sauerstoffs erforderlich. Bei Belichtung unter Sauerstoff-
abschluss fanden Dieüdonne sowie Tizzoni u. Cattani (A. P. 28. 59)
sehr starke Verminderung der baktericiden Wirkung. Nach Versuchen
von RiCHAEDSON (r: B. Ch. 26. 823) und Dieüdonne (A. G. 9. 537)
entsteht aus organischen Substraten bei Besonnung und 02 -Zutritt
deutlich nachweisbar H2 02 , welches antiseptisch wirkt und demnach
wahrscheinlich einen nicht unwesentlichen Faktor für das Zustande-
444 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
kommen der baktericiden Wirkung des Lichtes darstellt. Dass die
letztere übrigens nicht ausschliesslich auf indirektem Wege
durch Umstimmung des Nährbodens, sondern auch durch direkte Schä-
digung des Plasmas erfolgt, ist durch Versuche von Ward und Kruse
festgestellt; auch angetrocknete Sporen ohne Nährmaterial werden
durch Besonnung vernichtet, und andererseits tritt bei gleicher Dauer
der Lichteinwirkung ein viel intensiverer baktericider Effekt in der
ausgewachsenen Kultur als in der vorher belichteten bei nachträglicher
Besonnung ein. Eine solche direkte Wirkung ist nach den voran-
gegangenen Betrachtungen über photochemische Zersetzungen des Nähr-
substrats leicht verständlich und erfolgt im Plasma offenbar in ganz
analoger Weise.
Die baktericide Wirkung des Lichtes spielt nach Buchner in der
Natur wahrscheinlich eine bedeutende Rolle bei der „Selbstreinigung"
der Flüsse. Ein sicheres, für alle Zwecke der Praxis empfehlenswertes
Verfahren stellt sie deswegen nicht dar, weil nach v. Esmarch (Z. 16.
H. 2) ihre Wirkung sich nur auf die oberflächlichsten Schichten der
Objekte beschränkt, in das Innere derselben aber gar nicht eindringt.
Bei der Einwirkung der Elektrizität auf Mikroben, welche von der Stärke
und Einwirkungsdauer des Stromes abhängt und je nachdem in einer Ab-
schwächung, Wachstumshemmung oder Tötung der Bakterien sich äussert, ist
eine indirekte und eine direkte zu unterscheiden. Erstere kommt durch
die vom elektrischen Strom hervorgebrachte Temperaturerhöhung und die
elektrolytischen chemischen Zersetzungen im Nährmedium zustande. Auf dieser
Wirkung beruhen die mehrfach gemachten Beobachtungen über die ent-
wicklungshemmende resp. keimtötende Wirkung galvanischer Ströme in Nähr-
lösungen, wie sie zuerst von Cohn u. Mendelssohn (Cohn, B. B. III. 141) fest-
gestellt worden ist. Später fanden Apostoli u. Laqtjerriere (C. R. 110. 918), dass
ein 5 Minuten wirkender Strom von 300 M-A Milzbrandbacillen in Bouillon sicher
tötet. In beiden Versuchsreihen erwies sich nur die Anode als wirksam,
weil an ihr Säure und nascierender Sauerstoff frei wird. Ahnliche Resultate über
die polare Wirksamkeit erhielten Prochownick u. Späth (D. 1890) für Agar-
kulturen, die auf Platinelektroden gewachsen und in 0,6 proz.NaCl-Lösung versenkt
waren; sogar Milzbrand sporen wurden nach 1/2 — 1 stündiger Wirkung eines
Stromes von 2—300 M-A getötet; dagegen war die Fernwirkung auf die
in der Flüssigkeit suspendierten Bakterien sehr gering und äusserte sich nur in
Bewegungshemmung. Foth (Wochenschr. f. Brauerei 1890. 51) bezog seine ana-
logen, bei der Hefe in gährenden Flüssigkeiten erhaltenen Resultate auf Ozon-
entwicklung. Auf gleiche Weise ist vielleicht auch die Beobachtung Tolomei's
(r: C. 9. 539), dass starke Entladung eines Ruhmkorff sehen Apparates dicht
über einer in Essiggährung befindlichen Flüssigkeit die Mykodermabildung sistiere,
zu erklären. Hierher gehören auch zum Teil die neuerdings mehrfach gemachten
Versuche, Abwässer durch elektrische Ströme zu reinigen; nach Fermi (A. 8. 206)
wird die Keimzahl schon durch einen Strom von 66 M-A bei fünfstündiger Ein-
wirkung bis auf 1 %0 reduziert; die chemische Beschaffenheit der Elektroden war
Gotscbxich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 445
von Einfluss, indem eiserne am stärksten wirkten; ein grosser Teil der Wirkung
ist übrigens auf rein mechanisches Niederreissen der Bakterien durch die infolge
der Elektrolyse gebildeten Niederschläge zurückzuführen. — Von Versuchen über
direkte Wirkungen des Stromes sind zu nennen die Beobachtung von Btjeci u.
Frascani (r: K.92. 76) welche eine Abtötung der an einem Platin draht angetrockne-
ten und in Quecksilber versenkten Bakterien durch konstante Ströme nachwiesen;
jedoch war hier die Erwärmung nicht ausgeschlossen. Ferner fanden d'Arsonval
u. Charrin (C. R. d. 1. soc. d. biol. 1893. 467 und 764) eine Abschwächung von
Kulturen des Bac. pyocyaneus in Bezug auf Farbstoffbildung und Vermehrungs-
intensität bei längerem Verweilen derselben innerhalb eines Solenoids, durch
welches ein starker Strom von 800 000 Oscillationen pro l" geleitet wurde. Bei der-
selben Versuchsanordnung fanden Spilker u. Gottstein (C. 9. 77) Abtötung des
Bac. prodigiosus und murisepticus in wässriger Aufschwemmung; die Wirkung
trat rascher in blut- oder eisenalbuminathaltiger Lösung ein. Diese Wirkungen
im elektrischen Felde sind nach d'Arsonval u. Charrin (a. a. O.) dadurch zu
erklären, dass sich in demselben kleine Induktionsströme bilden, die jedes Mole-
kül umkreisen, während Verhoogen (r: J. 1891. 472) sie nach Analogie der schäd-
lichen Einwirkung hoher Temperatur grade durch übermässige Aufnahme elektri-
scher Energie zu deuten versucht. —
Druck scheint erst bei sehr massiver Anwendung das Leben der Mikro-
organismen zu beeinträchtigen; so beobachtete Certes (C. r. 99. 385), dass noch
bei einem Drucke von 350 bis 500 Atmosphären Fäulniserscheinungen vor sich
gingen, dass Hefe noch bei 300—400 Atmosphären Druck imstande war, Zucker
zu vergähren, sowie dass Milzbrandbacillen selbst nach 24stdg. Einwirkung eines
Drucks von 600 Atmosphären virulent blieben. Die Angabe d' Arsonval's , dass
C02 unter hohem Druck, etwa von 50 Atmosphären, bakterienfeindliche Wirkung
ausübe und sogar zu Sterilisationszwecken brauchbar sei, konnten bei einer Nach-
prüfung Sabrazes u. Bazin (r: K. 1893. 34) für Staphylokokkus pyogen, aur.,
Bakt. coli, Typhusbac. und Milzbrandbac. sowie Schaffer u. Freudenreich
(r: B. 1892. 502) für letztere beiden Erreger nicht bestätigen; die Bakterien
zeigten sich weder in ihren sonstigen Lebensäusserungen, noch speziell 'in ihrer
Virulenz irgendwie beeinträchtigt, obgleich z. B. in den Versuchen der letztge-
nannten Autoren 7 Tage lang ununterbrochen ein Druck von 47 Atmosphären
(C02) angewandt worden war. Auch durch gleichzeitige Temperatursteigerung
konnte, sofern diese nicht schon an und für sich einen deletären Einfluss aus-
übte, die Wirkung des Drucks auf die Mikroben nicht verstärkt werden. Viel-
leicht sind nur einige Arten gegen Drucksteigerung empfindlich; so soll nach
d'Arsonval u. Charrin (r: K. 1893. 115) der Bac. pyocyan. in C02 unter
50 Atm. Druck schon nach 2 Std. eine geringe Beeinträchtigung seiner Ver-
mehrungsintensität, nach 4 Std. eine Behinderung der Farbstoffproduktion und
nach 6 — 24 Std. völlige Abtötung erleiden. Jedenfalls ist die Resistenz der Mi-
kroorganismen gegen Druckwirkung eine ganz ausserordentliche.
Über die unter Umständen schädigende Einwirkung mechanischer Er-
schütterungen ist bereits bei der Besprechung der Lebensbedingungen gehandelt.
Eine besonders wichtige Rolle spielt endlich das Austrocknen.
Von diesem Tötungsmittel wird auch in der Natur ein sehr ausgedehnter
Gebrauch gemacht, und ihm erliegen wohl schliesslich die meisten
Bakterien, welche nicht Dauersporen bilden, in einiger Zeit. Die be-
446 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
deutende Differenz der Zeitdauer, während welcher das Austrocknen
von sporenfreien Bakterien einerseits, von Sporen andererseits ertragen
wird, giebt uns sogar ein brauchbares Kriterium dafür, ob ein mor-
phologisch zweifelhaftes Gebilde etwa als Dauerform anzusprechen ist.
Dauersporen können in völlig trockenem Zustande anstandslos Jahr-
zehnte lang lagern, ohne etwas von ihrer Lebensfähigkeit einzubüssen.
Unter den vegetativen Formen bestehen bezüglich ihrer Resistenz
gegen Wasserentziehung bedeutende Artdifferenzen. Am empfindlichsten
scheinen Spirillen und einige pathogene Kokken (besonders Pneumo-
kokken) zu sein ; Cholerabacillen, dünn auf Deckgläschen ausgestrichen,
sind durch das blosse Austrocknen an der Luft nach Koch (B. 1884.
Nr. 31) und Kitasato (Z. 5. 134) binnen 3 Stunden, nach Gärtner
(Verhütung der Übertragung und Verbreitung ansteckeckender Krank-
heiten. S. 85) bereits in 15' abgestorben; wird die Wasserentziehung
an ganzen Klümpchen Kultursubstanz sehr rasch, z. B. im Exsikka-
tor, vorgenommen, so bildet sich an der Oberfläche des Klümp-
chens rasch eine ausgetrocknete harte Schicht, welche die weitere
Wasserentziehung aus dem Innern fast vollständig hindert, so dass
sich im Innern die Bacillen oft Tage lang lebendig halten. Die Lebens-
dauer der Choleravibrionen bei Austrocknung auf den verschiedensten im
praktischen Leben vorkommenden Substraten ist von Uffelmann (B. 92.
1209) studiert. Andere sporenlose Bacillen, wie z. B. die Typhus-, Diph-
therie- und Tuberkelbacillen, ertragen wochen- bis monatelanges vollstän-
digesAustrocknen, ohneSchaden zunehmen(vgl.LöFFLER,C.8.665). Diese
Bacillen können daher gelegentlich in trockenem Zustande mit Staub
aufgewirbelt und durch Luftströmungen eine kurze Strecke weit fort-
geführt werden, so dass die Möglichkeit einer Infektion durch In-
halation besteht, während dies z. B. beim Cholera vibrio ganz aus-
geschlossen ist (Williams, Z. 15). Die Erkenntnis des Verhaltens ver-
schiedener Bakterien gegen Austrocknung ist daher auch von grossem
praktischen Interesse für die epidemiologische Forschung. — Die Ent-
wicklungshemmung, welche sämtliche Mikroben erfahren, wenn der
Wassergehalt des Substrats unter eine gewisse, bei differenten Arten
verschiedene Grenze sinkt, ist schon früher besprochen.
B. Schädigung der Mikroorganismen durch chemische Einwirkungen.
Allgemeine Vorbemerkungen und Methodik.
Die antibakterielle Wirksamkeit einer chemischen Substanz hängt
von einer Reihe von Faktoren ab, als deren wichtigste die chemische
Natur der betr. Substanz, die Koncentration, in der sie angewandt
wird, die Dauer der Anwendung, sowie die Natur des Bakteriums,
Gotschxich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 447
auf welche sie wirkt, zu nennen sind; ausserdem kommen noch die
Natur des Mediums, die Temperatur, sowie die Zahl der an-
zugreifenden Keime als mitbestimmend für den Erfolg in Betracht.
Die antibakterielle Wirkung lässt sich in zweierlei Art beobachten:
entweder befinden sich die Mikroorganismen in einem Medium, in dem
sie dauernd einer chemischen Schädigung ausgesetzt sind, und es
fragt sich nun, ob sie diesen ungünstigen Bedingungen zum Trotz
sich entwickeln werden, oder ob völlige Entwicklungshemmung
eintritt — oder die Mikroben werden nur während einer bestimm-
ten Zeit der Einwirkung eines gegebenen Desinfiziens ausgesetzt,
dann aber wieder in durchaus günstige Existenzbedingungen versetzt;
derjenige Grad der Schädigung, bei dem dann keine Entwicklung
unter günstigen Bedingungen mehr stattfindet, bezeichnet die völlige
Abtötung der Mikroben. Die Werte, bei denen völlige Entwick-
lungshemmung bezw. endgiltige Abtötung eintritt, werden als anti-
septischer bezw. desinfizierender Wert bezeichnet; bei letzterem
haben wir für solche Bakterien, welche resistente Dauerformen bilden,
streng den bacillentötenden und den sporenvernichtenden Wert
des Desinfektionsmittels zu unterscheiden.
Die Bestimmung des entwicklungshemmenden, antisepti-
sch enWertes erfolgt allgemein in einfacher Weise dadurch, dass zu einer
Reihe von Nährböden verschiedene genau bemessene Quantitäten der zu
prüfenden chemischen Substanz zugesetzt und die zu prüfenden Bakterien
auf diese Nährböden ausgesät werden; derjenige geringste Koncentrations-
grad, bei welchem eben die Entwicklung völlig ausbleibt, bezeichnet den
antiseptischen Wert des betr. Mittels. In verschiedenen Nährböden ist
derselbe ausserordentlich verschieden, speziell in eiweisshaltigen Flüssig-
keiten, Blutserum oder dgl. ist die entwicklungshemmende Energie
des Mittels stets stark herabgesetzt gegenüber der Wirkung, in wäss-
rigem Medium. Gerade in diesen eiweissr eichen, den Flüssigkeiten des
lebenden Körpers ähnlich zusammengesetzten Nährböden ist es aber
besonders wichtig, die Prüfung anzustellen, worauf neuerdings in erster
Linie Behring- stets hingswiesen hat; seine besondere Methode besteht
in der Beobachtung der Entwicklung im hängenden Tropfen von Rin-
derblutserum.
Der entwicklungshemmende Wert ist aber auch noch von den
anderen Versuchsbedingungen abhängig. Je mehr die sonstigen Ver-
hältnisse sich dem Optimum der für das betr. Bakterium giltigen
Existenzbedingungen nähern, desto widerstandsfähiger sind dieselben
gegen äussere Schädigungen; daher tritt z. B. bei Bruttemperatur
die Entwicklungshemmung erst bei einer höheren Koncen-
tration des Antiseptikums ein, als bei Zimmertemperatur. Ferner
448 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
hat ein bestimmter entwicklungshemmender Wert nur für eine ganz
bestimmte, genau anzugebende Beobachtungszeit Geltung; bei längerer
Beobachtung kann einerseits immer noch eine verspätete Entwicklung
eintreten, wenn die hemmende Einwirkung noch nicht vollständig war;
andererseits aber können sich manche Substanzen, wie Sublimat, bei
längerem Aufenthalt in eiweissreichen Flüssigkeiten zersetzen, so dass
ihre entwicklungshemmende Wirkung aufhört und eine nachträgliche
Vermehrung der Mikroben Platz greifen kann. Nur bei ganz genauer
Angabe der Versuchsbedingungen haben also Bestimmungen dieses
Wertes Giftigkeit und können mit anderen verglichen werden.
Zur Bestimmung der abtötenden Wirkung eines Desinfiziens
gilt es zunächst, möglichst gleichmässige Testobjekte herzu-
stellen. Bei Bakterien, die das Antrocknen vertragen, besonders bei
den vorzüglich zu vergleichenden Prüfungen geeigneter Milzbrandsporen,
verfährt man nach Koch so, dass man dieselben an sterilisierten, etwa
1 cm langen Seidenfäden antrocknen lässt; diese sehr handliche Methode
hat jedoch nach Geppekt Nachteile, indem sich an den Seidenfäden
feste, sehr schwer durchdringliche Krusten von Bakterien bilden können
und andererseits im Innern des Fadens das angewandte Desinfektions-
mittel so fest haftet, dass es nach beendigter Einwirkungsdauer nur
sehr schwer wieder entfernt werden kann; Geppert empfiehlt daher
Sporenemulsionen in sterilem Wasser, eine Methode, die selbstver-
ständlich überall da allein in Frage kommt, wo die zu prüfenden Keime
sehr durch das einfache Antrocknen geschädigt würden. Bei verglei-
chenden Versuchen empfliehlt es sich übrigens, auch an ein und
derselben Art stets nur Kulturmaterial derselben Provenienz zu
entnehmen, da z. B. selbst bei Milzbrandsporen verschiedener Kultur-
massen erhebliche Unterschiede in der Resistenz vorkommen. Auf die
Testobjekte lässt man nun das zu prüfende Desinfiziens in Lösung von
genau bekanntem Gehalt eine bestimmte Zeit, wenige Sekunden oder
Minuten bis mehrere Stunden oder Tage einwirken, wobei zur Erreichung
vergleichbarer Resultate alle übrigen Versuchsbedingungen streng kon-
stant erhalten werden müssen. Nach Ablauf dieser Zeit handelt es
sich darum, das Desinfiziens rasch und vollständig aus dem zu prüfen-
den Kulturmaterial zu entfernen, um jede weiter schädigende Einwir-
kung desselben zu vermeiden; dies sucht Koch durch mehrmaliges
Abspülen der Sporenfäden in sterilem Wasser zu erreichen;
jedoch wird hierdurch sicherlich nur eine ungenügende Entfernung des
Desinfiziens, besonders aus den tieferen Schichten des Sporenfadens
erreicht; ein Teil bleibt zurück und wirkt dann bei der nachfolgenden
Übertragung des Sporenfadens in das Nährsubstrat entwicklungshem-
mend, so dass durch das Ausbleiben des Wachstums ein Gelingen der
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 449
Desinfektion bereits bei sehr niedriger Koncentration vorgetäuscht
werden kann, bei der es in der That nicht zustande kommt. Man
glaubte sich zwar durch einen Kontrollversuch vor einem solchen irr-
tümlichen Resultat schützen zu können, indem in den gleichen Nähr-
boden auch frische, unbehandelte Sporen gebracht wurden; wüchsen
diese ungehindert aus, so glaubte man einen schädigenden Gehalt des
Substrats an desinfizierender Substanz mit Sicherheit ausschliessen zu
können; indessen hat Geppert gezeigt, dass dieser Kontrollversuch
keine Sicherheit gewährt, indem solche Sporen, die einer vorherigen
desinfizierenden Einwirkung ausgesetzt, aber noch nicht abgetötet wor-
den sind, nachträglich schon durch ganz geringe Schädigungen, welche
normale Sporen gar nicht am Auswachsen behindern, z. B. durch einen
Sublimatgehalt des Substrats von 1 : 2 Millionen, doch bereits in ihrer
Entwicklung völlig gehemmt werden. Geppert erreicht eine schnelle
und vollständige Entfernung des Desinfiziens durch Überführung des-
selben in eine unlösliche, unschädliche Verbindung mittelst chemi-
scher Fällung, z. B. beim Sublimat durch Fällung mit Schwefel-
ammonium, wobei unlösliches Schwefelquecksilber entsteht. Schäeeer
(Z. 16. 173) schlägt den umgekehrten Weg ein, indem er nicht das Des-
infiziens, sondern die Bakterien mittelst Centrifugierung rasch aus
der Lösung entfernt. Behring und Nocht (Behring, Bekämpfung d.
Infektionskrankheiten. Leipzig 1894) haben eine Kombination der
KocH'schen und GEPPERT'schen Methode mit Erfolg angewandt, in-
dem sie das Sublimat aus den Sporenfäden durch Schwefelammonium-
fällung entfernten. — Nach Beendigung der Einwirkung des Desinfiziens
werden nun die Keime in frisches Nährmaterial gebracht; » hierbei
kommt alles darauf an, den bereits geschwächten Keimen möglichst
optimale Existenzbedingungen zu gewähren; nach Behring verwendet
man daher nicht, wie Koch früher gethan hatte, Gelatine, sondern
Bouillon oder Blutserum und hält bei Brüttemperatur; auch
ist nach Gruber (r: C. 11. 115) eine mehrtägige Beobachtungsdauer
erforderlich, da häufig trotz der besten Züchtungsbedingungen erst ein
verspätetes Auswachsen stattfindet. Dagegen ist der Vorschlag Gep-
pert's (B. 90. 248), statt der Kultur auf künstlichem Nährboden den
Tierversuch als Kriterium für die erfolgte Abtötung zu verwenden,
nicht allgemein empfehlenswert, da, wie Behring mit Bestimmtheit
nachgewiesen hat, Milzbrandsporen vor dem endgiltigen Absterben
in ein Stadium gelangen, in dem sie zwar nicht mehr infektions-
tüchtig sind, aber doch noch auf künstlichem Substrat auswachsen;
dies steht auch mit den sonstigen Erfahrungen über das Ver-
hältnis von Abschwächung und Abtötung ganz im Einklang. Für
Keime, die überhaupt nur sehr kümmerlich auf künstlichem Sub-
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 29
4,j0 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
strat gedeihen, wie Pneumokokken, ist freilich der Tierversuch un-
entbehrlich.
Unter den allgemeinen Bedingungen der Desinfektion ist vor
allem der Temperatur zu gedenken, welche hier, im Gegensatz zu
ihrer Wirksamkeit bei der Entwicklungshemmung, nach Untersuchungen
von Henle (A. 9. 192), Nocht, Hünermann und Behring (Z. 9. 403),
sowie Heider (A. 15. 341) den Desinfektionseffekt stets sehr
erheblich steigert. Ferner ist die zuerst von Koch (M. G. I. 250)
gefundene und seitdem noch mehrfach (Ceppi, r: J. 93. 557; Lenti,
A. J. III. 518) bestätigte Thatsache von grösster Bedeutung, dass
alle Desinfektionsmittel nur in wässriger, nicht aber in
alkoholischer oder öliger Lösung wirken; der desinfektorische
Effekt des in der Praxis zuweilen angewandten Carbolöls ist also
ganz illusorisch. Eine scheinbare Ausnahme von diesem Gesetz
machen nach Gottstein Lösungen des Sublimats in Lanolin, welche
dieselbe Wirksamkeit zeigen, wie wässrige Lösungen; hier handelt es
sich aber eben nicht um eine Lösung des Desinfektionsmittels in dem
Fett des Lanolins, sondern um eine wässrige Sublimatlösung, in der
sich das Fett in fein emulgiertem Zustande befindet. Übrigens ver-
halten sich nach neueren Untersuchungen von Breslauer (Z. 20. 165)
und Scheurlen (A. 25. 373) auch die übrigen Fette und Öl in dieser
Beziehung sehr verschieden; während z. B. Olivenöl und Vaseline nur
sehr langsam das Desinfiziens an ein wässriges Medium abgeben und
demzufolge im Körper nur geringe desinfizierende Wirkung ausüben,
gestalten sich z. B. bei Gelböl und Unguent. leniens die Verhältnisse
weit günstiger; nach Scheurlen giebt ein Ol um so leichter Carbol
an Wasser ab, je geringer sein spezifisches Gewicht ist. — Diese Ver-
hältnisse haben Bedeutung für die Wahl eines Konstituens zu einer
antiseptischen Salbe.
Von hohem Interesse ist endlich noch das Studium der Gift-
wirkung der Desinfizientien auf höhere Tiere. Hierbei zeigt sich fast
ausnahmslos eine viel höhere Giftigkeit gegenüber diesen letzteren als
gegenüber den Mikroorganismen. Dieses Verhältnis hat Behring (Be-
kämpfung der Infektionskrankheiten) zahlenmässig ausgedrückt in
dem Begriff der „relativen Giftigkeit"; der Ausdruck für dieselbe
berechnet sich z. B. für Carbolsäure folgendermassen : Die tötliche
Minimaldosis der Carbolsäure für höhere Tiere ist bei einem Ver-
hältnis der injizierten Carbolsäure zum Körpergewicht von 1:3000
erreicht; der entwicklungshemmende Wert für Milzbrandbacillen in
Rinderblutserum beträgt 1:500; der Bruch ;lulj0TJ0 = 6 drückt dann aus,
dass die Carbolsäure für höhere Tiere sechsmal giftiger ist als für
Milzbrandbacillen in Rinderblutserum; die relative Giftigkeit der
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganisraen. 45^
Carbolsäure ist also gleich 6. Die Erkenntnis, dass die allgemein
wirksamen Desinfektionsmittel stets für das tierische Protoplasma hef-
tiger giftig wirken, als für die Mikroorganismen, lässt leider eine
„innere Antisepsis", eine Abtötung der Infektionserreger im infi-
zierten menschlichen oder tierischen Körper durch diese Mittel nicht
zu. Nun giebt es aber ausser diesen allgemein wirksamen Protoplasma-
giften noch spezifisch wirksame Mittel, die nur auf eine Art
pathogener Keime zerstörend wirken, alle anderen aber, sowie auch
die tierischen Gewebe unberührt lassen. Andeutungen solcher spezifi-
schen "Wirkung werden wir schon bei einigen der zu besprechenden
chemischen Desinfizientien finden; vollkommen ausgeprägt ist sie bei
den in einem früheren Abschnitt eingehend besprochenen baktericiden
Antikörpern des lebenden Körpers, welche in der Serumtherapie
als praktische Anwendung rationeller innerer Antisepsis ihren
Triumph feiern. — Behufs spezieller Besprechung ordnen wir die
grosse Masse der Desinfektionsmittel, so viel wie möglich nach
chemischer Zusammengehörigkeit gehend, in Haupt- und Unterab-
teilungen, ähnlich wie dies zuerst von Behring geschehen ist.
I. Anorganische Desinfektionsmittel.
a) Metalle und Metallsalze.
Manche Metalle üben als solche, in reinem Zustand, eine deut-
liche antiseptische Wirkung aus. Dies ist zuerst von Miller (Verhdlg.
d. dtsch. odontolog. Ges. 1889) an einigen Goldpräparaten, die in der
Zahnfüllungstechnik Verwendung finden, konstatiert und dann von
Behring (Z. 9. 432) bestätigt. Legt man ein Stückchen Gold in die
Mitte einer Gelatineplatte, so bleibt in einem gewissen Umkreise das
Wachstum mancher Arten aus ; die verschiedenen Arten werden in sehr
verschiedenem Grade beeinflusst, z. B. sind Diphtherie- und Milzbrand-
bacillen, sowie Pyocyaneus stark, Cholerabacillen nur massig empfind-
lich, während Typhus- und Rotzbacillen gar nicht gehindert werden.
Ausserdem metallischen Gold fand Behring auch Silber und Queck-
silber, in geringerem Grade auch Kupfer, Nickel und Zink wirksam.
Eisen, Blei und Zinn dagegen unwirksam. Wurden die Metallstückchen
aus dem Nährboden entfernt, so war trotzdem auch bei nochmaliger
Besäung in den frei gebliebenen Bezirken des Nährbodens wiederum
eine Entwicklungshemmung zu konstatieren, die um so vollständiger
war, je mehr der Impfstrich sich dem Centrum, wo früher das Metall
gelegen hatte, näherte. Dies spricht dafür, dass von den Metallen
geringe Spuren im Nährmedium aufgelöst werden und so direkt das
Bakterienwachstum hemmen, was freilich bei der Schwerlöslichkeit des
29*
452 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Goldes sehr merkwürdig ist. Vielleicht kommt die Lösung überhaupt
erst durch die Stoffwechselprodakte der Mikroorganismen zustande;
so wird sich wenigstens das verschiedene Verhalten differenter Arten
gegenüber demselben Metall, welches bei gelösten Metallsalzen nicht
in gleicher Weise zu beobachten ist, zwanglos erklären.
Unter den Metallsalzen sind weitaus am besten bekannt und von
stärkster desinfizierender Wirkung die Quecksilbersalze, in erster
Linie das Quecksilbersublimat, HgCL>. Die eminenten baktericiden
Eigenschaften desselben wurden zuerst durch Koch erkannt, und wenn
auch durch spätere Versuche, namentlich von Behring, mit vervoll-
kommneter Methodik gezeigt worden ist, dass die antiseptische und
desinfizierende Wirksamkeit des Sublimats nicht ganz so hoch ist, wie
es nach den ersten Versuchen den Anschein hatte, so nimmt doch noch
immer das Sublimat die hervorragendste Stelle unter den chemischen
Desinfizientien ein. Die Entwicklungshemmung ist in Gelatine für die
Milzbrandbacillen bereits bei einem Gehalt von 1 : 1 Million eine voll-
ständige; getötet werden Milzbrandbacillen in Wasser bereits durch
den Gehalt von 1 : 500 000 HgCl2 in wenigen Minuten. In organischem
Substrat hingegen ist die Wirksamkeit des Sublimats erheblich ver-
ringert; so werden die Bacillen in Bouillon erst bei 1:40000, in Blut-
serum gar erst bei 1 : 2000 abgetötet. Die Entwicklungshemmung
tritt in Blutserum nach Behrings sehr zahlreichen und sorgfältigen
Versuchen in der Regel bei einem Gehalt von 1:10000 ein; dieser
Wert bezieht sich nur auf eine zweitägige Beobachtung, reicht aber
für längere Beobachtungszeiten nicht aus, da das Sublimat allmählich
zersetzt und dadurch unwirksam wird; so z. B. reicht selbst ein Gehalt
von 1 : 6000 nicht mehr hin, um noch nach 8 Tagen die Entwicklung
aufzuhalten. Interessant ist ferner der Einfmss der Temperatur auf
den entwicklungshemmenden Wert; bei Brutwärme, wobei sich die
Bacillen in optimalen Lebensbedingungen befinden, widerstehen sie der-
selben Schädigung leichter als bei Zimmertemperatur; so wurde nach
Behring bei einer 24 stündigen Beobachtungsdauer in Bouillon bei 20°
vollständige Entwicklungshemmung schon bei einem Sublimatzusatz
von 1 : 500000 konstatiert, während bei 36° cet. par. eine Concentration
von 1:125000 hierzu erforderlich war. Mit zunehmender Verdünnung
des Blutserums nimmt auch die entwicklungshemmende Wirkung des
Sublimats, und zwar annähernd proportional mit der Verdünnung wieder
zu, so dass z. B. in einem 40 fach mit Wasser verdünnten Serum schon
bei einem Gehalt von 1:500000 die Entwicklungshemmung selbst bis
zu 72 Std. eine vollständige ist. — Besonders weitgehende Änderungen
haben die Ansichten über den sporentötenden Wert des Sublimats er-
fahren müssen; während nach Koch's erster Mitteilung schon bei einem
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 453
Gehalt von 1 : 5000 HgCl2 die Sporen in einigen Minuten abgetötet
sein sollten, ist nach neueren Versuchen von C. Feänkel dieser Effekt
bei 1 : 1000 erst in 30 Minuten in wässriger Lösung zu erreichen, und
nach Beheing und Nocht tritt in Bouillon und Globulinlösung selbst
nach 3 stündiger Behandlung mit 1 °/00 Sublimat noch keine Abtötung
der Sporen ein; dieselbe ist mit gewöhnlicher Sublimatlösung zu l°/00
sicher erst binnen 24 Stdn. zu erreichen, bei 1:200 in 2 Stdn., bei 1:100 in
80 Minuten; durch Zusatz von Schwefelsäure (1 HgCl2 + 9 Gewichtsteile
H2S04) lässt sich die "Wirksamkeit etwas steigern, so dass z. B. durch
1 °/00 Lösung Sporenabtötung schon nach 6 Stdn. erfolgt. — Die starke
Verringerung der Wirksamkeit, welche das Sublimat in Blutserum und
ähnlichen eiweisshaltigen Flüssigkeiten erleidet, ist darauf zurückzu-
führen, dass das in diesen Lösungen enthaltene leblose organische Ma-
terial ebenso, wie es nachher noch vom lebenden Plasma kennen zu
lernen sein wird, reduzierend wirkt und so einen Teil des Quecksilbers
für sich in Anspruch nimmt; in ähnlicher Weise setzt auch das Vor-
handensein zahlreicher lebender Milzbrandbacillen die sporentötende
Wirksamkeit des Sublimats herab. Diese Wirkung darf nicht ver-
wechselt werden mit der Bildung eines Quecksilberalbuminat-
Niederschlages, welcher sich im Blutserum bildet, wenn der HgCl2-
Gehalt 0,25 °/00 übersteigt; denn die Verringerung der desinfizierenden
Wirksamkeit des Sublimats in eiweisshaltigen Medien tritt auch dann
ein, wenn eine solche Ausfällung des Quecksilberalbuminats durch
Zusatz geeigneter Mittel verhindert wird. Zu letzterem Zwecke ist
zuerst von Laplace (D. 87. 866) der Zusatz von 5 °/00 Weinsäure oder
HCl zu 1 °/00 HgCl2 empfohlen worden; nach Beheing (C. 3. 27 ü. 64)
wird dieser Niederschlag von allen Mitteln, die Niederschläge der Mer-
kurireihe in Lösung halten, mit Ausnahme natürlich der an sich schon
koagulierend wirkenden, in Lösung gehalten. Besonders geeignet sind
für diesen Zweck KCl und NaCl. Die mit diesen Salzen (5 Teile KCl
oder NaCl auf 1 HgCl2) bereiteten Lösungen zeichnen sich durch ihre
grosse Haltbarkeit aus; sie werden weder durch das Licht zersetzt,
noch geben sie eine Fällung mit kohlensauren Alkalien; sie können
daher auch mit nichtdestilliertem Wasser hergestellt werden. Die etwa
eintretende Bildung von Quecksilberoxy Chloriden beeinträchtigt die Wir-
kung nicht; „überhaupt ist der desinfizierende Wert der Queck-
silberverbindungen im wesentlichen nur von dem Gehalt an
löslichem Quecksilber abhängig, die Verbindung mag sonst
heissen, wie sie wolle" (Beheing, Z. 9. 400).
Entwicklungshemmung der Milzbrandbacillen in Einderblutserum sab Beh-
ring (D. 89. 41/43) bei verschiedenen Hg-Präparaten durch folgende Koncentra-
tionen bewirkt : Quecksilberchlorid + 2 Cyankalium + Quecksilbercyanid bei 11:
454 Allgemeine Biologie der Mikr
MuiM-inismen.
18000, Quecksilberchlorid + 1 Cyankalium bei 1:15000, Quecksilberchlorid -f- ' 2
Cyankalium bei 1:12000, Quecksilberchlorid allein bei 1:10000, Quecksilberchlorid
+ 10 NaCl bei 1:15000, Quecksilberchlorid + 3 Salmiak bei 1:12000, Quecksilber-
cyanid bei 1:18000, Quecksilbercyanid-Cyankalium bei 1:24000, Quecksilberoxy-
cyanid bei 1:16000, Quecksilberjodidjodkalium bei 1:20000, Quecksilberformamid
bei 1:10000, 1 Sozojodolquecksilber + 5 NaCl bei 1:6000.
Die relative Giftigkeit der Quecksilberpräparate beträgt nach
Behring etwa 6, d. h. die Quecksilbersalze sind für höhere Tiere etwa
6 mal so giftig, wie für Milzbrandbacillen in Rinderblutserum.
Die anderen Metallsalze teilen mit den Quecksilbersalzen die
unangenehme Eigenschaft, in eiweisshaltigen Lösungen unlösliche Nie-
derschläge zu bilden, besitzen dagegen meist eine geringere desinfi-
zierende Energie.
Besondere Erwähnung unter ihnen verdienen die Silbersalze.
Dieselben kommen in ihrer entwicklungshemmenden Energie dem Sub-
limat fast gleich, übertreffen dieselbe sogar gegenüber dem Rotzbacillus.
So werden nach Behring- (D. 87. Nr. 37 u. 38) Milzbrandsporen in
Rinderblutserum durch eine Silberoxyd -Penthameth ylendiaminlösung
von 1 : 40 000, durch eine Silbernitratlösung schon bei 1 : 80 000 am
Auskeimen verhindert; Vernichtung trat bei 24 stündigem Verweilen
in einer Silberoxydlösung von 1:2500, resp. nach 70 stündigem Auf-
enthalt in einer Silbernitratlösung von 1:12000 ein. Boer (Z. 9.482)
fand bei Anwendung von Silbernitrat für folgende pathogene Bakterien
in Bouillon folgende Werte:
Abtötung nach 2 Stdn.
Entwicklung- einer frisch geimpften
hemmung Kultur
Asporogene Milzbrandbacillen . 1:60000 [1:80000] 1:30000 [1:70000]
Diphtheriebac 1:60000 [1:80000] 1:10000 [1:60000]
Rotzbacillen ....'.... 1:75000 [1:60000] 1:15000 [1:50000]
Typhusbacillen 1:50000 [1:60000] 1: 4000 [1:50000]
Cholerabacillen 1:50000 [1:90000] 1:20000 [1:80000]
Zum Vergleich sind in eckigen Klammern die korrespondierenden
Werte für Quecksilberoxycyanid beigegeben. Es geht daraus ohne
weiteres die bedeutende entwicklungshemmende Wirkung des
Sübernitrats hervor; doch zeigt sich seine desinfizierende Wirksam-
keit wesentlich geringer. In Blutserum dagegen leisten Silber-
lösungen etwa 5 mal mehr als Sublimatlösungen; Behring hat daher ver-
sucht durch intravenöse Silbernitratinjektionen auch am lebenden, mit
Milzbrand infizierten Tier die Bacillen abzutöten und so das Tier durch
..innere Antisepsis" zu retten. In der That gelang ihm dies einige
Male bei infizierten Kaninchen dadurch, dass ein Silbergehalt von 1:
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 455
15 000 2 — 3 Tage hindurch, unmittelbar von der Infektion ab, im Blut
des lebenden Tieres unterhalten wurde; doch kommt hierbei bereits
das Leben der Tiere durch Silberintoxikation in grösste Gefahr. — In
chloridhaltigen Medien erleidet die Wirksamkeit des Silbernitrats durch
die teilweise Ausfällung des Silbers als AgCl eine sehr erhebliche Ein-
busse. — Dieser Übelstand ist teilweise vermieden in dem neuerdings
von Schäeeer (Z. 16. 179) geprüften Athylendiaminsilberphos-
phat („Argentamin"), welches bei Zusatz zu eiweiss- und chlorid-
haltigen Flüssigkeiten nur eine Trübung, keine Fällung erzeugt. Die
desinfizierende Wirkung desselben gegen vegetative Formen und vor
allem gegen Gonokokken war in allen Nährböden der des Silbernitrats,
zuweilen sogar der des Sublimats überlegen; nur die Milzbrandsporen
wurden von der Silbernitratlösung in gleicher Koncentration rascher
getötet als von Athylendiaminsilberphosphat; bei Verwendung einer
1 proz. Lösung trat bei ersterer schon in 5 Minuten, bei letzterer erst in
15 Minuten Abtötung der in Bouillon suspendierten Sporen ein. Neuer-
dings ist ferner von R. Meyer (Unters, üb. d. Wirk. d. Argentum-
kase'ins etc. Diss. Breslau 1894) das Argentumkase'in (nach Röhmann
und Liebrecht aus 10 Teilen Kasei'nnatrium + 1 Teil AgN03 bereitet)
geprüft worden; in wässrigen Lösungen steht es dem Athylendiamin-
silberphosphat zwar nach, in eiweisshaltigen aber kommt es ihm gleich
und entfaltet dabei eine etwa 5 mal geringere Reizwirkung auf mensch-
liche Gewebe. —
Von Goldsalzen ist das Auronatriumcblorat von Behring und Boer(Z.
9. 479) geprüft worden; doch ist seine desinfizierende Wirkung nur eine geringe, in-
dem z. B. Eotzbacillen in Bouillon erst bei einem Gebalt von 1: 1000, Typrlusbacillen
bei 1:800 in 2 Stunden absterben. Dies erklärt sieb dadurch, dass das Präparat
sebr leiebt von den organischen Substanzen der Nährlösungen, besonders von den
Globulinen angegriffen wird. Andere Goldsalze, wie das Goldkaliumcyanid, können
vollständig mit den Quecksilber- und Silbersalzen konkurrieren. — Von anderen
Metallen kommt nacb v. Lingelsheim (Z. 8.203) dem Thalliumkarbonat erhebliche
desinfizierende Fähigkeit zu; unter den Kupfer salzen besitzt nach Green (Z. 13.
495) Cuprum bichloratum die stärkste desinfizierende Wirksamkeit; die Kupfersalze
wirken um so stärker, je grösser der Gehalt ihres Moleküls an Cu ist. Kupfer-,
Palladium- und Platin verbin düngen sind nach Behring von etwa 5mal ge-
ringerer Wirksamkeit als Sublimat; Iridium, Zinn, Zink und Eisen haben
einen sehr geringen desinfizierenden Wert; Eisenvitriol wirkt nach Jäger (A. G.
5. 247) selbst in Koncentration von 1 : 3 nicht auf Milzbrandsporen und Tuberkel -
bacillen, dagegen auf Hühnercholera, Schweinerotlauf, Schweineseuche und Eotz-
bacillen, sowie bereits in 1:10 auf sporenfreie Milzbrandbacillen. Das Eisen-
chlorid ist von Löffler, (C. 16. 955) zur lokalen Behandlung des Diphtherie
in 4proz. Lösung gemischt mit Alkohol undToluol verwendet werden; diese Mischung
tötet eine dicke, wohl ausgewachsene Diphtheriekultur binnen 5 Sekunden ab;
reiner Liquor ferri bewirkt Abtötung in 10 Sekunden.
456 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Über das Wesen der antibakteriellen Wirkung der Metall-
salze auf die Bakterien giebt vielleicht die von Loew festgestellte
Thatsache einigen Aufschluss , dass das Protoplasma gewisser
Algen eine Reduktion der Metallsalze zu niederen Oxydations-
stoffen oder bis zum Metall selbst bewirkt und sich durch Aufnahme
des Metalls selbst vergiftet; besonders wirksam erwiesen sich
Quecksilber-, Silber- und Goldsalze. Behring gelang es nun, an den
Doppelcyaniden der Metalle, welche durch leblose organische Sub-
stanzen fast gar nicht angegriffen werden und demnach rein den Effekt
der Reduktion durch das lebende Plasma zeigen, bei vergleichender
Prüfung des entwicklungshemmenden Wertes auf Milzbrand-
bacillen und der Giftwirkung auf höhere Tiere zu zeigen, dass
zwischen beiden Reihen von Werten ein vollständigerParalle-
lismus besteht; ordnet man die Metalle nach ihrer entwicklungs-
hemmenden Wirkung, so ist gleichzeitig die so gewonnene Skala auch
giltig für ihre Giftwirkung im Tierkörper. Hiernach darf man auch
annehmen, dass Giftwirkung und baktericide Wirkung auf einer und
derselben Protoplasmawirkung beruhen, die sich wahrscheinlich als
Reduktionswirkung darstellt. Auf demselben Prozess beruht auch die
chemische Bindung der Metallsalze durch leblose Eiweisskörper, wodurch
z. B. im Blutserum die verminderte Wirksamkeit der Desinfizientien
zustande kommt; durch Zusatz geeigneter Mittel lässt sich diese Zer-
setzlichkeit herabsetzen, ganz analog wie dies für das Kupfersulfat in
der FEHLiNG'schen Lösung durch Zusatz von W einsäure erreicht ist.
b) Säuren und Alkalien.
Der Einfluss der Reaktion des Nährsubstrats auf die Lebensfähig-
keit der Mikroorganismen ist bereits in einem früheren Kapitel be-
sprochen worden, wo auch das ausserordentlich verschiedene Verhalten
verschiedener Arten dargethan wurde. Hier erhebt sich nun die wei-
tere Frage, ob die Wirkung der Säuren und Alkalien nur auf ihrer
Acidität, bezw. Alkalescenz beruht, so dass sie auch quantitativ nur
nach der Grösse der titrimetrisch ausgewerteten Reaktionsänderung
richtet, oder ob es dabei nicht auch gleichzeitig auf die chemische
Natur der Säure oder des Alkalis ankommt, so dass bei verschiedenen
Körpern trotz gleicher Änderung der Reaktion doch Verschiedenheiten
in dem antibakteriellen Verhalten vorkommen könnten.
Diese Alternative ist, was die Säuren anlangt, durch die Unter-
suchungen v. Lingelsheim's (Z. 8. 201) im Sinne der ersteren Annahme
entschieden. Nicht blos die anorganischen Säuren, wie Salzäure, Schwe-
felsäure, Salpetersäure, Phosphorsäure, sondern auch die organischen,
wie Ameisensäure, Essigsäure, Buttersäure, Valeriansäure, Oxalsäure,
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 457
Milchsäure, Weinsäure, Malonsäure, Citronensäure, zeigten die
gleiche entwicklungshemmende Wirkung auf Milzbrandsporen
im Rinderblutserum, wenn sie in gleichem titrimetrisch festzu-
stellenden Aciditätsgrade im Nährboden vorhanden waren; die
chemische Konstitution der einzelnen Säure machte für das Resultat
nichts aus. Derjenige Säuregehalt, bei welchem, eine Ent-
wicklung der Milzbrandbacillen ausblieb, war für alle Säu-
ren annähernd gleich und entsprach etwa 40 ccm Normal-
säure pro 1 Liter Nährflüssigkeit. Bei diesem Säuregehalt, der
vollständige Entwicklungshemmung bewirkt, sterben auch schon viele
Keime ab; definitive Abtötung sämtlicher Keime erfolgt aber erst bei
einem etwa doppelt so hohen Säuregehalt. Von den organischen Säuren,
die ein viel höheres Molekulargewicht haben, sind demnach natürlich auch
grössere absolute Mengen nöthig, weshalb diese Säuren eine schwächere
Wirkung auszuüben scheinen wie die anorganischen; auf Normalsäure
berechnet, besteht aber in beiden Fällen dasselbe quantitative Ver-
hältnis. Die späteren Untersuchungen von Boee (Z. 9. 479) bestätigen
diese Regel und zeigen noch zahlenmässig, dass der zur Entwicklungs-
hemmung erforderliche Aciditätsgrad bei verschiedenen Arten verschie-
den ist; Rotzbazillen werden z. B. erst durch einen 6 mal höheren Säure-
gehalt in ihrer Entwicklung gehemmt wie Cholerabacillen. In
scheinbarem Widerspruche hierzu steht eine Angabe von Kitasato
(Z. 3. 404), wonach die Schwefelsäure erheblich wirksamer sein sollte,
als die Salzsäure; dieser Widerspruch erklärt sich aber wahrscheinlich
aus der abweichenden Versuchsanordnung Kitasato's, der die Bakte-
rien nach beendigter Einwirkung des Desinfiziens in Gelatineplatten
brachte, während Boee sie in Bouillon bei Brüttemperatur züchtete.
Durch genaue Nachahmung der KiTASATO'schen Versuchsanordnung
erhielt Boer auch sofort dieselbe scheinbare Überlegenheit der Schwefel-
säure über die Salzsäure; dieselbe erklärt sich vielleicht so, dass die
durch die Schwefelsäure bereits geschädigten, aber noch nicht abgetö-
teten Bakterien bei der niedrigen Temperatur des Gelatineplattenver-
fahrens durch die mit übergeimpften kleinen Mengen von Schwefelsäure
am Auswachsen verhindert wurden, was unter den günstigeren Be-
dingungen der Brüttemperatur nicht der Fall ist, während die flüchtige
Salzsäure allmählich aus dem Nährboden entweicht und so auch ein
Auswachsen bei Zimmertemperatur ermöglicht. — Ein grosser Unter-
schied macht sich in den Resultaten über die antibakterielle Wirkung
der Säuren geltend, je nachdem man von Züchtung in alkalischer
oder neutraler Bouillon ausgeht; hierbei findet jedoch nicht etwa blos
eine einfache algebraische Addition der Acidität oder Alkalescenz des
Substrats zu der hinzukommenden Säureinenge statt, sondern der Unter-
458 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
schied fällt bei verschiedenen Bakterien, z. B. beim Choleravibrio und
Diphtheriebacillus, in entgegengesetztem Sinne aus, je nachdem das be-
treffende Bakterium in alkalischer oder neutraler Bouillon seine opti-
malen Lebensbedingungen findet; bei diesem Reaktionsoptimum bedarf
es zur Erreichung desselben Effekts, der vollständigen Entwicklungs-
hemmung, eines grösseren Säurezusatzes als sonst, so dass unter Um-
ständen dasselbe Bakterium, wie eben der Diphtheriebacillus, in neu-
traler Lösung erst durch grössere Säuremengen abgetötet wird, als in
saurem Substrat. — Sporentötende Wirkung kommt nur der Salz-
säure, Schwefelsäure und Salpetersäure in koncentrierten
Lösungen zu; stärkere Verdünnungen sind auch bei langdauernder
Einwirkung machtlos. Für praktische Desinfektionszwecke kommen
nur die rohe Schwefelsäure und die rohe Salzsäure in Betracht.
Während die verschiedenen Säuren, auf gleichen Gehalt an Nor-
malsäure berechnet, sich in ihrer desinfektorischen Wirksamkeit alle
annähernd gleich verhalten, spielt bei den Alkalien nach v. Lingels-
heim (l.c) die chemische Natur des einzelnen Alkalis für die
Grösse des antibakteriellen Effekts eine ausschlaggebende
Rolle.
So genügte zur Hemmung der Entwicklung von Milzbrandbacil-
len in Rinderblutserum, auf 1 Liter Nährflüssigkeit bezogen, von Barium-
hydroxyd bereits ein Zusatz von 5ccm, ^on der Natronlauge llccm,
von Ammoniak dagegen erst von 70ccm; auf Normallauge berechnet
ergiebt dies die Werte 4,64; 11,00; 70,00. Vom Ammoniak wird also
ein 7mal grösserer Laugenzusatz vertragen als von Natronlauge. Ausser-
ordentlich hohe entwicklungshemmende Werte ergaben das schon
früher genannte Thalliumkarbonat (1:7500) und das Lithionkar-
bonat (1:2000). Die ausschlaggebende Rolle der chemischen Natur
des Metalls im Alkali kommt auch ebenso in den neutralen Halogen-
salzen des Metalls zum Ausdruck. Während z. B. NaCl erst bei einem
Zusatz von 1:12,5 die Entwicklung des Milzbrands in Blutserum verhin-
derte, trat dies bei Calciumchlorid schon bei einem Zusatz von 1:50
und bei Lithiumchlorid gar bereits in einem Zusatz von 1:500 zu Tage.
Sporentötend wirken bei gewöhnlicher Temperatur nur die Alkali-
hydrate, nicht aber die Karbonate; auch die Hydrate töten Sporen nur
in stärkeren Lösungen, zeigen sich aber doch wirksamer als die Säuren;
so werden nach Beheing (1. c. S. S9) Milzbrandsporen in 30°/0 NaOH
schon nach 10 Minuten, in 4°/0 (also Normal-NaOH) in 45 Minuten ab-
getötet. Auch die Karbonate und die alkalischen Seifen können
bei erhöhter Temperatur eine sehr energische Desinfektions-
wirkung entfalten. In gewöhnlicher Waschlauge von etwa 1,4 °0
Sodagehalt und 85° Temperatur sah Beheing (I.e. S. 89) selbst die
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 459
resistentesten Milzbrandsporen nach spätestens 8 — 10 Minuten
absterben; bei 75° trat dieser Effekt erst in 20 Minuten ein. EinelOproz.
Lösung gewöhnlicher Schmierseife zeigt fast die gleiche Wirksamkeit.
Heider (A. 15. 341) konstatierte in 2proz. reiner Lösung von Soda bei
75° erst nach 1 — 2 Stdn. Vernichtung der Milzbrandsporen. Aber
auch bei Zimmertemperatur üben gewöhnliche Seifenlösungen auf
Cholera- und Typhusbacillen eine bedeutende desinfizierende Wirksam-
keit aus (di Mattei, A. J. 1; Jolles, Z. 15. 460; 19. 130).
Die doppeltkohlensauren Alkalien, welche neutral oder ganz schwach
alkalisch reagieren, besitzen keine nennenswerte antibakterielle Wir-
kung. Von einzelnen Alkalien ist ferner ausser dem schon erwähnten
Ammoniak, das sowohl hier als in seinen Salzen eine auffallend ge-
ringe antiseptische Wirksamkeit entfaltet und das in Gasform nach
de Freudenreich (A. Mi. 93. 493), Bordoni-Uffreduzzi, (r: C. 15. 862)
und Moreno (r: C. 17. 505) keine sichere für die Praxis verwend-
bare desinfizierende Wirkung ausübt, das ungleich stärker wirksame
Hydroxylamin, NH2OH zu nennen, das nach Behring (D. 89.
Nr. 41/43) (als Chlorhydrat untersucht) schon in 1:1500 die Entwick-
lung der Milzbrandbacillen im Rinderblutserum aufhebt, also über
9 mal wirksamer als Carbolsäure ist; auch Heinisch (P. 89. 438) fand
eine erhebliche entwicklungshemmende, aber nur eine geringe ab-
tötende Wirkung.
Die praktisch wichtigste Stelle unter den Alkalien und Erdalkalien
nimmt der Atzkalk, Calciumhydroxyd, Ca(OH)2 ein. Seine Be-
deutung für die Desinfektionspraxis wurde von Liborius (Z. 2. 15)
und Pfuhl (Z. 6. 97; 7. 363; 12. 509) begründet. Der Ä-tzkalk
wirkt nur durch seine Alkalescenz; die neutralen Salze dessel-
ben, z. B. das bei Berührung mit der atmosphärischen Luft aus dem
Atzkalk durch Einwirkung der atmosphärischen C02 entstehende Cal-
ciumkarbonat, sind gänzlich unwirksam. Ätzkalk tötet nach Liborius
Cholerabouillonkulturen, die reichliche Eiweissgerinnsel enthielten und
also für die Desinfektion ähnliche Verhältnisse darboten wie Dejektio-
nen, bereits in der Koncentration von 0,4 °/0 in wenigen Stunden; nach
Pfuhl genügt in Kanalwasser ein Gehalt von 1,5 °/0 Atzkalk, um
Typhus- und Cholerabacillen binnen einer Stunde zu vernichten, wenn
die Mischung in steter Bewegung gehalten wurde; ohne Bewegung
waren mehr als 3 % erforderlich. Für die Desinfektionspraxis bewährt
sich am besten die von Pfuhl angegebene 20proz. Kalkmilch. Tünchung
mit Kalkmilch tötet nach Jäger (A. G. 5. 247) die Erreger von
Hühnercholera, Schweinerotlauf, Schweineseuche, Schweinepest und
sporenfreie Milzbrandbacillen in zwei Stunden; Milzbrandsporen und
Tuberkelbacillen dagegen bleiben noch nach Smaligem Kalkanstrich
460 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
selbst nach sechs Stunden intakt. Ahnliche Resultate erhielt de Giaxa
(r: J. 1890. 497). —
Von den Neutralsalzen verdient das Kochsalz noch eine kurze
Erwähnung. Bei Nachahmung des Prozesses des Einpökeins durch
Bestreuung von Kulturen mit einer dicken Lage Na Cl erhielten Fokster
und de Freytag (A. 11. 60) nur bei Cholerabacillen, die in wenigen
Stunden, und bei sporenfreien Milzbrandbacillen, die in 18 — 24 Stunden
zugrunde gingen, ein positives Resultat; Typhusbacillen, Schweinerot-
lauf bacillen, Staphylokokken und Streptokokken, Milzbrandsporen und
Tuberkelbacillen blieben selbst nach Wochen bis Monaten resistent.
c) Gasförmige anorganische Stoffe. Halogene und Halogenderivate.
In früherer Zeit, als man von der korpuskularen Natur der In-
fektionserreger noch nichts wusste, sondern sie sich als flüchtige Kon-
tagien vorstellte, waren die gasförmigen Desinfektionsmittel, in Gestalt
von Räucherungen u. s. w. sehr beliebt; bei der exakten Prüfung dieser
Mittel hat sich jedoch ergeben, dass denselben nur eine ganz ungenü-
gende Wirksamkeit zukommt. Der Hauptnachteil aller gasförmigen Des-
infektionsmittel, der zuerst an der schwefligen Säure, S02 von
Wolefhttgel (M. G. I. 181) nachgewiesen wurde, besteht in
dem mangelhaften Eindringen und Durchdringen derselben
durch die zu desinfizierenden Gegenstände, so dass Infektionserreger,
die sich im Innern solcher Gegenstände, durch dicke äussere Um-
hüllungen geschützt, befinden, von der schädigenden Einwirkung gar
nicht getroffen werden. Sogar die stärksten, praktisch gar nicht an-
wendbaren Koncentrationen, wie 10,1 Vol.-°/0 S02, sind unter solchen
Umständen selbst bei 48 stündiger Einwirkung ausserstande, auch nur
sporenlose Mikroben zu töten. Ausserdem ist die Verteilung der Gase
in grösseren Räumen eine ganz ungleichmässige und unkontrollierbare;
daher erklärt sich, dass die sogleich zu erwähnenden Laboratoriums-
versuche, die im kleinen und unter genau zu beherrschenden Be-
dingungen positive Resultate ergaben, ihre Wirkung versagten, sobald
sie im grossen wiederholt wurden. So gelang es z. B. Koch und Wolee-
hügel, in einem Glaskasten sporenfreie Bacillen bei einem Gehalt der
Luft von 0,8—0,5 Vol.-°,'0 in 24 Stunden zu töten. Fischer u. Pros-
eauer (M. G. II. 228) konnten bei ähnlicher Versuchsanordnung
mit 0,18—0,3 Vol.-°,0 Chlor in 24 Stdn. und mit 0,3 Vol.-°/0 Brom
in 3 Stdn. sporenfreie Mikroben töten. Als aber die Versuche in einem
28 Kubikmeter grossen Keller wiederholt wurden, waren dieResultate durch-
aus unsicher, indem sich wegen der 60 — 80 % betragenden Verluste
fast nie ein zur Abtötung hinreichender Volumprozentgehaltan wirksamem
GtOtschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 4(31
Gas herstellen liess. Endlich werden die Bakterien in trockenem
Zustande nur sehr schwer von den gasförmigen Desinfizien-
tien angegriffen; bei den oben angeführten Volumprozenten war
stets eine intensive Anfeuchtung der Objekte oder Sättigung der Luft
mit Wasserdampf erforderlich; in feuchtem Zustande werden aber die
Gegenstände durch diese Gase in irreparabler Weise beschädigt. Die
angeführten gasförmigen Desinfektionsmittel sind also für die Zwecke
der Desinfektionspraxis ganz unbrauchbar.
Von anderen Gasen seien erwähnt der Schwefelwasserstoff,
H2S, der zwar nach Frankland's Versuchen (Z. 6. 13) auf manche Bak-
terien (Pyocyaneus, Choleravibrio, Spirill. Finkler) schädigend einwirken
soll, der jedoch nach Grauer (r: J. 1887. 379) selbst bei stunden-
langer Einwirkung auf Cholera-, Typhus-, Milzbrand- und Tuberkel-
bacillen ganz ohne Einwirkung war. Stickoxyd, NO, soll nach Frank-
land auf seine genannten 3 Mikroben rasch abtötend, Stickstoff-
oxydul, N2 0 nur entwicklungshemmend wirken.
Ozon, 03, übt nach Wtssokowitsch (Mitt. a. Dr. Brehmer's Heil-
anstalt in Görbersdorf. N. F. Wiesbaden 1890. S. 71) bei einem Gehalt
von 20 — 50 Milligramm pro 100 Kubikmeter eine gewisse Hemmung,
namentlich auf langsam wachsende Arten aus; auch wird steriler Nähr-
boden durch Ozoneinwirkung so verändert, dass bei nachheriger Aussat eine
Entwicklungshemmung der überimpften Keime zu konstatieren ist. Eine
immer noch sehr unsichere baktericide Einwirkung beginnt nach den
Versuchen Sonntag' s (Z. 8. 95) erst bei einem Gehalt von 13,53 mgr
03 pro Liter, eine Koncentration, die aber nur durch ganz aussergewöhn-
liche Mittel zu erreichen ist und bereits heftige zerstörende Wirkungen
auf anderes Material ausübt. Auch nach den neueren Versuchen Ohl-
müller's (A. G. 8. 229) und Christmas (P. 93. 777) ist das Ozon als
für die praktische Desinfektion von Gebrauchsgegenständen gänzlich
ungeeignet anzusehen. — Hier mag auch noch einmal an die Rolle des
Sauerstoffs bei der baktericiden Wirkung des Lichtes erinnert werden; in
dieser Weit spielt der Sauerstoff wahrscheinlich in der Natur eine wich-
tige Rolle als antibakterielles Mittel.
Wasserstoffsuperoxyd, H202, ist nach Girier (Verhdlg. d.
10. Kongr. Berlin 1890. 5. 123), van Hattinga-Tromp (Diss. Gro-
ningen 1887), Altehoefer (C. 8. 129), Pane (A. J. 90. II) und Trau-
gott (Z. 14. 427) ein energisches Desinfiziens; es vermag bei einem
Zusatz von 1 °/0 Trinkwasser in 24 Stdn. keimfrei zu machen, auch
wenn dasselbe Typhus- oder Cholerabacillen enthielt. Hierbei wurde
die Menge des H202 nicht wesentlich vermindert, wenn organische Sub-
stanzen nur in spärlicher Menge im Wasser vorhanden waren. In
Medien allerdings, die reich an organischem Material sind, wie in Fäces,
462 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
wird ein grosser Teil des H202 durch die organischen Substanzen in
Beschlag genommen und so für die Desinfektion entzogen. Trotzdem
erscheint es wegen seiner prompten energischen Wirkung und seines
billigen Preises nach Traugott für manche praktische Zwecke recht
gut verwendbar.
Während, wie oben dargethan wurde, die Halogene in Gasform nur
geringe desinfizierende Wirksamkeit besassen, kommt ihnen in Lösung
sowie einigen ihrer Derivate ein hoher desinfektorischer Wert zu.
Chlorwasser ist nach Geppert (B. 1890. Nr. 11) ein sehr kräftiges
Desinfiziens; eine 0,2 proz. Lösung vernichtet Milzbrandsporen binnen
15 Sekunden; vollständige Entwicklungshemmung zeigt sich schon bei
der Koncentration von 1 : 700. Die desinfizierende Wirkung wird noch
erheblich gesteigert, wenn das Chlor in statu nascendi verwandt wird,
indem man der zu desinfizierenden Masse Chlorkalk und langsam Salz-
säure zufügt. Wegen der ausserordentlichen Schädigungen, welche
Chlor auf organisches Material ausübt, kann das Mittel nur in sehr
beschränktem Masse Anwendung finden. — Chlorkalk, aus CaCl2,
Ca(OH)2 und Ca(C10)2 (unterchlorigsaurem Kalk) bestehend, giebt
bei Behandlung mit Säuren schon mit der C02 der Luft unterchlorige
Säure ab, die dann weiterhin Cl abspaltet. Dass der desinfektorische
Effekt der Räucherungen mit Chlorkalk ganz illusorisch ist,
wurde schon erwähnt. Nach neueren Untersuchungen von Sternberg,
Jäger und Nissen (Z. 8. 62) vermag er jedoch in Lösungen bedeutende
antiseptische Wirkung zu entfalten; in 0,12 % zu Bouillon zugesetzt, tötet
er Cholera- und Typhusbacillen schon in 5 Minuten, Milzbrandbacillen
schon in 1 Minute bei 0,2 % auch die pyogenen Kokken nach 2 Minuten.
Sehr widerstandsfähige Milzbrandsporen wurden durch 5 % Chlorkalk erst
in 4^Stdn. getötet. Die desinfektorische Wirksamkeit wird in eiweiss- oder
salzhaltigen Substraten sehr stark herabgemindert; in Fäces werden
z. B. Typhusbacillen erst durch 1 °/0 Chlorkalk in 10 Minuten abge-
tötet. Für seine Verwendung in der Desinfektionspraxis liegt minde-
stens kein Bedürfnis vor. — Jodtrichlorid, JC13 , von Riedel (A.
G. 2. Heft 3—5), Behring (1. c. S. 93) und Traugott (1. c.) geprüft,
ist ein ausserordentlich energisches Desinfiziens. Cholerabacillen
werden schon durch 1 : 2000 in 1 Minute, Milzbrandbacillen durch
1:1000 in 10 Sekunden, Milzbrandsporen in wässriger Suspension
mit 1 °/0 JC13 fast momentan getötet. Diese sehr energische
Wirkung erfährt auch in eiweiss- und salzreichen Lösungen nur eine
geringe Abschwächung; in Fäces sind durch 1 : 1000 JC13 Cholera- und
Typhusbacillen schon in 15 Minuten abgetötet.
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 453
IL Organische Desinfektionsmittel.
aj Körper der Methanreihe.
Das Leuchtgas wirkt nach Kladakis (Üb. d. Einwirkung d. Leucht-
gases auf d. Lebensthätigkeit der Mikroorg. Diss. Berlin 1890) auf eine
ganze Reihe von Bakterien schädigend ein; Cholera-, Typhus-, Milz-
brand-, Tetanusbacillen, Pyocyaneus, Bac. Friedländer, Tetragenus
und Staphylokokken wuchsen in Leuchtgasatmosphäre nicht, sondern
waren nach 11 — 13 Tagen sämtlich abgetötet. Nur Proteus vulgaris
gedieh üppig; auch Hessen sich Faulflüssigkeiten mittelst Durchleiten
von Leuchtgas nicht sterilisieren.
Alkohol bewirkt nach de la Croix (A. P. 13. 175) im Verhältnis
von 1 : 21, nachMiQUEL im Verhältnis von 1 : 10,5 Entwicklungshemmung
in Faulflüssigkeiten, nach Koch bei Gehalt von 1 : 12,5 völlige Entwick-
lungshemmung der Milzbrandbacillen; dagegen vermochte absoluter Al-
kohol Milzbrandsporen selbst nach monatelanger Einwirkung nicht zu
schädigen. Vegetative Formen jedoch können durch Alkohol zerstört
werden; so fandenScHiLL und Fischer (M. Gr. II. 131) die Tuberkelbacillen
im Auswurf nach 24 stündigem Verweilen in einer Mischung, hergestellt
aus 1 Teil Sputum und 4 Teilen absoluten Alkohols, abgetötet; Rein-
kulturen von Tuberkelbacillen werden nach Yersin (P. 88. 60) schon
durch 5' dauerndes Verweilen in absolutem Alkohol ihrer Lebensfähigkeit
beraubt. Eiterkokken werden nach Sternberg (A Manual of Bact. 189)
schon durch 2 stündige Einwirkung 45 °/0 Alkohols vernichtet, sapro-
phytische Kokken in noch verdünnteren Lösungen.
Aceton übt nach Koch auf Milzbrandsporen nach ötägiger Ein-
wirkung eine allerdings immer noch unvollständige Wirkung aus; nur
ein Teil der Sporen ist abgetötet.
Aether wirkt nach Koch auf Milzbrandsporen nach 8 Tagen noch
unvollständig, nach 30 Tagen jedoch sicher abtötend.
Formaldehyd, H.COH, der Aldehyd der Ameisensäure, kommt in
40 proz. Lösung als „Formalin" in den Handel und ist von ausserordent-
lich starker antiseptischer Wirkung. Dieselbe wurde zuerst von Loew
u. Fischer (J. pr. Ch. 33. 221) sowie Buchner u. Segall (M. 89) ent-
deckt und seitdem von vielen Forschern bestätigt.
Tkillat (C. K. 114) findet schon bei einem Zusatz von 1:50000 zu
Fleischwasser eine merkliche, bei 1:12000 eine auf mehrere Wochen sich er-
streckende Entwicklungshemmung. NachSLATER, u. Eideal (La. 21. IV. 1894) lässt sich
Entwicklungshemmung konstatieren für Staphylokokk. pyog. aur. bei einem Gehalt
der Kulturbouillon von 1:5000, für Bac. typh. abd. bei 1:15000, für Bakt. coli
comm. bei 1:7000, Bac. anthracis bei 1:15000, Bac. mallei bei 1:20000, Bac. pyo-
cyaneus bei 1:7000, Bac. prodigiosus bei 1:20000, Spirill. cholerae asiaticae bei
464 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
1:20000, für gewöhnliche Hefe Aufhebung der Gährung bei 1:2500. In einer
Lösung von 1 : 10000 starben sporenfreie Milzbrandbacillen nach 30 Minuten, Cholera-
bacillen in 2 Stdn. ab, Fäulnisbakterien dagegen wurden selbst binnen 24 Stdn.
nicht getötet. In einer lproz. Lösung wurden Milzbrand- und Cholerabacillen
in weniger als 15 Minuten, Staph. pyogen, aur. erst zwischen 50 und 60 Minuten
getötet. Zur sicheren und schnellen Abtötung müssen daher, wie schon Blum
(M. 93. 32) betont hat, mindestens 2proz. Lösungen verwendet werden. lOproz.
Lösung tötet nach Ascoli (r: C. 17. 849) Cholerabacillen in 3 Minuten, Milz-
brandsporen in weniger als 5 Stdn.; 5proz. Lösungen töten Cholerabacillen in
3 Minuten, Diphtheriebacillen in 10 Minuten, Milzbrandbacillen in 15 Minuten,
Staphylokokken in 30 Minuten, Milzbrandsporen in 5 Stdn. Die desinfizierende
Kraft des Formalins ist also weit geringer, als man nach der bedeutenden anti-
septischen Wirksamkeit schliessen sollte. Wichtig ist, dass den Formalin-
dämpfen eine ziemlich en er gischeDesinfektions Wirkung zukommt. Nach
Ascoli (C. 17. 849) werden in einem Raum bei einem Formaldehydgehalt der Luft von
1:10000 Cholerabacillen in 1 Std., Diphtheriebacillen in 3 Stdn., Staphylokokk.
pyog. in 6 Stdn., Milzbrandsporen in 13 Stdn. abgetötet; bei einem Formaldehyd-
gehalt von 1:100 sterben Staphylokokken und Milzbrandsporen bereits in höchstens
45' ab. Eine andere, noch nicht endgiltig zu beantwortende Frage ist freilich,
ob das Formaldehyd auch die zu desinfizierenden Objekte durchdringt und überall
seine Wirksamkeit entfalten kann. Hiervon wird es abhängen, ob das Formalin
auch für die Zwecke der praktischen Desinfektion von Wohnräumen, Gebrauchs-
gegenständen etc. brauchbar und zuverlässig ist; über diese Frage liegen bereits
Versuchsreihen von Lehmaxn (M. 93. 32), Freystuth (D. 94. 649), Bordoni-
üffredtjzzi (r: C. 15. S62), Philipp (M. 94. 926), Walter (Z. 21. 421) mit teil-
weise recht ermutigendem Ergebnis vor.
Chloroform, CHC13 ist Milzbrandsporen gegenüber ohne jede
Einwirkung (Koch). Dagegen vermag es, wie zuerst Salkowski
(D. 88. 16. — V. 115. H. 2) entdeckte, auf sporenfreie Mikroben
schädigend zu wirken; Cholera- und sporenfreie Milzbrandbacillen wer-
den dadurch sehr schnell getötet; gesättigtes Chloroformwasser (1 °/0) führt
selbst bei Massenkulturen von Cholerabacillen binnen 1 Minute zur Ab-
tötung. Auch Chloroformdämpfe bewirken eine ziemlich starke Ent-
wicklungshemmung an Staphylokokken, Cholera-, Typhus- und Milzbrand-
bacillen. Kirchner (Z. 8. 465) hat vorgeschlagen, eiweisshaltige
Flüssigkeiten, z. B. Blutserum, ohne Erhitzung mittelst Chloroform zu
sterilisieren; die Methode ist sehr praktisch, da sie die Eigenschaften,
speziell die Gerinnungsfähigkeit des Serums, nicht verändert, und da
das Chloroform vor dem Gebrauch der Nährsubstrate leicht durch Er-
hitzung verjagt werden kann. Das Chloralhydrat, CCl3.CHO, hat
eine ähnliche, nur etwa 3 mal geringere antiseptische Wirksamkeit.
Chloralcyanhydrin besitzt nach Rohrer (C. 13. 43) nur geringe bakte-
ricide Eigenschaften.
Jodoform, CHJ3, ist schon seit lange in die Chirurgie eingeführt
und leistet insbesondere bei Behandlung jauchiger Wunden sowie tuber-
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 465
kulöser Prozesse sehr gutes. Um so auffallender erscheint es nun,
wenn wir aus der bakteriologischen Prüfung dieses Stoffes erfahren,
dass seine baktericiden Fähigkeiten nur ganz geringe sind.
Eine sichere baktericide Wirkung äussert das Jodoform nämlich
nur gegenüber den Choleravibrionen (Neissee, V. 110. 281 und
Buchner, M. 87. 25), während es allen anderen pathogenen Bakterien
gegenüber nach den übereinstimmenden Ergebnissen von Heyn u. Rov-
sing (F. 87. Nr. 2), Tilanus (M. 87. 309), Baumgarten (B. 87. 20),
Kunz (r: J. 87. 370), de Ruytee (Langenbeck's A. 36. 984), Kronacher
(M. 87. 29), Schnirer (r: J. 1887. 373), Jeeeeies (r: ebd. 374), Kar-
linski (r: C. 6. 237), Martens (V. 112. H. 2) u. A. vollständig
machtlos ist; auch im Tierkörper vermag es keine baktericide Wirk-
samkeit zu entfalten, selbst wenn es dem Infektionsmaterial in 40facher
Menge beigemengt war (Baumgarten und Kunz 1. c). Dagegen ver-
mag es nach Kunz (1. c.) im Kontakt mit dem lebenden Gewebe Sapro-
phyten zu zerstören und so Fäulnisprozesse in Wunden hintanzuhalten.
Diese Wirkung ist nach Behring (D. 87. Nr. 20) so zu erklären, dass
durch die bei der Fäulnis auftretenden Reduktionsprozesse
das Jodoform zerlegt wird; hierbei entstehen lösliche Jodverbin-
dungen, welche ihrerseits teils antiseptisch auf die Erreger wirken,
teils die gebildeten Ptomai'ne verändern und ihrer eiterungserregenden
Eigenschaften berauben, wie dies Behring (D. 88. 653) vom Kadaverin
direkt konstatieren konnte. Durch beide Wirkungen wird der Eiterungs-
prozess günstig beeinflusst. Aus der Thatsache, dass Jodoform nur
nach vorgängiger Zersetzung wirkt, erklärt sich nun auch die Unwirk-
samkeit desselben bei direkter Applikation auf die Kulturen. Die
positive Wirkung auf Cholerakulturen erklärt sich wohl, abgesehen von
der sehr geringen Resistenz dieser Mikroben, aus ihrer bedeutenden redu-
zierenden Thätigkeit, die sich ja auch in ihrem Stoffwechsel kundgiebt.
Kohlensäure, C02, ist in ihrer Wirkung auf verschiedene Bak-
terien von C. Fränkel (Z. 5. 333) untersucht. Manche Arten gedeihen
in reiner C02 fast ebenso gut wie in der Luft, so der Typhus- und
der FRiEDLÄNDER'sche Bacillus. Andere, wie Proteus und Prodigiosus,
erleiden in C02 -Atmosphäre eine gewisse Entwicklungshemmung. Die
Mehrzahl der Bakterien, namentlich viele Saprophyten, wachsen in
CO 2 gar nicht, werden aber auch durch dieselbe nicht geschädigt.
Einige Arten endlich, wozu z. B. Cholerabacillen, Milzbrandbacillen
und Staphylokokken gehören, werden durch reine Kohlensäure mehr
oder minder vollständig abgetötet. Schon verhältnismässig geringe
Beimengungen von Luft gestatten jedoch selbst den empfindlichsten
Arten wieder normales Wachstum. — Über desinfizierende Wirkung
komprimierter C02 (50 Atmosphären und mehr) vgl. S. 445.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 30
466 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
b) Körper aus der aromatischen Reihe.
Benzol, CßHß, ist nach Koch (M. G. I) selbst nach einer 20 Tage
lang dauernden Anwendung auf Milzbrandsporen ohne jede schädigende
Einwirkung auf dieselben. Toluol ist in Mischung mit Alkohol und
4 % Eisenchlorid von Löfeler (1. c.) als wirksames desinfizieren-
des Mittel zur Lokalbehandlung der Diphtherie empfohlen worden
(vgl. S. 455).
Anilin, C6H5. NH2; nach Riedlin (Vers. üb. d. antisept. Wir-
kung etc. Diss. München 89.) hemmt Zusatz von Anilinwasser zum
Nährboden im Verhältnis von 1:5 jegliche Entwicklung von Mikroben.
Acetanilid hat nach Lepine (r: J. 87. 380) nur eine massige antibak-
terielle Wirkung.
Phenol, Carbolsäure, C6H5.OH, nimmt in dieser Gruppe die
wichtigste Stellung ein. Ihre desinfizierende Leistungsfähigkeit steht
zwar weit hinter der des Sublimats zurück; nach Koch beginnt die
entwicklungshemmende Wirkung auf Milzbrandbacillen bei einem Ge-
halt von 1 : 1250, wird vollständig bei 1:850; Abtötung der vegetativen
Formen erfolgt bei 1:400 bis 1:200; Abtötung der Sporen erfolgt
nach Koch in 5proz. wässriger Lösung zwischen dem ersten und zweiten
Tage, ist jedoch nach Geppert (B. 90. Nr. 11) selbst durch 7%
Carbolsäure und bei einer Einwirkungsdauer von 38 Tagen nicht zu er-
reichen. Das Ausbleiben der Entwicklung in Koch's Versuchen darf
wohl entweder auf geringere Resistenz seiner Sporen oder auf die
Wirkung mit den Sporen ins Nährsubstrat übertragener kleiner Mengen
von Carbolsäure bezogen werden. In erwärmter (37,5 °) Carbolsäure
von 5% starben dagegen Milzbrandsporen nach Nocht (Z. 7. 521) schon
nach 3 Std., in 4% nach 4 Std., in 3% nach 24 Std. ab. Ferner
fanden Gärtner u. Plagge (Verh. d. dtsch. Ges. f. Chir. 85) für sporen-
freie Milzbrandbacillen, Rotzbacillen, Streptokokken aus Eiter und
Puerperalfieber, Erysipelstreptokokken, Staph. pyogen, aur. und alb.,
Osteomyelitiskokken, Tetragenus, Typhusbac, Diphtheriebacillus aus-
nahmslos sichere Abtötung durch 3 °/0 Carbolsäure binnen 8 Sekunden.
Diese Koncentration ist also für die gewöhnliche chirurgische Praxis
völlig ausreichend. — Dass Carbollösungen in Ol oder Alkohol
völlig unwirksam sind, ist bereits erwähnt worden. — Durch Zusatz
von \ °/0 Salzsäure oder 1 °/0 Weinsäure lässt sich die Desinfektions-
kraft der Carbolsäure noch erhöhen (Laplace D. 88. 121; Jäger,
A. G. 5. 247). — Trotz der im Verhältnis zum Sublimat ziemlich
geringen Desinfektionsenergie findet und verdient die Carbolsäure
weiteste Anwendung in der Praxis. Ihr Hauptvorzug besteht näm-
lich in ihrer sehr festen, nur schwierig angreifbaren chemischen Kon-
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 457
stitution; ihre Wirkung ist daher sehr gleichinässig und zuverlässig
und wird weder durch Alkalien und Salze, noch durch Eiweisssub-
stanzen aufgehoben. Die wenigen Verbindungen, welche die Carbol-
säure mit Säuren etc. bildet, wirken selbst wieder desinfizierend. Auch
durch Licht wird ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt; die Rotfärbung,
die in nicht ganz reinen Präparaten allmählich entsteht, ist nicht
schädlich.
Eresole (Methylphenole), C6H4 .(CH3)OH, bilden den wich-
tigsten Bestandteil der sog. „rohen Carbolsäure", die ausserdem
noch bis 25°/0 reine Carbolsäure und wertlose Kohlenwasserstoffe ent-
hält. Der desinfizierende Wert der rohen Carbolsäure in ihren ein-
fachen wässrigen Lösungen ist nur ein geringer, weil die wirksamen
Bestandteile derselben, die Kresole, sich fast gar nicht in Wasser lösen.
Dagegen lässt sich, wie zuerst Laplace (D. 88. 121) und C. Fräkkel
(Z. 6. 521) nachwiesen, durch Vermischung der rohen Carbolsäure mit
roher Schwefelsäure eine dünne syrupartige, leicht wasserlösliche
Flüssigkeit gewinnen, die sehr bedeutende desinfizierende Eigenschaften
zeigt und beispielsweise Milzbrandsporen in 4proz. Lösung binnen 48 Std.
abtötet. Am besten bewährte sich eine Mischung aus gleichen
Volumteilen roher Carbolsäure und Schwefelsäure, weniger günstig
war die Verwendung gleicher Gewichtsteile. Wichtig ist, dass die
beim Vermischen auftretende spontane Erhitzung durch künstliche
Kühlung vermieden wird, weil die desinfizierende Kraft des heiss be-
reiteten Gemisches bedeutend geringer ist, als des unter Kühlung her-
gestellten; so sah C. Feänkel in letzterem bei einer Koncentration von
5% Milzbrandsporen in einem Tage absterben, während sie' in der
gleich koncentrierten, heiss bereiteten Lösung noch nach 9 Tagen lebend
blieben. Dies erklärt sich daraus, dass die bei Kühlung in der
Schwefelsäure einfach in gelöstem Zustand ohne chemische Bindung
mit der Säure existierenden Kresole:
C-CH, C-CH, C-CH,
C-CH3
/\
HC CH
1 II
! II
HC C-OH
V
CH
Meta-
HC C-OH HC CH HC CH
I II
HC CH HC C-OH HC CH
\/ V \/
CH CH C-OH
Ortho- Meta- Para-
Kresol.
bei Erwärmung eine chemische Bindung mit der Schwefel-
säure eingehen und so in die weniger wirksamen Phenolsulfo-
säuren übergehen:
30*
468 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
C.OH C.OH C.OH
HC C.SO3H HC CH HC CH
I . II I ii ! II
HC CH HC C.SO3H HC CH
v v
CH CH C.SO3H
Ortho- Meta- Para-
Phenolsulfosäure.
Zudem geht bei Erwärmung die Orthophenolsulfosäure (als
„Aseptol" bekannt) nach Hueppe (B. 86. 609) in die unwirksamere
Para-Verbindung über. Die Orthophenolsulfosäure vernichtet in 6proz.
Lösung Milzbrandsporen nach Fbänkel in 3 Tagen, die Parasäure in
12 Tagen; beide erweisen sich also als überlegen über die wässrigen
Carbollösungen ähnlicher Koncentration. Tritt in der Seitenkette
SO3H für H ein Na ein, so wird die Desinfektionskraft ausserordentlich
herabgesetzt. Noch leistungsfähiger sind jedoch, wie gesagt, die Kresole
als solche in schwefelsaurer Lösung, und zwar ist am wirksamsten die
Mischung aller 3 Kresole, durch welche schon bei einer Koncentration
von 0,3 °/0 vegetative Formen in wenigen Minuten, Milzbrandsporen in
8 — 20 Std. vernichtet werden. Einzeln geprüft, erwies sich nach Fkänkel
und Henle (A. 9. 188) das Metakresol am wirksamsten, hierauf folgten
die Para- und zuletzt die Orthoverbindung. — Dieselbe Erhöhung der
Desinfektionsenergie lässt sich nach Beheing (Bekämpfung d. Inf.-Kr. 121)
durch Schwefelsäurezusatz auch bei der reinen Carbolsäure erreichen;
die Kresole sind also nicht an sich bessere Desinfektions-
mittel wie das gewöhnliche Phenol; in Gemischen von reiner
Karbolsäure einerseits und roher Carbolsäure andererseits mit gleichen
Teilen Schwefelsäure war sogar meist das mit reiner Carbolsäure her-
gestellte von etwas stärkerer Wirkung. — Jedenfalls ist es von ausser-
ordentlichem Vorteil, durch die Säureaufschliessung aus einer fast wert-
losen Substanz, dem Rohcarbol, billige und sehr wirksame Desinfizien-
tien herstellen zu können.
Die Kresole lassen sich aber auch in alkalische Lösung über-
führen. Hierher gehört zunächst das englische Kreolin Pearson.
Nach Henle (A. 9. 188) stellt das Kreolin eine Emulsion von
Kresolen durchHarzseife dar, der ausserdem nach Kohlenwasserstoffe
(in ihrer Gesamtheit als Kreolinöl bezeichnet) von geringerem anti-
septischen Wert und wertlose Pyridine beigemengt sind. Der des-
infektorische Effekt des Kreolins ist grösser als der aller seiner einzelnen
Bestandteile zusammengenommen; es findet also eine kumulierende
Wirkung der in gleichem Sinne wirkenden Antiseptika statt, wie auf
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 4ß9
eine solche schon früher von Rottee, (C. Chir. 88. Nr. 40) aufmerksam
gemacht worden war. Eine 0,5proz. Lösung tötete Staphylokokken in
10', was durch eine gleich starke Carbollösung erst nach Stunden er-
reicht werden kann. Der Desinfektionswert der Carbolsäure, der Kre-
sole und des Kreolins in Bouillon gegenüber sporenfreien Mikroben
verhält sich nach Behring wie 1 : 4 : 10. In eiweisshaltigen Flüssig-
keiten jedoch vermindert sich die desinfizierende Kraft des Kreolins
ganz ausserordentlich; während die entwicklungshemmende "Wirkung
gegenüber Milzbrandbacillen in Bouillon schon bei einem Gehalt von
1 : 10000 eintritt, ist dies nach Behring in Rinderblutserum erst bei
1:200, also in 50 mal stärkerer Koncentration der Fall; analog sinkt
der milzbrandbacillentötende Wert von 1 : 5000 auf 1 : 100. In eiweiss-
haltigen Flüssigkeiten von ähnlicher Zusammensetzung wie Blutserum
fand Behring beim Kreolin eine ganz minderwertige, 3 — 4 mal geringere
Leistung als bei der Carbolsäure. Der Grund für diese auffallend ge-
ringe "Wirkung in eiweisshaltigen Flüssigkeiten ist noch unaufgeklärt.
Interessant ist auch, dass frisch bereitete Kreolinlösungen eine viel
grössere Wirksamkeit entfalten, als länger gestandene; Henle führt
diese Differenz auf Wirkung der bei der Emulsionierung entstehenden
Diffusion zurück. — Die mehrfach behauptete Ungiftigkeit des Kreolins
existiert nicht; nach Behring beträgt vielmehr die relative Giftigkeit
etwa 4. — Das sog. deutsche Kreolin (Artmann) ist von weit geringerer
desinfizierender Wirkung als das englische. — Eine alkalische Lösung
(nicht Emulsion) von Kresolen ist ferner das Lysol; dasselbe unter-
scheidet sich vom Kreolin durch den viel höheren Gehalt an Kresolen
(ca. 50% gegen 10%) und den viel geringeren Gehalt an schwerlös-
lichen Kohlenwasserstoffen, sowie dadurch, dass die Lösung mit einer
Leinölseife hergestellt ist, welche besser löst, aber weniger emulgiert,
als die Harzseife in Kreolin; daher stellt Lysol eine klare Lösung dar.
Nach Hammer (A. 12. 358) vernichtet eine 0,3proz. Lösung Eiterkokken in
Bouillon in etwa 30 Minuten. Das Lysol steht also in seiner desinfizieren-
den Kraft einer gleichkoncentrierten Kresollösung etwa gleich. Die
desinfizierende Kraft wird jedoch, wie beim Kreolin, in eiweisshaltigen
Flüssigkeiten stark herabgesetzt. — Endlich gehört zu den alkalischen
Kresollösungen noch die NocHT'sche Carbolseifenlösung (Z. 7. 521),
d. h. eine klare Lösung der Kresole aus roher Carbolsäure, gewonnen
durch warme, etwa 6proz. Seifenlösung (Schmierseife) und 5% rohen
Carbols. Sporenfreie Bakterien werden in Carbolseifenlösung von
1^2% schon nach \ Std., Milzbrandsporen bei Erwärmung auf 50°
in 6 Stunden sicher getötet. Die Billigkeit des Präparats macht es be-
sonders für die grobe Desinfektion im grossen geeignet. — Alle diese
alkalischen Lösungen der Kresole sind bei gewöhnlicher Temperatur,
470 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
selbst in stärksten Koncentrationen und bei noch so langer Anwendung
ohne Einwirkung auf Sporen; so fand Hünermann (D. militärärztl. Z. 89.
111) Milzbrandsporen selbst nach 35 Tage langem Aufenthalt in reinem
Kreolin Pearson vollständig intakt; doch geringe Erwärmung (bis 40
bis 50°) erlangen jedoch diese Lösungen auch Sporen gegenüber eine
bedeutende desinfizierende Kraft. — Endlich ist es auch gelungen, die
Kresole in neutrale Lösung zu bringen, und zwar nach Hueppe
(B. 91. Nr. 45) durch Zusatz von Natriumsalicylat, wofür jedoch auch
benzinsaures Natrium sowie die Salze aller Orthooxybenzoesäuren, der
Orthobenzolsulfosäuren und der entsprechenden Naphtalinabkönimlinge
eintreten können. Praktisch bewährte sich insbesondere ein Gemisch aller
3 Kresole in kresotinsaurem Natrium (Gemisch aller 3 Kresotinsäuren)
als Lösungsmittel. Diese Mischung, von Hueppe u. Hammer (A. 12. 358)
als Solveol bezeichnet, enthält keine Pyridine, keine Kohlenwasser-
stoffe, keine Carbolsäure, sondern nur die wertvollen hochsiedenden
Teerphenole. Eine 0,5proz. Lösung ist etwa ebenso wirksam wie eine
2proz. Carbollösung. Für die grobe Desinfektion empfehlen Hueppe
u. Hammer ein dem Solveol ähnliches Präparat, das Solutol, welches
durch Auflösung von Rohkresol mit Rohkresolnatrium bereitet wird.
Das Solutol reagiert stark alkalisch und enthält gegen 600/0 Kresole,
wovon etwa lj4 frei, der Rest an Na gebunden ist; 0,5proz. Lösungen
töten in 5 Minuten alle vegetativen Formen; Milzbrandsporen werden bei
gewöhnlicher Temperatur durch 10,'proz. Lösung in 3, durch 20proz.Lösung
in 2 Tagen getötet, bei gleichzeitiger Erwärmung auf 55° dagegen schon
in 5 Minuten vernichtet. — Neuerdings hat ferner Gruber (A. 17. 618)
gefunden, dass auch die geringen Mengen, in denen sich Kresole
direkt im Wasser lösen (bei einem Kresolgemisch bis über 2%)
vollständig zur Abtötung sporenfreier Keime ausreichen. Auch ist nach
Bugta u. Dieckhofe (cit. bei Gärtner) Ortho- u. Parakresol zu etwa
8 °/0 in Glycerin löslich und lässt sich mit Wasser in beliebigem Ver-
hältnis klar mischen. — Auf der direkten Wasserlöslichkeit der Kresole
beruht auch das neuerdings von Scheurlen (A. 18. 35; 19. 347),
Keiler (A. 18. 57), Laser (C. 12. 229), Pfuhl (Z. 15. 192) empfohlene
Saprol, d. h. eine Mischung von 50 — 60proz. (auf Löslichkeit in
Natronlauge bezogen) Rohcarbol mit 20% Mineralöl; diese Mischung
ist leichter als Wasser, bedeckt daher die zu desinfizierende Flüssigkeit
und hindert hierdurch das Entweichen von Fäulnisgasen; ausser dieser
desodorierenden Wirkung kommt aber auch durch allmähliche Auflösung
der Kresole in der Flüssigkeit eine vollständige Desinfektion zustande.
Von Substitutionsprodukten des Phenols ist das Para chlor ophenol
C6H4.C1.0H von Spengler (S. m. 31. Okt. 94) in 2proz. Lösung zur Desinfektion,
phthisischen Sputums empfohlen. Trinitrophenol, Pikrinsäure, C6Ho (NOoV
Gotschlich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 471
OH wirkt nach de la Crois bereits in 1 : 1000 entwicklungshemmend, in V2 — 1%
tötend. Sehr geringen desinfektorischen Wert besitzt nach Lübbert (F. 88. Nr.
22/23) das Sozojodol, Dijodparaphenolsulfosäure, besonders in neutralem Zustande
als sozojodolsaures Na oder K. Das Sozojodolquecksilber hingegen ist ein
sehr energisches Desinfiziens , was aber auf seinem Quecksilbergehalt beruht ;
schon in 1 : 6000 wirkt es auf Milzbrand entwicklungshemmend. — T h y m o 1 ,
C10H14 hemmt nach Koch bereits in der Koncentration von 1 : 80000 merklich
die Entwicklung der Milzbrandbacillen , verhindert nach Lübbert in 1 : 11000
vollständig die Entwicklung von Staph. pyog. aur.; bei 1:1000 tötet es den
Staphylokokk. pyogen, aur. in 10—15 Minuten bei 37° (Pake, r: J. 90. 507);
auf Milzbrandsporen vermag es .nicht einzuwirken.
Von höheren Phenolen üben nach Dtjggan (cit. b. Rideal,
Disinfection aud Disinfectants. [1895] 172) das Pyrokatechin =
Orthodioxybenzol, C^H^OH^ [1. 2], nach Lübbert (Biol. Spaltpilz-
unters. 56) das Resorcin = Metadioxybenzol, C6H4(OH)2 [1. 3] und
das Hydro chinon, Paradioxybenzol, C6H4(OH)2 [1. 4] antiseptische
Wirkung aus. Das Resorcin hemmt bei einem Gehalt von 1 : 122,
das Hydrochinin bei 1 : 353 vollständig die Entwicklung des Sta-
phylokokk. pyog. aur. Ferner sei erwähnt das Kreosot, ein wech-
OCH
selndes Gemisch von Guajakol, CGH4 Cqtt 3 [1.2] und Kreosol,
fCH3
Co Ho \ OCHo [1.3.4]; nach Guttmann wirkt es auf verschiedene patho-
UoH
gene Bakterien in einer Koncentration von 1:3000 bis 1:4000 ent-
wicklungshemmend und tötet in einer Lösung von 1 : 300 den Pyo-
cyaneus und sporenfreie Milzbrandbacillen in 1 Minute, Prodigiosus in
2 Minuten. Die desinfizierende Kraft des Guajakols verhält s;ch nach
Maeeobi (cit. Rideal 176) zu der der Carbolsäure wie 5:2; eine
0,5 — lproz. Lösung soll Tuberkelbacillen in 2 Stunden abtöten; nach
Kupbianow (C. 15. 933) hingegen steht sein desinfizirender Wert dem
der Carbolsäure und des Kresol nach; in 1:500 hemmt es die Ent-
wicklung der Choleravibrionen.
Säuren, die sich vom Benzolkern ableiten. Benzoesäure,
C6H5.COOH bewirkt nach Koch selbst bei monatelanger Einwirkung
keine Schädigung der Milzbrandsporen, wirkt jedoch nach Salkowski
(B. 1875. 22), Bttcholtz (A. P. IV) und de la Ceoix (ebd. XIII. 175) in
Koncentrationen von etwa 1:3000 bis 1:1000 entwicklungshemmend
auf Bakterien in Fäulnisgemischen; Milzbrand wird nach' Koch schon
durch 1:2000 merklich im Wachstum behindert; Staph. pyog. aur.
wird nach Lübbeet durch 1:400 vollständig in seiner Entwicklung
verhindert.
Die Homologen der Benzoesäure, Phenylessigsäure, Phenyl-
propionsäure und Phenylbuttersäure sind von Paeby Laws (Chem.
472 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
News 1895. 15) geprüft; ihre desinfizierende Kraft steigt in der Reihe
mit dem Molekulargewicht; sporenfreie Milzbrandbacillen werden durch
die erstere binnen 30' in einer Koncentration von 1:450, durch die
zweite schon bei 1:600 und durch die dritte bei 1:1000 getötet. —
OTT
Die Salicylsäure, Orthooxybenzoesäure, C6H4 Cnß/ytr [1. 2], hat eine
sehr energische desinfizierende Wirkung; nach Lübbekt hemmt sie in
der Koncentration von 1:655 bereits vollständig das Wachstum des
Staph. pyogen, aur.; die Entwicklung von Milzbrandbac. wird nach
Koch schon bei einem Gehalt von 1:1500 völlig gehemmt; dagegen
war sie selbst bei monatelanger Anwendung ohne jede schädigende
Einwirkung auf Milzbrandsporen.
Höhere, mehrere Benzolringe enthaltende Derivate. Naph-
talin selbst, C10HS, ist nach Bouchaed (cit. Rideal 178) ein stärke-
res Antiseptikum als Phenol. Noch stärker antiseptisch wirkt nach
demselben Autor /2-Naphtol, Cl0H7.OH; auch a-Naphtol hemmt nach
Maximovitsch (CR. 1888) schon bei einem Gehalt von 1:10000 die
Entwicklung der Milzbrandbacillen. Von Heintz u. Liebrecht
(B. 1892. 1158) ist neuerdings das Alumnol, ein Aluminiumsalz einer
Naphtolsulfosäure empfohlen; die keimtötende Kraft ist zwar nur
gering, die entwicklungshemmende aber recht bedeutend; schon 0,01 proz.
Lösungen stören das Wachstum von Milzbrand-, Typhus-, Pyocyaneus-,
Prodigiqsus-, Staphylokokkus-, Cholera- und Finkler-Kulturen merklich,
0,4 proz. heben es vollständig auf.
c) Körper aus den Pyridin-, Chinolin- und verwandten Reihen; Alkaloide.
Die Dämpfe der Pyridinbasen, Pyridin, Picolin, Lutidin, Colli-
din, können nach Falkenberg (r.: J. 1891. 449) bei genügend langer
Einwirkungsdauer selbst dicke Schichten von Bakterien durchdringen
und töten. Auch Chinolin wirkt nach Donath (B. Ch. 14) schon
in 0,2 proz. Lösung antiseptisch. Das Th allin, Para-Methoxychinolin-
tetrahydrat, wirkt nach Schultz (C. med. W. 1886. 113) als Sulfat in
0,5 °/0 entwicklungshemmend. Chinin hemmt nach Koch in Konzen-
tration von 1:625 vollständig die Entwicklung des Milzbrandbacillus;
in 1 proz. Lösung in mit Salzsäure angesäuertem Wasser tötet es Milz-
brandsporen nach 10 Tagen. Für den Staphylokokkus pyogen, aur.
hat Lübbert die entwicklungshemmende Wirkung einer Anzahl hier-
her gehöriger Körper festgestellt; es ergab sich vollständige Behinde-
rung des Wachstums für Kairin bei einem Gehalt von 1:407, für
schwefelsaures und weinsaures Thallin bei 1:1100, für salzsaures Chi-
nin bei 1:550; bei salzsaurem Morphin war noch bei einem Ge-
halt von 1 : 53 deutliches, wenn auch verlangsamtes Wachstum zu kon-
Gotschxich, Die Absterbebedingungen der Mikroorganismen. 473
statieren. Auch für Antipyrin ergab sich erst bei einem Verhältnis
von 1:26 Wachstumshemmung.
Endlich sei hier noch das Jodol, Tetrajodpyrol, erwähnt, das
sich vom Pyrrolring ableitet und dem mehrfach eine dem Jodoform
analoge antiseptische Wirkung zugeschrieben wurde; nach den Ver-
suchen von Riedlin (A. 7, 309) geht ihm indessen eine solche gänz-
lich ab.
d) Ätherische Öle.
Schon R. Koch wies in seiner ersten Desinfektionsarbeit auf die
bedeutend entwicklungshemmende Wirkung mancher ätherischer Öle
hin: beispielsweise ergab sich für Senf öl schon bei einem Gehalt von
1:330000 eine merkliche, bei 1:33000 eine vollständige Behinderung
des Wachstums der Milzbrandbacillen. Spezielle Versuchsreihen über
die desinfizierende Wirksamkeit der ätherischen Öle sind dann zu-
erst von Chambekland (P. 87. 153), teils unter Einwirkung von
Dämpfen derselben auf die Kulturen, teils durch Herstellung von
Emulsionen der Essenz mit der Kultur; am wirksamsten erwiesen sich
Ceyloner Zimmtöl und Ol. origani. Ferner fand Riedlin (Üb. die
antisept. Wirkung des Jodoforms etc. Diss. München 1887) Rosma-
rin-, Lavendel- und Eucalyptus-Öl wirksam, aber nur in Sub-
stanz, nicht in Emulsion; auch Nelkenöl und Perubalsam erwiesen sich
als antiseptisch. Sehr eingehend studierten dann Cadeac u. Meuniee,
(P. 89. 317) die Wirkung ätherischer Öle auf die Typhus- und
Rotzbacillen, indem sie Spuren der Kulturen mittelst Platinnadel in
das Öl während einer abgemessenen Versuchsdauer versenkten und
dann auf Nährsubstrat brachten; hierbei stellten sich die grössten Diffe-
renzen zwischen den einzelnen Ölen heraus; einige, wie Canelle de
Ceylon, töten schon nach 12 Minuten die Bacillen ab und kommen
also hierin der l°/00 -Sublimatlösung nahe; andere sind noch nach
10 Tagen unwirksam; bei Cadeac u. Mettnieb findet sich eine ganze
Skala mit den Wirkungswerten der verschiedenen Öle. Nach Beh-
eing's Versuchen entfaltet das Zimmtöl und die Patchuly-Essenz auch
im Blutserum eine nennenswerte entwicklungshemmende Wirkung,
die grösser war, als die der Carbolsäure von gleicher Koncentration,
beim Zimmtöl sogar die letztere um das Dreifache übertraf. Auch
Omeltschenko (C. 9. 813) konstatierte bedeutende desinfizierende Eigen-
schaften einiger Öle, insbesondere des Ol. Cinnamon., Ol. Foeniculi,
Ol.Levandulae, Ol. Caryophyllorum etc., während Ol. rosarum nur schwache
Wirkung äusserte; die Öle wurden in Dampfform angewendet; inter-
essanterweise gab sich das Absterben der Bacillen in einem mehr
oder weniger bedeutenden Verlust der Fähigkeit zur Aufnahme von
474 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Anilinfarben und in gleichzeitiger körniger Degeneration kund. —
Ferner sind hier die Versuche zu erwähnen, welche Ton Heim (M.
1887. Nr. 16) und Lüderitz (Z. 6. 241) über die Wirkung des
Kaffeeinfuses angestellt wurden; lOproz. Kaffeeinfus zum Nährboden
zugesetzt tötete nach letzterem Autor Staphylokokkus pyogen, aur. in
6 Tagen, Choleravibrionen und sporenfreie Milzbrandbacillen in 3 Stdn.;
bei geringerem Zusatz trat eine Entwicklungshemmung auf. — Der
Tabaksrauch wirkt nach Tassinari (A. J. 1891) entwicklungs-
hemmend auf manche Bakterien, insbesondere auf Cholerabac. und
Bac. Friedländer; nach Falkenberg (r* J. 1891. 449) hängt dieser
Einfluss an den wasserlöslichen Bestandteilen des Tabakrauchs; nach
Durchleiten durch Wasser verliert der Rauch seine bakterienfeind-
lichen Eigenschaften. Tabaksabkochung zum Nährboden zugesetzt,
wirkt von 4°/0 ab deutlich entwicklungshemmend.
Das Terpentinöl zeigt nach Koch schon von 1:75000 ab eine
deutlich hemmende Einwirkung auf die Entwicklung von Milzbrand-
bacillen; Milzbrandsporen zeigen sich nach ltägigem Verweilen in Ter-
pentinöl noch teilweise erhalten, nach 5 Tagen abgestorben. Nach
Riedlin wirkt eine 1 proz. Emulsion entwicklungshemmend auf Pro-
digiosus- und Cholerabacillen; doch vermag es nach v. Christmas-
Dirckinch-Holmfeld (F. 1887. Nr. 19) mit Gelatine, selbst zu gleichen
Teilen vermischt, nicht den Staph. pyog. aur. abzutöten; unvermischt
ist es jedoch ein ziemlich wirksames Antiseptikum (Grawitz, ebd. Nr. 21).
Terpene und Kampherarten, sowie Menthol wirken ebenfalls in stär-
keren Koncentrationen als 2 °/00 entwicklungshemmend, Terpinhydrat
schon bei 1 °/00 (Behring, 1. c. 129).
e) Farbstoffe.
Unter den organischen Farbstoffen finden sich, wie bereits Koch
hervorgehoben hat, eine Anzahl stark wirkender Desinfizientien. Behring
(D. 89. Nr. 43) teilte dann für Malachitgrün, Cyanin und Safranin
die entwicklungshemmenden Werte mit; hieraus ergab sich, dass die
Farbstoffe gegenüber Milzbrandbacillen im Blutserum um ein mehr-
faches dem Sublimat überlegen sind; z. B. ist der entwicklungshemmende
Wert für Malachitgrün und Cyanin 1:40000. Später empfahl Stelling
(Lancet XI. 965) das Methylviolett, welches jedoch nach Behring eine nur
3 mal geringere Wirkung als das Malachitgrün hat; immerhin hemmt
es nach Jakowski (r: J. 1890. 492) schon in einer Koncentration von
1 : 10000 deutlich die Entwicklung von Milzbrandbac, Staphylokokk.
pyog. aur., Typhusbac. und Bac. Friedländer; doch konnten Garre u.
Troje (M. 90. Nr. 25) selbst nach 12 stündiger Einwirkung einer 1 °/00
Lösung keine Abtötung der Staphylokokken konstatieren. Schwächer
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 475
wirksam ist das sog. gelbe Pyoktanin oder „Auramin", welches erst in
Lösungen von 1 : 4000 bis 1 : 1000 entwicklungshemmende Wirkung
äussert. Sehr bemerkenswert ist das elektive Verhalten mancher
Farbstoffe in der Desinfektionswirkung, welches in Analogie
zu der elektiven Färbbarkeit bestimmter Gewebsteile steht. So wirkt
z. B. nach Behring- das Malachitgrün den Milzbrand- und Cholera-
bacillen gegenüber etwa 100 mal stärker entwicklungshemmend als
dem Typhusbacillus gegenüber. Das hochkomplizierte Molekül dieser
Farbstoffe vermag offenbar um so besser in das lebende Molekül ein-
zugreifen, je näher verwandt sein Aufbau mit der Struktur des letzteren
ist. Es tritt uns also hier bereits eine deutliche Vorstufe jenes aus-
geprägt spezifischen Verhaltens entgegen, das noch komplizierter struk-
turierte Substanzen wie die spezifischen Antikörper des tierischen Or-
ganismus in Vollendung zeigen.
Siebentes Kapitel.
Variabilität der Mikroorganismen1)
von
Dr. W. Kruse.
A. Einleitung.
Seitdem, wesentlich durch die Arbeiten R. Koch's, die Methoden
der Reinkultur in die Bakteriologie eingeführt sind, ist man erst in
den Stand gesetzt, der Frage nach der Variabilität der Bakterien, die
in früheren Theorien eine grosse Rolle spielte, auf wirklich wissen-
schaftlichem, d. h. dem experimentellen Wege nahe zu treten. Man
kann jetzt in der Regel von einem einzigen Keime ausgehen und dessen
Veränderungen längere Zeit hindurch verfolgen; bisher stehen uns frei-
lich nur Erfahrungen zu Gebote, die im besten Falle 10 bis 15 Jahre
währen; die Dauer einer einzigen Bakteriengeneration ist aber so kurz,
dass man schon jetzt über Beobachtungen verfügt, die ungezählte
Generationen umfassen. Allein aus theoretischen Gründen könnte man
aus dieser letzteren Thatsache und aus der Kleinheit der Bakterien
1) Zunächst sind hier die Bakterien berücksichtigt. Für die Verhältnisse bei
den Sprosspilzen vgl. Hansen, Untersuchungen aus der Praxis der Gährungs-
industrie. München u. Leipzig 1895.
476 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
darauf schliessen, dass es bei ihnen schneller gelingen möchte, als
bei anderen Organismen, durch künstliche Züchtung Variationen
des ursprünglichen Typus zu erzielen; entscheidend sind natür-
lich nur die Thatsachen des Versuchs: dieselben sprechen unzweifelhaft
für die Wahrheit unseres Satzes.
Für jedes Bakterium giebt es Bedingungen, die gestatten, es be-
liebig lange Zeit fortzuzüchten , ohne dass dabei irgend welche Ver-
änderungen hervortreten, die Bakterien sind also gewissen Be-
dingungen angepasst. Für die einzelnen Spezies sind dieselben
verschieden: der adäquate Nährboden für infektiöse Bakterien ist der
empfängliche Tierkörper, für Gährungserreger sind es Gährflüssigkeiten,
für die Pigmentbakterien der Luft die weitverbreiteten pflanzlichen
Substrate. Die Milzbrandbacillen von Maus auf Maus überimpft, das
Essigbakterium immer frisch mit alkoholischer Nahrung gespeist, der
Prodigiosus von Kartoffel auf Kartoffel übertragen verändern sich nicht,
so lange man auch das Experiment fortsetzt. Unter diesen günstigsten
Bedingungen weisen zwar die Nachkommen eines einzigen Keimes ge-
wisse individuelle Abweichungen auf, z. B. geringe Differenzen
in der Grösse ; dieselben verschwinden aber bei fortgesetzter Züchtung,
die Abkömmlinge der einzelnen abweichenden Exemplare sind wieder
gleich. Grösser werden die Abweichungen, wenn die gleichen Nähr-
böden benutzt werden, aber die Erneuerung derselben nicht rechtzeitig
vorgesehen wird, mit anderen Worten in alten Kulturen. Lässt man
z. B. eine Prodigiosus-Kartoffel monatelang stehen und überimpft dann
erst auf frisches Substrat, dann kann man schon Differenzen zwischen
den noch lebenden Keimen konstatieren, die nicht in der nächsten
Kulturgeneration wieder verschwinden; es wachsen z. B. auf der neuen
Kartoffel Kolonien mit mehr oder weniger Pigmentierungsvermögen.
Diese Abänderungen erklären sich daraus, dass der alte Nährboden
nicht mehr den günstigsten Lebensbedingungen entspricht, dass sich
darin Substanzen bilden, die schädigend wirken, und zwar um so
kräftiger, je länger sie einwirken können. Aus dieser Schädigung ent-
springen nachweislich die Variationen des ursprünglichen Typus. Dieser
Vorgang ist ganz allgemein: die Alter.sveränderungen begünstigen
das Auftreten von Varietäten. Sehr häufig gehen diese Abweich-
ungen bei konsequenter Züchtung im passenden Nährboden wieder
zurück, unter Umständen sind sie aber auch recht dauerhaft. Befestigen
lassen sie sich durch Wiederholung der Züchtung in alten Kulturen.
Dem Wesen nach gleich mit den Variationen, die in alten Kul-
turen auftreten, sind diejenigen, die erzeugt werden durch künst-
liche Eingriffe bei Bakterien, die wachstumsunfähig sind, sei es, dass
sie ihren Nährboden erschöpft haben, sei es, dass sie in Medien ge-
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 477
bracht worden sind, die kein Wachstum gestatten, oder dass sie in den
trockenen Zustand übergeführt sind. Lässt man in diesem Zustande
auf die Bakterien schädigende Momente, wie hohe Temperaturen, Des-
infizientien etc. wirken, so werden ebenfalls Modifikationen erzeugt,
die man als degenerative Veränderungen auffassen muss. Auch
diese Abweichungen können mehr oder weniger dauerhafter Art sein,
z. B. die Abschwächung derMilzbrandbacillen nach der CHAUVEAu'schen
Methode.
Jede Veränderung der Lebensbedingungen beeinfiusst die Eigen-
schaften der Bakterien: die Milzbrandbacillen im Mäuseblut sehen ganz
anders aus wie die in Bouillon, hier wachsen lange Fäden ohne Scheide,
dort kurze Stäbchen mit Kapseln; der Essigbacillus bildet üppige Decken
auf saurem Bier mit zahlreichen wundersamen Involutionsformen, in
unseren künstlichen Nährböden wächst er spärlich und ziemlich regel-
mässig als kurzer Bacillus; der Prodigiosus entwickelt auf Agar bei
37 ° sehr wenig Pigment, bei 24 ° auf Kartoffeln prächtig scharlachrote
Rasen. Es sind dies Standorts- oder Ernährungsmodifikationen,
die regelmässig dem ursprünglichen Typus weichen, wenn die Über-
tragung rechtzeitig genug auf den adäcpiaten Nährboden erfolgt. Durch
fortgesetzte Züchtung unter veränderten Bedingungen können aller-
dings dauerhaftere Variationen erzielt werden, so gilt das für unsere
obigen Beispiele: der Milzbrandbacillus kann durch künstliche Kultur
der Fähigkeit verlustig gehen, in typischer Weise im Tierkörper zu
wachsen, der Prodigiosus sein Pigmentierungsvermögen völlig ein-
büssen. Es sind hier zwei Fälle von Modifikationen zu unterscheiden.
Sind die neuen Lebensbedingungen der Entwicklung des Bakteriums
an sich günstig, so vollzieht sich allmählich eine Anpassung an die-
selben, die eine Rückkehr zu der alten Lebensweise erschwert oder
unmöglich macht. Wirken aber die veränderten Verhältnisse hemmend
oder direkt schädigend ein, so spielt wieder die Degeneration des
-Bakterienprotoplasmas eine Rolle. Auf dem letzteren Wege vollzieht
sich die Umwandlung schneller als auf dem ersteren; z. B. durch
Züchtung der Milzbrandbacillen bei 42° oder in einem mit Antisepticis
versetzten Nährboden geht die Virulenz viel rascher verloren, als in
der gewöhnlichen Nährgelatine.
Im wesentlichen ist hierdurch die Bedeutung der Methoden ge-
kennzeichnet, durch die es gelingt Bakterienvariationen zu erzeugen.
Sehr wichtig für den Erfolg sind noch zwei Dinge. Ganz selbstver-
ständlich ist natürlich, dass man von einem Keim, d. h. einer Kolonie
auf der Platte ausgehen muss, um die Gewähr einer wirklichen
Variabilität zu haben; aber die Auswahl einzelner Individuen
ist auch in der Folge sehr wichtig, weil unter den Nachkommen eines
478 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
Keimes die Tendenz zur Veränderung eine sehr verschiedene ist; wenn
man blos mit Massenkulturen operiert, z. B. von einem Röhrchen ins
andere absticht, dann verlässt man sich allein auf die natürliche Auslese
der Individuen, die sehr unzuverlässig ist und häufig Rückschläge mit
sich bringt. Man verbindet am besten mit der natürlichen Variation
eine künstliche Auslese, indem man sich mit Hilfe der Platten-
oder Verdünnungsmethode diejenigen Individuen auswählt, die am
meisten verändert sind.
Eine zweite Vorsichtsmassregel besteht darin, dass man bei Bakterien,
die zur Sporenbildung befähigt sind, dieselbe möglichst verhütet,
denn die Sporen unterliegen viel weniger leicht der Variation, weil sie
einen unthätigen Dauerzustand darstellen und gegen degenerative Ein-
flüsse viel weniger empfindlich sind als die vegetativen Formen.
Wir werden im Nachfolgenden die einzelnen Variationen, die bei
den Bakterien beobachtet worden sind, und den Grad ihrer Dauer-
haftigkeit besprechen.
B. Morphologie.
Individuelle Abweichungen in der Grösse und Form kommen in
allen Bakterienkulturen vor, namentlich häufig bei einem gewissen
Alter der letzteren. Die einzelnen Spezies verhalten sich dabei sehr
verschieden: es giebt solche, die ausserordentlich gleichförmig und
andere, die sehr vielgestaltig sind. Man hat die letzteren wohl als
proteusartig bezeichnet, wenn sie alle Übergänge von ganz kurzen oder
kugligen Formen zu den längsten Stäbchen darbieten. Es hängt
diese Erscheinung mit der verschiedenen Schnelligkeit der Teilung zu-
sammen (vgl. Allg. Morph. S. 52 ff.). Die Veränderungen in alten
Kulturen erfolgen, von den eigentlichen Degenerationsformen (a. a. 0.
S. 61) abgesehen, entweder in dem Sinne, dass längere Individuen ge-
bildet werden, wie es namentlich in Spirillenkulturen häufiger vorkommt,
oder umgekehrt immer kürzere und kürzere (Bac. Proteus, B. Zopfii).
Beispiele von Ernährungsmodifikationen haben wir schon oben
einige angeführt, sie Hessen sich leicht vermehren, da sie bei keinem
Mikroorganismus vollständig fehlen. Besonders auffallend sind die Ver-
änderungen, die der Bac. pyocyaneus und prodigiosus zeigen, wenn sie
in Nährmedien, die mit einem antiseptischen Zusätze (Borsäure, Kalium-
bichromat, Weinsäure etc.), der das Wachstum zwar hemmt, aber gerade
noch gestattet, versehen werden (Guignard u. Charrin, C. R. 105;
Wasserzug, P. 88; Kübler, C. 5; Verfasser). Statt der gewöhn-
lichen kurzen Bakterien findet man hier vielfach längere, fast imregel-
mässig gewundene Stäbchen und Fäden, die bei oberflächlicher Betrach-
tung an Spirillen erinnern können und auch so gedeutet worden sind.
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 479
Es sind nichts weiter als anomale Formen, deren Länge sich aus
dem Ausbleiben der sonst frühzeitigen Teilung erklärt (vgl. Allg.
Morph.). Recht erhebliche Modifikationen des ursprünglichen Typus
hat Verfasser auch bei Choleravibrionen beobachtet, besonders in einem
Falle, wo dieselben in mit einem Antiseptikum versetzten Nährböden
kultiviert wurden. Die Bakterien wuchsen in schönen Kommas, die
noch an Grösse die FiNKLEE'schen Spirillen hinter sich Hessen.
Auch durch vorübergehende schädigende Einflüsse, z.B.öMinuten
lange Erhitzung auf 50°, kann man nach Wasseezug beim Prodigiosus
ein ähnliches Resultat erreichen, wenn man diese Prozedur öfter wie-
derholt.
Im allgemeinen kehren die Bakterien, wenn man sie auf den adä-
quaten Nährboden überträgt, schnell zu ihrer ursprünglichen Form
zurück, doch kann man diese Rückkehr durch systematische Züchtung
um mehrere Kulturgenerationen verzögern (Küblee, , Verfasser), nach
Wasseezug- sogar dauerhafte Varietäten bekommen. Für die Möglich-
keit dieses Resultats sprechen auch andere Erfahrungen; so haben
Keuse und Pansini (Z. 11) Pneumoniekokken, die vom Tier gewonnen
in Form lanzettförmiger Diplokokken wuchsen, durch mehr als 100
Übertragungen auf künstlichen Nährböden in Streptokokken umgewan-
delt, die sich von Eiterstreptokokken morphologisch nicht unterschieden
und diesen Charakter bewahrten. Andere Male gelangten wir schon
viel früher zu demselben Ergebnis, in einigen Fällen blieben die Ver-
suche, eine erhebliche Modifikation zu erzielen, vergeblich, oder die
erhaltenen Varietäten waren nicht konstant. Bei dieser Gelegenheit trat
die Wahrheit des Satzes, dass die Neigung zu variieren ausser-
ordentlichen Schwankungen unterliegt, selbst bei Bakterien der-
selben Art, recht deutlich zu Tage. Dasselbe hat Verfasser (Z. 17. 36/37)
für den Choleravibrio konstatiert. Morphologische Abweichungen sind
hier schon von früheren Autoren gefunden worden, Verfasser konnte
aus einer Kultur durch längeren Aufenthalt in Brunnenwasser zwei
dauerhafte Varietäten herauszüchten, von denen die eine regelmässig
kurze, plumpe, die andere lange, schlanke Kommas bildete. Neuerdings
gelang es ferner, ähnliche Spielarten aus sehr alten Cholerakulturen
zu isolieren, deren Zurückführung auf einen Typus erst mittelst zahl-
reicher Passagen durch Meerschweinchen glückte (vgl. auch Metschni-
koee, P. 94. 5. u. 8). Morphologische Varietäten des Finklee-Peioe-
schen Vibrio von mehr oder weniger grosser Beständigkeit hat schon
Fietsch (A. 8) erhalten. Ferner haben Pasquale manchmal bei Strepto-
kokken (Zi. 12. 449) und Wilde l) bei Bacillen aus der Gruppe des
1) Unter Leitung des Verfassers im hygienischen Institut zu Bonn (Diss.
Bonn 96).
4g() Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
B. aerogenes ganz konstante Spielarten, die in Form und namentlich
in der Grösse Differenzen zeigten, gefunden und lange Zeit unverändert
weiter kultivieren können. Am leichtesten sind derartige Formen aus
alten Kulturen zu gewinnen.
Dass auch die Kapselbildung sich auf dem Wege der Züchtung
beeinflussen lässt, haben Kruse und Pansini für Pneumoniekokken,
Wilde für den Bacillus aerogenes gefunden. Es handelt sich dabei um
den Verlust des schleimbildenden Vermögens, der sich dann auch weiter
in der Struktur der Kolonien äussert (s. unten).
C. Wachstum in künstlichen Nährböden und Koloniebildung.
Gelatineverflüssigung und Schleimbildung.
Was man als Kulturmerkmale zu bezeichnen pflegt, sind keine
individuellen Charaktere, sondern Massenwirkungen. Eine „Kultur-
generation" setzt sich, wenn wir ihr Alter nur zu einemTage annehmen
und den Zeitraum von einer Teilung bis zur anderen auf eine halbe bis
eine Stunde berechnen, aus 24 — 48 Einzelgenerationen zusammen. Die
Kolonie auf der Platte kann man sich im allgemeinen aus einem ein-
zigen Keim hervorgegangen denken, die Stichkultur in Gelatine, die
Bouillonkultur resultieren aber aus der Nachkommenschaft einer grossen
Zahl von Keimen. Diese Bemerkungen sind nötig, um die Bedeutung
der Kulturmerkmale zu kennzeichnen. Eigentlich individuelle Ab-
weichungen verschwinden in der Kultur fast vollständig,
höchstens kann aus einer Verzögerung des Wachstums auf eine
Schwächung der Entwicklungsenergie der verimpften Keime geschlossen
werden. In der Regel werden nur solche Abänderungen in den Eigen-
schaften der Kultur zum Ausdruck kommen, die auf eine grössere Reihe
von Generationen vererblich sind. Es erhöht entschieden den Wert der
Wachstumscharaktere, dass man aus den mit blossem Auge oder mit
schwacher Vergrösserung wahrnehmbaren Differenzen schon auf erb-
liche Varietäten schliessen kann. Die Eigenschaften der Platten-
kolonien sind für die Beurteilung der stattgehabten Veränderungen
natürlich viel wichtiger, als die Reagens glas kulturen, weil sich in
diesen letzteren die Variationen leicht compensieren.
Entsprechend dem oben (S. 476) ausgesprochenen Satze, dass in
frischen Kulturen nur individuelle Abweichungen auftreten, finden wir im
Aussehen der Kolonien auf den daraus angelegten Platten überhaupt keine
abschätzbaren Unterschiede; ist das Kulturmaterial, das zur Zucht dient,
älter, so stellen sich solche sehr häufig heraus. Die ersten derartigen
Beobachtungen wurden veröffentlicht in Bezug auf B. Proteus von Hausee
(Fäulnisbakterien. Leipzig 85), auf Finkler-Pkioe's Spirillum von
Kruse, Variabilitit der Mikroorganismen. 4g 1
Geubee und Flrtsch (A. 8). Saneelice (A. Ro. 90) hat die verschie-
denen Formen der Proteuskolonien und auch eine Reihe von anaeroben
Fäulnisbakterien mit ähnlichen Eigenschaften der Kolonien genau be-
schrieben. Die Erscheinung ist aber eine noch viel mehr verbreitete,
wenn sie auch bisher wenig Beachtung gefunden hat. Der Prodigiosus,
Pyocyaneus, das Choleraspirillum, der Typhus- und der Pneumonie-
Bacillus mit ihren Verwandten weisen auch eine gewisse Variabilität
der aus der Nachkommenschaft eines einzigen Keims hervorgegangenen
Kolonien auf, wenn man zur Aussat auf Platten alte Kulturen benutzt.
Den Unterschieden der Kolonien liegen verschiedene Momente zu Grunde:
in den meisten Fällen genügt es, Differenzen in der Wachstums-
schnelligkeit und im Verflüssigungsvermögen, d.h. also in der
Produktion eines peptonisierenden Ferments anzunehmen. Beim Feied-
LÄNDEE'schen Bakterium variiert das Schleimbildungsvermögen.
Daneben kommen aber noch in Betracht morphologische Verhältnisse:
die Grösse der Individuen, die Festigkeit ihrer Verbände (Ketten.
Fäden).
Die Kolonien eines und desselben Mikroorganismus auf den ver-
schiedenen Nährböden weichen sehr von einander ab, schon wegen der
durchaus verschiedenen physikalischen Verhältnisse. Praktisch wich-
tig, aber lange nicht genug gewürdigt sind die Unterschiede besonders
auf den scheinbar gleich oder wenigstens ähnlich zusammengesetzten
Nährböden. Nehmen wir z. B. die gewöhnliche Fleischwasserpepton-
nährgelatine, so bedingt die Art der Herstellung schon ganz erhebliche
Differenzen, selbst wenn die Substanzen in den gleichen Mischungs-
verhältnissen angewendet werden. Die Zeitdauer des Kochens der fer-
tigen Gelatine beeinflusst bekanntlich den Konsistenzgrad des Nähr-
bodens und dieser letztere wieder die Form der Kolonien. Der Typhus-
bacillus z. B., der in fester Gelatine glattrandige kompakte Kolonien
bildet, wächst auf einer weicheren wie ein Proteus mit zahlreichen
korkzieher- und haarartigen Ausläufern und ähnelt im Strich nicht einem
glatten Bande, sondern einer Bürste. Andere Differenzen treten auf bei
Unterschieden im Alkalescenzgrad, im Gelatinegehalt des Nährbodens.
So hängt z. B. das Oberflächenwachstum in Stichkulturen beim
Typhusbacilrus und ähnlichen Bakterien ausserordendlich von diesen
Momenten ab, ebenso die Stärke der Gelatineverflüssigung, bei
allen langsamer peptonisierenden Bakterien. Die Konfiguration der
Kolonien und Stichkulturen erleidet dadurch natürlich erhebliche Ver-
änderungen (Cholera). Auch die Zusammensetzung des Fleischsaftes
ist nicht gleichgiltig: feinere, uns unbekannte Schwankungen darin
können ein verschiedenes Aussehen der Kulturen bedingen. So erklären
sich wohl zum grossen Teil die abweichenden Angaben mancher Autoren
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 31
482 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
über das Wachstum von Pneumokokken und Streptokokken in Bouillon
(vgl. Kruse u. Pansini Z. 11; Pasquale Zi. 12). Ähnliche Unterschiede
gelten bezüglilch der Kulturen auf Agar (Pneumokokken), auf Kartoffeln
(Typhus) u. s. w.
Da der Mechanismus der Koloniebildung, wie oben bemerkt, auf
verschiedenen Eigenschaften morphologischer und physiologischer Natur
beruht (Grösse der Bakterien, Festigkeit ihrer Verbände, Wachstums-
intensität, Verflüssigungs- und Schleimbildungsvermögen), so wird jede
dauernde Variation einer oder mehrerer dieser Eigenschaften auch von einer
beständigen Veränderung der Wachtumscharaktere begleitet sein. In
der That verändern die Pneumoniekokken, die durch Züchtung aus Diplo-
kokken in Kettenkokken verwandelt sind, auch die Form ihrer Kolonien,
erscheinen dann nicht mehr mit scharfem, sondern mit gekräuseltem Rand,
aus dem die Ketten hervorragen. Die FßiEDLÄNDER'schen Pneumonie-Ba-
cillen, die nach Wilde in einer kleineren und weniger Schleim bildenden
Spielart auftreten können, entwickeln in diesem Falle auf der Gelatine
oberflächliche Kolonien, die denen des B. coli sehr ähneln, d. h. flach,
weniger granuliert und zackig umrandet sind. Eine Verminderung der
Wachstumsintensität lässt sich bei allen Bakterien dadurch erreichen,
dass man sie unter ungünstigen Bedingungen züchtet, z. B. die Kulturen
alt werden lässt, ehe man sie erneuert, einen mehr sauren Nährboden
wählt, oder zu demselben schädigende Substanzen zusetzt. Verflüssigende
Bakterien erleiden dabei sehr häufig gleichzeitig eine mehr oder weniger
vollständige Einbusse in ihrem Peptonisierungsvermögen (Finkler-
Prior-, Choleraspirillen, Staphylokokken). Um dies letztere Resultat
schneller zu erreichen, kann man folgende Wege einschlagen. Liborius
hat (Z. 1. 156) zuerst beobachtet, dass viele Bakterien bei Wachstum
ohne Sauerstoffzutritt und einzelne schon in Nährböden, denen redu-
zierende Substanzen, wie Traubenzucker, zugesetzt sind, die Gelatine
langsamer oder gar nicht mehr verflüssigen. Sanfelice (A. J. 92) hat
dies nicht allein bestätigt, sondern auch durch fortgesetzte anaerobe
Züchtung des B. Proteus, subtilis, indicus, anthracis, cholerae, Staphylo-
kokkus pyogenes Varietäten erzielen können, die dann auch im aeroben
Zustande nicht mehr verflüssigten. Dasselbe gelang Hueppe und Wood
(r: C. 8. 267) durch Kultivierung in carbolhaltiger Bouillon, und zwar
war die neue Eigenschaft um so dauerhafter, je längere Zeit die Be-
handlung dauerte und je weniger koncentriert die Carbollösung war.
Die Koloniebildung erscheint bei so veränderten Kulturen stark modi-
fiziert, es kommt zu sog. atypischen Kolonien. So hat Verfasser z. B.
atypische Cholerakulturen herangezüchtet, die ihre Charaktere, trotzdem
sie wiederholt durch den Tierkörper geschickt wurden, mit Zähigkeit
festhielten.
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 483
Während in den meisten dieser Fälle die Veränderungen im Wachs-
tum auf degenerative Einflüsse zurückzuführen sind, wird in anderen
Steigerung der Wachstumsintensität, also eine Anpassung andenNähr-
boden beobachtet, z. B. bei Pneumokokken, Diphtherie-, Tuberkelbacillen,
deren Kulturen regelmässig in kurzen Zwischenräumen erneuert werden.
Durch systematische Züchtung mit allmählicher Veränderung des Nähr-
substrats können Bakterien sogar unter Bedingungen zum Wachstum
gebracht werden, auf denen sie ursprünglich gar nicht fortkamen (Kul-
turen von Essig- und Nitrobakterien auf den gewöhnlichen Nährböden
s. Bd. II).
D. Temperatur, Sauerstoffzutritt und Sauerstoffmangel als Wachstums-
bedingungen.
Die Entwicklung jeder Bakterienspezies findet in gewissen Tem-
peraturgrenzen statt und für eine jede besteht ein Temperatur-Optimum,
bei dem das Wachstum am üppigsten ist. Je nach dem Nährboden
können die Temperaturgrenzen verschieden sein, z. B. wachsen die
Choleraspirillen auf Kartoffeln gewöhnlich erst bei Bruttemperatur,
während sie in Gelatine schon bei Zimmertemperatur gedeihen. Der
Grund dafür wird wohl wesentlich in der Gunst- oder Ungunst des
betreffenden Substrates liegen, denn durch Zusatz eines entwicklungs-
hemmenden Stoffes zu einem guten Nährmedium kann das Wachstum
bei niederer Temperatur gehemmt werden, während es auf dem
Optimum der Temperatur noch vor sich geht. Dasselbe lässt sich durch
schädigende Einflüsse, die das Bakterienprotoplasma selbst vor der
Einsat in einen Nährboden treffen, erreichen. Auf dieser Erfahrung
beruht die Vorschrift, in Desinfektions versuchen die Prüfung auf die
Lebensfähigkeit der Keime stets durch Züchtung beim Temperatur-
optimum vorzunehmen.
Auf dem Wege der Behandlung mit schädigenden Agentien gelingt
es vielleicht dauerhafte Spielarten, die nur in beschränkteren Temperatur-
grenzen als die Originalkulturen gedeihen, zu erzeugen. Unbeabsichtigt
ist dieses Resultat erreicht worden bei jahrelanger fortgesetzter Züch-
tung des DENEKE'schen Käsespirillums in Gelatine; dadurch ist, wie in
mehreren Laboratorien gleichzeitig beobachtet wurde, dem letzteren
Mikroorganismus die Fähigkeit verloren gegangen, bei höheren Tem-
peraturen zu wachsen. Diese Thatsache scheint bis jetzt isoliert da-
zustehen.
Dagegen kommt der umgekehrte Fall, dass sich die Temperatur-
grenzen für das Wachstum eines Bakteriums künstlich erweitern lassen,
öfter vor. Kruse und Pansini (Z. 11) haben für Pneumokokken ver-
31*
484 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
schiedenen Ursprungs nachgewiesen, dass dieselben, wenn sie längere
Zeit unter günstigen Kulturbedingungen gehalten werden, bei erheblich
niedrigeren Temperaturen fortkommen, als unmittelbar nach ihrer Iso-
lierung. In ausgedehntem Masse hat Dieudonne (A. G. 9. 3) die An-
passungsfähigkeit der Bakterien an ungewöhnliche Temperaturen erwiesen.
So hat er Milzbrandbacillen durch allmähliche Veränderung der Wachs-
tumstemperatur dazu gebracht, dass sie bei 10° und andererseits bei
42,5 ° üppig sich entwickelten. Auch bei Pigmentbakterien Hessen sich
die Temperaturgrenzen nach oben verschieben und das eben erwähnte
ÜENEKE'sche Spirillum Hess sich wieder an die Bruttemperatur gewöhnen.
Zu den Lebensbedingungen der Bakterien gehört auch ein be-
stimmtes Mass des freien Sauerstoffzutritts bez. Sauerstoffmangels. Es
giebt alle Übergänge vom obligaten Aerobion zum obligaten Anae-
robion (vgl. Liborius Z. 1). Ein interessantes Beispiel für den
Übergang von letzterem zum fakulkativen Aerobion hat Verfasser neuer-
dings beobachtet. Es handelte sich um einen Köpfenchensporen bildenden
Bacillus, der auf der Gelatineoberfiäche bei 24° zwar leidlich fortkam,
aber auf schrägem Agar bei 37 ° sich nicht entwickelte, wahrend er in
der Tiefe des Gelatine- resp. Agarstichs üppig wuchs. Bei höherer Tem-
peratur war offenbar die Sauerstoffwirkung an der Oberfläche des Nähr-
bodens zu kräftig, um das Wachstum zu gestatten.
Der Einfluss der Zusammensetzung des Substrats macht sich für
strenge Aerobien und Anaerobien in der Weise geltend, dass die ersteren
durch reduzierende Substanzen (Zucker u. s. w.), namentlich an* Stellen,
wo der Sauerstoffzutritt beschränkt ist, z. B. in der Tiefe des Nähr-
bodens, gehemmt, die letzteren eben dadurch begünstigt werden.
Eine Anpassung an anaerobe und aerobe Verhältnisse ist in ge-
wissem Grade möglich. Man kann schon individuelle Abweichungen
in der Empfindlichkeit gegen den Sauerstoffmangel bei manchen obli-
gaten Aerobien konstatiren: macht man eine Stichimpfung in einen
frisch ausgekochten festen Nährboden, so sieht man wohl vereinzelte
Kolonien tiefer unter der Oberfläche wachsen. Durch systematische
Auswahl solcher relativ resistenteren Individuen kann man, wie
Saneelice (A. J. 92) gezeigt hat, auch exquisit aerobe Bakterien
(Subtilis, Pyocyaneus) an den Sauerstoffmangel gewöhnen. In manchen
Fallen tritt dabei zu dem Verlust alter Eigenschaften (Peptonisierungs-,
Pigmentierungsvermögen) der Gewinn einer neuen, nämlich der Gähr-
fähigkeit (Liborius, Sanfelice). Umgekehrt wird auch eine Anpassung
von Anaerobien an aerobe Bedingungen erreichbar sein. Kitt(C. 17. 5,6)
ist dieses Resultat beim Rauschbrandbacillus wenigstens in beschränktem
Maasse, Righi (R. 94. 205) beim Tetanusbacillus vollständig gelungen
(s. Bd. II).
Kurse, Variabilität der Mikroorganismen. 485
E. Zusammensetzung des Bakterienkörpers, Reaktionen.
Die Zusammensetzung des Bakterienkörpers (vgl. l.Kap.d.2. Abschn.
dies.Bdes.) wechselt, je nach den Wachstumsbedingungen (Cramer,A. 13,
16u.22). Wasser- und Aschegehalt ist bei der Entwicklung in höherer Tem-
peratur vermindert, bei alten Kulturen vermehrt. Mit der Koncentration
des Nährbodens nimmt der Trocken- und Aschegehalt zu. Auf eiweiss-
und salzreichem Substrat bestehen die (Cholera-)Bakterien wesentlich
aus Eiweiss, Salzen und Wasser, auf eiweissfreiem und salzärmerem
Nährboden (Uschinsky-Lösung) wird lange nicht so viel Eiweisssubstanz
und Asche gebildet, und daneben gehen noch andere Stoffe reichlich in
den Bakterienkörper über.
Inwieweit durch künstliche Züchtung erbliche Veränderungen in
der Zusammensetzung des Bakterienkörpers in einem und demselben
Nährboden erzielt werden können, ist noch nicht festgestellt.
Mit der chemischen Zusammensetzung werden auch die Reaktionen
des Bakterienleibes wechseln. In der That bestehen gewisse Differenzen
in der Aufnahme von Anilinfarben je nach dem Alter der Kultur und
der Natur des Nährbodens. Auch individuelle Unterschiede treten unter
den gleichen Bedingungen hervor. Für die spezifischen Methoden, die
GßAM'sche und Tuberkelbacillenfärbung, gilt das gleiche. Einzelne
Thatsachen scheinen dafür zu sprechen, dass die chemische Beschaffen-
heit des Substrats für das Zustandekommen oder Ausbleiben dieser
Reaktionen bestimmend ist. So berichtet A.Schmidt (W.K.92.643), dass
die gewöhnlichen Darmbakterien (B. coli) sich in einzelnen Abschnitten
des Intestinaltraktus nach Gram färben lassen, während sie »im allge-
meinen, auch in künstlichen Kulturen, unfärbbar sind. Die Erscheinung
lässt wohl auch noch andere Erklärungen zu, immerhin verdient sie
experimentell weiter verfolgt zu werden (vgl. Wilde, Diss. Bonn 96).
Auch die Tuberkelbacillenmethode ist auf andere Bakterien anwendbar,
wenn dieselben sich in einem bestimmten (fettreichen) Medium be-
finden (Bienstock, F. 86. 6 u. Gottstein, F. 86. 8).
Abgesehen von den Fällen, in denen die Behandlung eine deut-
liche Degeneration des Bakterienprotoplasmas setzt und dadurch das-
selbe ungeeigneter zur Aufnahme von Farbstoffen macht, ist auf künst-
lichem Wege die Färbbarkeit von Bakterien noch nicht dauernd be-
einflusst worden.
F. Resistenz der Bakterien.
Schon lange bekannt ist die Thatsache, dass die Individuen einer
Bakterienkultur — seien es Sporen oder vegetative Formen aus jungen
486 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
oder alten Kulturen — schädigenden Einflüssen, z. B. Desinfizientien
gegenüber, verschiedene Widerstandsfähigkeit bekunden. C. Fränkel
hat die resistenten Keime „Ausnahmezellen" benannt. Morpho-
logische Differenzen, die sie auszeichnen könnten, sind bisher nicht
bekannt. Dass die Herkunft von verschiedenen Nährböden eine
gewisse Bedeutung hat, wurde ebenfalls bei Desinfektionsversuchen
konstatiert (Behring, Z. 9; Pane, Atti Accadem. med. Roma 90); auch
ist dabei nicht gleichgiltig, ob man die Bakterien im trockenen oder
feuchten Zustand verwendet, und ob schon vorher schädigende Momente
auf sie eingewirkt haben. Alle Verfahren, die durch Behandlung mit
hohen Temperaturen oder Antisepticis eine Abschwächung der Bakterien
bezwecken, sind geeignet, die Resistenz derselben im allgemeinen
herabzusetzen (Smienow, Z. 4). Es ist allerdings nicht ausgeschlossen,
dass man durch sehr vorsichtige Behandlung mit den angegebenen
Mitteln eine Anpassung der Mikroorganismen an diejenigen Ein-
flüsse erzielt, die bei plötzlicher Einwirkung schädlich wirken. Einen
allmählichen Übergang zu Temperaturen von 40 — 42° vertragen Pigment-
bakterien sowie Milzbrandbacillen nach Dieudonne (A. Gr. 9. 3) ganz
gut, ebenso acclimatisieren sich Saprophyten und Parasiten nach
Kossiakoef (P. 87), Teambusti (Sp. 92) und Galeotti (Sp. 92) an ent-
wicklungshemmende Mittel (z. B. Sublimat), wenn sie in langsam
steigender Koncentration angewandt werden. Ob die erlangte Wider-
standsfähigkeit sich auch gegenüber anderen Mitteln, als denen, die zur
Behandlung gedient haben, geltend macht, verdient noch festgestellt
zu werden. Nach Teambusti und Dieudonne kann trotz der An-
passung eine Virulenzabschwächung der Bakterien eintreten.
G. Bakterielle Zersetzungen, Bakterienprodukte.
Über die Variabilität des Peptonisierungsvermögens haben wir uns
oben schon (unter C) ausgelassen, wir besprechen hier die Schwankungen
in der Gährthätigkeit in zuckerhaltigen Medien, in der Bildung von Indol
und in der • Produktion von Labferment. Je nach der Zusammen-
setzung des Nährbodens wechseln natürlich die Zersetzungen, welche
durch die Bakterien in demselben verursacht werden (vgl. 2. und 3.
Kap. des 2. Abschn. dies. Bdes.). Am besten ist es, zum Studium dieser
Verhältnisse sich künstlicher Nährlösungen zu bedienen. Traubenzucker
ist häufig im Fleischsaft enthalten, so dass Gährungserscheinungen auch
in den gewöhnlichen damit hergestellten Nährsubstraten sich bemerk-
bar machen können, es ist das aber durchaus inkonstant. Die Milch
ist dagegen ein natürliches Reagens auf gewisse Gährungserreger.
Das Gährvermögen kann durch langdauernde Züchtung in künst-
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 437
liehen Nährböden, die keine gährfähigen Stoffe enthalten, sehr ge-
schwächt werden; das ist z. B. für Milzbrandbacillen von Hueppe u.
Grotenfeld (F. 89. 4) gefunden worden. Dieser Verlust konnte durch
Zurückbringen und fortgesetzte Kultur in Milch wieder ersetzt werden,
wenn die Veränderung nicht schon zu weit vorgeschritten war. Schneller
und vollständiger soll es nach Rodet und Roux, sowie Malvoz1) ge-
lingen durch Züchtung in carbolhaltiger Bouillon bei 42° den sog.
B. coli seiner Fernientierungsfähigkeit zu berauben. Villinger's nach
demselben Rezept wiederholte Versuche haben das aber nicht be-
stätigen können (A. 21. 2).
Zur Produktion von Indol ist Vorbedingung ein eiweiss- (oder
pepton-) haltiger Nährboden. Bekannt ist, dass durch bestimmte Ein-
flüsse (Existenz von Traubenzucker in dem Nährboden [Gorini, C. 13;
Kruse, Z. 17]) die Bildung dieses Stoffes hintangehalten werden kann.
Ferner sind einzelne Umstände festgestellt, die das Hervortreten der
Indolreaktion (Baeyer) begünstigen oder hemmen. Dazu gehört
das Vorhandensein von grösseren Mengen Nitrit in der fertigen Kultur,
resp. von Nitrat der Nährfiüssigkeit bei reduzierenden Bakterien (Petri,
A. G. 6. 1; Bleisch, Z. 14). Durch die wechselnde Zusammensetzung
des Peptons und Kochsalzes, sowie des Fleischsaftes erklärt sich
wahrscheinlich ein grosser Teil der Angaben, die bezüglich der
Inkonstanz und Veränderlichkeit der Indolproduktion gemacht worden
sind, ein änderer Teil derselben lässt sich vielleicht auf die Variabili-
tät des Reduktionsvermögens der untersuchten Mikroorganismen zu-
rückführen.
Als Reagens auf Labferment wird Milch benutzt. Bei gehöriger
Berücksichtigung der anderen Momente, welche die Gerinnung der
Milch bewirken (Gährwirkung, Säuregehalt der sterilisierten Milch, un-
vollständige Sterilisierung) ist es nicht schwer, sich von einer grossen
Variabilität der Labproduktion zu überzeugen. Klassische Beispiele
dafür bieten die Choleraspirillen, die Pneumo- und Streptokokken.
Ausser den hier besprochenen Eigenschaften der Bakterien kom-
men noch zahlreiche andere Ferment- und Enzymwirkungen dersel-
ben in Betracht. Es liegen bisher aber noch nicht genügend sichere
Beobachtungen über die Veränderlichkeit derselben vor.
H. Pigmentbildung.
Schon mehrfach berührt wurden die Schwankungen, denen die
Pigmentbildung der Bakterien unterliegt. In alten Kulturen kann
man regelmässig individuelle Abweichungen in der Intensität dersel-
1) Malvoz, Recherches bacteriologiques sur la fievre typhoide. Bruxelles 92;
vgl. auch einige Angaben mit Litt, bei Kiessling, R. 93. 17.
488 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ben konstatieren. Durch Auswahl der am meisten differenten Kolo-
nien lassen sich Varietäten herauszüchten, die keinen Farbstoff ent-
wickeln (vgl. den pigmentierten Streptokokkus Pasquale's, Z. 12.
462). Dasselbe Resultat wird erreicht durch Kultivierung bei abnor-
men Temperaturen, bei Sauerstoffabschluss oder in mit Antisepticis
versetzten Nährböden. Schottelius ') und Charrin u. Phisalix
(S. B. 92) haben den Prodigiosus und den Pyocyaneus durch fort-
gesetzte Züchtung bei 37° resp. 42,5° seines Pigmentes — und zwar
wie es scheint dauernd — beraubt. Das Ausbleiben der Pigmentierung
in vor Luftzutritt geschützten Kulturen hat schon Liborius (Z. 1) beob-
achtet, Sanfelice (A. J. 92) machte die Bemerkung, dass diese Eigen-
schaft auch noch lange sich erhält, wenn man nach einer Reihe
anaerober Generationen zu aeroben Bedingungen zurückkehrt. Das
gleiche gilt nach Wasserzug (P. 88) in dem Falle, dass man den
Pyocyaneus und Prodigiosus in Bouillon mit entwicklungshemmenden
Zusätzen züchtet. Notwendig zu einem vollständigen Erfolg ist bei
Anwendung der genannten Verfahren, dass durch dieselben eine Schä-
digung des Bakterienprotoplasmas gesetzt wird, denn wenn sich die
Mikroben den schädlichen Einflüssen anpassen können, findet unter
Umständen ein Rückschlag der alten Eigenschaften, in unserem Falle
des Pigmentierungsvermögens, statt (vgl. unter F). So hat Galeotti
(Sp. 92) in der That gefunden, dass Bakterien durch Hinzufügung
eines Antiseptikums zum Nährboden ihr Pigment einbüssten, dasselbe
aber wieder entwickelten, wenn sie sich an das veränderte Substrat
gewöhnt hatten. Ähnliches hat Diettdonne (A. G. 9. 3) bezüglich
des Einflusses hoher Temperaturen bei Prodigiosus, Fluorescens u. s. w.
festgestellt (vgl. Bd. II).
Als ein Beispiel dafür, wie durch Anpassung an einen anderen
Nährboden, der durchaus nicht ungünstig zu sein braucht, die farb-
stoffbildende Funktion verloren gehen kann, mag der Bacillus der blauen
Milch genannt werden (Scholl, F. 89. 21). Bei diesem letzteren tritt
auch der Einfluss, den die Zusammensetzung des Substrats auf das
Erscheinen des charakteristischen Farbstoffes ausübt, sehr deutlich
hervor. Der noch nicht durch die Kultur modifizierte Bacillus bildet,
je nachdem er auf Milch, Gelatine oder Kartoffeln kultiviert wird,
blaues, grünes oder braunes Pigment.
I. Beweglichkeit.
Die Beweglichkeit der Bakterien hängt ab einerseits von dem
Vegetationsstadium, andererseits von dem Medium, in dem sich diesel-
1) Biologische Untersuchungen üb. d. Mikrokokkus prodigiosus. Leipzig 87
(Festschr. für Kölliker).
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 4gg
ben befinden. Der Einfluss des letzteren verdiente noch mehr studiert
zu werden, im allgemeinen schädigen entwicklungshemmende Mo-
mente, z. B. die durch das Wachstum entstandene oder zugefügte
Säure, auch die Beweglichkeit. Eine scheinbare Ausnahme hiervon
bildet der Prodigiosus, der nach Schottelius und Wasseeztjg (a. a. 0.)
besonders bei saurer Reaktion beweglich ist,' obwohl dieselbe an sich
seinem Gedeihen nicht förderlich ist. Vielleicht hängt das von dem
Ausbleiben der Schleimbildung in saurem Substrat ab.
Dauernde Einbusse an Beweglichkeit scheinen die Bakterien zu
erleiden, wenn sie längere Zeit unter ungünstigen Bedingungen kulti-
viert werden. Z. B. sah Villingee (A. 21) das Bacterium coli unbe-
weglich werden und bleiben, wenn es mehrere Generationen hindurch
bei 42° in carbolhaltiger Bouillon gezüchtet und dann in die gewöhn-
lichen Kulturbedingungen zurückgebracht war. Allerdings zeigte es
sich auch in anderen morphologischen und physiologischen Eigenschaf-
ten stark geschädigt. An den unbeweglich gewordenen Bakterien lassen
sich die Bewegungsorgane (Geissein) nicht mehr darstellen. Eine Varia-
bilität der letzteren in dem Sinne, dass ihre Zahl oder ihre Verteilung
am Bakterienkörper sich unter Umständen änderte, ist bisher mit
Sicherheit nicht festgestellt worden (vgl. Feeeiee, A. E. 95).
K. Sporenbildung.
Zur Sporenbildung ist ausser gewissen äusseren Voraussetzungen
(Temperatur, Sauerstoff, Erschöpfung des Nährbodens u. s. w.) noch
eine innere Anlage des Bakterienleibes von Nöten. Dieselbe kommt
nur einer beschränkten Zahl von Spezies zu und kann auf dem Wege
der künstlichen Züchtung beseitigt werden. Alle diejenigen Mittel,
die geeignet sind, die natürliche Entwicklung zu stören, degenerierend
zu wirken, können zum Verlust des Sporenbildungs Vermögens führen.
Dahin gehören die in alten Kulturen — namentlich Gelatine bei nie-
deren Temperaturen — wirksamen Faktoren, die Züchtung bei zu
hohen Temperaturen und in Nährböden, die mit antiseptischen Zu-
sätzen versehen sind (vgl. Cbambeeland u. Roux, C. R. 96. 1090;
Roux, P. 90; K. B. Lehmann, 87. 26; Beheing, Z. 6. 125 u. 7. 181;
Phisalix, Bull. med. 92. 25).
Die Versuche sind meist am Milzbrand angestellt worden, aber die
Erfahrungen des Laboratoriums beweisen, dass auch andere sporenbil-
dende Bacillen denselben Einflüssen unterworfen sind. Die Umwand-
lung erfolgt stufenweise, indem beim Zurückbringen auf passende
Nährböden zuerst die Sporenbildung nur verlangsamt wird, dann nur
einige Individuen noch sporifizieren. Schliesslich gelingt es, Varietä-
490 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
ten zu erzielen, die auch nach wiederholter Passage durchs Tier nicht
mehr zur Sporulation gebracht werden können.
L. Virulenz und Giftbildung.
Über die Wandlungen, welche die pathogenen Eigenschaften der Bak-
terien erfahren können, sind unsere früheren Ausführungen (oben S. 299)
nachzusehen. Die Virulenz ist sicher derjenige Charakter der Bakterien,
der am wenigsten konstant ist. Die Momente, welche die Variabilität
bedingen, fallen auch hier wieder in das Gebiet der degenerativen Ver-
änderungen oder in das der Anpassungen.
M. Natürliche Varietäten.
Es ist von vornherein zu erwarten, dass die natürliche Züchtung
in ähnlicher Weise Varietäten erzeugen wird wie die künstliche Züchtung.
Die Erfahrung bestätigt das auch immer mehr, worüber im syste-
matischen Teil im einzelnen berichtet werden wird. Hier seien nur
einige Beispiele herausgegriffen. Besonders gross ist die Zahl der
Varietäten des Pneumoniekokkus. Durch Vergleich von 84 frisch iso-
lierten Kulturen desselben haben Kruse und Pansini (Z. 11) festgestellt,
dass dieselben sich nicht nur in ihren pathogenen Eigenschaften, son-
dern in zahlreichen morphologischen und physiologischen Charakteren
von einander vielfach unterscheiden. Scharfe Grenzen zwischen den
einzelnen Spielarten aufzustellen, war nicht möglich, da alle Übergänge
zwischen ihnen existierten. Die Züchtung unter gleichen Bedingungen
brachte die Differenzen zum grossen Teil zum Verschwinden. Pasquale
(Zi. 12) hat bei Streptokokken ähnliche Verhältnisse gefunden. Die
Erreger des Milzbrandes, des Typhus, der Diphtherie, der Tuberkulose,
der Hühnercholera und Schweineseuche, der Pyocyaneus, Proteus, der
Bac. coli communis und der Heubacillus repräsentieren zwar jeder
einen Typus, aber man hat sich denselben nicht als einen starren,
gänzlich unveränderlichen vorzustellen; auch unter natürlichen Verhält-
nissen zeigt er eine gewisse Labilität, die entweder physiologische
Fähigkeiten, z. B. die Virulenz, das Verflüssigungsvermögen, oder auch
morphologische Eigenschaften betrifft.1) Dasselbe gilt auch für den
Mikroorganismus der asiatischen Cholera. Namentlich die Untersuchungen
während und nach der letzten Epidemie haben in verschiedenen Labora-
torien die Variabilität dieses Krankheitserregers bezüglich Virulenz,
1) Auf die Differenzen, die Milzbrandsporen verschiedenen Ursprungs in ihrer
Resistenz gegen schädigende Einflüsse zeigen, hat Esmarch (Z. 5) zuerst hin-
gewiesen.
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 491
Verflüssigungsvermögen, Koloniebildung, Labproduktion, Morphologie
u. s. w. über allen Zweifel erhoben, wenn auch die Angaben mancher
Forscher (Citnningham r: J. 90) zu weit gehen 1). Diese Neigung zur Ab-
änderung scheint, wie Hueppe mit Recht hervorhebt (D. 91. 53), bei
den sporadischen Fällen und kleinen, langsam verlaufenden Cholera-
epidemien grösser zu sein, als in den sehr ausgebreiteten, plötzlich
entwickelten Epidemien, wahrscheinlich weil die Bakterien im ersteren
Falle viel ungleichartigeren äusseren Lebensbedingungen ausgesetzt
sind, als im letzteren.
N. Schluss.
Aus unserer Darstellung ergiebt sich, dass die Variabilität der
Bakterien in der That eine sehr bedeutende ist. Durch künstliche
Züchtung gelingt es, die ursprünglichen Typen nach Umständen fast
bis zur Unkenntlichkeit — und zwar wie es scheint auf die Dauer —
zu verwischen. Kein einziger Charakter ist also absolut konstant zu
bezeichnen. Es ist besonders bemerkenswert, dass dieses Resultat schon
jetzt, kurze Zeit nachdem man der Frage durch wissenschaftliche For-
schung nahegetreten, erzielt ist. Die Erfolge künftiger, langdauernder
systematischer Züchtung sind noch nicht abzusehen. Indessen würde
es gänzlich verkehrt sein, unter diesem allgemeinen Eindruck die spe-
zifischen Differenzen, die trotz alledem im Reiche der Bakterien
bestehen, ausser Acht zu lassen. Folgende Punkte sind zu berücksich-
tigen:
1. Die Eigenschaften, die am meisten der Veränderung unterliegen,
sind die physiologischen; die morphologischen Variationen sind verhält-
nismässig unbedeutend — soweit sie dauernd sind — sie gehen kaum
über die Grenzen der individuellen Abweichungen heraus, obwohl natür-
lich das mikroskopische Bild einer so veränderten Kultur im ganzen
genommen ein anderes ist (vgl. Abschn. B).
2. Nicht zu vergessen ist, dass die erworbenen Abänderungen sich
allermeist nach der negativen Seite hin bewegen, indem nämlich vor-
handene Eigenschaften auf dem Wege der künstlichen Züchtung ver-
loren gehen. In vielen Fällen tragen die Varietäten den Stempel un-
verkennbarer Degeneration. Wirkliche Anpassungen, verbunden mit dem
Auftreten neuer Charaktere, sind bisher viel seltener beobachtet worden.
1) Friedrich, A. G. 8. 1; G ruber, A. 20; Kruse, Z. 17 und nicht publi-
zierte Untersuchungen; Pasquale, Giom. media del Esercito e della Marina. Roma
94; Sirena e Scagliosi r: C. 15. 24; Celli u. Santori. C. 15. 21; Schoffer,
A. G. 11. 2, Bordoni-Uffreduzzi u. Abba, R. 94. 12; Dunbar bei Gaffky, A.
G. 10. 1. S. 155*; Gramer, A. 22. 2; de Giaxa u. Lenti, r: C. 15. 16.
492 Allgemeine Biologie der Mikroorganismen.
3. Durch die Epidemiologie und zahllose, freilich noch nicht sehr alte
Erfahrungen auf bakteriologischem Gebiet ist bewiesen, dass die Konstanz
der Art unter günstigen Bedingungen, d. h. im adäquaten Nährboden,
eine ausserordentlich grosse ist. Die autochthone Entstehung von
Krankheitserregern aus Saprophyten ist bisher für keinen Fall bewiesen
und nicht einmal wahrscheinlich gemacht worden. Die ersten derartigen
Versuche betrafen dieEntstehung des Milzbrandes aus Heubacillen (Buch-
ner bei Nägeli, Niedere Pilze. München u. Leipzig 82). Sie sind durch
R. Koch (M. GL 1) zurückgewiesen worden und werden von ihrem Autor
nicht mehr aufrecht erhalten. Ferner ist namentlich von Rodet und Roux
(s. Bd. II) der Versuch unternommen worden, den Typhusbacillus aus dem
B. coli zu erzeugen, freilich mit gänzlich ungenügendem Resultat.
Selbst wenn es aber gelungen wäre, auf künstlichem Wege den letzteren
Mikroorganismus aller seiner differentiellen Merkmale scheinbar zu ent-
kleiden, so fehlte demselben doch noch gerade das spezifische Kriterium
des Typhusbacillus, die Fähigkeit, den Typhus des Menschen zu er-
zeugen. Das gleiche gilt von den neuesten Bestrebungen, die Ent-
stehung der Cholera mit weit in der Aussenwelt verbreiteten Sapro-
phyten des Wassers in Verbindung zu bringen. Mag die Ähnlichkeit
der Wasserspirillen mit dem KocH'schen Bakterium auch noch so weit
gehen, das letztere zeichnet eben seine spezifische Wirkung auf den
Menschen aus. Glücklicherweise sind wir nicht genötigt, das Experi-
ment am Menschen selbst als ultimum refugium der Differentialdiagnostik
zu betrachten, seitdem R. Peeipfer(Z. 17 — 21) gefunden hat, dass die spe-
zifische Immunisierung von Versuchstieren in zweifelhaften Fällen zur
scharfen Unterscheidung genügt. Durch diese Thatsache werden wir
auch da zur Vorsicht in der Beurteilung gemahnt, wo es gelingt, durch
künstliche Züchtung verschiedene Formen auf einen scheinbar gleichen
Typus zurückzuführen.
Wenn sonach unsere bisherigen Erfahrungen über die Variabilität
der Bakterien nicht geeignet sind, die spezifischen Differenzen der letz-
teren aus der Welt zu schaffen, so haben sie doch eine grosse wissen-
schaftliche Bedeutung, weil sie die verwandtschaftlichen Bezieh-
ungen der Bakterien unter einander in das rechte Licht setzen und
so dazu beitragen, die Phylogenese derselben aufzuklären. Es wird
freilich noch umfangreicher Forschungen bedürfen, um die Grundlagen
für ein auf der natürlichen Entwicklung aufgebautes System (vgl. Bd II
S. 93 ff.) zu schaffen, als Beispiel indessen, wie man sich für eine gut
bekannte kleinere Gruppe von Mikroorganismen den phylogenetischen
Hergang denken könnte, möge folgende Ableitung dienen (vgl. Kruse
und Pansini, Z. 11 und Pasquale, Zi. 12).
Die für die Pathologie so wichtigen Streptokokken stammen
Kruse, Variabilität der Mikroorganismen. 493
jedenfalls von saprophytischen Formen her, die ursprünglich kurze
Ketten gebildet, dann die Fähigkeit, Pigmente zu erzeugen und Eiweiss
zu peptonisieren, gewonnen haben. Solche giebt es jetzt noch, sie be-
halten auch in der Kultur die Gewohnheit, in kurzen Ketten zu wachsen,
bei. Aus den kurzen, nicht verflüssigenden Streptokokken gingen die
langen hervor und bei diesen erst entwickelte sich die Anpassung an
das parasitäre Leben, die Pathogenität; dafür spricht die Thatsache,
dass alle virulenten Strepto- (und Diplo-)kokken mit dem Verlust ihrer
Pathogenität die etwa vorher bestehende Neigung, kurze Ketten zu
bilden, verlieren und lang auszuwachsen beginnen. Mit der Steigerung
der Virulenz nimmt wieder die Länge der Ketten ab und die am meisten
infektiösen Streptokokken sind der Diplococcus der Pneumonie sowie
der Diplococcus pyogenes (Pasquale). Sie entsprechen den Enden
zweier Entwicklungsreihen, von denen die eine von Streptokokken
sich ableitet, die oberflächlich auf den Schleimhäuten von Warmblütern
vegetiert und ganz die Fähigkeit des Wachstums bei niederer Tem-
peratur eingebüsst hat (lange Pneumoniekokken der Schleimhäute [Kruse
und Pansini]), während die andere noch zu saprophytischer Existenz
bei niedriger Aussentemperatur befähigt ist (gewöhnliche Streptokokken
der Eiterung etc.) Beide Reihen sind durch Übergänge verbunden,
durch Züchtung gelingt es, die Pneumokokken auch an niederere Tem-
peraturen zu gewöhnen. Merkwürdigerweise sind unter den virulen-
testen Pneumo- und Streptokokken einige Pigmentbildner gefunden
worden (Fowitzkt, A. M. 50; Pasquale) — vielleicht ein Rückschlag
auf saprophytische Ahnen.
Dritter Abschnitt.
Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen1)
von
R. Pfeiffer.
Erstes Kapitel.
Allgemeine Verbreitung der Bakterien.
In den verschiedensten Teilen der Umgebung des Menschen wuchern
zahlreiche Bakterienarten, sobald nur hinreichende Feuchtigkeit, Nähr-
material und eine Temperatur von mindestens 6 — 10 ° gegeben ist; und
die Masse derselben vermehrt sich um so rascher, je näher die Tem-
peratur dem durchschnittlichen Optimum von 20 — 30° liegt und je
bessere und reichlichere Nährstoffe vorhanden sind. Überall wo totes
organisches Material, Exkrete der Menschen und Tiere, Kadaver, ab-
gestorbene Pflanzen, Abfallstoffe des Haushalts und der Industrie auf
der Bodenoberfläche, in stagnierenden oder fliessenden Gewässern oder
innerhalb der Wohnungen bei genügender Feuchtigkeit und Tempe-
ratur sich häufen, entstehen Bakterienherde, welche schliesslich die
völlige Zerstörung jener Massen bewirken und dafür eine enorme Zahl
neugebildeter Individuen an die Stelle setzen.
Angesichts der Verbreitung, der enormen Vermehrungsfähigkeit
und der relativ grossen Resistenz der Bakterien muss man unwill-
kürlich nach den Mitteln fragen, welche in der Natur zur Anwendung
kommen, um die immer von neuem gebildeten Massen von Bakterien
wieder zu vernichten und ihrer zu starken Anhäufung entgegenzu-
arbeiten. Diese Mittel sind nicht etwa in der Kälte des Winters ge-
geben, welche bekanntlich im wesentlichen eine Entwicklungshemmung
verursacht, im übrigen aber die überwiegende Mehrzahl der Bakterien
im lebensfähigen Zustand zu konservieren scheint. Die natürlichen
Desinfektionsmittel sind vielmehr in erster Linie Austrocknung der
Bakterien, sodann anhaltende Erschöpfung der Nährsubstanzen,
1) Bearbeitet nach d. 2. Aufl. dies. Buch.
Pfeiffee, Allgemeine Verbreitung der Bakterien. 495
zuweilen auch hohe Temperaturen, namentlich an der Bodenober-
fläche mit Hilfe der Insolation. Des ferneren entwickeln die chemisch
wirkenden kurzwelligen Sonnenstrahlen und sogar das diffuse Tages-
licht nach den übereinstimmenden Untersuchungen zahlreicher Bak-
teriologen (Büchner, Arch. f. Hyg. XVII, Kruse, Z. XIX u. A.) energisch
abtötende Effekte, durch welche das Bakterienleben in durchsich-
tigen Medien, vor allem im Oberflächen wasser sehr wesentlich beein-
flusst zu werden scheint. Natürlich werden vor allem die vegetativen
Formen der Spaltpilze von diesem natürlichen Desinfizientien betroffen,
während die meisten Dauerformen sowohl im ausgetrockneten Zustande,
wie auch in erschöpften Nährlösungen und bei den höchsten, an der
Bodenoberfläche durch Insolation erreichten Temperaturen sich lebens-
fähig erhalten.
Aber trotzdem können grosse und vollkommen genügende Wir-
kungen mit jenen Mitteln erzielt werden, dadurch dass eben in der
Natur den Dauerformen sehr häufig Gelegenheit gegeben wird, wieder
auszukeimen und so in eine angreifbare Form überzugehen; ein steter
Wechsel von guten Nährbedingungen einerseits, Wasser- und Nähr-
stoffmangel andererseits ist es daher wesentlich, der eine weitgehende
Vernichtung der verschiedensten Bakterien und eine Regulierung des
Bakterienlebens bewirkt.
Für diejenigen Bakterienarten, welche durch die gelegentliche Aus-
dehnung ihres Entwicklungskreises auf lebende höhere Organismen
unser besonderes Interesse erregen, ist eine fortgesetzte Existenz in
unserer natürlichen Umgebung noch besonders erschwert, dadurch dass
sie in der Qualität ihrer Nährstoffe meist sehr wählerisch sind, dass
sie besonders günstiger Temperatur bedürfen und oft in hervorragen-
der Weise gegen Alterationen des Nährsubstrats und Wasserentziehung
empfindlich sind. Dazu kommt, dass alle fakultativen Parasiten sehr
leicht von Saprophyten überwuchert werden, welche unter den in unserer
Umgebung vorhandenen Existenzbedingungen viel schneller wachsen;
diese entziehen daher jenen bald die notwendigen Nährstoffe und
schädigen sie ausserdem durch Stoffwechselprodukte. Sollen daher In-
fektionserreger unter den natürlichen Verhältnissen längere Zeit hin-
durch sich vermehren können, so müssen sie offenbar Gelegenheit
haben, geradezu in einer Art Reinkultur zu wachsen; auf fest-weichen
Nährsubstraten, schwimmenden pflanzlichen oder thierischen Resten
wird es gelegentlich zu einer solchen ausschliesslichen Occupierung
eines Terrains durch pathogene Bakterien kommen. — Sogar die Kon-
servierung der in solcher Weise ausserhalb des Menschen gewachsenen
oder auch der im Menschen vermehrten und von dort in die Umgebung
gelangten fakultativen und obligaten Parasiten stösst auf ziemliche
496 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Schwierigkeiten. Am leichtesten gelingt dieselbe mit Hilfe von Dauer-
formen, die im ausgetrockneten Zustand oder in erschöpften Nähr-
substraten lange Zeit unverändert persistieren können. Wo Dauer-
formen fehlen, da kann möglicherweie noch dann eine Konservierung
eintreten, wenn die vorliegenden Verhältnisse eine derartige Entwick-
lungshemmung bedingen, dass keine Überwucherung durch Saprophyten,
aber auch keine Abtötung der empfindlicheren parasitischen Bakterien
eintritt. Ein solcher Fall ist z. B. gegeben bei Kälte unter +5°;
ferner (wie unten näher auszuführen ist) bei einem porösen, massig
durchfeuchteten Boden.
Für die Verteilung des Bakterienlebens auf der Erdoberfläche ist
es sodann noch wichtig, dass sie oft nicht auf den Ort ihrer Ent-
wicklung beschränkt bleiben, sondern dass ein vielfacher Transport
der Bakterien, eine Verschlepjmng auf kleinere und grössere Strecken
stattfindet. Die Luftströmungen und die fliessenden Gewässer sind als
die wesentlichsten Transportmittel zu nennen; in kleinerem Massstabe,
aber in vielseitigster Weise findet ferner eine Verschleppung durch
Tiere und durch die Hantierungen, Beschäftigungen und den Verkehr
des Menschen statt.
Zweites Kapitel.
Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft.
Untersuchen wir die einzelnen Teile unserer Umgebung auf das
Vorkommen von Bakterien, so finden sich dieselben zunächst in der
Luft in sehr wechselnder Menge. Mit den bis jetzt zur Untersuchung
verwendeten Methoden sind im Freien in Luftschichten, welche nahe
über der Erde lagern, etwa 100 — 500 lebensfähige Bakterien pro Ku-
bikmeter gefunden; in der Luft der Wohnräume werden sie in sehr
geringer Anzahl beobachtet, sobald längere Zeit hindurch jede Bewe-
gung der Luft möglichst vermieden war; während sie in grossen Mengen
vorhanden sind, wenn durch Bewegungen und Erschütterungen ein
Aufwirbeln von Staub bewirkt wird. Durch direkte mikroskopische
Beobachtung der gesammelten Luftkeime, sowie aus den Experimenten
über Luftfiltration (Hesse, D. M. 1884) hat sich ergeben, dass die in der
Luft schwebenden Mikroorganismen meist nicht isolierte Individuen reprä-
sentieren, sondern dass zahlreiche, in der Regel derselben Art zugehörige
Individuen zu Verbänden und Gruppen vereinigt sind oder an gröberen
Partikelchen und sichtbaren Stäubchen haften.
Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft. 497
Der Ursprung der Luftkeime ist fast stets in den Bakterienan-
siedlungen der Erdoberfläche zu suchen; für eine Vermehrung Avährend
des Transports durch die Luft fehlt es vor allem an der genügenden
Feuchtigkeit. Der Übergang von Bakterien in die Luft findet ferner
im allgemeinen nur statt von völlig trockenen und durch äussere
Gewalt zertrümmerten Bakterienkolonien aus. Näg-eli und Buchner
(Vortrag. München 1881) hat nachgewiesen, dass selbst starke Luft-
ströme von feuchten Oberflächen keine Bakterien loszureissen im-
stande sind; nur wenn gleichzeitig ein Verspritzen von Flüssigkeiten
durch Erzeugung von Wellen oder durch heftiges Schlagen (Mühl-
räder, "Wäsche) oder durch Blasenbildung erfolgt, können Wasser-
bläschen und mit diesen Bakterien für kurze Strecken von Luft-
strömen mitgeführt werden. Selbst wenn ferner eine Bakterienkolonie
austrocknet, so ist damit noch nicht ohne weiteres die Möglichkeit zur
Ablösung und zum Übergang einzelner Teile derselben in die Luft
gegeben, sondern die angetrockneten Bakterien pflegen sehr fest an
ihrer Unterlage zu haften, und erst durch Lockerung, durch Risse und
Brüche, die durch äussere Gewalt oder Temperatureinflüsse entstehen,
kommt es zur Ablösung kleiner, leichter Partikelchen, die mit Luft-
strömen fortgeführt werden können.
Die einmal in die Luft übergetretenen Bakterien werden dann dort
verschieden lange schwebend erhalten resp. durch Luftströme fortge-
führt. Von Einfluss ist in dieser Beziehung ausser der Stärke der
bewegenden Strömungen namentlich Grösse und Gewicht der schwe-
benden Partikel. Gröbere Stäubchen, die man mit blossem Auge bei
jeder Beleuchtung sieht, fallen mit ihrem Anhang von Bakterien bei
ruhiger Luft bald nieder; die kleineren sogenannten Sonnenstäubchen
bleiben schon leichter schwebend und werden durch geringfügige Ströme
auf- oder seitwärts fortbewegt. Endlich kommen auch noch die makro-
skopisch niemals sichtbaren kleineren Bakterienverbände resp. einzelne
Bakterien in Frage, die ein Gewicht von 1 Billionstel Gramm und
weniger repräsentieren und auch in ruhiger Luft sich nicht merklich
niedersenken. Alle diese kleinsten Körperchen sind noch umgeben zu
denken von einer verdichteten Lufthülle, die wohl wesentlich aus Wasser-
dampf besteht und gleichsam einen als Fallschirm dienenden und das
Schweben erleichternden Mantel bildet (Näg-eli).
Aus diesen Beobachtungen und Erwägungen ergeben sich dann
ohne weiteres einige Gesetzmässigkeiten für die örtliche und zeit-
liche Verteilung der Bakterien in der Luft. Überall, wo vielfache
Bakterienansiedlungen auf der Erdoberfläche sich finden, und wo ferner
eine völlige Austrocknung oberflächlicher Kolonien statthat, wird es
auch zu einem bedeutenden Gehalt der Luft an Bakterien kommen.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 32
498 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Wo keine Gelegenheit zur Ansiedlung von Bakterien gegeben ist (in
Einöden, auf hohen Bergen), oder wo stetig feuchte Oberflächen vor-
liegen (über dem Meere), wird die Luft fast oder völlig frei von Bak-
terien sein. Wie weit trockene, aber lebensfähige Bakterien durch Winde
fortgeführt werden können, darüber ist noch nichts sicheres bekannt;
man darf wohl nach den ausserordentlich weiten Strecken, welche
andere Luftstäubchen nachweislich"' zurückzulegen vermögen, auch auf
gelegentliche erhebliche Ortsveränderungen der Bakterien schliessen.
Diese sind dann natürlich geeignet, lokale Differenzen im Bakterien-
gehalt der Luft in gewissem Grade zu verwischen; indess die über-
wiegende Hauptmasse der Luftkeime wird doch immer örtlichen Quellen
entstammen.
Zeitliche Variationen in der Zahl der Luftkeime sind, abgesehen
von der wechselnden Menge der verfügbaren Bakterienansiedlungen, in
erster Linie von den Bedingungen abhängig, welche den Übertritt neuer
Bakterien in die Luft befördern, und zweitens von denjenigen Faktoren,
welche die Abscheidung der schwebenden Keime aus der Luft beein-
flussen. Die Aufnahme von Bakterien begünstigen vor allem aus-
trocknende Winde. Auch bei massigem Sättigungsdefizit und feuch-
teren Winden kommt es an exponierten Stellen der Erdoberfläche wohl
zur Austrocknung der obersten Schichten und zu einem Fortführen
von Staub und einer gewissen Menge von Bakterien; eine Periode an-
haltend starker Trockenheit (wie sie bei uns Ostwinde herbeiführen)
bewirkt aber ein Austrocknen in ganz anderer Ausdehnung; jeder
Winkel der Strassen, Höfe und Häuser, tiefere Schichten des Acker-
bodens u. s. w. werden dann allmählich trocken gelegt und erheblich
zahlreichere und namentlich viel mannichfaltigere — eventuell auch
pathogene — Bakterien gehen von allen diesen Stätten in die Luft über.
Trotz dieses bedeutenden, die Zahl und Art der Luftkeime begün-
stigenden Einflusses der trockenen Winde ist es nun aber doch immer-
hin möglich, dass der Kubikmeter der uns umgebenden Luftschicht
kaum mehr Keime zeigt, als bei ruhigem feuchtem Wetter. Denn die
trocknen Winde werden möglicherweise die aufgenommenen Keime auf
einen viel grösseren Raum verteilen und sie namentlich in relativ
hohe Schichten hinaufführen. Ein höherer Wassergehalt der Atmo-
sphäre dagegen, namentlich aber der Eintritt absteigender feuchter Luft-
strömungen und in besonders hohem Grade Condensationen von Wasser-
dampf müssen zum Niedersinken der emporgeführten Staubteilchen
Anlass geben und so zunächst eine Zunahme des Keimgehalts in den
der Erdoberfläche nahen Luftschichten bewirken, bis eventuell fort-
gesetzte Kondensationen und Niederschläge den grössten Teil der
Bakterien dem Boden wieder zugeführt haben.
Pfeiffee, Vorkommen und Verhalten der Bakterien in der Luft. 499
Gefahr der Luftkeime.
Im grossen und ganzen hat man früher der Luft wohl eine zu
bedeutende Rolle bei der Verbreitung saprophytischer und infektiöser
Keime zugeschrieben. Durch die Erfahrungen beim bakteriologischen
Arbeiten und in der chirurgischen Praxis ist es evident geworden, dass
Bakterien aus ruhiger Luft nur selten in vorhandene Nährsubstrate
geraten, dass schon eine einfache Bedeckung, welche die vertikal herab-
fallenden Stäubchen aufhält, einen äusserst wirksamen Schutz selbst
in unreiner Luft gewährt, und dass weitaus häufiger als durch Luft-
keime eine Einschleppung von Bakterien durch unreine Objekte, un-
beabsichtigte Berührungen u. dgl. erfolgt. Dagegen scheint eine stark
bewegte, staubige Luft reichliche Gelegenheit zur Verbreitung von
Bakterien zu bieten, und bewerkenswert ist es, wie massenhaft letztere
auf einem kühleren Objekt — in Eis gelegenen Nahrungsmitteln u. dgl.
— mit dem gleichzeitig kondensierten Wasserdampf niedergeschlagen
werden können. Aber auch dann bilden stets die pathogenen
Bakterien immer nur einen verschwindenden Bruchteil gegenüber den
Saprophyten. In der freien Luft geht vielmehr die Verdünnung
pathogener Keime bald so ins Unendliche, dass eine direkte In-
fektion von da aus zur Seltenheit wird. Dagegen kommt die Luft
innerhalb der Wohnungen und in der Nähe des Kranken als Infektions-
quelle sehr wesentlich in Betracht. So wissen wir, dass unzweifelhaft
die Pocken durch infektiösen, in der Luft suspendierten Staub über-
tragen werden können, und für die anderen akuten Exantheme, Masern,
Flecktyphus und Scharlach, ist es zum mindesten sehr wahrscheinlich.
Aber auch bakterielle Krankheiten werden durch Luftstaub hervor-
gerufen; so entsteht der bei gewissen Fabriksbetrieben unter den Ar-
beitern häufiger auftretende Lungenmilzbrand durch die Inhalation
von lufttrockenen, anWoll- und Haarpartikelchen haftenden Anthrax-
sporen. Des weiteren sprechen manche Erfahrungen dafür, dass Typhus-
bacillen in staubförmigem Zustande sehr wohl ihre infektiösen Eigen-
schaften für den Menschen bewahren können. Vor allem aber ist hier
die Lungentuberkulose zu nennen, diese furchtbarste Geissei des Menschen-
geschlechtes, welche nach den absolut beweisenden experimentellen
Arbeiten Koch's und seines Schülers Coenet fast ausschliesslich durch
die Einatmung von Luftstaub erzeugt wird, welchem Partikelchen ver-
trockneten und mechanisch zerriebenen tuberkulösen Sputums beige-
mengt sind.
Im ganzen zeigt unser Wissen über den Anteil der Luft an der
Verbreitung infektiöser Krankheiten noch manche Lücken. Doch so
viel lässt sich jetzt sicher sagen, dass frühere Versuche, den Keim-
32*
500 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
gehalt der Luft in einen Causalnexus zu bringen mit der Morbidität
und Mortalität der verschiedensten Infektionskrankheiten, weit über
das Ziel hinausschössen und auf falsche Interpretation unsicherer sta-
tistischer Daten basiert waren.
Drittes Kapitel.
Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden.
Die Verbreitung und das Verhalten der Bakterien im Boden hat
ein ganz besonderes hygienisches Interesse dadurch gewonnen, dass
seit längerer Zeit und namentlich seit den Deduktionen Pettenkofer's
der Boden als ein höchst bedeutsamer Faktor für das Zustandekommen
epidemischer Krankheiten angesprochen ist. Der statistisch erwiesene
Zusammenhang zwischen der Bewegung der Typhusmortalität in Mün-
chen und den Grundwasserschwankungen daselbst lieferte das haupt-
sächlichste Argument für die Anschauung, dass irgend welche im Boden
sich abspielenden Vorgänge von massgebendem spezifischem Einfluss
seien auf die Ausbreitung einer Reihe von Infektionskrankheiten. Jene
statistischen Beobachtungen Hessen an sich eine dreifache Deutung zu :
erstens konnte der durch die Grundwasserschwankungen angezeigte
Vorgang im Boden für die Entwicklung der Infektionskeime von
Einfluss sein, oder zweitens nur den Transport der im Boden vor-
handenen Keime zum Menschen befördern, oder drittens, eine direkte
Beziehung zwischen dem Verhalten des Bodens und den Infektions-
keimen war nicht vorhanden, sondern mehr eine indirekte, derart,
dass sowohl das scheinbar disponierende Verhalten des Bodens wie
die Verbreitung der Epidemie auf einen dritten gemeinsamen,
ursächlichen Faktor zurückgeführt werden mussten. — Ferner
fragte es sich, wenn irgend welcher direkte Einfluss des Bodens
auf einen oder einige Infektionserreger erwiesen war, ob derselbe für
das Zustandekommen einer epidemischen Ausbreitung der betreffen-
den Krankheiten unbedingt als erforderlich erachtet werden musste, so
dass dem Boden eine un erlässliche spezifische Rolle zukam, oder
ob die Ausbreitung der gleichen Krankheit häufig auch auf anderen
Wegen ohne alle Mitwirkung des Bodens erfolgen kann.
Eine Entscheidung dieser Fragen war offenbar nur möglich mit
Hilfe einer genaueren Kenntnis der Krankheitserreger, ihrer Lebens-
cigenschaften und der Art ihrer Verbreitung; ehe wir über diese Kennt-
Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 501
nisse verfügten, waren lediglich Vermutungen über die nähere Be-
ziehung zwischen Boden und Infektionskrankheiten möglich.
Pettenkoeer und seine Schüler suchten es früher wahrscheinlich
zu machen, dass eine bestimmte Beschaffenheit des Bodens sowohl auf
die Entwicklung der Krankheitskeime wie auf den Transport derselben
zum Menschen in eigentümlicher Weise einwirke; ein poröser, mit
organischen Abfallstoffen durchsetzter und wechselweise durchfeuchteter
Boden sollte für die Entwicklung und eine Art Reifung der Infektions-
erreger unerlässlich sein, und derselbe Boden sollte vielleicht bei
einem bestimmten Grade von Austrocknung die Möglichkeit zum Ent-
weichen der infektiösen Keime mit Hilfe von transportierenden Luft-
strömungen liefern.
Diese Deutung war gewiss nach dem damaligen Stande der
Kenntnisse über die Natur der Krankheitserreger berechtigt; eingehende
Studien über das biologische Verhalten, den Entwicklungsgang und
die Existenzbedürfnisse der Krankheitserreger haben indes die Halt-
losigkeit jener früheren Anschauungen über das Zustandekommen der
Infektionskrankheiten und speziell auch über den Einfluss des Bodens
auf die pathogenen Bakterien erwiesen.
Fassen wir zunächst dasjenige, was bisher über das allgemeine
Verhalten der verschiedensten Bakterien im Boden durch direkte
Beobachtung und durch das Experiment ermittelt ist, kurz zusammen,
so ergiebt sich in erster Linie das übereinstimmende Resultat, dass
in der That das Bakterienleben im Boden ein äusserst reges ist,
dass der Boden offenbar das hauptsächlichste Reservoir der Bakterien
bildet, in welches der grösste Teil aller bakterienhaltigen Flüssigkeiten,
fast alle Abfallwässer, Exkrete u. s. w. gelangen, und zu dessen Ober-
fläche auch die in die Luft übergegangenen Keime grossenteils wieder
zurückkehren. Von den verschiedensten Beobachtern sind stets enorme
Zahlen von Bakterien im Boden gefunden. Aus gedüngter Acker- oder
Gartenerde gehen oft in jeden Tropfen eines mit lOOfacher Verdünnung
bereiteten Infuses noch Tausende von Bakterien über, und auch der
gewöhnliche Strassen- und Hofboden zeigt deren eine bedeutende Menge.
Vorwiegend finden sich Bacillen, doch in den oberflächlichsten Schichten
und bei feuchterem Boden auch zahlreiche Mikrokokkenarten. Einige
Arten sind entschieden vorherrschend und finden sich an den ver-
schiedensten Orten und zu den verschiedensten Zeiten im Boden, während
sie in anderen Substraten viel seltener vorkommen, z. B. der Bac.
mycoi'des und einige noch nicht näher beschriebene Arten. Sehr
oft müssen die verschiedenen Bacillen in Form von Dauersporen im
Boden vorhanden sein, wie aus den Desinfektionsversuchen mit Be-
stimmtheit geschlossen werden darf.
502 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Auch pathogene Arten kommen nicht selten zur Beobachtung.
Bekannt sind als Bodenbewohner die Erreger des malignen Ödems, des
infektiösen Tetanus, der Bac. septicus agrigenus u. a. Diese patho-
genen Arten sind im Boden weit verbreitet und besonders reichlich
enthalten in der Erde unserer Gärten und Felder, welche mit dem
Mist unserer Haustiere gedüngt sind. Wahrscheinlich stammen die
Sporen der Tetanus- und Odembacillen eben aus dem Darmkanal der
grösseren Pflanzenfresser, wo sie die für ihr Wachstum unerlässlichen
streng anaeroben Verhältnisse und ein geeignetes Nährsubtrat vor-
finden. Impft man mit nicht zu kleinen Mengen von der Oberfläche
eines beliebigen Bodens Mäuse, Meerschweinchen oder Kaninchen,
so erhält man stets einen viel höheren Prozentsatz von erkrankten
Tieren, als bei der Impfung mit irgend einer bakterienreichen Faul-
flüssigkeit. Dabei haben wir Grund anzunehmen, dass die infektiösen
Erkrankungen durch Boden noch mannigfaltiger ausfallen und zur
Isolierung anderer Arten von pathogenen Pilzen führen würden, wenn
nicht die Verbreitung jener Odem- und Tetanusbacillen eine so
grosse wäre, dass dieselben andere Infektionserreger verdecken und den
Tod des Tieres herbeiführen, ehe andere, langsamer wachsende Bakterien
zur Vermehrung gelangen können. — Diese hervorragende Infektions-
tüchtigkeit des Bodens schien von vornherein offenbar der Annahme
einer spezifischen Bedeutung des Bodens für das Zustandekommen auch
der menschlichen Infektionskrankheiten günstig zu sein.
Ferner wissen wir, dass im Boden ein reges Bakterienleben
herrscht, dessen Thätigkeitsäusserungen von hoher Bedeutsamkeit sind.
So konnten Schlösing und Müntz und später Warington nach-
weisen, dass die Salpeterbildung aus dem Ammoniak der organischen
Substanzen vorzugsweise durch niedere Organismen bewirkt wird;
erhitzter oder mit desinfizierenden Mitteln behandelter Boden stellt
diese sonst regelmässig beobachtete Thätigkeit fast völlig ein. In
ähnlicher Weise gelang es Wollny und Fodor (Hygien. Untersuch.
über Luft, Wasser etc. Braunschweig 1882) zu zeigen, dass auch
die Bildung der Kohlensäure im Boden ausschliesslich auf die Lebens-
thätigkeit niederer Organismen zurückzuführen ist. Ferner haben
Gaton und Dupetit sowie Deherain und Maqtjenne den Nach-
weis erbracht, dass bei Sauerstoffmangel eine Reduktion der Nitrate
zu Nitriten, Ammoniak und Stickstoff durch die Bakterien des
Bodens stattfinden kann. Nach Untersuchungen von Heraetjs (Z. 1)
vermögen viele Bakterienarten (so der Bac. prodigiosus, die Käsespi-
rillen, FiNKLERschen Spirillen, Typhusbacillen, Milzbrandbacillen, Sta-
phylokokken) Ammoniak zu salpetriger Säure zu oxydieren, während
andere Arten (z. B. zwei aus Wasser gezüchtete Bacillen) in ausge-
Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 503
sprochener Weise Reduktion der Nitrate bewirken. Schlösing und
Müntz hatten die Nitrifikation als ausschliessliche Leistung einer ein-
zelnen, von ihnen aus dem Boden isolierten Bakterienart ansprechen
wollen, aber es war ihnen nicht gelungen, wirkliche Reinkulturen zu
gewinnen. So konnte lange Zeit die Auffassung von Hbeaeus, wonach
eine grössere Zahl von Bakterien an der Bodennitrifikation sich beteiligt,
herrschend werden. Erst durch die mustergiltigen Untersuchungen
Winogradskt's (Annales de linst. Pasteur T. VI) über die Nitrifi-
kationsvorgänge im Boden ist die ursprüngliche Ansicht von Schlösing
und Müntz als thatsächlich begründet erwiesen worden, da es gelang,
aus dem Boden eine wohlcharakterisierte Bakterienart mit höchst merk-
würdigen biologischen Eigenschaften zu isolieren, welche als das nitri-
fizierende Ferment par excellence zu betrachten ist.
Weiter liegen über die Verteilung der Bakterien im Boden zahl-
reiche und ausführliche Beobachtungen vor. Die Bakterien gelangen
mit den Abfallflüssigkeiten, aus der Luft u. s. w. zunächst gewöhnlich
auf die oberflächlichsten Schichten und in diesen finden wir daher
weitaus die grösste Zahl von Bakterien. Von Versitz- und Abortgruben
aus geraten auch viele Bakterien sofort in etwas tiefere, 1 — 3 Meter
unter der Oberfläche befindliche Schichten und imprägnieren diese in
der näheren Umgebung der Gruben besonders stark. Es fragt sich nun,
ob von jenen Invasionsstellen aus eine Verbreitung der Bakterien über
weitere Strecken des Bodens in horizontaler und vertikaler Richtung
stattfindet. Als Transportmittel könnten dabei entweder in erster Linie
Wasser- oder Luftströmungen in Betracht kommen. Erstere würden
eventuell beim Durchsickern von der Oberfläche her durch den Boden
bis zum Grundwasser hin die Bakterien in die Tiefe und in das Grund-
wasser führen, oder kapillar aufwärts steigendes Wasser schafft bei starker
Verdunstung von der Oberfläche die unten angesammelten Bakterien
nach den oberen Schichten. Beide Transportarten haben sich aber bei
experimenteller Prüfung als nicht anwendbar erwiesen. Zahlreiche
Filtrationsversuche im grossen und im kleinen haben aufs deutlichste
gezeigt, dass eine Bodenschicht von V2 — I Meter Dicke schon ein vor-
zügliches Filter für Bakterien darstellt; im gewachsenen und nament-
lich im lehmhaltigen Boden und bei der äusserst langsamen Fort-
bewegung von Flüssigkeiten im natürlichen Boden muss dort die
Reinigung derselben von Bakterien noch weit vollkommener sein.
Damit harmoniert auch die zuerst von Koch, später auch im Institut von
C. Flügge und von C. Fränkel (Z. II) konstatierte Thatsache, dass die
tieferen Bodenschichten ausserordentlich viel weniger resp.keine Bakterien
enthalten im Gegensatz zu den stets enorm reichen oberflächlichen
Schichten (abgesehen natürlich von künstlich aufgeschüttetem Boden).
504 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Ferner ist es eine allgemeine Regel, dass Brunnen, welche gegen eine
Verunreinigung durch Bakterien seitens der Oberfläche und des
Brunnenschachtes gut geschützt sind, ein fast bakterienfreies Wasser
liefern; dass ferner Brunnen mit bakterienhal tigern Wasser um so
reiner werden, je mehr gepumpt wird und je mehr Grundwasser aus
den umgebenden tieferen Bodenschichten zutritt. Diese Keimarmut resp.
Sterilität der Bodenschichten und des Grundwassers gilt zunächst nur
für Bodenverhältnisse, welche den in der norddeutschen Tiefebene
herrschenden ähnlich sind, wo also diluviale Schichten feinen oft auch
lehmhaltigen Sandes die Bodenzusammensetzung wesentlich bestimmen.
In Gegenden, wo der Boden aus grobem Kies und Schotter besteht,
wird die filtrierende Kraft des Bodens sehr viel weniger hervortreten
und wir müssen erwarten, auch in tieferen Bodenschichten und im
Grundwasser auf Bakterien zu stossen.
In der Regel wird aber ein Tieferspülen von in den Boden ein-
gedrungenen Bakterien nur in sehr geringem Grade stattfinden, zumal
auch der Durchtritt der Flüssigkeiten selbst und der gelösten Sub-
stanzen nach Hofmann's Untersuchungen nur ausserordentlich langsam
vor sich geht und meist Monate und Jahre gebraucht, bis die dem
Grundwasser nahen Schichten erreicht sind.
Dass ein kapillar aufsteigender Flüssigkeitsstrom Bakterien aus
tieferen Bodenschichten in oberflächlichere fortzuführen imstande sei,
ist seiner Zeit von Soyka *) auf Grund einer Versuchsreihe behauptet.
Dieselben Versuche haben indess bei einer Wiederholung durch
A. Pfeiffer2) und im KocKschen Institut zu ganz entgegengesetzten
Resultaten geführt. Selbst wenn aber eine solche Beförderung von
Bakterien durch Kapillarströme in geringfügigem Grade möglich wäre,
so hätten wir doch kaum anzunehmen, dass damit unter natürlichen
Verhältnissen ein ausgiebig verwertbares Transportmittel für Bakterien
gegeben sei; denn wir haben in den tieferen Bodenschichten gerade
die bakterienarmen, in den oberflächlichsten dagegen die bakterien-
reichen Zonen kennen gelernt, und ausserdem würde für den Trans-
port der Bodenkeime aus dem Boden heraus zum Menschen die
Kapillarströmung immerhin kaum eine Bedeutung haben, weil, wie wir
sehen werden, für diesen nur die Beschaffenheit der äussersten Boden-
oberfläche in Frage kommt.
Ob Luftströmungen durch den Boden hindurch Bakterien fortbe-
wegen können, ist zuerst vonNÄGELi, dann von Renk, Soyka, A.Pfeiffer,
Petri u. A. experimentell geprüft worden. Alle Beobachter sind zu
1) P. W. 1885. Nr. 28.
2) Repert, d. anal. Ch. 1886. Nr. 1. — Z. 1. Heft 3.
Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 505
dem übereinstimmenden Resultat gelangt, dass selbst starke Luftströme
durch eine Bodenschicht von wenigen Centimetern Dicke nicht einen
einzigen Bakterienkeim hiedurchzuführen vermögen; die Bodenschicht
wirkt selbst im völlig trockenen Zustand vollkommen filtrierend, und
in dem natürlichen, stets etwas feuchten Boden und bei den mini-
malen Bewegungen der Bodenluft wird demnach um so weniger jemals
die Möglichkeit für eine Loslösung und Fortführung von Bakterien
gegeben sein. — Schliesslich könnte noch an eine Verbreitung der
Bakterien durch Fortwachsen gedacht werden. Die energischen
Oxydationsvorgänge im Boden geben uns allerdings von einem regen
Leben und dementsprechend auch von einer starken Vermehrung der
Bodenbakterien Kunde, aber selbst bei einem sehr lebhaften Wachstum
würden doch die enorm grossen Flächen, welche ein poröser Boden
darbietet, nur ein äusserst langsames Vorrücken der Vegetationen ge-
statten, und vollends für pathogene Bakterien würde diese Art der
Verbreitung ganz in Wegfall kommen. — Schliesslich kann in man-
chen Fällen wohl ein Transport von Bakterien durch allerlei im Boden
lebende und sich fortbewegende Tiere, z. B. durch Regenwürmer er-
folgen, der aber nur sehr beschränkten Umfang haben wird.1) Im
ganzen haben wir somit die Bakterien des Bodens als lokal fixiert
und nur langsam und durch kleine Strecken ihren Ort verändernd
zu denken.
A. Verhalten der pathogenen Bakterien Im Boden.
Ganz besonders wichtig sind für uns sodann die Ergebnisse der
neueren Untersuchungen über das Verhalten der pathogenen Bakterien
im Boden. Wir haben namentlich zu sehen, ob wirklich eine spezifische
Beeinflussung der pathogenen Bakterien durch den Boden zustande
kommt, ob etwa ein solcher Einfluss nachweisbar wird in einer Be-
günstigung des Wachstums und der Vermehrung der pathogenen Bak-
terien, oder ob er sich auf die Sporenbildung und Konservierung der-
selben erstreckt, oder ob drittens nur die Verbreitung der Infektions-
erreger vom Boden zum Menschen eine Abhängigkeit von bestimmten
Bodenverhältnissen ergiebt.
1) So glaubte Pasteur, dass durch die Regenwürmer Milzbrandsporen, welche
sich in vergrabenen Milzbrandkadavern bilden sollten, an die Oberfläche des
Bodens transportiert werden könnten, und hielt diese Möglichkeit für um so näher
liegend, als direkte Versuche ergaben, dass verfütterte Anthraxsporen sich im
Darm dieser Tiere längere Zeit haltbar erwiesen. Aber die Voraussetzung, von
welcher Pasteur ausging, ist unrichtig, denn wir wissen jetzt, dass in vergrabenen
Milzbrandkadavern Sporenbildung nicht eintritt.
506 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
I. Findet Vermehrung pathogener Bakterien im Boden statt?
Die Möglichkeit einer Vermehrung pathogener Pilze im Boden
müssen wir nach unseren jetzigen Kenntnissen über die Lebensbedürf-
nisse derselben als in hohem Grade unwahrscheinlich bezeichnen. In
tieferen Schichten ist allein schon die niedrige Temperatur genügend,
um diese Kategorie von Bakterien an einer Vermehrung völlig zu
hindern.1) In denjenigen höheren Schichten, welche immer oder zeit-
weise eine Temperatur von mindestens 16° zeigen, könnte ein "Wachs-
tum von pathogenen Pilzen stattfinden, wenn entsprechende Nährsub-
stanzen vorhanden, wenn keine die Entwicklung hemmenden Stoffe
zugegen sind und wenn nicht rascher wachsende Saprophyten in Kon-
kurrenz treten. Diese Bedingungen sind aber unter gewöhnlichen
Verhältnissen fast niemals erfüllt. Zahlreiche Versuche von Bolton,
Heeaeus (Z. 1, 1. c.) u*. A. haben auf das bestimmteste gezeigt, dass selbst
die Typhusbacillen, die unter den übrigen pathogenen Pilzen noch am
wenigsten wählerisch sind, doch eine geringe Menge bester Nährstoffe
unbedingt zum Wachstum und zur Vermehrung erfordern. Die patho-
genen Bakterien stehen in dieser Beziehung in schroffem Gegensatz zu
einigen saprophytischen Arten, welche mit Nährstoffen fast jeder
Qualität ihren Haushalt bestreiten und es daher auch im Boden zu
einer lebhaften Vermehrung bringen können. Bessere Nährstoffe sind
aber höchstens vorübergehend an vereinzelten Lokalitäten in den ober-
flächlichsten Bodenschichten zu finden, weil stets eine schnelle Zer-
störung und Dekomposition durch saprophy tische Bakterien und durch
die Flächenwirkung der Bodenelemente erfolgt. In reinem ver-
dünnten Harn lassen sich allerdings verschiedene pathogene Bakterien
züchten, und ebenso hat Scheakamp (Arch. f. Hygiene. Bd. II) eine Ent-
wicklung von Milzbrandbacillen konstatieren können in einem vorher ste-
rilisierten und dann mit Harn, Blutserum, Nährgelatine u. s. w. versetzten
Boden. Daraus ist aber für die Verhältnisse des natürlichen Bodens nicht
1) Sehr beweisend für diese Annahme ist der Ausfall der C. FitÄNKEi/schen
(1. c.) Versuche. Derselbe brachte frisch auf Nähragar und Nährgelatine angelegte
Reinkulturen von Milzbrand, Cholera und Typhus in verschiedene Bodentiefen
und prüfte nach 2—3 Wochen, ob Wachstum eingetreten war oder nicht. Es er-
gab sich, dass Milzbrand schon in 2 Meter Tiefe nur noch ausnahmsweise zum
Wachstum kommt, in 3 Meter Tiefe gar nicht mehr gedeiht und auch in V/2 Meter
Tiefe in der Entwicklung zurückbleibt. Die Bacillen der Cholera hatten nur in
den Monaten August, September und Oktober in 3 Meter Tiefe Kolonien gebildet,
in den übrigen Monaten waren sie nicht zum Auswachsen gekommen. Vom
April bis Juli waren sie auch in 2 Meter Tiefe ausgeblieben. Am wenigsten
empfindlich erwies sich der Typhus, welcher nur vom April bis Juni in 3 Meter
Tiefe versagte, im übrigen aber ein recht kräftiges Wachstum entfaltete.
Pfeipfek, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 507
das mindeste zu folgern. Auf diesen gelangen für gewöhnlich die Exkrete
und Abwässer in schon stark alteriertem Zustande und reichlich mit
saprophytischen Bakterien durchsetzt; im Boden erleiden sie meist
eine starke Verdünnung durch die Niederschläge; die Schichten, in
welchen sie zunächst aufgehalten werden, sind ebenfalls mit Sapro-
phyten und Gährungserregern durchsetzt und geeignet, die rasche
Dekomposition des Materials ihren Fortgang nehmen zu lassen. Ein
gedüngter Boden bietet daher ganz wesentlich andere Nährbedingungen
dar, als jene reinen Versuchsflüssigkeiten, und Schlussfolgerungen auf
das Verhalten des natürlichen Bodens werden nur aus Experimenten
mit wirklichem gedüngten Acker- und Gartenboden zu ziehen sein.
Solche sind bereits von Koch angestellt; derselbe versuchte Milzbrand-
bacillen in Gartenerde, in sehr humusreicher Erde vom Ufer eines
Flusses, im Schlamm desselben, sowie im Strassenschlamm (welche
Substanzen mit etwas Wasser versetzt wurden) zu züchten, dieselben
zeigten jedoch kein Wachstum. — Sodann hat Pkaussnitz im Institut
von C. Flügge Untersuchungen in dieser Richtung angestellt; dieselben
haben aber bei keiner Bodenart und bei keiner Art der Düngung eine
irgend ausgiebigere oder anhaltende Vermehrung pathogener Bakterien
ergeben. Es ist wohl möglich, dass hier und da Grade der Boden-
verunreinigung existieren mögen, welche eine kurzdauernde lokale
Vermehrung gestatten, aber im ganzen gehört eine derartige Fähig-
keit des Bodens jedenfalls selbst unter den im Laboratorium gesetzten
Bedingungen zu den Ausnahmen. Und dabei sind diese Bedingungen
insofern für die Vermehrung der pathogenen Bakterien ausserordent-
lich viel günstiger wie unter den natürlichen Verhältnissen,, weil in
denselben durchweg ein vorher bei 100 ° sterilisierter, von anderen Bak-
terien freier Boden und eine C02 -freie Luft zur Anwendung kommen. In
Wirklichkeit wird die Konkurrenz der Saprophyten, die dort ihre
günstigsten Existenzbedingungen vorfinden, sowie die Anhäufung der
C02 einer Vermehrung der pathogenen Bakterien in noch weit stär-
kerem Masse hinderlich sein.
Demnach erscheint es für die Frage der Vermehrung der patho-
genen Bakterien im Boden auch relativ gleichgiltig, ob ein Boden
mehr oder weniger „verunreinigt", d. h. mit Abfallstoffen imprägniert
ist. Möglicherweise führt ein Mehr oder Weniger wohl zu einem
gewissen Wechsel der herrschenden Bakterienarten, aber alle diese
gehören zur Kategorie der obligaten Saprophyten und gewähren kei-
nen Raum für die in ihren Lebensbedingungen viel empfindlicheren
fakultativen Parasiten. Es wird gewiss zuweilen der Fall vorkommen,
dass auch einmal eine Reinkultur pathogener Bacillen zusammen mit
gutem Nährmaterial in die oberen Bodenschichten gelangt (wie z. B.
508 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Blut von Milzbrandkadavern), und dann wird in dem so imprägnierten
Boden zunächst noch eine Vermehrung der Milzbrandbacillen erfolgen,
aber das ist dann offenbar keine besondere Leistung des Bodens, son-
dern das gleiche kann sich auf jedem anderen Substrat abspielen.
Auch Typhus- und Cholerabacillen, die mit frischen Dejektionen in
einen mit schlechten Nährstoffen und Massen von Saprophyten durch-
setzten Boden gelangen, werden vielleicht noch eine kurze Frist auf
Kosten der in den Dejektionen mitgebrachten Nährstoffe eine gewisse
Vermehrung leisten, wie sie das auch unter den verschiedensten an-
deren Umständen ohne Berührung mit dem Boden thun würden; dabei
tritt keinerlei begünstigender spezifischer Einfluss des Bodens und der
Bodenverunreinigung hervor, sondern im ganzen eher ein schädigender
Effekt.
II. Findet im Boden eine Konservierung pathogener
Bakterien statt?
Etwas anders muss vielleicht unsere Antwort ausfallen, wenn wir
fragen, ob etwa eine Konservierung pathogener Bakterien im Boden
besonders leicht zustande kommt. Es könnte dies geschehen durch
eine Begünstigung der Sporenbildung oder durch eine besonders lange
Konservierung der präformierten oder im Boden gebildeten Sporen,
oder durch eine Erhaltung auch sporenfreier Bakterien in lebensfähigem
Zustande. Soyka (F. 86. 9) hat in einer Versuchsreihe mit Milzbrand-
bacillen beobachtet, dass in denselben schneller Sporen gebildet werden,
wenn bacillenhaltige Flüssigkeiten im Boden vertheilt sind, als wenn sie
in den ursprünglichen Flüssigkeiten unter sonst gleichen Verhältnissen
(bei gleicher Temperatur u. s. w.) aufbewahrt werden. Nun erfolgt die
Sporenbildung bei den Milzbrandbacillen wesentlich nur an der Ober-
fläche der Flüssigkeiten, und eine Flüssigkeit zeigt sich daher stets
um so reicher an Sporen und um so früher mit denselben beladen, in
je dünnerer Schicht sie ausgebreitet ist. Im nicht mit Feuchtigkeit
übersättigten Boden werden aufgegossene Flüssigkeiten schnell in
dünnsten Schichten verteilt, und somit werden dort die besten Be-
dingungen für die Sporenbildung gegeben. Dies kann aber in ähnlicher
Weise in irgend welchen dünnen, auf der Oberfläche beliebiger Substrate
ausgebreiteten Schichten geschehen.
Soyka hat die Beschleunigung der Sporenbildung am ausge-
sprochensten eintreten sehen bei einem Feuchtigkeitsgehalt des Bodens,
der zwischen einer Füllung von 75 °/0 der Poren mit Flüssigkeit
und zwischen einer solchen von 25 °0 der Poren schwankte, also
Pfeiffee, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 509
jedenfalls in sehr weiten Grenzen, die ausserdem in den betreffenden
Versuchsreihen nicht einmal scharf hervortreten, da auch bei 100 °/0
Porenfüllung immer noch reichliche Sporen mit zum Teil sehr gering-
fügiger Verspätung gefunden wurden, und da bei den unter 25 °/0
gelegenen Feuchtigkeitsgraden die zu grosse Verteilung der Sporen
eine Vergleichbarkeit der Resultate ausschloss.
Eine Sporenbildung der Milzbrandbacillen unterhalb 18° oder
überhaupt bei Bedingungen, welche die Sporenbildung in Flüssigkeiten
verhindern, konnte Sotka im Boden nicht konstatieren.
Sonach ergiebt sich aus diesen Versuchen keineswegs irgendwelcher
bedeutsamer und spezifischer Einfiuss des Bodens auf die Sporenbil-
dung der Milzbrandbacillen, sondern diese liefern, wenn sie in die
oberflächlichen, in einigermassen trockenem Zustand befindlichen Boden-
schichten gelangen, dort in der nämlichen Weise — vielleicht hier und
da etwas schneller, was aber gewiss nicht von Belang ist — Sporen,
wie in oberflächlich angesammelten Resten von Milzbrandkadavem, in
Dejektionen von milzbrandigen Tieren, auf den vegetabilischen Nähr-
substraten in sumpfigen Niederungen u. s. w.
Es ist immerhin denkbar, dass bei anderen pathogenen Bacillen,
die im ganzen weniger geeignet sind zur Sporenbildung, als die Milz-
brandbacillen, noch eine Sporenbildung gefunden wird, die in exklu-
siverer Weise unter den dem Boden eigentümlichen Verhältnissen weit-
aus am günstigsten vor sich geht, bis jetzt haben wir aber für eine
solche Anschauung noch keine thatsächlichen Anhaltspunkte.
Dagegen werden wahrscheinlich die präformierten oder im Boden
gebildeten Sporen dort entschieden besser als in irgend welchen ober-
flächlichen Substraten konserviert. In letzteren sind die Sporen
durch Niederschläge, durch Wasser- und Windströme, welche neue
Nährsubstanzen zuführen, eingetrocknete Massen wieder befeuchten,
die Sporen auf andere nährstoffreiche Stellen verschleppen u. s. w.,
sehr leicht der Möglichkeit ausgesetzt, wieder in Bacillen auszuwachsen
und dann konkurrierenden Saprophyten zu unterliegen. Im Boden
sind dagegen fast durchweg die ungünstigen Nährbedingungen und die
ungünstigen Temperaturverhältnisse einem Auskeimen hinderlich, und
so kann man es sich erklären, dass die einmal vorhandenen Sporen
dort lange persistieren, und dass der Boden jene oft beobachtete Menge
resistenter Dauerformen ansammelt.
Aber auch sogar ohne voraufgegangene Sporenbildung vermag
der Boden möglicherweise die verschiedensten Bakterien, mit Einschluss
gewisser pathogenen, zu konservieren. Wir sahen früher, dass sporen-
freie Bakterien unter natürlichen Verhältnissen hauptsächlich deshalb
leicht zu Grunde gehen, weil sie sich entweder in flüssigen Medien
510 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
befinden, dann aber der Gefahr der Überwucherung durch andere Bak-
terien ausgesetzt sind, oder aber weil die Nährsubstrate austrocknen
und die Wasserentziehung sie tötet.
Wir können uns nun vorstellen, dass im Boden und selbst in so-
genanntem trockenen Boden durch die mit Wasserdampf stets gesättigte
Luft und die Wasserdampfhüllen der Bodenelemente ein schädigendes
Austrocknen von Bakterien nicht leicht vor sich geht, dass aber anderer-
seits, wie Soyka hervorgehoben hat, die Anordnung der Flüssigkeit
im Boden in dünnen, kapillaren, die Körnchen umgebenden Lamellen
eine Art Fixierung der Bakterien bewirkt und den freien Verkehr, wie
er in dickeren Flüssigkeitsschichten stattfindet, hindert. Dadurch würde
dann sowohl ein Überwuchern wie ein Austrocknen vermieden sein,
und beide im Boden in ganz exzeptioneller Weise vorhandenen Momente
können vielleicht zu einer Konservierung sporenfreier pathogener Bak-
terien führen, wie sie in anderen Substraten viel seltener vorkommt.
So spricht manches dafür, dass Typhusbacillen im Boden vielleicht
jahrelang ihre Infektiosität bewahren.
Von praktischem Interesse ist die hieran sich knüpfende Frage,
wie lange in vergrabenen Leichen von Menschen und Tieren, welche
an infektiösen Krankheiten gestorben sind, die pathogenen Mikroorga-
nismen sich lebend und virulent erhalten. Aus den sorgfältigen, Jahre
lang fortgesetzten Versuchen des Kaiserlichen Reichsgesundheitsamtes
(Arb. aus dem Kais. Gesundheitsamt. Bd. VII) geht hervor, dass die
von Kirchhöfen drohende Gefahr für die Gesundheit der Anwohner
früher vielfach stark überschätzt worden ist. Milzbrandkeime er-
wiesen sich in verscharrten Tierkadavern in der Regel nach einigen
Monaten als völlig abgestorben, nur wenn schon vor dem Vergraben
an der Oberfläche der Kadaver die Sporenbildung begonnen hatte,
waren einigemal ganz vereinzelte Keime noch nach 2 und selbst
5 Jahren durch Verimpfung auf Mäuse aufzufinden. Cholerabacillen
konnten nach dem j 2. Tage nur noch ausnahmsweise gezüchtet werden,
nach dem 19. Tage dagegen nicht mehr. Nicht völlig einwandsfrei
sind die Versuche mit Typhuskadavern. Die Typhusbacillen wurden
nämlich schon nach 17 Tagen vermisst. Möglicherweise ist dies auf-
fällige Resultat mitbedingt durch die Schwierigkeiten, welche bei dem
bakteriologischen Nachweis spärlicher Typhuskeime in von Saprophyten
wimmelnden Medien zu überwinden sind. Tuberkelbacillen waren
längstens nach 3 Monaten abgestorben. Diese Angaben stehen im
Gegensatz zu gewissen Befunden von Schottelius, der an vergrabenen
Phthisikerlungen im Erdboden sogar eine Vermehrung der Tuberkel-
bacillen beobachtet haben wollte, was jedoch noch sehr der Bestätigung
bedarf.
Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 51 1
Diese relativ geringe Haltbarkeit der pathogenen Keime in ver-
grabenen Kadavern steht nicht im Gegensatz zu den früher betonten
konservierenden Eigenschaften des Bodens, da die in den faulenden
Leichenteilen in exzessiver Weise vor sich gehende Wucherung sapro-
phytischer Bakterien für die pathogenen Mikroorganismen sehr viel
ungünstigere Chancen schafft, als sie sonst irgendwo im Boden reali-
siert sind.
Ist nun die konservierende Eigenschaft des Bodens für pathogene
Bakterien örtlichen und zeitlichen Schwankungen unterworfen, und
würden diese Schwankungen ausreichend sein, um in Pettenkofeb's
Sinne die örtlich und zeitlich verschiedene Ausbreitung epidemischer
Krankheiten zu erklären?
In der That mögen zeitliche und örtliche Differenzen des Konser-
vierungsvermögens des Bodens vorhanden sein. So kann kompakter
Felsboden, der gar keine Flüssigkeiten und Bakterien eindringen lässt,
für eine Konservierung überhaupt nicht in Frage kommen. Ferner
können auch im übrigen die verschiedenen Arten des porösen Bodens
je nach ihrer Korngrösse und Durchlässigkeit quantitative Differenzen
zeigen. Vielleicht ist auch die stärkere oder geringere Verunreinigung
des Bodens von Einfluss, jedoch nur in dem Sinne, dass ein stärkerer
Gehalt an Saprophyten und an Nährstoffen den Boden schlechter ge-
eignet macht zur Konservierung pathogener Bakterien.
Zeitlich mögen auch gewisse Schwankungen hervortreten; nament-
lich ist es denkbar, dass ein stark durchfeuchteter Boden mehr die
Verhältnisse einer Flüssigkeit repräsentiert und die erforderliche schnelle
Verteilung und Fixierung der bakterienhaltigen Massen, sowie dje gleich-
zeitige Einwirkung der in den Poren des nur teilweise durchfeuchteten
Bodens enthaltenen Luft hindert und dadurch die Konservierung vereitelt.
Da eine starke Durchfeuchtung der oberen Bodenschichten gewöhn-
lich mit hohem Grundwasserstand einhergeht, so mag häufig ein Sinken
des Grundwassers die Disposition des Bodens zur Konservierung patho-
gener Bakterien anzeigen.
Aber trotz dieser vielleicht vorhandenen zeitlichen und örtlichen
Schwankungen würde das Konservierungsvermögen des Bodens doch
nicht im entferntesten geeignet sein, auf die Verbreitung epidemischer
Erkrankungen einen ausschliesslichen Einfluss auszuüben. Denn von
keiner Bakterienart dürfen wir annehmen, dass der konservierte Zu-
stand, in welchem sie im Boden vorhanden ist, irgendwie notwendig
ist, um sie zu Übertragungen zu befähigen, sondern alle Infektions-
erreger sind sicher, auch ohne dass sie mit dem Boden in Berührung
kommen, durchaus tüchtig zu weiterer Infektion. Und ferner ist die
Konservierung der pathogenen Bakterien gewiss nicht alleiniges Privi-
512 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
legiuni des Bodens, sondern es kann auch in den verschiedensten
anderen Substraten eine ausreichende Konservierung stattfinden, zumal
wenn die betreffenden Bakterien leicht Sporen bilden, wie die Milz-
brandbacillen. Manche Bodenarten können sich vielleicht in dieser
Beziehung quantitativ auszeichnen, sie vermögen eine hervorragend
lange und vollständige Konservierung zu bewirken, aber dann be-
stehen immerhin noch so viel andere Übertragungsmöglichkeiten für
die pathogenen Bakterien, dass die Beteiligung oder Nichtbeteiligung
des Bodens an der Konservierung in sehr vielen Fällen nicht be-
stimmend auf die Ausbreitung der Epidemie einwirken kann.
III. Wie erfolgt die Verbreitung der konservierten Bakterien
vom Boden zum Menschen?
Drittens fragt es sich, in welcher Weise eine Verbreitung der
im Boden konservierten Bakterien zum Menschen stattfinden kann und
ob etwa für diese Verbreitung eine bestimmte, zeitlich und örtlich
wechselnde Bodenbeschaffenheit einflussreich ist. — Folgende Transport-
wege für die Bodenbakterien können eventuell in Funktion treten:
1. Winde, welche von der oberflächlichen Bodenschicht Staub
und mit diesem Bakterien emporheben und durch die Luft fortführen.
Nach dem, was oben über die Luftpilze und über die Bewegung der
Bakterien innerhalb des Bodens gesagt ist, ist eine solche Loslösung
von Bakterien nur bei völlig trockenem Boden und nur aus derjenigen
oberflächlichen Schicht möglich, welche in Staub verwandelt wird. Ein
völlig durchfeuchteter Boden gestattet ebensowenig ein Fortführen von
Bakterien, wie ein Boden, der zwar eine obere ausgetrocknete Schicht
besitzt, dessen äusserste Oberfläche aber durch geringe Niederschläge
für kurze Zeit wieder befeuchtet ist.
2. das Grundwasser und das aus demselben entnommene Trink-
und Brauchwasser. Eine höhere Schicht gewachsenen Bodens über
dem Grundwasser lässt zwar diesen Transportweg in Fortfall kommen,
aber da, wo das Grundwasser nur durch geringe Schichten lockeren
Bodens von der Oberfläche getrennt ist und beim Ansteigen diese
eventuell erreicht, ferner, wo Risse und Sprünge eine Kommunikation
zwischen einem Grubeninhalt und dem im Haushalt verwendeten
Grundwasser vermitteln, wird ausnahmsweise eine solche Rückbeför-
derung von in den Boden gebrachten Bakterien zu den Menschen und
Wohnungen statthaben.
3. Nahrungsmittel, welche im Boden wachsen (Kartoffeln,
Rüben, Wurzeln u. s. w.) transportieren mit den anhaftenden Erdpar-
tikelchen grosse Mengen von Bakterien aus den oberen Bodenschichten
Pfeiffee, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 513
in die Wohnungen, Küchen, Kochgeschirre, Handtücher u. s. w. und
durch deren Vermittelung eventuell auf andere Nahrungsmittel.
4. Menschen und Tiere, die irgendwie mit dem Boden in Be-
rührung kommen, Gerätschaften, die bei der Bearbeitung des Bodens
benutzt werden u. s. w. u. s. w. können in ähnlicher Weise zu einem
Transport der Bodenpilze in die menschlichen Haushaltungen beitragen.
5. Durch Aufgraben des Bodens und Biossiegen tieferer, aber
noch mit Bakterien durchsetzter Bodenschichten kann es bei gleich-
zeitig herrschenden trockenen Winden zu einem reichlichen Loslösen
solcher pathogener Bakterien kommen, welche aus undichten Gruben
oder in früherer Zeit von der Oberfläche her in den Boden gelangt,
eventuell aber durch Aufschüttung neuer Bodenschichten längst dem
Verkehr mit der Aussenluft entzogen waren. Der mehrfach vermutete
Zusammenhang zwischen Typhuserkrankungen und Aufgrabungen des
Strassenbodens ist vielleicht in solcher Weise zu erklären.
In der That kommen nun diese verschiedenen Transportwege für
die pathogenen Bodenbakterien offenbar nicht in jedem Boden und
zu jeder Zeit gleichmässig zur Anwendung, sondern es existieren örtlich
und zeitlich variierende Momente, welche den einen oder anderen Trans-
portweg begünstigen oder hemmen.
B. Zeitliche Beeinflussung der Verbreitung durch die Bodenfeuchtigkeit.
Am ausgesprochensten zeigt sich eine zeitliche Beeinflussung
des ersten und verbreitetsten Transportwegs, der Verbreitung durch
die Luft, und zwar kommt diese zustande durch den wechselnden
Feuchtigkeitsgrad der oberen Bodenschichten.
Über die in dieser Beziehung wichtigen Verhältnisse der Bodendurchfeuch-
tung haben wir durch Hofmann's1) Untersuchungen klarere Vorstellungen ge-
wonnen, und zwar haben wir im porösen Boden zu unterscheiden zunächst eine
oberflächliche Verdunstungszone, in welcher der Grad der Bodenfeuchtigkeit sehr
schwankt und zwischen völliger Durchfeuchtung und starker Austrocknung
wechselt; in dieser Zone kann oft, wenn infolge der Sommerwärme die Aus-
trocknung sich tiefer erstreckt, die ganze Menge der Spätsommer- und Herbst-
niederschläge Platz finden, ohne dass eine Füllung der kapillaren Poren bis zur
unteren Grenze der Zone herabreicht. Es ist dann also stets noch eine unter-
brechende trockene Schicht zwischen der äussersten, vorübergehend durch Nieder-
schläge befeuchteten Oberfläche und den tieferen, Wasser führenden Bodenschichten.
Auch alle auf den Boden gelangenden Verunreinigungen verbleiben unter solchen
Verhältnissen in der obersten Austrocknungszone.
Unter dieser Schicht folgt dann die sogenannte Durchgangszone, welche das
Gebiet bezeichnet, das von einer Austrocknung niemals mehr erreicht wird, son-
1) A. Bd. 1 u. 2. Heft 2.
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 33
514 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
dem stets die kapillaren Poren mit Wasser gefüllt konserviert. Erhält diese Zoue,
nachdem die ausgetrocknete oberflächliche Schicht endlich wieder ganz mit Nieder-
schlagswasser gefüllt ist, Zufluss von oben, so bleibt trotzdem ihr Wassergehalt
der gleiche, indem der Überschuss nach unten abläuft, und zwar in die dritte
Zone, die des Grundwassers.
Für die Losreissung und Fortführung der Bodenbakterien durch
Luftströmungen sind nun offenbar die günstigsten Verhältnisse dann
gegeben, wenn eine Austrocknungszone besteht. Nur dann kann dieser
wichtigste Transportweg in Betracht kommen. Während des ganzen
Winters und eines grossen Teils des Frühjahrs pflegt in unserem Klima
keine Austrocknungszone und damit keine Möglichkeit für einen solchen
Übergang der Keime in die Luft zu bestehen. Im Spätsommer und
Herbst ist dieselbe dagegen häufig gegeben und cessiert nur zeitweise,
solange Niederschläge die äusserste Oberfläche feucht erhalten.
Da nun die Existenz einer Austrocknungszone stets das Aufhören
oberer Zuflüsse zum Grundwasser und damit ein Sinken des Grund-
wasserstandes zur Folge hat, so ist in den Schwankungen des
Grundwassers ein ziemlich brauchbarer Index für die Möglichkeit
jenes Transports der Bodenbakterien durch Winde gegeben. Völlig
korrekt wird aber dieser Index nicht sein, weil die vorübergehende
(zuweilen sogar durch Wochen und Monate sich erstreckende) Durch-
feuchtung der Bodenoberfläche und die damit verbundene Sistierung
des Transportweges in den Bewegungen des Grundwasserniveaus keinen
Ausdruck findet.
Die übrigen Transportwege unterliegen nur in geringem Grade
zeitlich wechselnden Einflüssen. Dem Grundwasser hat man früher wohl
eine sehr verschiedene Infektiosität zugeschrieben, je nachdem es hoch
oder niedrig steht; für gewöhnlich wird aber der Bakteriengehalt des-
selben nur wenig durch Änderungen des Niveaus beeinfiusst werden.
Im ganzen ist es also wesentlich nur die Austrocknung der Boden-
oberfläche, welche die Verstäubung und Verbreitung von Bakterien-
keimen aus dem Boden vermittelt. Unter diesen werden sich gelegent-
lich auch diejenigen pathogenen Arten befinden, welche eine energische
Austrocknung vertragen (Typhusbac.)
C. Einfluss der örtlichen Bodenbeschaffenheit auf die Verbreitung.
Weniger deutlich tritt ein Einfluss der örtlichen Bodenbeschaffen-
heit auf den Transport der Bodenbakterien hervor. Selbstverständlich
wird wiederum nur ein poröser Boden, der allein zur Aufnahme grösse-
rer Mengen von Bakterien befähigt ist, für die Verbreitung derselben
in Betracht kommen. Ferner lässt sich wohl die Vermutung aufstellen,
Pfeiffee, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 5 15
•dass in einem grobporigen, durchlässigen Boden die Bakterien im
ganzen nicht so massenhaft sich anhäufen und leichter durch Tiefer-
spülung auf eine weitere Strecke vertheilt werden, als im feinporigen
Boden, und dass dies namentlich hervortreten muss, wenn reichliche
Niederschläge den Boden ganz durchfeuchten und keine Austrock-
nungszone besteht. In solchem grobporigen Boden könnte daher die
Austrocknungszone besonders wirkungsvoll sein; denn nur während
sie besteht, sind die Chancen sowohl für einen Transport durch Winde
wie auch für eine Verschleppung durch Menschen und Objekte ge-
-geben. Feinporöser Boden hält dagegen vielleicht auch beim Fehlen
•der Austrocknungszone die hineingelangenden Bakterien mehr in der
oberflächlichen Schicht zurück, und hier könnte daher eine Verbrei-
tung zwar nicht durch Winde, aber doch auf anderen Wegen, z. B.
durch Verschleppung, selbst bei feuchter Oberfläche erfolgen, und es
würden daher die Unterschiede zwischen dem trockenen und feuchten
-Stadium beim feinporigen Boden nicht so schroff hervortreten.
D. Resume.
Wir sind im Vorhergehenden so genau auf alle das Leben der
Bakterien im Boden beeinflussenden Verhältnisse eingegangen, weil
immer noch die Nachwirkungen PETTENKOEEK'scher Anschauungen,
nachdem sie jahrzehntelang fast als Dogmen geherrscht haben, einer
rationellen Auffassung der epidemiologischen Thatsachen den Weg
versperren. Wir haben deshalb Schritt für Schritt an der Hand des
Experimentes die PETTENKOEERschen Bodentheorien bis in ihre ent-
legensten Schlupfwinkel verfolgt. Wir wissen jetzt, dass pathogene
und selbst saprophy tische Bakterien in denjenigen Bodentiefen, in wel-
schen nach Pettenkofer das auf- und abschwankende Grundwasser
die Vermehrung und Reifung der Krankheitskeime abwechselnd be-
günstigt und hemmt, in der Regel überhaupt nicht vorhanden sind,
und dass die pathogenen Mikroorganismen, wenn sie wirklich einmal
durch Zufall dahin gelangen sollten, unter den dort herrschenden
Temperatureinflüssen keinerlei Wachstum zeigen. Wir haben ferner
gesehen, dass die filtrierende Kraft des Bodens einen Transport von
Bakterien durch Luft- und Wasserströmungen sowohl von oben nach
unten als auch umgekehrt aus der Tiefe des Bodens nach der Ober-
fläche unmöglich macht, und dass daher die Anwesenheit selbst zahl-
loser Krankheitskeime in tieferen Bodenschichten für die darauf leben-
den Menschen eine sehr gleichgiltige Sache wäre. Die einzige Kon-
zession, welche wir den Bodentheorien zu machen hatten, betraf die
Konservierung dieser oder jener pathogenen Bakterienart im Boden
und die Möglichkeit, dass zeitliche und örtliche Verschiedenheiten in
33*
516 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
diesen konservierenden Eigenschaften des Untergrundes bei der Er-
klärung einzelner epidemiologischer Beobachtungen mit in Frage kom-
men könnten.
Von dem stolzen Hypothesengebäude der PETTENKOFER'schen Rich-
tung sind demnach nur spärliche Reste stehen geblieben. Wenn wir
uns nun spezieller mit den einzelnen Seuchen, deren Entstehen und
Vergehen mit Zuständen des Bodens in Verbindung gebracht wird,
beschäftigen wollen, so können wir für die Cholera mit positiver
Sicherheit behaupten, dass bei der letzten grossen, mit allen Mitteln
bakteriologischer Forschung beobachteten Epidemie keinerlei Boden-
einflüsse eine Rolle gespielt haben. Etwas anders liegen die Verhält-
nisse beim Typhus. Hier kennen wir doch eine Reihe von That-
sachen, welche wenigstens einer längeren Konservierung der Krank-
heitskeime im Boden günstig sind, so das gelegentliche Auftreten von
Abdominaltyphus unter Arbeitern, welche mit Ausschachtungen in als
verseucht zu betrachtendem Boden beschäftigt sind. Beim Typhus
wäre sogar ein zeitlich und örtlich wechselnder Einfluss des Bodens
auf das Entstehen von Epidemien wenigstens denkbar. Sicherlich sind
jedoch auch bei dieser Infektionskrankheit die pathogenen Mikroorga-
nismen nicht ausschliesslich auf den Weg durch den Boden angewie-
sen und alles spricht dafür, dass ganz wie bei der Cholera die direkte
Kontagion von Person zu Person und die Verschleppung der Typhus-
bacillen durch Trinkwasser, Nahrungsmittel u. s. w. sehr viel bedeu-
tungsvoller und wichtiger ist.
Wir kennen bisher nur eine bakterielle Krankheit, deren epidemi-
sches Auftreten in der That mit Zuständen des Untergrundes einen
deutlichen Causalzusammenhang erkennen lässt, es ist dies der Milz-
brand. Wir wissen, dass bestimmte Weiden jahraus jahrein unter
den darauf grasenden Heerden Anthrax hervorrufen, und wir müssen
annehmen, dass dort in den oberflächlichsten Bodenschichten Milz-
brandsporen enthalten sind. Zur Sporenbildung der Milzbrandbacillen
gehört nun eine 20° C. überschreitende Temperatur, reichliche Feuch-
tigkeit und eine neutrale oder besser schwach-alkalische Reaktion des
Nährsubstrats. Diese Bedingungen finden sich nur auf solchen Wei-
den realisiert, welche, im Überschwemmungsgebiet gelegen, gleichzeitig
einen ziemlich starken Kalkgehalt der oberflächlichsten Bodenschich-
ten besitzen.
Leider ist mit diesem Beispiel einer örtlich und zeitlich begrenz-
ten Einwirkung des Bodens auf Infektionsvorgänge der Bodentheorie
nur wenig gedient. Die wesentliche Differenz zwischen der Auffassung
Pettenkofer's und der Ansicht, welche wir uns auf Grund unserer
jetzigen Kenntnisse über die Biologie der pathogenen Bakterien und
Pfeiffer, Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden. 517
über deren Verhalten im Boden bilden müssen, besteht demnach darin,
dass wir kein Moment im Boden finden, das notwendigerweise
erst auf die pathogenen Bakterien einwirken muss, um sie infektions-
tüchtig zu machen. Der früher statthafte Begriff einer Art Reifung
der Infektionserreger unter dem Einflüsse gewisser geheimnissvoller
Bodeneigenschaften lässt sich mit den eingehend studierten biologi-
schen Eigenschaften der Bakterien nicht in Einklang bringen, und wir
müssen denselben entschieden zurückweisen. Eine ausschliesslich im
Boden vor sich gehende Vermehrung pathogener Bakterien können
wir ebenfalls nicht annehmen, da vielmehr andere oberflächliche Sub-
strate sich für eine solche Vermehrung im ganzen weit geeigneter er-
weisen. Das, was der Boden wirklich vielleicht für manche pathogene
Bakterien zu leisten vermag, die Konservierung und demnächst wieder
Verbreitung der konservierten Krankheitserreger, ist aber auch nicht
•etwa ausschliessliches Privilegium des Bodens, sondern die Verbrei-
tung derselben Krankheitserreger kann ausserdem durch andere Mittel
und auf anderen Wegen geschehen, die sogar meist viel wichtiger
sind, als der Umweg durch den Boden.
Auch das Hervortreten örtlicher und zeitlicher Schwankungen in
der Verbreitung der Infektionskrankheiten, das nach Pettenkoeer nur
unter der Annahme eines Bodeneinflusses erklärlich sein soll, nöthigt
keineswegs zu der Anerkennung eines konstanten Zusammenhanges
zwischen Boden und Epidemien. Wir sehen vielmehr, dass ebenso-
wohl die übrigen Verbreitungsarten, bei welchen der Boden ganz aus
dem Spiele bleibt, z. B. die Verbreitung durch das Wasser, durch
Nahrung, durch Berührungen u. s. w. örtlichen und zeitlichen Schwan-
kungen ausgesetzt sind, welche vollauf zur Erklärung der entsprechen-
den Oszillationen der Epidemien ausreichen.
Viertes Kapitel.
Vorkommen toii Bakterien im Wasser.
Im Wasser finden sich fast stets Bakterien in sehr wechselnder
Menge. Die beobachteten Arten sind beinahe ausnahmslos Saprophy-
ten. Unter diesen erwecken einige besonderes Interesse dadurch, dass
sie mit unwägbaren Mengen der einfachsten Nährstoffe und bei einer
Temperatur von 8 — 10° schon eine sehr bedeutende Neubildung von
Individuen zu leisten vermögen und sich daher in den verschiedensten
Wässern in enormem Grade vermehren. Diese „Wasserbakterien", von
518 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
denen Bolton *) 6 sehr verbreitete Arten isoliert hat, sind bestim-
mend für die Gesamtmenge von Bakterien in irgend welchem Wasser;,
denn wo sie sich einfinden, vermehren sie sich so überwiegend rasch,
dass alsbald die Zahl aller übrigen Bakterien gegen sie zurücktritt.
Die Qualität des Wassers ist dabei für diese exquisiten Wasserbewoh-
ner ganz gleichgiltig, sie vermehren sich in einem möglichst reinen
destillierten Wasser gerade so stark, wie in sogenanntem schlechtem,,
mit Abfallstoffen verunreinigtem Brunnenwasser.
Im Gegensatze zu diesen an das Leben im WTasser speziell an-
gepassten Saprophyten bildet für die pathogenen Bakterien selbst bei
günstigster Temperatur das Wasser kaum jemals ein geeignetes Nähr-
medium, weil es die für das Wachstum dieser Bacterienspezies erfor-
derlichen Mengen von Nährstoffen nicht beherbergt. Typhusbacillen er-
fordern nach den Versuchen von Bolton mindestens 67 mgr organischer
Nährstoffe pro 1 Liter, Cholerabacillen 400 mgr pro 1 Liter. Eine solche
Menge organischer Stoffe kommt in benutztem Trink- und Brauchwasser
nur äusserst selten vor; ausserdem aber hängt für die pathogenen
Bakterien ausserordentlich viel von der Qualität der Nährstoffe
ab, und selbst ein höherer Gehalt an den weit weniger nährtüchtigen r
sogenannten organischen Stoffen, wie sie im Wasser enthalten zu sein
pflegen, vermag nicht die notwendige kleine Menge von Pepton und
Eiweiss zu ersetzen.
Dagegen ist die Haltbarkeit der pathogenen Bakterien im Wasser
eine unter Umständen recht beträchtliche. So halten sich sporenfreie
Milzbrandbacillen etwa 6 Tage, Typhusbacillen bis zu mehreren
Wochen lebensfähig. Diese Daten sind allerdings unter Bedingungen
gewonnen, welche erheblich abweichen von den normalen Verhält-
nissen, indem durch vorherige Sterilisierung der Wasserproben die
Konkurrenz der Saprophyten ausgeschaltet wurde.
Wichtiger sind daher einige neuere Untersuchungen über die
Lebensdauer der Cholerabakterien unter den in der freien Natur herr-
schenden Bedingungen. So liess sich in unsterilisiertem Brunnenwasser
mit Hilfe der empfindlichen Pepton- Vorkulturen die Anwesenheit
spärlicher lebender Cholerakeime noch nach 18 Tagen feststellen. Im
Schlamm eines reichlich mit Cholerabacillen infizierten Aquariums
konnte sie Weenicke (Hygien. Rundschau Bd. V) sogar noch nach
mehreren Monaten in vereinzelten Exemplaren züchten. In fliessendem
Wasser gehen jedoch die KoCH'schen Vibrionen wahrscheinlich sehr
viel rascher zugrunde.
1) Bolton, Z. 1. 1. — Vgl. Gramer, Die Wasserversorgung von Zürich. Zürich
1885. — Wolffhügel, Arb. a. d. Kais. Ges. Amt. 1885. Bd. 1. — Wolffhügel
u. Riedel, ibid. 1886. Bd. 2. — Leone, Atti della R. Acad. dei Lincei. Ser. 4. Bd. 1.
Pfeiffer, Vorkommen von Bakterien im Wasser. 519
Der Weg, auf welchem die verschiedenen Bakterien in das Wasser
gelangen, führt, wie bereits oben erwähnt, der Hauptsache nach nicht
durch grössere intakte Bodenstrecken und das Grundwasser. Die über-
einstimmenden Resultate der Versuche von Roth1), Bolton2), Heraetjs3)
u. A. ergeben bei der Mehrzahl der Brunnen eine immer fortschreitende
Abnahme des Bakteriengehalts, je mehr frisches Grundwasser durch
anhaltendes Pumpen zuströmt. Ferner zeigen nach dem Pumpen die-
jenigen Brunnen einen besonders geringen Bakteriengehalt, welche
gegen die Oberfläche gut gedeckt und gegen eine stets erneute Ein-
sät von der Brunnenwandung und dem Pumpenrohr aus möglichst
geschützt sind, so namentlich eiserne Röhrenbrunnen und Wasserlei-
tungen. Des weiteren hat zuerst C. Fränkel den direkten experimen-
tellen Nachweis geführt, dass das Wasser eines eisernen Röhrenbrunnens
im Centrum Berlins, das also aus einem Boden stammte, welches seit
Jahrhunderten als Wohnstätte benutzt worden war, nach ausgiebiger
Desinfektion des Brunnenrohres durch mechanische Reinigung und
Kressolschwefelsäure mehrere Tage lang absolut keimfrei sich erwies.
Zu ähnlichen Resultaten kam Neisser in Flügge's Institut bei Kessel-
brunnen, welche durch Wasserdampf gründlich desinfiziert worden
waren. Danach haben wir uns die Vorstellung zu bilden, dass die
Bakterien vorzugsweise durch Rinnsale von der Oberfläche her, ferner
durch Gänge und Spalten, welche im Innern des Bodens von Abort-
und Versitzgruben nach dem Brunnenschacht hinführen, in das Trink-
und Brauchwasser geraten. Auch pathogene Bakterien werden offen-
bar auf dem nämlichen Wege in die Brunnen gelangen. Daher wird
dort am besten Gelegenheit zu einer Infektion des Trinkwassers gegeben
sein, wo ein schlecht gedeckter Brunnen inmitten eines der üblichen
unreinlichen Höfe sich befindet; auf den Boden solcher Höfe pflegen
fast alle Abwässer und Dejektionen ausgegossen zu werden, und ausser-
dem ist häufig noch die Einrichtung getroffen, dass das z. B. beim
Spülen der Wäsche überschüssig entnommene Wasser wieder in den
Brunnenschacht zurückffiesst. Während in der Regel das Grundwasser
als keimfrei zu betrachten ist, wird unter besonderen Umständen auch
das Grundwasser selbst, in welchem der Brunnen steht, zahlreichere
Bakterien enthalten, z. B. wenn der Abstand von der Oberfläche gering
oder künstlich durch Aufschüttung des Bodens hergestellt ist, oder
wenn Jauchegruben in der Nähe der Brunnen bis ins Grundwasser
herabreichen, oder wenn der Boden aussergewöhnlich durchlässig ist.
Die Zahl der Bakterien eines Brunnenwassers richtet sich wesent-
1) Yiertelj. f. ger. Med. N. F. Bd. 43. Heft 2.
2) Z. 1. 1.
3) Ibid. Heft 2.
520 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
lieh danach, ob vermehrungsfähige Arten vorhanden und ob günstige
Bedingungen für deren Vervielfältigung gegeben sind. Diese Bedingungen
liegen um so günstiger, je höher die Temperatur ist, und je länger das
Wasser stagniert und die neugebildeten Bakterien in voller Zahl zu
behalten vermag. In stagnierendem Wasser und in den Sommer-
monaten finden wir daher die höchsten Bakterienzahlen, in viel benutz-
ten Brunnen und in der kalten Jahreszeit die geringsten. Die sonstige
Beschaffenheit des Wassers, sein Gehalt an organischen Stoffen und
Salzen, ist für die Vermehrung jener Bakterienarten und daher über-
haupt für die Anzahl der in einem Wasser beobachteten Bakterien
ohne Bedeutung. Nur wenn die eigentlichen Wasserbakterien fehlen
und lediglich solche Saprophyten zugegen sind, welche einer etwas
grösseren Menge von Nährstoffen bedürfen, werden die Differenzen der
chemischen Beschaffenheit auch in der Bakterienzahl einen Ausdruck
finden. — Aus der Anzahl der entwicklungsfähigen Bakterien in einer
Wasserprobe ist daher keineswegs ohne weiteres ein Schluss auf die
Infektionsgefahr gestattet, und sogar auf den Grad der Verunreinigung
nur dann, wenn gleichzeitig berücksichtigt ist, ob Wasserbakterien
vorhanden sind und ob durch die Jahreszeit und die Art der Benutzung
des Brunnens eine Vermehrung derselben vor der Probenahme begün-
stigt war.
Pathogene Bakterien sind stets sehr schwierig unter der grossen
Zahl von Saprophyten herauszuerkennen. Ausserdem ist zu erwägen,
dass sie sich meist nicht lange in einem Brunnenwasser halten werden;
da sie sich kaum jemals im Wasser vermehren, muss jede Wasser-
entnahme und jeder Zufluss von reinem Grundwasser ihre Zahl ver-
mindern, und nur in den Fällen, wo wiederholt eine Beimengung von
pathogenen Bakterien stattfindet, sind die Chancen für den Kulturnach-
weis einigermassen günstig. Trotz dieser thatsächlich grossen Schwierig-
keiten sind die Cholerabacillen schon in einer ganzen Zahl von Fällen
mit Sicherheit im Brunnen-, Fluss- und Leitungswasser nachgewiesen.
Dagegen sind die bisherigen Angaben über Befunde von Typhusbacillen
im Wasser sehr skeptisch zu beurteilen.
Neben dem hauptsächlich als Trink- und Brauchwasser benutzten
künstlich gehobenen Grundwasser dienen auch die auf der Oberfläche
des Bodens abfliessenden Tagewässer oft als Transportmittel von sa-
prophytischen und gelegentlich pathogenen Bakterien. Derartiges in
Rinnsteinen, Bächen, Flüssen sich fortbewegendes Wasser ist sogar
besonders gefährlich, weil es mit Abwässern der verschiedensten Art
verunreinigt wird, denen sich nur zu oft höchst gefährliche Infektions-
stoffe, z. B. Typhus- und Choleradejektionen zugesellen.
Zahlreiche Städte werden bis jetzt immer noch mit derartigem,
Pfeiffer, Vorkommen von Bakterien im Wasser. 521
allen Infektionen ausgesetztem Oberfiächenwasser versorgt, allerdings
meist nach vorheriger Filtration durch Centralfiltrieranlagen. Es ist
leicht einzusehen, welch unberechenbare hygienische Bedeutung einer
stetigen und zuverlässigen Kontrolle dieser Filter zukommt, und hier,
wo die chemische Untersuchung des Wassers uns völlig im Stich lässt,
ist die bakteriologische Feststellung der Keimzahlen geradezu aus-
schlaggebend. Genaue Untersuchungen der Filtrationsvorgänge haben
ergeben, dass bei tadellos arbeitenden Sandfiltern die Zahl der im fil-
trierten Wasser enthaltenen Bakterien fast unabhängig ist von der
Keimzahl des Rohwassers. Jede Störung des Filterbetriebes, Über-
lastung der Filter, zu grosse Filtriergeschwindigkeit, Risse und Sprünge
im Filterkörper verraten sich dagegen sofort durch sprungweises An-
steigen der Keimzahlen im filtrierten Wasser. Die tägliche bakterio-
logische Untersuchung des Rohwassers und des filtrierten Wassers
hildet deshalb die beste und einzig verlässliche Kontrolle der Filter-
werke, von deren Intaktheit in Epidemiezeiten das Wohl und Wehe
vieler Tausenden abhängt. Man sollte sich nicht auf die Prüfung des
Gesamtreinwassers beschränken, da fast niemals sämtliche Filter zugleich
untauglich werden und die gestörte Funktion eines Filters im Gesamt-
resultat leicht verdeckt wird durch das tadellose Arbeiten der übrigen.
Es ist daher durchaus notwendig, das Filtrat jedes einzelnen Filters
für sich gesondert bakteriologisch zu untersuchen.
Fünftes Kapitel.
Bakteriengelialt der Nahrungsmittel.
Wie mit dem Wasser, so führen wir auch mit den Nahrungs-
mitteln sehr grosse Mengen lebensfähiger Bakterien täglich in unseren
Körper ein. Einigen (Bier, Käse u. s. w.) werden absichtlich zahlreiche
Bakterien bei der normalen Bereitungsweise zugefügt; anderen Nah-
rungsmitteln, deren essbare Teile sich unter der Erdoberfläche ent-
wickeln, haften mit den Erdpartikelchen sehr grosse Mengen von Bak-
terien an; wieder andere, z. B. die Früchte, sind durch Luftkeime, die
auf ihrer klebrigen Oberfläche fixiert oder durch Kondensation von
Wasserdampf dort abgelagert werden, reichlich mit Bakterien verun-
reinigt. Ferner kommt es sehr häufig vor, dass ursprünglich bakterien-
freie oder bei der Zubereitung sterilisierte Nahrungsmittel (Milch,
Fleisch, die verschiedensten gekochten Speisen) durch Berührungen
oder auch durch Luftkeime infiziert werden und je nach den Nähr-
522 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
bedingungen, die sie darbieten, und nach der herrschenden Temperatur
geringere oder ausgedehntere Bakterienkolonien entstehen lassen.
In allen Fällen können die Ansiedelungen entweder aus völlig
harmlosen Saprophyten bestehen, oder es sind Bakterien vorhanden,
welche Gährungen erregen und dadurch nicht ganz indifferent sind,
dass sie bei reichlicher Einführung diese Eigenschaft in zu energischer
Weise innerhalb des menschlichen Verdauungstraktus äussern; oder es
kommeu Bakterien in Frage, welche zwar für gewöhnlich als Sapro-
phyten zu wachsen pflegen, aber heftig wirkende Gifte (Botulismus)
liefern, deren einige namentlich auch krankhafte Veränderungen der
Darmschleimhaut hervorrufen (Cholera infantum); oder endlich es kommt
gelegentlich zu einem Gehalt der Nahrungsmittel an pathogenen Bak-
terien (Milzbrand, Tuberkulose, Bacillus enteritidis [Gäktnek]).
Beachtenswert erscheinen besonders diejenigen Bakterienansiede-
lungen, welche auf den in den Haushaltungen konservierten Speisen
sich etablieren. Dort kommt es leicht zu Temperaturen, welche einer
Vermehrung fakultativer Parasiten sehr günstig sind; ferner ist dort
ein Nährsubstrat geboten, wie es in den zur künstlichen Kultur der
pathogenen Bakterien hergestellten Mischungen kaum besser kompo-
niert werden kann; ausserdem bieten viele Speisen ganz die Verhält-
nisse des festen Nährbodens, so dass eine Überwucherung durch Sapro-
phyten erschwert wird. Nachweislich sind Milch, Bouillon, Fleisch
vorzügliche Nährsubstrate für Typhus- und Cholerabacillen, und es ist
nicht anders denkbar, als dass diese und andere Krankheitserreger,
wenn sie durch Luftströmungen, Erde oder Berührungen einmal auf
die Speisen oder zunächst nur in die Gefässe, Reinigungstücher u. s. w.
gelangt sind, es sehr leicht zu einer erheblichen Vermehrung und zu
einer so bedeutenden Individuenzahl bringen, dass aus dem Genüsse
solcher Nahrung die schwersten Gefahren entstehen.
Abgesehen von den fakultativen Parasiten, die demnach hie eine
besonders günstige Stätte für ihre Vermehrung finden, können auch
obligate Parasiten mit der Nahrung auf den Menschen übertragen wer-
den, und zwar solche, welche (wie die Tuberkelbacillen) sowohl für
die Schlachttiere wie für den Menschen infektiös sind und letzterem
gelegentlich durch den Fleischgenuss importiert werden.
Die Gefahren, welche von Seiten der Nahrungsmittel drohen, sind
nun allerdings durch die Zubereitung — durch ausreichendes Kochen
und Braten — und dadurch, dass man sich gewöhnt, keine Nahrung
zu geniessen, welche längere Zeit seit der Zubereitung aufbewahrt war,
fast vollständig zu vermeiden. Aber erfahrungsgemäss wird bei allen
Völkern und in allen Klassen der Bevölkerung ein Teil der Nahrung
in rohem oder in längere Zeit aufbewahrtem und nachweislich stark
Pfeiffer, Bakteriengehalt der Nahrungsmittel. 523
bakterienhaltigem Zustande genossen. Welcher Bruchteil der Gesamt-
nahrung in solch gefahrdrohender Beschaffenheit verzehrt wird, ist sehr
verschieden und variiert je nach den Sitten und Gewohnheiten einer
Bevölkerung. Während namentlich in südlichen Ländern beim Genuss
der Nahrung mit äusserster Sorglosigkeit verfahren und geradezu die
grössere Menge in rohem oder halbverdorbenem Zustande verzehrt
wird, ist in anderen Gegenden eine so peinliche Sorgfalt in der Aus-
wahl, Behandlung und Zubereitung der Lebensmittel gebräuchlich, dass
dieser Infektionsweg aufs äusserste eingeschränkt wird.
Daher muss der Bakteriengehalt der Speisen und die aus deren
Genuss resultierende Infektionsgefahr offenbar erhebliche lokale Diffe-
renzen darbieten, und nicht minder häufig können auch zeitliche
Schwankungen zustande kommen. So ist bei uns naturgemäss der
Sommer die Jahreszeit, in der es am leichtesten zu einer Ansiedlung
der hoher Temperatur bedürftigen Parasiten auf Nahrungsmitteln kommt.
Ein besonders beweisendes Beispiel für den Einfluss der Jahreszeit auf
den Bakteriengehalt der Nahrungsmittel bietet uns nach den Unter-
suchungen C. Flügge's (Z. XVII) das Verhalten der Milch. In diesem
wichtigsten -Nahrungsmittel sind stets ausserordentlich widerstands-
fähige Sporen in grosser Menge enthalten, welche beim Aufkochen
nicht zerstört werden. Diese Sporen keimen nur bei Temperaturen,
welche über 20° C. hinausgehen, aus und durchwuchern die Milch in
rapider Weise, so dass schon in wenigen Stunden ungezählte Mengen
von Bakterien sich entwickeln können.
Flügge zeigte nun, dass die so veränderte Milch für Tiere in-
tensiv giftig wird und bei Verfütterung besonders auf säugende Tiere
die schwersten Darmkatarrhe erzeugt. Es ist bei dieser Sachlage höchst
wahrscheinlich, das die im Spätsommer unter den menschlichen Säug-
lingen so grosse Opfer fordernde Cholera infantum gleichfalls auf den
Genuss derartig verdorbener Milch zurückzuführen ist.
Auch die Häufung von Darmkatarrhen aller Art bei Erwachsenen,
welche im Spätsommer erfahrungsgemäss eintritt, wird sich in analoger
Weise durch die Aufnahme besonders grosser Mengen von Bakterien
in den Darmkanal mit der Nahrung erklären lassen. Darauf beruht
wahrscheinlich ferner zum Teil wenigstens die besondere Prädisposition
für Cholera nnd Typhus, welche dem Spätsommer eigen ist.
Offenbar bilden die Nahrungsmittel nach dem Gesagten mutmass-
lich ein so bedeutsames Moment bei der Verbreitung gewisser infek-
tiöser Krankheiten, dass wir allen Grund haben, durch eingehendere
Untersuchungen diesen Infektionsmodus genauer kennen zu lernen.
524 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Sechstes Kapitel.
Bakterien gehalt der Kleidimg.
Auch in der künstlichen Umgebung, welche der zivilisierte Mensch
sich schafft, finden sich mannigfache Ansammlungen von Bakterien.
So ist die Kleidung meist sehr reich an lebensfähigen Mikroorganis-
men, welche teils von der Körperoberfläche und von den Exkreten,
teils von aussen durch Staub und Regen dorthin gelangen. Nicht
selten vermitteln Wäsche und Kleidungsstücke auch den Transport
von fakultativen und obligaten Parasiten; bekannt ist eine solche Rolle
der Kleider namentlich bei den in der Haut lokalisierten Infektions-
krankheiten (z. B. Pocken), ferner bei Cholera, wo die Durchtränkung
der Wäsche mit den Nährsubstraten der Dejektionen sogar noch eine
Vermehrung der Krankheitserreger gestattet, solange kein Austrocknen
eintritt. Durch Wäschestücke und Verbandmaterial werden ferner
zweifellos Wundinfektionskrankheiten, Diphtherie, Puerperalfieber, Tu-
berkulose u. s. w; häufig übertragen. Dagegen ist die von Kleiderfetzen,
welche mit Geschossen in die Wundkanäle hineingerissen werden,
drohende Infektionsgefahr nicht sehr gross. Jedenfalls gelang es Pfuhl
(Z. XIII) nicht, in selbst sehr stark verunreinigten Kleidungsstücken
virulente Strepto- und Staphylokokken nachzuweisen.
Siebentes Kapitel.
Vorkommen von Bakterien in der Wohnung.
Die Wohnung bietet vielfache Gelegenheit zur Konservierung
und zur Weiterverbreitung von Bakterien und speziell auch von fakul-
tativen und obligaten Parasiten, unter denen an erster Stelle die Er-
reger der Diphtherie und der Tuberkulose zu nennen sind; eine Ver-
mehrung scheint innerhalb des zur Wohnung im engeren Sinne gehörigen
Materials nicht stattzufinden.
Weiterhin sind dann noch die Möbel, Vorhänge, die gewöhnlich
ungenügend gereinigten Ecken und Kanten der Räume Stätten, an
welchen Bakterien abgelagert und längere Zeit konserviert werden
können.
Einen Sammelplatz von Bakterien aller Art liefern ferner die Ab-
fallstoffe des menschlichen Haushaltes und der Viehhaltungen. Die
Pfeiffer, Vorkommen von Bakterien in der Wohnung. 525
Darmexkrete enthalten neben Massen von Saprophyten zuweilen In-
fektionserreger, z. B. Typhusbacillen, Cholerabacillen, Tuberkelbacillen,
Milzbrandbacillen, Bacillen des Schweinerotlaufs, der Hühnercholera
u. s. w., ferner vermutlich die Erreger der Ruhr, des epidemischen
Brechdurchfalls der Kinder. Der Harn enthält frisch selten Mikro-
organismen, ist aber ein geeignetes Nährsubstrat für verschiedenste Bak-
terien; ferner kommen in Betracht die Küchenabfälle, Küchenabwässer
und Waschwässer, die meist von vornherein mit zahlreichen Bakterien
schon beladen sind und bei längerem Stagnieren anderen als Ansied-
lungsstätte dienen können. Diese Abfallstoffe sind daher gelegentlich
ausserordentlich geeignet, gewisse Krankheiten zu verbreiten besonders
Cholera, Typhus, Ruhr. Zum Glück halten sich die pathogenen Bak-
terien in ihnen nicht allzu lange, da sie von Saprophyten überwuchert
werden.
Wegen der Infektionsgefahr, welche den frischen Abfallstoffen
anhaften kann, wird es daher die wesentlichste hygienische Aufgabe
der Anlagen zur Entfernung der Abfallstoffe sein, die ganzen Massen
mit den eventuell in ihnen vorhandenen Infektionserregern so rasch
und vollständig wie möglich aus den Wohnungen und dem Bereich
infektionsfähiger Menschen fortzuschaffen. Am besten wird diese
Forderung durch eine Schwemmkanalisation erfüllt, die zugleich
regelmässig mit ausgiebiger Zufuhr reinen Wassers und dadurch
mit einer wesentlichen Erleichterung der Reinlichkeit in jeder Be-
ziehung verbunden ist. Weniger entsprechend erscheint die Tonnen-
abfuhr, namentlich wenn diese die Exkremente und mit ihnen even-
tuell die Krankheitserreger in der Nähe der Wohnungen auf Garten-
oder Ackerland schafft und so bewirkt, dass die Keime konserviert
und demnächst vielleicht wieder den Wohnungen zugeführt werden.
Das Grubensystem bietet durch die längere Aufspeicherung der Massen
immerhin mehr Garantie als das Tonnensystem für ein Zugrundegehen
der infektiösen Bakterien, ehe sie auf den konservierenden Boden ge-
langen. Einen entschiedenen Nachteil gegenüber der Schwemmkana-
lisation haben dann aber die beiden letztgenannten Systeme dadurch,
dass sie nur die Fäkalien beseitigen, während die sehr viel massigeren
sonstigen Abfälle und die Schmutzwässer der Haushaltungen unbe-
rücksichtigt bleiben, obwohl sie, was die Übertragung von Typhus
und Cholera anbetrifft, fast ebenso gefährlich sein können wie die
Fäkalien.
526 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Achtes Kapitel.
Infektionen durch Beruf und Beschäftigung.
Vielfach führt auch der Beruf und die Beschäftigung zur
Verbreitung resp. zur Aufnahme von pathogenen Bakterien. In früherer
Zeit sind beispielsweise die Wundinfektionskrankheiten zweifellos oft
durch Ärzte übertragen worden, welche sich damals nicht scheuten, mit
demselben notdürftig gereinigten Finger die infizierte Wunde des einen
Kranken und die frische des anderen Kranken nach einander zu unter-
suchen. Auch jetzt kommen sicher noch vielfache Verschleppungen
durch Kleider und Hände solcher Arzte vor, welche keine richtige
Schätzung der Infektionsgefahren besitzen. Die Hebammen, denen
nachweislich fast ausschliesslich die Übertragung von Puerperalfieber
zuzuschreiben ist, Krankenwärter, Wäscher, Trödler und Lumpen-
samler vermögen gleichfalls sehr oft die Weiterverbreitung von
Krankheitserregern zu veranlassen. — Speziell hingewiesen sei nur
noch auf die vielfachen Übertragungsmöglichkeiten, denen sich Kinder
auszusetzen pflegen; man braucht nur zu beobachten, wie dieselben die
Hände bald mit dem Boden schmutziger Höfe, bald mit dem Wasser
der Rinnsteine und den verschiedenartigsten anderen bakterienreichen
Objekten in Berührung bringen, um sie im nächsten Moment in den
Mund zu führen oder mit den ungereinigten Händen ihre Nahrung
zu verzehren.
Neuntes Kapitel.
Bakterien auf den Körperoberflächen.
Ausser in der Umgebung des Menschen sind auf den Oberflächen
des menschlichen Körpers grosse Mengen von Bakterien enthalten.
— ■ Auf der äusseren Haut, im Fuss- und Achselschweiss u. s. w. sind
bereits die verschiedensten Bakterienarten nachgewiesen. Dass diese
an der faltenreichen Haut der Finger und unter den Fingernägeln trotz
scheinbar sorgfältiger Reinigung zäh haften und sich lebensfähig halten
können, geht aus den Versuchen von Förster (C. 85. 18) hervor; derselbe
konstatierte, dass die unter Benutzung von Bürsten, Wasser und Seife
gereinigten Hände beim Einbohren in Nährgelatine regelmässig eine
wechselnde Anzahl von Bakterienkolonien zur Entwicklung kommen
Pfeiffer, Bakterien auf den Körperoberflächen. 527
lassen. Jedoch lässt sich, wie besonders Fttkbringer (D. M. 1888)
gezeigt hat, eine vollständige Sterilisierung der Hände erreichen,
wenn dieselben nach gründlicher mechanischer Reinigung mehrere
Minuten lang in Alkohol absolutus und in 1 °/00 Sublimatlösung
getaucht werden. Der Alkohol wirkt hierbei nicht allein durch seine
an sich schon starke desinfizierende Kraft, sondern auch dadurch,
dass er das Hautfett löst und so das Eindringen der wässrigen Subli-
matlösung erleichtert.
Noch grössere Bakterienmassen findet man auf den inneren Ober-
flächen des Körpers. In der Mundhöhle kennt man seit langer Zeit
einige Saprophyten, die zum Teil Gährungen erregen und zur Zahn-
karies in Beziehung gebracht werden; ferner sind ebendort verschiedene
pathogene Bakterien beobachtet. So findet sich ein für Kaninchen
und Mäuse hochvirulenter kapseltragender Diplokokkus, wie A. Feänkel
nachgewiesen hat, ziemlich häufig im Speichel gesunder Personen, wo-
bei es allerdings fraglich erscheint, ob es sich um dieselbe Spezies
handelt, welche die krupöse Pneumonie erzeugt. Auch Streptokokken
sind nicht seltene Mundhöhlenschmarotzer, ferner eine den Diphtherie-
bacillen nahestehende, von diesen aber durch den Mangel der Tier-
pathogenität zu trennende Bacillenart (Pseudodiphtheriebacillen). Eine
ganze Reihe anderer für unsere Laboratoriumstiere sehr pathogener
Bakterienarten wurden aus dem Speichel von Kkeibohm und Biondi
isoliert, dieselben scheinen aber in der menschlichen Pathologie keine
Rolle zu spielen. — Diese Befunde sind leicht erklärlich, wenn man
erwägt, dass in der Mundhöhle eine für pathogene Bakterien sehr ge-
eignete Temperatur und durch die abgestorbenen Epithelien, Nahrungs-
reste u. s. w. ein gutes Nährmaterial gegeben ist. Es ist daher auch sehr
wohl denkbar, dass dort parasitische Bakterien, die besonderer Invasions-
pforten bedürfen, um ins Innere des Körpers einzudringen, eine Zeit
lang als Epiphyten leben, bis sich eine Gelegenheit zur Invasion
findet, so dass also einer Infektion die Aufnahme des Infektionserregers
nicht unmittelbar voraufgegangen zu sein braucht. Das von Löfflek
zuerst beobachtete Vorkommen von Diphtheriebacillen im Mundsekret
eines gesunden Kindes ist in solcher Weise zu deuten.
Auch in den Nasenhöhlen, im Schleim des Kehlkopfs, der Trachea
und der Bronchien werden sehr verschiedene dem Sekret der Schleimhäute
angehörende Bakterien gefunden. Es sind hier zu erwähnen Strepto-
kokken, kapseltragende Diplokokken, Kapselbacillen (Bac. Friedländer,
sputigenus crassus), Mikrokokkus tetragenus u. a. m.
Ein enormes Gewirr von Bakterien begegnet uns sodann im Darm-
traktus. Schon im Mageninhalt finden sich zahlreiche Arten. Irr-
tümlicherweise hat man vielfach angenommen, dass der saure Magen-
528 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
saft die meisten Bakterien töte; das ist aber nicht der Fall. Versuche,
welche Mac Fadyan im Institut Flügge's anstellte, haben gezeigt,
dass selbst der stark saure Magensaft des Hundes nur Cholera- und
Milzbrandbacillen einigermassen konstant zu töten vermag, dass da-
gegen die meisten anderen Bakterien nicht eine derartige Empfind-
lichkeit gegen die Magensäure besitzen und den Magen in lebens-
fähigem Zustande passieren, selbst wenn die Bedingungen für eine
energische Einwirkung des Magensaftes möglichst günstig gewählt
werden; so verhalten sich z.B. Mikr. tetragenus, Staphylokokkus aureus,
Bacillus cuniculicida u. s. w.
Meistens tritt demnach im Magen nur eine vorübergehenbe Ent-
wicklungshemmung ein und vegetative Formen wie Sporen gelangen
in grosser Menge lebend in den Dünndarm. Dort finden sie teilweise
gute Gelegenheit zur Vermehrung, so lange neutrale oder schwach
alkalische Reaktion des Speisebreis vorliegt; freilich scheint diese Ver-
mehrung vorzugsweise einige bestimmte Bakterienarten zu treffen, so
dass trotz der anfänglich imponierenden Mannigfaltigkeit der Formen
und Arten schliesslich doch einige sich herauserkennen lassen, die
offenbar besonders günstigen Boden zur Vermehrung im Darminhalt
finden und daher einigermassen konstant wiederkehren. Je nach der
Zusammensetzung der Nahrung sowie nach dem Verlauf und dem
Stadium der Verdauung scheinen diese prävalierenden Arten einem
gewissen Wechsel zu unterliegen. — Unter diesen „Darmbakterien"
überwiegen einige Bacillenarten, welche gewisse morphologische und bio-
logische Charaktere gemeinsam haben und deshalb zu der Gruppe der
Kolonbakterien zusammengefasst werden, obwohl es sich um mehrere
differente Spezies handeln dürfte. Ein vertieftes Studium dieser Kolon-
bakterien nach Escheeich's Vorgang wird voraussichtlich für die
Pathogenese vieler menschlichen Darmkrankheiten bedeutungsvoll
werden. — Stets finden sich ferner im Darminhalt Anaeroben, und oft
in so grosser Menge, dass sie zweifellos dort eine Vermehrung erfahren
haben. Es ist das ohne weiteres verständlich, da in einzelnen Ab-
schnitten des Darms und in gewissen Schichten des Darminhalts
wohl immer eine für die Entwicklung von Anaeroben genügende Sauer-
stoffarmut vorhanden ist. Besonders reich an solchen Anaeroben er-
weisen sich die Därme der Pflanzenfresser, und neuere Untersuchungen
machen es wahrscheinlich, dass die Bacillen des Tetanus und des
malignen Odems, deren Sporen wir in den oberflächlichsten Schichten
der Garten- und Ackererde angetroffen haben, ihre vegetativen Zustände
hauptsächlich in den Därmen von Pferden und Kühen durchleben, von
wo die fertigen Sporen mit dem Kot der Tiere in die Erde gelangen.
— Einigermassen erschwert wird das Studium der Darmbakterien durch
Pfeiffer, Bakterien auf den Körperoberflächen. 529
den Umstand, dass in mikroskopischen Präparaten, welche aus Darm-
inhalt von irgend einer Stelle des Darms oder auch aus Mundsekret
hergestellt sind, ein viel grösserer Artenreichtum und eine erheblich
grössere Zahl von Bakterien zur Beobachtung gelangt, als bei der
Isolierung der in den gleichen Proben enthaltenen Bakterien durch
unsere gebräuchlichen Kulturmethoden. Oft kommt es offenbar nur
zum Wachstum eines kleinen Bruchteils der überhaupt vorhandenen
Exemplare, wobei auffallenderweise fast niemals verflüssigende Kolonien
auftreten. Einige der in den gewöhnlichen Kulturen fehlenden Bakterien
sind offenbar Anaeroben, und erhält man oft eine erheblich bessere
Ausbeute von entwicklungsfähigen Bakterien, wenn man auch Proben
unter Luftabschluss züchtet. Ein anderer Teil der im mikroskopischen
Präparat sichtbaren und färbbaren Bakterien hat vermutlich durch die
Einwirkung der Magensäure oder anderer im Darminhalt vorhandener
entwicklungshemmender Einflüsse eine gewisse Desinfektionswirkung
erfahren, welche das Auswachsen in unseren Kulturmedien verhindert.
Schliesslich sind sicherlich im Darm Bakterienarten vertreten, welche
wie die Mundspirochäten nur unter ganz bestimmten Lebensbedingungen
gedeihen, die wir aber bisher noch nicht künstlich nachahmen konnten.
Während so die äussere und innere Oberfläche des Körpers reich
mit Bakterien besetzt ist, finden wir im Innern desselben unter nor-
malen Verhältnissen keine Bakterien; nur wenn parasitäre Mikro-
organismen eingedrungen sind und eine Krankheit hervorgerufen
haben, kommt es bald im Blut, bald in den verschiedensten Organen
zur Ansiedelung der spezifischen Bakterien'. Andere nicht pathogene
Bakterien werden, wenn sie nicht in ungeheueren, stark toxisch, wirken-
den Quantitäten eingeführt werden, im Körper sehr rasch vernichtet.
Der Modus dieser Bakterienzerstörung, auf welchem die natürliche
Immunität jedes lebenden Organismus beruht, beginnt erst in letzter
Zeit durch die Forschungen Nutali/s, Büchners, Metschnikoef's und
R. Peeifeek's sich unserem Verständnis zu enthüllen.
Auch die Sekrete des Körpers, insbesondere der Harn, sind nach den
Untersuchungen von Wyssoko witsch (Z.l. 1) frei von Bakterien, selbst
dann, wenn infektiöse Bakterien den Körper occupiert haben und im
Blute kreisen. Nur in den Fällen, wo in der Niere Verstopfungen
von Blutgefässen durch Bakterienmassen und infolge dessen nekro-
tische Herde mit tiefer Läsion des Gewebes sich ausgebildet haben,
kommt es zu einer Abscheidung von Bakterien in den Harn. Fast
regelmässig wird ein solcher Übertritt beobachtet nach Injektion von
Staphylokokkus aureus ins Blut; auch diese Bakterien erscheinen aber
nicht etwa bald nach der Injektion im Harn, selbst wenn reichlichste
Mengen eingebracht waren, sondern erst nachdem sich Herde in der
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 34
530 Vorkommen und Fundorte der Mikroorganismen.
Niere gebildet haben und künstliche Wege hergestellt sind. Ähnlich
wird es sich verhalten mit den Angaben verschiedener Autoren, be-
sonders aber Bbunneb's (Berl. klin. Woch. 1891), wonach in die Blut-
bahn injizierte Staphylokokken z. B. durch den Schweiss ausgeschie-
den werden sollen.
Von Gunning *) ist die menschliche Exspirationsluft auf Bakterien
untersucht. Er fand, dass beim Exspirieren durch eine Nährlösung hin-
durch keine Infektion der letzteren erfolgte, sobald nur das Eindringen
von Speichel u. s. w. gehindert war. In der That müssen wir nach
dem, was über die Loslösung der Bakterien von feuchten Flächen
bekannt geworden ist, ein Mitreissen von Bakterien von den stets
feuchten Schleimhäuten und durch den mit Wasserdampf gesättigten
Exspirationsstrom für durchaus unwahrscheinlich halten. — Eine Ver-
breitung von Organismen, welche die Schleimhautoberfiäche des
Respirationstraktus occupiert haben, durch die Luft ist daher nur in
der Weise denkbar, dass beim Sprechen und Husten kleine Flüssigkeits-
partikelchen losgerissen, herausgeschleudert und für kurze Strecken
dem ausgeatmeten Luftstrom beigemengt werden, oder durch Sputa,
welche später eintrocknen und verstäuben.
1) Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. Jahrg. 20. 1882.
Vierter Abschnitt.
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen
von
Dr. "W. Kolle.
Eine einigermassen vollständige Darlegung der eigenartigen
Methoden der bakteriologischen Forschung liegt nicht im Plane des
vorliegenden Buches und würde den Umfang desselben zu sehr er-
weitern; eine Beschränkung in Bezug auf dieses Kapitel ist aber um
.so eher zulässig, als auf die eingehende Darstellung der bakterio-
logischen Methoden von Hüeppe1) (4. Aufl.) sowie auf die Bearbeitung
desselben Themas von Heim2) verwiesen werden kann.
Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Methoden zur mikro-
skopischen Untersuchung der Bakterien, zur Kultur derselben und zur
Übertragung auf Tiere, sowie zum Nachweis in Luft, Wasser und
Boden zusammengestellt werden.
A. Die mikroskopische Untersuchung der niederen Pilze.
Die verschiedensten Objekte, Flüssigkeiten und festere Substanzen,
Nahrungsmittel, Staub, Erdproben, pflanzliche und tierische Organe und
Säfte, vom lebenden oder toten Tier genommen, angesiedelte Pilz-
kolonien u. s. w. können zur mikroskopischen Untersuchung gelangen.
Dabei hat man zunächst sich bewusst zu sein, dass in unserer ganzen
Umgebung sich niedere Pilze befinden, und dass, um den Nachweis
Ton Pilzen in einem dieser Objekte zu führen, das zufällige Hinein-
gelangen von Pilzen aus unserer Umgebung in das Präparat vermieden
werden muss. Alle Instrumente, Gläser, Zusatzflüssigkeiten müssen
daher pilzrein sein, was bei den beiden ersteren am besten durch kurzes
Erhitzen auf mindestens 150°, bei letzteren durch Kochen im Dampf-
kochtopf erreicht wird.
1) Die Methoden der Bakterienforschung. Wiesbaden. 4. Aufl.
2) Ludwig Heim, Lehrbuch der bakteriologischen Untersuchung und Dia-
gnostik. Stuttgart 1894.
34*
532 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Soll auf pathogene Pilze geprüft werden, so ist zu berücksichtigen,,
dass auf den Oberflächen des gesunden und kranken Menschen und des
Tieres stets massenhaft Pilze wuchern; auf der Haut, in der Mund-
höhle u. s. w. findet man die zahlreichsten Keime. Nach dem Tode
tritt eine rasche Verbreitung derselben zunächst in alle oberflächlich
zugänglichen Körperteile, sowie vom Darm aus in die inneren Organe
ein. Proben zur Untersuchung auf pathogene Pilze sind daher selbst
beim Lebenden niemals von der ungereinigten Oberfläche zu entnehmen.
Nach dem Tode ist die Sektion sobald als möglich vorzunehmen. Die
Organe werden, um sie von den etwaigen aussen anhaftenden Keimen
möglichst zu befreien, in Sublimatlösung und darauf mehrmals in
sterilem Wasser abgespült; dann wird das Innere der Organe durch
frische Schnitte mit sterilen Instrumenten freigelegt.
Die direkte mikroskopische Beobachtung (eventuell unter Zusatz
von \ % Kochsalzlösung, Mischung von Glycerin und Wasser,
Lösung von essigsaurem Kali 1 : 10) ohne weitere Hilfsmittel führt nur
bei grösseren Pilzen und höchstens bei der Untersuchung von Kulturen
von Spaltpilzen einigermassen zum Ziele, während letztere selbst mit
den stärksten Vergrösserungen nicht wahrgenommen werden können,
wenn andere Objekte (Zellen, Kerne und Kerndetritus, Krystalle und
amorphe anorganische Massen) im Präparat zugegen sind. Fast in
allen Fällen, wo es auf genaue Durchmusterung eines Präparats an-
kommt, ist daher eine Färbung der Mikroorganimen auszuführen.
Letztere nehmen gewisse Farbstoffe mit ausserordentlicher Energie auf,
und es gelingt meistens die Färbung so zu leiten, dass nur die Mikro-
organismen gefärbt oder wenigstens nur diese stark gefärbt sind,
während alle übrigen Objekte des Präparats schwach oder gar nicht
fingiert sind. Auch wo die Abwesenheit von Spaltpilzen in einer Sub-
stanz konstatiert werden soll, ist lediglich mit Zuhilfenahme der Färbe-
methode eine einigermassen sichere Entscheidung möglich. — Die Be-
handlung der Präparate zum Zweck der Tinktion ist verschieden, je
nachdem Flüssigkeiten oder tierische Organe vorliegen.
I. Herstellung und Färbung von Deckglaspräparaten.
Flüssigkeiten werden zunächst in dünnster Schicht auf dem
Deckglase angetrocknet, dadurch, dass mit kurz vorher geglühtem Platin-
draht ein kleiner Tropfen auf das Deckglas gebracht und durch einige
kreisförmige Bewegungen ausgebreitet wird; oder noch zweckmässiger
legt man auf das betropfte Deckglas ein zweites, so dass der Tropfen
breit gedrückt wird und die Flüssigkeitsschicht sich bis zum Rande
der Deckgläschen erstreckt; dann zieht man die Gläschen seitlich von
einander und erhält so zwei dünn bestrichene Flächen; nach wenigen
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 533
Minuten ist dann die Schicht angetrocknet. Wollte man das Deckglas
jetzt unmittelbar mit Farblösung in Berührung bringen, so würde die
Schicht wieder abgelöst und fortgeschwemmt werden; die Pilze müssen
daher wo möglich erst auf dem Glase fixiert werden. Dies geschieht
entweder durch längeres Einlegen der Gläschen in absoluten Alkohol
oder durch kurzes Erhitzen auf 110 — 130° C. (2 — 10 Minuten; der richtige
Grad der Erhitzung liegt für verschiedene Objekte etwas verschieden
und muss durch einige Versuche ermittelt werden). Das Erhitzen kann
am zweckmässigsten dadurch in ausreichender Weise ausgeführt werden,
dass man die Deckgläschen 2 — 3 mal langsam („etwa so rasch wie man
Brot schneidet") durch die Flamme eines Bunsenbrenners oder eine
Spiritusflamme zieht. Die Pilze haften nach dieser Behandlung so fest
an den Gläsern, dass diese ohne Schaden lange Zeit in wässrigen Flüssig-
keiten gehalten werden können.
Auf die so präparierten Deckgläschen wird dann die unten zu er-
wähnende Farblösung getropft; meist genügt es, wenn man die Lösung
5 — 10 Minuten einwirken lässt; ist eine längere Einwirkung nötig, so
ist es zweckmässig, die Deckgläschen auf einem flachen Schälchen mit
Farblösung schwimmen zu lassen. Man kann die zur Färbung nötige
Zeit wesentlich verkürzen, wenn man die Farblösungen über der Flamme
erwärmt. Das Deckgläschen
wird dann mit der Pinzette
gefasst, von der Farblösung
durch Absaugen mit Filtrier-
papier befreit, dann in destil-
::. _XT ., . Fig. 14. Pinzette von Cornet.
liertem W asser, zuweilen auch
in sehr verdünnter Essigsäure (etwa 5 — 10 Tropfen auf 100 ccm Wasser)
gespült, und nun entweder mit Wasser auf den Objektträger gebracht
oder erst nochmals getrocknet und dann in Nelkenöl oder Kanada-
balsam eingelegt.
Eine grosse Erleichterung beim Färben der Deckgiaspräparate wird
durch Benutzung der CoENET'schen Pinzetten (s. Fig. 14) gewonnen,
welche vermöge ihrer Federkraft die Deckgläschen wagerecht fixieren
und ein leichtes Handhaben der Deckgläschen ermöglichen.
II. Herstellung von Schnitten.
Organe müssen zunächst längere Zeit (mehrere Tage) in absolutem
Alkohol gehärtet werden; sie müssen dabei allseitig von diesem um-
geben und nötigenfalls zerkleinert sein. Sodann klebt man die ge-
härteten Stückchen auf Korkstückchen mit Gelatine auf und stellt mit
den Mikrotom Schnitte daraus her. Für manche Zwecke, vor allem
bei bröckligen Geweben, oder sehr dünnen Objekten oder zur Her-
534 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Stellung sehr dünner Schnitte, welche zum Nachweis mancher Bakterien
notwendig sind, muss man die Organe durch Einbettung in Celloidin,.
Paraffin, Glyceringelatine oder durch Gefrierenlassen zum
Schneiden vorbereiten.
Die Paraffineinbettung ist einigermassen umständlich und zeit-
raubend, so dass von ihr im ganzen wenig Gebrauch gemacht wird..
Nur da, wo es auf Gewinnung zusammenhängender Reihen von Schnitten,
sog. Serienschnitte, ankommt, ist das Paraffin verfahren angezeigt. Das
Verfahren gestaltet sich so, dass aus dem Alkohol die Organstückchen
für 24 Stunden in Chloroform, Terpentinöl oder Toluol gelangen.
Dann werden sie bis zum Schmelzpunkt des zu benutzenden Paraffins
erwärmt, in das verflüssigte Paraffin übertragen und im Paraffinbade
6 — 24 Stunden belassen. Darauf füllt man Paraffin in kleine Formen,
wirft die Organstückchen hinein und lässt die Masse erstarren. Schneidet
man einen solchen Paraffinblock mit dem Mikrotom, und zwar mit
quergestelltem Messer, so schieben sich, wenn die Ränder des Blockes
parallel sind, die Schnitte vor einander her und kleben an einander-
Die so erhaltenen Serienschnitte kann man auf Objektträger ankleben
und weiter bearbeiten. Mit der Paraffinmethode lassen sich sehr dünne
Schnitte erzielen.
Die Einbettung in Celloidin ist das am meisten gebrauchte Ver-
fahren. Durch Auflösung mehr oder weniger grosser Mengen von
Celloidin in einer Mischung von Äther und Alkohol zu gleichen Teilen
stellt man sich eine dünnere und eine dickere Lösung her. Die Organ-
stückchen verbleiben einige Tage in der dünneren, ebensolange in der
dickeren Celloidinlösung und werden dann, mit etwas Kollodium auf
Korkstückchen aufgeklebt, in 70 proz. Alkohol geworfen. Die Stückchen
werden bald hart und lassen sich in sehr dünne Schnitte zerlegen.
Beim Schneiden wird das Messer und das Organstückchen mit 70 proz.
Alkohol befeuchtet. Für Schnitte, welche nach Geam gefärbt oder in
denen Tuberkelbacillen nachgewiesen werden sollen, eignet sich die
Celloidineinbettung nicht. Bei ersteren treten leicht Farbstoffnieder-
schläge ein, während in letzteren die Tuberkelbacillen häufig ihre
Färbbarkeit verlieren.
Die Einbettung in Glyceringelatine empfiehlt sich da, wo man die
Organe rasch zum Schneiden fertigstellen will, oder wo man Bakterien
sichtbar machen will, deren Färbbarkeit bei Celloidineinbettung leidet
(Tuberkelbacillen). Die Organstückchen, welche sehr klein sein müssen,
gelangen einige Stunden in Glyceringelatine (1 Teil Glycerin, 2 Teile
Gelatine, 3 Teile Wasser) und werden dann auf Kork geklebt in ab-
solutem Alkohol aufbewahrt.
Steht ein Gefriermikrotom zur Verfügung, so kann das frische
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 535
Organ sofort nach dem Gefrieren geschnitten werden; die Schnitte
bringt man zunächst in physiologische Kochsalzlösung, von da vor-
sichtig in absoluten Alkohol und behandelt sie dann weiter wie oben.
Man kann aber auch in Alkohol gehärtete Organe mit dem Gefrier-
mikrotom schneiden und vermeidet so die Einbettung in Celloidin u. s. w.
Ehe die Schnitte auf die Scheibe des Gefriermikrotoms kommen, werden
sie in physiologischer Kochsalzlösung so lange gewärmt, bis der Alkohol
aus ihnen entfernt ist.
III. Färbung und Behandlung der Schnitte,
a) Allgemeines.
Hat man mit dem Mikrotom eine grössere Anzahl feiner Schnitte
hergestellt, so bringt man dieselben zunächst in absoluten Alkohol und
von da in die Farblösung. In letzterer bleiben die Schnitte ij2 — 5 Stunden,
in einzelnen Fällen sogar 24 Stunden. Durch Erwärmen auf 30 — 40° C.
kann diese Zeit erheblich abgekürzt werden. Nimmt man die Schnitte
aus der Farbe, so ist das ganze Gewebe stark gefärbt; man sucht dann
eine Differenzierung der Pilze gegenüber dem Gewebe dadurch zu
bewirken, dass man die Schnitte in mit Wasser verdünnten Alkohol
oder verdünnte Essigsäure bringt, die den Zellen den Farbstoff wieder
entziehen und nur Pilze und höchstens noch Zellkerne (ausserdem ge-
wisse Mucinarten, die verhornten Gebilde, zuweilen Fett, Nervenmark)
gefärbt erscheinen lassen. Dann folgt dieEntwässerung des Präparats.
In den meisten Fällen wird die Entwässerung des Gewebes am zweck-
mässigsten dadurch bewirkt, dass man die Schnitte in absoluten Alkohol
bringt, hier etwa 15 — 30 Minuten lässt, aus diesem nochmals in reinen
Alkohol und dann zur Aufhellung in Xylol bringt.
Als Farbstoffe verwendet man nur selten Karmin oder Häma-
toxylin, sondern hauptsächlich Anilinfarben, zu denen die niederen
Pilze die grösste Verwandtschaft zeigen.
Man unterscheidet nach Ehelich1) 2 grosse Gruppen von Anilin-
farben, die durch chemische und histiologische Eigentümlichkeiten
scharf geschieden sind, die sauren und die basischen Farbstoffe.
Zu den sauren rechnet man alle solche Farbstoffe, bei welchen das färbende
Prinzip die Säure ist; der Farbstoff braucht darum nicht eine freie Säure zu sein
oder sauer zu reagiren, sondern kann z. B. mit Basen salzartige Verbindungen
bilden (wie prikinsaures Ammon). Man unterscheidet 4 Klassen von sauren Farb-
stoffen, nämlich 1. Fluorescei'ne ; dahin gehören Fluorescein, Pyrosin, Eosin (Tetra-
bromfmoresce'in) u. a. m. 2. Nitrokörper, z. B. Martiusgelb (Salz des Binitro-
1) Vgl. Westphal, Schwarze, Spilling; auch Weigert, Virchow's Archiv.
Bd. 84.
536 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
naphtols), Pikrinsäure, Aurantia (Amrnonsalz des Hexanitrodiphenylarnins)
3. Sulfosäuren, z. B. Tropäolin, Bordeaux, Ponceau; Derivate des in Spiritus lös
liehen Anilinblau; Anilinschwarz u. s. w. 4. Primäre Farbsäuren, z. B. Rosol
säure, Alizarin, Nitroalizarin, Purpurin, Cörulei'n, vielleicht Hämatoxylin u. s. w
Zu den Farbbasen gehören: Fuchsin (Eosanilin), Methylviolett, Methylgrün
(beides Methylderivate des Rosanilins, letzteres gewöhnlich mit Methylviolett ver
unreinigt), Triphenylrosalin (rohes Anilinblau) und dessen Derivate, Cyanin, Safranin
Magdala, ferner die besonders viel zur Bakterienfärbung gebrauchten Bismarck
braun, Dahlia, Gentianaviolett, Methylenblau.
Die basischen Farbstoffe kommen gewöhnlich nicht als freie Basen im Hände
vor, sondern als Salze, so das Fuchsin als salzsaures oder essigsaures Rosanilin
Für die Färbung der Spaltpilze eignen sich fast ausschliesslich
die basischen Farbstoffe; nur diese vermögen auch die Kerne zu färben*
Um nicht eine diffuse Färbung des ganzen Gewebes zu bekommen,
muss man nach der Tinktion die Präparate noch mit solchen extra-
hierenden Lösungen behandeln, die zu den Farbstoffen eine grössere
Verwandtschaft haben als die Gewebe, aber eine geringere als die
Spaltpilze (und Zellkerne); derartige differenzierende Lösungen sind eben
Alkohol und verdünnte Essigsäure.
Manche Spaltpilze zeigen nur zu wenigen Farbstoffen starke Ver-
wandtschaft, es sind daher bei der Aufsuchung noch unbekannter Mikro-
organismen die verschiedensten Farbstoffe, bald unter Zusatz von etwas
Essigsäure, bald in schwach alkalischer Lösung durchzuprobiren;
Bacillensporen nehmen ohne besondere Behandlung (s. unten) keine
Farbstoffe auf. — Für die meisten Mikrokokken ist jedes Kernfärbe-
mittel (Karmin, Hämatoxylin, basische Anilinfarben) geeignet. Sie färben
sich roth mit den kernfärbenden Karminsorten, mit Purpurin, Fuchsin,
Magdala, Magentarot; braun mit Bisrnarckbraun, Vesuvin; grün mit
Methylgrün, blau oder violett mit Hämatoxylin, Methylenblau, Jod-
violett, Methylviolett, Dahlia, Gentiana. Für manche Bacillen eignen
sich nur die kernfärbenden Anilinfarben.
b) Gebräuchlichste Farblösungen.
Die meiste Anwendung verdienen:
1. Fuchsin, welches in Form der ZiEHi/schen oder in koncentrierter
alkoholischer Lösung vorrätig zu halten ist. Die ZiEHi/sche Lösung stellt
man sich dar, indem man je 1 gr Fuchsin in 10 cem absolutem Alkohol
durch inniges Verreiben löst und zu je 10 cem dieser alkoholischen
Fuchsinlösung 100 cem 5 proz. wässriger Carbolsäurelösung zusetzt. Die
ZiEHi/sche Lösung ist dauernd haltbar und behält ein sehr starkes Fär-
bungsvermögen. Die Carbolsäure wirkt als Beize. Ausser in der kon-
centrierten Form (zur Tuberkelbacillenfärbung) benutzt man sie mit
KoiiLE, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 537
Wasser (im Verhältnis 1 : 20) verdünnt (nach R. Peeiefer) als eine
Art Universalfärbemittel.
2. Methylenblau; namentlich in schwach alkalischer Lösung
(Löfeler's Univers alfärbeflüssigkeit). Bereitet durch Vermischen von
1 ccm koncentrierter alkoholischer Methylenblaulösung, die lange
konserviert werden kann, mit 200 ccm dest. Wasser und 2—4 Tropfen
10 proz. Kalilauge. Die Mischung muss täglich frisch filtriert und
etwa alle acht Tage frisch bereitet werden. Ausserdem hält man
wässrige Lösung vorrätig.
3. Gentianaviolett (BR nach dem Katalog der Berliner Aktien-
gesellschaft für Anilinfarben, Berlin SO); in ca. 1 proz. wässriger Lösung.
4. Die EHELiCH'schen Farblösungen. Dieselben werden her-
gestellt durch Mischung von koncentrierter wässriger Anilinlösung mit
koncentrierter alkoholischer Farbstofflösung (Fuchsin, Gentianaviolett,
Methylviolett). Man schüttelt 4 ccm Anilinöl in 100 ccm Wasser und
filtriert die Emulsion durch ein angefeuchtetes Filter. Zum Filtrate
(dem in Wasser gelösten Anilinöl) setzt man 10 ccm koncentrierter
alkoholischer Farbstofflösung (1 gr Farbstoff auf 10 ccm Alkohol)
und filtriert. Die EHELiCH'schen Lösungen werden unverdünnt zur
Tuberkelbacillen- und GRAM'schen Färbung, verdünnt zur Färbung fast
aller B akterein benutzt.
Methylviolett, Gentiana und Dahlia zeigen in besonderem Grade
die Eigenschaft der metachromatischen Färbung, d. h. sie färben ver-
schiedene Elemente mit einer von der Grundfarbe abweichenden Nuance
rötlich bis rot u. s. w. Das gewöhnlich mit Methylviolett verunreinigte
Methylgrün giebt oft blaue und zuweilen rosa Nuancierungen.
c) Besondere Färbungsrnethoden.
1. Doppelfärbung.
Zur besseren Differenzierung zwischen Kernen und Spaltpilzen sind
zuweilen die Doppelfärbungen sehr geeignet; erwähnt sei z.B. die
Tinktion mit Pikrokarmin und Gentiana, die darauf beruht, dass Karmin
den violetten Farbenton aus den Kernen zu vertreiben vermag, aber
nicht aus Bacillen. Die Schnitte werden erst in Gentianalösung ge-
bracht, dann in Alkohol, dann zur Entfernung des Alkohols auf einen
Moment in Wasser, darauf in WEiGERT'sche Pikrokarminlösung. Nach
% — 1 stündigem Verweilen kommen sie in Wasser, Alkohol, Nelkenöl,
Balsam. Die Zellkerne erscheinen dann rot, die Bacillen blau gefärbt. —
Aktinomycesdrusen lassen sich durch Behandlung mit WEDi/scher
Orseille (V. Bd. 74) und dann mit Gentiana rothblau färben.
538 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
2. Färbung der Tuberkelbacillen.
Tuberkelbacillen werden am besten nach folgender Methode ge-
färbt, welche sich eng an die von Ehelich hierfür angegebene Methode
anschliesst. Auf die mit Sputum nach der oben gegebenen Vorschrift be-
strichenen und erhitzten Deckgläschen wird koncentrierte ZiEHi/sche
Lösung getropft, bis die Fläche ganz damit bedeckt ist. Durch vor-
sichtiges Auf- und Niederführen der mit CoRNETscher Pinzette ge-
haltenen Deckgläschen über einer Gasflamme erwärmt man die Flüssig-
keit, bis sie eben dampft (nach Rindfleisch). Dann lässt man die
Deckgläschen, mit der erwärmten Flüssigkeit bedeckt, 1 — 2 Minuten
stehen, spült sie hierauf mit "Wasser ab und taucht sie so lange in
20 proz. Salpetersäurelösung, bis die violette Farbe des Präparats ver-
schwunden ist. Dann werden die Deckgläschen in 60 proz. Alkohol so
lange abgespült, bis die Schicht auf den Deckgläschen nur noch einen
ganz blassroten Farbenton zeigt. Nach Abspülung in Wasser färbt man
mit verdünnter wässriger Methylenblaulösung einige Sekunden nach,
trocknet das Präparat und schliesst es in Kanadabalsam ein. Schnitte,
in welchen man Tuberkelbacillen färben will, bringt man in ein Schäl-
chen mit koncentrierter Carbolfuchsinlösung und belässt das
Schälchen im Brütschrank bei 37° C. 1 — 2 Stunden lang. Man über-
trägt dann die Schnitte in Wasser und nach kurzer Abspülung aus
diesem in 60 proz. Alkohol, dem auf 100 ccm 20 Tropfen einer Mineral-
säure zugesetzt sind, und zwar nochmals in frische Gläschen. Aus
dem sauren Alkohol gelangen die Schnitte in Wasser, um sorgfältig
gespült zu werden. Darauf erfolgt die Kontrastfärbung in stark ver-
dünnter wässriger Methylenblaulösung, Differenzierung in absolutem
Alkohol. Die Weiterbehandlung erfolgt nun wie gewöhnlich. Man
erhält so Bilder, in welchen die Tuberkelbacillen rot, Zellkerne und
Zellen blau gefärbt sind. Von anderen Spaltpilzen, welche die Färbung
der Tuberkelbacillen zeigen, sind bisher nur die Leprabacillen bekannt.
Ausserdem färben sich noch einige sonstige Objekte, so die Epidermoidal-
gebilde, Schimmelpilzsporen, eventuell Bacillensporen, sowie feine im
Sputum zuweilen vorkommende Fettnadeln mit der Farbe der
Tuberkelbacillen; die Fettnadeln sind jedoch in Äther und Chloroform
leicht löslich (Celli und Guarnieri).
Betreffs der sehr zahlreichen sonstigen, zur Tuberkelbacillenfärbung
empfohlenen Methoden s. die Spezialschriften von Plaut '), Kaatzer 2),
CZAPLEWSKI3).
1) Plaut, Färbungsmethoden u. s. w. 2. Aufl. 1885.
2) Kaatzer, Die Technik der Sputumuntersuchung auf Tuberkelbacillen.
2. Aufl. 1885.
3) Die Untersuchung des Auswurfs auf Tuberkelbacillen. Jena 1891.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 539
Über die Färbung der sogenannten Syphilisbakterien und der
Smegmabacillen s. Bd. II
3. Universalmethoden.
Methoden, welche für die Färbung aller Bakterien im Gewebe ge-
eignet sind und daher als Universalmethoden bezeichnet werden können,
sind von Löeeler und. R. Peeieeer angegeben worden.
«) Löpfler's Methode.
Nach Löeeler' s Anweisung (M. G. II) werden die Schnitte einige
Minuten (bei Tuberkel- und Leprabacillenfärbung einige Stunden) in
eine Lösung gelegt, die aus 30 ccm koncentrierter alkoholischer Lösung
von Methylenblau und 100 ccm einer Kalilaugelösung 1 : 10000 zu-
sammengesetzt ist. Zur Differenzierung gelangen die gefärbten Schnitte
einige Sekunden in 1 proz. Essigsäurelösung, zur Entwässrung in Al-
kohol, zur Aufhellung in Xylol, von da zur Konservierung in Kanada-
balsam.
ß) Ppeifper's Methode.
Bei Ausführung der Peeieeer' sehen Färbung, die nur für Tuberkel-
und Leprabacillen nicht geeignet ist, verfährt man so, dass man die
Schnitte \ Stunde in verdünnte ZiEHi/sche Lösung legt und dann in
Alkohol absolutus, der ganz schwach mit Essigsäure angesäuert ist,
überträgt. „Hier müssen die Schnitte sorgfältig überwacht werden.
Sobald die ursprünglich fast schwarzrote Färbung in einen eigentümlich
rotvioletten Farbenton abgeblasst ist, werden sie sofort in Xylol auf-
gehellt." Will man die Präparate konservieren, so kann man'sie direkt
aus dem Xylol in Kanada übertragen (R. Peeieeer, Ätiologie der
Influenza. Z. XIII).
4. Gram's Methode.
Zur Differentialfärbung der Bakterien im Gewebe, sowie als Mittel
zur diagnostischen Unterscheidung mancher Bakterienarten, auch bei
Deckglaspräparaten, ist die GnAM'sche Methode vorzüglich geeignet.
Hierzu sind erforderlich: 1. Anilinwassergentianaviolettlösung nach
Ehelich (s. oben), 2. Jod-Jodkaliumlösung (Jod 1 gr, Jodkalium 2 gr,
Wasser 300 gr). Man bringt die Schnitte aus absolutem Alkohol in die
Farblösung, lässt sie dort 3 — 4 Minten und überträgt sie nach Abspülung
mit Wasser dann in die Jod-Jodkaliumlösung. Die Schnitte bleiben
1 — 2 Minuten in der Jodlösung und werden dabei glänzend schwarz.
Sie werden dann in absoluten Alkohol gebracht, in dem sie sich unter
Bildung einer purpurroten Farbstoffwolke entfärben, darauf in Xylol u. s.w.
Gewebe und Kerne erscheinen schliesslich schwach gelblich, die Spalt-
540 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
pilze dagegen äusserst intensiv blau bis schwarz gefärbt. Mit Ausstrich-
präparaten wird ebenso verfahren.
In der Hand des geübten und erfahrenen Bakteriologen liefert die
GrRAM'sche Methode bei genauer Einhaltung dieser Vorschrift meist
gute Bilder. Doch versagt die Methode zuweilen dadurch, dass keine
völlige Kern entfärb ung eintritt, und dass Farbstoffniederschläge sich
bilden, oder auch dadurch, dass die Bakterien mit entfärbt werden.
Aus diesem Grunde sind Modifikationen der GRAM'schen Methode ein-
geführt worden, von denen hauptsächlich zwei, weil sehr brauchbar, in
ausgedehnterem Masse Anwendung gefunden haben: die Gram-Günther-
sche sowie die Weigert 's che Methode. Günther benutzt ausser
Alkohol 3 proz. Salzsäure- Alkohol zur Entfärbung. Weigert's Methode
war ursprünglich für die Färbung des Fibrins bestimmt und wird
auch unter dem Namen der WEiGERT'schen Fibrinnuethode be-
schrieben. Das Fibrin behält nämlich in gleicher Weise, wie manche
Bakterien, die blaue Farbe bei dieser Behandlungsweise. Aus der
Anilinwassergentianaviolettlösung bringt Weigert die Schnitte auf den
Objektträger, tropft dann Jod- Jodkaliumlösung darauf, bis der Schnitt
glänzend schwarz erscheint, und nach Abtupfung derselben Anilinöl.
Diese Färbung auf dem Objektträger hat die Vorteile, dass einmal die
Schnitte sich gut ausbreiten lassen und nicht zusammenrollen, und
zweitens der Verlauf der Färbung unter dem Mikroskop beobachtet
und verfolgt werden kann. Es wird daher so lange Anilinöl auf den
Schnitt getropft, bis die Besichtigung mit schwacher Vergrösserung
eine Entfärbung der Gewebskerne erkennen lässt. Ist dieser Zeitpunkt
eingetreten, so wird das Anilinöl, durch welches der Schnitt zugleich
entwässert ist, wieder abgetupft, der Rest mit Xylol entfernt und der
Schnitt in Kanadabalsam eingeschlossen.
Statt des Anilinwassergentianaviolett hat Kühne mit gutem Erfolg
Krystallviolett angewandt. Die zur Färbung dienende Lösung stellt
man sich nach Kühne so her, dass man eine koncentrierte alkoholische
Krystallviolettlösung (1 gr Kryst. auf 10 ccm Alkohol) mit leicht durch
einige Tropfen Salzsäure angesäuertem Wasser im Verhältnis 1 : 10
mischt. Die mit Krystallviolett gefärbten Schnitte geben die schönsten
Bilder. Die weitere Behandlung der Schnitte geschieht dann nach
Weigert's Methode.
Es empfiehlt sich, bei der GRAM'schen Färbemethode eine Gegen-
färbung der Schnitte vorzunehmen, damit die Bakterien leichter
zu erkennen sind und in ihrer Lage zu den Zellelementen prägnanter
hervortreten. Benutzt man zur Gegenfärbung Fuchsin oder Bimarck-
braun, so erscheinen etwaige, nicht nach Gram färbbare Mikro-
organismen in der Gegenfarbe, also rot oder braun gefärbt. Wo es
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 54 \
auf eine Gegenfärbung von solchen Mikroorganismen nicht ankommt,
verwendet man am besten Karmin oder Pikrokarmin oder Lithion-
karmin zur Kontrastfärbung des Gewebes. Am vorteilhaftesten ist es,
die Gegenfärbung vor dem GBAM'schen Verfahren anzuwenden. Man
kann die vorgefärbten Schnitte dann, unbeschadet der späteren Färbung
differenzieren und von Farbstoffniederschlägen nötigenfalls befreien,
was nach Ausführung der GBAM'schen Färbung für die Farbe der
Bakterien schädlich sein kann.
Die Benutzung der GRAM'schen Methode zur Differenzierung
von Bakterien.
Die Bakterien zeigen nun gegenüber der GRAM'schen Färbungs-
methode (und ihren Modifikationen) ein verschiedenartiges Verhalten,
nach dem sie in zwei Klassen geschieden werden können: sie bleiben
entweder gefärbt, oder sie entfärben sich bei dem Verfahren.
Es färben sich von den pathogenen Bakterien nach Gram:
pyogene Staphylokokken, Streptokokken, Diplokokkus pneumoniae
(Fränkel), Mikrokokkus tetragenus, Milzbrandbacillus, Tuberkelbacillus,
Leprabacillus, Bacillus der Mäuseseptikämie und des Schweinerotlaufs,
Tetanusbacillus, Diphtheriebacillus.
Es färben sich nicht nach Gram: Gonokokkus, Bacillus des
malignen Ödems, Rauschbrandbacillus, Typhusbacillus, Rotzbacillus, In-
fluenzabacillus, Vibrionen, Spirillen und Spirochäten, Hühnercholera-,
Kaninchenseptikämie- , Schweine-, "Wild-, Rinderseuchebacillen, Fried-
länder's Kapselbacillus.
IV. Färbung von Bacillensporen.
Färbung der Sporen verschiedener Bacillen wurde zuerst von
Buchner (C. VIII), dann von Htjeppe (1. c.) erzielt. Man verwendet dazu
eine stärkere Erhitzung der ausgestrichenen Deckglaspräparate, welche
man nicht 3 mal, sondern 6 — 10 mal durch die Flamme zieht, oder x/4 — V2
Stunde im Trockenschrank bei 180 — 200° C. belässt. Nach dieserBehand-
lung nehmen die Sporen die gewöhnlichen Anilinfarben auf. — Nach
Neisser gelangt man auch zur Färbung der Sporen durch Anwendung
der zur Tuberkelbacillenfärbung benutzten Lösungen unter gleichzeitiger
Erwärmung. Die in gewöhnlicher Weise vorbereiteten Deckglaspräparate
lässt man auf ca.80 — 90° C. warmen Carbol-Fuchsinlösungen 10 — 20 — 40
Minuten schwimmen und behandelt dann weiter wie bei den Tuberkel-
präparaten. Man erhält so die Sporen rot, die Bacillen blau gefärbt.
— Durch Einwirkenlassen von Säuren (koncentrierte Schwefelsäure
25 Sekunden lang oder 5proz. Chromsäurelösung einige Minuten [Möller,
542 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
C. X] lang) auf die Sporen vor der eigentlichen Färbung erleichtert man
das Eindringen des Farbstoffs in die Sporen sehr, in analoger Weise wie
durch das starke Erhitzen. Die Anwendung der Säuren ist der starken
Erhitzung vorzuziehen.
V. Geisseifärbung.
Für die Färbung der überaus feinen Bakteriengeisselfäden sind
mehrere Methoden im Gebrauch. Am verbreitetsten ist die von Löfflee
(C. VI u. C. VII) angegebene Geisselfärbungsmethode, deren Charakteris-
tikum die Anwendung einer Beize vor der eigentlichen Färbung ist. Um
das Verfahren anzuwenden, verteilt man auf sorgfältig von Fett und Staub
(am besten durch längeres Ausglühen auf Blech) gereinigten Deck-
gläschen ein Tröpfchen einer Aufschwemmung der betreffenden
Bakterien, die von frischen Agarkulturen stammen. Um Niederschläge
zu vermeiden, ist es unbedingt notwendig, eine sehr stark verdünnte
Aufschwemmung der Bakterien zu benutzen, indem man z. B. auf
10 ccm Wasser diejenige Menge, welche beim Berühren der Kultur an
einer Platinnadel haften bleibt, verteilt. Es empfiehlt sich, die Auf-
schwemmung in einem Spitzglase einige Zeit stehen zu lassen. Die
unbeweglichen Bakterien sinken dann zu Boden, während in den oberen
Schichten die mit wohlerhaltenen, gut färbbaren Geissein versehenen
Exemplare sich befinden. Hierauf wird die Schicht in der Flamme
unter Vermeidung zu grosser Erhitzung fixiert, was am besten da-
durch erreicht wird, dass man das Deckglas zwischen den Fingern
durch die Flamme zieht. Nun wird auf das Deckglas eine Beize
gebracht, welche besteht aus 10 ccm 20proz. Tanninlösung (20 Tann.
+ 80 Wasser), 5 ccm kalt gesättigter Ferrosulfatlösung (20 Eisenvitriol
+ 30 kaltes Wasser), 1 ccm wässriger oder alkoholischer Fuchsinlösung.
Der Beize, welche mit zunehmendem Alter immer besser wird, muss
ausserdem noch entweder Alkali oder Säure zugesetzt werden, was für
jede Bakterienart empirisch bestimmt werden muss. Unter Hin- und
Herneigen des Deckgläschens wird die Flüssigkeit über der Flamme
bis zum schwachen Dampfen erwärmt, dann mit Wasser abgespült
und durch eine gesättigte Anilinwasser-Fuchsinlösung ersetzt, der man,
um den Zustand der höchsten Färbekraft, denjenigen der Schwebe-
fällung zu erreichen, noch etwas Natronlauge zufügen kann. Nach
einer Einwirkungsdauer von einigen Minuten wird die Flüssigkeit mit
Wasser entfernt und das Präparat in der üblichen Weise weiter be-
handelt. Nach Löfflee's Methode lassen sich die Geisseifäden aller
geisseltragenden Bakterien färben, oft allerdings unter grosser Mühe
und nach vielem Probieren. Die erhaltenen Bilder sind bei richtiger
Ausführung der Färbung sehr klar, ohne Niederschläge und zur photo-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 543
graphischen "Wiedergabe vielfach benutzt (s. d. mikrophotograph. Atlas
d. Bakterienkunde von C. Feänkel u. R. Peeiefee. Berlin, Hirsch-
wald 1894).
In der Zusammensetzung der Beize hat neuerdings R. Bunge (F.
XII. 12) eine Modifikation angegeben. Bei Anwendung der Bunge-
schen Beize ist der Zusatz von Alkali oder Säure, wie er bei der
LöEELEE'schen Beize in einer für jede Bakterienart besonders fest-
zustellenden Menge geschehen muss, nicht notwendig. Bunge stellte
die Beize her, indem er 3 Teile einer wässrigen koncentrierten Tannin-
lösung mit 1 Teil einer wässrigen Lösung von Liq. Ferr. sesquichlor.
(1 : 20) mischte und zu 10 ccm dieser Mischung 1 ccm Fuchsinlösung
setzte. Die Beize ist erst nach einiger Zeit verwendbar. Sie giebt
dann ohne weitere Zusätze bei allen Bakterienarten gleich gute und
niederschlagsfreie Bilder.
Ein auf anderen Prinzipien, als die bisher beschriebenen, beruhen-
des Verfahren hat van Eemengem (Une nouvelle methode etc. 1894) für die
Geisseifärbung angegeben. Das Verfahren ist besonders da zu empfehlen,
wo es sich um den Nachweis handelt, ob überhaupt bei einer Bakterienart
Geissein vorhanden sind oder nicht. Für Präparate, welche photogra-
phisch wiedergegeben werden sollen, eignet es sich wegen der kaum zu
vermeidenden Niederschläge weniger. Bei Ausführung ist nach folgender
Vorschrift van Eemengem's zu verfahren. Auf Deckgläschen, welche in
einer Mischung von Kali bichromic. und Acid. sulfur. conc. aa 60,0 und
1000,0 Wasser gekocht, dann mit Wasser sowie Alkohol abgespült
und getrocknet sind, wird in der oben beschriebenen Weise die zu
untersuchende Bakterienmasse von frischen Agarkulturen gebracht.
Nach Fixierung der Schicht wird eine Beize, bestehend aus 1 Teil einer
2proz. Lösung von Acid. osmic. und 2 Teilen lOproz. Tanninlösung,
5 Minuten lang zur Einwirkung gebracht bei massiger Erwärmung
derselben. Nachdem die Deckgläschen wieder mit Wasser und abso-
lutem Alkohol abgespült sind, werden sie einige Sekunden in eine
0,5proz. Silbernitratlösung getaucht, darauf ohne Abspülung in eine
Lösung von Acid. gallic. 5,0, Tannin 3,0, Kai. acet. pur. 10,0 in
350,0 Wasser. Nach einigen Augenblicken bringt man das Präparat
unter fortwährendem Bewegen in die Silbernitratlösung und nach noch-
maliger Eintauchung in die andere Lösung wieder in das Silberbad
zurück, solange bis sich das Silberbad zu schwärzen beginnt. Nach
Abspülung in Wasser wird das Präparat in gewöhnlicher Weise zur
mikroskopischen Untersuchung fertig gemacht.
Bei allen Geisselfärbungsmethoden erscheinen die Bakterien, welche
zugleich mit den Geissein mitgefärbt werden, unter sonst gleichen Be-
dingungen bedeutend grösser als bei gewöhnlicher Färbung. Es hat
544 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
dies darin seinen Grund, dass die bei den gewöhnlichen Tinktionen
nicht gefärbte protoplasmatische Hülle der Bakterien infolge der Beizung
bei der Geisseifärbung sich intensiv mitfärbt.
VI. Konservierung mikroskopischer Präparate.
Zum Konservieren der Präparate kann man Kanadabalsamr
Dammarlack, koncentrierte Lösung von essigsaurem Kali oder Glycerin
verwenden, letzteres nur für die mit glycerinh altiger Lösung von
Anilinbraun gefärbten Präparate. — Für das Einlegen von Schimmel-
und Hefepilzen eignet sich am besten Glyceringelatine (1 Teil Gelatine,
6 Teile Wasser, 7 Teile Glycerin, 1% Carbolsäure zusammen erwärmt
und filtriert).
VII. Mikroskopische Durchmusterung der Präparate.
Zur Untersuchung der Präparate sind nur die besten Mikroskope
geeignet. Für die grösseren Spaltpilzformen (Milzbrandbacillen u. s. w.)
sind Trockensysteme ausreichend, für alle feineren Formen bedarf
man der besten Ol-Immersionen1). Zeiss in Jena hat in Verbindung
mit Abbe die denkbar vollkommensten Mikroskopsysteme in Gestalt der
Apochromaten konstruiert. Bei den Apochromatsystemen sind in-
folge geeigneter Gläserkombinationen in allen Zonen mehr als zwei
Farben des Spektrums korrigiert, so dass nur das Tertiärspektrum übrig
bleibt. Ausserdem ist die sphärische Aberration fast völlig ausgeglichen.
Diejenigen Teile des Sehfeldes, in welchen die richtige Farben-
oder sphärische Korrektion trotzdem nicht ganz erreicht ist, erhalten
durch eigens konstruierte Okularsysteme eine Ausgleichung. Diese
sog. Kompensationsokulare sind nämlich so konstruiert, dass sie den
entgegensetzten Fehler wie die Objektive aufweisen. Man erhält so
mittelst dieser Systeme Bilder, welche frei von Chromasie und
sphärischen Aberrationen sind. — Um die gefärbten Mikroorganismen
im Gewebe erkennen zu können, ist ausserdem noch eine besondere
Beleuchtung erforderlich. Am vorteilhaftesten würde es selbstver-
ständlich sein, wenn man ein reines Farbenbild vor Augen bekäme,
(1. h. wenn Kanadabalsam und Gewebe von ganz gleichem Brechungs-
vermögen und infolge dessen von dem Gewebe gar nichts, die Bakterien
aber nur vermöge ihrer Färbung zu sehen wären. Nun differieren aber
für gewöhnlich die verschiedenen Teile des Gewebes in ihrem Licht-
brechungsvermögen vom Kanadabalsam und erzeugen durch Diffraktion
1) Oel-Tmmersionen und Beleuchtungsapparate werden in vorzüglicher Aus-
führung geliefert von Zeiss, Seibert u. Kraft, Leitz und R. Winkel. — Farb-
stoffe und sonstige Utensilien sind zu beziehen von Dr. Grübleb in Leipzig.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 545
der durchgehenden Lichtstrahlen ein aus Linien und Schatten be-
stehendes Strukturbild, welches das Farbenbild verdeckt. Es muss
demnach wo möglich angestrebt werden, die Diffraktionserscheinungen
und das Strukturbild möglichst zum Verschwinden zu bringen, und
dies ist möglich durch Anwendung eines passenden Beleuchtungs-
Betrachtet man ein mikroskopisches Präparat bei einer Beleuchtung mit
zuerst schmalem und dann immer breiter werdendem, aber immer gleich
langem Lichtkegel, so verschwinden die Diffraktionserscheinungen und das
Strukturbild, welche bei engster Blende am intensivsten waren, allmählich immer
mehr, und in demselben Masse, in dem das Strukturbild abnimmt, wird das
Farbenbild intensiver und schärfer. Es muss daher wo möglich ein Beleuchtungs-
kegel von so grosser Oeffnung zur Beleuchtung verwandt werden, dass die Dif-
fraktionserscheinungen gänzlich zum Verschwinden gebracht werden. Ein In-
strument, welches diesen Zweck vollständig erreicht, hat Koch in dem von Abbe
angegebenen und von Zeiss angefertigten Beleuchtungsapparat gefunden.
Derselbe besteht aus einer Linsenkombination, deren Brennprunkt nur einige
Millimeter von der Frontlinse entfernt ist. Wenn die kombinierte Beleuchtungs-
linse also in der Öffnung des Mikroskoptisches und zwar ein wenig tiefer als die
Tischebene sich befindet, dann fällt der Brennpunkt mit dem zu beobachtenden
Objekt zusammen und letzteres erhält in dieser Stellung die günstigste Beleuch-
tung. Der Öffnungswinkel der ausfahrenden Strahlen ist so gross, dass die
äussersten derselben in einer Wasserschicht fast 16° gegen die Axe geneigt sind,
der gesamte wirksame Lichtkegel demnach eine Öffnung von 120°, also eine
grössere Öffnung als irgend ein anderer Kondensor besitzt. Die Lichtstrahlen
werden dem Linsensystem durch einen Spiegel, der nur um einen festen Punkt
in der Axe des Mikroskops drehbar ist, zugeführt. Zwischen Spiegel und Linse,
nahe dem Brennpunkt des ersteren, befindet sich ein Träger für Blenden, die
ausserdem seitlich und kreisförmig beweglich sind, so dass der Beleuchtende
Strahlenkegel in jeder beliebigen Weise verändert werden kann. Durch mehr
oder weniger grosse Blendenöffnung wird auch die Öffnung des Strahlenkegels
von der kleinsten bis zur grössten mit der Beleuchtungslinie überhaupt zu er-
zielenden modifiziert. Seitliche Verschiebung der Blendenöffnung giebt ohne Be-
wegung des Spiegels schiefe Beleuchtung und mit Hilfe einer centralen Ab-
biendung kann der mittlere Teil des Kegels ausgeschaltet werden.
VIII. Photographische Abbildung von Bakterien.
Die beste Wiedergabe der unter dem Mikroskop beobachteten
Bilder liefert die Photographie. Die photographische Platte giebt ob-
jektiv die Erscheinungsformen, wie sie auf sie wirken, wieder und
besitzt daher den Wert eines Dokuments. Dabei ist die Schärfe
der photographischen Bilder eine grössere, als diejenige der direkt auf
unserer Netzhaut durch das Mikroskop entworfenen.
Die lichtempfindliche Platte ist gewissermassen ein Auge, wel-
ches nicht durch helles Licht geblendet wird, welches nicht bei der
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 35
546 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
anhaltenden Unterscheidung der geringsten Lichtunterschiede ermüdet
und das nicht durch Glaskörpertrübungen oder andere Fehler behin-
dert wird. Oft findet man auf dem Negativ, wenn das Bild nur scharf
eingestellt gewesen war, feine Objekte, z. B. feinste Geisseifäden, welche
man nachträglich nur mit äusserster Mühe und unter den günstigsten
Beleuchtungsverhältnissen im Mikroskop erblicken kann. Das Photo-
graphieren von mikroskopischen Präparaten schärft daher auch das
Auge des Mikroskopikers und zwingt ihn, seine Präparate so voll-
kommen als möglich herzustellen, indem es auch die Fehler mit un-
beirrter Redlichkeit wiederspiegelt.
Die Demonstration von schwierigen Objekten vor Anderen, nament-
lich des Mikroskopierens Unkundigen, ist kaum auf andere Weise
als mit Hilfe von Photogrammen möglich. Auch bei der Vorführung
und Erklärung mikroskopischer Objekte vor mehreren Personen gleich-
zeitig, wo nicht von jedem einzelnen der Zuhörer, sondern nur von
einem zur Zeit das Mikroskop benutzt werden kann, ist das Mikro-
photogramm unentbehrlich.
Gegenüber diesen grossen Vorzügen, auf welche zuerst R. Koch,
der erste Darsteller von Bakterienphotogrammen, hingewiesen hat,
treten die Mängel, bestehend in der Wiedergabe nur einer Ebene
eines räumlich sehr beschränkten Teiles des Präparats und in der
Schwierigkeit der Technik, so in den Hintergrund, dass die photogra-
phische Darstellung von Bakterienpräparaten ein sehr wichtiger, not-
wendiger Bestandtheil der Untersuchungsmethoden geworden ist.
Zur Herstellung von Mikrophotogrammen benutzt man am besten
den allen Anforderungen der neueren Technik Rechnung tragenden, in
Fig. 15 wiedergegebenen mikrophotographischen Apparat von Zeiss
(Jena), bestehend aus drei Teilen: der Beleuchtungsvorrichtung, dem
Mikroskop mit Zubehör und der Kamera. Die drei Teile sind hinter-
einander horizontal angeordnet und zweckmässig mit einander verbunden.
Die Aufstellung des ganzen Apparates hat am besten im Erdgeschoss des
Gebäudes auf eingemauerten Pfeilern stattzufinden, damit die Erschütte-
rung während der Expositionszeit eine möglichst geringe ist. Die beste
Lichtquelle bietet Sonnenlicht, das vermittelst eines Heliostaten aufge-
fangen wird. Einen Ersatz für das Sonnenlicht hat man in Cirkonlicht.
Die Lichtquelle und der Abbe 'sehe Beleuchtungsapparat müssen so zu ein-
ander gestellt sein, dass in der zu photographierenden Ebene des Objekts
ein scharfes Bild der Lichtquelle entsteht, so dass keine Diffraktionsräume
auftreten können. Es sind zu diesem Zwecke Mikrometerschrauben an
dem Abbe 'sehen Beleuchtungsapparat angebracht, vermöge deren eine
genaue „Centrierung" desselben sowie der Objektivlinsen möglich ist.
Die Objektivsysteme des Mikroskops sind so konstruiert, dass nur bei
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
547
einer bestimmten Brennweite (meist 160 mm) ein scharfes Bild des
Objekts aufgefangen wird. Damit auch bei stärkeren Vergrösserungen,
Fig. 15.
wobei der auffangende Schirm vom Objektiv entfernt wird, ein scharfes
Bild auf der lichtempfindlichen Platte erscheint, ist die Einschaltung
35*
548 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
von sog. Projektionsokularen zwischen Objektiv und Platte not-
v^endig.
Man kann ungefärbte und gefärbte Objekte zur Darstellung bringen.
Die mit Fuchsin, Methylenblau oder Methylviolett gefärbten Präpa-
rate werden unter Anwendung eines grünen Lichtfilters (Zettnow, C.IV.
2. 1888) auf orthochromatischen, d. h. mit Erythrosin durchtränk-
ten Platten photographiert. Bei der photographischen Aufnahme
ungefärbter Präparate verwendet man, schon um die Wärmestrahlen
auszuschliessen, Kupferoxyd-Ammoniakfilter. Es genügen dann ge-
wöhnliche Bromsilbergelatineplatten.
Jeder, der Mikrophotogramme herstellen will, muss das gewöhn-
liche photographische Verfahren sicher beherrschen. Die speziellen
mikrophotographischen Methoden bieten aber in Einzelheiten noch viel
Schwierigkeiten und erfordern ein genaues Studium. Wer sich daher
eingehender über Mikrophotographie informieren will, findet in dem
trefflichen Werke von R. Neuhauss (Anleitung zur Mikrophoto-
graphie. Braunschweig 1890) die beste Belehrung. Als Muster vor-
züglicher Photogramme sollen die Mikrophotogramme R. Koch's
in Cohn's Beitr. Bd. 2 und in den Mittheilungen aus dem Kaiser!.
Gesundheitsamt Bd. 1, sowie diejenigen von R. Peeiefer und C.FRÄn-
KEL in ihrem mikrophotographischen Atlas der Bakterienkunde nicht
unerwähnt bleiben. Das eingehendere Studium derselben mit Hilfe der
Lupe wird nicht nur für den Bakteriologen von Fach, sondern auch
für alle, die selbst nicht oder wenig bakteriologisch arbeiten, empfeh-
lenswerth und nutzbringend sein.
IX. Zur Differentialdiagnose der Bakterien.
Eine Verwechselung von Spaltpilzen, namentlich von Mikro-
kokken, ist möglich mit Kerndetritus, der aber ungleich grosse und
nicht regelmässig gruppierte Körnchen zeigt; ferner findet man zu-
weilen kleine Tröpfchen oder Kügelchen, die sich mit kernfärbenden
Mitteln fingieren und deren Zugehörigkeit noch zweifelhaft ist.
Namentlich leicht ist aber eine Verwechselung möglich mit den Ehr-
EiCH'scheri Mastzellen (Plasmazellen, granulierte Zellen), die sich
ausserordentlich verbreitet finden und bei den verschiedensten patho-
logischen Prozessen an Zahl erheblich zunehmen. Die gleichmässig
runden Körnchen dieser Zellen werden meist ebenso oder in ganz
ähnlicher Nuance wie die Spaltpilze gefärbt; eine Unterscheidung
zwischen beiden ist oft nur durch die Lagerungsverhältnisse und
namentlich dadurch möglich, dass eben bei den Mastzellen die fingier-
ten Körnchen stets zu zellenähnlichen Gebilden gruppiert sind. —
Handelt es sich darum, jede Verwechselung mit thierischen Gewebs-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
549
theilen auszuschliessen, so kann noch ein besonderes Verfahren zur
Anwendung gelangen. Werden nämlich nach der Anilinfärbung die
Schnitte anstatt mit Essigsäure oder Alkohol mit einer schwachen
Lösung von kohlensaurem Kali behandelt, dann verlieren auch die
Kerne und Plasmazellen, überhaupt alles thierische Gewebe, den Farb-
stoff wieder, und die Spaltpilze bleiben ganz allein gefärbt (Koch).
B. Die künstliche Kultur der Mikroorganismen.
Zum näheren Studium der Eigenschaften aufgefundener Mikro-
organismen ist deren künstliche Züchtung durchaus erforderlich.
I. Gefässe für die Kultivierung.
Als G e f ä s s e *) benutzt man für diesen Zweck am häufigsten dickwan-
dige Reagensgläser oder Kolben verschiedener Grösse, ambesten sogenannte
ERLENMEYERsche (Fig. 16) mit flachem Boden, oder Glasschalen von
ca. 12 cm Durchmesser und mit 1 — 2 cm hohen senkrechten Wan-
Fig. 16.
Fig. 17.
düngen (sog. PETEi'sche Schalen, hauptsächlich bei der Plattenmethode [s.u.]
gebraucht) (Fig. 17). Für manche Fälle, wo man auf grösseren Oberflächen
Kulturen erzielen will, z. B. bei Massenkulturen, sind flachere, ähnliche
Schalen mit 2 parallelen ebenen Flächen zu empfehlen. Am ovalen Halse
dieser 16: 18 cm grossen Schalen, die mit Wattepfropfen verschlossen wer-
den, ist ein vorspringender Falz vorhanden, um das in den Schalen befind-
1) Die nähere Beschreibung der zur Kultur von Bakterien erforderlichen
Apparate und Utensilien ist aus den Spezialkatalogen der Firmen zu entnehmen,
von welchen alle diese Artikel bezogen werden können. Empfohlen sei vor
allem: F. u. M. Lautenschläger, Berlin NW.
550
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
liehe Nährniediuin beim Erstarren vor dem Ausfliessen aus den horizontal
liegenden Schalen zu verhindern (Kolle) (Fig. 18). Als pilzdichten
Verschluss wählt man für alle Gefässe einen Wattepfropfen, der ca.
3 cm lang in den Hals der Gefässe hineinragt und oben 1 cm hoch
Fig. 18.
übersteht; derselbe soll nicht zu fest an den Wandungen anliegen, damit
nicht durch Furchen der kompakten Masse durchlässige Kanäle her-
gestellt werden. Von Pasteur sind kleine Kölbchen (matras) eingeführt,
auf deren Hals zunächst ein kleiner Helm (Fig. 19)
aufgeschliffen ist, und erst dieser Helm trägt einen
Wattepfropf (a). Diese Kölbchen sind namentlich
geeignet für Kulturfiüssigkeiten, von denen häufiger
abgeimpft werden soll; man braucht dann nicht den
Wattepfropfen mit seinen anhängenden Staubteilchen
abzunehmen, sondern hebt eventuell den Helm ab. —
Für gewöhnlich sind jedoch diese Vorsichtsmassregeln
völlig überflüssig; bei einer wiederholten Öffnung der
Kulturgläser genügt es, den nach aussen vorstehenden
und eventuell staubhaltigen Teil des Wattepfropfens
in der Flamme eines Bunsenbrenners leicht abzu-
sengen, um die Gefahr hineinfallender Keime fast völlig zu be-
seitigen.
IL Die Nährsubstrate.
a) Allgemeines.
Die Zusammensetzung derselben muss entsprechend dem oben
über die Lebensbedingungen der niederen Pilze gesagten vor allem
die nötigen Nährstoffe, C-haltige, N-haltige Stoffe und Mineralsub-
stanzen, enthalten; dabei hängt die Güte der Nährlösung ab von der
Nährtüchtigkeit der gewählten Stoffe, ferner davon, ob ihre vorhandene
Menge sich dem Koncentrationsoptimum möglichst nähert, ob die Re-
Fig. 19.
Kolle, Methoden zur Untersuchimg der Mikroorganismen. 55 \
aktion dein betreffenden Pilze zusagt, ob und in welcher Menge Sauer-
stoff zugegen ist u. s. w.
"Will man Schimmelpilze züchten und gegen das Eindringen
von Spaltpilzen schützen, so ist vor allem der Wassergehalt gering, das
Substrat also fest und die Reaktion stark sauer zu wählen; für Spross-
pilze bieten Flüssigkeiten mit nicht so stark, aber doch noch energisch
saurer Reaktion und reichlichem Zuckergehalt die günstigsten Be-
dingungen; für Spaltpilze sind neutrale oder alkalische, wasserreiche
Substrate am geeignetsten.
Als Nährböden wählt man für Schimmelpilze Dekokte von getrockneten
Pflaumen und Rosinen, Dekokte von frischem Mist von Pflanzenfressern, Ab-
kochung von Hefe mit starkem Zuckerzusatz , ausgestrichenen Mist von Pflanzen-
fressern, Scheiben von ungesäuertem Brot, das noch mit verschiedenen Dekokten
gedüngt wird, Brotbrei u. s.w. Die Ansäuerung der Substrate, wenn diese noch
nicht hinreichend sauer reagieren, erfolgt mit Weinsäure (je nach der Koncen-
tration der Nährlösung 2 — 5 %) oder Phosphorsäure (V2— 1 %)• — Für
Sprosspilze wählt man Malzdekokt, Bierwürze, Most oder eines der oben ge-
nannten Dekokte mit Traubenzuckerlösung versetzt.
Von historischem Interesse sind die von Pasteur, Cohn und
Nägeli für Spaltpilze angegebenen rein künstlichen Nährlösungen.
Die Zusammensetzung derselben soll hier kurz angegeben werden, weil
in neuester Zeit (s. u.) für die Züchtung pathogener Bakterien künst-
liche Nährböden Verwendung gefunden haben, bei deren Herstellung
von den Lösungen der drei genannten Autoren ausgegangen wurde.
Pasteur' s Nährlösung bestand aus 100 Teilen Wasser, 10 Teilen Kandis-
zucker, 1 Teil weinsauren Ammon und Asche von 1 Teil Hefe, deren Gewicht
etwa 0,075 der Mischung beträgt. Cohn wählte folgende Zusammensetzung:
0,1 gr phosphorsaures Kali, 0,1 gr krystallisierte schwefelsaure Magnesia, 0,01 gr
dreibasisch phosphorsauren Kalk, 20 gr destilliertes Wasser, 0,2 gr weinsaures
Ammon. —
Diese und ähnliche Nährlösungen litten au verschiedenen, von Nägeli auf-
gedeckten Fehlern. Nägeli empfahl auf Grund seiner zahlreichen Experimente
über den Ernährungsmechanismus der niederen Pilze folgende Lösungen als Nor mal -
flüssigkeiten für Spaltpilze (aus denen durch Zusatz von Zucker und Säure
leicht solche für Schimmel- und Sprosspilze hergestellt werden können):
1. Wasser 100 ccm, weinsaures Ammon lgr, Dikaliumphosphat (K2HP04) 0,1 gr,
Magnesiumsulfat (MgS04) 0,02 gr, Calciumchlorid (CaCl2) 0,01 gr.
Statt des weinsauren Ammons kann auch essigsaures, milchsaures Ammon
u. s. w. oder auch Asparagin, Leucin gewählt werden.
2. Wasser 100 ccm, Eiweisspepton oder lösliches Eiweiss 1 gr, K2HP04 0,2 gr,
MgS04 0,04 gr, CaCl2 0,02 gr.
3. Wasser 100 ccm, Rohrzucker 3 gr, weinsaures Ammon 1 gr, Mineralstoffe
552 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Alle diese Nährsubstrate sind für die Züchtung der pathogenen
Bakterien mehr oder weniger ungeeignet. Die Krankheitserreger
verlangen offenbar stets gewisse Mengen von Eiweiss und Pepton,
eventuell auch Zucker und sind gegen Abweichungen der Nährsub-
strate sehr empfindlich. Für die meisten Arten müssen die günstigsten,
in engen Grenzen schwankenden Nährbedingungen speziell ausprobiert
werden.
Am besten geeignet sind folgende Nährlösungen: Fleischinfus (in
derselben Weise wie zur Herstellung der Nährgelatine bereitet), Fleisch-
infus mit 1 °/0 Pepton und 2 °/0 Dextrose, Fleischextraktlösung
(Liebig's Fleischextrakt 1 pro Mille) mit Pepton und Dextrose, Milch,
Molke, Blutserum. Ferner eine Reihe von festweichen Nährsubstraten:
Mischungen der Nährlösungen mit erstarrenden Agentien, Gelatine oder
Agar, eventuell mit Blut bestrichen, z. B. als Blutagar (R. Pfeiffer)
oder mit Zusatz verschiedener Chemikalien, z. B. Glycerin als Glycerin-
agar, erstarrtes Blutserum, gekochte Kartoffeln. Sämtliche Nährsub-
strate müssen neutralisiert werden, bis schwach alkalische Reaktion
vorhanden ist; bei stark saurer Reaktion der Substrate geschieht dies
mit koncentrierter wässriger Sodalösung, welche man so lange zusetzt,
bis rotes Lakmuspapier ausgesprochen blaue Farbe zeigt. Bei geringerem
Säureüberschuss des Substrats wird von manchen Autoren die Alkali-
sierung mit Dinatriumphosphat empfohlen.
b) Künstliche Nährlösungen für die pathogenen Bakterien.
In ähnlicher Weise, wie von Pasteur, Cohn, Nägeei für die saprophytischen
Spaltpilze, sind auch für die pathogenen Bakterien rein künstliche Nährlösungen
angegeben. Zuerst hat Uschinsky (C. IV. 10) einen eiweissfreien Nähr-
boden empfohlen, in dem enthalten waren: "Wasser 1000, Glycerin 40 — 50,
Chlornatrium 5 — 7, Chlorcalcium 0,1, Magnesiumsulfat 0,2, Dikaliumphosphat 1,0,
Ammonium lacticum. In etwas abweichender Weise hat Maässen (K. A.) einen
eiweissfreien Nährboden zusammengesetzt, auf dem vor allem der Choleravibrio
gut wächst. Maassen's Nährlösung besteht aus: 7 gr Äpfelsäure, 10 gr Asparagin,
0,4 gr Magnesiumsulfat, 2,0 gr sekundärem Natriumphosphat, 2,5 gr kristallisierter
reiner Soda und 0,01 gr trockenem Calciumchlorid auf 1000,0 Wasser und einem
Kohlehydrat, z. B. Traubenzucker %— 1 °/0.
In beiden Nährlösungen entstehen beim Erhitzen Niederschläge, wodurch
nicht nur die Nährkraft der Lösung, sondern auch ihre Brauchbarkeit für Kultur-
zwecke beeinträchtigt wird.
Während die angegebenen Nährböden rein empirisch zusammengestellt sind,
haben neuerdings Proskauer und Beck (Z. XYIII) in systematischer Weise nach Art
der agrikulturchemischen Bestimmungen eiweiss- und peptonfreie Nährböden zu-
sammengestellt, in denen nur die für eine Bakterienart unbedingt notwendigen
Stoffe, und zwar nur in der für eine bestimmte Wachstumszeit notwendigen Menge
vorhanden waren. Bei Untersuchungen über die Entwicklung der Tuberkelbacillen
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
553
fanden die genannten Forscher z. B., dass diese Bakterien Phosphate, Magnesium-
salze, Alkali (Natrium oder Kalium), Schwefel, gewisse N-haltige Verbindungen (haupt-
sächlich Amidosäuren und Ammoniumsalze) und Glycerin in bestimmten Mengen
zum Wachstum gebrauchen. C. Fränkel (R. IV. 1894) hat nach denselben Prin-
zipien zusammengesetzte Nährböden für Cholera-, Eotz-, Milzbrandbakterien und
Streptokokken angegeben.
Für das nähere Stu-
dium der Chemie der
Bakterienzelle und der
von ihr gelieferten Gift-
stoffe ist die Züchtung
der Bakterien, vor allem
der pathogenen, in die-
sen künstlichen Nährlö-
sungen von hoher Be-
deutung.
Während nämlich
bei der chemischen Be-
handlung von Bakterien-
kulturen in Bouillon,
Pepton u.s. w. die in die-
sen Nährsubstraten ent-
haltenen Eiweisskörper
mit in die Niederschläge
gehen und die Reindar-
stellung, der wirksamen
Substanzen erschweren,
wenn nicht unmöglich
machen, ist bei Benutzung
der künstlichen Nährlö-
sungen zur Kultur die
Möglichkeit vorhanden,
die wirksamen Substan-
zen der Bakterien zu iso-
lieren und chemisch rein
darzustellen.
Alle Nährsubstrate und Gefässe müssen vor der Verwendung zur
Kultur gründlich sterilisiert, d. h. von lebensfähigen Keimen befreit
sein. Dies wird erreicht durch Erhitzen der Gefässe (Probierröhrchen
Fig. 20.1)
1) Die zu dieser Figur, sowie den meisten folgenden benutzten Cliches ver-
danke ich der Liebenswürdigkeit der Firma Lautenschläger.
554
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
mit Wattepfropf u. s. w.) im kupfernen oder eisernen Trockenschrank
auf 150 — 180° C. während 1 Stunde; die Watte wird dabei schwach ge-
bräunt; die Temperaturen pflegen an den verschiedenen Stellen der
Öfen sehr ungleich zu sein, und es ist daher auszuprobieren, in welcher
Weise die richtige Erhitzung und Verfärbung der Watte zustande
kommt. Am besten eignen sich Apparate, wie sie beifolgende Fig. 20
Fig. 21.
Fig. 22.
zeigt. In dem zwischen beiden Wänden des Kastens befindlichen Hohl-
raum führen die Röhrchen a, b, c, d, e, f die kalte Luft nach unten zum
Brenner, der keine andere Luftzufuhr hat. Es findet dabei eine Vor-
wärmung der Luft statt, so dass in kurzer Zeit schon hohe Temperaturen
(200° C.) erreicht werden können, mit gleichmässiger Verteilung der
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 555
Wanne. Grössere Schalen werden mit Sublimatlösung (1 : 2000) aus-
gespült, danach wiederholt mit durch Kochen sterilisiertem destillierten
Wasser resp. mit absolutem Alkohol. — Das Einfüllen der Nähr-
substrate in die Reagensgläser muss so geschehen, dass die Wandung
des Glases nicht benetzt wird; es würde sonst der zum Verschluss
dienende Wattepfropf leicht anhaften. Sehr zu empfehlen ist eine
Abfüllvorrichtung, und zwar, wenn man gleich die Mengenverhältnisse
berücksichtigen will, einTRESKOw'scher Fülltrichter (Fig. 21). An dem-
selben befindet sich unten ein mit rechtwinkliger Bohrung versehener
Hahn, von dem ein kleines Messrohr L-förmig nach oben abgeht. In
das Messrohr strömt bei der ersten Drehung des Hahns das Nähr-
material ein, während bei der zweiten Drehung die nunmehr abgemessene
Flüssigkeitsmenge in ein untergehaltenes Gefäss abfliesst. — Die Nähr-
substrate werden, nachdem sie in die sterilisierten Gefässe eingefüllt
sind, durch Kochen im Dampfofen von Keimen befreit; sie bleiben
15 Minuten im strömenden Dampf, dann bis zum nächsten Tag bei
15 — 20° C, so dass etwa lebend gebliebene Sporen auskeimen können;
man wiederholt am zweiten Tag die 5 Minuten dauernde Erhitzung
und am dritten Tag abermals (Fig. 22). — Bei Blutserum, das klar und
durchsichtig erhalten werden soll, verwendet man nur Temperaturen von
55 — 60 ° und wiederholt deren mehrstündige Einwirkung an 5 — 6 Tagen.
III. Besondere Vorschriften für die Bereitung einiger Nähr-
substrate.
Kartoffeln. Geschälte Kartoffeln werden für ^Stunde inSublimat-
lösung eingelegt, um die resistenten Sporen in den anhaftenden Erdpar-
tikelchen zu töten; dann werden sie mit sterilisiertem Wasser abgespült
und entweder Scheiben aus ihnen geschnitten, welche in kleine Doppel-
schälchen gelegt werden, oder mit einem Kartoffelbohrer (nach Kral)
aus den Kartoffeln kleine Cylinder hergestellt, welche man schräg
durchteilt und in Reagensgläser bringt. Die Schälchen und Reagens-
gläser mit den Kartoffeln werden dann an 3 auf einander folgenden
Tagen je 1 Stunde im Dampf kochtopf sterilisiert.
Nährbouillon, Nährgelatine und Agar-Agar. 1 Kilo gutes,
fettfreies Rindfleisch wird gehackt und mit 2 Liter Wasser übergössen;
nach 24 stündigem Stehen bei 15 — 20 ° C. wird die Flüssigkeit abgeseit und
der Rückstand gut ausgepresst. Das Infus wird in Kolben verteilt und
1 Stunde im Dampfofen gekocht, dann filtriert. Um eine Nährlösung
zu erhalten, fügt man zum Filtrat 1 °/0 Pepton, \ °/0 Kochsalz und
neutralisiert mit Sodalösung; dann wird nochmals aufgekocht, filtriert,
in die Kulturgefässe eingefüllt und diese im Dampfofen sterilisiert. —
556
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Soll ein festes Substrat erhalten werden, so fügt man ausser Pepton
und Kochsalz 5 — 10 °/0 Gelatine oder 1 °/0 Agar-Agar zu. Die
Gelatine wird in der Wärme gelöst, dann wird die Mischung neutrali-
siert, 10 Minuten in strömendem Dampf gekocht und nitriert, eventuell
unter Zuhilfenahme einesWärmetrichters (Fig. 231)). Wird das Filtrat
nicht klar, so muss nochmals aufgekocht oder vorher etwas Eier-Eiweiss
zugefügt werden. Das klare Filtrat wird in die Reagensgläser oder
Kölbchen eingegossen und in diesen an
3 Tagen je 5 Minuten im Dampfofen
sterilisiert. — Die Agargemische müssen
sehr lange, 10—12 Stunden, über freier,
kleiner Flamme in fortdauerndem massigen
Aufwallen erhalten werden unter unge-
fährem Ersatz des verdunsteten Wassers;
danach filtriert man im Wärmetrichter
oder giesst in einen höheren Cylinder und
hält diesen in warmem Wasser, bis Ab-
setzen der Trübungen erfolgt ist; dann
lässt man erstarren, schneidet den oberen
geklärten Theil ab, löst denselben durch
Siedhitze und verteilt ihn in die Kultur-
gefässe; diese werden dann durch lj2 stün-
digen Aufenthalt im strömenden Dampf
nochmals sterilisiert.
Blutserum. Blut wird, wo möglich
unter aseptischen Cautelen, in ein sterili-
siertes Gefäss (grossen Champagnerkelch)
aufgefangen und mit sterilisierter aufge-
schliffener Glasplatte bedeckt; nach 48
Stunden pipettiert man das klare Serum
Fig. 23. direkt in die Kulturgefässe und erhitzt
in diesen auf 68 — 70 ° C, bis das Serum
erstarrt ist. Die nachfolgende Prüfung im Brütofen zeigt dann ge-
wöhnlich, dass die grösste Zahl der Proben steril geblieben ist. — War
die aseptische Entnahme des Blutes nicht möglich, dann muss zunächst
1) Die Konstruktion der Heisswasser- oder Wärrnetrichter ist, wie aus vor-
stehender Figur ersichtlich ist, eine derartige, dass in einem mit Heisswasser ge-
füllten Trichter sich der mit dem zu filtrierenden Nährmedium gefüllte Glastrichter
befindet. Der Hals des Glastrichters durchsetzt den Hals des äusseren Trichters;
zwischen beiden ist eine wasserdichte Stopfung. Das Wasser des Wämietrichters
wird auf konstantem Niveau erhalten und durch Gasflämmchen. die an der Spitze
des Trichters sich befinden, erwärmt.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 557
durch diskontinuirliches Erhitzen auf 55 °C. sterilisiert werden (s. oben).
— Statt des Tötens der Keime kann man zuweilen auch die Befreiung
der Nährsubstrate von denselben mittelst Filtration durch Kiesel-
gurfilter versuchen (Bitter).
Blutagar, zur Züchtung von Influenzabacillen hauptsächlich
benutzt, wird nach R. Pfeiffers (Ätiologie der Influenza. Z. XIII)
Vorschrift mit menschlichem Blut oder Taubenblut bereitet. Das
erstere gewinnt man leicht aus dem mit Alkohol und Äther des-
infizierten Ohrläppchen durch einen kleinen Schnitt und Auffangen
der herauscpiellenden Tropfen mit der Platinöse, das letztere aus der
grossen Flügelvene der Taube. Nach Desinfektion der Haut, von
der die Federn entfernt sind, schneidet man die oberflächliche Vene
an und lässt das Blut direkt in ein steriles Reagensglas fiiessen.
Das Blut wird auf der Oberfläche schräg in Röhrchen erstarrten
Agars verstrichen. Um die Sterilität des so bereiteten Nährbodens zu
kontrollieren, werden die Röhrchen vor der Benutzung einen Tag im
Brütschrank bei 37° C. gelassen.
Deycke's Nährboden mit Alkalialbuminat. Einen Nähr-
boden, dessen wesentlichste Nährstoffe ausser Pepton Alkalialbumi-
nate sind, hat Deycke angegeben. Mehrere pathogene Bakterien
wachsen auf demselben in üppigster, zum Teil charakteristischer
Weise, so vor allem Vibrionen und nach einigen Angaben auch der
Diphtheriebacillus. Bei der bakteriologischen Diagnose der betreffenden
Bakterienkrankheiten kann der ÜEYCKE'sche Nährboden daher ge-
gebenenfalls mit benutzt werden.
Nach Deycke's Vorschrift (C. XVII) werden zur Herstellung des Sub-
strats 1000 gr Fleisch mit 1200 ccm 3 proz. Kalilauge 24 Stunden digeriert.
Die abfiltrierte klare, dunkelbraune Flüssigkeit wird vorsichtig mit
reiner Salzsäure versetzt, bis ein Niederschlag entsteht. Die so aus-
fallenden Albuminate werden auf einem Tuchfilter gesammelt und,
mit wenig Flüssigkeit aufgerührt, deutlich alkalisch gemacht. Um
eine Lösung derselben von bestimmtem Prozentgehalt herstellen zu
können, wird der Trockengehalt bestimmt, oder die Flüssigkeit wird
eingedampft und zu Pulver eingetrocknet. Am geeignetsten fand
Deycke eine 2]/2Proz. Lösung derartiger Alkalialbuminate, der 1%
Pepton, 1 00 Na Gl und Gelatine oder Agar zugesetzt werden.
Petruschky's Molke. Zur Bestimmung, ob eine Bakterienart
Säure oder Alkali bildet und in welchem Grade, sowie für die da-
durch mögliche Differenzierung mancher Bakterienarten hat Pe-
trtjschky eine neutrale Molke empfohlen, welche mit Lakmus gefärbt
ist. Ihre Herstellung geschieht nach Petruschky (C. VIII) so, dass
1 Liter frischer Magermilch mit 1 Liter Wasser versetzt wird. Nach
558 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
kräftigem Schütteln wird bei einer entnommenen Probe, z. B. 10 ccm,
festgestellt, wie viel von einer vorhandenen Salzsäurelösung be-
stimmter Koncentration nöthig ist, um eben die Gerinnung der
Milch herbeizuführen. Man berechnet danach ungefähr, welche
Säuremenge zur Koagulierung der gesamten Flüssigkeit nötig ist
und vermeidet so unter Umständen einen TJeberschuss von Säure,
in dem sich Albuminate lösen. Man setzt die berechnete Säuremenge,
nötigenfalls noch etwas mehr zur Milch zu, lässt die Koagulation er-
folgen und filtriert. Dann wird das klare Filtrat genau neutralisiert
und gekocht. Dabei tritt meist eine Trübung und saure Reaktion
ein. Man filtriert daher wieder, kocht und neutralisiert von neuem
genau. Dann wird Lakmuslösung zugesetzt, so dass die Molke eine vio-
lette (amphotere Farbe) zeigt.
Die PETEUSCHKT'sche Molke leistet vor allem bei der Differen-
zierung des Typhusbacillus von den Kolonbakterien, namentlich den
Alkalibildnern, sehr gute Dienste. Während der Typhusbacillus nach
eintägigem Wachstum der leicht getrübten Molke eine himbeer-
rote Farbe verliehen hat, ist durch das Wachstum der meisten Kolon-
bakterien die Farbe der stark getrübten Molke eine ziegelrote. Al-
kalibildner verändern die Farbe der Molke nicht oder erzeugen
einen blauen Farbenton.
Milch. Bei der Herstellung von Milch als Nährboden ist besonders
die Abtötung der darin als Sporen enthaltenen Keime schwierig, welche
meist sehr widerstandsfähig sind. Es empfiehlt sich daher, eine fraktio-
nierte Sterilisierung der Milch an 4 aufeinander folgenden Tagen
derart vorzunehmen, dass die Milch täglich eine Stunde im Dampf-
kochtopf und in der Zwischenzeit wo möglich bei höherer Temperatur
(20° C.) gelassen wird, damit etwaige Sporen auskeimen können. Bei
dem öfteren Erhitzen bekommt die Milch, unbeschadet ihrer Brauch-
barkeit zu Kulturzwecken, häufig eine bräunliche Farbe.
Peptonlösung, 1 oder 2prozentige mit 1:2% NaCl und mit einem
Alkaligehalt von 10,2 °/0, auf festes Natriumkarbonat berechnet, ist für
viele Bakterien ein gutes Nährsubstrat und wird vor allem bei dem
Kocs'schen Anreicherungsverfahren der Choleravibrionen und zur Anstel-
lung der Cholerarot-Reaktion benutzt. Nicht jedes Peptonpräparat eig-
net sich für den letzteren Zweck, als bestes Präparat ist das Peptonum
siccum Witte zu empfehlen.
Um den Grad der Alkalität bez. Acidität der zur Züchtung von
Bakterien benutzten Nährböden ganz genau zu bestimmen, wie er für
manche biologische oder biochemische Untersuchungen der Mikro-
organismen notwendig sein kann, ist die Verwendung von Normal-
lösungren am Platze. Unter Normallösungen versteht man bekannt-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 559
lieh solche Lösungen, welche den chemischen Körper in dem seinem
Molekular- oder Atomgewicht entsprechenden Verhältnis in 1 Liter
Wasser enthalten, z. B. Salzsäure (HCl) = 36,5 gr oder Natriumkarbonat
(Na2C03) = 53 gr. Man giebt den Alkalitäts- oder Aciditätsgrad des
Nährbodens in Prozenten der Normallösungen oder der aufs zehn-
fache mit Wasser verdünnten Normallösungen (V10 normal), berechnet
auf das Volumen des Nährbodens, an. Als Indikatoren benutzt man
meist Lakmus und Phenolphtalei'nlösung.
Alle Nährsubstrate, die demnächst zur Kultur verwendet werden
sollen, müssen endlich noch vor ihrer Benutzung auf Reinheit geprüft
werden, dadurch dass man sie längere Zeit ev. bei höherer Tem-
peratur (30 — 35°) stehen lässt; in vollkommen sterilisierten Nähr-
medien darf dabei keinerlei Veränderung vor sich gehen. Gegen Ver-
dunstung sind die Substrate durch Ueberziehen von Gummikappen
über den Wattepfropf zu schützen. — Mit Gelatine bereitete Nähr-
böden dürfen einer Bruttemperatur von nur 20 — 25° C. ausgesetzt werden,
weil sie sich sonst verflüssigen; Agar-Agargemische und geronnenes
Blutserum vertragen dagegen ein Erwärmen auf 35 — 39° C.
IV. Brutschränke.
Für die Herstellung der zur Züchtung der Mikroorganismen not-
wendigen konstanten Temperaturen benutzt man die sog. Brutschränke
oder Thermostaten, von denen in Fig. 24 ein Modell enthalten ist. Die-
selben bestehen aus der Wärmequelle mit Thermoregulator, dem
Wasserreservoir zur Konstanterhaltung der Temperatur, sowie drittens
dem Binnenraum zur Aufnahme von Utensilien. Der für ein gutes
Funktionieren eines Brutschrankes wichtigste Bestandteil ist der mit
der Wärmequelle in Verbindung stehende Thermoregulator. Die Wärme-
quelle, von Gas gespeist, ist mit einer KoCH'schen Sicherheitsvor-
richtung (s. Fig. 25) versehen. Eine durch die brennende und wärme-
ausstrahlende Flamme in Ausdehnung befindliche Feder verhindert ein
Gewicht, welches beim Auslöschen der Flamme infolge von Windstoss
etc., infolge Erkaltung der Feder sofort die weitere Gaszufuhr abschneidet,
am Abfallen. Die Gaszufuhr für die brennende Flamme, welche gegen
Luftzug durch einen Cylinder (C) möglichst geschützt ist, wird ver-
mittelst des sog. Thermoregulators geregelt. Man besitzt elektrische
und Quecksilberregulatoren. Die ersteren erforden genaue technische
Kenntnisse und fortwährende Beobachtung, so dass sie um so weniger
für allgemeine Benutzung empfohlen werden können, als häufig Re-
paraturen an ihnen vorzunehmen sind. Nur in den Fällen, wo es
darauf ankommt, rasch hinter einander verschiedene Temperaturen ein-
zustellen (oder bei ganz genauen Beobachtungen von Temperatur-
560
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Schwankungen), sind die elektrischen den Quecksilberregulatoren vorzu-
ziehen. Denn bei den letzteren ist die rein empirische, d. h. durch
Fig. 24.
Th = Thermoregulator. S = Sicherheitsflamuie. T = Thermometer.
B = Brütraum.
Ausprobieren erfolgende Einstellung des Brutschrankes auf bestimmte
Temperaturen oft erst innerhalb einiger Tage möglich. Die Konstruktion
des bewährtesten Quecksilberregulators, der von der Firma F. u.M. Lauten-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
561
schläger konstruiert ist, lässt sich, aus Fig. 26 erkennen. Das an einem
Ende zugeschmolzene Glasrohr g ist am oberen Ende mit dem Metall-
kopf K versehen, in dem sich das gasdicht verschiebbare Rohr r mit Vor-
richtung (f) zur Regulierung der Reserveflamme befindet. An der
Seite des Rohres befindet sich die Öffnung b. Durch eine Scheide-
wand c ist das Rohr G in zwei Hälften zerlegt, welche durch die offene
Spirale Sp mit einander kommunizieren. Die untere Hälfte enthält
Quecksilber und Äther. Bei a ist die Einströmungsöffnung für das
Gas, bei b das Ausströmungsrohr. Findet nun durch die unter dem
Brütapparat befindliche brennende Flamme, welche zunächst unter vollem
Gasdruck brennt, eine Erwärmung der den Thermoregulator umgeben-
den Wassermenge statt, so steigt infolge dessen das sich ausdehnende
Quecksilber durch die Spirale Sp in den oberen Teil des Rohrs und
gelangt schliesslich bis an den Schlitz d des Rohrs r, durch den das
Gas in den oberen Teil von G einströmt, und verschliesst den-
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 36
562 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
selben beim Steigen mehr und mehr. Je nach der schon erreichten
Höhe wird durch Verschieben des gasdicht verstellbaren Rohres r
die Temperatur von dem Beobachter durch Senken oder Heben des
Rohres reguliert. Es bildet sich dann gewissermassen ein Kreislauf.
Je kleiner der Schlitz durch das steigende Quecksilber wird, desto
weniger Gas kann bei b ausströmen. Dadurch brennt die Flamme
kleiner, die Temperatur des Wassers (und damit das Quecksilber) sinkt;
der Schlitz d wird infolgedessen wieder grösser, es strömt wieder
mehr Gas bei b aus, die Flamme brennt grösser, die Temperatur des
Wassers (und damit das Quecksilber) steigt, der Schlitz wird wieder
kleiner u. s. f. Damit bei plötzlichem Steigen des Quecksilbers der
Schlitz indessen nicht ganz verschlossen werden kann, ist eine Öffnung e
an dem Rohr angebracht, durch welche Gas für die sog. Reserve-
fiamme strömt. Die Gaszufuhr für diese Reserveflamme, welche mög-
lichst klein sein soll, ist durch eine Schraube regulierbar.
Der zweite Hauptteil eines Brutschranks, das Wasserreservoir,
ist in dem doppelwandigen, aus Kupferblech hergestellten Mantel, der
aussen mit Linoleum versehen ist, enthalten. Es fasst ca. 60 bis 70 1
und ist mit einem Rohr (r) zur Ablesung des Wasserstandes sowie mit
einer Vorrichtung zur Verteilung des durch die Flamme erwärmten
Wassers versehen.
Der Binnenraum zur Aufnahme der Gegenstände ist am besten
in mehrere Etagen abgeteilt. Ein Thermometer, dessen Skala aussen
ablesbar ist, ermöglicht die Kontrolle über den jeweiligen Stand der
Temperatur im Brütraume.
V. Die Beschickung der Nährböden.
Das Übertragen der Pilze auf das sterilisierte Nährmedium
erfolgt unter grösster Vorsicht durch Entnahme einer kleinen Probe
des pilzhaltigen Materials mittelst geglühten Platindrahtes *) und Über-
führung derselben, unter kurzer Lüftung des Wattepfropfens, auf oder
in das Nährsubstrat. Für manche Zwecke empfiehlt es sich, statt des
Drahtes oder der Ose einen Pinsel zu benutzen, der aus sehr feinen
Platindrähten besteht. Die Verteilung des Materials ist mit diesem
sterilisierbaren Pinsel eine sehr gleichmässige. Bei dieser Übertragung
ist der Zutritt von Luftkeimen niemals ganz ausgeschlossen; da aber
die Gefahr, dass aus der Luft verunreinigende Keime sich niederlassen,
1) Den Platindraht schmilzt man sich in Glasstäbe vermittelst eines Glas-
gebläses ein. Da namentlich der dickere Platindraht leicht aus dem Glasstabe
sich loslöst, infolge von Abspringen des Glases beim Ausglühen, empfiehlt es sich,
Aluminiumnadelhalter zu benutzen (s. Fig. 28).
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
563
überhaupt viel geringer ist als die, dass an den benutzten Gegen-
ständen Pilze haften, so erweist sich diese Fehlerquelle in praxi als
nicht so bedeutend. Immerhin ist es geboten, in allen Fällen, wo es
auf sichere Fortführung von Reinkulturen ankommt, für ruhige Luft
im Zimmer, Vermeiden von Erschütterungen u. s. w. zu sorgen und
eventuell den Fussboden und die Wände reichlich zu befeuchten.
VI. Kulturmethoden.
a) Kultur aerober Bakterien.
Kulturen in kleinem Massstabe, auf hohlen Objektträgern
oder in sogenannten Glaskammern, dienen namentlich dazu, die Ent-
wicklungsstadien einer bereits rein gezüchteten Bakterienart zu verfolgen,
ihre Schwärmfähigkeit festzustellen u. s. w. — Am einfachsten stellt
man diese Kulturen dadurch her, dass man einen flachen und nicht zu
r _, , , „ ^^^-^ ,„„, ^—^
Fig. 27.
grossen Tropfen Nährlösung auf ein sterilisiertes Deckglas bringt;
letzteres fasst man mit geglühter Pinzette und legt es, den Tropfen
nach abwärts, über die Höhlung eines hohl geschliffenen, sterilisierten
Objektträgers. Rings um die Höhlung des letzteren hat man vorher
eine kranzförmige Schicht von Vaselin aufgetragen, die von dem auf-
gelegten Deckglas breit gedrückt wird und einen luftdichten Verschluss
liefert (Fig. 27, a der hängende Tropfen, b die Vaselinschicht, die den
Rand des Tropfens nicht berühren darf). Man kann die Entwicklung
der Bakterien in dem Tropfen mit stärksten Systemen beobachten, ent-
weder mit fixiertem Präparat und unter Anwendung eines heizbaren
Objekttisches oder nach der Methode von Watson Cheyne.
Für die Entwicklung mancher Pilze ist eine Zufuhr von Luft not-
wendig, die bei der beschriebenen Vorrichtung nicht stattfinden kann.
Peazmowski hat für diesen Fall die Einrichtung getroffen, dass von
36*
»Gl
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
der feuchten Kammer eine kleine Rinne ins Freie führt, die nicht durch
das Vaselin verschlossen wird. — Eine lange Beobachtungsdauer ge-
statten diese feuchten Kammern nicht, weil der Verschluss mangelhaft
ist und sich nach einigen Tagen Verunreinigungen, namentlich durch
Schimmelpilze hemerklich machen. —
Vollkommenere Vorrichtungen repräsentieren die
Glaskammern von v. Recklinghausen und von
Brefeld (Botan. Unters, über Schimmelpilze. Bd. IV.
9 1881). Die letzteren, die speziell für die Kultur von
Schimmelpilzen und für die Beobachtung mit den
E stärksten Systemen konstruiert sind, bestehen aus
# einem engen Glasrohr, das in der Mitte zu einer von
oben und unten bis fast zur Berührung der Pole zu-
sammengedrückten Kugel erweitert ist. Die Wan-
c düngen der Kammer haben nur Deckglasdicke und
sind so flach, dass innen ein gleichmässig dünner
Überzug von Flüssigkeiten aufs leichteste hergestellt
werden kann. In solche vollkommen gereinigte und
mit Äther und dann mit kochendem Wasser von an-
H haftendem Fett u. s. w. befreite Glaskammern wird
|^ dann die mit dem zu untersuchenden Pilz beschickte
6 Nährlösung so eingesogen, dass sie die Innenwand
o^ der Kammer nur schwach überzieht, und dass auf
ci der glatten, gleichmässig dünnen Fläche die Fixierung
eines Keimes mit starken Systemen .tagelang ohne
Störung möglich ist.
Kulturen in grösserem Massstabe werden entweder in 'flüssigen
oder auf festen Nähr Substraten angelegt. Die letzteren sind zur
Herstellung und Erhaltung reiner Kulturen bei weitem geeigneter,
ebenso bieten sie das beste Mittel zur Isolierung einzelner Bakterien-
arten aus einem Gemenge. Feste Nährmedien sind schon früher häufig
benutzt worden, aber R. Koch hat dieselben erst in bewusster Absicht,
um damit Reinkulturen zu erzielen, verwandt. — Während in Flüssig-
keiten die ausgesäten und die zufällig hineingelangenden Organismen
sich mit einander vermischen, so dass spärlicher entwickelte unter der
grösseren Zahl rascher entwickelter Pilze kaum herauszuerkennen sind,
bleiben auf einem festen Substrat die einzelnen Arten viel leichter
isoliert. Impft man eine Bakterienart auf verschiedene Stellen eines
festen Nährbodens, so bilden sich an jeder Impfstelle kleine, bald
deutlich makroskopisch sichtbare Kolonien; siedeln sich nun zufällig
auf demselben Nährboden fremde Spaltpilze an, so bilden diese ihrer-
seits gesonderte Kolonien, die gewöhnlich mit den geimpften sich
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 565
nicht vermengen und sich durch Farbe, Form oder Konsistenz von
jenen unterscheiden. Gerät aber auch etwa ein fremder Keim in eine
der früheren Impfkolonien und vermehrt sich auf demselben Terrain,
so wird sich meist schon das äussere Ansehen der Kolonie verändern,
eventuell wird durch eine einfache mikroskopische Untersuchung fest-
zustellen sein, ob an einer Stelle, die man zum Üb erimpfen auf einen
neuen Nährboden wählen will, Verunreinigungen oder Bakterien nur
von der einen Art sich finden. Ausschliesslich die völlig rein be-
fundenen Stellen benutzt man zur zweiten Übertragung, und gerade
in dieser Sicherheit, mit der das Material zu jeder weiteren Impfung
ausgesucht werden kann, liegt ein wesentlicher Vorteil gegenüber
den flüssigen Nährsubstraten. Wenn in letzteren einmal fremde Pilze
sich finden, so verbreiten sie sich im ganzen Medium, und es ist reiner
Zufall, wenn bei der Überimpfung nicht auch einer der eingedrungenen
Keime übertragen wird. Eine vorherige, an einer Probe ausgeführte
Kontrolle mit dem Mikroskop bringt hier offenbar nicht den entsprechen-
den Vorteil; denn wenn die Untersuchung erst einmal fremde Keime
erkennen lässt, so ist es sehr schwer, dann doch noch eine Reinkultur
zu erzielen. Bei den festen Nährböden ist dagegen ein penibles Ver-
meiden des Zutritts fremder Keime gar nicht erforderlich, denn hier
gewährt die unter steter Kontrolle vorgenommene Auswahl der zum
Abimpfen geeigneten Stelle dennoch Garantie für Reinheit der zweiten
Kultur.
Als solche feste Nährsubstrate sind z. B. schon Kartoffeln vor-
züglich geeignet, noch zweckmässiger sind aber die durchsichtigen,
mit Gelatine oder Agar bereiteten Nährsubstrate, auf welchen die
meisten Bakterienarten in höchst charakteristischer Weise wachsen
und welche eine sehr scharfe Unterscheidung der Kolonien nicht nur
mit blossem Auge, sondern auch mit Hilfe des Mikroskops gestatten.
Auf die wesentlichsten Differenzen der auf diesen Nährsubstraten her-
gestellten Strich- und Stichkulturen ist bereits hingewiesen.
Eine Gewinnung von getrennten Kolonien zur Isolierung der Bak-
terien lässt sich auf verschiedene Weise aus einem Bakteriengemenge
erreichen. R. Koch erzielte zuerst eine räumlich getrennte Entwick-
lung der einzelnen Keime, und zwar je eines einzigen zu einer An-
siedlung dadurch, dass er mit einer Platinöse, an der das bakterien-
haltige Material haftete, eine Anzahl längerer Striche auf der Oberfläche
erstarrter Gelatine zog. Wenngleich diese Methode nach der ursprüng-
lichen Vorschrift Koch's für Gelatine kaum mehr angewandt wird, so
darf sie doch als Prototyp für die Gewinnung isolierter Kolonien auf
Agar nicht unerwähnt bleiben. Man zieht in der gleichen Weise
Striche mit der Platinöse auf einem schräg erstarrten Agarröhrchen,
566 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
dann mit derselben Nadel noch auf mehreren Röhrchen, 4 — 5 nach
einander. Während in den ersten beiden Röhrchen, namentlich bei
grossem Keimreichtum des Ausgangsmaterials, keine diskreten Kolo-
nien sichtbar sind, sondern ein dem Impfstrich der Nadel entsprechen-
der zusammenhängender Belag, erhält man auf den letzten Röhrchen
nur getrennte Ansiedlungen, von welchen man leicht abimpfen kann.
Statt der Agarröhrchen lassen sich mit Vorteil wegen der grossen
Oberfläche auch Agarplatten verwenden. Dieselben stellt man sich in
der Weise her, dass man Nähragar in PETßi'sche Schalen giesst und
diese letzteren nach dem Erstarren des Agars dann 48 Stunden im
Brütschrank bei 37° C. lässt. Während dieser Zeit verdunstet das von
dem Agar nach dem Eingiessen in die Schalen ausgepresste Kondens-
wasser, und zugleich wird die Sterilität des Nährbodens kontrolliert.
Gelatineplattenmethode.
Für viele Zwecke bakteriologischer Arbeiten ist eine Entwicklung
der Keime in isolierten Kolonien vermittelst des sog. Gelatineplatten-
verfahrens unentbehrlich. Für manche in Gelatine bei niedrigen Tem-
peraturen wachsende Bakterien ist dasselbe besonders deshalb sehr
empfehlenswert, weil neben der Isolierung auch eine Erkennung vieler
Bakterienarten durch ihr charakteristisches Wachstum leicht gelingt.
Ferner ist das Gelatineplattenverfahren zur Zählung der Keime (s. u.)
unentbehrlich. Das Prinzip des sog. Plattenverfahrens besteht darin,
dass man zunächst das zu untersuchende Material mit der flüssigen
Gelatine mengt, und zwar in verschiedenen Verdünnungen; und dass
man dann die mit den gut verteilten Keimen beladene Gelatine auf
grösseren Flächen ausgiesst und erstarren lässt. Es wird dann offen-
bar jeder einzelne der suspendierten Keime an einer bestimmten Stelle
fixiert, und wenn die Aussat nicht zu dicht war, entwickeln sich aus
den einzelnen Keimen räumlich getrennte Kolonien, deren charakteri-
stisches Verhalten unter dem Mikroskop sich bestimmen lässt und von
denen man, eventuell unter Kontrolle des Mikroskops, abimpfen kann.
Das Gelatineplattenverfahren rührt von R. Koch her. Obwohl das
ursprüngliche KoCH'sche Plattenverfahren heutzutage nur noch selten
angewandt wird, so soll es doch der historischen Bedeutung wegen
sowie deshalb, weil die Modifikation desselben mit PETRi'schen Schalen
noch jetzt eine der gebräuchlichsten Methoden bildet, hier ausführlich
beschrieben werden. R, Koch verwandte oblonge Glasplatten von etwa
8—12 cm Länge und 6—8 cm Breite, welche bei 180 ° C. in grösserer
Zahl sterilisiert und in bedeckter Schale aufbewahrt wurden; zum Ge-
brauch nimmt man immer die oberste Platte ab, bringt aber die Ge-
latine demnächst auf die der folgenden Platte zugekehrt gewesene
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
567
Flache. Man verwendet gewöhnlich 3 Platten, deren jede man auf einen
mit grösserer Glasplatte bedeckten Nivellierständer legt, welcher vorher
mittelst Dosenlibelle horizontal eingestellt ist (Fig. 29). Im warmen
Zimmer schaltet man zwischen Nivellierständer und grosse Glasplatte
zweckmässig noch eine Schale mit kaltem (eishaltigem) Wasser ein.
Auf die somit genau horizontal gelagerten Platten giesst man sodann
die Mischung von Nährgelatine und Untersuchungsmaterial, indem man
gleichzeitig mit einem vorher geglühten Glasstab die Gelatine auf der
Platte gleichmässig verteilt. An den beiden Schmalseiten der Platte
lässt man einen Streifen von ca. 1 1/2 cm Breite frei; auf diese Stellen
werden sterilisierte Glas-
klötzchen gelegt (und
mit einigen Tropfen Ge-
latine fixiert), die dem-
nächst ein Aufeinander-
schichten der Platten
gestatten. Bis die Ge-
latine völlig erstarrt ist,
werden die Platten mit
einer Glasglocke bedeckt
gehalten; nach 10 — 15
Minuten kann man sie
in eine Glasschale trans-
portieren, in welcher 4 —
6 Platten über einander
Platz finden. Die Schale
und der übergreifende
Deckel derselben sind
mit im Dampfofen ste-
rilisiertem und befeuch-
tetem Filtrierpapier aus-
gekleidet. In diesen Schalen kommen die Platten in den auf etwa
22° C. eingestellten Brütofen und werden in Pausen von 12 bis 24 Stun-
den revidiert, anfangs ohne die Schale zu öffnen, später indem man
die Platten mit 80 — lOOfacher Vergrösserung besichtigt.
Um mit Sicherheit bei dem Plattenverfahren getrennte Kolonien
zu erzielen, bereitet man sich Mischungen der Gelatine und des Ausgangs-
materials in verschiedener Koncentration, sogenannte Verdünnungen
(eine erste und eine zweite.) Man nimmt zu dem Zweck 3 Reagens-
gläser mit je 8 — 10 ccm Nährgelatine Inhalt und verflüssigt in allen
3 Gläsern die Gelatine durch Eintauchen in 40° C. warmes Wasser.
Dann fügt man dem ersten Glas eine kleine Probe des Untersuchungs-
Fig. 29.
5(38 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
materials zu, mischt langsam, aber sorgfältig; nimmt dann von dieser
Mischling 10 Platindrahtösen in das zweite Glas mit verflüssigter Ge-
latine, mischt wieder und bringt aus diesem Glase 10 Ösen in das
dritte Glas und verteilt sie gleichmässig darin. .
Bei Einhaltung der beschriebenen 3 Verdünnungsstufen wird fast
stets eine der 3 Platten brauchbar, d. h. sie enthält einzelne, gut unter-
scheidbare und zählbare Kolonien. Gerade beim Nachweis der patho-
genen Bakterien und ihrer Züchtung aus Bakteriengemischen ist die
Gefahr besonders gross, dass durch zu grosse Keimzahl die meist lang-
sam wachsenden Krankheitserreger von schnell wachsenden Saprophyten
überwuchert werden. Andererseits darf eine Platte aber auch nicht zu
wenig Keime enthalten, bei denen es zweifelhaft bleiben könnte, ob
dieselben durch zufällige Verunreinigungen, Luftkeime u. s. w. ent-
standen sind.
Die wichtigste Modifikation des KocH'schen Plattenverfahrens rührt
von R. Petei her, welcher anstatt der Platten runde Glasschalen von ca.
12 cm Durchmesser mit 1 — 2 cm hohem Rande und übergreifendem Deckel
benutzt. Die in die Platten ausgegossene Gelatine wird zum Erstarren
gebracht, indem man die Schalen auf den KocH'schen Plattengiessapparat
(Fig. 29) stellt. DieHandhabung der Schalen ist eine sehr becpieme. Zudem
kann man jederzeit die sich entwickelnden Kolonien einer Besichtigung,
auch mit dem Mikroskop unterwerfen, ohne dass eine Verunreinigung
auf die Gelatine gelangt. Trotzdem ist für manche Zwecke die An-
wendung der KocH'schen Glasplatten, allerdings solcher mit einer
geringfügigen Abänderung versehenen, unentbehrlich, so namentlich für
genaue Keimzählungen, bei grösserem Keimreichtum des Ausgangs-
materials. Der Boden der PETRi'schen Schalen ist nämlich fast stets
mit grösseren oder geringeren Unebenheiten versehen, so dass die er-
starrte Gelatine eine ungleichmässig dicke Schicht bildet; zudem ist
am Rande der Schale eine genaue Zählung der Kolonien nicht mög-
lich; auch die Grundfläche der Schalen ist gewissen Schwankungen
unterworfen. Bei Benutzung von Platten, bei welchen nach E. Pfühl's
Vorschlag durch einen Emaillerand eine Fläche von bestimmter
Grösse abgegrenzt ist, vermeidet man alle diese Missstände.
Keimzählung mittelst Plattenverfahrens.
Für die Bearbeitung der verschiedensten Fragen ist es ausser-
ordentlich wichtig, dass man mit Hilfe der auf der Platte gewachsenen
Kolonien eine Zählung der in einem Pilzgemenge vorhandenen
Bakterienindividuen erhalten kann; man muss dann nur darauf Bedacht
nehmen, dass man einen bekannten, gemessenen Bruchteil des Unter-
suchungsmaterials der Gelatine zufügt und muss die demnächst ge-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 559
wachsenen Kolonien genau zählen. Letzteres gelingt auch bei dicht
besäten Platten leicht mittelst quadrierter Glasplatte, am besten
"Wolithügel's Zählnetz; man zählt dann nur einen Teil der kleinen
quadratischen Felder aus, nimmt von den so erhaltenen Ziffern das
Mittel und multipliziert mit der Zahl der den Raum der Gelatine be-
deckenden Quadrate (Fig. 30).
Fig. 30.
Auch mit Nähragar lassen sich solche Platten herstellen. Der-
selbe wird in den Röhrchen zuerst durch Kochen verflüssigt, dann ab-
gekühlt auf 40° C. (im Wasserbad); darauf wird das Material zugefügt
und die Mischung auf Platten ausgegossen. Nur solcher Agar ist
brauchbar, der bei 40 °C. noch flüssig ist, bei 38 — 39 °C. aber schon erstarrt.
Der Agar presst später auf den Platten leicht Wasser aus, und dadurch
kommt es zuweilen zum nachträglichen Abgleiten der ganzen Masse
vom Glase. Es ist deshalb wichtig, den Deckel der Schalen, in welchen
die Agarplatten konserviert werden, mit trockenem Filterpapier aus-
zukleiden; des ausgepresste Wasser verdunstet dann so rasch, dass es
sich nicht zwischen Agar und Glasplatte ansammeln kann.
Rollplatten nach v. Esmaech.
Für manche praktische Zwecke ist eine Modifikation des Platten-
verfahrens sehr brauchbar, die von Esmaech1) angegeben ist. Man
benutzt weite Reagensgläser und ersetzt die Fläche der Platte durch
die ungefähr ebensogrosse innere Wandfläche des Reagensglases;
dies ist dadurch zu erreichen, dass man die verflüssigte und mit der
zu untersuchenden Probe versetzte Gelatine bei horizontaler Haltung
des Röhrchens unter fortgesetztem Rotieren und gleichzeitigem Ab-
kühlen über die Wandungen des Röhrchens verteilt, so dass sie diese
überall in gleichmässig dicker Schicht bedeckt. Am zweckmässigsten
verschliesst man das Röhrchen mit einer Kautschukkappe, lässt das
Röhrchen dann auf kaltem Wasser schwimmen und setzt es mit der
1) Z. 1. 1.
570 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
rechten Hand in leicht rotierende Bewegung, während die linke Hand
das Röhrchen an der Mündung lose unifasst hält und es in der wag-
rechten Lage konserviert. — Zur Zählung der Kolonien kann man die
äussere Fläche des Glases mit Tinte in grössere oder kleinere Felder
abteilen. Ein besonderer Vorteil der Methode besteht darin, dass auch
sehr langsam wachsende Bakterien bei dem pilz- und luftdichten Ver-
schluss der Röhrchen noch zur Entwicklung kommen können. Das
genaue Beobachten der einzelnen Kolonie und das Abimpfen ist schwie-
riger als bei dem Plattenverfahren, das durch diese Modifikation auch
nur in gewissen Notfällen der Praxis ersetzt werden soll.
Kommt es auf eine möglichst vollständige Kenntnis aller in
einem bakterienhaltigen Material vorhandenen Bakterienarten an, so
sind die Nährbedingungen möglichst zu variieren. Namentlich ist ein
Zusatz von Zucker, ferner der Grad der alkalischen Reaktion, die
Temperatur und der Sauerstoffzutritt von Bedeutung; für zahlreiche
Bakterien sind die Bedingungen zur künstlichen Kultur noch nicht
aufgefunden und eine vielseitige Variierung der Kulturbedingungen ist
daher durchaus wünschenswert.
b) Kultur anearober Bakterien.
Zur Kultur von anaeroben Bakterien eignen sich nach Libokius
am besten hohe Schichten von Nähragar mit 2 °0 Dextrosezusatz. Zu
dem Zweck werden Reagensgläser in ca. 15 cm hoher Schicht mit dem
Nährsubstrat gefüllt, und in der dann frisch aufgekochten, auf 40 ° C. ab-
gekühlten Masse wird das Untersuchungsmaterial verteilt; man erhält
dann in den tieferen Schichten isolierte Kolonien der Anaeroben. Wenn
man aus dem Nähragar, nach Zerschlagen des ihn umgebenden Rea-
gensglases, dünne Scheiben mit einem sterilen Messer schneidet, kann
man die Anaerobenkolonien unter dem Mikroskop näher beobachten,
von ihnen abimpfen und so Reinkulturen herstellen. Das Wachstum der
anaeroben Mikroorganismen findet in Nährböden mit hoher Schicht
üppiger statt und lässt sich auch in Stichkulturen erzielen, wenn dem
Nährsubstrat reduzierende Substanzen zugefügt werden. Vor allem
hat sich für diese Zwecke der Zuckerzusatz zum Nährboden (Libokius,
Z. I) bewährt, während die Anwendung des ameisensauren Ammoniaks
oder indigschwefelsauren Natrons, welche Substanzen Kitasato und
Wetl (Z. VIII) vorgeschlagen haben, bereits allgemein wieder ver-
lassen ist.
Um die Anaeroben auf Platten, auf der Oberfläche fester Nähr-
medien oder in Flüssigkeiten züchten zu können, ist es notwendig, für
die zu züchtenden Mikroorganismen eine sauerstofffreie Atmosphäre
herzustellen. Das kann geschehen entweder durch mechanische Ent-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
571
ferming der Luft mittelst der Luftpumpe oder durch Zufügung von
Sauerstoff absorbierenden Stoffen zum Nährboden oder endlich durch
Auswaschen des Sauerstoffes der Luft durch ein indifferentes Gas. Die
erste Methode (Gettbee, C. I; Nikieoeoee, Z.
VIII; van Senus, C. XII) ist relativ unsicher
bei Züchtung streng anaerobiotischer Bakte-
rien, da zu viel Sauerstoff im Nährboden ab-
sorbiert bleibt. Bei Anwendung der an zweiter
Stelle genannten Methode ist das Verfahren
Buchnee's sehr vorteilhaft: das mit dem
Kulturmaterial geimpfte Reagensröhrchen wird
in einen Glascylinder gestellt, der eine Mischung
von 1 gr Pyrogallussäure auf 10 ccm einer
lOproz. Kalilauge enthält und durch einen
Gummistopfen luftdicht abgeschlossen ist.
Auch im hängenden Tropfen kann man
eine Kultur von Anaeroben anlegen, indem
man auf dem Grunde der Höhlung eines Ob-
jektträgers je ein Tröpfchen Kalilauge und
Pyrogallussäure zusammenfiiessen lässt.
Das beste und heutzutage wohl am meisten
angewandte Verfahren für die anaerobiotische
Züchtung der Mikroorganismen ist dasjenige
des Ersatzes der Luft durch ein indifferentes
Gas, und zwar durch Wasserstoff gas. Das
aus einem Kipp'schen Apparat entnommene
Wasserstoffgas lässt man, nachdem es zur Zurück-
haltung von Säuredämpfen durch eine Flasche mit Jod-Jodkaliumlösung
und zur Zurückhaltung von Sauerstoff durch eine zweite mit einer Mischung
von Kalilauge und Pyrogallussäure geleitet ist, so lange durch die Kultur-
gefässe strömen, bis keine Luft, sondern nur das eingeleitete Gas entweicht.
Man erkennt das Entweichen reinen Wasserstoffgases am besten daran,
dass das entweichende Gas, in einem Reagensglas unter Wasser aufge-
fangen, ohne Knall verbrennt. Es ist eine ganze Anzahl verschiedenartig
konstruierter Kulturgefässe für die anaerobiotische Züchtung angegeben.
Sehr gut bewährt haben sich die Gläser von beistehender Form (Fig. 31),
die bis an das seitliche Rohr mit Nähragar gefüllt werden; das Impf-
material wird durch die obere Öffnung eingebracht, dann wird durch
das seitliche Rohr ein anhaltender H-Strom geschickt, darauf bei a
und schliesslich bei b zugeschmolzen. In solchen Gläsern kommen
die exquisitesten Anaeroben zu üppiger Entwicklung. — Auch in
EELENMETEE'schen Kölbchen, die mit einem von 2 Glasröhrchen durch-
Fig. 31.
572
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
bohrten Gunmiipfropfen versehen sind, gelingt die Züchtung der Anae-
roben, wenn man vermittelst der Glasröhrchen, deren eines in die
Flüssigkeit taucht, Wasserstoff durch die Kölbchen leitet und nach
Fig. 32.
Verdrängung sämtlicher Luft die Röhrchen an ihren Enden zuschmilzt.
In derselben Weise ist eine Anaerobenentwicklung auch auf der Ober-
fläche schräg erstarrter Agarröhrchen möglich.
Zur Kultur der bei
Sauerstoffabschluss wachsen-
den Mikroorganismen auf
Platten (Gelatine oder Agar)
wählt man entweder die in
Figur 32 abgebildeten Kita-
SATo'schen Schalen, die keiner
Erläuterung bedürfen, oder
den sog. BoTKiNschen Ap-
parat (Fig. 33). Man kann
sich diesen Apparat leicht
selbst konstruieren, indem
man in einer grossen Schale
eine grosse Glasglocke auf
der Unterlage eines Blei-
kreuzes aufstellt, so dass ein
Spalt zwischen dem Boden
der Schale und dem unteren
Rande der Glocke bleibt.
Durch diesen Spalt wird ein
gebogener Bleischlauch zur
Einleitung des Wasserstoff-
gases eingeführt. Zur Ab-
sperrung des unter der Glocke sich ansammelnden Gases gegen die
äussere Luft wird flüssiges Paraffin in die Schale gegossen. Unter der
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 573
Glocke werden auf einem Drahtgestell die geimpften Platten sowie
eine Schale mit Pyrogallussäure und Kalilauge aufgestellt. Die bei
Einleitung des Wasserstoffgases aus der Glocke verdrängte Luft wird
durch ein U-förmig gebogenes Rohr abgeleitet, das man am Schluss
der Gasfüllung zuschmilzt. Der ganze Apparat kann in den Brut-
apparat gestellt werden.
c) Isolierung in flüssigen Nährsubstraten.
Des historischen Interesses wegen sollen hier noch einige Methoden
zur Isolierung der Bakterien in flüssigen Nährsubstraten angegeben
werden. Von Pastetje und seiner Schule sind derartige Methoden
zur Erzielung von Reinkulturen der Bakterien früher viel angewandt,
seit der Einführung der KocH'schen festweichen Nährböden in die
Bakteriologie aber auch verlassen, weil sie zu unsicher, umständlich
und schwierig in der Ausführung sind. Die Mängel der Methoden
lassen sich am besten an der Methode der sog. fraktionierten
Kultur (nach Klebs) zeigen, welche darin besteht, dass man zu-
nächst auf ein Kulturglas impft, hier die Bakterien auswachsen lässt,
von der ersten Kultur wieder eine kleine Menge auf neues Substrat
überträgt, nochmals auswachsen lässt und so mit der Impfung durch
eine Reihe von Kulturen fortfährt. Dabei bekommt man in der That
allmählich reinere Kulturen und zwar von dem- oder denjenigen Pilzen,
welche am raschesten sich unter den gegebenen Verhältnissen ver-
mehren, während die Chancen immer geringer werden, dass auch von
den langsamer wachsenden Pilzen Exemplare in die Impfproben ge-
langen. Die Methode ist aber deshalb meistens nicht förderlich, weil
gewöhnlich nicht die am schnellsten sich vermehrenden Pilze die inter-
essierenden sind; man kann zwar durch Variierung der äusseren Ver-
hältnisse, namentlich der Temperatur, bald diese, bald jene Arten eines
Gemisches zu rascherem Wachstum bringen, aber dies Verfahren bleibt
immer unsicher und langwierig, weil wir die günstigsten Wachstums-
bedingungen für die verschiedenen Pilzarten zu wenig kennen.
Weit besser ist das Prinzip der stärksten Verdünnung des
Impfmaterials zum Zweck der Isolierung einer Pilzart. Dies Prinzip
ist zuerst von Beeeeld, dann von Nägeli und Buchnee empfohlen
und von Beeeeld z. B. auch zur Beschickung der oben beschriebenen,
für mikroskopische Kulturen konstruierten feuchten Kammern befolgt.
Man nimmt nach Beefeld eine kleine Partie des Materials und mischt
sie gleichförmig mit reinem sterilisierten Wasser; dabei treibt man
die Verdünnung so weit, dass in einer mit einer lanzettförmigen Nadel-
spitze herausgenommenen Probe nur ein Keim sich vorfindet. Hat
574 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
man sich durch mikroskopische Untersuchung davon überzeugt, dass
dieser Bedingung Genüge geschehen ist, dann überträgt man je eine
solche Probe auf ein Kulturglas und man hat dann die grössten
Chancen, dass in einer grösseren Reihe solcher Gläser lediglich die
Pilze sich entwickeln, die in solcher Zahl im Impfmaterial waren, dass
ein Keim derselben in einem Tropfen vorhanden war. In einige Gläser
werden freilich auch Exemplare von den in geringerer Menge im Impf-
material verbreiteten Keimen gelangen. — Handelt es sich um die
Isolierung von Schimmelpilzen, deren Sporen schwer zu sehen sind, so
benutzt man zweckmässig statt des "Wassers Nährlösung, lässt die
Sporen in das Keimungsstadium kommen, sie dadurch grösser und
leichter sichtbar werden, und nimmt dann erst die weitere Verdünnung
(mit Kontrolle unter dem Mikroskop) vor.
Für Spaltpilze ist aber die mikroskopische Untersuchung meist
zwecklos, da die Sporen oder auch die ausgewachsenen Exemplare zu
klein sind, um die Anwesenheit eines einzelnen Keimes in einem Tropfen
zu konstatieren. Man kann hier für die weitere Verdünnung nur einen
ganz ungefähren Anhaltspunkt durch das mikroskopische Bild ge-
winnen. Ausserdem ist bei dem ganzen Verfahren vorausgesetzt, dass
die interessierenden Pilze in relativ grosser Menge sich im Impfmaterial
finden; in vielen Fällen, auch wo es sich um Isolierung pathogener
Pilze handelt, wird diese Annahme vielleicht zutreffen, wo aber Sapro-
phyten verschiedener Art in grosser Überzahl sind, wird es wenig aus-
sichtsvoll sein, auf diesem Wege zu einer vollkommenen Trennung zu
gelangen.
Die ganze Methode der Reinkultur muss notwendig erst an einigen
Schulfällen erlernt werden; als solche empfehlen sich die Züchtung von
Bac. prodigiosus auf Kartoffeln, Gelatinen u. s. w. bei verschiedenen
Temperaturen; die Züchtung von Milzbrandbacillen auf Kartoffeln,
Fleischinfuspepton-Gelatine, Blutserum und in flüssigen Substraten,
ebenfalls bei verschiedenen Temperaturen durch zahlreiche Generationen
hindurch, die Züchtung von Cholerabacillen auf den verschiedensten
Nährmedien u. s. w. Wenn Jeder, der sich mit Bakterienkulturen be-
fasst und namentlich an die Aufgabe der Isolierung pathogener Mikro-
organismen sich heranwagt, vorher an diesen Schulfällen sein Können
prüfen würde, dann würden sehr viele unreife und der Wissenschaft
nicht forderliche Publikationen unterbleiben.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
575
VII. Untersuchung der biologischen und pathogenen Eigen-
schaften der Bakterien.
Ist die Reinkultur eines Pilzes gelungen, dann handelt es sich
noch um die Feststellung seiner biologischen und pathogenen Eigen-'
Schäften.
Es ist zu ermitteln, welche Nährstoffe und welche Temperatur
sein Wachstum am meisten begünstigen, ob und in welchem Masse
er auf Sauerstoffzufuhr angewiesen ist. Es ist ferner zu prüfen,
ob er Gährung zu erregen vermag, und zu diesem Zweck sind der
Reihe nach die wichtigsten gährfähigen Substanzen (Kohlehydrate, mehr-
wertige Alkohole, Fettsäuren, Eiweissstoffe u. s. w.) nebst den not-
wendigen sonstigen Nährstoffen und unter den sonstigen geeigneten
Bedingungen in sog. Gährungs-
r öhrchen mit dem Pilz in Be-
rührung zu bringen. Nicht nur
für die Untersuchung der Mikro-
organismen auf ihre Fähigkeit,
in zuckerhaltigen Flüssigkeiten
Gährung hervorzurufen, sondern
auch um überhaupt festzustellen,
ob dieselben Gas in flüssigen
Nährmedien bilden, benutzt man
diese Gährungsröhrchen. Als
Haupttypen für die Form der-
selben können die in Fig. 34 a u.
b dargestellten Röhrchen gelten.
Da ein Sterilisieren der in Fig. 34
dargestellten Röhrchen mit dem
flüssigen Inhalt nicht möglich ist, weil dabei die kochende Flüssigkeit
ausläuft, so muss man Röhrchen und Nährmedium, jedes für sich allein,
sterilisieren und das letztere unter Beobachtung aseptischer Cautelen
in das Gefäss einfüllen. Zur Impfung nehme man dann möglichst grosse
Mengen des Bakterienmaterials.
Weiter ist die etwaige pathogene Natur des isolierten Pilzes
zu konstatieren; Impfversuche an verschiedensten Tieren, an den für
Infektionskrankheiten besonders empfänglichen Mäusen sowie an Meer-
schweinchen, Kaninchen, Affen u. s. w. sind eventuell auszuführen. Die
Versuche sind mit kleineren und grösseren Dosen vorzunehmen, die
Einverleibung muss bald eine oberflächliche Impfung sein, bald eine
Injektion in das subkutane Gewebe, bald eine Einspritzung direkt in
die Blutbahn oder in die Körperhöhlen. Für manche Zwecke ist es
Fig. 34.
576
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
ferner notwendig, Infektionsversuche an Tieren durch Verfütterung der
zu untersuchenden Pilze vorzunehmen. Um die Mikroorganismen durch
die Atmung auf die Schleimhaut der Lunge gelangen zu lassen, benutzt
man geschlossene Kasten, in denen das infektiöse Material zerstäubt
wird (Inhalationskasten).
Endlich sind noch Experimente über die Absterbebedingungen des
Pilzes und speziell über die Abschwächung seiner pathogenen Eigen-
schaften anzustellen, und es ist zu ermitteln, welche äusseren Umstände
und welche Desinfektionsmittel am leichtesten zu seiner Vernichtung
führen.
Instrumente zur Injektion.
Für die Injektion von Flüssigkeiten ist von R. Koch eine Spritze
konstruiert worden, bei welcher eine Luftsäule durch Zusammendrücken
eines Gummiballons als Stempel gebraucht wird (Fig. 35). Die KocHsche
Spritze besteht aus 4 Teilen, die beim jedesmaligen Gebrauch zusammen-
gefügt werden: Kanüle, Cylinder, Hahn und Ballon. Die Flüssigkeit,
welche injiziert werden soll, wird durch die Kanüle in den graduierten
Cylinder vermittelst des Gummiballons eingesogen. Der zwischen
Cylinder und Ballon eingeschaltete Metallhahn macht es möglich,
jederzeit die Ansaugung oder Entleerung der Flüssigkeit zu unter-
brechen. Nach dem Gebrauch wird die Spritze auseinandergenommen,
Cylinder, Kanüle und Metallhahn werden einige Minuten iu Sodalösung
gekocht und in absolutem Alkohol aufbewahrt. Der Ballon wird
nötigenfalls im Dampfkochtopf oder durch Einlegen in 5 proz. Carbol-
säurelösung desinfiziert. Der Vorzug der KocH'schen Spritze vor den
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 577
mit Stempel versehenen Spritzen ist vor allem in der Leichtigkeit und
Geschwindigkeit der Reinigung und Sterilisierung sowie in der Mög-
lichkeit gegeben, dieselbe in keimfreiem Zustande aufzubewahren. Die
Spritze ist auch haltbarer als die Stempelspritzen, an denen wegen Un-
dichtigkeit des Stempels häufig Reparaturen notwendig sind.
Für Einspritzungen von Flüssigkeiten in die Blutbahn, nament-
lich bei kleineren Tieren, bedient man sich am besten kleinerer oder
grösserer Glaskanülen, die man sich für den vorliegenden Zweck
selbst anfertigt. Vermittelst eines kleinen Gummischlauches wird die
Kanüle mit dem Gefäss, in welchem die Injektionsflüssigkeit sich be-
findet, in Verbindung gesetzt. Als treibende Kraft benutzt man bei
Einspritzungen in die Carotis, deren ziemlich grosser Druck überwunden
werden muss, den Stempel einer Pravaz'schen Spritze oder Luft,
welche durch Kompression eines Gummiballons, unter Einschaltung
eines Windkessels zur Erzeugung eines gleichmässigen Druckes, in Be-
wegung gesetzt wird.
Zur mikroskopischen Beobachtung mancher Prozesse, die sich in
den Körperhöhlen, vor allem dem Peritoneum der Versuchstiere nach
Injektion von bakterienhaltigen Flüssigkeiten abspielen, empfiehlt sich
die Entnahme von Exsudat z. B. aus der Bauchhöhle mittelst feiner
Glaskapillaren. Um die sog. PFEiFFEK'sche Reaktion der Cholera-
bakterien auf Choleraserum beobachten zu können, kann man derartige
Kapillaren, welche leicht aus Glasröhrchen durch Ausziehen in der
Flamme herzustellen sind, nicht entbehren.
Tierhalter.
Bei Ausführung von grösseren Operationen an Tieren und überall
da, wo es auf eine länger dauernde Festhaltung der Tiere bei Ver-
suchen ankommt, werden zweckmässig Tierhalter benutzt. Kitasato
hat für Mäuse einen sehr einfachen Apparat angegeben, bestehend aus
einer Blechplatte, die vermittelst eines Kugelgelenkes nach verschiedenen
Seiten gedreht und vermittelst einer Schraube in diesen verschiedenen
Stellungen fixiert werden kann (Fig. 36). An der Blechplatte sind
eine Klemme für den Schwanz und eine Federzange für den Nacken
angebracht. Entsprechend vergrössert kann derselbe Apparat auch für
Ratten benutzt werden. Zum Befestigen von Meerschweinchen, Kanin-
chen, Katzen sind in Paris sehr einfache Apparate konstruiert, auf welchen
die Tiere am Kopf gefesselt werden, ohne Schmerzen zu empfinden, und
daher sehr ruhig liegen. Modifikationen eines solchen Apparates, welche
von F. Lautenschläger hergestellt sind, zeigen die Abbildungen in
Figur 37 u. 38. Je nach der Grösse der Tiere werden entsprechend grosse
Ringe als Nackenhalter eingefügt. Besondere Schwierigkeiten bietet
Flügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 37
578
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
das Experimentieren mit bissigen Tieren, wie Katzen, Hunden, Affen.
Als der beste Halter für derartige Tiere ist wohl der in Fig. 40, 41
Fig. 36.
u. 42 abgebildete Halter von Malassez hier zu erwähnen. Dieser Halter
ist ursprünglich für Hunde konstruiert worden.
Für den Aderlass grösserer Tiere, wie Pferde, Hammel, Ziegen,
Kühe, hauptsächlich zum Zwecke steriler Blut- und Serumgewinnung
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
579
sind Kanülen von der Form der in Fig. 39 abgebildeten gebräuchlich.
Man fasst an dem unteren Blatt die Kanüle und stösst sie in die
durch Komprimieren mit einem Finger zum Schwellen gebrachte Ju-
gularis externa ein. Das Blut fliesst dann im Strahle heraus.
Fig. 38.
Sehr empfehlenswert für manche Zwecke, namentlich kleinere
•Operationen an Tieren, z. B. subkutane oder intraperitoneale Injektionen,
oder Exsudatentziehung aus der Bauchhöhle ist der
von 0. Voges (C. XVIII. Seiberg) angegebene Meer-
schweinchenhalter. Derselbe besteht aus einem an
dem einen Ende offenen, am anderen Ende durch
eine mit Löchern versehene Platte abgeschlosse-
nen Blechrohr, in dessen Wandung sich ausserdem
ein Schlitz befindet, durch den man zu den ver-
schiedenen Körperteilen der Tiere gelangen kann.
(Fig. 43). Für grössere oder kleinere Tiere sind
zwei Grössen des Halters vorhanden. Die Meer-
schweinchen, welche mit dem Kopf nach dem ver-
schlossenen Teil zu in das Rohr gebracht werden,
liegen längere Zeit völlig ruhig. Auch die Tem-
peraturmessung der Tiere im Anus ist dann sehr
leicht und, ohne dass ein Zerbrechen des Thermo-
meters zu befürchten ist, ausführbar (Fig. 44).
Erkranken oder sterben Versuchstiere, so sind
mit deren Blut oder Organen die nämlichen Züch-
tungs- und Übertragungsversuche zu machen und die Identität der
37*
Fig. 39.
580
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
eingeimpften und der gefundenen Pilze ist sicherzustellen. Alle diese
Versuche sind über längere Reihen auszudehnen.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 5S1
m .xc
582
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
VIII. Methoden und Apparate für die ehemische Unter-
suchung der Bakterien.
In neuerer Zeit sind Untersuchungen über die Chemie der Bak-
terien, namentlich die in ihnen enthaltenen oder von ihnen abgeson-
derten Gifte, sowie über das chemische Verhalten der nach Einver-
leibung von Bakterien im Tierkörper erzeugten sog. Anti-Körper ange-
stellt. Wir haben durch diese Untersuchungen wichtige Aufschlüsse
über die Natur der Gifte
und der vom Tierkörper er-
zeugten Anti - Körper bei
mehreren Bakterienarten er-
halten, so z. B. bei den Tu-
bekel-, Cholera-, Diphtherie-
und Tetanusbacillen. Die
Resultate der Forschungen,
welche noch nicht in allen
Beziehungen als abgeschlos-
sen zu betrachten sind, for-
dern zu weiterer Verfolgung
der eingeschlagenen "Wege
auf, wobei die Benutzung be-
stimmter, eigens hierzu kon-
struierter Apparate von gros-
sem Wert ist, z. B. von Filtra-
tionsapparaten, Dialysatoren,
Extraktions-, Vakuum-, De-
stillations- und Trockenap-
paraten besonderer Kon-
struktion.
Zur Trennung der korpuskularen Elemente einer Bakterienkultur
(hauptsächlich also Bakterien) von den gelösten Bestandteilen der Näh r-
fiüssigkeiten und diesen selbst sind Filter im Gebftiuch. Als Material für
dieselben wird Porzellan, (Chamberland), Infusorienerde (Berckeeeld-
Bitter) und hart gebranntes Kaolin (Pukall) angewandt. Die zu
nitrierende Flüssigkeit wird am besten durch Saugwirkung einer
Wasserstrahl-Luftpumpe (s. u.) durch die engen Poren des Filters ge-
trieben. Es hat sich gezeigt, dass man jedes Filter, um sicher damit
keimfreie Filtrate zu erzielen, prüfen muss. Nach jedem Gebrauch
ist das Filter sofort zu reinigen, in Sodalösung oder Salzsäure auszu-
kochen, in absolutem Alkohol aufzubewahren; vor jedem Gebrauch
findet eine nochmalige Desinfektion durch Auskochen statt.
Fig. 44.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
583
Was die Form der Filter betrifft, so ist für Filtration kleinerer
Menge, wie sie bei Laboratoriumsversuchen hauptsächlich in Betracht
kommt, die sog. KiTASATo'sche Kerze am geeignetsten (s. Fig. 45),
während für Filtrierung grösserer Mengen die eine Kölbchenform auf-
weisenden PuKALi/schen Filter vorzuziehen sind (Fig. 46). Jedoch muss
man die FunktiorMähigkeit der letzteren stets kontrollieren.
Fig. 45.
Fig. 46.
Die Filtration wird so geregelt, dass in der Minute ca. 10 Tropfen
durch das Filter gehen. Es empfiehlt sich, zwischen der Saugflasche
und der Saugpumpe eine Woulf'sche Flasche einzuschalten.
Die Dialysatoren dienen zur Befreiung der Kultur- oder tieri-
schen Flüssigkeiten von bestimmten Körpern, z. B. Salzen, Peptonen etc.
Besonders geeignet erweist sich derPROSKAUEK'sche Dialysator (s. Fig. 47).
In ein mit einer Ausflussöffnung versehenes Gefäss B ist das obere
Gefäss C mit Einschliff eingefügt, an welchem die Membran in Form
eines Beutels mit einem Bindfaden festgebunden wird. Der Apparat
ist sterilisierbar und ermöglicht steriles Arbeiten, er kann in fliessen-
dem Wasser benutzt werden und verhindert ein kapillares Aufsteigen
der Flüssigkeit aus dem Dialysat in der Membran.
Zur Eindickung labiler flüssiger Substanzen in möglichst kurzer
Zeit und bei niedrigen Temperaturen dient der Vakuumdestillations-
apparat von B. Peoseauee (Fig. 48). Die Konstruktions- und An-
584
Methocleu zur Untersuchung der Mikroorganismen.
wendungsweise desselben kann
an der Hand der beifolgenden
Figur 48 erläutert werden.
Der zur Aufnahme der Flüs-
sigkeit dienende Kolben K, welcher
sich auf der Unterlage F über dem
durch einen Brenner erwärmten
Wasserbade W befindet, ist an
seinem Halse zu einer Kugel erwei-
tert und besitzt einen 3fach durch-
bohrten Gummipfropfen. Durch
diesen werden der Tropftrichter S
und das mit einer von koncentrier-
ter Schwefelsäure angefülltenVor-
lage H2 in Verbindung stehende
Luftzuführungsrohr, sowie das
Thermometer T eingeführt. Wäh-
rend des Destillierens lässt man
langsam einen Strom vorgetrock-
neter Luft aus dem Luftzu-
Fig. k8.
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
585
führungsrohr über das Flüssigkeitsniveau in K streichen, in welchem
die in K entwickelten Dämpfe, weil eine Kühlvorrichtung um K1
angebracht ist, kondensiert werden und in flüssigem Zustande in die
Flasche M abtropfen. Mit der letzteren steht ein Quecksilbermano-
meter M in Verbindung, dessen einer Schenkel mit dem Lüftungshahn
(fe
IM
H1 verbunden ist. Ein Seitenrohr der Saugfiasche steht mit einer
Wasserstrahlpumpe mit Rückschlagventil in Verbindung. Zwischen
Saugflasche und Pumpe ist als Sicherheitsvorlage gegen zurücksteigen-
des Wasser eine Woulfsche Flasche eingeschaltet.
Wenn nötig, kann man den Apparat nach seiner Zusammen-
setzung durch Ausspülung mit Alkohol und Abdestillieren desselben
sterilisieren.
586 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Um den Apparat in Gang zu setzen, stellt man das Vakuum her
und lässt, sobald die erforderliche Luftleere erreicht und nachdem das
Wasserbad geheizt ist, die Flüssigkeit durch den Hahn H tropfenweise zu,
derzumZwecke der Regulierung konisch durchbohrt ist. Die Destillation
findet nun statt, ohne dass sie durch Auseinandernähme des Apparats
behufs Neueinfüllung von Flüssigkeiten unterbrochen zu werden braucht.
Nähert sich die Destillation ihrem Ende, so entfernt man die Flamme
und saugt weiter, bis das Wasser im Wasserbade erkaltet ist. Der
Apparat kann nun auseinandergenommen werden, nachdem man das
Pumpen eingestellt und den Hahn H1 geöffnet hat.
Für die Abdampfung und Eintrocknung kleinerer Flüssigkeits-
mengen bei niederen Temperaturen ist der PROSKAUER'sche heizbare
Vakuum-Trockenapparat sehr geeignet, der eine Modifikation des
von Brühl (Berl. ehem. Ges.) konstruierten Apparates darstellt (s. Fig. 50).
Die Erwärmung des automatisch arbeitenden Apparats beruht auf
dem Prinzip der Warmwasserheizung. Aus dem Wasserbad B, welches
durch eine Gasflamme erwärmt wird, steigt das warme Wasser durch
F zu der innerhalb der Glocke A befindlichen Erwärmungskammer,
welche aus einem doppelwandigen Teller besteht, giebt hier die Wärme
ab und sinkt durch Rohr G zum Expensionsgefäss zurück, wo es von
neuem erwärmt wird. Die Luft in der Glocke A wird durch eine
Wasserstrahlpumpe evakuiert. Am Boden der durch die Glocke einge-
schlossenen Kammer befinden sich Glasgefässe mit koncentrierter
Schwefelsäure zur Absorption des Wasserdampfes.
Die Extraktion von Substanzen aus Flüssigkeiten mit Äther ge-
lingt sicher und rasch vermittelst des Figur 49 abgebildeten, gleich-
falls von B. Proskaüer angegebenen Apparates Die in einem mit
Äther gefüllten, über einem Wasserbade erwärmten Kölbchen ent-
wickelten Ätherdämpfe steigen durch das Rohr B auf, gelangen in den
unteren Teil der zu t extrahierenden Flüssigkeit, werden hier konden-
siert und sammeln sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit mit den
Extraktionsstoffen beladen an. Von hier fiiessen sie in das Kölbchen
vermittelst des Rohres C zurück.
Die bei allen diesen Versuchen zu benutzende Wasserstrahl-
Luftpumpe empfiehlt es sich, mit einem Lippenrückschlagventil
von Gummi zu versehen.
C. Die bakteriologische Untersuchung von Luft, Wasser und Boden.
I. Luft.
Nachdem man früher vergeblich versucht hatte, durch Fixieren
der Luftkeime auf klebrigen Flächen und mikroskopische Unter-
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 537
suchimg einen genügenden Einblick in die Zahl, Art und Lebens-
fähigkeit der in der Luft vorkommenden Bakterien zu erhalten, sind
in neuerer Zeit Methoden bekannt geworden, welche zunächst eine
Entwicklung der einzelnen Luftkeime und dann eine Zählung der-
selben anstreben.
Zur vorläufigen Orientierung über den Keimgehalt der Luft und
die in ihr enthaltenen Arten genügt es, PETRi'sche Schalen mit steriler
Gelatine oder sterilem Agar-Agar 1j2 — 1 ccm hoch gefüllt eine be-
stimmte Zeit offen hinzustellen, dann wieder zu bedecken und stehen
zu lassen. Die Spaltpilze fallen auf das Nährsubstrat und wachsen
auf demselben zu Kolonien aus.
Für die Zählung der in einem bestimmten Luftquantum enthalte-
nen Pilze sind zwei Methoden angegeben und häufig angewandt wor-
den. Die ältere derselben ist die HESSE'sche Methode, deren Ver-
suchsanordnung sich folgendermassen gestaltet: Ein Glasrohr von
ca. 70 cm Länge und 3,5 cm Weite wird mit 50 ccm Nährgelatine
so beschickt, dass dieselbe die inneren Wandungen ganz überzieht und
auf dem Boden eine dickere Lage bildet. Das eine Ende ist mit einem
Kautschukkork verschlossen, in dessen Bohrung ein mit Wattepfropfen
armiertes Glasrohr steckt; letzteres wird mit dem Aspirator verbun-
den, das andere Ende ist von einer Gummikappe überzogen, die durch
ein centrales Loch die Luft eintreten lässt. Das ganze Rohr wird
horizontal auf ein Stativ aufgelegt. Das Durchströmen der Luft
lässt man mit einer Geschwindigkeit vor sich gehen, die ungefähr
1 1 in 2 Minuten, jedenfalls aber nicht mehr beträgt.
Die in der Luft enthaltenen Keime fallen — meist bald* nach dem
Eintritt der Luft in die Röhre — auf die Gelatine und entwickeln
sich dort zu isolierten zählbaren Kolonien. Man erhält so oft sehr
instruktive Bilder, aber ganz genau vergleichbare Resultate gewährt
diese Methode nicht. Theils ist die richtige Stärke der Luftströmung,
bei welcher keine Keime das Rohr passieren und bei welcher sie
auch nicht zu dicht im Anfangstheil sich häufen, schwer herzustellen,
theils bietet die oberflächlich eintrocknende Gelatine eine ungünstige
Ansiedelungsstätte. Endlich beruht die Anwendbarkeit der Methode
auf der Annahme, dass die Verteilung der Keime in der Luft eine
sehr gleichmässige ist und dass keine Haufen und Konglomerate von
Mikroorganismen existieren. Nach allen sonstigen Beobachtungen ist das
aber nicht der Fall; es lassen sich durch direkte mikroskopische Unter-
suchung zahlreiche Verbände von Bakterien unter den Luftkeimen nach-
weisen, und eine völlig gleichmässige Verteilung der Verbände und Einzel-
individuen in der Luft wird auch schwerlich immer repräsentiert sein.
Ganze Bakterienverbände geben bei dem Wachstum gerade so gut iso-
5S8 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
lierte Kolonien wie einzelne abgelöste Individuen. Ein nicht unerheb-
licher Mangel der Methode ist endlich der Umstand, dass man mir
ein verhältnismässig geringes Luftquantum durch den Apparat saugen
und so der Untersuchung unterwerfen kann, und dass trotzdem die
Durchleitung der Luft sehr langsam von statten geht.
Von diesen Mängeln der HESSE'schen Methode, die für gewisse
Zwecke der Praxis in der Hand des Geübten immerhin brauchbar sein
kann, ist die PETßi'sche Methode zum grossen Teil frei, welche aller-
dings die Benutzung mehrerer komplizierter Apparate, z. B. einer
Gasuhr, erforderlich macht. Die Luft, welche auf ihren Keimgehalt
untersucht werden soll, wird durch feinen, ausgeglühten Quarzsand von
V4 — V3 mm Korngrösse geleitet (Fig. 51). Der Sand ist in einem ca. 9 cm
langen und 1,6 cm weiten Röhrchen enthalten und zwar in
zwei von einander durch ein dünnes Drahtgeflecht getrennten
Filtern, deren eines als Kontrollfilter dient. Die Sandfilter
sind auch nach aussen durch ein Drahtgeflecht abgegrenzt.
Neuerdings hat M. Ficker (Z.22) vorgeschlagen, statt des Quarz-
sandes Glasstückchen zu benutzen, weil die Zählung der Kolonien
in den mit dem Glassand beschickten Platten genauere Resul-
tate, als bei den mit Quarzsand hergestellten giebt. Nach
der Füllung wird das Röhrchen mit zwei Wattepfropfen
verschlossen und sterilisiert. Bei Ausführung der Luftunter-
suchung wird der eine Wattepfropfen entfernt und an Stelle
des anderen ein von einem Glasrohr durchbohrter Gummi-
stopfen gesetzt. Nachdem das Glasrohr mit einer besonders
konstruierten Luftpumpe in Verbindung gesetzt ist, wird ein
Fig. 51. starker Luftstrom (ca. 10 Liter in einer Minute) 10—20 Mi-
nuten durch das senkrecht gestellte Röhrchen gesaugt (Fig. 52).
Die durchgesaugte Luftmenge wird durch eine Gasuhr unter Benutzung
eines zwischen dem Röhrchen und der Gasuhr eingeschalteten Mano-
meters, welcher eine Berechnung der Luftverdünnung möglich machtv
gemessen. Immerhin bietet also die genaue Messung der Luftmenge
nicht unerhebliche Schwierigkeiten.
Nach Abschluss des Durchsaugens wird das obere, der Einströ-
mungsöffnung zugelegene Filter in verflüssigte Nährgelatine über-
tragen, welche nach länger dauerndem Schütteln (um die Auflösung
etwaiger Bakterienverbände zu ermöglichen) in PETRi'sche Schalen
ausgegossen wird. Sollen verschiedene Nährsubstrate untersucht wer-
den, so ist das Filtermaterial zunächst in Kochsalzlösung zu vertei-
len, und von dieser ist ein aliquoter Teil den verschiedenen Nähr-
substraten zuzufügen. Das untere, dem Aspirator zugelegene Filter
dient als Kontrollfilter. Es wird in gleicher Weise wie das obere
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
589
Filter behandelt, doch dürfen, falls der Versuch gelungen ist, keine
Keime aus diesem Filter mehr zur Entwicklung kommen. —
Die sonstigen, bisher bekannt gewordenen Vers u che zur quantita-
tiven Bestimmung der Luftkeime beruhen meistens auf dem Prinzip,
die Luft durch eine Flüssigkeit zu leiten, wodurch eine Zurückhaltung
der Keime in der Waschnüssigkeit erzielt werden soll. Diese Ver-
suche haben indessen zu völlig befriedigenden Resultaten nicht ge-
führt. Wie verschiedentlich nachgewiesen ist, gelingt es schwer, in
"Waschflüssigkeiten alle Keime der Luft zurückzuhalten. Ausserdem
leiden diese Methoden noch an einem anderen Fehler, dass nämlich in
solchen Nährsubstraten schon während der — notwendigerweise sehr
langsamen — Durchleitung der Luft Vermehrung rasch wachsender
590 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
Saprophyten eintreten kann, so der Versuch v. Sehlen's, Agarlösung
zur Aufnahme der Luftkeime zu verwenden. Auch bei Verwendung
von Gelatine ist die Möglichkeit der Vermehrung von Saprophyten
nicht von der Hand zu weisen.
Beim Nachweis von pathogenen Mikroorganismen, von denen
mehrere Arten gelegentlich in der Luft in infektionstüchtigem Zu-
stande existierend auf Grund theoretischer Erwägungen angenommen
werden müssen, lassen die bisher für die Luftuntersuchung angegebe-
nen Methoden im Stich. Aber selbst bei Zuhilfenahme des Tierexpe-
riments und Kombination mit anderen Methoden ist es bis jetzt nicht
gelungen, Bakterien, welche ohne Zweifel zeitweise in der Luft sus-
pendiert sind, wie z. B. die Tuberkelbacillen, in der Luft nachzuwei-
sen. Es hat dies seinen Grund wohl hauptsächlich darin, dass die
pathogenen Bakterien nur in sehr geringer Zahl in der Luft verbreitet
sind, so dass das Auffinden derselben ein glücklicher, aber seltener
Zufall ist. Für das Vorkommen der Tuberkelbacillen in der Luft hat
auf indirektem Wege unzweideutige Beweise Coenet geliefert. Cornet
(Z.) gelang es, im Niederschlage der Luft, im Staub, Tuberkelbacillen an
denjenigen Stellen von Wohnräumen nachzuweisen, wohin sie nicht
direkt durch verstaubtes oder verschlepptes Sputum, sondern nur durch
Absinken aus der Luft gelangt sein konnten. Petki hat diese Unter-
suchungen wiederholt und bestätigt. Die Untersuchung geschieht nach
Cornet's Vorschrift so, dass man mit sterilen, feuchten Schwämmchen
Staub aufwischt und Partikelchen von den Schwammstückchen in die
Bauchhöhle von Meerschweinchen bringt. Bei geeigneter Versuchsanord-
nung wird es ohne Zweifel aber auch gelingen, in der Luft stark infizierter
Wohnräume vermittelst des Petri' sehen Apparates Tuberkelbacillen nach-
zuweisen, indem man den Sand in steriler Flüssigkeit auswäscht und
diese letztere Versuchstieren intraperitoneal injiziert.
II. Wasser.
Die Probenahme geschieht am besten in sterilisierten Glas-
gefässen. In den Fällen, wo man das zu untersuchende Wasser
direkt in ein Gefäss auffangen kann, ohne ein anderes bakterienhaltiges
Medium zu passieren, z. B. aus Brunnen, offenen Flussläufen, benutzt
man zweckmässig ERLENMEYER'sche Kölbchen oder, falls das Gefäss
verschickt wTerden soll, Gläser mit eingeschliffenem Stöpsel. Damit
bei dem Anfassen des Kölbchens an der Einflussöffnung von den Hän-
den des Untersuchers keine Keime anhaften können, welche durch das
einströmende Wasser mit in das Kölbchen gespült werden, hat E. Pfuhl
vorgeschlagen, den oberen Teil des Kölbchens vor dem Sterilisieren
mit einer weit übergreifenden, durch Bindfaden fixierten Wattekappe zu
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen. 591
versehen. Kurz vor der Probenahme wird die Kappe entfernt. Bei
Befolgung dieser PFUHi/schen Vorschrift ist ein Hineingelangen von
Keimen in das Gefäss aus einer anderen Quelle als aus dem zu unter-
suchenden "Wasser unmöglich. Um die Wasserproben leicht transpor-
tieren zu können, empfiehlt es sich, dieselben in den von Flügge an-
gegebenen kleinen, luftleer gemachten Glaskugeln, welche nachher zuge-
schmolzen werden, aufzufangen (Fig. 53). Derartige Glaskugeln von ca.
IV2 cm Durchmesser, an der einen Seite mit einem 10 — 15 cm langen, fast
kapillaren Glasrohr versehen, werden durch Erwärmen der Kugel und
folgendes Eintauchen in destilliertes Wasser etwa zui\ Hälfte mit Wasser
gefüllt; dann stellt man die Kugel auf ein Drahtnetz eines Stativs,
richtet das Glasrohr schräg nach oben und umgiebt dasselbe mit einem
Bausch Filtrierpapier. Darauf bringt man das Wasser der Kugel ins
Sieden; der Wasserdampf strömt in starkem Strahl aus dem Kapillar-
rohr hervor, etwa mitgerissene und herablaufende Tropfen werden von
dem Filterpapier aufgesogen. Wenn die ganze Masse des Wassers bis
auf etwa % — 1 Tropfen verdampft ist, schmilzt man, noch während
der Strom von Wasserdampf entweicht, mit einem zweiten Brenner
das Kapillarrohr oben zu.
In diesem Zustand werden die Kugeln transportiert; sie lassen
sich in Blechtrommeln, die im Innern zwei siebartig durchlöcherte
hölzerne Böden und im Deckel eine Watteeinlage tragen, sehr gut ver-
senden. — Die Probenahme geschieht so, dass der Untersuchende zuerst
etwas Sublimatlösung (1 : 2000) über die Kugel und über die eigenen
Hände giesst; dann muss ein Assistent einige Minuten pumpen. Das
erste Wasser benutzt man, um das Sublimat von der Kugel und den
Händen gründlich abzuspülen; dann wird mitten im vollen Wasser-
strahl das Kapillarrohr nahe der Spitze bei a (Fig. 53) abgebrochen, worauf
momentan der ganze luftleere Apparat bis zur Spitze sich mit dem
Wasser füllt; alsdann wird in der Flamme einer Spirituslampe (even-
tuell unter Zuhilfenahme eines Lötrohrs) weiter unterhalb bei & zuge-
schmolzen. — Das ins Laboratorium zurückgebrachte Gläschen wird
wieder desinfiziert und mit sterilisiertem Wrasser abgespült; darauf
wird bei c ein Feilstrich gemacht und das Rohr abgebrochen. Die
entstehende Öffnung ist weit genug, um mit Hilfe einer sterilisierten
Tropfpipette eine beliebige Menge — 1 Tropfen bis 1 ccm und mehr —
Wasser zu entnehmen.
Kommt es darauf an, für wissenschaftliche Untersuchungen oder
praktische Zwecke aus der Tiefe der Gewässer Proben zu entnehmen,
so kann man sich verschiedener, zu diesem Zwecke hergestellter Appa-
rate bedienen. Rotrx benutzte kleine Glaskölbchen, welche am oberen
Ende in ein fast kapillares, mehrfach gewundenes Glasrohr ausgezogen
592
Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
sind. In der oben beschriebenen Weise (s. Fig. 54) wird das Kölbchen
luftleer- gemacht und darauf das Glasrohr am äussersten Teile zuge-
schmolzen. An einer Schlinge des Glasrohres (A) wird nun ein Bindfaden
befestigt und darauf das Kölbchen in einem mit Gewichten (C) beschwerten
Gefässe (B) vermittelst einer Schnur in die Tiefe gesenkt. Ist die ge-
wünschte Tiefe, welche an der Schnur abgelesen werden kann, erreicht,
so zerbricht man durch einen kräftigen Zug an dem Bindfaden das
kapillare Rohr. In den luftleeren Apparat stürzt das Wasser nun
rasch hinein, worauf das Kölbchen
an der Schnur wieder nach oben
gezogen wird. — v. Esmaech hat
Kölbchen empfohlen, welche mit
einem doppelt durchbohrten Gummi-
stopfen verschlossen sind. In der
einen Öffnung desselben befindet sich
ein Glasrohr, das in ein kapillares
Ende ausgezogen und nach unten
umgebogen ist, während das in der
anderen Öffnung des Pfropfens ange-
brachte Röhrchen mit einem Gummi-
schlauch verbunden ist, der über
die Oberfläche des Wassers geführt
ist. Vor der Benutzung wird der
ganze Apparat sterilisiert. Das
Kölbchen wird entsprechend mit
Gewichten beschwert und sinkt unter.
Hierbei tritt in das Kölbchen kein
Wasser ein. Sobald der Apparat
sich in der gewünschten Tiefe be-
findet, saugt man die Luft vermittelst
des Gummischlauches aus dem Kölb-
chen, das sich infolge dessen durch
die Kapillare mit Wasser füllt,
unmittelbar, wenn es sich um die
Feststellung der Keimzahl der Probe handelt, nach der Entnahme
zu untersuchen. Ist aus irgend welchen Gründen die Untersuchung
erst nach längerer Zeit (mehrere Stunden) nach der Entnahme mög-
lich, so ist das zu untersuchende Wasser in Eis verpackt aufzu-
bewahren bez. zu versenden. Die von verschiedenen Seiten konstatierte
schnelle Vermehrung der Wasserbakterien, sobald das Wasser in der
Wärme aufbewahrt wird, macht diese Vorsichtsmassregel unerlässlich.
Die Untersuchung der Zahl und Art der vorhandenen Keime geschieht
Fig. 53.
Jedes Wasser
Fig. 54.
ist möglichst
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
593
am besten mit Hilfe der Gelatineplatten, welche man, um sie brauch-
bar zu erhalten (mit 10— 10000 Kolonien) mit abgestuften Mengen des
Wassers (1, %, Vio) im& unter Zuhilfenahme der Verdünnung in steri-
lem Wasser eventuell mit Vioo nn& Viooo ccm beschickt. Zur Zählung
benutzt man eine Lupe. Die Platten werden auf den Zählapparat von
Wolfhügel gesetzt. Max Neisser hat vorgeschlagen (Z. XX) die
Platten, sofern sie mehr als ca. 1500 Kolonien enthalten, mit Hilfe des
Mikroskops bei schwacher Vergrösserung zu zählen, cla in diesem Falle
die mikroskopische Untersuchung in Bezug auf die Vermeidung der
Fehler der Lupenzählung entschieden überlegen ist. Man zählt je nach
der Dichte der Platte 30 — 60 Gesichtsfelder. Zur Erleichterung der
Zählung bei dicht besäten Platen dient ein Okularnetzmikrometer, zur
Ausmessung des Gesichtsfeldes ein Objektivmikrometer, ein Glasplätt-
Fig. 55.
chen, auf dem Teilstriche bis -^ mm angebracht sind. Bei Platten die
weniger als 1500 bis zu 600 Kolonien enthalten, ist die Lupenzählung
der mikroskopischen gleichwertig zu erachten, bei den weniger als
600 Kolonien enthaltenden Platten sogar überlegen zu betrachten.
Will man, wie es für manche Zwecke notwendig ist, die Unter-
suchung des Wassers auf seine Keimzahl an Ort und Stelle der Ent-
nahme ausführen, so benutzt man zweckmässig den von B. Proskauer
zusammengestellten, leicht transportierbaren Kasten (Fig. 55), in dem
die dazu notwendigen Geräte zusammengestellt sind. Derselbe enthält :
4 sterile ERLENMEYEE'sche Kölbchen zur Wasserentnahme, 1 Thermo-
meter, 1 transportable Spirituslampe, 12 sterile PETRi'sche Doppelschalen
in 2 runden Blechbüchsen, 12 Reagensgläser mit Gelatine, 15 sterile
Wasserpipetten in 3 Röhren, 1 zusammenlegbaren Dreifuss, 1 Handtuch,
1 Notizbuch, 1 Bleistift u. dgl. m. Die bei 35 ° C. aufgeschmolzene Nähr-
Plügge, Mikroorganismen. 3. Auflage. I. 38
594 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
gelatine wird direkt an der Untersuchungsstelle geimpft und zu Platten
gegossen, so dass der Transport der Wasserproben wegfällt.
Für den Nachweis von pathogenen Bakterien im Wasser, vor
allem von Typhus- und Cholerabakterien, werden die zur Züchtung
dieser Mikroorganismen überhaupt gebräuchlichen Kulturverfahren
angewandt: bei Untersuchung auf Typhusbacillen also das Gelatine-
plattenverfahren, bei derjenigen auf Choleravibrionen die KoCHsche
Peptonmethode. Man verarbeitet, um die letztere anzuwenden, grössere
Quantitäten Wassers, 1 1 und mehr, in dem man so viel einer sterili-
sierten 20 % alkalischen Peptonlösung mit 10 % NaCl-Gehalt (sog.
Stammlösung) zusetzt, dass die zu untersuchende Flüssigkeit einen
Gehalt von 1 % Pepton, % °o NaCl hat, und verteilt das ganze Quantum
auf ERLENMEYER'sche Kölbcnen. Auf der Oberfläche der Flüssigkeit
sammeln sich, nachdem die Kölbcnen 12 Stunden im Brutpparat bei 37 ° C.
gelassen sind, zahlreiche Vibrionen und unter ihnen gegebenen Falles
auch Choleravibrionen an, deren Isolierung und weitere Differenzierung
nach den bei der Besprechung der Züchtung und Differenzierung von
Vibrionen aufgestellten Gesichtspunkten zu geschehen hat.
III. Boden.
Die Untersuchung des Bodens kann geschehen, um die Zahl der
in einer Bodenprobe enthaltenen Keime zu bestimmen, oder zum
Zwecke der Feststellung der im Boden vorhandenen Arten von Mikro-
organismen, im besonderen von Krankheitserregern.
Das zur Untersuchung notwendige Material entnimmt man, wenn die
zu untersuchende Bodenstelle oberflächlich liegt, auf C.FB&NKEi/s(Z.Bd.II)
Empfehlung mittelst eines kleinen Platinlöffels, der scharfe Ränder hat
und eine genau abgemessene Menge fast. Um aus der Tiefe des Bodens
Kolle, Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
595
Material in einer solchen Weise zu entnehmen, dass jede Verunreini-
gung der Probe von aussen und von angrenzenden Bodenschichten
vermieden wird, ist die Benutzung des FßÄNKEi/schen Bohrers uner-
lässlich (Fig. 56). Über dem Bohrgewinde dieses Bohrers befindet sich
eine durch eine Hülse verschlossene Kammer, welche bei der Eintreibung
des Bohrers in die Erde mit Drehung von links nach rechts geschlossen
bleibt. Ist die Kammer bis zu der beabsichtigten Tiefe eingetrieben,
so genügen einige wenige Drehbewegungen von rechts nach links, um
die Hülse von der Öffnung der Kammer wegzuschieben, so dass eine
Füllung der Kammer mit der umgebenden Bodenschicht stattfindet.
Ein auf ähnlichen Prinzipien beruhender Bohrer, der aber die Boden-
proben nach der Entnahme sicherer als Fränkel's Instrument vor der
Verunreinigung mit den oberen Bodenschichten schützt, ist von Davids
(H.) angegeben worden, wie es beifolgende Fig. 57 zeigt.
Die Untersuchung muss möglichst sofort nach Entnahme der
Bodenprobe geschehen, da im Laboratorium infolge der höheren Tem-
peratur eine rasche Vermehrung der Saprophyten einzutreten pflegt.
Das Untersuchungsmaterial wird gegebenen Falls nach Verteilung in
.sterilisiertem Wasser zu verflüssigter Gelatine gefügt, die nach v. Es-
38*
596 Methoden zur Untersuchung der Mikroorganismen.
march's Methode zu Rollplatten benutzt wird. Die Rollröhrchen ver-
dienen vor den Gelatineplatten in PETKi'schen Schalen für diese Zwecke
vor allem deshalb den Vorzug, weil einmal die anaerobiotische Züch-
tung sehr leicht in den Röhrchen auszuführen ist und zweitens auch
die langsam wachsenden Bakterienarten in den vor Verunreinigungen
leicht zu schützenden Röhrchen zur Entwicklung kommen. Die Zahl
der Keime wird in der gewöhnlichen Weise bestimmt.
Die saprophytischen Mikroorganismen können, soweit sie auf Ge-
latine wachsen, auf diese Weise isoliert und einer Artbestimmung
unterworfen werden. Auch der Typhuserreger kann so gegebenen
Falles nachgewiesen werden, wie aus den sorgfältigen Untersuchungen
Lösener's (Arb. aus dem Kais. Ges. A. Bd. XI) hervorgeht. Um die
Erreger des Tetanus, des malignen Odems und des Milzbrandes im
Boden nachzuweisen, ist eine subkutane Verimpfung von Erdproben
bei Tieren, namenlich Mäusen, vorzunehmen. Die geimpften Tiere
sterben, wenn die benutzte Bodenprobe diese Krankheitserreger auch
nur in sehr geringen Mengen enthält, an der betreffenden Krankheit.
Es ist dann leicht, aus den Leichen die gesuchten, in relativ grosser
Menge darin vorhandenen Mikroorganismen zu züchten.
Druck von August Pries in Leipzig.
NEUERE
MEDICINISCHE WERKE
AUS DEM VEELAGE VON
F. C.W.VOGEL.
1896. LEIPZIG. 1896.
Soeben ist erschienen:
Prof. C. Flügge's
2>ie /IIMkrooröanismert.
Mit besonderer Berücksichtigung der
üefiofocrie bct ^nfecrtoneßranßfSei^n.
Dritte völlig umgearbeitete Auflage
bearbeitet von
Dr. P. Frosch in Berlin, Dr. E. Gotschlich in Breslau, Dr. W. Kolle in Berlin,
Dr. W. Kruse in Bonn, Prof. R. Pfeiffer in Berlin.
2 Theile. Mit zahlreichen Abbildungen, gr. 8°. 1896. Preis 36 M.
His, Prof. Wilhelm in Leipzig. Johann Sebastian Bach. Forschungen
über dessen Grabstätte, Gebeine und Antlitz. Bericht an den Rath der
Stadt Leipzig. Mit 1 Situationsplan und 9 Tafeln in Kupferätzung, gr. 4°.
1895. 16 M.
His, Wilhelm, Karl Ludwig und Karl Thiersch. Akademische Gedächtniss-
rede im Auftrage der medicin. Facultät zu Leipzig am 18. Juli 1895 ge-
halten. 8o. 1895. 50 Pf.
Landerer, Prof. A. in Stuttgart. Vorschriften für die Behandlung der Rück-
grats-Verkrümmungen mit Massage. Für Aerzte und Laien. Dritte
Auflage. Mit 10 Abbildungen, kl. 8«. 1893. 50 Pf.
Landerer, Prof. A. in Stuttgart. Die Behandlung der Tuberkulose mit
Zimmtsäure. gr. 8°. 1892. 2 M.
Landerer, Prof. A. in Stuttgart. Anweisung zur Behandlung der Tuberku-
lose mit Zimmtsäure. Mit 2 Abbildungen. 8°. 1893. 50 Pf.
Krause, Prof. F. in Altona. Die Tuberkulose der Knochen- und Ge-
lenke. Nach eigenen an der Volkmann'schen Klinik gesammelten Er-
fahrungen und Thierversuchen dargestellt. Mit 42 Abbildungen im Text
und 5 Lichtdrucktafeln. Lex. 8,J. 1891. 10 M.
Mittermaier, Dr. C. in Heidelberg u. Dr. J. Goldschmidt in Funchal,
Madeira und seine Bedeutung als Heilungsort. Zweite völlig umgearb.
Auflage, gr. 8°. 6 M.
Bang, Prof. D. B. in Kopenhagen. Die Verwendung des Tuberkulins in dem
Kampfe gegen die Tuberkulose des Rindviehs. 8°. 1896. Sonderabdr. 1 M.
Juckuff, Dr. E. in Leipzig. Versuche zur Auffindung eines Dosirungsgesetzes.
Eine toxikologisch-mathematische Studie. Mit 4 Tafeln und 1 Abbildung
im Text, gr. 8°. 1895. 2 M.
Crede, Dr. med. Benno, Königl. Sachs. Hofrat, Oberarzt der chirurgischen
Abtheilung des Carolahauses zu Dresden und Dr. J. L. Beyer, Assistenz-
arzt am Carolahause. Silber und Silbersalze als Antiseptika, gr. 8.
1896. 1.50 M.
Ostmann, Professor Dr., Director der K. Universitäts-Poliklinik für Ohren-,
Nasen- und Halskranke zu Marburg. Gemeinverständliche Anweisung zur
Heilung der Eiterung des Ohres. 1896. 50 Pf.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
2
Lehrbuch
der
pathologischen Hnatomie
von
Prof. Dr. F. V. Birch-HirSChfeld in Leipzig.
2 Bände in 3 Theilen. Lex. 8°.
Zweiter Band.
Lehrbuch der Speciellen Pathologi-
schen Anatomie.
1. und 2. Hälfte.
Mit 207 Abbildungen.
Vierte Auflage. Lex.-8°. 1895.
Preis 24 M., geb. 26.50 M.
I. Band. Lehrbuch der
Pathologischen Anatomie. Mit veterinär-
pathologischen Beiträgen von Professor
Dr. A. Johne in Dresden. 5. Auflage wird
im Laufe dieses Jahres erscheinen.
Die Birch-Hirschfeld'sche Patholo-
gische Anatomie ist als eines der besten und
reichhaltigsten Lehrbücher anerkannt. Der
Verfasser hat bei der neuen Bearbeitung
unermüdlich den neuesten Forschungen
Rechnung getragen. Die zahlreichen vor-
trefflichen , zum Theil farbigen Abbildungen
erhöhen den Werth des Werkes.
His, Prof. Dr. W. (Leipzig), Anatomie menschlicher Embryonen. 3 Ab-
theilungen. Text mit Abbildungen und Atlas mit 15 Tafeln, gr. Fol. 75 M.
1. Abtheilung'. Embryonen des ersten Monats. Text mit 17 Abbil-
dungen u. Atlas, Tafel I— VIII. gr.80u.gr. Fol. 30 M. (Text apart 8 M.)
2. Abtheilung'. Gestalt- und Grössenentwicklung bis zum Schluss des
zweiten Monats. Mit 67 Abbildungen, gr. 8°. 5 M.
3. Abtheilung1. Text: Zur Geschichte der Organe. Mit 156 Abbildungen,
gr. 8°. Atlas: Embryonen bis Ende des zweiten Monats. Taf. IX — XIV
und I*. gr. Fol. 40 M. (Text apart 8 M.)
Manchot, C. Die Hautarterien des menschlichen Körpers. Mit 9 Tafeln,
gr. 40. 1889. 12 M.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
3
Grundriss
der
von
Prof. Di. F. V. Birch- Hirschfeld in Leipzig.
gr. 8°. 1892. Preis 6 M., geb. 7.25 M.
Birch -Hirschfeld 's Grundriss soll den angehenden Mediziner in das
Studium der allgemeinen Pathologie einführen, wie auch dem fertigen Arzte
als ein Nachschlagebuch dienen, in welchem er sich jederzeit rasch über
die Lehren der allgemeinen Pathologie orientiren kann. Bei der Anlage des
Werkes wurden als Hauptziel „die scharfe Umgrenzung der pathologischen
Grundbegriffe durch klare Zusammenfassung der sicheren Forschungsergebnisse
und mit Hervorhebung der noch offenen Fragen" angestrebt.
Grundriss
der
von
Prof. Dr. Ludolf Krehl in Jena.
gr. 8°. 1893. Preis 6 M., geb. 7.25 M.
Das Werk ist eine Ergänzung des Birch-Hirschfeld'schen Grundrisses, es
zerfällt in folgende Abschnitte:
1) Der Kreislauf. 2) Das Blut. 3) Die Athmung. 4) Die Verdauung. 5) Der
Stoffwechsel. 6) Das Fieber. 7) Die Harnabsonderung. 8) Das Nervensystem. —
In dem Krehl'schen Werke werden dem Studirenden die gegenwärtig herr-
schenden Vorstellungen über die Funktionsstörungen der Organe zusammen-
fassend vorgeführt. Zweifellos fehlte seither ein Buch dieser Tendenz in der
heutigen medizinischen Litteratur, und es gebührt dem Verf. schon deshalb Dank,
weil er die bisher in den Lehrbüchern der allgemeinen Pathologie, der klinischen
Diagnostik und der innerenKrankheiten zerstreuten Grundsätze der klinischen Patho-
logie zum ersten Male in einer gesonderten Abhandlung zusammengefasst hat.
(Ad. Schmidt, Bonn, Centralbl. f. innere Med.)
Ref. kann mit grosser Anerkennung die völlige Beherrschung des Stoffes
und das allenthalbe klare besonnene Urtheil des Verfassers hervorheben.
Möge das Buch fleissig von Studirenden und Aerzten gelesen werden. Es
wird dann sicher zur Verbreitung einer tiefer gehenden physiologischen Auf-
fassung der krankhaften Vorgänge im menschlichen Körper viel beitragen.
(v. Strümpell, Schmidt's Jahrbücher.)
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
4
Lehrbuch
der
der
inneren Krankheiten. Für Studirende und Aerzte.
Von
Professor Dr. A. V. Strümpell in Erlangen.
= Zehnte verbesserte Auflage. =
3 Bände.
Mit zahlreichen Abbildungen, gr. 8°. 1896.
Erster Band. 12 M., geb. 14 M. * Zweiter Band. 12 M., geb. 14 M.
Dritter Band. 12 M., geb. 14 M.
Der 1895 erschienenen 9. Auflage folgt jetzt bereits die 10. Auflage dieses
innerhalb und ausserhalb Deutschlands gleich bekannten und vielverbreiteten
Lehrbuches. Verfasser hat in der 10. Auflage wiederum zahlreiche Zusätze und
Aenderungen angebracht, ja mehrere Capitel des Buches ganz von Neuem
geschrieben. Das Werk hat bekanntlich seit der 8. Auflage eine etwas ver-
änderte äussere Eintheilung erfahren. Von dem allmählich zu umfangreich
gewordenen ersten Bande sind die Abschnitte über die Erkrankungen der
Digestionsorgane abgetrennt, und mit dem bisherigen zweiten Theil des
zweiten Bandes zum zweiten Bande vereinigt worden. Die Krankheiten des
Nervensystems bilden somit jetzt den dritten Schlussband des Lehrbuches.
v. Strümpell, Prof. A. (Erlangen). Kurzer Leitfaden für die Klinische
Krankenuntersuchung. Für die Praktikanten der Klinik zusammen-
gestellt. Vierte Auflage, kl. 8°. 1S96. . cart. 80 Pf.
v. Strümpell, Prof. A. (Erlangen). Ueber die Alkoholfrage vom ärztlichen
Standpunkte aus. Vortrag, gr. 8°. 1894. 60 Pf.
v. Strümpell, Prof. A. (Erlangen). Ueber die Ursachen der Erkrankungen
des Nervensystems. Antrittsvorlesung, gr. 8°. 1884. 1 M.
Naunyn, Prof. B. (Strassburg). Klinik der Cholelithiasis. Mit 5 Tafeln.
Lex.-8°. 1892. 10 M.
Minkowski, Prof. O. (Strassburg). Untersuchungen über den Diabetes
Mellitus nach Exstirpation des Pankreas, gr. 8°. 1893. Sonder-
abdruck. 2 M.
Sonnenburg, Prof. E. (Berlin). Pathologie und Therapie der Perityphlitis
(Appendicitis simplex und Appendicitis perforativa). Sonderabdruck. Zweite
sehr erweiterte Auflage, gr. 8. 1895. 5 M.
v. Ziemssen's Klinische Vorträge. 1—23. gr. 8°. 1895. ä 60 Pf.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
5
Lehrbuch
der
für Studirende und Aerzte
Professor Dr. Edmund Lesser,
Director der Klinik für Hautkrankheiten in Bern.
= Achte und Neunte Auflage. =
I. Band.
9. Auflage.
Hautkrankheiten.
Mit 29 Abbildungen im Text und 3 Tafeln
in Kupferätzung.
gr. 8°. 189(3. Preis 6 M., geb. 7.25 M.
Dem Verfasser ist durch seine neue
Thätigkeit als Kliniker in Bern Gelegen-
heit geboten worden, eine Reihe von Krank-
heitsfällen zu sehen, welche ihm früher
in der Poliklinik überhaupt völlig fehlten ;
dieser günstige Umstand ist auch nicht
ohne Einfluss bei der Bearbeitung der neuen
Auflage geblieben, und
wenn auch der Umfang des
Buches nur um einen halben
Bogen zugenommen hat, so
wird der aufmerksame Le-
ser doch fast in allen Kapi-
teln verbessernde Aende-
rungen und erweiternde
Zusätze finden.
Auch ist eine Anzahl
von Erkrankungen, die nur
selten zur Beobachtung
kommen, in ganz kurzer
Schilderung aufgenommen
worden.
Mehrere neue Auto-
typien, sowie 3 Tafeln in
Kupferätzung tragen
zur Bereicherung der Illu-
strationen bei.
II. Band.
8. Auflage.
Geschlechtskrank-
heiten.
Mit 12 Abbildungen
im Text u. 3 Tafeln in
Kupferätzung, gr. 8U.
1895. Preis 6 M.,
geb. 7.25 M.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
der
ßfinifcßen (ntißtrofßopie ite (§tuüe
von
Dr. Hermann Rieder,
Privatdozent und Assistent der medizinischen Klinik in München.
12 Tafeln mit 48 Abbildungen in Farbendruck. Lex.-8°. 1893. 8 M„ geb. 9.50 M.
12 Tafeln mit prächtigen, von Krapf ausgeführten Bildern geben alle Ein-
zelheiten wieder. Jeder wird unbedingt die Schönheit und den Reiz dieser
Bilder anerkennen. Es sind durchweg Musterpräparate, mit einem wahren
Schwelgen in Farbentönen und Grössenverhältnissen dargestellt.
(Berliner klin. Wochenschrift.)
Handbuch
der
von
Dr. Hermann Rieder,
Privatdocent und Assistent der medicinischen Klinik zu München.
Mit 423 Abbildungen im Text. gr. 8°. 1895. Preis 10 M., geb. 11.25 M.
Rieder, Dr. H. in München. Beiträge zur Kenntniss der Leukocytose
und verwandter Zustände des Blutes. Mit 2 Abbildungen im Text u. 4
farbigen Tafeln, gr. 8°. » 5 M.
Monti, A., Prof. und Dr. E. Berggrün, in Wien. Die chronische Anä-
mie im Kind es alter. Mit 4 farbigen Tafeln, gr. 8°. 6 M.
Reinert, Dr. E. in Tübingen. Die Zählung der Blutkörperchen und
deren Bedeutung für Diagnose und Therapie. Von der medicinischen Klinik
%u Tübingen gekrönte Preisschrift, gr. 8n. 6 M.
Schmidt, Prof. Dr. Alex. Zur Blutlehre, gr. 8°. 1892. 6 M., geb. 7.25 M.
Dennig, Dr. A. (Tübingen). Ueber Septische Erkrankungen mit be-
sonderer Berücksichtigung der kryptogenetischen Septicopyämie. Mit 3
farbigen Tafeln und 11 Curven. Lex. 8°. 8 M.
Dennig, Dr. A. (Tübingen). Ueber die Tuberculose im Kindesalter.
Im Druck.
Goldschmidt, Dr. J. (Madeira). Die Lepra auf Madeira. Mit 13 Licht-
drucktafeln. Lex. 8°. 4M.
Ziemssen, Dr. 0. in Wiesbaden, Die Heilung der constitutionellen
Syphilis, gr. 8°. 1 M.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
der
inneren 1&v<xn&fyeittn.
Ein Handbuch für Aerzte und Studirende
von
Dr Wilhelm von Leube.
Professor der mediz. Klinik und Oberarzt am Juliusspitale in Würzburg.
Zwei Bände.
Vierte umgearbeitete Auflage.
I.Bd. Mit 10 Abbildungen. Lex.-8°. 1895. Preis 10 M., geb. 11.25 M.
II. Bd. Mit 57 Abbildungen. Lex.-8°. 1895. Preis 12 M., geb. 13.25 M.
Das Leube'sche Werk stebt unter den vorhandenen medizinisch-
klinischen Lehrbüchern mit an erster Stelle. Nicht nur der Studirende
wird aus ihm Belehrung schöpfen, auch jeder Arzt wird es gern in die Hand
nehmen, wenn er seine Kenntnisse wieder auffrischen, sich über die neueren
Errungenschaften der klinischen Forschung unterrichten will.
Centralbl. f. klin. Medizin.
Insbesondere sind wir dem Verf. für zweierlei dankbar: er ist sichtlich
bestrebt, den klinischen Blick dahin anzuleiten, dass er alles umfasst, nichts
übersieht , insbesondere nicht über minutiösen Einzelheiten das grosse Ganze,
den Allgemeinverlauf, die Wirkung der Krankheit.
Fortschritte der Medizin.
Leube, Dr. Wilhelm von, (Würzburg), Über Stoffwechselstörungen
und ihre Bekämpfung. Rede zur Feier des 314. Stiftungstages der Kgl.
Julius -Maximilians-Universität gehalten am 2. Januar 1896. 1896. gr. 8°.
1 M.
e s u n g e n
über
Vorl
von
Dr. C. Liebermeister,
o. ö. Prof. der Pathologie und Therapie, Vorstand der med. Klinik in Tübingen.
Fünf Bände.
gr. 8°. 1894. Preis 42 M., geb. 48.25 M.
Jeder Band ist einzeln käuflich.
Diese, mit dem vorliegenden 5. Bande abgeschlossenen, Vorlesungen des
berühmten Tübinger Klinikers sind das Produkt langjähriger Erfahrung und um-
fassender Kenntnisse eines gewiegten Klinikers. Die Uebersichtlichkeit und die
leichte Fasslichkeit des Textes machen das Lehrbuch dem Studirenden zugäng-
lich, aber auch dem praktischen Arzte wird es in Folge seines reichen Inhalts
ein willkommenes Besitzthum sein zu weiterer Vervollkommnung.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
Genitale Neurosen und Neuropsychosen der Männer und Frauen
von
Prof. Dr. Albert Eulenburg in Berlin.
Lex. 8°. 1895. Preis 4 M., geb. 5 M.
Diagnostik
der
Von
Dr. P. J. MÖbiUS in Leipzig.
Zweite veränderte und vermehrte Auflage.
Mit 104 Abbildungen im Text. gr. 8°. 1894. Preis 8 M., geb. 9.25 M.
In dieser neuen Auflage ist der Plan des Buches erweitert worden. Das-
selbe zerfällt in seiner neuen Gestalt in 3 Theile. Der erste enthält die Me-
thoden der Untersuchung und die allgemeine Symptomatologie, geht also vom
einzelnen Symptome aus; der zweite enthält die Lehre von der Localisation,
geht also vom Orte der Läsion aus; der dritte sucht die ätiologisch-klinischen
Krankheitseinheiten zu fassen, ist eine Skizze der speciellen Diagnostik.
Handbuch der Neurasthenie. Herausgegeben mit anderen von Dr. Franz
Carl Müller in Alexandersbad. gr. 80. 1893. 12 M., geb. 14 M.
Beard, H. M., Die Nervenschwäche (Neurasthenie), ihre Symptome, Natur,
Folgezustände und Behandlung. Mit einem Anhang: die Seekrankheit und
der Gebrauch der Brommittel. Uebersetzt und bearbeitet von Sanitätsrath
Dr. M. Neisser in Breslau. Dritte vermehrte Auflage, gr. 8°. 4 M., geb. 5 M.
König, Wilh., Dr. in Dalldorf, Ueber Gesichtsfeldermüdung und deren
Beziehung zur concentrischen Gesichtsfeldeinschränkung bei Erkrankungen
des Centralnervensystems. gr. 8°. 1893. 4 M.
Günther, R. Dr. in Sonnenstein, Ueber Behandlung und Unterbrin-
gung der irren Verbrecher, gr. 8°. 1893. 3 M.
Hitzig, Eduard, Professor Dr. in Halle, Ueber den Quärulantenwahnsinn,
seine nosologische Stellung und seine forensische Bedeutung. Eine Ab-
handlung für Aerzte und Juristen. Lex. 8° 1895. 5 M.
Lindenhof. Heilanstalt für Gemüts- und Nervenkranke. Von Dr. R. H.
Pierson, (Director und Besitzer der Anstalt). Mit 31 Lichtdrucktafeln und
5 Plänen. Lex. 8°. 1896. 10 M.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
9
Schroeder's Handbuch der Krankheiten
der
Unigearbeitet und herausgegeben
von
M. Hofmeier,
o. ö. Professor der Geburtshülfe und Gynäkologie in Würzburg.
Elfte Auflage.
Mit 186 Abbildungen im Text.
gr. 8°. 1893. Preis 12 M., geb. 14 M.
Die Elfte Auflage dieses bekannten und allgemein verbreiteten Handbuchs
ist sorgfältig kritisch durchgearbeitet und an vielen Stellen verändert und er-
gänzt. Obwohl vielfach früher in demselben vortretende Anschauungen ge-
ändert werden mussten, was in der Natur der Verhältnisse und der allmäh-
lichen Fortbildung unserer Wissenschaft liegt, so liegen dem Werke doch die
speciellen Ansichten Schroeder's zu Grunde. Es bleibt daher dieses Werk in
seiner vorzüglichen kritischen Bearbeitung ganz dazu geeignet, den Wunsch
des Herausgebers zu erfüllen, das Andenken Schroeder's unter den Fach-
genossen lebendig zu erhalten.
Hueter-Lossen's Grundriss
der
Chirurgie.
I. Bd. Die Allgemeine Chirurgie. Sechste umgearbeitete Auflage.
Mit 200 Abbildungen. Lex. 8°. 1889. Preis 10 M., geb. 12 M.
II. Bd. Die Specielle Chirurgie. Siebente Auflage. Mit 353 Abbil-
dungen. Lex. 8«. 1892. Preis 25 M., geb. 27.50 M.
„Hueter's Chirurgie, die nahezu an allen deutschen Universitäten gebraucht
wird und sich von Generation zu Generation forterbt, gehört zu den am
meisten verbreiteten Lehrbüchern. Die treffliche Bearbeitung, die Professor
Lossen seit einer Reihe von Jahren dem vorzüglichen Werke angedeihen
lässt, bewahrt das Buch vor dem Veralten. Bietet das Werk dem Studirenden
ein verlässliches Compendium, das alles Wissenswerthe in gebotener Kürze,
jedoch frei von jedem Schematismus enthält, so genügt es auch andererseits
vollauf den Bedürfnissen des praktischen Arztes, da es in knapper Form, in
gut geschriebener klarer Darstellung in allen Fällen Aufklarung verschafft,
ohne jemals durch theoretischen Ballast zu ermüden."
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
10
Vorlesungen
über
Hllöemeine Therapie.
Mit besonderer Berücksichtigung der inneren Krankheiten
von
Dr. Friedrich Albin HofFmann,
K. E. Wirkl. Staatsrath, o. ö. Professor und Director der Universitäts-Poliklinik
an der Universität zu Leipzig.
Vierte umgearbeitete Auflage,
gr. 8°. 1895. Preis 10 M., geb. 12 M.
Die neue Auflage bietet noch reicheren Inhalt als die früheren und berück-
sichtigt zahlreiche Untersuchungen, welche namentlich über die Stoff'wechsel-
-erkrankungen inzwischen erschienen sind. Wie bei den früheren Auflagen hält
die frische und originelle Art der Darstellung das Interesse des Lesers von
der ersten bis zur letzten Seite wach. Berliner klin. Wochenschrift.
is vortreffliche, von echt philosophischem Geiste durchwehte, eine
Fülle praktischer Einzelheiten enthaltende, äusserst anregend geschriebene
Lehrbuch in der Bibliothek keines Arztes fehlen, der in der Therapie etwas
mehr erblickt, als das Verschreiben eines Receptes und die Abfassung eines
Speisezettels. Deutsche Medizinal-Zeitung.
In der That gehört das Buch zu den wenigen, in neuster Zeit erschienenen
Werken, welche durch erfrischende Originalität in Wort und Gedanken das
Interesse des Lesers vom Anfang bis zum Schlüsse in steigender Spannung er-
halten. St. Petersburger Medic. Wochenschrift.
Drei Vorträge
aus dem Gebiete der
gehalten im
Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses
Prof. Dr. Max Rubner von Prof. Dr. Carl Fraenkel
in Berlin und in Marburg
Prof. Dr. Dittmar Finkler
in Bonn,
gr. 8°. 1895. Preis: 2 Mark.
und
^t^netoerordnuncjeFdfre.
von
Prof. Dr. H. Tappeiner in München.
Zweite vollständig umgearbeitete Auflage.
gr. 8°. 1895. Preis 6 M., geb. 7.25 M.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
11
Im Sommer 1896 erscheint:
Vorlesungen
ü6cr Den $au fox nernöfen Äenfi?aiorgane
btt .Qfttenfcßen unb.ZfyUvt.
Für Aerzte und Studirende
von Dr. Ludwig Edinger in Frankfurt a/M.
Fünfte völlig umgearbeitete Auflage.
Mit zahlreichen Abbildungen. Lex.-'SU. Preis ca. 10 M.
Aeussere )
; Opticusschicht.
Innere )
Centr. Höhlengrau.
Dec. d. tiefen Markes.
Tiefes med. Ther.
Tief. Mark. lat. Abth.
Co. post.
Fase. long. post.
Opticus.
Nucl. prof. lat.
Nucl. prof. med.
Gangl. ventr. tegmenti.
Frontalschnitt durch das Mittelhirn von Lacerta.
Die fünfte neu revidirte Auflage ist wesentlich erweitert durch eine grosse
Anzahl neuer, nach Photographien von grossen Hirnschnitten gefertigten Ab-
bildungen. Der Mangel solcher grossen Hirnbilder hat bisher den Gebrauch
in der Praxis etwas erschwert. Aber das Buch hat auch eine wesentliche Er-
weiterung dadurch erfahren, dass es in einer Reihe von einleitenden Vorlesungen
zum erstenmale eine durchaus originale Uebersicht über das Ge-
hirn der Wirbelthiere bringt, für welche an 100 neue Abbildungen nach
Präparaten des Verfassers gezeichnet wurden. Durch diesen neuen Abschnitt
und dadurch, dass nun auch das Functionelle mehr als früher berücksichtigt
worden ist, eignet sich Edingers Hirnanatomie nun auch für die Studien
über den Bau des Nervensystems im Allgemeinen und über seine Functionen.
Speciell sei auch die Aufmerksamkeit der vergl. Anatomen und Zoologen
auf das Werk gelenkt.
Erb, Prof. TV. in Heidelberg, Dystrophia muscularis progressiva.
Klinische u. patholog.-anatom. Studien, gr. S°. 1891. Sonderabdruck. 4 M.
Steudel, Dr. E.. Stabsarzt, Die pernieiöse Malaria in Deutsch-Ostafrika.
Mit 1 Curventafel. gr. 8°. 1894. 2 M.
VERLAG VON F. C. W. VOGEL IN LEIPZIG.
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